Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 29.07.2025 – 18 U 2190/24 e
Titel:

Umfang der Substantiierungspflicht bei der Geltendmachung von datenschutzrechtlicher Schadensersatzansprüche

Normenketten:
DSGVO Art. 22 Abs. 1, Art. 82
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1, § 522 Abs. 2
Leitsatz:
Ein Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO setzt voraus, dass die klagende Partei substantiiert vorträgt, welcher konkrete Verstoß gegen die DSGVO vorliegt, welcher Schaden daraus entstanden ist und dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Verstoß und Schaden besteht. Pauschale Angaben zu gescheiterten Verträgen, allgemeinen Beeinträchtigungen oder bloßen Interessen an einem höheren Scorewert genügen nicht, da die nationalen Gerichte jeden Einzelfall konkret prüfen müssen und die bloße Erstellung eines Scorewerts oder die Einrichtung einer Scoringsperre keinen Verstoß begründet.  (Rn. 12 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungsaussicht, Verfahrensfehler, Feststellungsinteresse, Schadensersatzanspruch, Datenschutzverstoß, Unterlassungsanspruch, Klageabweisung
Vorinstanz:
LG Traunstein, Endurteil vom 22.05.2024 – 6 O 2465/23
Fundstelle:
GRUR-RS 2025, 30053

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 22.05.2024, Az. 6 O 2465/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

1
Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung der Klagepartei offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
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Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dies zeigt die Berufungsbegründung nicht auf. Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen.
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Zur Begründung wird zunächst auf die zutreffenden und besonders sorgfältig begründeten Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen, die sich der Senat in vollem Umfang zu eigen macht. Das Berufungsvorbringen der Klagepartei gibt Veranlassung zu folgenden ergänzenden Ausführungen:
1. Verfahrensfehler
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Einen entscheidungserheblichen Verfahrensfehler im Sinne von § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO zeigt die Berufung nicht auf. Soweit der Kläger in der Berufungsbegründung rügt, dass das Landgericht die wirtschaftliche Bedeutung des Scorewerts und die behauptete marktbeherrschende Stellung der Beklagten unzureichend berücksichtigt habe, fehlt es bereits an Vortrag dazu, inwiefern dies zu einer anderen Entscheidung des Landgerichts geführt hätte.
2. Berufungsantrag zu I)
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Es kann offen bleiben, ob die gegenüber der ersten Instanz vorgenommene Präzisierung des Antrags auf die beklagtenseits vorgenommene Erstellung des Bonitätsscores der Klagepartei bereits in entsprechender Anwendung von § 524 Abs. 4 ZPO wirkungslos ist (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl., § 522 Rn. 37 m.w.N.). Denn auch der neu gestellte Berufungsantrag zu I) ist unzulässig.
6
Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten findet ein Scoring nicht anlasslos statt, sondern ein Scorewert wird tagesaktuell auf eine entsprechende Anfrage eines Vertragspartners hin erstellt, wobei sich die Scorewerte je nach Branche des Anfragenden und Vertragspartners auch unterscheiden können. Dem Antrag der Klagepartei fehlt es deshalb nach wie vor an der erforderlichen Bestimmtheit im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, da er nicht erkennen lässt, auf welche konkret vorgenommenen Scorings und Mitteilungen der jeweiligen Ergebnisse er sich bezieht.
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Darüber hinaus fehlt der Klagepartei das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO). Gegenstand einer Feststellungsklage kann grundsätzlich nur das Bestehen oder Nichtbestehen eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses sein. Ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn sich aus der Feststellung noch Rechtsfolgen für die Gegenwart und die Zukunft ergeben können, wenn also an der Feststellung des vergangenen Rechtsverhältnisses ein gegenwärtiges Interesse besteht. Dieses Erfordernis beruht darauf, dass es nicht zu den Aufgaben der Gerichte gehört, einem Beteiligten zu bescheinigen, ob er im Recht war oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 17.06.2016 – V ZR 272/15, NJW-RR 2016, 1404, juris Rn. 13 m.w.N.). Ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis ist vorliegend nicht dargelegt.
3. Berufungsantrag zu II) und III)
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Diese Anträge wurden erstmals in der Berufungsinstanz gestellt. Die Klageerweiterungen in zweiter Instanz schließen die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nicht aus. Vielmehr verlieren die Klageerweiterungen entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl., § 522 Rn. 37 m.w.N.).
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Hinsichtlich des nunmehr als Hilfsantrag gestellten Klageantrags zu II) kann vollumfänglich auf die Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen werden. Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Hochsetzung der sie betreffenden Scorewerte. Nichts anderes gilt für den nunmehr ebenfalls hilfsweise gestellten Klageantrag zu III).
4. Berufungsantrag zu IV)
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Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Schadensersatz. Insbesondere besteht ein solcher Anspruch nicht nach Art. 82 DSGVO.
11
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erfordert ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung, das Vorliegen eines materiellen oder immateriellen Schadens sowie einen Kausalzusammenhang zwischen Schaden und dem Verstoß, wobei diese Voraussetzungen kumulativ sind. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trifft die Person, die auf Grundlage des Art. 82 DSGVO einen Schadensersatzanspruch geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 18.11.2024 – VI ZR 10/24 Rn. 21).
12
a) Einen materiellen Schaden hat die Klagepartei nicht beziffert.
13
b) Auch die Voraussetzungen für den Ersatz eines immateriellen Schadens hat die Klagepartei nicht dargetan.
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aa) Ein Verstoß der Beklagten gegen Art. 22 Abs. 1 DSGVO in Bezug auf die Klagepartei ist bereits nicht substantiiert vorgetragen. Es fehlt ein auf einen konkreten Sachverhalt bezogener Tatsachenvortrag. Die maßgebliche Abhängigkeit einer Entscheidung des Vertragspartners der Beklagten von einem übermittelten Wahrscheinlichkeitswert ist für jeden Einzelfall konkret von den nationalen Gerichten zu überprüfen und wird gerade nicht durch die Entscheidung des EuGH als erfüllt vorgegeben (vgl. EuGH, Urteil vom 07.12.2023, C-634/21, Rn. 50; Marsch/Kratz, NJW 2024, 392 ff. Rn. 18). Die pauschalen Hinweise auf gescheiterte Verträge reichen ohne nähere Bezeichnung von Zeit, Ort und Vertragspartner hierzu nicht. Ebenso wenig genügt die Bezugnahme auf die gescheiterte Kreditaufnahme bei …-Bank. Da die Klagepartei bei dieser Bank bereits in der Vergangenheit bezüglich Kreditkartenforderungen zahlungsfällig geblieben war, ist nicht dargelegt, dass die beschriebene gescheiterter Kreditaufnahme maßgeblich auf einem von der Beklagten übermittelten Scorewert beruht.
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bb) Soweit sich die Klagepartei auf einen angeblichen Verstoß gegen die Auskunftspflichten nach Art. 15 DSGVO beruft, so erschließt sich bereits nicht, inwiefern ein Verstoß gegen diese Auskunftspflichten ursächlich zu einem Schaden geführt haben soll.
16
cc) Auch ein Verstoß gegen Berichtigungsverpflichtungen aus Art. 16 DSGVO oder die Löschungsverpflichtung aus Art. 17 DSGVO kommt nicht in Betracht. Die Klagepartei trägt nicht vor, dass ihre Person betreffende unrichtige Daten, etwa eine Zahlungsstörung, die es gar nicht gab, bei der Beklagten gespeichert seien.
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dd) Keinen Verstoß gegen die DSGVO begründet schließlich die Tatsache, dass die Beklagte für die Klagepartei eine Scoringsperre eingerichtet hat, d.h. während des laufenden Verfahrens keine Scorewerte mitteilt, sondern lediglich die bei ihr gespeicherten Daten. Denn aus der DSGVO kann sich zwar (unter bestimmten Umständen) ein Recht auf Einschränkung der Verarbeitung ergeben (Art. 18 DSGVO), bzw. kann gestützt auf Art. 21 DSGVO einer Verarbeitung widersprochen werden. Ein Recht auf Verarbeitung von personenbezogenen Daten bzw. auf Verarbeitung von Daten in einer bestimmten vom Betroffenen gewünschten Art und Weise, ergibt sich aus der DSGVO jedoch nicht.
18
ee) Auch dass die Beklagte bei der Verarbeitung sie betreffender Daten gegen Art. 5 oder Art. 6 DSGVO verstoßen hätte, ist von der hierfür darlegungs- und beweispflichtigen Klagepartei nicht dargetan. Die Klagepartei schildert keinen konkreten Sachverhalt, in dem das Scoring bzw. die Mitteilung von Scoring-Ergebnissen durch die Beklagte ihre Rechte verletzt hätte bzw. ihre Interessen die Interessen der Beklagten oder ihrer Vertragspartner überwogen hätten. Das Interesse der Klagepartei, einen guten Score-Wert zu haben und möglichst reibungslos kreditrelevante Verträge abschließen zu können, stellt kein Interesse dar, das in jedem Fall die Interessen Dritter überwiegt.
19
ff) Der Umstand, dass der Schadensbegriff nach der Rechtsprechung des EuGH weit auszulegen ist und keiner Erheblichkeitsschwelle unterliegt bzw. nicht einen bestimmten Schweregrad erreichen muss, entbindet die Klagepartei nicht davon, vorzutragen und zu beweisen, dass überhaupt ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung vorliegt und gerade dieser Verstoß kausal den geltend gemachten Schaden verursacht hat. Auf die von der Klagepartei geschilderten empfundenen Beeinträchtigungen kommt es daher nicht mehr an. Dies gilt umso mehr als die Klagepartei bzw. der (wohl) von ihren Bevollmächtigten vorgegebene Fragebogen allgemein z.B. von „wegen der …“ oder „durch die Handlungen der …“ spricht. Eine Differenzierung danach, ob diese Auswirkungen auf einem Verstoß der Beklagten gegen die Datenschutzgrundverordnung oder auch nur auf der automatisierten Erstellung des Scorewerts beruhen oder schlicht darauf, dass die Beklagte (zutreffende) Informationen beispielsweise über eine Zahlungsstörung beauskunftet hat, findet nicht statt.
5. Berufungsantrag zu V)
20
Ein Anspruch auf die begehrte Auskunft besteht nicht. Ein solcher Anspruch, der sich grundsätzlich aus Art. 15 Abs. 1 lit. h DSGVO ergeben könnte, scheitert bereits daran, dass die Voraussetzungen des Art. 22 DSGVO nicht erfüllt sind. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
6. Berufungsantrag zu VI)
21
Der Unterlassungsantrag schon unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Für den gestellten Unterlassungsantrag fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Zudem ist ein Erstverstoß nicht ersichtlich, so dass weiter auch die Wiederholungsgefahr zu verneinen ist. Die Klagepartei hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür angeführt, dass die Beklagte in ihrem Fall die unter lit. a bis g im Antrag angeführten Daten in der Vergangenheit verwendet hat. Derartige Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus der von der Beklagten erteilten Auskunft (Anlage K1).
7. Berufungsantrag zu VII)
22
Da die Klage in der Hauptsache keinen Erfolg hat, besteht auch kein Anspruch auf Ersatz außergerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten.
II.
23
Zur Vermeidung weiterer Kosten regt der Senat die Zurücknahme der offensichtlich unbegründeten Berufung an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz).