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AG Landau, Beschluss v. 20.05.2020 – 6 Cs 504 Js 30099/19
Titel:

Überstellungsfrist, Beihilfehandlung, Kirchenasyl, Asylbewerber, Ausländerbehörde, Aufenthaltsrecht, Kostenentscheidung, Rücküberstellung, Dublin-III-VO, Illegaler Aufenthalt, Zuständiger Mitgliedstaat, Anschuldigung, Verlängerungsantrag, Aufschiebende Wirkung, Strafbefehlsantrag, Staatsanwaltschaft, Notwendige Auslagen, Unerlaubter Aufenthalt, Gesondert Verfolgter, Abschiebung

Schlagwort:
Unerlaubter Aufenthalt
Fundstellen:
BeckRS 2020, 20977
StV 2020, 610
LSK 2020, 20977

Tenor

1. Der Erlass des Strafbefehls wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.
1
Dem Angeschuldigten, Pfarrer in D., wird mit Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Landshut vom 31.03.2020 zur Last gelegt, den gesondert verfolgten … vom 05.06.2019 bis jedenfalls 03.03.2020 im Rahmen der Gewährung von Kirchenasyl zu dessen illegalen Aufenthalt Beihilfe geleistet zu haben, strafbar als Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt gem. §§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 4 Abs. 1 S. 1 AufenthG, §§ 27, 49 Abs. 1 StGB.
2
Das Gericht erkennt bei der gebotenen vorläufigen Tatbewertung angesichts des vorliegenden Akteninhalts keinen hinreichenden Tatverdacht.
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Seit dem 11.06.2019 lag kein illegaler Aufenthalt des Asylbewerbers … mehr vor. Die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO war am 10.06.2019 abgelaufen. Am 10.12.2018 hatten die bulgarischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Verfahrens erklärt. Somit war am 10.06.19 die 6-monatige-Überstellungsfrist beendet. Der Verlängerungsantrag wurde erst am 11.06.2019 gestellt und somit verspätet. Im Schreiben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 11.06.2020 wurde erwähnt, dass „der zuständige Mitgliedsstaat entsprechend informiert wurde“. Wann dies der Fall gewesen wäre, ergibt sich aus den Akten der Verwaltungsbehörde nicht. Die Staatsanwaltschaft hat dem Gericht die Akten der Ausländerbehörde auf elektronischem Weg zur Verfügung gestellt, aber zu Rechtzeitigkeit der Fristverlängerung nicht mehr Stellung bezogen. Aus den Akten ist nicht zu entnehmen wann die bulgarischen Behörden informiert worden wären. Für die Verlängerung der Überstellungsfrist ist erforderlich, dass der ersuchende Mitgliedsstaat vor Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist den zuständigen Mitgliedstaat darüber informiert, dass die betreffende Person flüchtig ist, und zugleich eine neue Überstellungsfrist benennt (EuGH, Urteil vom 19.03.2019, C-163/17; BVerwG, BeckRS 2019, 34850). Nach Aktenlage, auch mit den Akten der Ausländerbehörde, kann dies nicht belegt werden. Die Staatsanwaltschaft hat mitgeteilt, keine weiteren Stellungnahmen mehr abgeben zu wollen. Daher ist davon auszugehen, dass die Frist des Art. 29 Dublin III-VO abgelaufen ist und nicht rechtzeitig verlängert wurde. Evtl. Rechtsbehelfe des Asylbewerbers hatten keinen Einfluss auf den Lauf der Frist, da diese keine aufschiebende Wirkung hatten. Somit war eine Rücküberstellung ab dem 11.06.2019 nicht mehr möglich.
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Ab dem 11.06.19 hatte der Asylbewerber … einen Anspruch auf Duldung. Ob ihm eine solche tatsächlich erteilt wurde, ändert nichts am Aufenthaltsrecht (OLG München NJW 2018, 3041). Da zumindest ab dem 11.06.19 keine beihilfe-fähige Haupttat vorlag, ist der Strafbefehlsantrag insoweit zurückzuweisen. Anders als im Falle der zitierten Entscheidung des OLG München folgt der Anspruch auf Erteilung einer Duldung auch nicht aus dem Eintritt ins Kirchenasyl, sondern aufgrund der nicht mehr möglichen Rücküberstellung nach Bulgarien.
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Im Übrigen ist anzumerken, dass auch die Verlängerung der Dublin-III-Frist rechtswidrig erfolgte bzw. die Verlängerung nicht wirksam wurde. Der Asylbewerber befand sich in (offenen!) Kirchenasyl, was die Behörde auch wusste und im Verlängerungs-Aktenvermerk vom 11.06.2019 sogar angab. Wer sich im Kirchenasyl befindet und dessen Aufenthaltsort damit bekannt ist, ist nicht flüchtig, so dass die Verlängerung der Überstellungsfrist über den 10.6.19 hinaus nicht möglich war, vgl. VGH München, BeckRS 2018, 11877; OVG Lüneburg NVwZ-RR 2020, 179. Ein faktisches oder gar rechtliches Vollzugshindernis lag nicht vor (VG Würzburg, Urteil v. 29.01.2018, Az.: W 1 K 17.50166; VG München, Beschluss vom 06.06.2017, Az.: M 9 S 17.50290). Die Inanspruchnahme von Kirchenasyl kann auch nicht mit einer Flucht i.S.v. Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO gleichgesetzt werden (OLG München, aaO, m.w.N.). Ein illegaler Aufenthalt konnte daher allenfalls zwischen dem 05.06.18 und dem 10.06.18 vorgelegen haben.
6
Für diesen Zeitraum ist jedoch anzumerken, dass das bloße Betreuen, Beherbergen, Verpflegen und Bekleiden allein keine Beihilfehandlung darstellt, die es dem Ausländer fördernd ermöglicht, illegal im Land zu bleiben (LG Bad Kreuznach, Beschluss vom 05.04.2019, 2 Qs 42/19; BGH, NJW 1990, 2207). Da vorliegend die Beherbergung im Kirchenasyl von Anfang an offen gelegt wurde, war es den Ausländerbehörden möglich, die Abschiebung vorzunehmen. Dass diese auf die Vollstreckung der Ausreisepflicht verzichtet haben, führt dazu, dass der weitere Aufenthalt nach dem 05.06.2019 nicht mehr durch die Beherbergung gefördert wurde, da eine Abschiebung jederzeit möglich gewesen wäre (OLG München, aaO). Vorliegend fehlt es auch an der Kausalität der Beihilfehandlung, da in den 6 Tagen des illegalen Aufenthalts eine Abschiebung nicht hätte durchgeführt werden können. Die Gewährung von Obdach, Kost, Kleidung und medizinischer Versorgung wäre dem gesondert verfolgten Asylbewerber auch vom Staat aus Gründen der Menschenwürde (LG Bad Kreuznach, aaO) in diesen 6 Tagen zu gewähren gewesen. Somit liegt eine sog. „neutrale“ Handlung des Angeschuldigten vor (vgl. auch LG Landshut, NStZ-RR 2009, 61), keine strafbare Beihilfehandlung.
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Da der Ausländer nicht versteckt wurde oder gar gewaltsam dem Behördenzugriff entzogen wurde und die Behörden auch nicht irregeführt wurden (vgl. LG Bad Kreuznach, aaO; Huber/Hörich, AufenthG, 2.Auflage 2016, § 95 RN 74; Hofmann, Ausländerrecht, 2.A., 2016, § 95 RN 64) liegt mangels Förderung des Aufenthalts auch aus diesen Gründen keine strafbare Beihilfe bei dem hier vorliegenden „offenen“ Kirchenasyl vor.
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Ergänzend ist anzumerken, dass sich nach Durchsicht der Akten der Ausländerbehörden zeigt, dass der Ausländer in jedem Fall entschlossen war, weiterhin in Deutschland zu bleiben. Eine Förderung durch das Gewähren von Kost und Logis hat den Ausländer nicht darin bestärkt, das Land nicht zu verlassen. Der gegenteilige Entschluss des Ausländers, bei Nichtgewährung von Kirchenasyl das Land zu verlassen, ist nicht zu belegen und auch als lebensfremd zu werten. Wird jedoch der Entschluss im Land zu bleiben nicht bestärkt, fehlt es an einer kausalen Beihilfehandlung des Angeschuldigten durch dessen humanitäre Unterstützungshandlungen (BayO-bLG, NJW 2002, 1663;OLG Hamm, Beschluss vom 01. Juni 2010 – III-3 RVs 310/09 –, Rn. 17, juris).
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Angesichts der Beweislage erscheint vor dem Hintergrund der derzeitigen Aktenlage eine Verurteilung unwahrscheinlich. Der Antrag auf Erlass des Strafbefehls ist zurückzuweisen.
II.
10
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO.