Titel:
Hinweisbeschluss zur Zwangshaft vor Vollstreckung eines Zwangsgeldes
Normenkette:
ZPO § 308
Leitsätze:
1. Die Besonderheiten des Patentrechts machen es erforderlich, dass nach dem Verhängen eines ersten Zwangsgeldes eine Zwangshaft bereits dann verhängt werden kann, wenn das erste Zwangsgeld noch nicht vollstreckt ist. (redaktioneller Leitsatz)
2. Für einen wiederholten Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgeldes fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der erste Antrag noch nicht vollstreckt wurde (Anschluss an OLG München BeckRS 2007, 32942). (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein schutzwürdiges Interesse an einer wiederholten Zwangsmittelfestsetzung ist wegen des Charakters von Zwangsgeld als Beugemittel nur gegeben, wenn das zuvor angeordnete Zwangsgeld entweder gezahlt oder vollstreckt ist (Anschluss an BGH BeckRS 2018, 28289). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zwangsgeld, Zwangshaft, Auskunftspflicht, Vollstreckung, Rechtsschutzbedürfnis, Patentrecht, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 03.04.2025 – 7 O 12401/24
Rechtsmittelinstanzen:
LG München I, Beschluss vom 10.12.2025 – 7 O 12401/24-ZM
OLG München vom -- – 6 U 1589/25e
Fundstelle:
GRUR-RS 2025, 31964
Tenor
1. Die Vollstreckungsschuldnerin wurde mit Urteil der Kammer vom 3. April 2025, Az. wie oben, verurteilt, folgende Auskünfte zu erteilen und Rechnung zu legen:
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter Ziff. I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 21. Juni 2017 begangen hat, und zwar unter Angabe
a. der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b. der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c. der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden; wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, höchst hilfsweise Zollpapiere) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter Ziff. I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 21. Juli 2017 begangen hat, und zwar unter Angabe
a. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und preisen einschließlich der Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
b. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und preisen einschließlich der Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
c. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns; wobei die Aufstellung mit den Daten der Auskunft (I.2.) und Rechnungslegung (I.3.) zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist; und es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
Die Vollstreckungsgläubigerin leistete am 20. Mai 2025 die im Urteil festgesetzte Vollstreckungssicherheit durch Hinterlegung beim Amtsgericht München und forderte die Schuldnerin mit Schreiben vom 3. Juni 2025 unter Fristsetzung bis zum 24. Juni 2025 zur Erteilung der Auskünfte auf.
Diese Auskunft verweigerte die Schuldnerpartei hinsichtlich der Ziffern I. 2. b), I. 2 c), I. 3 a) und I. 3. d) unter Verweis darauf, dass die Erfüllung der Auskunftspflicht im dargestellten Umfang „kartellrechtlich bedenklich“ sei. Hinsichtlich Ziffer I. 3. b) gab die Schuldnerpartei an, erfolglose Angebote seien nicht separat erfasst worden, so dass ihr die Auskunft insoweit nicht möglich sei.
Mit Schriftsatz vom 25. August 2025 beantragte die Vollstreckungsgläubigerin die Verhängung eines Zwangsgeldes, ersatzweise Zwangshaft.
2. Mit Beschluss vom 17. September 2025 verhängte die Kammer gegen die Vollstreckungsschuldnerin zur Erzwingung der Auskünfte ein Zwangsgeld von 15.000,00 EUR, ersatzweise Zwangshaft.
3. Die Vollstreckungsschuldnerin legte gegen den Beschluss vom 10. Oktober 2025 sofortige Beschwerde ein. Die Kammer half der Beschwerde mit Beschluss vom 11. November 2025 nicht ab und legte die sofortige Beschwerde dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung vor.
4. Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2025 beantragte die Vollstreckungsgläubigerin die Festsetzung eines weiteren Zwangsgelds, im Falle der Nichtbeitreibung Zwangshaft, da die Schuldnerpartei ihrer Verpflichtung zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung weiterhin nicht nachkomme.
5. Die Vollstreckungsschuldnerin beantragt mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2025 die Zurückweisung des weiteren Zwangsmittelantrags. Sie ist der Ansicht, dem zweiten Antrag auf Verhängung eines Zwangsgeldes fehle es an einem Rechtsschutzbedürfnis. Ein erneuter Zwangsmittelantrag wegen Nichtvornahme derselben Auskunft sei nur zulässig, wenn das bereits festgesetzte Zwangsmittel gegen den Schuldner ergebnislos vollstreckt worden sei, ohne dass dieser vollständig Rechnung gelegt habe. Insbesondere dürfe die Gläubigerin Zwangsmittelbeschlüsse gegen die Schuldnerin nicht „sammeln“.
Die Kammer weist darauf hin, dass die Besonderheiten des Patentrechts es erforderlich machen, dass nach dem Verhängen eines ersten Zwangsgeldes zumindest eine Zwangshaft auch bereits dann verhängt werden können muss, wenn das erste Zwangsgeld noch nicht vollstreckt ist. Dies ergibt sich aus einer Betrachtung der Interessen beider Parteien und dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
1. Die Vollstreckungsschuldnerin hat zurecht darauf hingewiesen, dass das OLG München mit Beschluss vom 27. Juli 2007 (Beck-RS 2007, 329432) festgestellt hat, dass es einem wiederholten Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgeldes dann an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der erste Antrag noch nicht vollstreckt wurde. Der genaue Sachverhalt ist nicht bekannt, jedoch folgt aus der Begründung des Beschlusses, dass die dortige Vollstreckungsschuldnerin ihren Sitz in der Volksrepublik China hatte, wo die „gerichtsbekannt faktische Unmöglichkeit“ bestehe „Zwangsvollstreckung zu betreiben“. Nach den Feststellungen des Senats hatte die dortige Gläubigerin keine Möglichkeit, von den erlangten Gerichtsbeschlüssen in irgendeiner Art und Weise Gebrauch zu machen. Die dortige Gläubigerin habe die Meinung vertreten, allein der Druck weiterer Zwangsgeldbeschlüsse werde dazu führen, dass die dortigen Schuldner geneigt sein würden, die geschuldeten Handlungen vorzunehmen. Nach Ansicht des Senats sei die Auffassung der Gläubigerin mit der Lebenserfahrung nicht in Einklang zu bringen gewesen.
In seiner Entscheidung vom 13. September 2019 (NJW 2019, 231) kommt der Bundesgerichtshof ebenfalls zu dem Ergebnis, dass ein schutzwürdiges Interesse an einer wiederholten Zwangsmittelfestsetzung nur gegeben ist, wenn das zuvor angeordnete Zwangsgeld entweder gezahlt oder vollstreckt ist. Dieses Ergebnis wird mit dem Charakter des Zwangsgelds als Beugemittel begründet.
2. Es ist fraglich, ob das Rechtschutzbedürfnis hinsichtlich der Verhängung eines zweiten Zwangsgelds dann vorliegt, wenn die Vollstreckungsgläubigerin alles in ihrer Macht Stehende zur Vollstreckung des Zwangsgeldbeschlusses getan hat. Um eine effektive Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen, dürfte jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden hinsichtlich einer Zwangshaft ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen.
Die Gläubigerin hat ein Interesse daran, die begehrte Auskunft zeitnah zu bekommen, um Maßnahmen treffen zu können, um den patentverletzenden Zustand zu beenden.
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass eine Partei, die in einem erstinstanzlichen Urteil zu einer Auskunfts- und Rechnungslegung verurteilt wird, diesem Gebot nachkommt, soweit die weiteren Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen. Soweit es insofern Unklarheiten und Verzögerungen gibt, kann ggf. die Verhängung eines Zwangsgeldes dazu führen, dass sich diese Partei ihrer Pflichten bewusst wird.
Innerhalb des Rahmens von § 308 ZPO steht die Wahl zwischen Zwangsgeld um Zwangshaft im Ermessen des Gerichts. Bei der Wahl des Zwangsmittels gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, folglich ist die Zwangshaft so lange nicht zu verhängen, als ein Zwangsgeld ausreichend erscheint, um den Willen des Schuldners zu beugen (Gruber, MüKoZPO, 7. Auflage, § 888 Rn. 29). Daher wird in aller Regel zuerst ein Zwangsgeld verhängt werden, weil eine sofortige Verhängung einer Zwangshaft unverhältnismäßig wäre.
Dies kann aber nicht dazu führen, dass der Schuldner faktisch seinen Pflichten dadurch entgeht, dass er die Vollstreckung des zuerst verhängten Zwangsgeldes herauszögert. Insofern ist insbesondere zu sehen, dass der maximale Zwangsgeldbetrag in Höhe von 25.000 Euro so niedrig ist, dass er gegenüber international tätigen Unternehmen in tatsächlicher Hinsicht keine Sanktions- oder Beugewirkung hat.
Deshalb muss es möglich sein, dass nach einem wirkungslos verhängten Zwangsgeld ohne weiteres Zwangshaft verhängt werden kann, um dem Auskunftsschuldner seine Pflichten bewusst zu machen. Allerdings setzt die Verhängung einer Zwangshaft eine wertende Entscheidung des zur Vollstreckung angerufenen Gerichts voraus. In der Regel wird eine Zwangshaft nur dann verhängt werden können, wenn der Schuldner seine Pflichten besonders grob verletzt hat. Dies wird bei einer im Raume stehenden Auskunftspflicht zumeist nur dann der Fall sein, wenn nur derart rudimentäre Auskünfte erteilt werden, dass im Kern eine vollständige Verweigerungshaltung vorliegt.
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme von 2 Wochen.