Titel:
Straßenrechtliche Zuordnung eines Hinterliegergrundstückes
Normenketten:
BayStrWG Art. 51 Abs. 4, Abs. 5
BauGB § 127
StrVO § 14
Leitsätze:
1. Die der Straßenreinigungsgebühr zugrundeliegende Reinigungspflicht des Anliegers knüpft nicht an den Vorteil einer verkehrsmäßigen Erschließung im Sinne der §§ 127 ff. BauGB an. Die Ermächtigungsgrundlage des Art. 51 Abs. 4 BayStrWG und die darauf beruhenden gemeindlichen Vorschriften sind vielmehr sicherheitsrechtlicher Natur, weil sie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Reinlichkeit dienen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sind die Reinigungspflichten durch Rechtsverordnung auf die Anlieger abgewälzt und ist auch kein Anschluss- und Benutzungszwang an eine gemeindliche Straßenreinigungseinrichtung verfügt, sind diese Pflichten primär von den Anliegern zu erfüllen (vgl. BayVGH, U.v. 4.4.2007 - 8 B 05.3195, BeckRS 2007, 24129). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Abwälzung der gemeindlichen Reinigungspflicht durch Rechtsverordnung nach Art. 51 Abs. 4 und 5 BayStrWG auf die Anlieger ist grundsätzlich verfassungsmäßig (vgl. BayVGH, U.v. 4.4.2007 - 8 B 05.3195, BeckRS 2007, 24129; BayVGH, U.v. 18.8.2016 - 8 B 15.2552, BeckRS 2016, 53246). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Hinterlieger eines Reihenhausgrundstücks, Wegerecht, Sondernutzungsgebühren, Reinigungspflicht, Anlieger, Zugangsmöglichkeit zur Straße, Straßenreinigunggebühr, Erschlossenwerden
Fundstelle:
BeckRS 2020, 28312
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 2019 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, dass sein mit einem Reihenhaus bebautes Grundstück Fl.Nr. …, Gemarkung … (…) als Hinterlieger zur …straße dem Vorderliegergrundstück Fl.Nr. …, Gemarkung … (…) zugeordnet ist.
2
Der Kläger ist mit seinem Bruder Miteigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …, Gemarkung … (…), und Miteigentümer an den beiden Privatwegen mit den Fl.Nr. … und … Das Grundstück des Klägers ist bebaut mit einem Haus, das mit vier weiteren angrenzenden Häusern eine Reihenhauszeile bildet. Die Reihenhauszeile liegt mit ihrem östlichen Endgrundstück, der …, an der … und mit ihrem westlichen Endgrundstück, der …, an der …straße an. Zwischen der Reihenhauszeile und dem Gehweg der …straße befindet sich ein etwa 1 bis 1,20 m breiter Grundstücksstreifen, der eine Böschung und eine Stützmauer enthält. Alle fünf Grundstücke der Reihenhauszeile liegen an zwei Privatwegen (Fl.Nr. … und …), durch die sie mit der …straße verbunden sind.
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Mit Schreiben vom 7. Februar 2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass festgestellt worden sei, dass der Kläger, der … …straße … und der dem Hinterliegergrundstück zugehörige Vorderlieger (…) der Gehwegsicherungspflicht an der Seite …straße nicht nachgekommen seien. Sie seien aufgrund der Straßenreinigungsverordnung verpflichtet, den öffentlichen Gehweg, der an das Vorderliegergrundstück angrenzt, zu räumen und streuen.
4
Daraufhin erwiderte der Kläger mit Schreiben vom 14. Februar 2019, dass er erhebliche Zweifel daran habe, dass das Grundstück als Hinterliegergrundstück zu qualifizieren sei, das weder an die …straße unmittelbar angrenze bzw. erschlossen werde noch von der …straße über einen privaten Weg oder in sonstiger Weise zugänglich sei. Diese in § 10 der Straßenreinigungsverordnung genannten Bedingungen würden für die entsprechenden Verpflichtungen bezüglich der …straße zutreffen. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass es sich um ein Reihenhaus innerhalb einer Reihenhauszeile i.S.d. § 14 der Straßenreinigungsverordnung handele. Auch § 14 setze voraus, dass es sich um ein Hinterliegergrundstück in Bezug auf die jeweils betroffene, öffentliche Straße handele. Es bestehe keinerlei Zugangsmöglichkeit von seinem Grundstück direkt oder indirekt auf die …straße. Darüber hinaus erfolge die gesamte Erschließung der betroffenen Reihenhauszeile über die …straße.
5
Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 3. April 2019 mit, dass das Grundstück …straße … als Vorderliegergrundstück zur …straße anzusehen sei (VG Ansbach, U.v. 17.5.2002, AN 1 K 01.00435; BayVGH, U.v. 30.12.1970, 236 IV 70, BayVBl 1972, 552.), da insoweit das Angrenzen an die öffentlichen Verkehrsflächen ausreiche; ein tatsächlicher Zugang sei nicht erforderlich. Es reiche aus, wenn es rechtlich und tatsächlich möglich sei, einen Zugang zu schaffen. Dies sei für den Anlieger mit dem Grundstück …straße … der Fall. § 14 der Straßenreinigungsverordnung solle in Reihenhauskonstellationen eine möglichst gerechte Lösung herbeiführen, da sonst der jeweilige Vorderlieger unverhältnismäßig stark belastet werde und alleine die Gehwegsicherung an der …straße vornehmen müsste. Dem sog. Reihenhaus-Paragraph liege die Annahme zugrunde, dass sich Reihenhausgrundstücke in einer Art Schick salsgemeinschaft befinden. Die Pflichten innerhalb dieser Gemeinschaft seien so aufzuteilen, dass der oder die Vorderlieger die straßenrechtlichen Pflichten nicht weit überwiegend oder ganz alleine zu tragen hätten. Der Reihenhaushinterlieger sei kein normaler Hinterlieger; er werde abweichend von §§ 7 und 11 der Straßenreinigungsverordnung geregelt. Vorliegend führe dies dazu, dass der Kläger (…) sowie die Eigentümer der Grundstücke … … und … gemeinsam für die Gehwegsicherung des entsprechenden Abschnittes der …straße verantwortlich seien. Dagegen seien sie nicht zur Sicherung in Bezug auf die … verpflichtet. Dies obliege den Eigentümern der Grundstücke … und … Dabei handele es sich um eine faire Aufteilung. Dass die tatsächliche Zugänglichkeit nicht ganz einfach sei, sei bekannt. Es werde dennoch als zumutbar erachtet, der Gehwegsicherungspflicht mit insgesamt drei Verpflichteten gemeinsam nachzukommen. Die abstrakte Regelung könne im Einzelfall zu gewissen Härten führen, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit hinzunehmen seien. Schließlich diene die Übertragung der Gehwegsicherungspflicht dem Wortlaut von Art. 51 Abs. 5 BayStrWG entsprechend der Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum oder Besitz. Aufgabe der Gemeinde sei es, für eine effektive Gefahrenabwehr zu sorgen. Dies könne nur gewährleistet werden, wenn die Anlieger für die Gehwegsicherung mit herangezogen würden, da eine alleinige Absicherung durch die Stadt nicht leistbar wäre. Dies gelte auch, wenn der Anlieger/Vorderlieger keinen direkten tatsächlichen Zugang habe, etwa wegen einer Böschung oder Stützmauer. Abschließend wurde der Kläger aufgefordert, der Gehwegsicherungspflicht künftig nachzukommen.
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Mit Schreiben vom 10. April 2019 bat der Kläger um Übermittlung eines rechtsmittelfähigen Bescheides und führte aus, dass § 7 Abs. 1 Nr. 2 der Straßenreinigungsverordnung den Begriff des Hinterliegers legaldefiniere. Es bedürfe danach eines Zugangs zu der betroffenen öffentlichen Straße. In § 11 der Verordnung sei lediglich geregelt, dass ein Hinterliegergrundstück grundsätzlich dem Vorderliegergrundstück zugeordnet ist, über das es seinen Zugang zur öffentlichen Straße hat. Auch wenn § 14 der Verordnung eine Abweichung der Zuordnung von § 11 vorsehe, so bleibe auch für Reihenhäuser die Legaldefinition für Hinterlieger gültig, zumal auch § 14 ausdrücklich von Reihenhaushinterlieger und Hinterlieger spricht. Seit Bebauung des betroffenen Areals der … im Jahr 1961 bestehe kein Zugang zur …straße über das Vorderliegergrundstück … Selbst das Vorderliegergrundstück … verfüge über keinen direkten Zugang zur …straße. Es sei in Richtung …straße durch einen geschlossenen Zaun zu einem etwa 2 m breiten mit Bäumen und Büschen bepflanzten Hangstreifen abgegrenzt, der wiederum an einer 1,5 m bis 2 m hohen Stützmauer endet. Diese Stützmauer begrenze den längs der …straße verlaufenden Gehweg. Sollte die Reinigungsverpflichtung bestehen, sei der Kläger gezwungen, einen Weg von annähernd 200 m zurückzulegen, um vom Grundstück … zu der zu räumenden Fläche zu gelangen. Eine vertragliche Regelung zwischen dem Kläger und dem Vorderliegergrundstück … über eventuelle Betretungs- und Überquerungsrechte bezüglich dieses Grundstückes bestehe nicht. Die sonstige Erschließung des Grundstückes und der gesamten Häuserzeile erfolge ausschließlich über die … Die gesamten Eigentümer der betroffenen Häuserzeile seien seit Errichtung der Gebäude im Jahr 1962 so behandelt worden, als wären ihre Grundstücke ausschließlich über die … erschlossen.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 14. Mai 2019 stellte die Beklagte fest, dass das Grundstück Fl.Nr. …, Gemarkung … (…c), als Hinterlieger zur …straße dem Vorderliegergrundstück Fl.Nr. …, Gemarkung … (…) zugeordnet ist. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass sich die Zuordnung der Hinterlieger nach den besonderen Vorschriften für Reihenhausgrundstücke nach § 14 der Straßenreinigungsverordnung richte.
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Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 21. Mai 2019 Klage. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger mit dem Schreiben der Beklagten vom 7. Februar 2019 erstmals auf eine vermeintlich bestehende Gehwegsicherungspflicht bzw. Schneeräumpflicht auf einem Teilstück der …straße hingewiesen worden sei. Für die betroffene Häuserzeile mit den Hausnummern ... bis … bestehe keine Anbindung an die …straße. Insbesondere sei kein Zugang möglich. Sämtliche Grundstücke zwischen der …straße und der ersten Stich straße der … mit den Hausnummer ... bis … seien ausschließlich über die … und deren erster Stich straße mit der Fl.Nr. … zugänglich und erschlossen. Dies gelte auch für das an die …straße angrenzende Grundstück mit der Fl.Nr. … (Hausnummer ...). Auch dieses Grundstück grenze nicht an die …straße und den seitlich verlaufenden Gehweg, sondern an ein dazwischenliegendes und längs verlaufendes Hanggrundstück mit der Fl.Nr. … Für den Kläger als Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. … bestehe kein dinglich gesichertes Recht, dieses Grundstück und das Hanggrundstück zu betreten bzw. zu überqueren, um zur …straße zu gelangen.
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In rechtlicher Hinsicht trug der Kläger vor, dass es sich bei den nicht gesondert legaldefinierten Reihenhaushinterliegern um Hinterlieger i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 2 der Straßenreinigungsverordnung der Beklagten handeln müsse, d. h. sie müssten über die zu reinigenden öffentlichen Straße erschlossen werden, also von ihr über einen privaten Weg oder in sonstiger Weise zugänglich sein.
den Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 2019 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt Klageabweisung und fügte Unterlagen hinsichtlich des Erlasses der Straßenreinigungsverordnung bei.
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Die Verordnung über die Reinigung und Reinhaltung der öffentlichen Straßen und die Sicherung der Gehwege bei Schnee oder Glatteis in der Stadt … (StraßenreinigungsVO - StrRVO) der Beklagten vom 15. Oktober 2010, zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. August 2017, hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
(1) Reihenhausgrundstücke liegen vor, wenn bei an sich offener Bauweise mehr als zwei im Wesentlichen gleichartige Häuser in der Weise aneinandergebaut sind, dass sich eine Hauszeile ergibt.
(2) Baulücken unterbrechen die Hauszeile.
(3) In Zweifelsfällen ist die Verkehrsauffassung maßgebend.
§ 7 Anlieger (Vorderlieger, Hinterlieger)
(1) Anlieger sind die Eigentümer der innerhalb der geschlossenen Ortslage liegenden bebauten oder unbebauten Grundstücke sowie die Personen, die an solchen Grundstücken dinglich zur Nutzung berechtigt sind (z.B. Erbbauberechtigte, Nießbraucher), sofern diese Grundstücke
1. unmittelbar an einen der in § 2 aufgezählten Bestandteile einer öffentlichen Straße angrenzen (Vorderlieger), ohne Rücksicht darauf, ob sie zur angrenzenden öffentlichen Straße eine Zufahrt oder einen Zugang haben oder
2. ohne unmittelbar an eine öffentliche Straße anzugrenzen, über eine solche erschlossen werden, d.h. von ihr über einen privaten Weg oder in sonstiger Weise zugänglich sind (Hinterlieger).
Grenzt ein Grundstück an mehrere öffentliche Straßen an oder wird es über mehrere öffentliche Straßen mittelbar erschlossen oder grenzt es an eine öffentliche Straße an, während es über eine andere mittelbar erschlossen wird, so besteht die Verpflichtung für jede dieser Straßen. Die Vorschriften für den Hinterlieger (Satz 1 Nr. 2) gelten entsprechend.
(2) Besteht an einem Grundstück Miteigentum oder Sondereigentum (Wohnungs- oder Teileigentum), so treffen die Pflichten nach § 9 jeden Mit- oder Sondereigentümer des Grundstücks. Neben dem an einem Grundstück dinglich zur Nutzung Berechtigten bleibt subsidiär der Eigentümer nach § 9 verpflichtet.
§ 11 Zuordnung der Hinterlieger
Hinterlieger gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 2 gelten grundsätzlich dem Vorderliegergrundstück als zugeordnet, über das sie ihren Zugang zur öffentlichen Straße haben.
§ 14 Besondere Vorschriften für Reihenhausgrundstücke
(1) Reihenhaushinterlieger einer Reihenhauszeile gelten abweichend von § 11 dem Vorderliegergrundstück der jeweiligen Zeile als zugeordnet.
(2) Sind beide Endgrundstücke einer Zeile Vorderliegergrundstücke, so gilt jedem dieser Grundstücke die ihm nächstgelegene Hälfte der Hinterlieger als zugeordnet. Ist die Zahl der Hinterlieger ungerade, so gilt der mittlere demjenigen Vorderliegergrundstück als zugeordnet, das an die Straße mit der größeren Verkehrsbedeutung angrenzt; haben die Straßen etwa die gleiche Verkehrsbedeutung, so gilt der mittlere Hinterlieger dem Vorderliegerendgrundstück mit der niedrigeren Hausnummer als zugeordnet.
(3) Für die Zuteilung der Reinigungs- und Sicherungsfläche und für die Aufteilung der Pflichten gelten § 12 Abs. 2 und § 13 entsprechend.
(4) § 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 bleiben unberührt.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte sowie wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung auf das Protokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig. Sie ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO statthaft. Der Kläger begehrt die Aufhebung des Bescheides vom 14. Mai 2019, bei dem es sich inhaltlich um die Feststellung handelt, dass das Grundstück des Klägers als Hinterlieger zur …straße dem Vorderliegergrundstück … zugeordnet ist. Darin steckt, wie sich aus der Begründung des Bescheides entnehmen lässt, im Kern ein Anspruch auf Befolgung der damit einhergehenden Anliegerpflichten (Straßenreinigungspflicht und Gehwegsicherungspflicht).
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Die Klagebefugnis des Klägers nach § 42 Abs. 2 VwGO ergibt sich im vorliegenden Fall bereits aus der Adressatenstellung. Für die Klagebefugnis genügt daher die mögliche Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG durch die von der Beklagten vorgenommenen Zuordnung des klägerischen Grundstücks als Hinterlieger zu einem Vorderliegergrundstück zur …straße mit der daraus folgenden Pflicht zum Winterdienst.
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Die Klage wurde auch innerhalb der Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben, so dass die Klage als Anfechtungsklage zulässig ist.
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Die Anfechtungsklage ist auch begründet, weil der streitgegenständliche Bescheid vom 14. Mai 2019 rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Zwar hat die Beklagte § 14 StrRVO zutreffend angewandt (vgl. unter 1.), allerdings hätte die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid nicht auf diese Vorschrift stützen dürfen, da sie nicht von der Ermächtigungsnorm des Art. 51 Abs. 4 BayStrWG gedeckt und deshalb unwirksam ist (vgl. unter 2.).
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1. Der angefochtene Bescheid beruht auf § 14 StrRVO. Danach gelten Reihenhaushinterlieger einer Reihenhauszeile dem Vorderliegergrundstück der jeweiligen Zeile als zugeordnet.
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Davon ausgehend hat die Beklagte entgegen der Auffassung des Klägers § 14 StrRVO zutreffend angewandt.
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Zunächst sind die Grundstücke der … bis … unstreitig Reihenhausgrundstücke im Sinne des § 6 StrRVO.
22
Das Grundstück Fl.Nr. … (…) ist als Vorderlieger zur …straße zu qualifizieren. Dieses Grundstück liegt an der …straße an, obwohl es durch eine Böschung vom Gehweg dieser Straße getrennt ist. Böschungen, Stützmauern und dergleichen gehören nämlich nach § 2 Nr. 1 StrRVO zum Straßenkörper. Dass das Grundstück keinen Zugang zur …straße hat, spielt für die Frage des Anliegens keine Rolle (§ 7 Abs. 1 StrRVO). Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Urteil vom 30. Dezember 1971 Nr. 236 IV 70 (BayVBl 1972, 552 f.), das das ebenfalls an der …straße gelegene Grundstück … … betraf, dargelegt hat, knüpft die der Straßenreinigungsgebühr zugrundeliegende Reinigungspflicht des Anliegers nicht an den Vorteil einer verkehrsmäßigen Erschließung im Sinne der §§ 127 ff. BauGB an. Die Ermächtigungsgrundlage des Art. 51 Abs. 4 BayStrWG und die darauf beruhenden gemeindlichen Vorschriften sind vielmehr sicherheitsrechtlicher Natur, weil sie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Reinlichkeit dienen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat dementsprechend in dem zitierten Urteil für das Grundstück betreffend die … die Auffassung vertreten, dass die Stützmauer und Böschung, die das Grundstück vom Gehweg der …straße trennen, keinen Einfluss auf die Gebührenpflicht haben (BayVGH, U.v. 30.12.1971 Nr. 236 IV 70 - BayVbl 1972, 552 f.; s. auch VG Ansbach, U.v. 30.4.2002 - AN 1 K 01.00435).
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Ausgehend von der Vorderliegereigenschaft des Grundstücks Fl.Nr. … (…) ist das klägerische Grundstück unter Berücksichtigung des § 14 Abs. 1 und 2 StrRVO Hinterlieger zur …straße, auch wenn von dem streitgegenständlichen Grundstück keine tatsächliche Zugänglichkeit zur …straße besteht. Denn § 14 StrRVO stellt eine Ausnahme zur grundsätzlichen Regelung des Hinterliegers in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und der geregelten Zuordnung in § 11 StrRVO dar. Soweit der Kläger vorträgt, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StrRVO beanspruche als Legaldefinition des Hinterliegers auch im vorliegenden Fall Geltung, kann er mit diesem Einwand nicht durchdringen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 14 StrRVO. Bereits die Überschrift „Besondere Vorschriften für Reihenhausgrundstücke“ zeigt, dass hier eine vom Regelfall abweichende Regelung getroffen wird. Dies stützt auch der Wortlaut des § 14 Abs. 1 StrRVO („abweichend von § 11“) und § 14 Abs. 4 StrRVO, wonach § 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 unberührt bleiben, so dass im Umkehrschluss § 7 Abs. 1 Satz 1 StrRVO in der Konstellation der Reihenhausgrundstücke nicht gilt. Darüber hinaus wird dem von der Beklagten verfolgten Zweck der Norm, das Erreichen einer gerechten Verteilung der Anliegerpflichten vor dem Hintergrund, dass Reihenhausgrundstücke eine „Schicksalsgemeinschaft“ teilen, nur mit dieser Auslegung Rechnung getragen. Deshalb ist für die Anliegereigenschaft - entgegen des klägerischen Vortrages - nicht entscheidend, ob vom klägerischen Grundstück ein Zugang zur …straße möglich ist.
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Dies hat zur Folge, dass das klägerische Grundstück nach der Verordnung der Beklagten als Reihenhaushinterlieger zur …straße gilt und nach § 14 Abs. 2 StrRVO dem Vorderliegergrundstück … zugeordnet ist.
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2. Allerdings hätte die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid nicht auf § 14 StrRVO stützen dürfen. Diese Vorschrift ist unwirksam, da es sich um eine nicht von der Ermächtigungsnorm des Art. 51 Abs. 4 BayStrWG gedeckte Regelung handelt. Denn der Kläger ist nach der Ermächtigungsnorm des Art. 51 Abs. 4 BayStrWG - entgegen § 14 StrRVO - nicht als Anlieger der …straße anzusehen.
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Nach Art. 51 Abs. 4 BayStrWG können die Gemeinden zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Reinlichkeit über die Reinhaltung und Reinigung der öffentlichen Straßen Rechtsverordnungen erlassen und darin die Eigentümer von Grundstücken, die innerhalb der geschlossenen Ortslage an öffentliche Straßen angrenzen oder über sie erschlossen werden, auch zu Leistungen auf eigene Kosten verpflichten.
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a. Die Pflicht, öffentliche Straßen zu reinigen und von Schnee zu räumen, wird in Art. 51 Abs. 1 BayStrWG so ausgestaltet, dass es sich dabei im Ausgangspunkt um eine gemeindliche Aufgabe handelt, wenn dies erstens dringend erforderlich ist und zweitens nicht andere aufgrund sonstiger Rechtsvorschriften verpflichtet sind. Zu der Verpflichtung anderer aufgrund sonstiger Rechtsvorschriften gehören namentlich die Fälle der Abwälzung der Reinigungspflicht nach Maßgabe des Art. 51 Abs. 4 und 5 BayStrWG durch gemeindliche Verordnung auf die Anlieger der Straße. Sind die Reinigungspflichten durch Rechtsverordnung auf die Anlieger abgewälzt und ist auch kein Anschluss- und Benutzungszwang an eine gemeindliche Straßenreinigungseinrichtung verfügt, sind diese Pflichten somit primär von den Anliegern zu erfüllen (vgl. BayVGH, U.v. 4.4.2007 - 8 B 05.3195 - BayVBl. 2007, 558/559).
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Die Abwälzung der gemeindlichen Reinigungspflicht durch Rechtsverordnung nach Art. 51 Abs. 4 und 5 BayStrWG auf die Anlieger ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs grundsätzlich verfassungsmäßig (vgl. BayVerfGH, U.v. 28.3.1977 - Vf. 3-VII-76 - BayVBl 1977, 369; BayVGH, U.v. 4.4.2007 - 8 B 05.3195 - BayVBl 2007, 558/560; BayVGH, U.v. 18.8.2016 - 8 B 15.2552 - juris).
29
b. Die Abwälzung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht möglich, da Art. 51 Abs. 4 BayStrWG hinsichtlich der Abwälzung der Reinigungspflicht auf die Eigentümer von Grundstücken, die innerhalb der geschlossenen Ortslage an öffentliche Straßen angrenzen oder über sie erschlossen werden, abstellt, das klägerische Grundstück aber weder Vorder- noch Hinterlieger zur …straße ist.
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aa. Das klägerische Grundstück ist nicht als Vorderlieger zur …straße anzusehen, da es nicht an die …straße angrenzt.
31
Ein Grundstück grenzt an eine öffentliche Straße an, wenn es mit dem Straßengrundstück eine gemeinsame Grenze hat. Ein Grundstück grenzt auch dann an die Straße, wenn zwischen dem Grundstück und der Straßenfläche eine zur Straße gehörende Stützmauer oder eine Stützmauer mit einem Böschungsstreifen oder ein zur Straße gehörender Grünstreifen liegt. Eine feste Breite, von der ab nicht mehr von einem zur Straße gehörenden Grünstreifen ausgegangen werden kann, gibt es nicht. Entscheidend sind Art, Zustand und Funktion der Grünfläche (vgl. Schmid in: Zeitler, BayStrWG, Art. 51 Rn. 93 m.w.N.).
32
Über das Angrenzen an die Straße hinaus wird zur Begründung der Straßenreinigungspflicht eine objektive Beziehung des Grundstücks zur Straße gefordert, die gegeben ist, wenn eine rechtliche Zugangsmöglichkeit zur Straße besteht, ohne dass es darauf ankommt, ob diese Möglichkeit auch tatsächlich genutzt wird. Ebenfalls außer Betracht bleiben muss, ob die Schaffung eines Zugangs oder einer Zufahrt aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll erscheint. Ist das Grundstück von der Straße aus nicht zugänglich, so kann die objektive Beziehung in der nicht nur hypothetischen Möglichkeit einer nicht völlig unerheblichen Verschmutzung der Straße durch das Anliegergrundstück, beispielsweise durch Laub liegen, aber auch darin, dass die Straßenreinigung das Grundstück von Verschmutzung durch die Straße schützt (vgl. zum Ganzen Schmid in: Zeitler, BayStrWG, Art. 51 Rn. 94 m.w.N.).
33
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass das klägerische Grundstück nicht Vorderlieger zur …straße ist, da es an das Grundstück Fl.Nr. … (…) angrenzt und nicht, auch nicht durch einen Böschungsstreifen getrennt, an die …straße. Auch eine objektive Beziehung des von der …straße aus gesehen „in zweiter Reihe“ gelegenen Grundstücks zur …straße ist nicht ersichtlich.
34
bb. Das klägerische Grundstück ist auch nicht als Hinterlieger zu qualifizieren, da es nicht über die …straße erschlossen wird.
35
Ein Grundstück wird über eine öffentliche Straße erschlossen, wenn es von der Straße her zugänglich ist, ohne dass es an die öffentliche Straße anzugrenzen braucht. Als mittelbar erschlossen über eine öffentliche Straße gelten hierbei sowohl Grundstücke, die über ein anderes Grundstück Zugang oder Zufahrt zu dieser nehmen, als auch Grundstücke, die zusammen mit anderen Grundstücken eine gemeinsame Zuwegung zu dieser besitzen. Die Zuwegung, die das Erschlossensein vermittelt, darf nicht bereits selbst eine öffentliche Straße darstellen. Die Heranziehung eines Hinterliegers zur Straßenreinigung und Wintersicherung setzt nicht voraus, dass der tatsächlich mögliche, rechtlich zulässige Zugang über das Vorderliegergrundstück dinglich gesichert ist. Erreichbarkeit ist gegeben, wenn z. B. ein Hinterliegergrundstück durch eine private Zufahrt mit der öffentlichen Straße verbunden ist oder wenn Reihenhäuser, die senkrecht zur Straße stehen, über einen von dieser abgehenden Privatweg mit dieser verbunden sind (vgl. zum Ganzen Schmid in: Zeitler, BayStrWG, Art. 51 Rn. 95 m.w.N.).
36
Nach diesem Maßstab ist das klägerische Grundstück nicht Hinterlieger zur …straße, da es von der …straße nicht zugänglich ist. Auch ein mittelbares Erschlossensein über die …straße kann nicht festgestellt werden. Es besteht keine Möglichkeit eines tatsächlichen oder rechtlich zulässigen Zugangs zur …straße. Ein Zugangsweg zur …straße ist nicht angelegt. Das klägerische Grundstück ist vielmehr ausschließlich über die … an das öffentliche Straßennetz angebunden und über diese erschlossen.
37
Eine sachliche Beziehung des klägerischen Grundstückes zur …straße zur Begründung der Anliegerpflichten ist nicht ersichtlich. Die aus der Möglichkeit der Schaffung eines Zugangs oder einer Zufahrt folgende Möglichkeit der wirtschaftlichen oder verkehrlichen Nutzung des Grundstücks wird für das Hinterliegergrundstück nur durch dasjenige Vorderliegergrundstück hergestellt, über das Zugang oder Zufahrt zur öffentlichen Straße genommen werden darf. Auch die Möglichkeit einer nicht völlig unerheblichen Straßenverschmutzung durch das Anliegergrundstück, die ebenfalls eine sachliche Rechtfertigung für die Heranziehung der Angrenzer zur Straßenreinigung darstellt, kommt für das Hinterliegergrundstück typischerweise nur im Bereich des Grundstücks zum Tragen, über das Zugang oder Zufahrt genommen wird (vgl. VG Augsburg, U.v. 14.5.2014 - Au 6 K 13.1937 - juris Rn. 29). Eine sachliche Beziehung des Grundstücks zur …straße folgt auch nicht aus dem Umstand, dass es sich um ein Reihenhausgrundstück handelt, da es sich straßenrechtlich um jeweils eigenständige Grundstücke handelt. Dabei übersieht das Gericht nicht, dass es der Beklagten bei Erlass des § 14 StrRVO darum ging, die Anliegerpflichten in Reihenhauskonstellationen fair aufzuteilen. Dieser dahinter stehende Gerechtigkeitsgedanke findet jedoch keine Stütze in der Ermächtigungsgrundlage, soweit die Hinterliegereigenschaft an die Reihenhauskonstellation geknüpft wird. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das klägerische Grundstück einen zusätzlichen Vorteil durch die Reinigung und Sicherung der …straße hätte.
38
Eine weitere Auslegung des Begriffs „Erschlossenwerden“ ist nicht ersichtlich und mit dem Wortlaut nicht vereinbar. Auch unter Berücksichtigung des sicherheitsrechtlichen Charakters des Straßenreinigungsrechts ist nicht erkennbar, dass das klägerische Grundstück unter Ausweitung des Kreises der Verpflichteten als Hinterlieger zu gelten hätte. Zur Erfüllung der Anliegerpflichten ist bereits der Vorderlieger verpflichtet, ohne dass es hierzu noch der Heranziehung eines weiteren Eigentümers bedarf. Wenn der Gesetzgeber auch die Heranziehung der Hinterlieger im Grundsatz erlaubt, so liegt dem in erster Linie nicht eine effektive Erfüllung der Sicherheitsaufgaben zu Grunde, sondern nach Ansicht des Gerichts mehr die Absicht, einen Vorteilsausgleich zwischen Vorder- und Hinterliegern zu ermöglichen (vgl. VG Ansbach, GB v. 12.9.2012 - AN 10 K 11.02531 - juris).
39
Da § 14 Abs. 1 StrRVO jedoch unabhängig von einem Zugang zur …straße die Anlieger- bzw. Hinterliegereigenschaft des klägerischen Grundstückes anhand seines Reihenhauscharakters bestimmt, ist diese Regelung der StrRVO der Beklagten nicht von der Ermächtigungsnorm des Art. 51 Abs. 4 BayStrWG gedeckt. Dieser Umstand führt dazu, dass § 14 Abs. 1 StrRVO unwirksam ist.
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Nach alledem war der Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 2019 aufzuheben.
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3. Die Kostenentscheidung basiert auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
42
Die Berufung war nach §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Das Gericht geht davon aus, dass mehrere Gemeinden eine dem § 14 StrRVO gleichlautende bzw. entsprechende Regelung in ihren jeweiligen Straßenreinigungsverordnungen getroffen haben.