Titel:
Eilantrag gegen ein konkurrierendes Bürgerbegehren
Normenketten:
GO Art. 18a Abs. 4, Abs. 8, Abs. 9, Abs. 15
VwGO § 42 Abs. 2, § 123 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Ein genereller Anspruch auf Abwehr eines zeitgleich stattfindenden Bürgerentscheids eines konkurrierenden Bürgerbegehrens besteht nicht, da das Gesetz diesen Fall vielmehr als Möglichkeit ausdrücklich geregelt hat (vgl. Art. 18a Abs. 12 S. 3 GO). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für Verfahren der Volksgesetzgebung gilt das bei Wahlen für den Staat und die Gemeinden geltende Neutralitätsgebot nicht. An seine Stelle tritt ein Sachlichkeitsgebot (Objektivitätsgebot). Dieses Sachlichkeitsgebot gilt auch für den Bürgerentscheid. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bürgerbegehren, Bürgerentscheid, Gemeinde, Neutralitätsgebot, Sachlichkeitsgebot, Fragestellung, Unterschriftenliste
Fundstelle:
BeckRS 2020, 10435
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller sind Vertreter des Bürgerbegehrens „Ja zu einem chancenreichen und gewinnbringenden Gewerbegebiet“, über das im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin am 17. Mai 2020 ein Bürgerentscheid stattfinden soll. Zeitgleich soll in einem Bürgerentscheid über das konkurrierende Bürgerbegehren „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ abgestimmt werden. Die Antragsteller begehren, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, die für das konkurrierende Bürgerbegehren abgegeben Stimmen als gültig zu werten, hilfsweise den Termin für den bzw. die Bürgerentscheide zu verlegen.
2
Die Antragsgegnerin fasste am 20. August 2018 einen Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplans „Industriepark … West I“ und zur Änderung des Flächennutzungsplans vom 30. August 1978 sowie des Landschaftsplanes vom 12. Dezember 2001 sowie einen weiteren Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplans „Industriepark … West II“ und zur Änderung des rechtskräftigen Flächennutzungsplans vom 30. August 1978. Der „Industriepark … West I“ soll ein Gebiet von ca. 19 ha umfassen und ausreichende Gewerbeflächen für die Ansiedlung großflächiger oder emissionsintensiver oder logistikintensiver Betriebe bieten. Der „Industriepark … West II“ soll ein Gebiet von ca. 14 ha umspannen und ausreichende Gewerbeflächen für die Ansiedlung von Betrieben bereitstellen.
3
Im Rahmen der frühzeitigen Behördenbeteiligung gemäß § 4 Abs. 1 BauGB nahm die Regierung … als höhere Landesplanungsbehörde zur Aufstellung des Bebauungsplans „Industriepark … West I“ mit Schreiben vom 18. November 2019 Stellung. Sie kam zu dem Ergebnis, dass der Aufstellung des Bebauungsplans die erläuternden Erfordernisse der Raumordnung aufgrund nicht ausreichender Nachweise entgegenstünden. Die Planung verstoße in der aktuellen Form gegen Ziel 3.3 des Landesentwicklungsprogramms Bayern. Aus landesplanerischer Sicht seien deshalb Einwendungen zu erheben. Die erläuternden Hinweise seien zu beachten und die Planung entsprechend zu überarbeiten.
4
Das Bürgerbegehren „Ja zu einem chancenreichen und gewinnbringenden Gewerbegebiet“ wurde am 5. März 2020 mit 1.116 Unterschriften bei der Antragsgegnerin eingereicht. Die Unterschriftenlisten waren auf der Vorderseite überschrieben mit:
‚Ja zu einem chancenreichen und gewinnbringenden Gewerbegebiet‘ “
und enthielten folgende Fragestellung:
„Sind sie dafür, dass die Marktgemeinde … die Planungen für die Industriegebiete ‚… West I und West II‘ wie folgt ändert:
- Vollständiger Verzicht auf das Industriegebiet ‚… West I‘ und
- Entwicklung des Gebietes ‚… West II‘ als Gewerbegebiet und Standort für die Ansiedlung vorwiegend ortsansässiger Betriebe, zunächst beschränkt bis zu maximal 8 Hektar auf den Flächen gemäß dem nachfolgenden Kartenausschnitt.“
5
Ein weiteres „Bürgerbegehren der Bürgerinitiative für Fortschritt und Entwicklung in …“ wurde ebenfalls am 5. März 2020 mit 1.262 Unterschriften bei der Antragsgegnerin eingereicht. Die Fragestellung lautete wie folgt:
„Sind sie dafür, dass der Markt … die Bebauungsplanverfahren und Verfahren zur Änderung des Flächennutzungsplanes und Landschaftsplanes zur Ausweisung der beiden Gebiete
‚Sondergebiet … West I‘ und entgegen der bisherigen Beschlusslage ‚Gewerbegebiet West II‘,
aber ansonsten entsprechend der bereits vom Marktrat mehrheitlich getroffenen Beschlüsse und Abwägungen fortsetzt?“
In einem Artikel des „… Kuriers“ mit der Überschrift „Eine irrsinnige Leistung“, der von der Übergabe der Unterschriftenlisten des „Bürgerbegehrens der Bürgerinitiative für Fortschritt und Entwicklung in …“ berichtete, wurde der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin wie folgt zitiert: „1262 Unterschriften in dieser kurzen Zeit zu sammeln, ist eine irrsinnige Leistung, ein Superergebnis“, „So viele Unterschriften sind ein gewisser Fingerzeig“, „Angesichts dieses Ergebnisses ist es enorm wichtig, dass wir zu einem Bürgerentscheid kommen“, „Wir begrüßen beide Bürgerinitiativen und werden alles tun, dass die Bürger eine echte Wahl haben“.
6
Am 23. März 2020 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin, dass beide Bürgerbegehren zulässig seien, beide Bürgerbegehren den Bürgern gemeinsam an einem Tag zur Abstimmung vorgelegt werden sollen, der Bürgerentscheid am 17. Mai 2020 durchgeführt werden soll und aufgrund der aktuellen Lage analog zu den Stichwahlen im Rahmen der Kommunalwahlen die Abstimmung als reine Briefwahl erfolgen soll.
7
Mit Schreiben vom 27. März 2020 beantragte der damalige zweite Bürgermeister der Antragsgegnerin, Herr … …, beim Landratsamt …, den Beschluss des Gemeinderats vom 23. März 2020 über die Zulassung der Bürgerbegehren und die Durchführung des Bürgerentscheids rechtsaufsichtlich zu prüfen. Der Antragsteller zu 1) wandte sich ebenfalls an die Rechtsaufsichtsbehörde. Das Landratsamt … teilte dem Antragsteller zu 1) mit E-Mail vom 8. Mai 2020 mit, dass es die Antragsgegnerin bezüglich der Stimmzettelgestaltung am 9. April 2020 aufsichtlich beraten habe und aufgrund des derzeitigen Sach- und Erkenntnisstandes gegen die Durchführung beider Bürgerentscheide keine rechtsaufsichtlichen Maßnahmen ergreifen werde.
8
Der Stimmzettel zu den Bürgerentscheiden beim Markt … am 17. Mai 2020 sieht in seiner endgültigen Fassung auszugsweise wie folgt aus:
Bürgerentscheid 1:
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Bürgerentscheid 2:
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Bürgerbegehren
„Für Fortschritt und Entwicklung in …“
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Bürgerbegehren
„Lebenswertes …“
(Ja zu einem chancenreichen und gewinnbringenden Gewerbegebiet)
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Sind Sie dafür, dass der Markt … die Bebauungsplanverfahren und Verfahren zur Änderung des Flächennutzungsplanes und Landschaftsplanes zur Ausweisung der beiden Gebiete „Sondergebiet … West I“ und entgegen der bisherigen Beschlusslage „Gewerbegebiet … West II“, aber ansonsten entsprechende bereits vom Marktrat mehrheitlich getroffenen Beschlüsse und Abwägungen fortsetzt?
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Sind Sie dafür, dass die Marktgemeinde … die Planungen für die Industriegebiete „… West I und West II“ wie folgt ändert:
- Vollständiger Verzicht auf das Industriegebiet „… West I
und
- Entwicklung des Gebietes „… West II“ als Gewerbegebiet und Standort für die Ansiedlung vorwiegend ortsansässiger Betriebe, zunächst beschränkt bis zu maximal 8 Hektar?
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9
Die Antragsteller stellten mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 11. Mai 2020 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und beantragen zuletzt, der Antragsgegnerin wird vorläufig untersagt, die für das Bürgerbegehren „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ abgegebenen Stimmen bei dem am 17. Mai 2020 angesetzten Bürgerentscheid als gültig zu werten hilfsweise: Die Antragsgegnerin wird angewiesen, den Termin für den am 17. Mai 2020 angesetzten Bürgerentscheid zu einem späteren, rechtlich zulässigen Zeitpunkt neu festzusetzen und dabei ausschließlich das Bürgerbegehren „Ja zu einem chancenreichen und gewinnbringenden Gewerbegebiet“ zur Abstimmung zu stellen hilfsweise: Die Antragsgegnerin wird angewiesen, den Termin für den am 17. Mai 2020 angesetzten Bürgerentscheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu einem späteren, rechtlich zulässigen Zeitpunkt neu festzusetzen.
10
Zur Begründung führte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller aus, dass das Neutralitätsgebot der Gemeinde verletzt und das konkurrierende Bürgerbegehren „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ unzulässig sei. Der Prozessbevollmächtigte legte eine eidesstattliche Erklärung von Herrn … … vom 10. Mai 2020 vor, in der dieser erklärt, der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin habe bereits bei Einreichung des Bürgerbegehrens „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ gesagt, dass man die Prüfung der Rechtmäßigkeit sehr wohlwollend vornehmen wolle. Das habe er auch in der Gemeinderatssitzung am 23. März 2020 wiederholt, bei der nur 12 Gemeinderäte anwesend gewesen seien. Herr … habe vor der Abstimmung über die Rechtmäßigkeit des Bürgerbegehrens Einsicht in die Unterschriftenlisten genommen. Dabei sei ihm beim Bürgerbegehren „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ aufgefallen, dass Frage, Begründung und die drei Vertreter auf gesonderten Blättern an die Unterschriftenlisten angeheftet gewesen seien. Die Unterschriftenlisten hätten nicht dem Muster des „Merkblattes zur Durchführung von Bürgerbegehren in Bayern“ entsprochen. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller trug weiter vor, die Antragsgegnerin habe bei beiden Bürgerbegehren eigenmächtig bestimmte Worte fett gedruckt oder unterstrichen sowie den Titel des Bürgerbegehrens der Antragstellerin eigenmächtig geändert. Gemäß der Unterschriftenliste trage das Bürgerbegehren den Titel „Ja zu einem chancenreichen und gewinnbringenden Gewerbegebiet“. Die Antragsgegnerin habe auf dem Stimmzettel diesen Titel in Klammern gesetzt und als eigentlichen Titel den Namen verwendet, den sich die Bürgerinitiative in der Öffentlichkeit gegeben habe (Lebenswertes …).
11
Die Antragsteller seien analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt, da sie in ihrem Recht auf ein faires Verfahren als Vertreter des Bürgerbegehrens verletzt seien. Die Vertreter eines Bürgerbegehrens hätten zur Sicherung eines fairen Verfahrensablaufs auch das Recht, ein konkurrierendes Begehren abzuwehren, wenn dieses so formuliert sei, dass damit die Entscheidungsfreiheit der Bürger bei der Abstimmung beeinträchtigt werde und damit auch die Erfolgsaussichten des Bürgerbegehrens geschmälert seien (BayVGH, B.v 1.3.2018 - 4 CE 18.495). Das Rechtsschutzbedürfnis sei gegeben, denn der Bürgerentscheid am 17. Mai 2020 könne auch bei Erlass der begehrten Anordnung durchgeführt werden. Zwar seien der Druck und die Verteilung neuer Stimmzettel vorher nicht mehr möglich, jedoch könnten die für das konkurrierende Bürgerbegehren abgegebenen Stimmen außer Betracht bleiben. Vorrangiges Ziel der Antragssteller sei es nicht, den Bürgerentscheid zu verhindern, sie sähen jedoch durch das konkurrierende Bürgerbegehren die Chancengleichheit und den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt.
12
Der Antrag sei begründet. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass die Bürgerentscheide bereits am 17. Mai 2020 stattfinden sollen. Das konkurrierende Bürgerbegehren „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ sei rechtswidrig und seine Zulassung verletze die Antragsteller in ihren Rechten. Das konkurrierende Bürgerbegehren sei bereits formal unzulässig. Die Vertreter des Bürgerbegehrens würden nicht auf der Textseite des Bürgerbegehrens genannt, sodass für die Unterzeichnenden nicht erkennbar gewesen sei, welche Personen die Unterschriften gesammelt haben. Zudem sei durch die eidesstattliche Erklärung von Herrn … glaubhaft gemacht, dass die Unterschriften und der Text des konkurrierenden Bürgerbegehrens nicht auf einem Blatt gedruckt gewesen seien. Es sei deshalb nicht gewährleistet gewesen, dass den Unterzeichnenden der Text des Bürgerbegehren vorgelegen habe. Das konkurrierende Bürgerbegehren sei auch inhaltlich unzulässig. Die Fragestellung eines Bürgerbegehrens müsse so bestimmt sein, dass die Bürger erkennen könnten, für oder gegen was sie abstimmten und welchen Inhalt die durch den Bürgerentscheid herbeizuführende Entscheidung haben werde. Das konkurrierende Bürgerbegehren erfülle diese Voraussetzungen nicht. Die Entwürfe der beiden Bebauungspläne bzw. Flächennutzungspläne hätten unter der Bezeichnung „Industriepark … West I“ und „Industriepark … West II“ in der frühen Bürgerbeteiligung ausgelegen. In der Fragestellung des konkurrierenden Bürgerbegehrens würden nun plötzlich die Begriffe „Sondergebiet … West I“ und „Gewerbegebiet … West II“ verwendet. Unklar bliebe, was mit dem Begriff „Sondergebiet“ gemeint sei, denn ein solches könne zu unterschiedlichen Zwecken ausgewiesen werden. Auch der Zusatz „entgegen der bisherigen Beschlusslage“ sei unklar, da den meisten Bürgern die Beschlüsse und Abwägungen des Gemeinderats nicht bekannt seien dürften und sich die Zielsetzung des Bürgerbegehrens somit erst durch einen Abgleich mit den Gemeinderatsbeschlüssen erschließe. Die Begründung beseitige diese Unklarheiten nicht. Das konkurrierende Bürgerbegehren sei zudem auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet, da die höhere Landesplanungsbehörde in ihrer Stellungnahme vom 18. November 2019 festgestellt habe, dass das Planungsgebiet „… West I“ gegen Ziffer 3.3. des Landesentwicklungsprogramms verstoße.
13
Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller führte weiter aus, die Antragsgegnerin habe bei der Gestaltung des Stimmzettels ihre Pflicht zur Neutralität verletzt. Sie habe auf dem Stimmzettel bestimmte Passagen fett gedruckt und unterstrichen, wodurch sie Wähler beeinflussen könne. Zudem würde durch die eigenmächtige Änderung des Titels des Bürgerbegehrens der Antragsteller suggeriert, dass das Bürgerbegehren der Antragsteller primär darauf abziele, dass … lebenswert bleiben solle. In Wahrheit strebte das Bürgerbegehren der Antragsteller ebenso wie das konkurrierende Bürgerbegehren eine gewerbliche Entwicklung an, nur eben nicht zugunsten eines international tätigen Logistikunternehmens. Das Neutralitätsgebot sei auch durch die einseitigen Äußerungen des ersten Bürgermeisters der Antragsgegnerin in Öffentlichkeit und Presse verletzt worden, indem er geäußert habe, im konkurrierende Bürgerbegehren komme der wahre Willen der Bürger zum Ausdruck und die gesammelten Unterschriften seien ein deutlicher Fingerzeig.
14
Mit Schriftsatz vom 12. Mai 2020 ergänzte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller, dass es sich bei der Zulassung des konkurrierenden Bürgerbegehrens um einen Verwaltungsakt handeln könnte, gegen den - sofern eine Bekanntgabe erfolgt sei - mittels Anfechtungsklage vorgegangen werden könne, die dann gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung habe.
15
Der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin beantragt, den Antrag auf Erlass einer einsteiligen Anordnung abzulehnen.
16
Die Antragsgegnerin selbst führte mit Schriftsatz vom 13. Mai 2020 aus, dass der Entwurf des Stimmzettels tatsächlich Unterstreichungen und Fettdruck enthalten habe, die sich aber in der endgültigen Fassung des Stimmzettels (Bl. 109 der Akte) nicht mehr fänden. Die Antragsgegnerin habe den Entwurf des Stimmzettels an beide Bürgerinitiativen zur Prüfung übersandt, die beide verschiedene Änderungswünsche vorgetragen hätten. Die Antragsgegnerin habe sich im Hinblick auf die Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Neutralität für die endgültige Fassung des Stimmzettels entschieden. Der Titel des Bürgerbegehens „Ja zu einem chancenreichen und gewinnbringenden Gewerbegebiet“ sei lediglich um den Namen der Bürgerinitiative ergänzt worden. Hieraus ergebe sich allenfalls ein Vorteil für die Antragsteller. Die Antragsgegnerin habe zudem in ihrem Mitteilungsblatt die beiden Bürgerbegehren mit Fragestellung und Begründung abgedruckt. Auf die Kritik des Antragstellers zu 1), dass der veröffentlichte Text mit den eingereichten Unterschriftenlisten nicht vollständig übereinstimme, habe die Antragsgegnerin sogar rechtzeitig zu Beginn der Verteilung der Briefwahlunterlagen ein Sondermitteilungsblatt verteilen lassen. Die von den Antragstellern zitierte Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. März 2018 gelte nur für ein gegnerisches Ratsbegehren und nicht für ein konkurrierendes Bürgerbegehren, sodass die Zulässigkeit des Antrags bereits fraglich sei. Weiter legte die Antragsgegnerin ihre Satzung zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid (BBS) vom 23. Januar 1997 vor, deren § 2 Abs. 3 wie folgt lautet: „Unterschriftenlisten können doppelseitig gestaltet sein, wenn die Rückseite als Fortsetzung des Textes der Vorderseite erkennbar ist. Es können auch Einlageblätter verwendet oder lose Unterschriftenlisten zusammengeheftet werden, sofern dort ebenfalls der Antrag, die Begründung und die drei Vertretungsberechtigten aufgeführt sind.“ Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Bürgerbegehren habe die Antragsgegnerin festgestellt, dass die BBS in wesentlichen Punkten der GO widerspreche. Der Gemeinderat habe deshalb in der Sitzung am 23. März 2020 die alte Satzung aufgehoben und eine neue Satzung erlassen, die jedoch bei der Prüfung der Zulässigkeit der Bürgerbegehren nicht zur Anwendung gekommen sei, da diese vor Erlass der neuen Satzung eingereicht worden seien. Die Prüfung der Bürgerbegehren sei anhand von Art. 18a Abs. 4 GO und einer ermessensgerechten Auslegung der alten Satzung erfolgt. Die Unterschriftenlisten des Bürgerbegehrens „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ seien nach Ansicht der Antragsgegnerin zulässig, weil auf den Text des Bürgerbegehrens auf den anderen Seiten verwiesen worden sei. Die Aufstellungsbeschlüsse zur Bauleitplanung hätten ursprünglich zwei Industriegebiete vorgesehen, im Januar 2020 habe der Gemeinderat jedoch beschlossen, West I statt als Industriegebiet als Sondergebiet auszuweisen, sodass die Formulierung des Bürgerbegehrens „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ der aktuellen Beschlusslage entspreche. Einen Antrag vom Dezember 2019, West II statt als Industriegebiet als Gewerbegebiet auszuweisen, habe der Gemeinderat abgelehnt, sodass auch die Formulierung „entgegen der bisherigen Beschlusslage“ korrekt sei. Die von den Antragstellern angeführten Zitate des ersten Bürgermeisters der Antragsgegnerin seien keine autorisierten Zitate, sondern Verknappungen der Presse. Außerdem seien diese Aussagen objektiv zutreffend gewesen und es sei nicht erkennbar, wie dadurch Monate später noch das Abstimmungsverhalten der Bürger beeinflusst werden könne. Das Neutralitätsgebot gelte nur für Wahlen, für Bürgerentscheide gelte das Sachlichkeitsgebot, das die Antragsgegnerin nicht verletzt habe. Das von den Antragstellern beabsichtigte Ziel, nur die Abstimmung über das gegnerische Bürgerbegehren zu verhindern, widerspreche dem Grundsatz des fairen Verfahrens.
17
Die Beigeladenen, die Vertreter der Bürgerbegehrens „Für Fortschritt und Entwicklung in …“, führten mit Schriftsatz vom 12. Mai 2020 aus, dass auf den Unterschriftenlisten ihres Bürgerbegehrens folgender Hinweis angebracht gewesen sei: „Ich unterstütze das auf den Seiten 1 und 2 abgedruckte Bürgerbegehren für Fortschritt und Entwicklung in … Die Fragestellung und Begründung sind ebenfalls auf den Seiten 1 und 2 abgedruckt!“. Der Zusatz „entgegen der bisherigen Beschlusslage Gewerbegebiet West II“ sei in die Fragestellung eingefügt worden, weil der Gemeinderat der Antragsgegnerin im Dezember 2019 die Änderung von West II von einem Industriegebiet in ein Gewerbegebiet abgelehnt habe.
18
Mit Schriftsatz vom 13. Mai 2020 replizierte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller, dass den Antragstellern die endgültige Fassung des Stimmzettels nicht bekannt gewesen sei. Die Antragsgegnerin räume indirekt ein, dass sich beim Bürgerbegehren „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ die Unterschriftenlisten und der Text bzw. die Begründung auf getrennten Blättern befunden hätten und nur zusammengeheftet gewesen seien.
19
Mit Schriftsatz vom 13. Mai 2020 zeigte sich der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin an und führte aus, die Antragsteller hätten kein Klagerecht gegen eine zulassende oder ablehnende Entscheidung nach Art. 18a Abs. 8 GO und seien durch die Zulassung des konkurrierenden Bürgerbegehrens auch nicht in eigenen Rechten verletzt. Die Antragsgegnerin und ihre Organe hätten nicht gegen das Paritäts- und Sachlichkeitsverbot verstoßen. Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. März 2018 gelte ausschließlich für die Abwehr eines konkurrierenden Ratsbegehrens. Dem ersten Bürgermeister der Antragsgegnerin könne als politischem Mandatsträger nicht verwehrt sein, sich zu kommunalpolitischen Themen zu äußern.
20
Ergänzend wird auf die Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
21
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet.
22
1. Der Antrag ist zulässig.
23
a) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung findet gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO statt. Die mit den Haupt- und Hilfsanträgen verfolgten Begehren der Antragsteller wären in der Hauptsache alle im Wege der allgemeinen Leistungsklage geltend zu machen, da sie auf die Vornahme bzw. das Unterlassen einer schlichten Verwaltungshandlung durch die Antragsgegnerin gerichtet sind. Im Hauptantrag wird das Unterlassen der Berücksichtigung der für den konkurrierenden Bürgerentscheid am 17. Mai 2020 abgegebenen Stimmen verlangt. Die Hilfsanträge sind auf Neuterminierung des bzw. der Bürgerentscheide gerichtet, was den Erlass eines entsprechenden Gemeinderatsbeschlusses erfordern würde. Die Antragsteller wollen im Ergebnis verhindern, dass der konkurrierende Bürgerentscheid über die Frage des Bürgerbegehrens „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ am 17. Mai 2020 durchgeführt wird und fordern ein dahingehendes Unterlassen bzw. Tätigwerden der Antragsgegnerin.
24
Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO (bzw. eine Anfechtungsklage) kommt jedenfalls nicht in Betracht. Der einzig im Raum stehende Verwaltungsakt, gegen den sich die Antragsteller mit einer in der Hauptsache noch zu erhebenden Anfechtungsklage wehren könnten, wäre die Mitteilung der Zulassungsentscheidung des Gemeinderats nach Art. 18a Abs. 8 Satz 1 GO an die Vertreter des Bürgerbegehrens „Für Fortschritt und Entwicklung in …“. Diese Mitteilung erfolgt in Vollzug des Gemeinderatsbeschlusses vom 23. März 2020, in dem besagtes Bürgerbegehren für zulässig erklärt wurde. Eine Anfechtungsklage gegen diesen Verwaltungsakt wäre für die Antragsteller aber nicht zielführend, weil dadurch die Durchführung der Bürgerentscheide am 17. Mai 2020 nicht verhindert werden würde. Denn zum einen würde immer noch der Gemeinderatsbeschluss existieren, der das Bürgerbegehren für zulässig erklärt, zum anderen würde auch der weitere Gemeinderatsbeschluss vom 23. März 2020 fortbestehen, der die Durchführung der Bürgerentscheide am 17. Mai 2020 anordnet und von der Gemeindeverwaltung zu befolgen wäre.
25
b) Die Antragsteller sind analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt, da sie bei Durchführung des konkurrierenden Bürgerentscheids über die Frage des Bürgerbegehrens „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ am 17. Mai 2020 möglicherweise in einem subjektiven öffentlichen Recht verletzt werden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat im Fall eines mit dem Bürgerbegehren konkurrierenden Ratsbegehrens festgestellt, dass sich die Vertreter eines Bürgerbegehrens nicht nur gemäß Art. 18a Abs. 9 GO gegen beeinträchtigende Maßnahmen der Gemeinde im Vorfeld einer Abstimmung zur Wehr setzen können, sondern dass sie zur Sicherung eines fairen Verfahrensablaufs auch das Recht haben müssen, ein konkurrierendes Ratsbegehren abzuwehren, wenn dieses so formuliert ist, dass damit die Entscheidungsfreiheit der Bürger bei der Abstimmung beeinträchtigt wird und damit auch die Erfolgsaussichten des Bürgerbegehrens geschmälert werden (B.v. 1.3.2018 - 4 CE 18.495 - juris Rn. 7). Obwohl ein Bürgerbegehren andere Initiatoren hat als ein Ratsbegehren, sieht das Gericht für die Frage der Antragsbefugnis keinen maßgeblichen Unterschied, da die Entscheidung der Gemeinde über die Zulässigkeit eines konkurrierenden Bürgerbegehrens ebenso einen den fairen Verfahrensablauf einschränkenden Charakter haben kann.
2. *Der Antrag ist unbegründet.
26
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind die Glaubhaftmachung (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes (BVerfG, B.v. 9.7.2007 - 2 BvR 206/07 - juris Rn. 20; BVerwG, B.v. 22.9.2015 - 6 VR 2/15 - juris Rn. 8). Der Anordnungsanspruch ist der von den Antragstellern im Hauptsacheverfahren verfolgte materielle Anspruch (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 123 Rn. 25; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 123 Rn. 69 m.w.N.).
27
Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
28
a) Wie dargelegt hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass die Vertreter eines Bürgerbegehrens zur Sicherung eines fairen Verfahrensablaufs auch das Recht haben müssen, ein konkurrierendes Ratsbegehren abzuwehren, wenn dieses so formuliert ist, dass damit die Entscheidungsfreiheit der Bürger bei der Abstimmung beeinträchtigt wird und damit auch die Erfolgsaussichten des Bürgerbegehrens geschmälert werden (BayVGH, B.v. 1.3.2018 - 4 CE 18.495 - juris Rn. 7). Ein genereller Anspruch auf Abwehr eines zeitgleich stattfindenden Bürgerentscheids eines konkurrierenden Bürgerbegehrens besteht nicht, da das Gesetz diesen Fall vielmehr als Möglichkeit ausdrücklich geregelt hat (vgl. Art. 18a Abs. 12 Satz 3 GO).
29
Dieser Abwehranspruch ist im Gesetz in Art. 18a Abs. 9 GO (keine dem Bürgerbegehren entgegenstehenden Entscheidungen) und Abs. 15 (Darstellung der Auffassungen von Vertretern des Bürgerbegehrens und der Gemeinde nur in gleichem Umfang) angelegt. In den Vorschriften geht es um die Gedanken der Waffengleichheit und Verhinderung. Beide Aspekte beziehen sich allgemein auf das Handeln der Verwaltung und nicht ausschließlich auf konkurrierende Ratsbegehren. Auch die Zulassungsentscheidung des Gemeinderats über ein konkurrierendes Bürgerbegehren kann einschränkend im oben genannten Sinn sein. Eine Besonderheit ergibt sich dabei nicht daraus, dass ein konkurrierendes Begehren von Bürgern und nicht von Gemeinderäten getragen wird, da auch das konkurrierende Begehren nur dann stattfinden darf, wenn es zu Recht zugelassen wurde.
30
Der Abwehranspruch geht indessen nicht so weit, dass jede Frage fehlender Zulässigkeit des konkurrierenden Begehrens gerügt werden kann. Vielmehr hat das Bürgerbegehren das Recht auf Schutz seiner Erfolgsaussichten vor einer unzulässigen Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit der Abstimmenden.
31
b) Die Antragsteller wollen mit ihren Anträgen die Antragsgegnerin zu einem Unterlassen bzw. Tätigwerden verpflichten, das auf die Verhinderung der Durchführung des konkurrierenden Bürgerentscheids am 17. Mai 2020 gerichtet ist. Ein Anspruch auf ein solches „Einschreiten“ der Antragsgegnerin bestünde allenfalls dann, wenn die Antragsteller durch die Zulassung des konkurrierenden Bürgerbegehrens in ihrem oben genannten Recht auf Schutz ihrer Erfolgsaussichten beeinträchtigt würden. Vorliegend ist jedoch keine der von den Antragstellern geltend gemachten Einwendungen geeignet, die Entscheidungsfreiheit der Bürger bei der Abstimmung zu beeinflussen und damit auch die Erfolgsaussichten des Bürgerentscheids über das Bürgerbegehren der Antragsteller zu schmälern.
32
aa) Soweit die Antragsteller geltend machen, die Antragsgegnerin habe auf dem Stimmzettel bestimmte Passagen der Fragestellung fett gedruckt und unterstrichen, wodurch sie die Abstimmenden beeinflussen könne und ihre „Neutralitätspflicht“ verletze, enthält die endgültige Fassung des Stimmzettels diese optischen Veränderungen der Fragestellung nicht mehr.
33
bb) Durch die Änderung des Titels des Bürgerbegehrens der Antragsteller (von „Ja zu einem chancenreichen und gewinnbringenden Gewerbegebiet“ zu „Lebenswertes … - Ja zu einem chancenreichen und gewinnbringenden Gewerbegebiet“) wird die Entscheidungsfreiheit der Bürger nicht zum Nachteil der Antragsteller beeinflusst. Zum einen ist zu beachten, dass den Antragstellern der entsprechende Entwurf des Stimmzettels zur Prüfung vorgelegt wurde, sie aber nicht gefordert haben, „Lebenswertes …“ zu streichen. Zum anderen steht der auf den Unterschriftenlisten befindliche offizielle Name des Bürgerbegehrens nach wie vor auf dem Stimmzettel. Er wurde lediglich durch den Namen ergänzt, unter dem die Bürgerinitiative in der Öffentlichkeit auftritt (vgl. die Homepage https://www.…de/). Die Gefahr, dass dadurch bei den Abstimmenden der falsche Eindruck erweckt werde, das Bürgerbegehren der Antragsteller strebe primär nicht die gewerbliche Entwicklung, sondern die Erhaltung von … an, ist gering, denn ein Blick auf die Fragestellung macht deutlich, welches Ziel das Bürgerbegehren der Antragsteller verfolgt.
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cc) Die Bürger werden auch nicht dadurch in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinflusst, dass die Fragestellung des konkurrierenden Bürgerentscheids nicht hinreichend bestimmt wäre. Die Fragestellung des Bürgerbegehrens muss so bestimmt sein, dass die Bürger erkennen können, für oder gegen was sie ihre Stimme abgeben und wie weit die Bindungswirkung des Bürgerentscheids nach dessen Entscheidungsinhalt reicht (BayVGH, U.v. 17.5.2017 - 4 B 16.1856 - juris Rn. 24). Es ist zulässig, dass der Inhalt einer Frage durch Auslegung zu ermitteln ist. Hierbei hält die Rechtsprechung eine „wohlwollende Tendenz“ für gerechtfertigt, damit das Rechtsinstitut des Bürgerbegehrens für den Bürger handhabbar bleibt, solange nur das sachliche Ziel des Begehrens klar erkennbar ist. Für die Auslegung ist der objektive Erklärungsinhalt entscheidend, wie er in der Formulierung und Begründung der Frage zum Ausdruck gebracht wird und von den Unterzeichnern verstanden werden konnte und musste (BayVGH, B.v. 25.6.2012 - 4 CE 12.1224 - juris Rn. 27; Suebaum/Retzmann in BeckOK, Kommunalrecht Bayern, 5. Ed., Stand: 01.03.2020, Art. 18a GO Rn. 19; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, 29. EL Mai 2018, Art. 18a Rn. 21).
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Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Fragestellung des Bürgerbegehrens „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ bestimmt genug, insbesondere stimmt sie mit der aktuellen Beschlusslage des Gemeinderats der Antragsgegnerin überein und ist deshalb nicht geeignet, beim Bürger Verwirrung auszulösen. Selbst wenn der Bürger über die aktuellen Beschlusslage des Gemeinderats der Antragsgegnerin nicht informiert seien sollte, wird aus der Formulierung der Frage hinreichend klar, welches Ziel das Bürgerbegehren verfolgt: Das Planungsverfahren soll fortgesetzt werden mit dem Ziel, das Gebiet West I als Sondergebiet und das Gebiet West II als Gewerbegebiet auszuweisen. Auch der Bürger, der über die aktuelle Beschlusslage des Gemeinderats informiert ist, wird durch die Formulierung der Frage nicht verwirrt, denn diese steht in Einklang mit der aktuellen Beschlusslage. Ursprünglich waren beide Gebiete als Industriegebiete geplant. Im Januar 2020 beschloss der Gemeinderat, das Gebiet West I als Sondergebiet auszuweisen. An der Ausweisung des Gebietes West II als Industriegebiet wurde festgehalten. Insoweit spricht die Frage korrekt vom „Sondergebiet … West I“ und von „entgegen der bisherigen Beschlusslage ‚Gewerbegebiet … West II‘ “.
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dd) Die Unterschriftenlisten des Bürgerbegehrens „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ entsprechen zwar nicht den Anforderungen des Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO, jedoch hat dieser formelle Fehler keine Auswirkungen auf die Entscheidungsfreiheit der Bürger und damit auf die Erfolgsaussichten des Bürgerentscheids der Antragsteller. Nach Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO muss das Bürgerbegehren eine mit Ja oder Nein zu entscheidende Fragestellung und eine Begründung enthalten sowie bis zu drei Personen benennen, die berechtigt sind, die Unterzeichnenden zu vertreten. Rechtsprechung und Kommentarliteratur sind sich einig, dass die nach Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO erforderlichen Angaben auf jeder einzelnen Unterschriftenliste vorhanden sein müssen (BayVGH, B.v. 8.7.1996 - 4 CE 96.2182 - juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 6.11.2000 - 4 ZE 00.3018 - juris Rn. 12; Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Stand: 2009, Art. 18a Abs. 4 GO, 1 a) bb; Suebaum/Retzmann in BeckOK, Kommunalrecht Bayern, 5. Ed., Stand: 01.03.2020, Art. 18a GO Rn. 34; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, 29. EL Mai 2018, Art. 18a Rn. 24; Wachsmuth in PdK Bayern, GO, 2.3.5.1 Unterschriftenlisten). In diesem Sinn war auch § 2 Abs. 3 der Satzung der Antragsgegnerin zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid (BBS) vom 23. Januar 1997 formuliert, die jedoch am 23. März 2020 aufgehoben und der Zulässigkeitsprüfung der Bürgerbegehren nicht zugrunde gelegt wurde.
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Die einzelnen Unterschriftenlisten des Bürgerbegehrens „Für Fortschritt und Entwicklung in …“ enthalten weder die Fragestellung, noch die Begründung, noch die Benennung der Vertreter des Bürgerbegehrens. Stattdessen findet sich auf den Unterschriftenlisten folgende Verweisung: „Ich unterstütze das auf Seite 1 und Seite 2 abgedruckte Bürgerbegehren für Fortschritt und Entwicklung in … Die Fragestellung und Begründung sind ebenfalls auf den Seiten 1 und 2 abgedruckt!“. Eine solche Verweisung genügt nicht den Anforderungen des Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO. Jedoch hat ein solcher rein formelle Verstoß keine Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit der Bürger zur Folge.
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ee) Eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Bürger ergibt sich nicht aus der behaupteten Verletzung des Anbindungsgebots. Ob die Planung mit den Zielen des Landesentwicklungsprogramms vereinbar ist, hat schon thematisch keinen Bezug zur Entscheidungsfreiheit der Gemeindebürger.
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Im Übrigen kann die nach § 1 Abs. 4 BauGB vorgeschriebene Anpassung der Bauleitplanung an die Ziele der Raumordnung, insbesondere die Vereinbarkeit mit dem Anbindungsgebot, im laufenden Planungsprozess noch verwirklicht werden. In diese Richtung geht auch die Stellungnahme der höheren Landesplanungsbehörde vom 18. November 2019, die darauf hinweist, dass die Planung entsprechend zu überarbeiten sei.
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ff) Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, dass die geltend gemachten Verstöße gegen das Sachlichkeits- bzw. Neutralitätsgebot die Entscheidungsfreiheit der Gemeindebürger maßgeblich beeinträchtigt.
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Der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin hat sich in öffentlichen Stellungnahmen zu dem konkurrierenden Bürgerbegehren geäußert und dabei von den Möglichkeiten seines Amtes Gebraucht gemacht. Diese Äußerungen sind der Antragsgegnerin zuzurechnen (BayVGH, B.v. 24.5.2006 - 4 CE 06.1217 - juris). Die von den Antragstellern gerügten Äußerungen zeigen zwar eine klare Präferenz des ersten Bürgermeisters der Antragsgegnerin zu Gunsten des konkurrierenden Begehrens. Die Antragsteller konnten insoweit jedoch nicht glaubhaft machen, dass die Entscheidungsfreiheit der Gemeindebürger zu ihren Lasten verzerrt wird.
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Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat für Verfahren der Volksgesetzgebung entschieden, dass das bei Wahlen das für den Staat und die Gemeinden geltende Neutralitätsgebot in diesem Fall nicht gilt und an seine Stelle ein Sachlichkeitsgebot (Objektivitätsgebot) tritt. Dieses Sachlichkeitsgebot gilt auch für den Bürgerentscheid, da es sich auch insoweit um eine vergleichbare Institutionen der direkten Demokratie handelt. „Bei einer Verletzung des Sachlichkeitsgebots können die Vertreter des Bürgerbegehrens regelmäßig nur verlangen, dass etwa eine unausgewogene Darstellung korrigiert oder in einer bevorstehenden Informationsveranstaltung eine korrekte Darstellung von Für und Wider zu der Sachfrage, die Gegenstand des Bürgerentscheids ist, vorgenommen wird“ (BayVGH, B.v. 25.9.2009 - 4 CE 09.2403 - juris Rn. 9 m.w.N.). Im vorliegenden Fall zielt das Antragsbegehren auf Nichtauswertung der Stimmen bzw. auf die Verlegung des Termins.
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Die Äußerungen des ersten Bürgermeisters zeigen vorliegend lediglich die Präferenz der Gemeindeverwaltung auf, die die Leistung des konkurrierenden Bürgerbegehrens zur Unterschriftensammlung positiv würdigt, sodann aber allgemein zur Abstimmung aufruft. Dass sich hieraus schon eine maßgebliche Einschränkung der Entscheidungsfreiheit ergibt, ist nicht ersichtlich.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Die Beigeladenen haben keinen Anspruch auf Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten gemäß § 162 Abs. 3 VwGO, da sie keine Anträge gestellt haben.
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4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG. Der Streitwert bei einem Bürgerbegehren ist entsprechend der Empfehlung Nr. 22.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 mit 15.000,00 EUR zu beziffern. In vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist der Streitwert entsprechend Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts zu erhöhen, da die beantragte einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen hätte.