Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 15.06.2020 – W 8 K 20.30281
Titel:

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes

Normenketten:
GG Art. 16a Abs. 1
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1 Hs. 2
AsylG § 3, § 3e, § 4, § 25, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Bei einer Einreise auf dem Landweg aus einem sicheren Drittstaat scheidet die Anerkennung als Asylberechtigter aus. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Algerien besteht eine inländische Fluchtalternative. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Algerien, Asyl, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Bedrohung wegen außerehelicher Beziehung zur Cousine, illegale Ausreise, Auslandsaufenthalt und Asylantragstellung nicht schutzrelevant, keine flüchtlingsrelevante Verfolgung bei Verstoß gegen algerisches Strafgesetz (kein Politmalus), Schutz vor strafbaren Handlungen in Algerien, inländische Aufenthaltsalternative, Sicherung des Existenzminimums, keine Klagebegründung und kein Erscheinen in der mündlichen Verhandlung, Bezugnahme auf Bundesamtsbescheid, Keine andere Beurteilung durch Coronasituation in Algerien, Asylverfahren, Einreise auf dem Landweg, inländische Fluchtalternative
Fundstelle:
BeckRS 2020, 14409

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger, algerischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 22. Januar 2020 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 6. Februar 2020 einen Asylantrag. Zur Begründung seines Asylantrages gab er im Wesentlichen an: Er habe seit 2014 eine heimliche Beziehung zu seiner Cousine geführt. Er sei im Jahr 2018 verwarnt und mit dem Tod bedroht worden. 2019 seien Familienmitglieder in sein Haus eingedrungen und hätten nach ihm gesucht.
2
Mit Bescheid vom 18. Februar 2020 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle der Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung nach Algerien oder in einen anderen Staat wurde angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Eine hypothetische Strafverfolgung des algerischen Staates wegen einer außerehelichen Beziehung würde noch nicht an einen asylrelevanten Verfolgungsgrund anknüpfen. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass die Umstände der unehelichen Beziehung außerhalb seiner Familie bekannt geworden seien. Der Kläger müsse sich des Weiteren auf den Schutz der algerischen Polizei verweisen lassen. Grundsätzlich sei von der Schutzfähigkeit und -willigkeit des algerischen Staates auszugehen. Darüber hinaus bestehe in einem großen Land wie Algerien die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative. Dem Kläger sei die Übersiedlung in andere Landesteile und Städte möglich und zumutbar, um den behaupteten angeblich drohenden Gefahren durch die Großfamilie seiner Geliebten zu entgehen. Die Unterstrafstellung der illegalen Ausreise sowie auch eine Asylantragstellung in Deutschland seien nicht flüchtlingsschutzrelevant. Eine Unterschreitung des wirtschaftlichen Existenzminimums bei einer Rückkehr nach Algerien sei nicht zu befürchten. Der Kläger sei jung, gesund und erwerbsfähig.
3
Am 26. Februar 2020 erhob der Kläger zu Protokoll der Urkundsbeamtin Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte,
1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. Februar 2020 (Az.: …) wird aufgehoben.
2. Die Bundesrepublik Deutschland wird verpflichtet,
dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen;
hilfsweise dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen;
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen;
hilfsweise die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu verkürzen.
4
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 2. März 2020,
die Klage abzuweisen.
5
Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 27. Februar 2020 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
6
In der mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2020 war von den Beteiligten niemand erschienen.
7
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

8
Über die Klage konnte entschieden werden, obwohl von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung keiner erschienen ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
9
Insbesondere lag kein erheblicher Grund für eine Aufhebung oder Verlegung des Termins gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO vor. Der Kläger ist unentschuldigt und ohne Information an das Gericht dem anberaumten Verhandlungstermin am 15. Juni 2020, 10:15 Uhr trotz ordnungsgemäßer Ladung ferngeblieben. Erst am 18. Juni 2020, 17:16 Uhr übersandte er ein Fax, wonach ihm die Fahrt nach Würzburg wegen starker Bauchschmerzen nicht möglich gewesen sei. Zum einen ist anzumerken, dass dieses Schreiben erst über drei Tage nach der mündlichen Verhandlung und, nachdem das Urteil schon verkündet war, bei Gericht einging. Zum anderen ist damit kein erheblicher Grund für eine Verlegung glaubhaft gemacht. Einer beiliegenden ärztlichen Bestätigung ist nur zu entnehmen, dass der Kläger am Nachmittag des 15. Juni 2020 von 15:00 Uhr bis 15:05 Uhr in der Arztpraxis gewesen sei. Dass er nicht reise- oder verhandlungsfähig gewesen sei, ist dem nicht zu entnehmen, auch nicht eine Bestätigung einer entsprechenden Erkrankung des Klägers. Der eigene kurze pauschale Hinweis des Klägers selbst auf starke Bauchschmerzen genügt für sich nicht für die Glaubhaftmachung eines Verlegungsgrundes.
10
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. Februar 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG sowie auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
12
Eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben auf dem Landweg aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG).
13
Das Gericht kommt aufgrund der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel - ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid - zu dem Ergebnis, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien keine politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht (vgl. auch BayVGH, B.v. 29.10.2018 - 15 ZB 18.32711 - juris; B.v.14.8.2018 - 15 ZB 18.31693 - juris).
14
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 - BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 - 9 C 21/92 - BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 - 9 C 59/91 - Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
15
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 106.84 - BVerwGE 71, 180).
16
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen, zumal in der mündlichen Verhandlung von Klägerseite niemand erschienen ist und der Kläger offenbar kein gesteigertes Interesse (zumal er eine Reise- oder Verhandlungsunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht hat) hatte, sein Anliegen persönlich gegenüber dem Gericht zu vertreten, sowie - trotz Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO - überhaupt keine Klagebegründung oder sonst ein relevantes Vorbringen erfolgte. Unter Zugrundelegung der (früheren) Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
17
Das Bundesamt hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt, dass den vorgetragenen Handlungen kein Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG zugrunde liege. Dem Kläger drohe aufgrund seiner außerehelichen Beziehung zu seiner Cousine keine flüchtlingsrelevante staatliche Verfolgung, eine hypothetische Strafverfolgung seitens des algerischen Staates wegen einer außerehelichen Beziehung würde im Übrigen nicht an einem asylrelevanten Verfolgungsgrund anknüpfen, zumal der Kläger eine dahingehende weitreichende außereheliche Beziehung zu seiner Cousine nicht glaubhaft gemacht hat. Zudem hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, dass die uneheliche Beziehung außerhalb der Familie bekannt geworden sei. Der Kläger müsse sich des Weiteren auf den Schutz der algerischen Polizei verweisen lassen. Grundsätzlich sei von einer Schutzfähigkeit und -willigkeit des algerischen Staates auszugehen. Darüber hinaus bestehe in einem großen Land wie Algerien die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative. Dem Kläger sei die Übersiedlung in andere Landesteile und Städte möglich und zumutbar, um der behaupteten, angeblich drohenden Gefahr durch die Großfamilie seiner Geliebten zu entgehen. Die Unterstrafstellung der illegalen Ausreise sowie auch einer Asylantragstellung in Deutschland seien nicht flüchtlingsschutzrelevant. Ein Unterschreiten des wirtschaftlichen Existenzminimums bei einer Rückkehr nach Algerien sei nicht zu befürchten. Der Kläger sei jung, gesund und erwerbsfähig. Diese Ausführungen der Beklagten sind rechtlich nicht zu beanstanden.
18
Insbesondere ist nicht anzunehmen, dass dem Kläger sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen seines Auslandsaufenthalts oder seiner Asylantragstellung in Deutschland (VG Stuttgart, U.v. 27.1.2015 - A 5 K 4824/13 - juris). Eine betreffende Strafverfolgung verfolgt jedenfalls keine asylerhebliche Zielsetzung, selbst wenn eine illegale Ausreise, also ein Verlassen des Landes ohne gültige Papiere, mit einer Bewährungsstrafe oder einer Geldstrafe geahndet werden kann (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 25.6.2019, Stand: Mai 2019, S. 21). Zudem ist zweifelhaft, ob das Gesetz in der Praxis auch angewendet wird, da die algerischen Behörden erklärt haben, dass Gesetz solle nur abschreckende Wirkung entfalten (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 18.3.2020, S. 29 f.). Aber selbst eine drohende Bestrafung (ohne Politmalus) wäre weder flüchtlings- noch sonst schutzrelevant.
19
Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung drohen könnte, und die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung einer Abschiebung nicht entgegenstehen (§ 60 Abs. 6 AufenthG).
20
Schließlich droht dem Kläger bei einer eventuellen Rückkehr nach Algerien auch keine Verfolgung bzw. ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seitens Dritter - konkret der Familie der Cousine -, weil er insoweit zum einen gehalten ist, sich an die staatlichen Stellen zu wenden, um Schutz nachzusuchen, und weil zum anderen für ihn eine zumutbare inländische Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative besteht (vgl. § 3e, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Abgesehen davon ist schon fraglich, ob seitens der Familie der Cousine nach seiner Ausreise überhaupt (noch) ein Interesse besteht, gegen den Kläger tatsächlich gewaltsam vorzugehen. Jedenfalls besteht für den Kläger in Algerien eine zumutbare inländische Aufenthaltsalternative, wenn er sich in einen anderen Teil des Landes, insbesondere in einer anderen Großstadt Algeriens niederlässt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der demokratischen Volksrepublik Algerien vom 25.6.2019, Stand: Mai 2019, S. 16 f.). Der Kläger muss sich auf interne Schutzmöglichkeiten in seinem Herkunftsland verweisen lassen. Das Auswärtige Amt sieht selbst für den Fall der Bedrohung durch islamistische Terroristen in den größeren Städten Algeriens ein wirksames (wenn gleich nicht vollkommenes) Mittel, um einer Verfolgung zu entgehen. Es ist nicht erkennbar, dass die Familie der Cousine den Kläger ohne weiteres auffinden können sollten, wenn er seinen ursprünglichen Heimatort meidet und in andere Großstädte geht. Angesichts der Größe Algeriens und der Größe der dortigen Städte hält es das Gericht nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger fürchten müsste, von der Familie der Cousine entdeckt und gefährdet zu werden. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass bei gewalttätigen Übergriffen nicht doch die Polizei schutzwillig und schutzfähig wäre, wenn auch ein absoluter Schutz naturgemäß nicht gewährleistet werden kann (vgl. VG Minden, B.v. 30.8.2019 - 10 L 370/19.A - juris; U.v. 28.3.2017 - 10 K 883/16.A - juris; U.v. 22.8.2016 - 10 K 821/16.A - juris; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 - 8 A 206/18 - juris; BayVGH, B.v. 29.10.2018 - 15 ZB 18.32711 - juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 - 3 L 1612/16.A - juris; SaarlOVG, B.v. 4.2.2016 - 2 A 48/15 - juris).
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Das Gericht hat des Weiteren keine durchgreifenden Zweifel, dass dem Kläger im Anschluss an seiner Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Dem Kläger ist es zuzumuten, sich eine Arbeit zu suchen, bzw. es besteht die Möglichkeit der Unterstützung von noch in Algerien lebenden Familienmitgliedern, so dass er sich jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage Algeriens, wie auch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. In Algerien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 25.6.2019, Stand: Mai 2019, S. 8 f. und 20 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 18.3.2020, S. 27 ff.). Der Kläger ist noch jung und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Algerien noch lebenden (Groß-)Familie zurückzugreifen. Letztlich ist dem Kläger eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaates möglich und zumutbar (ebenso VG Minden, B.v. 30.8.2019 - 10 L 370/19.A - juris; U.v. 28.3.2017 - 10 K 883/16.A - juris; U.v. 22.8.2016 - 10 K 821/16.A - juris; BVerwG, U.v. 25.4.2019 - 1 C 46/18 - InfAuslR 2019, 309; U.v. 27.3.2018 - 1 A 5/17 - Buchholz 402.242, § 58a AufenthG Nr. 12; VG Stade, U.v. 1.4.019 - 3 A 32/18 - juris; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 - 8 A 206/18 - juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 - 3 L 1612/16.A - juris).
22
Sonstige Gründe für das Bestehen eines Abschiebungsverbots sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
23
Insbesondere rechtfertigt die weltweite COVID-19-Pandemie keine andere Sichtweise in Bezug auf das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG. Nur in ganz außergewöhnlichen Fällen können schlechte humanitäre Verhältnisse zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann wenn es sich hierbei um zwingende humanitäre Gründe handelt (vgl. OVG NRW, U.v. 24.3.2020 - 19 A 4470/19.A - juris m.w.N.).
24
Weiter ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Fehlt - wie hier - ein solcher Erlass kommt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG allenfalls ausnahmsweise in verfassungskonformer Auslegung in Betracht, wenn es zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke, d.h. zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage erforderlich ist (BVerwG, U.v. 13.6.2013 - 10 C 13.12 - BVerwGE 147, 8). Allgemeine Gefahren können aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes grundsätzlich nicht rechtfertigen. Der Kläger hat aber offensichtlich keinen Anspruch wegen einer extremen Gefahrenlage. Eine verfassungswidrige Schutzlücke liegt nur dann vor, wenn der Schutzsuchende bei einer Rückkehr in das Aufnahmeland mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise Opfer einer extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Eine Abschiebung müsste dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schweren Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (OVG NRW, U.v. 24.3.2020 - 19 A 4470/19.A - juris m.w.N.; vgl. auch schon etwa VG Würzburg, B.v.18.6.2020 - W 8 S 20.30640).
25
Eine solche konkrete außergewöhnliche Gefahrenlage für den Kläger ist vorliegend im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt im Hinblick auf die Verbreitung des Corona-Virus (SARS-CoV-2) auch vor dem Hintergrund des erforderlich hohen Wahrscheinlichkeitsgrades für das Gericht nicht erkennbar. Der 32 Jahre alte Kläger ohne erkennbare Vorerkrankungen gehört nicht zu einer besonderen Gruppe mit höherem Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der Covid-19-Erkrankung (vgl. RKI, Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren Covid-19-Krankheitsverlauf, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html). Der Kläger muss sich letztlich - genauso wie bei etwaigen anderen Erkrankungen, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung um ein Vielfaches höher liegt als bei dem Corona-Virus (vgl. OVG NRW, U.v. 24.3.2020 - 19 A 4470/19.A - juris; VG Karlsruhe, U.v. 26.2.2020 - A 4 K 7158/18 - juris) - gegebenenfalls mit den Behandlungsmöglichkeiten in Algerien behelfen. Darüber hinaus bestehen - wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland, in dem die Zahl der nachweislich mit dem Covid 19-Virus Infizierten bzw. der betreffenden Todesfälle um ein Vielfaches höher ist als in Algerien - individuell persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren.
26
Im Übrigen ist der Kläger gehalten, im Bedarfsfall die Möglichkeiten des - zugegebenermaßen nicht dem europäischen Niveau entsprechenden - algerischen Gesundheits- und Sozialsystems (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien, Stand: 28.3.2020, S. 28 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 25.6.2019, Stand: Mai 2019, S. 20 f.) auszuschöpfen. Gegebenenfalls kann er auch auf private Hilfemöglichkeiten oder Hilfsorganisationen sowie auf Rückkehr- und Starthilfen sowie auf Reintegrationsprogramme zurückzugreifen, sodass er nicht völlig mittellos wäre.
27
Des Weiteren hat das Gericht keine triftigen Anhaltspunkte geschweige denn konkrete Belege, dass sich die Lebensverhältnisse und die humanitären Lebensbedingungen infolge der Corona-Pandemie in Algerien in der Weise verschlechtert hätten oder alsbald verschlechtern würden, dass generell für jeden Rückkehrenden eine Extremgefahr im oben skizzierten Sinn mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen würde. Folglich ist dem Kläger eine Rückkehr nach Algerien zumutbar.
28
Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie Ausgleichsmaßnahmen zur Unterstützung notleidender Bevölkerungsteile geschaffen wurden. Hilfsmaßnahmen kommen vor allem aus der Zivilgesellschaft. Außerdem kommt es zur Stundung von Steuerzahlungen und Krediten. Anzeichen für eine Wasser- oder Lebensmittelknappheit bestehen nicht (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation AFRIKA, COVID-19 - aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 10 f.).
29
Das Gericht verkennt - auch unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie -nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Algerien. Diese betreffen jedoch algerische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
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Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
31
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.