Inhalt

VGH München, Beschluss v. 08.02.2019 – 10 C 18.1641
Titel:

Aufenthaltserlaubnis und Duldung

Normenketten:
AufenthG § 5 Abs. 1, Abs. 2, § 10 Abs.3, § 25, § 60a Abs. 2, Abs. 5 S. 2, § 95 Abs. 2 Nr. 2,
GG Art. 6
EMRK Art. 8, Art. 8
GKG § 3 Abs. 2
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
StGB § 78 Abs. 3 Nr. 4
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Beim Widerruf einer befristet erteilten Duldung ist der Zeitpunkt des Ablaufs der Gültigkeitsdauer für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich, wenn er vor dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts liegt. (Rn. 4)
Schlagworte:
Ausländerrecht, Widerruf einer Duldung, Aufenthaltserlaubnis, Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens, überschaubarer Trennungszeitraum, Ausweisungsinteresse, unrichtige und unvollständige Angaben zur Erlangung einer Duldung, Befristete Duldung
Vorinstanz:
VG Augsburg, Entscheidung vom 12.07.2018 – Au 1 K 18.347
Fundstellen:
DÖV 2019, 571
ZAR 2019, 206
LSK 2019, 2247
BeckRS 2019, 2247

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

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Die Beschwerde des Klägers gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 12. Juli 2018 ist zulässig, aber unbegründet.
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Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. An dieser Voraussetzung fehlt es hier.
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1. Soweit der Kläger im Wege einer Anfechtungsklage die Aufhebung des mit Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 2018 verfügten Widerrufs der ihm am 9. Mai 2017 erteilten und bis 15. August 2018 gültigen Duldung begehrt, ist das Verwaltungsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für den Widerruf der Duldung nach § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG aufgrund des Entfallens der Passlosigkeit des Klägers und mangels Vorliegens anderweitiger Duldungsgründe gegeben sind.
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Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist insofern grundsätzlich der Zeitpunkt der Bewilligungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr; vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 16.11.2018 - 10 C 18.2094 - juris Rn. 9; B.v. 10.1.2016 - 10 C 15.724 - juris Rn. 14 m.w.N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme oder Abgabe einer Stellungnahme ein (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007- 10 C 39.07 u.a. - juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 10.1.2016 - 10 C 15.724 - juris Rn. 14). Etwas anderes in Bezug auf den maßgeblichen Zeitpunkt ergibt sich vorliegend auch nicht daraus, dass ausnahmsweise dann nicht der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, sondern der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über diesen Antrag für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten maßgeblich ist, wenn sich nach dem Eintritt der Bewilligungsreife die Sach- und Rechtslage zugunsten des Klägers geändert hat und die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung infolge dieser Änderung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2018 - 10 C 17.322 - juris Rn. 6 m.w.N.). Denn beim Widerruf einer zeitlich befristeten Duldung ist wie im Falle eines Widerrufs oder einer Rücknahme eines zeitlich befristeten Aufenthaltstitels für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt des Ablaufs der ursprünglichen Geltungsdauer des (befristeten) Aufenthaltstitels bzw. hier der (befristeten) Duldung abzustellen (zum maßgeblichen Zeitpunkt für die gerichtlichen Überprüfung des Widerrufs einer befristeten Aufenthaltserlaubnis vgl. bereits BayVGH, U.v. 29.11.2016 - 10 B 14.2060 - juris Rn. 18 m.w.N.; B.v. 16.8.2011 - 10 CS 11.432 - juris Rn. 30; BVerwG, B.v. 22.5.2013 - 1 B 25.12 - juris Rn. 6). Einer Einbeziehung tatsächlicher Entwicklungen nach Erlass des angegriffenen Verwaltungsaktes bedarf es nicht, wenn die nachträglich eingetretenen Tatsachen sich auf den angegriffenen Verwaltungsakt nicht mehr auswirken können, sondern Bedeutung lediglich für die Neuerteilung oder Verlängerung der abgelaufenen Duldung haben (zum Fall einer nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer eines Aufenthaltstitels vgl. BVerwG, B.v. 22.5.2013 - 1 B 25.12 - juris --Ls-; Rn. 6 m.w.N.).
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So liegt der Fall hier: Nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der Duldung am 15. August 2018 eingetretene Umstände - wie hier die Geburt eines weiteren Kindes deutscher Staatsangehörigkeit am 23. September 2018 - können keine Berücksichtigung mehr finden. Mit Ablauf der Geltungsdauer trat Erledigung ein (vgl. Bruns in NK-Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 60a Rn. 47). Ausgehend hiervon hat das Verwaltungsgericht zutreffend befunden, dass keine sonstigen Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG gegeben sind. Zwar ist nach Lage der Akten vom Bestehen einer familiären Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinem minderjährigen Kind sowie seiner Verlobten auszugehen. Auch hat der Kläger am 24. Mai 2018 eine Sorgerechtserklärung für das erstgeborene Kind abgegeben. Dennoch ist er auf die Durchführung des Visumverfahrens zu verweisen, wozu er als erfolgloser Asylbewerber grundsätzlich verpflichtet ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2018 - 10 CE 18.2177 - juris Rn. 26 m.w.N.). Allein der Umstand, dass Familienangehörige eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssten, würde für eine Unzumutbarkeit auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Familie durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK noch nicht ausreichen (vgl. etwa BayVGH, B.v. 19.6.2018 - 10 CE 18.993, 10 C 18.994 - juris Rn. 5; B.v. 21.7.2015 - 10 CS 15.859 u.a. - juris Rn. 67; zum Ehegattennachzug BVerwG, Vorlagebeschluss v. 26.1.2017 - 1 C 1.16 - juris Rn. 36).
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Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall weder die Dauer des Visumverfahrens von Pakistan aus noch die vorübergehende Trennung des Klägers von seinem minderjährigen Kind und seiner Verlobten als besondere Umstände des Einzelfalls zu werten sind, die die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar machten. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es im Verantwortungsbereich des Klägers liege, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Die Beklagte hat insofern eine entsprechende Hilfestellung in Aussicht gestellt. Bezüglich der Dauer des Visumverfahrens und der Wartezeiten beispielsweise für eine Terminbestätigung der deutschen Botschaft in Pakistan befindet sich der Kläger im Übrigen in keiner anderen Situation als andere Betroffene, die in Fällen der Familienzusammenführung das Visumverfahren ordnungsgemäß vom Ausland aus durchführen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2018 - 10 CE 18.993, 10 C 18.944 - juris Rn. 5), wobei nach dem Vortrag der Beklagten eine relativ kurzfristige Terminvereinbarung zur Vorsprache bei der deutschen Auslandsvertretung in Pakistan (hier: zwei Monate) realistisch erscheint. Demzufolge kann im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, dass die Trennungszeit für die Durchführung des Visumverfahrens nicht absehbar sei bzw. über einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum hinausginge.
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2. Die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat ebenfalls keine hinreichenden Erfolgsaussichten.
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a) Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge für einen minderjährigen ledigen Deutschen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG steht die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Danach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag - wie im Falle des Klägers - unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnittes 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden. Dem Kläger kommt vorliegend auch nicht die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG zugute, wonach im Falle eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG keine Anwendung findet. Denn ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in diesem Sinne setzt einen strikten Rechtsanspruch voraus, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben muss. Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 27 m.w.N.).
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Ein solcher strikter Rechtsanspruch steht dem Kläger aber nicht zur Seite, da er ohne das erforderliche Visum eingereist ist und demzufolge die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2018 - 10 C 18.1497 - juris Rn. 19). Zwar kann hiervon gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Da diese Entscheidung aber im Ermessenswege zu treffen ist, liegt kein gebundener Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vor.
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Darüber hinaus spricht vorliegend auch viel dafür, dass in der Person des Klägers ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 i.V.m. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG besteht. Er hat unrichtige Personalangaben zur Erlangung einer Duldung sowie wahrheitswidrige Angaben bezüglich des (Nicht-) Vorliegens eines Passes zum Abwenden des Erlöschens, hier des Widerrufs, seiner Duldung gemacht (vgl. BGH, B.v. 2.9.2009 - 5 StR 266/09 - juris Rn. 19, 22; Hohoff in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.11.2018, Rn. 91; Hörich in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Auflage 2016, § 95 Rn. 235). Auf die Passpflicht wurde der Kläger nach rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens mit Schreiben der Ausländerbehörde vom 16. November 2012 hingewiesen (Bl. 121 der Behördenakte). Er hat die Beklagte aber erst, nachdem er sie am 2. Dezember 2016 über seine wahre Identität in Kenntnis gesetzt hatte, mit Schriftsatz seines damaligen Bevollmächtigten vom 27. Januar 2017 darüber informiert, dass er einen mittlerweile „abgelaufenen“ pakistanischen Pass gehabt hätte, den er Verwandten vor seiner Ausreise aus Griechenland zur Verwahrung überlassen habe. Ausgehend von einer absoluten Verjährungsfrist von zehn Jahren gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4, § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB bestehen im Hinblick auf das hohe öffentliche Interesse an der Verhinderung von Verstößen gegen die Vorlage- und Aushändigungspflichten in asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahren (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 28.12.2018 - 10 ZB 18.1154 - juris 9) keine durchgreifenden Zweifel an der Aktualität des Ausweisungsinteresses.
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b) Nachdem, wie dargelegt, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht gegeben sind, scheidet die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG ebenfalls aus (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 - 10 C 18.1782 - juris Rn. 7; B.v. 24.1.2019 - 10 CE 18.1871, 10 C 18.1874 - Rn. 25; Maaßen/Kluth in BeckOK, Ausländerrecht, Kluth/ Heusch, Stand 1.11.2018, § 25 Rn. 148), und zwar unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 - 10 C 18.1782 - juris Rn. 7; NdsOVG, U.v. 8.2.2018 - 13 LB 43/17 - ZAR 2018, 176; OVG Bremen, U.v. 16.3.2017 - 1 B 21/17 - BeckRS 2017, 105559; VGH BW, U.v. 13.12.2010 - 11 S 2359/10 - InfAuslR 2011, 250).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).