Inhalt

LG München I, Beschluss v. 26.09.2025 – 21 O 12112/25
Titel:

Einstweilige Maßnahmen gegen die (befürchtete) Anordnung einer Interimslizenz durch den UK High Court

Normenkette:
BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Die Beantragung einer vorläufigen Anordnung des UK High Court, die der Antragstellerin aufgibt, der Antragsgegnerin eine Interimslizenz an Patenten der Antragstellerin zu gewähren, und/oder die Beantragung einer vorläufigen Anordnung auf Feststellung, dass die Antragstellerin gegen RAND-Verpflichtungen verstößt, wenn sie der Antragsgegnerin keine Interimslizenz zu den von dem UK High Court festgelegten Konditionen gewährt, stellt eine Beeinträchtigung der eigentumsähnlichen Rechtsposition der Patentinhaberin gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, wenn und soweit Patente der Antragstellerin betroffen sind, die für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt und validiert sind.  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfügungsanspruch, Erstbegehungsgefahr, Interimslizenz, Patentverletzungsklage, (F)RAND-Verpflichtungen, Lizenzunwilligkeit
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Berichtigungsbeschluss vom 01.10.2025 – 21 O 12112/25
Fundstelle:
GRUR-RS 2025, 31131

Tenor

I. Den Antragsgegnerinnen wird bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann –, die Ordnungshaft oder Ersatzordnungshaft zu vollziehen an einem vertretungsberechtigten Organ der jeweiligen Antragsgegnerin,
untersagt,
1. beim UK High Court eine vorläufige Anordnung zu beantragen, die den Antragstellerinnen aufgibt, den Antragsgegnerinnen eine Interimslizenz an Patenten der Antragstellerinnen zu gewähren, die für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt und validiert sind;
2. beim UK High Court eine vorläufige Anordnung zu beantragen, festzustellen, dass die Antragstellerinnen gegen RAND-Verpflichtungen verstoßen, wenn sie den Antragsgegnerinnen keine Interimslizenz an Patenten der Antragstellerinnen zu den von dem UK High Court festgelegten Konditionen gewähren würde, die für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt und validiert sind;
3. etwaige Anträge nach Ziffer 1 und 2 innerhalb einer Frist von 24 Stunden nach Zustellung dieses Verfügungsbeschlusses nicht zurückzunehmen oder andere prozessuale Mittel nicht zu ergreifen, um sie mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland endgültig zu widerrufen;
4. ein etwaiges Interimslizenz-Verfahren mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland außer zum Zweck der Antragsrücknahme weiter zu betreiben;
5. den Antragstellerinnen durch eine gerichtliche oder behördliche Anordnung gerichtet auf Untersagung des vorliegenden Verfahrens mittelbar verbieten zu lassen, Patentverletzungsverfahren aus ihren Patenten in der Bundesrepublik Deutschland zu führen und/oder daraus resultierende Urteil zu vollstrecken;
wobei die vorstehenden Untersagungen auch umfassen, auf konzernverbundene Gesellschaften unter Ausschöpfung konzernrechtlicher Möglichkeiten entsprechend einzuwirken.
II. Die Antragsgegner haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.000.000,00 € festgesetzt.
IV. Die folgenden Informationen der Antragstellerinnen werden als geheimhaltungsbedürftig im Sinne des § 145a PatG i.V. mit § 16 Abs. 1 GeschGehG eingestuft:
- die grau hinterlegten Ausführungen in der Antragsschrift vom 24.09.2025
sowie
- die mit diesem Schriftsatz als „vertraulich“ gekennzeichneten Anlagen AR1 bis AR3 und AR5/6 sowie AR8/9,
die tabellarisch wie folgt zusammengefasst sind:
V. Die Parteien, ihre Prozessvertreter, Zeugen, Sachverständige, sonstige Vertreter und alle sonstigen Personen, die an dem vorliegenden Verfahren beteiligt sind oder die Zugang zu Dokumenten eines solchen Verfahrens haben, müssen die als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen gemäß Ziffer IV vertraulich behandeln und dürfen diese außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens nicht nutzen oder offenlegen, es sei denn, dass sie von diesen außerhalb des Verfahrens Kenntnis erlangt haben.
Diese Verpflichtungen bestehen auch nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens fort. Dies gilt nicht, wenn das Gericht der Hauptsache das Vorliegen des streitgegenständlichen Geschäftsgeheimnisses durch rechtskräftiges Urteil verneint hat oder sobald die streitgegenständlichen Informationen für Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit solchen Informationen umgehen, bekannt oder ohne Weiteres zugänglich werden.
VI. Das Gericht kann gegen einen Verpflichteten für jeden schuldhaften Verstoß gegen die Vertraulichkeitspflicht gemäß Ziffern IV bis V ein Ordnungsgeld bis zu 100.000,00 € oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten verhängen und sofort vollstrecken.
VII. Dritten, die ein Recht auf Akteneinsicht haben, darf nur ein Akteninhalt zur Verfügung gestellt werden, in dem die Geschäftsgeheimnisse gemäß Ziffer IV enthaltenden Ausführungen unkenntlich gemacht wurden.
VIII. Vor einer Veröffentlichung der Urteilsgründe oder sonstiger Verlautbarungen ist jede darin enthaltene Information, die die gemäß Ziffer IV als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen betreffen, zu schwärzen.
IX. Mit dem Beschluss ist zuzustellen: Antragsschrift vom 24.09.2025.

Gründe

1
Wegen des Sachverhaltes und der Begründung wird zunächst auf die Antragsschrift vom 24.09.2025 sowie die damit vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
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1. Der Verfügungsanspruch ist glaubhaft gemacht.
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Es besteht Erstbegehungsgefahr für einen rechtswidrigen Eingriff in die eigentumsähnliche Rechtsposition der Antragstellerinnen aufgrund ihrer auch für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten und dort validierten europäischen Patente.
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a) Die Beantragung einer vorläufigen Anordnung des UK High Court, die den Antragstellerinnen aufgibt, den Antragsgegnerinnen eine Interimslizenz an Patenten der Antragstellerinnen zu gewähren, und/oder einer vorläufigen Anordnung, festzustellen, dass die Antragstellerinnen gegen RAND-Verpflichtungen verstoßen, wenn sie den Antragsgegnerinnen keine Interimslizenz zu den von dem UK High Court festgelegten Konditionen gewähren würde, stellt eine Beeinträchtigung der eigentumsähnlichen Rechtsposition der Patentinhaber gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, wenn und soweit Patente der Antragstellerinnen betroffen sind, die für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt und validiert sind.
5
Durch die Gewährung einer solchen Interimslizenz durch den UK High Court wären die Antragstellerinnen für einen nicht unerheblichen Zeitraum von vornherein daran gehindert, die aus den Patenten folgenden Rechte vollumfänglich und mit Erfolg vor deutschen Gerichten geltend zu machen. Denn die Antragsgegnerinnen könnten sich dann voraussichtlich jedenfalls für den Zeitraum der „Interim Licence“ erfolgreich auf den Lizenzeinwand berufen und etwaige deutsche Patentverletzungsklagen der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin wären zumindest für diese Zeit insofern unbegründet.
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b) Dies gilt gleichermaßen für eine feststellende Anordnung, dass die Antragstellerinnen gegen (F)RAND-Verpflichtungen verstoßen, wenn sie keine Interimslizenz zu den von dem UK High Court festgelegten Konditionen gewähren würde.
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Durch eine derartige Anordnung wird es den Antragstellerinnen nur vermeintlich freigestellt, eine entsprechende Interimslizenz zu gewähren. Denn verbunden mit dieser Feststellung würde ihnen die Möglichkeit abgeschnitten, ihre aus den UK-Patenten folgenden Rechte, unterstellt diese Schutzrechte sind rechtsbeständig und verletzt, vollumfänglich und mit Erfolg vor UK-Gerichten geltend zu machen. Sie würden damit faktisch vor die Wahl gestellt, ob sie eine Einschränkung ihrer Rechte aus deutschen Patenten oder aus UK-Patenten hinnehmen möchten.
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c) Das Verhalten der Antragsgegnerinnen begründet Erstbegehungsgefahr im Hinblick auf eine drohende Beantragung einer entsprechenden vorläufigen Anordnung auch in Bezug auf Patente der Antragstellerinnen, die für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt sind.
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aa) Zwar haben die Antragsgegnerinnen in der Ratenfestsetzungsklage vom 29.08.2025 in den Claims (Anlage AR4, S. 33 f.) ihr Begehren derzeit lediglich auf dort die dort angegriffenen UK-Patente beschränkt.
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Die dortige Anträge lauten:
„(4) A declaration of licence terms (including royalty terms) to the Challenged Patents that are RAND as between … (including any such terms that are adjustable pending a full Court determination, if granted before such a determination).
(5) An order that … offer … a RAND Licence as declared by the Court (and/or onterms that are adjustable pending a full Court determination, if granted before such a determination).
(6) In the alternative to (5), if … refuses or declines to offer the RAND licence determined by the Court (including any such terms that are adjustable pending a full Court determination, if granted before such a determination), a declaration that … is in breach of its RAND Commitment and an unwilling licensor, and any damages arising from such breach.“
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Antrag (4) ist mithin lediglich auf eine Erklärung von RAND-Lizenzbedingungen für „Challenged Patents“ in UK beschränkt und die darauffolgenden Anträge (5) und (6) sind auf Antrag (4) rückbezogen.
„Challenged Patents“ sind derzeit die nationalen UK-Teile der EP(UK) …B1 („EP’ …“), EP(UK) …B1 („EP’ …“), EP(UK) …B1 („EP’ …“) und EP(UK) …B1 („EP’ …“).
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bb) Aus den Gesamtumständen ergibt sich jedoch für die Kammer, dass eine Ausweitung dieser Anträge auf das weltweite Patentportfolio der Antragstellerinnen, einschließlich der Patente, die für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt und validiert sind, unmittelbar droht.
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(1) So nehmen die Antragsgegnerinnen in der Begründung der Ratenfestsetzungsklage vom 29.08.2025 selbst auf das gesamte … Video-Portfolio, d.h. weltweit und einschließlich NEPs, Bezug (Anlage AR4, Rz. 84, 89, 92).
(2) …
(3) …
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(4) Schließlich ist gerichtsbekannt, dass entsprechende Anordnungen bezogen auf weltweite Interimslizenzen von den UK-Gerichten in anderen Verfahren in der Vergangenheit bereits erteilt wurden. Es ist nicht ersichtlich, dass die UK-Gerichte in der Zwischenzeit von dieser Praxis Abstand genommen haben.
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d) Die Kammer behält sich vor, eine Partei, die entsprechende Anträge auf vorläufige Anordnung der Verpflichtung zur Gewährung einer Interimslizenz und/oder Feststellung eines Verstoßes gegen (F)RAND-Verpflichtungen bei Nicht-Gewährung einer Interimslizenz zu den von einem ausländischen Gericht festgelegten Konditionen stellt und die hierbei Schutzrechte einbezieht, die für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt und validiert sind, als lizenzunwillig anzusehen (vgl. LG München I, Urteil vom 25.2.2021 – 7 O 14276/20).
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2. Soweit der Tenor im Umfang der Untersagung hinter dem Antrag der Antragstellerinnen zurückbleibt, handelt es sich lediglich um eine Konkretisierung unter Bestimmtheits- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten (§ 938 Abs. 1 ZPO). Eine Teilabweisung gegenüber dem Begehren der Antragstellerinnen ist damit nicht verbunden.