Titel:
Verhältnismäßigkeit einer bodenschutzrechtlichen Sanierungsanordnung
Normenketten:
BBodSchG § 4, § 10, § 18
BayVwVfG Art. 28
WHG § 100
VwGO § 67 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, Nr. 4, Nr. 5, Nr. 6, Nr. 7, § 113 Abs. 1 S. 1
GG Art. 14 Abs. 1
Leitsätze:
1. Im Fall einer durch schädliche Bodenveränderungen verursachten Gewässerveränderung ist das BBodSchG gegenüber dem Wasserrecht vorrangig. (Rn. 73) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Ermittlung der Belastungsgrenze kann nicht allein auf den Bodenrichtwert abgestellt werden, wenn eine vollständige Sanierung des Grundstücks hin zu einem unbelasteten Grundstück als unwahrscheinlich erscheint sowie Grundpfandrechte und andere dingliche Belastungen den Verkehrswert mindern können. (Rn. 82) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verhältnismäßigkeit einer Sanierungsanordnung, Ermittlung einer Belastungsgrenze, Störerauswahl, Schadenszuordnung, Grundwasser, Gemarkung, Ermessensfehler, Sanierungsanordnung, Schadensbeseitigung, Stand der Technik, Wohnbebauung, Haftungsrisiko, Belastungsgrenze, Zustandsstörer
Fundstelle:
BeckRS 2020, 2791
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 19. September 2017 (Az: …) wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Gegenstand der Klage ist eine bodenschutzrechtliche Sanierungsanordnung.
2
Auf dem Grundstück mit der früheren Adresse … befand sich ab ca. 1914 ein metallverarbeitender Betrieb, der u.a. auf die Herstellung von Motorradseitenwagen und später von Landmaschinen spezialisiert war. Bis zum Jahr 1984 wurde die Firma unter der Bezeichnung „… Spezialfabrik für Landmaschinen“ in der Form eines Einzelkaufmanns betrieben; Inhaber war Herr … Im Jahr 1984 wurde die Fa. … GmbH gegründet, die Anfang 1988 die Produktion einstellte.
3
Das frühere Betriebsgelände umfasst die Grundstücke FlNrn. …, …, …, …, …, … und …, Gemarkung … Auf dem Firmengrundstück wurden über Jahrzehnte chlorierte Kohlenwasserstoffe (CKW) im Produktionsbetrieb eingesetzt. Die ersten behördlichen Nachforschungen zum Einsatz von CKW erfolgten im Rahmen einer gemeinsamen Betriebsbesichtigung des Umweltamtes und des Wasserwirtschaftsamtes der Stadt … am 19. April 1988. Dabei wurden erstmals Mängel durch unsachgemäßen Umgang mit wassergefährdenden Stoffen festgestellt.
4
Mit Schreiben vom 2. Mai 1988 erklärte die Fa. … GmbH, bis ca. Mitte 1986 kohlenwasserstoffhaltige Stoffe verwendet zu haben. Es habe sich ausschließlich um Trichlorethylen gehandelt. Es sei sowohl das Wischverfahren als auch das Tauchverfahren eingesetzt worden.
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Das Umweltamt der Stadt … äußerte mit Schreiben vom 16. Mai 1988 den Verdacht von Boden- und Grundwasservereinigungen und forderte die Fa. … GmbH auf, die Schadensherde mittels Bodenluftsondierungen durch ein qualifiziertes Sachverständigenbüro ermitteln zu lassen.
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Beginnend im Jahr 1988 beauftragte die Fa. … GmbH auf dem (ehemaligen) Betriebsgelände verschiedene Untersuchungen zur Klärung des Verdachtes von Boden- und Grundwasserverunreinigungen. Die Untersuchungsergebnisse sind in den entsprechenden Gutachten der … GmbH vom 9. November 1988 und des TÜV Bayern e.V. vom 25. November 1988, 4. September 1989 und 20. Dezember 1989 dokumentiert. Es wurden massive Bodenluftbelastungen mit leichtflüchtigen halogenierten Kohlenwasserstoffen (LHKW) zwischen 21.250 mg/m³ und 43.760 mg/m³ an den Bohrpunkten BL3, BL8 und BL10 festgestellt. Weitere relevante LHKW-Schadensherde wurden südlich der Hauptwerkstatt (BL 4: 4.180 mg/m³), im Umfeld des Tauchbeckens der Nebenwerkstatt (BGM 3: 1.161 mg/m³) und in den Abfalllagerbereichen bei BG4 (700 mg/m³) festgestellt. Neben dem Hauptparameter Trichlorethen (Tri) wurden auch relevante Konzentrationen an Tetrachlorethen (Per) gemessen.
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Als Reaktion auf die Ergebnisse wurden die Grundwassermessstellen B1 in der nördlichen Montagehalle und B2 im Abfalllagerbereich errichtet. Dort wurden LHKW-Konzentrationen im Grundwasser von 100.0087 µg/l an B1 und 86.076 µg/l an B2 gemessen.
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In den Jahren 1990 und 1991 fanden erste Sanierungsmaßnahmen statt. Im Rahmen der vorbereitenden Sanierungsmaßnahmen wurden eine weitere Grundwassermessstelle im Zustrom (B3) und vier zusätzliche Bodengaspegel B4 bis B7 errichtet. Im Zeitraum März 1990 bis Februar 1991 wurden über die Bodenluftabsaugpegel B1 und B4 in der nördlichen Montagehalle insgesamt rund 930 kg LHKW aus der ungesättigten Bodenzone entfernt. Aus dem Grundwasser wurden über B1 weitere 46 kg LHKW ausgetragen. Die LHKW-Austragsfracht im Bereich des Abfall-Lagers (B2) belief sich auf ca. 53 kg für die gesättigte und ca. 2,5 kg für die ungesättigte Bodenzone.
9
Ein Sanierungsbericht vom 25. Februar 1991, erstellt durch den Gutachter Dr. … …, bezeichnet die Sanierungsmaßnahmen im Hinblick auf LHKW als abgeschlossen. Seitens der Beklagten wurden weitere Maßnahmen für erforderlich erachtet im Hinblick auf die Belastungen mit Kohlenwasserstoffen, deren Behandlung bislang zurückgestellt worden waren, sowie im Hinblick auf die verschiedenen Tankanlagen.
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Mit Bescheid vom 8. Oktober 1991 wurde für das Anwesen … … die Genehmigung für den Abbruch der Betriebs-, Lager- und Bürogebäude erteilt. Der Genehmigung war eine Auflage Nr. 7 beigefügt, wonach die Abbruchmaßnahmen nach dem vorliegenden Entsorgungskonzept durchzuführen seien. Es sei Sorge dafür zu tragen, dass die sich auf dem Anwesen befindlichen Grundwassermessstellen erhalten blieben.
11
Mit Bescheid vom 4. Dezember 1991 wurde für das Vorhaben „Errichtung von Wohn-, Büro- und Geschäftsgebäuden mit Tiefgarage zum Bauantrag vom 27. November 1999“ die Teilbaugenehmigung für die Ausführung von Verbauarbeiten und Erdaushub erteilt. Den beigefügten Hinweisen zur Teilbaugenehmigung ist unter anderem in Ziffer 12 zu entnehmen, dass der Schadensfall (Untergrundkontaminationen mit wassergefährdenden Stoffen) noch nicht abgeschlossen sei. Diesbezügliche weitere Auflagen würden im Rahmen des Vollzuges der Wassergesetze gefordert.
12
Zwischen 1991 und 1993 wurde nach Abbruch der bestehenden Betriebsgebäude die Wohn- und Geschäftsanlage … mit zweigeschossiger Tiefgarage auf den Grundstücken FlNrn. …, … und …, Gemarkung …, jeweils aufgeteilt in Wohnungseigentum und gewerbliches Eigentum mit den Eigentümergemeinschaften … 1, 2 und 3 errichtet. Das Wohnungs- und Geschäftseigentum wurde entsprechend aufgeteilt.
13
Anfang 1992 wurde auf der Baustelle … … Erdaushub im Umfang von ca. 7.600 m³ entnommen und auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, im Landkreis … abgeladen, bei dem es sich um eine öffentlich-rechtlich zugelassene Abfallentsorgungsanlage handelt. Da aufgrund einer Ortseinsicht eine Verunreinigung des abgelagerten Materials angenommen wurde, wurde am 13. Februar 1992 die Entnahme von Bodenproben und deren Analyse durch einen geeigneten Sachverständigen angeordnet. Dabei wurde festgestellt, dass der abgelagerte Boden bereichsweise mit hohen Mengen an Aromaten verunreinigt war. Daneben wurde bereichsweise eine Kontamination mit leichtflüchtigen Halogenkohlenwasserstoffen (insbesondere mit Tri bis zu 160 mg/kg) festgestellt.
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Als Ersatz für die während der Baumaßnahmen zerstörten Grundwassermessstellen wurden die Messstellen P1, P2 und P3 errichtet. Bei einer vom Wasserwirtschaftsamt … durchgeführten Grundwasserkontrolluntersuchung am 8. Dezember 1992 wurden in der Grundwassermessstelle P2 34.000 µg/l LHKW, davon 13.000 µg/l Tri und 21.000 µg/l Per, festgestellt. An der Messstelle P1 wurden 1.385 µg/l LHKW festgestellt.
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An den Messstellen P1 und P2 wurden, wie einem Bericht vom 26. August 1993 zu entnehmen ist, 5-tägige Pumpversuche durchgeführt. Es ergaben sich an P1 LHKW-Konzentrationen von bis zu 25.142 µg/l (nach fünf Tagen vorpumpen) und an P2 von bis zu 4.036 µg/l (nach fünf Tagen vorpumpen). Die Hauptkomponenten der LHKW-Belastung waren Tetrachlorethen (Per) und Trichlorethen (Tri). Dem Bericht ist zu entnehmen, dass der Verlauf der LHKW-Konzentrationen an den Pegeln P1 und P2 unterschiedlich gewesen sei: Zunächst hätten beide Pegel nach drei Tagen Pumpzeit gegenüber den Schöpfproben um ein Vielfaches höhere Werte aufgewiesen. Während bei P2 im Lauf der Pumpzeit eine Zunahme des LHKW-Gehalts festzustellen gewesen sei, sei die Konzentration in P2 bei längerem Pumpen abgefallen. Bei einem Ansteigen der Konzentration nach längerem Abpumpen sei davon auszugehen, dass LHKWbelastetes Wasser auch von weiter entfernt liegenden Eintragsorten herangeführt werde.
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Innerhalb der neuerrichteten Tiefgarage wurden zwei Flutpegel (P4 und P5) angebracht. Außerhalb der Tiefgarage wurden die Sanierungsmessstelle P6 sowie die beiden Zweizollpegel P7 und P8 als Beobachtungsmessstellen errichtet.
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Einem Aktenvermerk der Beklagten vom 9. Februar 1994 ist zu entnehmen, dass aufgrund des Berichtes zur Sanierung vom 25. Februar 1991 davon ausgegangen worden sei, dass der LHKW-Schaden saniert sei. Es seien Grundwasserbeobachtungspegel gefordert, während der Abbrucharbeiten zerstört und erst im Juni 1992 an anderer Stelle wieder errichtet worden. Der jetzige LHKW-Schaden könne daher der Fa. … GmbH nicht angelastet werden. Das Grundstück sei 1991 von den Betriebsgebäuden geräumt worden. Der damalige Grundstückseigentümer Beran könne öffentlich-rechtlich ebenfalls nicht herangezogen werden, sodass die Grundstückseigentümer zu verpflichten seien. Privatrechtlich habe die Fa. … GmbH Herrn … mit der Sanierung verpflichtet, doch habe der beauftragte Sachverständige Dr. … inzwischen keinen Auftrag mehr. Es sei beabsichtigt, die Eigentümergemeinschaft zur Sanierung zu verpflichten.
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Bei weiteren Detailuntersuchungen innerhalb der Tiefgarage ergaben sich bei den beiden Sondierungen S6 und S. 7 Bodenluftbelastungen von maximal 3.240 mg/m³ bei S6 und 581 mg/m³ bei S7. An diesen beiden Punkten wurden daraufhin die kombinierten Bodenluft-/Grund-wasserpegel BB1 und BB2 gebohrt.
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Die … GmbH finanzierte ab dem 1. Januar 1991 als neue Eigentümerin der FlNrn. …, … und …, jeweils Gemarkung …, die Aushub- und Erkundungsmaßnahmen. Am 6. Juli 1995 stellte die … GmbH einen Konkursantrag.
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Nach dem Konkurs der … GmbH entschied sich das Umweltamt der Stadt …, nicht die aktuellen Wohnungseigentümer hinsichtlich der weiteren Sanierung des Grundstücks in Anspruch zu nehmen, sondern vorrangig die Handlungsstörerin, die immer noch existierende Fa. … … GmbH, heranzuziehen. Mit Anhörungsschreiben vom 12. Juli 1995 forderte das Umweltamt der Stadt … von der früheren Grundstückseigentümerin, der … … GmbH, die Wiederaufnahme von Sanierungsmaßnahmen auf den Grundstücken FlNrn. …, … und …, je Gemarkung … Auf Basis eines Sanierungskonzeptes der Dr. … GmbH vom 22. Dezember 1995 wurde mit Datum vom 2./10. April 1996 zwischen der … … GmbH und der Beklagten ein öffentlich-rechtlicher Vertrag mit Kostendeckelung in Höhe von 240.000,00 DM geschlossen.
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In den Jahren 1996 bis 2000 wurde auf Basis des vorgelegten Sanierungskonzeptes die Bodenluft- und Grundwassersanierung betrieben. Es konnten rund 113 kg LHKW aus der Bodenluft und 475 kg LHKW aus dem Grundwasser entfernt werden. Die im Sanierungsvertrag festgelegten Sanierungszielwerte von < 10 µg/l LHKW für das Grundwasser und < 1 mg/m³ LHKW für die Bodenluft konnten bei Weitem nicht erreicht werden. Nach Erreichen der vereinbarten Sanierungskosten in Höhe von 240.000,00 DM wurde die Sanierung durch die Fa. … … GmbH eingestellt. Zum damaligen Zeitpunkt lagen weiterhin deutlich erhöhte LHKW-Grundwasser belastungen in Höhe von 4.205 µg/l bei BB1, 5.025 µg/l bei P1 und 3.510 µg/l bei P6 vor.
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Mit Anhörungsschreiben vom 20. Juli 2000 forderte die Beklagte gegenüber der … (… … GmbH) als Vertreterin der Wohnungseigentümergemeinschaft … von den Eigentümern des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung …, die Fortführung der Bodenluft- und Grundwassersanierung.
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Ab 2001 wurde die Sanierung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft … (WEG 1), vertreten durch die …, betrieben und finanziert. Der Sanierungsverlauf ist in den Zwischenberichten 8 bis 15 der Dr. … GmbH dokumentiert. Durch diese Sanierung konnten in den Jahren 2001 bis 2009 weitere 467 kg LHKW aus dem Grundwasser und 74 kg LHKW aus der Bodenluft entfernt werden.
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Die Bodenluftsanierung wurde im November 2007 eingestellt. Die Grundwassersanierungsanlage wurde auf Anweisung der … am 18. Juni 2009 abgeschaltet. Die Einstellung der Sanierung erfolgte ohne behördliche Zustimmung.
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In den folgenden Jahren fand kein durchgehender geregelter Sanierungsbetrieb mehr statt. Ursache waren unter anderem technische Probleme und erhöhter Wartungsaufwand sowie nicht zugängliche Grundwassermessstellen. Nach Angaben der … wurde die Grundwasserreinigungsanlage aber zwischendurch immer wieder in Betrieb genommen und auch beprobt. Auch wurde eine Firma mit dem Einbau einer neuen Pumpe für P6 durch die … beauftragt.
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Zwischen 2011 und 2014 fanden stichprobenartige Untersuchungen an den ehemaligen Sanierungspegeln statt. Im Juli 2014 wurden die Sanierungsmessstellen GB1, GB2, P1, P2 und P6 erneut beprobt. An der Messstelle P1 wurde eine Belastung von 1.920 µg/l festgestellt, an der Messstelle P2 eine Belastung von 903 µg/l, an P6 3.310 µg/l, an GB1 eine Belastung von 1.240 µg/l und an GB2 eine Belastung von 139 µg/l.
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Bereits mit Schreiben vom 8. Juli 2015 wurde durch den Bevollmächtigten der WEG 1 die Absicht zum Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages erklärt und mit Schreiben vom 26. Oktober 2015 ein Entwurf eines entsprechenden Vertrages durch die Kanzlei vorgelegt. Als zwingende Voraussetzung für den Abschluss eines Sanierungsvertrages wurde die Vereinbarung einer Kostenobergrenze mit anschließender Haftungsfreistellung für alle aktuellen und künftigen Eigentümer der WEG 1 gefordert. Dies lehnte das Umweltamt mit Schreiben vom 24. Februar 2016 unter Berufung auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 2000 ab. Als Grundlage für die Sanierungsverhandlungen sollte das durch die von der WEG 1 beauftragte … GmbH erstellte Sanierungskonzept dienen. Nach Rücksprache mit dem Wasserwirtschaftsamt … stimmte das Umweltamt diesem Sanierungskonzept weitgehend zu. Der Bevollmächtigte der WEG 1 teilte mit Schreiben vom 1. Dezember 2016 mit, dass sich die WEG 1 nicht an das Sanierungskonzept gebunden sehe und noch weitere ungeklärte Umstände zu ermitteln seien.
28
Mit Schreiben vom 9. Februar 2017 kündigte das Umweltamt den Erlass einer Sanierungsanordnung an. Dieses Schreiben diente zugleich als Anhörung gemäß Art. 28 BayVwVfG.
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Mit Schreiben vom 10. März 2017 legte der Bevollmächtigte der WEG 1 ein Gutachten der Fa. … vom 8. März 2017 vor. Eine weitere Übernahme von Sanierungsmaßnahmen durch die WEG 1 wurde mit diesem Schreiben abgelehnt.
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Mit Bescheid vom 19. September 2017 erließ die Beklagte eine Sanierungsanordnung, wonach die Eigentümergemeinschaft … (kurz WEG 1) zur Durchführung der folgenden Maßnahmen verpflichtet wurde:
„1. Die unterbrochene Grundwassersanierung ist über die Pegel GB1, GB2, P1, P2 und P6 wiederaufzunehmen und mit der höchstmöglichen Förderrate kontinuierlich und störungsfrei zu betreiben.
2. Die unterbrochene Bodenluftsanierung ist über den Kombipegel P2 wiederaufzunehmen und mit der höchstmöglichen Förderrate kontinuierlich und störungsfrei zu betreiben.
3. Die Verpflichtungen aus den Nummern 1 und 2 dieses Bescheides zur Weiterführung der Sanierungsmaßnahmen beinhalten die Inbetriebnahme und die Instandsetzung der Grundwasser- und Bodenluftreinigungsanlage nach dem aktuellen Stand der Technik sowie die Regenerierung des seit ca. 2007 verockerten Brunnens P1.
4. Für die dauerhafte Überwachung der LHKW-Sanierung ist ein nach § 18 BBodSchG zugelassenes Sachverständigenbüro zu beauftragen.
5. Die Sanierungsmaßnahmen unter Nummern 1 bis 4 dieses Bescheides sind innerhalb von sechs Wochen nach Unanfechtbarkeit dieses Bescheides umzusetzen.
6. Für die Überprüfung der LHKW-Belastungssituation und der Konzentrationsentwicklung sind von einer nach § 18 BBodSchG zugelassenen Untersuchungsstelle je Sanierungsbrunnen jährlich vier repräsentative Grundwasser- bzw. Bodenluftprobenahmen zu entnehmen.
7. Sechs Monate nach Wiederaufnahme der Sanierung ist auf Grundlage der gemessenen LHKW-Konzentrationen und der möglichen Förderleistungen eine fachgutachterliche Bewertung der abschätzbaren, jährlichen LHKW-Austragsfrachten je Sanierungsbrunnen mittels schriftlicher Stellungnahme abzugeben.
Sofern die Pegel P1, P2 und GB2 zu diesem Zeitpunkt die unter Ziffer 8 genannten Austragsfrachten unterschreiten, können die jeweiligen Pegel vorzeitig aus der aktiven Grundwasser- bzw. Bodenluftsanierung genommen werden.
8. Eine Beendigung der Sanierungsmaßnahmen ist bei Erreichen der nachfolgenden Sanierungszielwerte zulässig:
Die Grundwassersanierung ist als ausreichend zu betrachten, wenn die Gesamtkonzentrationen an LHKW im Grundwasser je Messstelle dauerhaft ≤ 80 µg/l (= zweifacher Stufe 2- Wert gemäß LfU-Merkblatt 3.8/1) liegt.
oder der LHKW-Austrag je Einzelmessstelle ≤ 2 kg/a beträgt.
Die Bodenluftsanierung an P2 ist als ausreichend zu betrachten, wenn die Gesamtkonzentrationen an LHKW in der ungefilterten Abluft auch bei intermittierendem Betrieb dauerhaft
≤ 10 mg/m³ (= zweifacher Hilfswert 1 gemäß LfU-Merkblatt 3.8/1) liegt oder der Austrag ≤ 2 kg/a bei P2 beträgt.
8.3 Als dauerhaft wird definiert, wenn die ermittelten Konzentrationen und Frachten bei mindestens drei aufeinanderfolgenden Probenahmen die jeweiligen Sanierungszielwerte unterschreiten.
9. Der Sanierungsverlauf ist durch einen nach § 18 BBodSchG zugelassenen Altlastensachverständigen in jährlichen Sanierungsberichten zu dokumentieren. Der erste Sanierungsbericht ist dem Umweltamt 14 Monate nach Inbetriebnahme der Sanierungsanlagen in 2-facher Ausfertigung vorzulegen.
In den Jahresberichten sind Angaben zu technisch bedingten Stillstands- und Wartungszeiten, zu Entnahmeraten und Absenkung für die einzelnen Sanierungsmessstellen aufzuführen. Neben den Untersuchungsbefunden sind auch Probenahmeprotokolle sowie tabellarische Übersichten und Diagramme zum zeitlichen Konzentrations- und Frachtverlauf an den Sanierungsmessstellen und für die Gesamtmaßnahme inklusive fachgutachterlicher Bewertung beizufügen.
Zur Beweissicherung ist im ersten Sanierungsbericht ein aktueller Betriebsgrundwassergleichenplan auf Grundlage einer Stichtagsmessung an den Messstellen P1, P2, P3, P4, P5, P6, P7, P8, P9, GB1, GB2 und GWM1 beizufügen.
Zur Beweissicherung der Abstromsituation sind die beiden Grundwassermessstellen P9 (…) und GWM1 (… …, errichtet durch das Wasserwirtschaftsamt …) durch jährliche LHKW-Untersuchungen in das Grundwassermonitoring zu integrieren.
10. Der beiliegende Lageplan ist Bestandteil dieses Bescheides (Anlage 1).
Für den Fall, dass die Verpflichtungen nicht fristgerecht erfüllt werden, werden folgende Zwangsgelder angeordnet:
Anordnung Nr. I. 1. i.V.m. Nr. I. 6 25.000,00 EUR
Anordnung Nr. I. 2. i.V.m. Nr. I.6 25.000,00 EUR
Anordnung Nr. I.9. 2.500,00 EUR
Die Kosten des Bescheides hat die Eigentümergemeinschaft … zu tragen.“
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Zur Begründung des Bescheides wird ausgeführt, dass aufgrund der weiterhin bestehenden Verunreinigungen aus bodenschutzrechtlicher und wasserwirtschaftlicher Sicht Handlungsbedarf bestehe.
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Hinsichtlich der Schadenszuordnung seien auf dem gesamten ehemaligen Betriebsgelände alle relevanten Umgangsbereiche untersucht worden, in denen die Fa. … … GmbH mit wassergefährdenden Stoffen umgegangen sei. Die Ende der 1980er Jahre über die Bodenluftmessungen festgestellten LHKW-Eintragsstellen und die heute noch vorhandenen LHKW-Schadenszentren lägen auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung … Anhand der zahlreichen Boden-, Bodenluft- und Grundwasseruntersuchungen seien die LHKW-Schadensherde eindeutig bestätigt worden. Alle Schadenszentren seien auf die früheren LHKW-Einsatzbereiche der Fa. … … GmbH zurückzuführen. Ein Heranführen von LHKW-Belastungen in der Größenordnung der vorhandenen Grundwasserverunreinigung mittels Grundwasserzustrom sei auszuschließen. Im Rahmen der Erkundungsarbeiten seien mehrere Bodenluftmessungen außerhalb der potentiellen Verdachtsbereiche im Oberstrom durchgeführt worden (BG 1-3). Hierbei seien mit maximal 58 mg/m³ LHKW nur vergleichsweise niedrige Belastungen in der ungesättigten Bodenzone nachgewiesen worden. Die errichteten Zustrommessstellen B3 und P3 hätten über den gesamten Untersuchungszeitraum ebenfalls keine relevanten LHKW-Grundwasserkonzentrationen gezeigt.
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Im Bereich zwischen Bahnlinie und … habe es von ca. 1904 bis 1990 verschiedene metallverarbeitende Industriebetriebe gegeben. Im Rahmen der Nutzungsänderung von Industriebetrieben zu Wohnbebauung zwischen 1988 und 1992 seien bei verschiedenen LHKW-Bodenluft- und Grundwasseruntersuchungen keine relevanten LHKW-Konzentrationen festgestellt worden.
34
Auf dem Grundstück … …, FlNr. …, Gemarkung …, habe sich früher eine Kfz-Werkstatt mit Lackiererei befunden. Gemäß der Bestandsaufnahme des Umweltamtes habe kein Umgang mit LHKW stattgefunden. Erfahrungsgemäß sei bei einem derartigen Kfz-Betrieb mit Lackiererei keine relevante LHKW-Verunreinigung zu erwarten.
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Das Grundstück … … (FlNrn. …, …, Gemarkung …) gehöre zum früheren Betriebsgelände der Fa. … … GmbH. Die Fläche sei für Wohn- und Lagerzwecke genutzt worden. In Teilbereichen habe sich eine kleinere Lackiererei befunden. Auf Grundlage der bisher vorliegende Erkenntnisse und Auswertungen sei nicht davon auszugehen, dass über den Grundwasserpfad ein relevanter LHKW-Zustrom auf das Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, stattfinde.
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Der Grundwassersanierungspegel P6 liege ebenfalls auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, und sei gleichzeitig die Messstelle mit den zuletzt höchsten LHKW-Konzentrationen. P6 sei nach Abschluss der Baumaßnahme „…“ als unmittelbarer Abstrompegel zur ehemaligen Montagehalle errichtet worden. Aufgrund der zwischenzeitlich vorhandenen Überbauung sei P6 aus bautechnischen Gründen außerhalb der Tiefgarage gebohrt worden. Mit einer Entfernung von weniger als 10 m zum Hauptschadenszentrum (in Grundwasserfließrichtung) liege die Messstelle eindeutig im Einflussbereich der früheren LHKW-Eintragsstellen in der nördlichen Montagehalle mit Tauchbecken. Es sei darauf hinzuweisen, dass die während der Bauphase erfolgte Bauwasserhaltung, der aktuell vorhandene Baukörper im Grundwasser (Tiefgarage) und die im nordwestlichen Randbereich des … verlaufende quartäre Rinne zu einer Beeinflussung der natürlichen Grundwasserfließverhältnisse geführt hätten. Eine Zuordnung des Schadensherdes auf das Flurstück …, Gemarkung …, sei ohne Berücksichtigung der genannten komplexen hydrogeologischen Verhältnisse nicht möglich. Ein im Jahr 1997 durchgeführter, vierwöchiger Bodenluftabsaugversuch an P6 habe in der ungesättigten Bodenzone insgesamt nur geringfügige und abnehmende LHKW-Konzentrationen von 36 mg/m³ auf 5,5 mg/m³ erbracht. Die Ergebnisse dieses Absaugversuchs ließen den Schluss zu, dass im unmittelbaren Umfeld von P6 kein relevanter LHKW-Eintrag in den Untergrund stattgefunden habe. Die hohen LHKW-Grundwassergehalte bei P6 ließen sich eher dadurch erklären, dass sich die LHKW-Verunreinigung aus dem Bereich der Montagehalle mit dem Grundwasserstrom in Richtung P6 ausgebreitet habe.
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Zur weiteren Klärung des Sachverhalts diene auch die aktuell stattfindende Amtsermittlung durch das Wasserwirtschaftsamt … auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung … Verursacherin der schädlichen Bodenverunreinigung sei auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse unstrittig die Fa. … … GmbH. Die Fa. … … GmbH sei mittlerweile liquidiert und zum 22. März 2006 gelöscht. Damit entfalle die Verursacherin als Sanierungsverantwortliche. Ein Rechtsnachfolger sei nicht vorhanden. Frau … … sei laut Handelsregisterauszug vom 22. April 1994 zuletzt alleinige Geschäftsführerin der … … GmbH gewesen. Sie habe ausschließlich als Organ der GmbH gehandelt und scheide daher als natürliche Person aus der Haftung aus. Eine Einbeziehung früherer Grundstückseigentümer (in Frage kämen Herr … … und Frau … … im Rahmen einer GdbR sowie die … GmbH) sei nicht denkbar, da eine Inanspruchnahme der früheren Eigentümer nur dann möglich sei, wenn das Eigentum nach dem 1. März 1999 übertragen worden sei. Herr … … und Frau … … hätten mit Wirkung zum 1. Januar 1991 das ehemalige …-Areal an die … GmbH veräußert. Die … GmbH habe ab 1993 die mittlerweile gebildeten Wohn- und Eigentumsanteile veräußert. Die … GmbH sei mittlerweile ebenso wie auch die GdbR nicht mehr existent. Sie habe Konkurs angemeldet.
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Der als sanierungsrelevant einzustufende Schadensherd, von dem ausgehend auch das Grundwasser kontaminiert werde, liege auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung … Aus diesem Grund sei die Miteinbeziehung der Wohnungseigentümergemeinschaften 2 und 3, die sich auf den Grundstücken mit den FlNrn. … und …, jeweils Gemarkung …, befänden, nicht gerechtfertigt. Die Gefahr gehe lediglich von dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, aus.
39
Die WEG 1 habe die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit, auf das Grundstück und damit auf die von ihm ausgehende Gefahrenquelle einzuwirken. Sie habe daher am ehesten die Möglichkeit, umgehend die Sanierung aufzunehmen. Außerdem ziehe die WEG 1 den Nutzen aus der Sanierung und der damit verbundenen Wertsteigerung des Grundstückes. Auch eine Nachsanierung sei grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Das bedeute auch, dass der Handlungsstörer wie im vorliegenden Fall bis zur Erschöpfung seiner finanziellen Leistungsfähigkeit in Anspruch genommen werde und sodann der jetzige Eigentümer. Durch das Bundesbodenschutzgesetz werde grundsätzlich keine Rangfolge vorgegeben. Es gelte aber, dass ein schutzwürdiges Interesse der Allgemeinheit einer möglichst umfassenden Kostendeckung durch Inanspruchnahme ordnungsrechtlich verantwortlicher Personen bestehe. Ein Zustandsverantwortlicher stehe der Schadensbeseitigung und Kostentragung daher regelmäßig näher als die Allgemeinheit.
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Das Grundwasser sei trotz jahrelanger Sanierung noch immer sanierungsrelevant mit LHKW kontaminiert. Die LHKW-Sanierungschwellenwerte für Grundwasser von 40 µg/l seien an den Pegeln GB1, GP2, P1, P2 und P6 überschritten. Zur Unterstützung der Grundwassersanierung sei auch eine Bodenluftsanierung über den noch auffälligen Absaugpegel P2 angezeigt. Ob das Grundwasser im Umfeld des Schadensherdes zur Trinkwassergewinnung genutzt werde oder nicht, sei unerheblich. Die Wertigkeit des Schutzgutes „Grundwasser“ werde im Allgemeinen als derartig hoch angesehen, dass es auf dessen Nutzung nicht ankomme. Neben dem eigentlichen Sanierungsbedürfnis des vorhandenen LHKW-Schadens bestehe ein zusätzliches Erfordernis, die Verschleppung der Schadstoffe zu vermeiden. Eine weitere Ausbreitung der LHKW im Grundwasser sei anzunehmen, wenn die Sanierung nicht unverzüglich wieder aufgenommen werde. Beispielsweise seien bei einer durch das Wasserwirtschaftsamt … im Rahmen der Amtsermittlung in ca. 150 m errichteten Abstromstelle auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, während eines Pumpversuchs ansteigende LHKW-Konzentrationen (368 µg/l bis 515 µg/l) gemessen worden, die im Zusammenhang mit dem … zu sehen seien. Aufgrund der immer wieder gerügten unzureichenden Sanierungsbegleitung und mangelhaften Dokumentation der seit ca. 2010 durch die WEG 1 nur intervallweise erfolgten Sanierung sei die Anordnung einer gutachterlichen Begleitung der Maßnahmen erfolgt.
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Angesichts der hohen Wertigkeit des Schutzgutes „Grundwasser“ ergebe sich kein milderes, zur Zielerreichung ähnlich geeignetes Mittel, das die Sanierungspflichtige weniger belasten würde. Auf eine komplette Umstellung der Sanierungsmethode zur weiteren Optimierung des Sanierungsverlaufs werde aus Gründen der Verhältnismäßigkeit verzichtet. Mit dem Erhalt der vorhandenen Sanierungsanlage und lediglich dem Austausch einzelner Anlagenteile sei das mildeste Mittel für den Weiterbetrieb einer effektiven Sanierung gewählt worden. Die Instandsetzung und laufende Wartung der Anlagen und Messstellen sei unerlässlich. Eine eventuell verkürzte Sanierungslaufzeit sei nur bei entsprechend vorher optimierter Durchführung der Sanierung möglich. Die Grundwassermessstellen GB2, P1 und P2 seien möglicherweise nicht permanent in die laufende Grundwassersanierung einzubeziehen, sondern zunächst für sechs Monate zu betreiben. Erst dann erfolge die Prüfung und Entscheidung, inwieweit ihr Betrieb im Hinblick auf den Sanierungserfolg erforderlich sei. Auch hier seien die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Auswahl des mildesten Mittels beachtet worden. Mit der Festlegung der von den gesetzlichen Werten abweichenden Sanierungszielwerte sei weiterhin der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen. Es habe eine Abwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit am Schutzgut „Grundwasser“ mit den - vor allem finanziellen - Interessen der Verpflichteten unter Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls stattgefunden.
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Die Haftung des Grundstückseigentümers als Zustandsstörer sei allerdings nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Nach eigenen Angaben habe die WEG 1 in den Jahren 2002 bis 2013 Kosten in Höhe von 157.974,64 EUR für die Sanierung übernommen. Die Kosten für die nun angeordneten Sanierungsmaßnahmen werden wie folgt beziffert:
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Instandsetzung Stripanlage, einmalig: 52.657,50 EUR brutto Sonstige Investitionskosten, einmalig: 15.470,00 EUR brutto Sanierungskosten Grundwasser und Bodenluft, jährlich: (inklusive Wartung, Ingenieurleistungen, Analytik, Dokumentation) 56.168,00 EUR brutto Gesamt 124.295,50 EUR brutto Damit beliefen sich die bislang übernommenen Sanierungskosten sowie die Kosten, welche durch die nun angeordneten Maßnahmen anfielen, bei Weitem nicht auf die Höhe des Verkehrswertes und erreichten diesen auch in naher Zukunft noch nicht. Orientierend am aktuellen Bodenrichtwert der Stadt … sei die Schwelle zur Verhältnismäßigkeit erst bei Erreichen von Sanierungskosten in Höhe von ca. 6,5 Mio. EUR überschritten. Diese Angaben seien ermittelt aus dem Bodenrichtwert für … aus dem Jahr 2016, welcher für das betroffene Grundstück bei einer Grundstücksgröße von 7.630 m² 840,00 EUR/m² vorsehe. Auf die Kenntnis der einzelnen Wohnungseigentümer bei Erwerb komme es daher zum derzeitigen Zeitpunkt nicht an.
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Das Bundesverfassungsgericht sehe Abschläge vom Verkehrswert als geboten an, wenn die Belastungsgrenze überschritten sei und der Eigentümer sein privat genutztes Eigentum unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Lage nicht mehr halten könne. Derartige Anhaltspunkte seien nicht bekannt und seien von Seiten der WEG 1 bislang auch nicht vorgetragen. Vielmehr sei bekannt, dass eine Vielzahl der Wohnungen nicht selbstgenutzt werde, sondern als Mietobjekt und damit als Kapitalanlage genutzt werde. Es sei davon auszugehen, dass die WEG 1 bzw. die dahinter stehenden Eigentümer durch die Kosten, welche im Zusammenhang mit der angeordneten Sanierungsmaßnahme entstünden, nicht in ihrer Existenz bedroht seien.
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Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2017, eingegangen bei Gericht am 19. Oktober 2017, ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben.
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Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2018 wurde zur Begründung ausgeführt, dass keine persönliche Heranziehung von Frau … erfolgt sei, obwohl die Bodenverunreinigungen offenbar unter ihrer Firmenleitung verursacht wurden. Gleiches gelte für Herrn … …, den als Eigentümer des verunreinigten Grundstücks und ggf. auch als Gesellschafter der Muttergesellschaft der Verursacherin eine Verantwortlichkeit treffe. Herr … … sei zur Zeit der ersten Sanierungsphase Inhaber des Unternehmens … gewesen, deren Tochter die Fa. … … GmbH gewesen sei.
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Während der Bauphase im Zeitraum 1991 bis 1995 sei einem der Wohnungserwerber von der Stadt … mitgeteilt worden, die Sanierung sei abgeschlossen und ein unbedenkliches Objekt könne gekauft werden. Der Erwerber habe sich auf diese Aussage der Stadt verlassen und die Wohnung erworben.
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Einer Inanspruchnahme der Klägerin stehe bereits der zwischen der Beklagten und der Fa. … GmbH abgeschlossene öffentlich-rechtliche Vergleichsvertrag aus dem Jahre 1996 entgegen. Der Abschluss des Vertrages bzw. die Freistellung der Fa. … und die Nichtinanspruchnahme von Herrn … könnten so ausgelegt werden, dass der 1996 abgeschlossene öffentlich-rechtliche Vergleichsvertrag alle potentiell möglichen Störer von einer weiteren Sanierungspflicht endgültig und umfassend freistellen solle.
49
Die im Bescheid enthaltenen Anordnungen seien völlig unbestimmt und überdies zum Teil in sich widersprüchlich. Die Klägerin sei eine Wohnungseigentümergemeinschaft und kein Fachbetrieb für Altlastensanierungen. Es sei bereits nicht klar, welche Maßnahmen die Beklagte genau von der Klägerin fordere. Die Beklagte ordne an, dass die Grundwassersanierung und Bodenluftsanierung mit der „höchstmöglichen Förderrate“ kontinuierlich und störungsfrei zu betreiben seien. Es sei für die Klägerin jedoch in keinster Weise ersichtlich, wie hoch die höchstmöglichen Förderraten konkret seien sollen. Entsprechende Werte würden nicht definiert. Eine maximale Förderrate sei daher nicht bestimmt und für die Klägerin auch nicht verlässlich bestimmbar. Weiterhin solle die Grundwasser- und Bodenluftreinigungsanlage nach dem aktuellen Stand der Technik in Betrieb genommen werden, instandgesetzt werden und es solle ein ver-ockerter Brunnen regeneriert werden. Der Klägerin sei nicht klar, in welcher Form und in welchem Umfang die Anlage zu ertüchtigen sei. Soweit es heiße, dass die jeweiligen Messstellen „regelmäßig zu überprüfen und bei Bedarf zu regenerieren“ seien, sei völlig unklar, was unter einer regelmäßigen Überprüfung zu verstehen sei. Ferner heiße es, dass die Boden- und Grundwassersanierung „nicht ohne zwingenden Grund“ unterbrochen werden dürfe. Hierbei sei unklar, was unter einem zwingenden Grund zu verstehen sei. Soweit es heiße, dass die mit LHKW beladene Abluft durch einen nachgeschalteten Luftaktivkohlefilter abzureinigen sei, sei unklar, welche Filterleistungen der Aktivkohlefilter bringen müsse oder welche Schadstoffwerte bei der Abluft maximal erreicht werden dürften.
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Die Anordnungen seien auch widersprüchlich. So werde verlangt, dass ein Abstrom des belasteten Grundwassers vom Gelände nachweislich zu verhindern sei. Der Bereich der Messstellen GB1, P1 und P2 sei durch Absenkung nachweislich mit zu erfassen. Hierzu sei schon nicht klar, wie dies zu verhindern sein sollte und vor allem wie etwas „nachweislich“ zu verhindern sei. Jedenfalls sei unklar, wie die Klägerin dies nachweisen solle. Jedenfalls werde etwas Widersprüchliches verlangt. So verlange die Beklagte einerseits in Ziffer 1 Sanierungsmaßnahmen auch an außerhalb des Grundstücks der Klägerin gelegenen Pegeln, gleichzeitig werde verlangt, dass es nicht zu einem Abstrom kommen dürfe. Die genannten Unbestimmtheiten und Widersprüchlichkeiten würden auch nicht durch weitere Angaben im Bescheid beseitigt.
51
Das Schadenszentrum liege bei sachgerechter Betrachtung nicht auf dem Anwesen der Klägerin, sondern westlich. Dies werde dadurch bestätigt, dass - wie die … … in ihrer Stellungnahme vom 8. März 2017 dargelegt hätten - die höchsten Schadstoffgehalte im GW-Brunnen P6 nachgewiesen worden seien.
52
Die Beklagte habe weiterhin die räumlichen Grenzen der Zustandsstörerhaftung verkannt. Sie treffe Anordnungen auch für solche Pegel und Messstellen, die außerhalb des Grundstücks der Klägerin lägen. Es werde auf die Entscheidung des VG Regensburg, Urteil vom 5. Oktober 2009, Az.: RO 8 K 08.1452 zur räumlichen Grenze der Zustandsverantwortlichkeit verwiesen.
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Die Klägerin sei nicht Störerin und damit nicht heranziehbar.
54
Die verlangten Maßnahmen seien der Klägerin darüber hinaus im Übrigen auch unmöglich, da sie keinen Zugriff auf die Flächen habe.
55
Die Heranziehung der Klägerin als Störerin sei auch im Übrigen ermessensfehlerhaft. Eine Heranziehung der Klägerin würde gegen das Willkürverbot verstoßen. Sollte der Vergleichsvertrag nicht nur keine drittschützende Wirkung zugunsten der Klägerin haben, sondern das Gericht diesen darüber hinaus als unwirksam erachten, läge im Übrigen ebenfalls ein Ermessensfehler vor, denn in diesem Fall käme dann eine Heranziehung der Geschäftsführer der bereits gelöschten Fa. … GmbH in Betracht, welche die Beklagte bislang nicht erwogen habe. Bei Liquidierung der Gesellschaft seien die Geschäftsführer und leitenden Angestellten als eigenständige Handlungsstörer heranziehbar. Nach ständiger Rechtsprechung könnten auch Leitungspersonen juristische Personen persönlich als Verursacher umweltschädlicher Bodenveränderungen ordnungspflichtig sein, soweit sie in ihrer Person die Voraussetzungen der Verhaltensverantwortlichkeit erfüllten, indem sie etwa die zur Bodenveränderung führenden Zustände zentral und umfassend gesteuert haben. Der Beklagten habe sich eine Verhaltensverantwortlichkeit der damaligen Geschäftsführer für den Einsatz mehrerer Tonnen LHKWhaltiger Mittel auf dem Firmengelände aufdrängen müssen. Dennoch habe die Beklagte die Geschäftsführer zu keinem Zeitpunkt in ihre Ermessensbetätigung eingestellt, sondern sei stets nur von der Verantwortung der Fa. … bzw. alternativ der Grundstücksinhaber ausgegangen. Gleiches gelte für die Muttergesellschaft … und deren Inhaber … … Dieses Vorgehen sei ersichtlich ermessensfehlerhaft.
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Das Schadenszentrum liege auf dem westlich vom Grundstück der Klägerin gelegenen Bereich. Demnach seien die Eigentümer des westlich gelegenen Grundstücks wegen ihrer Zustandsverantwortlichkeit für diesen Bereich schon deshalb vorrangig heranzuziehen.
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Die angeordneten Sanierungsmaßnahmen seien auch nicht verhältnismäßig, da sie insbesondere nicht zumutbar seien. Es sei mehr als zweifelhaft, ob die im Bescheid angeordneten Dekontaminationsmaßnahmen überhaupt möglich i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 3 BBodSchG seien. Nach den vorliegenden Fachgutachten der … … könne es zwar sowohl durch die Grundwassersanierung als auch durch die Bodenluftreinigung ggf. zu einer Reduktion der LHKW-Konzentration in den betroffenen Bereichen kommen. Allerdings zeige bereits ein Abgleich der über die Jahre angesammelten Werte, dass das Maß, in dem die Kontamination abnehme, mit der weiteren Dauer der Maßnahmen immer weiter abflache. Die Sanierungszielwerte oder Mindestaustragsmengen seien technisch nicht erreichbar. Im Ergebnis sei das Erreichen beider im Bescheid festgelegten Sanierungsziele auf absehbare Zeit unmöglich und es käme bei der Durchführung des Bescheids zu einer sogenannten „Endlossanierung“, die ersichtlich in zeitlicher Hinsicht gegen das Übermaßverbot verstieße. Die Maßnahmen seien auch nicht erforderlich. Jedenfalls seien die Maßnahmen der Klägerin als Zustandsstörerin nicht mehr zumutbar. Eine Belastung bis zur Grenze des Grundstückswertes sei unzulässig, wenn das zu sanierende Grundstück den wesentlichen Teil des Vermögens des Verpflichteten darstelle und zugleich den Mittelpunkt seiner und der Lebensführung seiner Familie bilde. Eine wesentliche Anzahl der im Objekt vorhandenen Wohnungen würden von den Eigentümern zu eigenen Wohnzwecken genutzt. Nach den bisherigen Kostenaufstellungen entstünden für die Sanierung jedes Jahr Aufwendungen in sechsstelliger Höhe. Dem gegenüber stünden nur erwartete Sanierungserfolge im Bereich eines LHKW-Austrags in Höhe einiger Kilogramm.
58
Die Klägerin beantragt,
den seitens der Beklagten erteilten Anordnungsbescheid vom 19. September 2017, Az.: …, zur „Untergrundverunreinigung mit LHKW auf dem Gelände der ehemaligen Fa. … … GmbH, … …, …, …, … und …, … … und … sowie … …, … (Grundstück FlNr. …, Gemarkung …)“ aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wird ergänzend ausgeführt, dass der öffentlich-rechtliche Vertrag, der bereits vor Inkrafttreten des Bundesbodenschutzgesetzes geschlossen worden sei, nicht die jetzige bodenschutzrechtliche Inanspruchnahme ausschließe. Die betragsmäßig beschränkte (Rest-) Inanspruchnahme der mittlerweile nicht mehr existenten Handlungsstörerin, der Fa. … … GmbH, sei seinerzeit, soweit erkennbar, aus dem Grund einer mangelnden Solvenz der GmbH auf einen noch zu leistenden Höchstbetrag beschränkt worden, weil man davon ausging, dass eine weitergehende Leistungsfähigkeit des Handlungsstörers dann nicht mehr gegeben sei.
61
Soweit der Klägerbevollmächtigte darauf hinweise, dass die Klägerin eine WEG und kein Fachbetrieb für Altlastensanierung sei, sei gerade bei grundsätzlich von technischen Rahmenbedingungen geprägten Altlastensanierungsfällen die Einbeziehung von sachverständigen Dritten bei der Umsetzung der Anordnungen vorgesehen. Die Anordnungen seien auch aufgrund der hier konkret gegebenen und der Klägerin bekannten Umstände nicht inhaltlich unbestimmt. Die Maßnahmen und Mittel an den der Klägerin bekannten und konkret beschriebenen Punkten bzw. Pegeln seien vorgegeben. Im Kontext mit der angeordneten Nutzung der auf dem Stand der Technik zu ertüchtigenden, vorhandenen und der Klägerin aus den Vorjahren der Sanierung bekannten Grundwasser- und Bodenluftreinigungsanlage seien sowohl die anzuwendenden Sanierungsmittel als auch die Sanierungsziele klar und bestimmt vorgegeben. Die höchstmögliche Förderrate sei dabei eine durch den Sachverständigen klar im Betrieb der Sanierungsanlage interpretierbare Vorgabe, die sich auf die konkret zu ertüchtigende Anlage beziehe. Gleiches gelte für die Regenerierung des verockerten Brunnens.
62
Zwischenzeitlich sei im Rahmen der Amtsermittlung unter anderem der Pegel P6 untersucht worden, wobei sich erwartungsgemäß nur eine relativ geringe LHKW-Verunreinigung in der Bodenluft ergeben habe. Somit habe sich bestätigt, dass der sanierungsrelevante Grundwasserschaden bei P6 auf diesem Grundstück durch den Zustrom aus dem Bereich der Montagehalle der ehemaligen Fa. … … auf dem Grundstück der Klägerin hervorgerufen werde. Es sei auf die historische Recherche bezüglich der Grundstücke hinzuweisen, die die nun vorgefundenen Untersuchungsergebnisse stützte. Eine Beschränkung der Sanierungspflicht der Zustandsverantwortlichen auf den räumlichen Bereich ihres Grundstückes trage der Tatsache, dass das Grundwasser typischerweise fließe und die Verbreitung von Schadstoffen an Grundstücksgrenzen nicht Halt mache, nicht Rechnung (VG Ansbach, Urteil vom 20.4.2016, Az.: AN 9 K 15.02552).
63
Mit der Klägerin sei ursprünglich vereinbart worden, dass diese ein Sanierungskonzept beauftrage und auf Grundlage dessen der Abschluss eines Sanierungsvertrags angestrebt werden solle. Das vorgelegte Gutachten beschränke sich aber im Wesentlichen darauf, die bisherigen Untersuchungsergebnisse und daraufhin gezogenen Schlüsse und Entscheidungen in Frage zu stellen. Eigene Untersuchungen, deren Ergebnisse und Bewertungen seien darin nicht enthalten.
64
Eine vorrangige Inanspruchnahme der Geschäftsführerin der Fa. … GmbH, Frau …, sei nicht anzunehmen, da sie keinen zentralen oder steuernden Einfluss auf die kontaminierende Tätigkeit der Fa. … … GmbH gehabt habe. Die juristische Person einer GmbH handle durch ihre gesetzlichen Vertreter als Organe. Deren Handlungen würden dem Unternehmen als eigene Handlungen zugerechnet und begründeten die sogenannte Organhaftung. Neben der Haftung der juristischen Person gebe es aber auch Fälle persönlicher Haftung des Geschäftsführers im Außenverhältnis. So könnten Leitungspersonen juristischer Personen persönlich als Verursacher schädlicher Bodenveränderungen ordnungspflichtig sein. Anknüpfungspunkt für einen Zugriff auf den Betreffenden sei, dass er (auch) in seiner Person die Voraussetzungen der Verhaltensverantwortlichkeit erfülle, etwa indem er persönlich die zur schädlichen Bodenveränderung führenden Umstände gesteuert habe. Seien diese Voraussetzungen gegeben, stehe der persönlichen Inanspruchnahme des Betreffenden nicht entgegen, dass sein Handeln unter Umständen auch der juristischen Person zugerechnet werden könne, mit der Folge, dass die juristische Person ordnungsrechtlich für sein Handeln einzustehen habe. Eine derartige Zurechnung sei nicht ausschließlich in dem Sinne, dass sie den Handelnden von seiner eigenen Verantwortlichkeit befreie. Kohlenwasserstoffhaltige Stoffe seien aber nur bis ca. 1986 durch die Fa. … … GmbH verwendet worden. Die die Kontaminationen herbeiführende Produktionstätigkeit wurde dagegen bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgenommen und dauerte mehrere Jahrzehnte an, bevor Frau … Geschäftsführerin der GmbH wurde. Es liege daher kein Fehler hinsichtlich der Ermessensausübung bei der Störerauswahl vor. Die Auswahl und Inanspruchnahme der Klägerin als Zustandsstörerin entspreche daher pflichtgemäßer Ermessensausübung.
65
Die angeordneten Maßnahmen seien nach Einschätzung der Beklagten technisch und auch rechtlich (Drittzustimmungen lägen vor) möglich, geeignet, erforderlich und auch angemessen. Es sei mit jährlichen Kosten für die Klägerin von ca. 47.500,00 EUR zu rechnen. Bisher habe die Klägerin über knapp zehn Jahre rund 160.000,00 EUR aufgewendet bei nicht durchgehend effektivem Sanierungsverlauf. Ein Erreichen der Zumutbarkeitsgrenze sei aktuell nicht absehbar, so wie dies in der Begründung des Bescheids bereits hinreichend dargestellt worden sei. Von einer behaupteten Endlossanierung und einer jetzt schon anzunehmenden Unzumutbarkeit könne daher zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids nicht die Rede sein.
66
Mit Schriftsatz vom 31. Januar 2020 legte der Klägerbevollmächtigte ein aktuelles Gutachten zur Belastungssituation und möglichen Schadensherkunft vor. Es wird ferner ausgeführt, dass es sich um zwei gesonderte Schadensfälle handele, einen auf dem klägerischen Anwesen und einen auf den westlich angrenzenden Anwesen. Der Schaden auf dem klägerischen Grundstück sei quasistationär und die Fläche nahezu vollständig versiegelt. Eine Sanierung sei daher nicht erforderlich.
67
Es sei auch nicht dargelegt, dass die … … GmbH bei Abschluss des Sanierungsvertrags tatsächlich kurz vor der Insolvenz gestanden sei. Hinsichtlich der Haftung von Frau … … sei anzumerken, dass LHKWhaltige Stoffe schwerpunktmäßig ab Mitte der 60er bis Mitte der 80er Jahre verwendet worden seien. Mit Herrn … … bzw. dessen Rechtsnachfolger sei ein weiterer Verhaltensstörer vorhanden, der grundsätzlich vorrangig vor der Klägerin in Anspruch zu nehmen sei.
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Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegten Behördenakten. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Streitgegenstand der vorliegenden Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 19. September 2017, mit dem die Klägerin zur Wiederaufnahme der Grundwasser- und Bodenluftsanierung an den Pegeln GB1, GB2, P1, P2 und P6 auf den Grundstücken FlNr. … und FlNr. …, jeweils Gemarkung …, verpflichtet wurde.
70
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtene Sanierungsanordnung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
71
Das Bodenschutzgesetz ist auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar.
72
Der Anwendungsbereich des BBodSchG erstreckt sich auch auf schädliche Bodenveränderungen und Altlasten, die bereits vor Inkrafttreten des BBodSchG verursacht wurden. Dies ergibt sich aus § 1 BBodSchG, der die Zielsetzung enthält, auch in der Vergangenheit beeinträchtigte Bodenfunktionen wiederherzustellen. Auch § 4 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BBodSchG, der an die Gesamtrechtsnachfolge anknüpft, lässt erkennen, dass die Haftung auf Handlungen eines Rechtsvorgängers in der Vergangenheit erstreckt wird (vgl. hierzu grundlegend BVerwG U.v. 16.3.2006 - 7 C 3/05 - juris).
73
Auch wenn vorliegend teilweise eine Sanierung des Grundwassers verlangt wird, so richten sich die behördlichen Befugnisse dennoch nach dem Bodenschutzrecht und nicht nach dem Wasserrecht. Im Fall einer - wie hier - durch schädliche Bodenveränderungen verursachten Gewässerveränderung ist das BBodSchG gegenüber dem Wasserrecht vorrangig (vgl. Wortlauf des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG und Gößl in Sieder/Zeitler WHG, 48. Ergänzungslieferung 2014, § 100 WHG Rn. 52). Das Bodenschutzrecht bestimmt das „Ob“ der Inanspruchnahme, das Wasserrecht das „Wie“, vgl. § 4 Abs. 3 Satz 4 BBodSchG.
74
Unabhängig davon, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der seitens der Beklagten herangezogenen Rechtsgrundlage § 10 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 BBodSchG vorliegen, erweist sich die Inanspruchnahme der Klägerin im angefochtenen Bescheid jedenfalls als unverhältnismäßig.
75
Die Klägerin wird als Zustandsstörerin in Anspruch genommen. Nach der grundlegenden Entscheidung des BVerfG (BVerfG B.v. 16.2.2000 - 1 BvR 242/91 - juris) stellen die sicherheitsrechtlichen Vorschriften über die Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers eine zulässige Regelung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Der Eigentümer hat in der Regel die Möglichkeit, rechtlich und tatsächlich auf die Sache und damit auch auf die jeweilige Gefahrenquelle einzuwirken. Zudem kann der Eigentümer aus der Sache Nutzen ziehen, weshalb er auf der anderen Seite auch die mit der Nutzungsmöglichkeit verbundenen Risiken zu tragen hat. Regelmäßig steigert eine Sanierung auch den Verkehrswert des Grundstückes und liegt auch aus diesem Grund im Interesse des Eigentümers. Vor diesem Hintergrund kann der Eigentümer grundsätzlich allein wegen dieser Rechtsstellung verpflichtet werden, von seinem Grundstück ausgehende Gefahren zu beseitigen, selbst wenn er die Gefahr weder verursacht noch verschuldet hat. Die Sanierungspflicht des Eigentümers ist aber unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu begrenzen, wobei die Belastung des zustandsveranwortlichen Eigentümers mit den betroffenen Gemeinwohlbelangen abzuwägen ist (BVerfG a.a.O., juris Rn. 47 ff.)
76
Als Belastungsgrenze für den Eigentümer wird regelmäßig das Verhältnis des finanziellen Aufwands zum Verkehrswert nach Durchführung der Sanierung herangezogen. Überschreiten die Kosten den Verkehrswert des Grundstückes, so entfällt im Regelfall das Interesse des Eigentümers an einem künftigen privatnützigen Gebrauch (BVerfG a.a.O., juris Rn. 56). Eine Kostenbelastung über den Verkehrswert hinaus kann jedoch als zumutbar anzusehen sein, wenn der Eigentümer das Risiko der entstandenen Gefahr bewusst in Kauf genommen hat, wobei im Rahmen der Beurteilung der Zumutbarkeit der Grad an Fahrlässigkeit von Bedeutung sein kann (BVerfG a.a.O., juris Rn. 59 f.).
77
Es obliegt der Verwaltung, unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien und Beachtung der Vorgaben und Garantien des Art. 14 GG im jeweiligen Bescheid über die Begrenzung der Kostenbelastung des Zustandsverantwortlichen zu entscheiden. Der jeweils in Anspruch genommen Eigentümer muss dem Bescheid eindeutig entnehmen können, ob er unbegrenzt haftet bzw. welche Kostenbelastung er höchstens zu erwarten hat. Nur auf der Grundlage dieser Informationen kann er entscheiden, ob er die Sanierungsanordnung angreift oder bestandskräftig werden lässt. Sofern eine Entscheidung über die Kostentragung zum Zeitpunkt des Erlasses der Sanierungsanordnung noch nicht möglich ist, weil die Gründe für die Unzumutbarkeit der Verwaltung noch nicht vollständig bekannt sind, so ist der Sanierungsanordnung ein Vorbehalt der gesonderten Entscheidung über die Kostentragung beizufügen (vgl. BVerfG a.a.O., juris RdNr. 65).
78
Vor diesem Hintergrund ist es nicht hinnehmbar, dass seitens der Beklagten noch nicht einmal die grundlegende Entscheidung, ob die Haftung begrenzt werden soll, getroffen wurde. Ausweislich der Bescheidsbegründung kommt es auf die Frage, ob die einzelnen Wohnungseigentümer bei Erwerb Kenntnis hinsichtlich der Grundstücksbelastung hatten, zum derzeitigen Zeitpunkt nicht an. Dies bedeutet unter Einbeziehung der Erörterungen zum Grundstückswert, dass sowohl eine begrenzte als auch eine unbegrenzte Haftung seitens der Beklagten für möglich erachtet wird. Gleichzeitig stellt dies aber für die WEG und die einzelnen Eigentümer eine nicht hinnehmbare Unsicherheit dar. Das Haftungsrisiko wird unüberschaubar.
79
Auch soweit Erörterungen zum Überschreiten einer möglichen Belastungsgrenze bei 6,5 Mio. EUR gemacht werden, sind die Ergebnisse als nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügend einzuordnen.
80
Die Verlässlichkeit der ermittelten Belastungsgrenze wird zunächst durch den Hinweis auf eine - wie eben erörtert - eventuell doch als unbegrenzt einzustufende Haftung, konterkariert.
81
Weiterhin begegnet aber auch die Ermittlung der Belastungsgrenze erheblichen Bedenken, da eine ausschließliche Orientierung an Bodenrichtwert und Quadratmeteranzahl erfolgt ist. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung obliegt die materielle Beweislast der Beklagten (vgl. VG Regensburg, U.v. 5.10.2009 - RO 8 K 09.1452 - juris).
82
Die Beklagte hat den Bodenrichtwert herangezogen, ohne eine Feststellung zu treffen, warum der Bodenrichtwert für das streitgegenständliche Grundstück maßgeblich sein sollte (VG Regensburg a.a.O., juris RdNr. 99). Angesichts der Tatsache, dass aufgrund des bisherigen Verlaufs der Sanierung eine vollständige Sanierung des Grundstücks hin zu einem unbelasteten Grundstück als unwahrscheinlich erscheint, vermag ein Abstellen auf den Bodenrichtwert nicht zu überzeugen. Es gilt vielmehr eine möglicherweise auf dem Grundstück verbleibende Restbelastung bei der Bemessung der Belastungsgrenze miteinzubeziehen (siehe hierzu BayVGH B.v. 13.4.2007 - 22 CS 06.2478 - juris; VG Ansbach U.v. 16.1.2019 - AN 9 K 18.00612 - juris). Zudem vermögen auch Grundpfandrechte und andere dingliche Belastungen den Verkehrswert zu mindern, sofern sie nicht zu Gunsten des Eigentümers eingetragen sind und soweit sie valutiert sind (BayVGH, a.a.O., juris Rn. 10). Ausweislich der Behördenakte sind Grundschulden größeren Umfangs eingetragen. Über deren Valutierung ist nach Aktenlage nichts bekannt, jedoch kann eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügende Entscheidung über die Belastungsgrenze erst getroffen werden, wenn das Ausmaß der aktuellen dinglichen Belastung des Grundstücks ermittelt wurde.
83
Auch die bisher klägerseits bereits erbrachten Aufwendungen für die Sanierung sind bei der Ermittlung der Belastungsgrenze zu berücksichtigen und vermögen die Höhe der Belastungsgrenze zu mindern. Zwar werden im Bescheid die bisher von der Eigentümergemeinschaft übernommenen Kosten in Höhe von 157.974,64 EUR genannt, es ist aber nicht zu entnehmen, dass diese vom Verkehrswert in Abzug gebracht werden sollen.
84
Vor diesem Hintergrund war der Klage stattzugeben und der Bescheid vollumfänglich aufzuheben.
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Ergänzend weist das Gericht auf Folgendes hin:
86
Die Bestimmtheit des Bescheids begegnet aus Sicht des Gerichts keinen Bedenken. Für den Bereich des Bodenschutzrechts liegt es in der Natur der Sache, dass fachsprachliche Ausdrücke im Bescheid verwendet werden. Durch die bescheidsnotwendige Sachverständigenbeteiligung ist gewährleistet, dass die Fachtermini in korrekter Weise verstanden und umgesetzt werden können (vgl. hierzu auch VG Regensburg, U.v. 15.10.2012 - RO 8 K 12.829 - juris).
87
Hinsichtlich des Sanierungsbedarfs bzw. der Frage, ob ein eigener Schaden und Zustrom vom Nachbargrundstück stattfindet, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass für den Fall der Inanspruchnahme eines Zustandsstörers für die Sanierung eines unter einem fremden Grundstücks liegenden Grundwasserschadens ein eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen einem Schadstoffeintrag auf dem eigenen Grundstück und einer die Grundstücksgrenze überschreitenden Gefahr für den Grundwasserraum erforderlich ist. Den Nachweis der relevanten (Mit-)Verursachung muss die Behörde erbringen (siehe hierzu BayVGH, B.v. 25.7.2016 - 22 CS 16.1158 - juris).
88
Entscheidend ist hier die Frage, ob die durch die Behörde nachgewiesene Schadensverursachung auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, in Verbindung mit der Grundwasserfließrichtung vom klägerischen Grundstück hin zum Nachbargrundstück einen ausreichenden Nachweis darstellt oder ob dieser Nachweis durch den klägerischen Vortrag erschüttert wurde.
89
Es steht gegenwärtig nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ein wesentlicher eigenständiger Schadensherd auf dem Nachbargrundstück FlNr. …, Gemarkung …, vorliegt. Das klägerseits vorgelegte Gutachten vom 30. Januar 2020 stützt sich hinsichtlich dieser Annahme vor allem auf die unterschiedlichen Konzentrationen von Per und Tri in den Messstellen P6 und P9. Das eindeutige Überwiegen der Per-Belastung an den Messstellen P6 und P9 wird als Beleg für einen eigenständigen Per-Schaden auf dem Nachbargrundstück gewertet. Es wird in diesem Gutachten weiterhin davon ausgegangen, dass auf dem streitgegenständlichen Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, nur Tri zum Einsatz gekommen ist, die dort vorzufindenden Per-Belastungen somit durch einen Zustrom infolge einer durch Pumpen umgedrehten Grundwasserfließrichtung zu erklären sind.
90
Aus den dem Gericht vorliegenden Gutachten der vergangenen dreißig Jahre (Beginn im Jahre 1988) ist für die Konzentrationen am Punkt P6 ein sich immer wieder veränderndes Bild erkennbar. Einer Zusammenstellung früherer Messwerte ist zu entnehmen, dass bis zum Jahr 2004 ein Überwiegen des Tri-Anteils gegenüber dem Per-Anteil an der Messstelle P6 vorzufinden war, was wohl gegen den eigenständigen Per-Schaden spricht. Auch der Vertreter des Wasserwirtschaftsamtes bestätigte die immer wieder wechselnden Konzentrationen von Per und Tri, die vom jeweiligen Wasserstand und anderen Parametern im Untergrund abhängig seien.
91
Nach Einschätzung des Gerichts ist auch ein Per-Eintrag auf dem streitgegenständlichen Grundstück der Klägerin keineswegs ausgeschlossen. Dem stehen auch die Angaben der Fa. … … GmbH, dass nur Tri eingesetzt worden wäre, nicht entgegen. Es erscheint als nicht ausgeschlossen, dass im langjährigen Zeitraum des Einsatzes von LHKW auf dem Grundstück (Beginn der Produktion im Jahr 1914, Ende des LHKW-Einsatzes im Jahr 1986) auch Per zum Einsatz gelangte, dies aber nicht nachvollziehbar dokumentiert wurde. Hierfür sprechen die an den Messstellen P2 und GB2 stets überwiegenden Konzentrationen von Per gegenüber Tri.
92
Hinsichtlich des Grundstückes FlNr. …, Gemarkung …, wies der Vertreter des Wasserwirtschaftsamtes darauf hin, dass im Wege einer Amtsermittlung 14 Bodenluftsondierungen und ein Absaugversuch an der Messstelle P6 durchgeführt worden seien, die nur sehr geringe Bodenluftbelastungen ergeben hätten, was gegen einen eigenständigen Schadenseintrag auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, spreche. Die erhebliche Belastung des Grundwassers sei auf einen Eintrag vom klägerischen Grundstück her kommend zurückzuführen.
93
Bei der Bewertung dieser Einschätzung ist zu berücksichtigen, dass dem Wasserwirtschaftsamt als zuständiger Fachbehörde im Verwaltungsprozess ein hoher Erkenntniswert zukommt (vgl. BayVGH B.v. 17.12.2004 - 8 ZB 14.661 - juris; VG Würzburg B.v. 18.12.2019 - W 4 S 19.1366 - juris). Insbesondere die geringe Belastung der Bodenluft auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, lässt an einem eigenständigen wesentlichen Schadenseintrag zweifeln. Zudem hat die historische Erkundung für den Bereich P6 lediglich eine Wohnnutzung ergeben, die früher ebenfalls auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, situierte Lackiererei befand sich südwestlich davon in einem Bereich, in dem unauffällige Bodenluftmessungen vorgenommen wurden.
94
Letztlich spricht auch die ermittelte Grundwasserfließrichtung vom klägerischen Grundstück hin zum Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, für eine Schadensverlagerung und gegen einen eigenständigen Schadenseintrag.
95
Bezüglich der Rechtmäßigkeit der Störerauswahl und der Frage, ob … … Junior bzw. dessen Erben in die Auswahl einzubeziehen sind, weist das Gericht darauf hin, dass … … nach Angaben des Beklagtenvertreters im Jahr 1985 verstorben ist. Abhängig von der Ermittlung und Einbeziehung eventueller Erben wird zu klären sein, ob eine sukzessive Gesamtrechtsnachfolge den Anforderungen des § 4 Abs. 3 Satz1 BBodSchG entspricht oder ob nur der unmittelbare Erbe haften soll. Für den Fall, dass eine unmittelbare Gesamtrechtsnachfolge als ausreichend erachtet wird, ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, dass bei zunehmender Zahl von Erbfällen, die zwischen ursprünglichem Verursacher und als Gesamtrechtsnachfolger Pflichtigen liegen, die Verbindung aus dem Verursacherprinzip immer schwächer wird (vgl. hierzu VGH Mannheim U.v. 18.12.2012 - 10 S 744/12 - juris; VG Augsburg U.v. 18.9.2018 - Au 3 K 16.1061).
96
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.