Inhalt

LG München I, Endurteil v. 25.09.2025 – 7 O 16055/24
Titel:

Grenzüberschreitende Patentverletzungsverfahren

Normenketten:
Brüssel-Ia-VO Art. 4 Abs. 1, Art. 63 Abs. 1
ZPO § 17, § 32
PatG § 143 Abs. 2
Leitsätze:
1. Auch in grenzüberschreitenden Patentverletzungsverfahren gilt der "fliegende Gerichtsstand" und der Beklagte kann nicht nur an seinem allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden, sondern an einem beliebigen Ort in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei wird keine Unterscheidung getroffen, ob die vorgetragene Patentverletzung im Inland oder auf dem Gebiet anderer EU-Mitgliedsstaaten begangen worden sein soll. Durch die Teilnahme an einem grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen und Waren entsteht ein tatsächlicher Sachverhalt, der es rechtfertigt, für Patentverletzungsklagen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen vom herkömmlichen Verständnis des Verwaltungssitzes abweichenden allgemeinen Gerichtsstand anzunehmen. In solchen Konstellationen können Beklagte, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben, an allen für Patentverletzungsklagen zuständigen Landgerichten verklagt werden.   (Rn. 35) (Rn. 40) (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Frage, ob ein Klagepatent rechtsbeständig ist, wird nach deutschem Verständnis im Rahmen der Frage der Aussetzung nach § 148 ZPO berücksichtigt. Eine andere Beurteilung gilt auch dann nicht, wenn grenzüberschreitende Sachverhalte zu entscheiden sind, da es sich um eine prozessuale Frage handelt, die sich nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts richtet. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Entscheidung des Bundespatentgerichts kommt eine starke Indizwirkung zu, die einem Leuchtturmcharakter gleichkommt: Es ist davon auszugehen, dass die entsprechenden Patente in den weiteren Staaten in gleicher Form rechtsbeständig sein werden.(Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei grenzüberschreitenden Verfahren ist hinsichtlich des anwendbaren Rechts zwischen verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Fragen zu unterscheiden. Als materiellrechtlich anzusehen ist etwa die Frage, unter welchen Umständen ein Schadensersatzanspruch besteht und wie hoch ein solcher Schadensersatzanspruch tatsächlich ausfällt. Als verfahrensrechtliche Frage ist es aber anzusehen, wie ein solcher Anspruch geltend gemacht werden kann. Die Feststellung, dass eine Schadensersatzpflicht in Bezug auf ein anderes Land besteht, unterfällt deshalb deutschem Recht. Der Auskunftsanspruch ist so stark verfahrensrechtlich dominiert, dass er als verfahrensrechtlicher Anspruch nach deutschem Recht zu behandeln ist.  (Rn. 123) (Rn. 128) (Rn. 129) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Bewertung hinsichtlich der Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland hat eine starke Indizwirkung dahingehend, dass das gleiche Ergebnis in den weiteren EPÜ-Mitgliedstaaten in gleicher Weise gefunden wird. Aufgrund dessen ist es nicht erforderlich, zum jeweiligen ausländischen Recht Gutachten unabhängiger Sachverständiger einzuholen.   (Rn. 139 – 140) (redaktioneller Leitsatz)
6. Es ist an der in Anspruch genommenen Partei, konkrete Anhaltspunkte vorzutragen, dass auf Grund des nationalen Rechts eine anderweitige Entscheidung ergehen würde. Ihr obliegt die Darlegungslast, warum andere Staaten zu einer anderen Bewertung kommen würden.  (Rn. 141) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Patentverletzung, Äquivalente Patentverletzung, Unterlassungsanspruch, Widerklage, Internationale Zuständigkeit, Störerhaftung, Erstbegehungsgefahr
Fundstelle:
GRUR-RS 2025, 29197

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Auf die Widerklage hin werden die Klägerinnen verurteilt,
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen, vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Klägerinnen zu vollziehen ist,
zu unterlassen,
eine ophthalmische Formulierung eines vaskulären EndothelzellenWachstumsfaktors (VEGF)-Antagonisten zur Verwendung zur intravitrealen Verabreichung in der Bundesrepublik Deutschland herzustellenanzubietenin Verkehr zu bringenzu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzenwobei die ophthalmische Formulierung umfasst:eine ophthalmische Formulierung eines vaskulären EndothelzellenWachstumsfaktors (VEGF)-Antagonisten zur Verwendung zur intravitrealen Verabreichung in ÖsterreichBulgarienDänemarkFinnlandGriechenlandIrlandLitauenLuxemburgNiederlandePolenPortugalRumänienSlowakeiSlowenienSpanienSchwedenTschechische RepublikUngarn und Zypern anzubietenin Verkehr zu bringenzu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzenwobei die ophthalmische Formulierung umfasst:
a) 1-100 mg/ml eines VEGF-Antagonisten, bestehend aus Aminosäuren 27-457 von SEQ ID NO: 4, welcher an AsnResten 62, 94, 149, 222 und 308 glycosyliert ist;
b) 0,01-5% eines oder mehrere organische(n) Co-Lösungsmittel(s), welche(s) eins oder mehrere von Polysorbat, Polyethylenglycol (PEG) und Propylenglycol ist;
c) 30-150 mM eines Tonizitätsmittels, welches aus Natriumchlorid oder Kaliumchlorid ausgewählt ist;
d) 5-40 mM Histidinpuffer; und
e) 1,0-7,5% eines Stabilisierungsmittels, welches aus der Gruppe, bestehend aus Saccharose, Sorbit, Glycerin, Trehalose und Mannit, ausgewählt ist, pH zwischen etwa 5,8-7,0
III. Auf die Widerklage hin werden die Klägerinnen zu 1) bis 3) verurteilt,
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen, vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Klägerinnen zu 1) bis 3) zu vollziehen ist,
zu unterlassen,
a) 1-100 mg/ml eines VEGF-Antagonisten, bestehend aus Aminosäuren 27-457 von SEQ ID NO: 4, welcher an AsnResten 62, 94, 149, 222 und 308 glycosyliert ist;
b) 0,01-5% eines oder mehrere organische(n) Co-Lösungsmittel(s), welche(s) eins oder mehrere von Polysorbat, Polyethylenglycol (PEG) und Propylenglycol ist;
c) 30-150 mM eines Tonizitätsmittels, welches aus Natriumchlorid oder Kaliumchlorid ausgewählt ist;
d) 5-40 mM Histidinpuffer; und
e) 1,0-7,5% eines Stabilisierungsmittels, welches aus der Gruppe, bestehend aus Saccharose, Sorbit, Glycerin, Trehalose und Mannit, ausgewählt ist,
pH zwischen etwa 5,8-7,0.
IV. Auf die Widerklage hin wird die Klägerin zu 1) verurteilt,
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Klägerin zu 1) zu vollziehen ist,
zu unterlassen,
ihre europäische Marktzulassung (Zulassungsnummern EU und EU) für das Biosimilar... Dritten zur Verfügung zu stellen.
V. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
VI. Die Klägerinnen zu 1), 2), 3) und 4) tragen samtverbindlich die gerichtlichen Kosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1), zu 2) und zu 3). Die Beklagte zu 1) trägt 1/3 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 4). Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
VII. Das Urteil ist wie folgt vorläufig vollstreckbar:
- in den Ziffern II. und III. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils fünf Millionen Euro.
- in Ziffer IV. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500.000 Euro
- in Ziffer VI. in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die Frage der Verletzung des Europäischen Patents 2 364 691 B1 mit dem Titel „Formulierungen mit VEGF-Antagonisten für eine intravitreale Verabreichung“. Die Klägerinnen erhoben zunächst eine negative Feststellungklage. Die Beklagte zu 1) erhob Widerklage und nimmt die Klägerinnen wegen behaupteter Patentverletzung in Anspruch.
2
Die Beklagte zu 1) (...) ist Inhaberin des am 14. Juni 2007 unter Inanspruchnahme der Priorität der USamerikanischen Patentschrift US 2006 0814484 P vom 16. Juni 2006 angemeldeten europäischen Patents 2 364 691 B1 (Anlage 4, nachfolgend: Klagepatent). Die Anmeldung wurde am 14. September 2011 und der Erteilungshinweis am 24. April 2013 veröffentlicht.
3
Das Klagepatent steht (neben Deutschland) unter anderem in Österreich, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Irland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern sowie in der Schweiz in Kraft.
4
In dem von einer dritten Partei vor dem Bundespatentgericht gegen das Klagepatent geführten Nichtigkeitsverfahren (Az.: 3 Ni 15/23 (EP)) wurde das Klagepatent – nach einem entsprechenden Hinweis des Patentgerichts vom 8. Dezember 2023 (Anlage 8) – durch Urteil vom 26. Juni 2025 in eingeschränkter Form aufrechterhalten. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung lagen die schriftlichen Urteilsgründe nicht vor.
5
Der hier maßgebliche Anspruch 1 des Klagepatents lautet in der Verfahrenssprache in der eingeschränkten Fassung:
An ophthalmic formulation of a vascular endothelial growth factor (VEGF) antagonist for use in intravitreal administration, wherein said ophthalmic formulation comprises:
(a) 1-100 mg/ml of a VEGF antagonist consisting of amino acids 27-457 of SEQ ID No:4, which is glycosylated at Asn residues 62, 94, 149, 222 and 308;
(b) 001-5% of one or more organic co-solvent(s) which is one or more of polysorbate, polyethylene glycol (PEG), and propylene glycol;
(c) 30-150 mM of a tonicity agent selected from sodium chloride or potassium chloride;
(d) 5-40 mM of sodium phosphate buffer; and (e) 1.0-7.5% of a stabilizing agent selected from the group consisting of sucrose, sorbitol, glycerol, trehalose, and mannitol, pH between about 5.8-7.0
6
Der Unterschied zur erteilten Fassung des Klagepatents besteht darin, dass in der erteilten Fassung die Formulierung lediglich zur intravitrealen Verabreichung geeignet sein musste, anstatt für diese Verwendung bestimmt zu sein („for use in intravitreal administration“ in der Einleitung des Anspruchs).
7
... ist weiterhin Inhaberin des nach Verlängerung am 23. November 2025 auslaufenden ergänzenden Schutzzertifikats …41.4 für die Verwendung des Wirkstoffs Aflibercept für eine ophthalmische Anwendung. Das Präparat wird vom -Konzern unter dem Handelsnamen vertrieben.
8
Die Klägerin zu 1) (die) befasst sich mit der Herstellung von Biosimilar-Arzneimitteln unter anderem im Bereich der Augenheilkunde. Sie hat das mit der Widerklage angegriffene Biosimilar (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform) entwickelt, die arzneimittelrechtliche Zulassung für dieses Biosimilar beantragt und auch erteilt bekommen. Die Klägerin zu 2) () ist mit der Herstellung und dem Vertrieb von Arzneimitteln befasst und ist Lizenznehmerin und Inhaberin der weltweiten Vermarktungsrechte für . Die Klägerin zu 3)() hat mit eine Lizenzvereinbarung für die (semi-exklusive) Vermarktung von in Deutschland und weiten Teilen Europas abgeschlossen. Die Klägerin zu 4) (r) soll im Auftrag von T in Deutschland vertreiben.
9
... ist ein US-amerikanisches Biotechnologie-Unternehmen mit einem Forschungsschwerpunkt auf der Behandlung der pathologischen Angiogenese, d.h. der krankhaften Entwicklung neuer Blutgefäße. Die Beklagten zu 2) ... und 3) ( ) gehören zum -Konzern und sind mit der Entwicklung und Vermarktung von Medikamenten unter anderem gegen Augenerkrankungen befasst. Zwischen ... und ... wurde am 18. Oktober 2006 (Anlage ... 18) ein Lizenzvertrag bezüglich des Klagepatents geschlossen. Im Dezember 2012 / Januar 2013 hat B... ihrerseits einen Lizenzvertrag mit B ihrer betreffend das Klagepatent geschlossen (Anlage ... 21). 
10
Das Biosimilar hat folgende Zusammensetzung (siehe Anlage 1): 
 
11
Mit Schreiben vom 4. Juni 2024 (Anlage B8) informierte ... dar über, dass beabsichtigt sei, das Biosimilar ... „zu gegebener Zeit“ („in due course“) in Deutschland zu vermarkten. In dem Schreiben forderte ... zudem auf, zu erklären, dass das Biosimilar das Klagepatent nicht verletze. In der Replik vom 27. Juni 2025 erklärten die Klägerinnen, die „Vermarktungspläne für den deutschen sowie den übrigen europäischen Markt [lägen] vor“ (Rn 6). 
12
Die Klägerinnen begehrten ursprünglich die Feststellung, dass den Beklagten keine auf das Klagepatent gestützten Unterlassungsansprüche gegen Benutzungshandlungen bezogen auf die von den Klägerinnen zur Markteinführung am 24. November 2025 vorgesehene angegriffene Ausführungsform in Deutschland und fünf weiteren europäischen Ländern (Niederlande, Österreich, Portugal, Schweiz und Spanien) zustehen. Hinsichtlich der Beklagten zu 1) haben sie den Feststellungantrag im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 25. September 2025 im Umfang der Widerklage für erledigt erklärt. Die Beklagten haben dieser Erledigungserklärung zugestimmt.
13
Die Beklagte zu 1)) nimmt die Klägerinnen mit der Widerklage wegen behaupteter äquivalenter Verletzung des nationalen deutschen sowie 19 weiterer nationaler Teile des Klagepatents (Österreich, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Irland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern) auf Unterlassung in Anspruch.
14
Hinsichtlich des Klagepatents und eine etwaige Verletzung durch das Biosimilar werden vor der Kammer – teilweise mit unterschiedlichen Parteien – weitere Verfahren geführt. In dem Verfügungsverfahren 7 O 9382/25 begehrt von, und Unterlassung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. In dem Verfügungsverfahren 7 O 9383/25 begehren B und B von und Unterlassung in den 19 hier mit der Widerklage geltend gemachten sowie drei weiteren Ländern der Europäischen Union.
15
Neben den genannten Verfahren sind in weiteren Staaten weitere Rechtsstreitigkeiten anhängig bzw. wurden bereits entschieden. Aus diesem Grund betreffen das Verfahren 7 O 9383/25 und dieses Verfahren teilweise unterschiedliche Staaten. Konkret wird in diesem Verfahren – anders als im Verfahren 7 O 9383/25 – betreffend Belgien, Frankreich und Italien kein Unterlassungsanspruch geltend gemacht.
16
Die Klägerinnen tragen vor, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent weder in Deutschland noch in den 20 weiteren validierten Ländern, weil das Biosimilar keinen Natriumphosphat-Puffer enthalte. Die verwendete Pufferlösung Histidin stelle keine äquivalente Patentverletzung dar, da sie weder auffindbar noch gleichwertig sei. Das Klagepatent habe sich bewusst für die im Anspruch genannte Zusammensetzung entschieden; eine Abweichung sei nicht vorgesehen. Dies ergäbe sich auch aus den Äußerungen der Patentanmelderin im Erteilungsverfahren. Falls eine Auffindbarkeit bejaht werden sollte, könnten sich die Klägerinnen zumindest auf den „Formstein“-Einwand berufen.
17
Das Feststellungsinteresse sei u.a. gegeben aufgrund der sehr hohen Aufwendungen für die Entwicklung der angegriffenen Ausführungsform, des Verhaltens von in anderen Ländern sowie der gesetzgeberischen Bemühungen zugunsten eines erleichterten Marktzugangs für Biosimilars.
18
Die Klägerinnen beantragen zuletzt,
I. für die Klägerin zu 1), 2) und 4) festzustellen, dass der Beklagten zu 3) gestützt auf das Europäische Patent EP 2 364 691 B1 keine Unterlassungsansprüche gegen die Klägerinnen zu 1), 2) und 4) zustehen, gerichtet gegen das Herstellen, Anbieten, Inverkehrbringen oder Verwenden oder zu den vorgenannten Zwecken Einführen oder Besitzen eines Biosimilar-Produkts, dessen Formulierung in Anlage 1 offenbart ist, in der Bundesrepublik Deutschland.
II. für die Klägerinnen zu 1) und 2) festzustellen, dass den Beklagten zu 2) und 3) gestützt auf das Europäische Patent EP 2 364 691 B1 keine Unterlassungsansprüche gegen die Klägerinnen zu 1) und 2) zustehen, gerichtet gegen das Herstellen, Anbieten, Inverkehrbringen oder Verwenden oder zu den vorgenannten Zwecken Einführen oder Besitzen eines Biosimilar-Produkts, dessen Formulierung in Anlage 1 offenbart ist, in den Niederlanden, Österreich, Portugal, Schweiz und Spanien.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Im Wege der Widerklage beantragt die Beklagte zu 1),
die Klägerinnen zu verurteilen
I. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem Geschäftsführer der Klägerinnen zu vollziehen ist, zu unterlassen,
1. eine ophthalmische Formulierung eines vaskulären Endothelzellen-Wachstumsfaktors (VEGF)-Antagonisten zur Verwendung zur intravitrealen Verabreichung in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
in Österreich, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Irland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
wobei die ophthalmische Formulierung umfasst:
a) 1-100 mg/ml eines VEGF-Antagonisten, bestehend aus Aminosäuren 27-457 von SEQ ID NO: 4, welcher an Asn-Resten 62, 94, 149, 222 und 308 glycosyliert ist;
b) 0,01-5% eines oder mehrere organische(n) Co-Lösungsmittel(s), welche(s) eins oder mehrere von Polysorbat, Polyethylenglycol (PEG) und Propylenglycol ist;
c) 30-150 mM eines Tonizitätsmittels, welches aus Natriumchlorid oder Kaliumchlorid ausgewählt ist;
d) 5-40 mM Histidinpuffer; und e) 1,0-7,5% eines Stabilisierungsmittels, welches aus der Gruppe, bestehend aus Saccharose, Sorbit, Glycerin, Trehalose und Mannit, ausgewählt ist, pH zwischen etwa 5,8-7,0,
(äquivalente Verletzung von Anspruch 1 der EP 2 364 691 B1)
2. insbesondere wenn die ophthalmische Formulierung umfasst:
a) 10 mg/ml oder 40 mg/ml eines VEGF-Antagonisten, bestehend aus Aminosäuren 27-457 von SEQ ID NO: 4, welcher an Asn-Resten 62, 94, 149, 222 und 308 glycosyliert ist;
b) 0,03% Polysorbat 20;
c) etwa 40 mM Natriumchlorid;
d) 10 mM Histidinpuffer; und e) 5% Saccharose,
wobei der pH-Wert der Formulierung pH 6,2-6,3 ist,
(äquivalente Verletzung von Anspruch 5 der EP 2 364 691 B1)
II. hilfsweise:
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem Geschäftsführer der Klägerinnen zu vollziehen ist, zu unterlassen,
1. eine ophthalmische Formulierung eines vaskulären Endothelzellen-Wachstumsfaktor (VEGF)-Antagonisten in Österreich, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Irland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
wobei die ophthalmische Formulierung umfasst:
a) 1-100 mg/ml eines VEGF-Antagonisten, bestehend aus Aminosäuren 27-457 von SEQ ID NO: 4, welcher an Asn-Resten 62, 94, 149, 222 und 308 glycosyliert ist;
b) 0,01-5% eines oder mehrere organische(n) CoLösungsmittel(s), welche(s) eins oder mehrere von Polysorbat, Polyethylenglycol (PEG) und Propylenglycol ist;
c) 30-150 mM eines Tonizitätsmittels, welches aus Natriumchlorid oder Kaliumchlorid ausgewählt ist;
d) 5-40 mM Histidinpuffer; und e) 1,0-7,5% eines Stabilisierungsmittels, welches aus der Gruppe, bestehend aus Saccharose, Sorbit, Glycerin, Trehalose und Mannit, ausgewählt ist, pH zwischen etwa 5,8-7,0, wobei die Formulierung zur intravitrealen Verabreichung geeignet ist,
(äquivalente Verletzung von Anspruch 1 der EP 2 364 691 B1 in der erteilten Fassung)
2. insbesondere wenn die ophthalmische Formulierung umfasst:
a) 10 mg/ml oder 40 mg/ml eines VEGF-Antagonisten, bestehend aus Aminosäuren 27-457 von SEQ ID NO: 4, welcher an Asn-Resten 62, 94, 149, 222 und 308 glycosyliert ist;
b) 0,03% Polysorbat 20;
c) etwa 40 mM Natriumchlorid;
d) 10 mM Histidinpuffer; und e) 5% Saccharose,
wobei der pH-Wert der Formulierung pH 6,2-6,3 ist,
(äquivalente Verletzung von Anspruch 5 der EP 2 364 691 B1 in der erteilten III. nur die Klägerin zu 1): es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem Geschäftsführer der Klägerin zu 1) zu vollziehen ist, zu unterlassen, ihre europäische Marktzulassung (Zulassungsnummern EU und EU) für das Biosimilar Dritten zur Verfügung zu stellen,
Die Klägerinnen beantragen,
die Widerklage abzuweisen.
19
Die Beklagten tragen vor, die angegriffene Ausführungsform stelle eine Verletzung der Ansprüche 1 und 5 des Klagepatents mit äquivalenten Mitteln dar, weil die Ersetzung des im Patentanspruch angegebenen Puffers Natriumphosphat durch Histidin gleichwirkend, auffindbar und gleichwertig sei. Der „Formstein“-Einwand scheide aus. Neben Deutschland liege eine äquivalente Patentverletzung auch in den anderen 19 geltend gemachten Mitgliedstaaten der EU vor, da die in den verschiedenen Staaten zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung angewandten Tests – basierend auf Art. 69 EPÜ – große Gemeinsamkeiten aufwiesen.
20
Während ein Feststellungsinteresse nicht gegeben sei, namentlich da die von den Klägerinnen angeführten wirtschaftlichen Aspekte kein rechtliches Interesse begründeten, liege aufgrund der von den Klägerinnen kommunizierten Absicht der bevorstehenden Markteinführung der angegriffenen Ausführungsform eine Erstbegehungsgefahr vor bezogen auf sämtliche geltend gemachten Länder.
21
Die Klägerin zu 1) hafte zudem aufgrund ihrer Stellung als Inhaberin der Marktzulassung als Störerin im Sinn von § 1004 BGB, da sie ihre Marktzulassung den Klägerinnen zu 2) bis 4) zur Verfügung stelle.
22
Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. September 2025 verwiesen.
23
Mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2025 hat der Beklagtenvertreter beantragt, gemäß § 156 Abs. 1 ZPO die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Der Antrag wurde gestützt auf das Urteil des UK High Court vom 8. Oktober 2025, Az. [2025] EWHC 2527 (Pat). Ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung war nicht veranlasst, da die Kammer das Urteil bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hat.

Entscheidungsgründe

24
Während die negative Feststellungsklage jedenfalls unbegründet ist, ist die zulässige Widerklage weitestgehend begründet.
25
Das Biosimilar macht in allen 19 mit der Widerklage geltend gemachten Ländern (Österreich, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Irland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern) sowie der Schweiz, von der Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents in äquivalenter Weise Gebrauch. Denn aufgrund der Verankerung der äquivalenten Patentverletzung in Art. 2 des Protokolls zu Art. 69 EPÜ ist davon auszugehen, dass in allen Staaten bezüglich der Voraussetzungen für die Annahme einer äquivalenten Patentverletzung die gleichen Maßstäbe gelten. Deshalb hat die Bewertung, dass nach deutschen Recht eine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln vorliegt, einen Leitcharakter für die weiteren EPÜ-Staaten. Es ist den Klägerinnen nicht gelungen darzulegen, dass in einem der genannten Staaten ein abweichender Maßstab Geltung hat.
26
Soweit der UK High Court in Bezug auf das Biosimilar zu einer anderen Einschätzung gelangt ist, liegt dies nach den dortigen Ausführungen auch an der Tatsache, dass dort nicht Anspruch 1 Gegenstand des Verfahrens war, sondern eine auf den unabhängigen Nebenanspruch 5 beschränkte Fassung.
27
Zudem ist zu berücksichtigen, dass in Patentverletzungsverfahren der Beibringungsgrundsatz gilt. Insofern gibt es erhebliche Zweifel, ob der im vorliegenden Verfahren zur Entscheidung gebrachte Sachverhalt den gleichen Inhalt hat, wie er in dem Verfahren vor dem UK High Court nach der Anhörung von mehreren Sachverständigen zur Entscheidung stand. Möglicherweise haben die Widerbeklagten deshalb auch im vorliegenden Verfahren die Frage der Gleichwirkung – die nach der Entscheidung des UK High Court zu verneinen sei – dahingestellt sein lassen.
28
Das Landgericht München I ist international und örtlich zuständig (A.). Bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland liegt eine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln vor (B.).
29
Für grenzüberschreitende Patentverletzungsklagen ist streng zwischen Fragen des Prozess- und des materiellen Rechts zu unterscheiden, wobei insbesondere formelle Vorschriften anderer Staaten in keinem Fall dazu dienen sollen, Patentverletzungen Vortrieb zu leisten (C. I.). Eine Verletzung des Klagepatents ist auch für die übrigen geltend gemachten Länder zu bejahen (C.II). Da die erforderliche Erstbegehungsgefahr jeweils vorliegt, haften, und im Umfang der Geltendmachung auf Unterlassung (B. II., C. III). Gegen ist die Widerklage hingegen nur betreffend das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland begründet (B. II.), darüber hinaus ist sie unbegründet (C. III.).
30
Die negative Feststellungsklage ist unbegründet, da eine äquivalente Patentverletzung für sämtliche Länder, für die die Feststellung der Nichtverletzung geltend gemacht wird, vorliegt (D. I.) und sowie B aktivlegitimiert sind (D. II.). haftet darüber hinaus als Störerin (E.). Entsprechend waren die Nebenfolgen festzusetzen (F.).
A.
31
Die Widerklage ist zulässig, insbesondere ist die internationale und örtliche Zuständigkeit des Gerichts auch für die mit der Widerklage geltend gemachte Verletzung des Klagepatents in weiteren europäischen Ländern gegeben.
32
Ob das gemäß § 256 ZPO für die Klage erforderliche Feststellungsinteresse gegeben ist, kann dahingestellt bleiben, da die negative Feststellungsklage jedenfalls unbegründet ist.
33
I. Die Widerklage ist zulässig.
34
1. Die Widerbeklagten zu 1) und zu 2) haben ihren Sitz im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts München I. Damit sind insoweit die internationale und die örtliche Zuständigkeit gegeben.
35
a.) Die internationale Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel-Ia-VO). Danach sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen. Dies wird durch Art. 63 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO konkretisiert. Danach haben Gesellschaften und juristische Personen ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich entweder ihr satzungsmäßiger Sitz oder ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Für den hiesigen Fall einer Widerklage gelten insoweit keine Besonderheiten.
36
Bezüglich Patentverletzungsklagen bestand stets Einvernehmen dahingehend, dass die Möglichkeit besteht, dass Beklagte auch grenzüberschreitend bei ihrem Wohnsitzgericht in Anspruch genommen werden können. Allerdings ging der Gerichtshof der Europäischen Union vormals davon aus, dass für Verfahren des Rechtsbestands eine ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte besteht, auch wenn die Frage des Rechtsbestands nur einredeweise aufgeworfen wird (EuGH, GRUR 2007, 49 – GAT/ LuK). Im Ergebnis musste das Verfahren bei internationalen Sachverhalten deshalb immer ausgesetzt werden, sobald die Nichtigkeitseinrede erhoben wurde. Tatsächlich hat dies dazu geführt, dass grenzüberschreitende Verfahren zumindest in der Bundesrepublik Deutschland nicht geführt worden sind.
37
Nach neuem Verständnis des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, GRUR 2025, 568 – BSH Hausgeräte) bleibt das angerufene Verletzungsgericht zuständig, auch wenn der Nichtigkeitseinwand – in welcher Form auch immer – erhoben wird. Nach dem Verständnis der Kammer steht es im Ermessen des angerufenen Verletzungsgerichts zu entscheiden, wie es mit einem solchen Einwand umgeht. Dabei kommt sowohl die Aussetzung in Bezug auf die Durchführung eines Nichtigkeitsverfahrens in einem anderen Staat als auch die Entscheidung in der Sache in Betracht, wenn das angerufene Verletzungsgericht vom gesicherten Rechtsbestand des Klagepatents ausgeht.
38
b.) Da der Sitz von F und K im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts München I liegt, ist die örtliche Zuständigkeit gegeben, § 17 ZPO. Hinzukommt noch der Gerichtsstand der Widerklage, § 33 ZPO.
39
Die örtliche Zuständigkeit wäre aber auch gegenüber Beklagten gegeben, die ihren Sitz an anderen Orten in der Bundesrepublik Deutschland haben. Denn das Patentverletzungsverfahren ist derart durch den „fliegenden“, deliktischen Gerichtsstand geprägt, dass es in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich zuständige Gerichte gibt, vor denen nur sehr wenige Patentverletzungsklagen erhoben werden, so dass sich dort keine besondere Patentrechtsexpertise ausbilden kann.
Dazu im Einzelnen:
40
(1.) Art. 4 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO regelt nur die internationale Zuständigkeit. Sobald diese feststeht, ist in einem zweiten Schritt zu klären, welches der nationalen (deutschen) Gericht für Patentverletzungsklagen örtlich zuständig ist. Dabei wird keine Unterscheidung getroffen, ob die vorgetragene Patentverletzung im Inland oder auf dem Gebiet anderer EU-Mitgliedsstaaten begangen worden sein soll. In beiden Fällen richtet sich die örtliche Zuständigkeit allein nach deutschem Recht.
41
(2.) Für Patentverletzungsverfahren gilt gemäß § 143 Abs. 2 PatG eine Konzentrationsmaxime. Die Landesregierungen wurden ermächtigt, durch Rechtsverordnungen die Patentstreitsachen zu konzentrieren. Diese Vorschrift basiert auf dem bis zur Schaffung der Vorgängervorschrift im Jahr 1936 bestehenden Missstand, „dass Gerichte, die nur selten mit derartigen Prozessen befasst sind, sich infolge der geringen Berührung mit dem besonders schwierigen Gebiet des Patentrechts und mit Fragen der Technik verschiedentlich nicht in der Lage gezeigt haben, die Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung zu fördern und die Entscheidungen mit der nötigen Sachkunde zu treffen“ (so die damalige amtliche Begründung, siehe BeckOK Patentrecht/Kircher, 37. Ed., § 143 Rn 17).
42
Tatsächlich wurde von den eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch gemacht. Derzeit sind in der Bundesrepublik Deutschland nur 12 Landgerichte zuständig über Patentverletzungsverfahren zu entscheiden. Dies sind:
- München I
- Nürnberg
- Mannheim
- Frankfurt am Main
- Saarbrücken
- Erfurt
- Leipzig
- Magdeburg
- Düsseldorf
- Braunschweig
- Berlin
- Hamburg
43
(3.) Bei Verletzungsklagen ohne Auslandsbezug wird in aller Regel neben dem allgemeinen Gerichtsstand juristischer Personen nach § 17 ZPO auch eine deliktische Zuständigkeit nach § 32 ZPO gegeben sein. Tatsächlich hat dies dazu geführt, dass sich nur an wenigen Gerichten spezialisiert Patentstreitkammern ausgebildet haben. Auch die Fachanwaltschaft hat sich an wenigen Gerichtsstandorten spezialisiert. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die Durchsetzung von Patentrechten durch den fliegenden – deliktischen – Gerichtsstand geprägt ist.
44
Bei reinen Auslandssachverhalten besteht im Inland kein deliktischer Gerichtsstand. Die Zuständigkeit deutscher Gerichte ist in derartigen Konstellationen nur dann gegeben, wenn der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Gerichts hat. Die dahinterstehende – sehr allgemeine, auch §§ 12, 17 ZPO, 17 Abs. 2 GVG zugrundeliegende – Überlegung ist, dass es einer Partei immer auch möglich sein muss, eine andere Partei dort zu verklagen, wo diese Partei beheimatet ist, entweder weil der Weg in eine andere Jurisdiktion beschwerlich ist oder weil sich so – wie im vorliegenden Verfahren – eine Konzentration herbeiführen lässt.
45
Ausgehend von diesen Überlegungen erscheint es problematisch, wenn man die Inhaber internationaler Patente darauf verwiesen, dass sich die Zuständigkeit streng nach den einzelnen Bundesländern (und in Bayern sogar nach dem OLGBezirk) richten soll. Denn in einem solchen Fall müssten gerade in besonders komplizierten, grenzüberschreitenden Fällen Gerichte angerufen werden, die keine auf Patentverletzungsverfahren spezialisierten Kammern vorhalten. Dies entspricht insbesondere auch nicht der Intention des historischen Gesetzgebers, wie sich aus der oben dargestellten Gesetzesbegründung ergibt.
46
Zur Überzeugung der Kammer entsteht durch die Teilnahme an einem grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen und Waren ein tatsächlicher Sachverhalt, der es rechtfertigt, für Patentverletzungsklagen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen vom herkömmlichen Verständnis des Verwaltungssitzes abweichenden allgemeinen Gerichtsstand anzunehmen. Deshalb können in solchen Konstellationen Beklagte, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben, an allen für Patentverletzungsklagen zuständigen Landgerichten verklagt werden. Dieses Verständnis steht im Einklang mit dem hinter der RL 2004/48/EG stehenden Bedürfnis nach einer effektiven Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums.
47
Es ist nicht ersichtlich, dass Patentinhabern durch dieses Verständnis Nachteile entstehen können, weil Entscheidungen betreffend die örtliche Zuständigkeit mit Rechtsmitteln nicht angreifbar sind. Auch die in Anspruch genommenen Parteien profitieren davon, weil die rechtliche Beurteilung durch Gerichte erfolgen kann, die mit patentrechtlichen Fragen hinreichend befasst sind. Zudem gibt es kein Recht potenzieller Patentverletzer darauf, in Gebieten tätig werden zu können, wo Patente nicht effektiv durchgesetzt werden können.
48
c.) Die Frage, ob ein Klagepatent rechtsbeständig ist, wird nach deutschem Verständnis im Rahmen der Frage der Aussetzung nach § 148 ZPO berücksichtigt. Eine andere Beurteilung gilt auch dann nicht, wenn grenzüberschreitende Sachverhalte zu entscheiden sind, da es sich um eine prozessuale Frage handelt, die sich nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts richtet.
49
Gemäß der Entscheidung des EuGH (GRUR 2025, 568 – BSH Hausgeräte) ist insbesondere nicht erforderlich, dass das anhängige Verletzungsverfahren in Bezug auf ein in einem anderen Mitgliedsstaat geführtes Nichtigkeitsverfahren oder auf das Erheben des Nichtigkeitseinwands ausgesetzt wird.
50
Vielmehr wird es darauf ankommen, ob das mit dem Verletzungsverfahren befasste Gericht den Rechtsbestand der jeweils geltend gemachten Europäischen Patente als hinreichend gesichert ansieht. Nach Ansicht der Kammer kann dies hinsichtlich der im vorliegenden Verfahren geltend gemachten 19 nationalen Europäischen Patente unterstellt werden, weil es eine erstinstanzliche Entscheidung des Bundespatentgerichts gibt, die das Klagepatent in einer eingeschränkten Fassung aufrechterhalten hat.
51
Der Entscheidung des Bundespatentgerichts kommt eine starke Indizwirkung zu, die einem Leuchtturmcharakter gleichkommt: Es ist davon auszugehen, dass die entsprechenden Patente in den weiteren Staaten in gleicher Form rechtsbeständig sein werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die erteilten Ansprüche in den anderen Staaten bereits auf die mit der Klage geltend gemachten Fassung beschränkt sind, oder ob dies noch nicht erfolgt ist. Denn die eingeschränkten Ansprüche sind als Minus in den erteilten Ansprüchen enthalten.
52
2. Die internationale Zuständigkeit betreffend die in der Schweiz ansässigen Widerbeklagten zu 3), T, folgt aus Art. 6 Nr. 1 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen).
53
Nach dieser Vorschrift kann eine Person, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines durch das Übereinkommen gebundenen Staates hat, auch verklagt werden, „wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten“. Zu den durch das Übereinkommen gebundenen Staaten gehören gemäß Art. 1 Nr. 3 des Übereinkommens u.a. die Schweiz und sämtliche Mitgliedstaaten der EU.
54
Danach ist das Landgericht München I international zuständig für die Widerklage gegen T . Denn für diese Widerklage einerseits und die Widerklage gegen F und K andererseits ist eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung im Sinne der zitierten Vorschrift geboten. In allen drei Fällen geht es um dieselbe äquivalente Patentverletzung vor dem Hintergrund einer von allen drei genannten Parteien geplanten Markteinführung der angegriffenen Ausführungsform in Deutschland und Europa.
55
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I betreffend T folgt aus dem Gerichtsstand der Widerklage (§ 33 Abs. 1 ZPO).
56
3. Die internationale Zuständigkeit betreffend die Klägerin und Widerbeklagte zu 4, r, ergibt sich ebenso wie für F und K jedenfalls aus Art. 4 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO.
57
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I betreffend r folgt aus dem Gerichtsstand der Widerklage (§ 33 Abs. 1 ZPO).
B.
58
Die angegriffene Ausführungsform stellt nach deutschem Recht eine äquivalente Patentverletzung dar (dazu I.). Sämtliche Klägerinnen und Widerbeklagte (F) haften insoweit auf Unterlassung (dazu II.). Eine Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf das Nichtigkeitsverfahren kommt nicht in Betracht (dazu III.).
I.
Äquivalente Patentverletzung nach deutschem Recht
59
1. Das Klagepatent betrifft in der aufrecht erhaltenen Anspruchsfassung eine ophthalmische Formulierung eines VEGF-Antagonisten zur Verwendung zur intravitrealen Verabreichung.
60
Nach der Klagepatentschrift ist die Erfindung gerichtet auf pharmazeutische Formulierungen mit Wirkstoffen, die vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktoren („vascular endothelial growth factor“, nachfolgend: VEGF) hemmen könnten, geeignet zur intravitrealen Verabreichung, d.h. zur Verabreichung in den Glaskörper des Auges (Abs. [0001]).
61
VEGF sind eine Gruppe von Proteinen, die das Wachstum des vaskulären Endothels anregen, d.h. der innersten Schicht der Blutgefäße, die mit dem Blut in Berührung kommt. Bei einer Krebserkrankung ermöglicht VEGF die pathologische Neubildung von Blutgefäßen in Krebsgewebe, wodurch das Tumorgewebe mit Blut versorgt wird und wachsen kann. Dies kann durch eine Hemmung des Gefäßwachstums, beispielsweise durch VEGF-Antagonisten, unterbunden werden, indem sich Letztere an die VEGF binden. Der Wirkstoff des Klagepatents, Aflibercept, ist ein solcher VEGF-Antagonist in Form eines Proteins.
62
Im Stand der Technik war bereits bekannt, dass VEGF-Antagonisten auch eine wirksame Behandlungsmöglichkeit für Augenerkrankungen, wie der neovaskulären „feuchten“ altersbedingten Makuladegeneration (nachfolgend: nAMD), bieten könnte. Diese Erkrankung ist durch das Wachstum fragiler kleiner Blutgefäße unter der Netzhaut gekennzeichnet, welche die für das Sehen essenziellen Strukturen durchbrechen. Anders als bei der Krebstherapie erfolgt in diesem Fall eine Verabreichung des VEGF-Antagonisten nicht intravenös, sondern per Injektion in den Glaskörper des Auges, d.h. intravitreal.
Gemäß dem Klagepatent stellt die Stabilität pharmazeutisch verwendbarer Proteine eine große Herausforderung dar (Abs. [0041]). Dabei unterscheiden sich die erforderlichen Stabilitätsbedingungen von Protein zu Protein.
63
2. Vor diesem Hintergrund besteht die Aufgabe des Klagepatents – entsprechend dem qualifizierten Hinweisbeschluss des Bundespatentgerichts im Nichtigkeitsverfahren (Anlage 8; dort Ziffer 2) – in der Bereitstellung von für die intravitreale Verabreichung geeigneten Formulierungen des VEGF-Antagonisten bestehend aus den in Merkmal 1.1 genannten Aminosäuren.
64
3. Als Lösung stellt das Klagepatent den hier in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts geltend gemachten Anspruch 1 vor, der sich wie folgt gliedern lässt:
1. Ophthalmische Formulierung eines vaskulären Endothelzellen-Wachstumsfaktor (VEGF)-Antagonisten zur Verwendung zur intravitrealen Verabreichung, umfassend:
1.1 (a) 1-100 mg/ml eines VEGF-Antagonisten, bestehend aus Aminosäuren 27-457 von SEQ ID NO: 4, welcher an Asn-Resten 62, 94, 149, 222 und 308 glycosyliert ist;
1.2 (b) 0,01-5% eines oder mehrere organische(n) Co-Lösungsmittel(s), welche(s) eins oder mehrere von Polysorbat, Polyethylenglycol (PEG) und Propylenglycol ist;
1.3 (c) 30-150 mM eines Tonizitätsmittels, welches aus Natriumchlorid oder Kaliumchlorid ausgewählt ist;
1.4 (d) 5-40 mM Natriumphosphatpuffer; und
1.5 (e) 1,0-7,5% eines Stabilisierungsmittels, welches aus der Gruppe, bestehend aus Saccharose, Sorbit, Glycerin, Trehalose und Mannit, ausgewählt ist,
1.6 pH zwischen etwa 5,8-7,0
65
4. Das Klagepatent schützt in Anspruch 1 eine ophthalmische Formulierung mit dem Wirkstoff Aflibercept, die zur intravitrealen Verabreichung bestimmt ist. Die angegriffene Ausführungsform macht von Anspruch 1 in äquivalenter Weise Gebrauch.
Auf die Verwirklichung von Unteranspruch 5, der nach der Rechtsprechung der Kammer als Hilfsantrag zu verstehen ist, kam es daher nicht an.
66
a.) Als Fachmann sieht die Kammer ein Team bestehend aus einem auf dem Gebiet der Ophthalmologie tätigen Mediziner und einem pharmazeutischen Technologen (Galeniker) mit Hochschulausbildung, und mehrjähriger praktischer Erfahrung auf dem Gebiet der Herstellung pharmazeutischer Formulierungen an (entsprechend dem Hinweisbeschluss des Bundespatentgerichts im Nichtigkeitsverfahren (Anlage 8; dort Ziffer 3)). Dieser wird das Klagepatent wie folgt verstehen:
67
Aufgrund des konkreten Anwendungsfelds, nämlich der Injektion der Formulierung in den Glaskörper des Auges, sind besonders hohe Anforderungen an die Eigenschaften und die Stabilität der Formulierung zu stellen.
68
Innerhalb der Zusammensetzung der Formulierung dient das Tonizitätsmittel im Wesentlichen dazu, die osmotischen Eigenschaften der Formulierung festzulegen. Das Stabilisierungsmittel dient hauptsächlich zum Schutz der Faltung des Wirkstoffs, damit das Aflibercept in der erforderlichen Faltung an die Stellen im Glaskörper gelangen kann, wo es die erwünschte medizinische Wirkung entfalten soll. Der Puffer dient dazu, dass die Formulierung in einem festgelegten pH-Bereich stabil bleibt.
69
Aus einem Vergleich mit den in Anspruch 6 genannten zur Lyophilisierung geeigneten ophthalmischen Formulierungen (die nicht Gegenstand dieses Verfahrens sind) ergibt sich, dass sowohl auf ein Tonizitätsmittel als auch auf ein Stabilitätsmittel verzichtet werden kann. Nicht verzichtet werden kann auf einen Puffer. Es wird keine Aussage darüber getroffen, ob sich eine solche Ausgestaltung auch für nicht zur Lyophilisierung geeignete ophthalmische Formulierungen anbietet.
70
Hinsichtlich der Pufferlösung erwähnt das Klagepatent ausschließlich Natriumphosphat, bzw. stellt in Abs. [0047] klar, dass auch dann, wenn lediglich „Phosphat“ genannt wird, „Natriumphosphat“ gemeint ist. Aus Abs. [0047] am Ende ergibt sich auch ausdrücklich, dass der Puffer zum Einstellen des pH-Werts der Lösung dient, was allerdings für den Fachmann eine Selbstverständlichkeit darstellt.
71
Dem Fachmann ist weiter bekannt, dass sich zum Prioritätszeitpunkt des Klagepatents als einziger Proteinwirkstoff zur intravitrealen Behandlung von nAMD der Wirkstoff Ranibizumab () in der späten klinischen Entwicklung befand. Dieser Wirkstoff unterscheidet sich von Aflibercept darin, dass Aflibercept eine andere und größere Molekülstruktur aufweist und daher längere Zeit im Körper verweilt. Zudem wies die Ranibizumab-Formulierung statt einem Natriumphosphatpuffer einen Histidinpuffer sowie Trehalose auf, hingegen weder Natrium- noch Kaliumchlorid.
72
b.) Eine wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents liegt nicht vor, da die angegriffene Ausführungsform F einen Histidinpuffer anstelle eines Natriumphosphatpuffers aufweist. Allerdings stellt die Verwendung eines Histidinpuffers eine Verwirklichung des Merkmals 1.4 mit äquivalenten Mitteln dar.
73
c.) Für die Annahme einer äquivalenten Patentverletzung müssen nach der ständigen Rechtsprechung des BGH folgende Voraussetzungen erfüllt sein (siehe BGH, X ZR 81/13, GRUR 2015, 361 Rn 18 – Kochgefäß; BGH, X ZR 168/00, GRUR 2002, 515, 517 – Schneidmesser I; weiter: BGH, X ZR 29/15, GRUR 2016, 921 – Pemetrexed):
1. Gleichwirkung der Mittel: Löst die angegriffene Ausführungsform das der Erfindung zugrundeliegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln?
2. Auffindbarkeit der gleichwirkenden Mittel: Befähigen ihre Fachkenntnisse den Fachmann, die abgewandelten Mittel als gleichwirkend aufzufinden?
3. Gleichwertigkeit der Abwandlung: Sind die Überlegungen, die der Fachmann anstellen muss, derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert, dass der Fachmann die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der gegenständlichen gleichwertige Lösung in Betracht zieht?
4. Im Weiteren sind zu prüfen, ob der Patentinhaber bestimmte Ausführungsformen bewusst aus dem Schutzbereich genommen hat, und ob der sog. „Formsteineinwand“ der Annahme einer Verletzung mit äquivalenten Mitteln entgegensteht.
74
(1.) Im Rahmen des ersten Prüfungsschritts, der Gleichwirkung, ist zu prüfen, ob die angegriffene Ausführungsform nicht nur im Wesentlichen die Gesamtwirkung der Erfindung erreicht, sondern gerade auch diejenige Wirkung erzielt, die das nicht wortsinngemäß verwirklichte Merkmal erzielen soll (vgl. BGH, GRUR 2015, 361 Rn 19 – Kochgefäß).
75
Das Merkmal 1.4 betrifft einen Puffer. Ein Puffer hat im Allgemeinen die Aufgabe, den pH-Wert der jeweiligen Lösung stabil zu halten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Beschreibung des Klagepatents, welches über die Funktion des Puffers in der beanspruchten Formulierung keine weitergehenden Angaben macht. Aus der bereits aufgezeigten Stelle in Abs. [0047] ergibt sich, dass der Puffer zumindest auch für die Einstellung des pH-Werts der Formulierung dient. Es ist davon auszugehen, dass Histidin insofern die gleichen Eigenschaften mit sich bringt, wie das im Anspruch genannte Natriumphosphat. Letztlich kann dies aber dahinstehen, weil die Widerbeklagten die Gleichwirkung nicht bestreiten.
76
(2.) Auch die zweite Frage ist im Sinne von R zu bejahen. Der für Proteinformulierungen verwendbare Puffer Histidin war für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt anstelle von Natriumphosphat als gleichwirkendes Mittel auffindbar. Dieses Auffinden setzt selbst keine erfinderische Tätigkeit des Fachmanns voraus (vgl. Meier-Beck, GRUR 2003, 905, 909). Dabei schließt die Notwendigkeit von Routineversuchen das Fehlen erfinderischer Tätigkeit nicht aus (BGH, X ZR 175/01, GRUR 2006, 666 Rn 56 – Stretchfolienhaube; Benkard/Asendorf/Schmidt/Tochtermann, PatG, 12. Aufl., § 4 Rn 21). Dazu im Einzelnen:
77
(aa) Dem Fachmann ist die Verwendung von Pufferlösungen bei der Herstellung von Proteinformulierungen bekannt. Dem Puffer kommt die Aufgabe zu, für eine ph-Stabilität der Formulierung zu sorgen. Dabei haben die Puffer, die für Proteinformulierungen geeignet sind, bestimmte pH-Bereiche, bei denen sie eingesetzt werden können. Insofern ist bekannt, dass Histidin und Phosphat einen sehr ähnlichen Anwendungsbereich haben. Auch Histidin kann im pH-Bereich der beanspruchten Formulierung von 5,8- 7,0 (Merkmal 1.6) zumindest in Teilen verwendet werden, weil es in pH-Bereichen zwischen 6,2 -7,8 eingesetzt werden kann, während Phosphat im Bereich von 6,0- 8,2 eingesetzt werden kann, also in einem weitgehend deckungsgleichen Bereich.
78
Dieser Anwendungsbereich unterscheidet Phosphat und Histidin von den allermeisten der weiteren in Proteinformulierungen üblicherweise genutzten Pufferstoffen, wie sich aus der nachfolgenden, vorveröffentlichten Tabelle aus dem Lehrbuch „Fomulation Development of Protein Dosage Forms“ ergibt (siehe Anlage B 1, S. 64):
79
Diese Eigenschaften weisen den Fachmann auf Histidin als Alternative zu Natriumphosphat hin. Für den Fachmann ist es im Bereich des allgemeinen Fachwissens liegend, dass sich eine Formulierung aus verschiedenen Bestandteilen zusammensetzt, und dass eine grundsätzliche Austauschbarkeit gegeben ist. Wobei es allerdings keine Garantie gibt, dass die Gesamtformulierung auch nach dem Austausch die erwünschten Eigenschaften hat. Insofern werden stets weitere Tests erforderlich sein, die allerdings ebenfalls in den Bereich des üblichen Vorgehens des Fachmanns fallen.
80
(bb) Vorliegend gibt es noch einen weiteren Anhaltspunkt, der auf eine Verwendung von Histidin hinweist. Denn das einzige zum Prioritätszeitpunkt weitgehend ausentwickelte, vergleichbare Medikament verwendet ebenfalls Histidin als Puffer.
Es handelt sich um das auf dem Wirkstoff Ranibizumab basierende Arzneimittel ... Dieses Medikament ist auch auf Proteinbasis und ist gleichfalls für die intravitreale Verabreichung vorgesehen gewesen. Es befand sich im Endstadium der klinischen Tests. In der Formulierung war Histidin in einer Menge von 10 mM als Puffer enthalten (vgl. Abelson u.a., Anlage B 18).
81
Die Patentschrift, mit der die für Ranibizumab verwendete Formulierung (WO 2006/047325 A 1; Anlage B 17) unter Schutz gestellt werden sollte, zeigt auf S. 31 in Zeile 27 ff. die konkrete Formulierung für die intravitreale Verabreichung auf (darunter 10 mM Histidin). Diese Patentschrift wurde am 4. Mai 2006 – vor dem Prioritätszeitpunkt des Klagepatents – veröffentlicht.
82
(cc) Vor diesem Hintergrund sind die Ausführungen in dem von vorgelegten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr., dass sich angesichts der Verwendung von Histidin im Medikament die Verwendung von Histidin anstelle von Natriumphosphat auch für eine Formulierung auf Basis von Aflibercept (anstelle auf Basis von Ranibizumab) besonders angeboten habe, auch unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Aufbaus der beiden Proteine (Anlage B 20, S. 3), nachvollziehbar.
83
Ausschlaggebend ist für die Kammer insofern, dass es sich bei der bekannten Ranibizumab-Formulierung um die zum Prioritätszeitpunkt einzige für die intravitreale Verabreichung geeignete und getestete Proteinformulierung (jedenfalls soweit VEGF-Antagonisten betroffen sind) handelte. Angesichts dessen bietet sich der alternative Puffer Histidin für den Fachmann auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Strukturen von Aflibercept und Ranibizumab an.
84
(dd) Dass auch bei gleichem pH-Bereich Stabilitätsstudien erforderlich sind, um zu überprüfen, ob Histidin in der konkreten Formulierung ausreichende Stabilität gewährleisten würde, steht der Auffindbarkeit nicht entgegen. Denn es handelt sich um Routineversuche, die das Fehlen erfinderischer Tätigkeit und mithin die Auffindbarkeit nicht ausschließen. Insbesondere eine unstreitig fehlende Vorhersehbarkeit der Auswirkung des Austauschs von Hilfsstoffen auf die Stabilität des jeweiligen Proteins sprechen nicht gegen die Auffindbarkeit. Denn es ist nicht ersichtlich (und von den Widerbeklagten auch nicht vorgetragen), dass mehr als Routineversuche vonnöten gewesen wären.
85
Insbesondere geht der Verweis der Widerbeklagten auf die Ausführungen von R, welch große Herausforderung die Entwicklung einer stabilen Proteinformulierung auf Basis von Aflibercept bedeutet hätte (siehe Rn. 41 der Klageerwiderung), fehl, denn an der Stelle schildert R die Situation vor Anmeldung des Klagepatents, während sich die Frage der Auffindbarkeit auf Basis der Kenntnis der Patentschrift bemisst.
86
(ee) Die Parteien haben übereinstimmend vorgetragen, dass Histidin damals im Verdacht stand, nach einer gewissen Zeit zu einer gelblichen Verfärbung der Formulierung zu führen, was gerade im menschlichen Auge nicht erwünscht sei. Dies ergibt sich exemplarisch aus dem von den Widerbeklagten in Bezug genommenen Schreiben des patentanwaltlichen Vertreters der Patentinhaberin an das Europäische Patentamt vom 09.03.2012 (S. 4: „The use of phosphate, rather than histidine, is an important distinction. In particular, histidine can degrade and confers a yellowish hue to a formulation over time. Injecting yellowish formulations into human eyes is clearly not desirable.”, abgerufen über Espacenet).
87
Wie die anwaltliche Vertreterin von R in der mündlichen Verhandlung auf Frage der Kammer unwidersprochen ausgeführt hat, bezieht sich diese Gelbfärbung aber nur auf die Formulierung; die Injektion einer so verfärbten Formulierung ins Auge führe nicht zu einer gelblichen Verfärbung des Augapfels. Allerdings hätten die Patienten Vorbehalte, sich eine gelbliche Lösing in das Auge injizieren zu lassen. Dennoch stand auch dieser Umstand der kommerziellen Nutzung von nicht entgegen.
88
Das bedeutet aber, dass die von der Patentinhaberin im Erteilungsverfahren geäußerten Bedenken lediglich einen ästhetischen Aspekt betrafen, dessen Bedeutung unterschiedlich bewertet werden kann. Daher steht auch dieser Umstand einer Verwendung nicht entgegen, zumal sich die Patienten das Medikament nicht selbst injizieren und von den behandelnden Ärzten erwartet werden kann, dass sie sich von der Farbe der Injektionsflüssigkeit nicht abhalten lassen.
89
(3) Die Überlegungen, die der Fachmann anstellen musste, um zu Histidin als Puffer zu gelangen, sind auch derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert, dass der Fachmann die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der gegenständlichen gleichwertige Lösung in Betracht zieht.
90
(aa) Die Orientierung am Patentanspruch setzt voraus, dass der Patentanspruch in allen seinen Merkmalen nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Überlegungen des Fachmanns bildet.
91
Dies ist vorliegend gegeben, weil das Klagepatent in Anspruch 1 eine Formulierung unter Schutz stellt, die einen Puffer verwendet, um den pH-Wert der Formulierung einzustellen. Weder der Anspruch noch die Beschreibung weisen dem konkret gewählten Natriumphosphat einen weitergehenden Zweck oder eine weitere Funktion zu. Der Fachmann erkennt deshalb, dass die Funktion des Puffers nicht über den Zweck der pH-Einstellung hinausgeht, so dass die Verwendung von Histidin anstelle von Natriumphosphat als gleichwertig anzusehen ist. Denn Histidin ist ebenfalls geeignet den pH-Wert einer Protein Formulierung zu bestimmen.
92
(bb) Es liegt auch keine bewusste Beschränkung des Patentanspruchs durch den Patentinhaber vor. Dies wäre gegeben, wenn sich das Patent bei objektiver Betrachtung auf eine engere Anspruchsfassung beschränkt, als dies vom technischen Gehalt der Erfindung und gegenüber dem Stand der Technik geboten wäre. Denn dann dürfte die Fachwelt darauf vertrauen, dass der Schutz entsprechend beschränkt ist. Dem Patentinhaber ist es dann verwehrt, nachträglich Schutz für etwas zu beanspruchen, was er nicht unter Schutz hat stellen lassen. Dies gilt selbst dann, wenn der Fachmann erkennt, dass die erfindungsgemäße Wirkung als solche (in dem vorstehend ausgeführten engeren Sinn) über den im Patentanspruch unter Schutz gestellten Bereich hinaus erreicht werden könnte. Deshalb ist eine Ausführungsform aus dem Schutzbereich des Patents ausgeschlossen, die zwar offenbart oder für den Fachmann jedenfalls auffindbar sein mag, von der der Leser der Patentschrift aber annehmen muss, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht unter Schutz gestellt werden sollte (BGH, X ZR 29/15, GRUR 2016, 921 Rn 50 – Pemetrexed). Nicht erforderlich ist, dass die Patentschrift den Fachmann zur abweichenden Ausgestaltung der patentierten Lehre hinlenkt (BGH, X ZR 36/13, GRUR 2014, 852 Rn 16 – Begrenzungsanschlag).
93
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln ist in Bezug auf den Gesichtspunkt der Auswahlentscheidung dahingehend zu verstehen, dass die Entscheidung Pemetrexed eine Antwort auf eine durch die Entscheidung Okklusionsvorrichtung geschaffene Unsicherheit darstellt. Maßgeblich ist die in Rn. 68 enthaltene Wertung: in der Regel kann nicht von einer Auswahlentscheidung des Patentinhabers ausgegangen werden. Vielmehr bedarf es besonderer Gründe, um von einer Auswahlentscheidung auszugehen. Solche besonderen Umstände haben die Widerbeklagten nicht vorgetragen und sind auch ansonsten nicht ersichtlich. Vielmehr handelt es sich um eine typische Konstellation in der eine äquivalente Patentverletzung anzunehmen ist. Dazu im Einzelnen:
94
(aaa) Soweit in der Patentschrift nicht explizit von Natriumphosphat die Rede ist, sondern von Phosphat (etwa Abs. [0011], [0059]), wird in Abs. [0047] klargestellt, dass der Begriff „Phosphat“ stets für Natriumphosphat steht. Andere Stoffe oder Oberbegriffe für Stoffe werden nicht erwähnt.
95
Weiter wird in Abs. [0048] unter der Überschrift „Stable Liquid Ophthalmic Formulations“ kein konkreter Stoff für den zu verwendenden Puffer genannt, während für die übrigen nach dem Patentanspruch zu verwendenden Hilfsstoffe konkrete Stoffe entsprechend Anspruch 1 des Klagepatents aufgeführt werden.
96
Anschließend offenbart Abs. [0049] die Zusammensetzung der Formulierung so, wie sie Anspruch 1 entspricht, nämlich mit Natriumphosphat als Puffer. Der unterschiedliche Grad der Konkretisierung hinsichtlich der unterschiedlichen Hilfsstoffe in Abs. [0048] gibt jedoch dem Fachmann einen Hinweis darauf, dass der Puffer nicht zwingend aus Natriumphosphat bestehen muss.
97
(bbb) Dieser Hinweis wird weiter dadurch gestützt, dass an keiner Stelle in der Patentschrift bestimmte Vorzüge von Natriumphosphat bzw. sonstige Gründe erläutert werden, weshalb der Puffer aus Natriumphosphat oder auch aus einer bestimmten übergeordneten Gruppe (z.B. Salze, anorganische Stoffe) stammen müsste.
98
(ccc) Damit entnimmt der Fachmann der Patentschrift, dass es nicht auf den konkreten Pufferstoff, sondern auf die Funktion des Puffers ankommt. Das spielt für die Orientierung am Patentanspruch – wie oben bereits ausgeführt – eine wesentliche Rolle (vgl. BGH, X ZR 76/14, GRUR 2016, 1254 Rn 20 – V-förmige Führungsanordnung). Ausgehend von dieser Überlegung kann durch die Festlegung auf eine konkrete Ausführungsform jedoch nicht geschlossen werden, dass andere Ausführungsformen aus dem Schutzbereich des Patents ausgeschlossen wären. Ansonsten würde es immer dann zu einem Ausschluss des Patentschutzes führen, wenn der Patentinhaber erkannt hat (oder hätte erkennen können), dass für ein im Anspruch benanntes Lösungselement Austauschmittel denkbar sind und er es versäumt hat, auf eine Fassung des Patents hinzuwirken, bei der die Austauschmittel vom Wortsinn des Patentanspruchs umfasst worden wären. Dieses Ergebnis wäre nicht sachgerecht (BGH, GRUR 2016, 1254 Rn 21 ff. – V-förmige Führungsanordnung).
99
Insofern ist die vorliegende Konstellation, dass das Klagepatent die Obergruppe „Puffer“ nennt, ähnlich gelagert, wie in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall „Pemetrexed“; dort hat der BGH ausgeführt, dass es der Gleichwertigkeit (und damit der Annahme einer äquivalenten Verletzung) nicht entgegensteht, wenn die Patentschrift die Geeignetheit einer Stoffgruppe offenbart, dann aber nur einen bestimmten Stoff aus dieser Gruppe beansprucht, da die Auffindbarkeit eines alternativen Stoffes nicht gleichzusetzen sei mit dessen expliziter Offenbarung in der Patentschrift (BGH, X ZR 29/15, GRUR 2016, 921 – Pemetrexed). Nichts anderes kann auch hier gelten.
100
(cc) Hiergegen sprechen auch nicht die von den Widerbeklagten in Bezug genommenen Äußerungen und Handlungen des Patentanmelders im Erteilungsverfahren.
101
(aaa) Gemäß der Rechtsprechung des BGH gilt der Grundsatz, dass der Patentinhaber über die Rechtsfigur der Äquivalenz nicht nachträglich Schutz für etwas beanspruchen darf, was er nicht unter Schutz hat stellen lassen (BGH, GRUR 2016, 921 Rn. 64 ff. – Pemetrexed). Das wäre dann der Fall, wenn der Anspruchswortlaut zwischen Anmeldung und Erteilung des Patents eingeschränkt wurde, um sich vom Stand der Technik abzusetzen. Vorliegend gibt es aber hinsichtlich der Verwendung von Natriumphosphat als Puffer keinen Unterschied zwischen der angemeldeten, der erteilten und der eingeschränkten Fassung des Klagepatentanspruchs.
102
(bbb) Die Widerbeklagten argumentieren, dass die Patentinhaberin im Erteilungsverfahren die beanspruchte Erfindung u.a. von den Entgegenhaltungen D1 (die Patentschrift WO 2006/047325 [siehe Stellungnahme des EPA zum Europäischen Recherchebericht vom 11. August 2011, S. 2, abgerufen über Espacenet], d.h. die dem Medikament zugrundeliegende Patentschrift) und D2 (die Patentschrift WO 2005/000895, siehe aaO) als erfinderisch abgegrenzt habe, indem sie auf die Verwendung von Natriumphosphat anstelle von Histidin hingewiesen habe (siehe Schreiben des patentanwaltlichen Vertreters der Patentinhaberin an das EPA vom 05. Oktober 2009, S. 3, Anlage 10; Schreiben des patentanwaltlichen Vertreters der Patentinhaberin an das EPA vom 09. März 2012, S. 4, abgerufen über Espacenet).
103
Nach dem allgemeinen Verständnis der deutschen Patentgerichtsbarkeit besteht Einvernehmen, dass Unterlagen aus dem Erteilungsverfahren im Regelfall nicht zur Bestimmung des Schutzbereichs des Patents herangezogen werden können. Der Grund liegt in Artikel 69 EPÜ, der Äußerungen im Erteilungsverfahren gerade nicht zur Schutzbereichsbestimmung heranzieht. Zulässig ist es, Äußerungen des Anmelders und des Prüfers im Erteilungsverfahren als Indiz dafür heranzuziehen, wie der Fachmann den Gegenstand des Patents versteht (BGH, GRUR 2016, 921 Rn. 39 – Pemetrexed).
104
Nach Ansicht der Kammer ist bei der vom BGH benannten Indizwirkung zwischen Äußerungen der Prüfer und Äußerungen des Anmelders zu unterscheiden. In der Regel wird einer Äußerung des Prüfers im Erteilungsverfahren ein hoher Indizwert zukommen. Bei Äußerungen des Patentanmelders kann dies nicht ohne weiteres angenommen werden. Vielmehr ist insofern von einem eingeschränkten Indizwert auszugehen. Der Grund liegt darin, dass im argumentativen Kampf um die Erteilung des Patents teilweise eine Vielzahl von Argumenten vorgetragen werden, teilweise wissend, dass sie das allgemeine Fachverständnis weit dehnen. Unter Bezugnahme auf solche Äußerungen später gegen die Patentinhaber zu argumentieren würde die Praxis der Patenterteilungsverfahren in unzutreffender Weise außer Betracht lassen. Vielmehr ist bei der Analyse von Äußerungen des Patentinhabers immer zu prüfen, ob sie einen Niederschlag in der Argumentation des Prüfers gefunden haben. Denn er, nicht der Anmelder, ist derjenige, der den hoheitlichen Akt der Patenterteilug vollzieht, aus dem sodann gemäß § 58 Abs. 1 Satz 3 PatG die gesetzlichen Wirkungen des Patents folgen. Falls dies so ist, können sie gegebenenfalls in der beschriebenen Weise Berücksichtigung finden, nämlich als Verständnis des Fachmanns zu dem damaligen Zeitpunkt.
105
Selbst wenn man die von den Widerbeklagtenvertretern in Bezug genommenen Äußerungen des Patentinhabers im Erteilungsverfahren berücksichtigte, führte dies nicht dazu, dass sich die Patentinhaberin auf Natriumphosphat anstelle von Histidin oder anderen Puffern beschränkt hätte. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Patentinhaberin Histidin aus dem Schutzbereich des Patents nehmen wollte.
106
Die erfinderische Tätigkeit wird in den Schreiben vom 05. Oktober 2009 damit begründet, dass das Klagepatent einen anderen VEGF-Antagonisten verwende als die D1 und der Fachmann keine Veranlassung hätte, den VEGF-Antagonisten der D2 gegen denjenigen der D1 auszutauschen. Der Verweis auf die Verwendung eines anderen Puffers (Histidin) erfolgte im Sinne einer „Überdies“-Argumentation.
Einem solchen Vorbringen kann kein Verzichtscharakter beigemessen werden. Das ergibt sich schon daraus, dass eine Hinzunahme von Histidin in den Patentanspruch eine unzulässige Erweiterung bedeutet hätte.
107
Entsprechendes gilt in Bezug auf die in der mündlichen Verhandlung von den Widerbeklagten diskutierte Stellungnahme in den zitierten Schreiben des patentanwaltlichen Vertreters der Patentinhaberin im Erteilungsverfahren betreffend die damalige Entgegenhaltung D3 (die Patentschrift WO 2006/104852, entspricht der Entgegenhaltung D10 im Nichtigkeitsverfahren; siehe Schreiben des patentanwaltlichen Vertreters der Patentinhaberin an das EPA vom 05. Oktober 2009, S. 2, Anlage 10; Schreiben des patentanwaltlichen Vertreters der Patentinhaberin an das EPA vom 09. März 2012, S. 3, abgerufen über Espacenet). Insoweit lautet es in den damaligen Schreiben, die D3 offenbare keine Formulierung mit einem Phosphatpuffer außer in einer Kombination mit 20% Saccharose, im Übrigen sei nur ein Puffer aus Histidin oder aus einer Kombination von Citrat und Phosphat vorhanden, deshalb sei das Klagepatent neu. Auch aus dieser Stellungnahme kann aber aus den benannten Gründen kein Verzicht auf Histidin herausgelesen werden.
108
(4) Eine Patentverletzung scheidet auch nicht aufgrund des „Formstein“-Einwands aus.
109
(aa) Macht der Kläger eine Patentverletzung mit abgewandelten, aber gleichwirkenden Mitteln geltend, so kann sich der Beklagte auch mit dem Einwand verteidigen, die angegriffene Ausführungsform sei nicht patentfähig, weil sie vom Stand der Technik im Prioritätszeitpunkt des Klagepatents vorweggenommen oder nahegelegt gewesen sei (BGH, X ZR 28/85, GRUR 1986, 803, 806 – Formstein). Es handelt sich inhaltlich um das Argument des freien Stands der Technik, welches lediglich bei einer Schutzbereichsausweitung durch äquivalente Mittel Anwendung finden kann. Im Ergebnis ist Voraussetzung, dass es die angegriffene Ausführungsform mit allen Merkmalen (auch dem äquivalent verletzten) bereits zum Prioritätszeitpunkt des Patents im Stand der Technik gegeben haben muss.
110
Dies ist nicht der Fall, weil die von den Widerbeklagten in Bezug genommene D10 (die Aflibercept als Wirkstoff und Histidin als Puffer enthält) gerade keine ophthalmische Formulierung eines VEGF-Antagonisten zur Verwendung zur intravitrealen Verabreichung zeigt. Die D10 ist zur intravitrealen Verabreichung geeignet, aber nicht bestimmt. Deshalb gehört F nicht zum freien Stand der Technik.
111
(bb) In der mündlichen Verhandlung haben die Widerbeklagten argumentiert, dass der „Formstein“-Einwand aus Gründen der Rechtssicherheit gelten müsse. Dies haben sie damit begründet, dass die erteilte Fassung des Patentanspruchs 1 der Lehre der D10 und der tatsächlichen Formulierung der angegriffenen Ausführungsform entsprechen würde. Wäre diese Fassung noch gültig, so könnten sich die Widerbeklagten auf den „Formstein“-Einwand berufen.
112
Insofern ist zwar zutreffend, dass die eingeschränkte Fassung des Patentanspruchs 1 der Abgrenzung gegenüber der D10 dient. Es ist aber nicht ersichtlich, dass die Widerbeklagten einen Vertrauenstatbestand in Hinblick auf die erteilte Fassung haben könnten. Es entspricht dem allgemeinen Verständnis, dass Patentansprüche im Laufe von Nichtigkeitsverfahren eingeschränkt werden können. Dritten steht es frei, sich durch Lektüre der Ansprüche, der Beschreibung und der Figuren ein Bild vom wahren Schutzumfang des jeweiligen Patents zu machen.
113
II. Die Widerbeklagten planen gemeinschaftlich den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland und machen damit widerrechtlich von der Lehre des Klagepatents Gebrauch. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung haben sie nicht abgegeben.
114
Wie die Widerbeklagten selbst angeben, planen sie für den Moment des Ablaufs des ergänzenden Schutzzertifikats betreffend den Wirkstoff Aflibercept am 23. November 2025 das Inverkehrbringen der angegriffenen Ausführungsform in Deutschland (siehe das Schreiben vom 4. Juni 2024, Anlage B 8, für F sowie Replik vom 27. Juni 2025 betreffend T...
115
Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Erstbegehungsgefahr ist mithin gegeben.
116
Der Unterlassungsanspruch ist nicht unverhältnismäßig im Sinne des § 139 Abs. 1 S. 3 PatG. Die Widerbeklagten haben keine Unverhältnismäßigkeit vorgetragen. Eine solche ist auch nicht ohne Weiteres ersichtlich, da die Folge, dass der Verletzer die Herstellung oder den Vertrieb des patentverletzenden Erzeugnisses einstellen und dieses erst dann wieder auf den Markt bringen kann, wenn er sich die dafür erforderlichen Rechte verschafft oder das Erzeugnis patentfrei abgewandelt hat, zu den zwangsläufig mit einer Unterlassungsanordnung verbundenen Härten gehört, die vom Verletzer grundsätzlich hinzunehmen sind (Benkard/Grabinski/Zülch/Tochtermann, aaO, § 139 Rn 32i).
117
III. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO im Hinblick auf das noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Nichtigkeitsverfahren kommt nicht in Betracht.
118
Das Urteil des Bundespatentgerichts vom 25. Juni 2025 begründet eine ausreichende Vermutung, dass das Klagepatent in der geltend gemachten eingeschränkten Fassung rechtsbeständig ist.
C.
119
Die angegriffene Ausführungsform stellt auch eine äquivalente Patentverletzung von Anspruch 1 des Klagepatents in den 19 weiteren von R geltend gemachten Ländern dar.
120
Gegenüber dem einstweiligen Verfügungsverfahren 7 O 9383/25 unterscheiden sich die geltend gemachten Länder dahingehend, dass im hiesigen Verfahren – anders als dort – kein Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird in Bezug auf Belgien, Frankreich und Italien.
121
Nach der Bestimmung des jeweils anwendbaren Rechts (I.) ist im Ergebnis eine äquivalente Patentverletzung in allen 19 geltend gemachten Ländern zu bejahen. (II.)
122
Der Unterlassungsanspruch ist gegen F und T – nicht hingegen gegen r – begründet, insbesondere ist die erforderliche Erstbegehungsgefahr in allen geltend gemachten Ländern gegeben (dazu III.).
I.
Bestimmung des anwendbaren Rechts
123
Bei grenzüberschreitenden Verfahren ist hinsichtlich des anwendbaren Rechts zwischen verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Fragen zu unterscheiden.
1. Grundsätzliche Differenzierung zwischen prozessualen und materiellrechtlichen Fragen
124
Verfahrensrechtliche Fragen unterfallen dem Recht des Gerichtsortes („lex fori“).
Materiell-rechtliche Fragen richten sich nach dem Recht des Landes in dem die Ansprüche geltend gemacht werden („Schutzlandprinzip“). Ausgehend von diesem Grundsatz gilt es zu unterscheiden, wann genau eine Vorschrift als materiell-rechtliche Vorschrift zu qualifizieren ist. Denn nur solche Vorschriften unterfallen nicht dem deutschen Recht.
125
Als Ausgangspunkt ist unter Berücksichtigung der Grundwertungen des Europäischen Patentübereinkommens und der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG festzuhalten, dass Verfahrensvorschriften in keinem Land dazu dienen sollen, Patentverletzungen den Weg zu ebnen und Patentinhabern die Verfahrensführung in einem grenzüberschreitenden Sachverhalt zu erschweren.
126
Vorschriften, die eine technische oder formelle Handhabung in einem anderen Land regeln, kommt keine Schutzfunktion in Hinblick auf das Ermöglichen von Patentverletzungen zu. Mit anderen Worten: Die Widerbeklagten können sich beispielsweise nicht darauf berufen, dass ein Lizenzvertrag nicht in ein Register eintragen ist, oder dass es in anderen Ländern noch nicht zu einer Beschränkung des erteilten Patentanspruchs gekommen ist, solange feststeht, dass das dahinterstehende materielle Recht bei der Widerklägerin vorhanden ist. Solche Fälle sind stets dem Verfahrensrecht zuzuordnen und richten sich mithin im vorliegenden Fall nach deutschem Recht. Dies ist auch sinnvoll, weil so sichergestellt werden kann, dass Inhaber von Patenten in mehreren Staaten nicht durch eine kleinteilige Betrachtung von Formvorschriften von ihrer Rechtsdurchsetzung abgehalten werden.
127
Sollte dies dazu führe, dass eine Patentverletzung in bestimmten Staaten nur dann verfolgbar ist, wenn der Verletzer seinen allgemeinen Gerichtsstand in der Bundesrepublik Deutschland hat, mag dies faktisch zutreffend sein. Es ist aber nicht ersichtlich, dass in Deutschland ansässige Patentverletzer einen Anspruch darauf haben könnten, dass sie unter ein ähnlich niedriges Schutzniveau gestellt werden, wie in anderen Staaten ansässige Patentverletzer. Einen Anspruch auf Gleichheit im Unrecht gibt es nicht.
128
Für die Abgrenzung zwischen verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Fragen sei als Beispiel die Frage des Schadensersatzanspruchs – der vorliegend nicht einschlägig ist – herangezogen. Als materiellrechtlich anzusehen ist die Frage, unter welchen Umständen ein Schadensersatzanspruch besteht und wie hoch ein solcher Schadensersatzanspruch tatsächlich ausfällt. Als verfahrensrechtliche Frage ist es aber anzusehen, wie ein solcher Anspruch geltend gemacht werden kann. Selbst wenn in einem anderen Staat die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in einer Art und Weise erfolgt, dass eine Klage erhoben wird und die genaue Festlegung des Schadensersatzbetrags durch Gutachter erfolgt, kann in einem deutschen Verfahren die Feststellung beantragt werden, dass eine Schadensersatzpflicht in Bezug auf das andere Land besteht, so dass damit eine Bindung dem Grunde nach herbeigeführt wird. Denn die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs ist eine Frage des Verfahrensrechts. Deshalb ist es auch konsequent, wenn man in einem etwaig folgenden Höheverfahren auf die in Deutschland vorherrschende prozessuale Handhabung zurückgreift.
129
Diskussionswürdig ist in diesem Zusammenhang die Frage der Einordnung des Auskunftsanspruchs. Obwohl es Gründe gibt, den Auskunftsanspruch dem materiellen Recht zuzuordnen, vertritt die Kammer die Auffassung, dass der Auskunftsanspruch so stark verfahrensrechtlich dominiert ist, dass er als verfahrensrechtlicher Anspruch nach deutschem Recht zu behandeln ist. Denn ansonsten wäre es der Widerklägerin nicht möglich den – ausländischen – Schadensersatzanspruch in einem Folgeverfahren vor einem deutschen Gericht durchzusetzen.
130
Damit sind zwei Aspekte relevant: Einerseits darf nichts zugesprochen werden, was in einem anderen Staat materiellrechtlich nicht vorgesehen ist. Andererseits darf das, was die ausländische Rechtsordnung vorsieht, in effektiver Weise zugesprochen werden. Diese Grundwertung ist auf andere Fragestellungen entsprechend zu übertragen.
2. Relevanz der Unterscheidung im vorliegenden Fall
131
Basierend auf diesen Vorgaben sind nachfolgend einige der in diesem Verfahren diskutierten Fragen in vorgezogener und konzentrierter Weise zu beantworten:
a.) Eintragung des Lizenznehmers in Register
132
Soweit es um die zwischen den Parteien unstreitige Tatsache geht, dass die Geltendmachung eines Patents durch einen (exklusiven) Lizenznehmer in einigen Ländern (u.a. Spanien) die vorherige Eintragung des Lizenznehmers im jeweiligen nationalen Patentregister erfordere, stellt dieses Erfordernis eine verfahrensrechtliche Regelung dar, die der Geltendmachung von Ansprüchen nicht entgegensteht. Denn es handelt sich um eine rein administrative Voraussetzung, damit privatrechtlich begründete Rechte durchgesetzt werden können. Das stellt entgegen der Auffassung der Widerbeklagten keine materiell-rechtliche Voraussetzung im Rahmen der Aktivlegitimation dar, sondern eine verfahrensrechtliche Regelung.
133
Das Eintragungserfordernis dient nicht dem Schutz eines in Anspruch genommenen möglichen Patentverletzers. Es ist vielmehr ausreichend, wenn der Lizenzinhaber materiell-rechtlich berechtigt ist, das Patent geltend zu machen.
b.) Geltendmachung einer eingeschränkten Fassung des Patentanspruchs
134
Soweit die Widerbeklagten die Auffassung vertreten, es sei in einigen Ländern (u.a. Spanien) unzulässig, die vom Bundespatentgericht eingeschränkte Fassung des Klagepatents geltend zu machen, bevor diese eingeschränkte Fassung in das Patentregister des jeweiligen Landes eingetragen wurde, stellt auch dieses Erfordernis eine verfahrensrechtliche Regelung dar. Es ist für die jeweiligen Länder davon auszugehen, dass die eingeschränkte Fassung als „Minus“ in der erteilten Fassung des Klagepatents enthalten ist. Das gilt für sämtliche der geltend gemachten Länder.
135
II. Die angegriffene Ausführungsform stellt auch in den weiteren 19 geltend gemachten Ländern (Österreich, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Irland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern), die allesamt Mitgliedstaaten der EU sind, eine äquivalente Patentverletzung dar.
136
Dieses Urteil stützt sich auf die festgestellte äquivalente Patentverletzung nach deutschem Recht und die von den Widerbeklagten nicht erschütterte Vermutung, dass die Rechtslage betreffend die patentrechtliche Äquivalenz in den von R geltend gemachten Ländern des EPÜ der deutschen Rechtslage entspricht.
137
Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb veranlasst, weil der UK High Court in der Entscheidung [2025] EWHC 2527 (Pat) vom 8. Oktober 2025 entschieden hat, dass die angegriffene Ausführungsform (das Biosimilar F) von der Lehre des Klagepatents – in der dort geltend gemachten Fassung – nicht mit äquivalenten Mitteln Gebrauch macht.
138
Es ist davon auszugehen, dass die Frage, wann eine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln vorliegt in den einzelnen Mitgliedsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens im Ergebnis gleich zu entscheiden sein wird. Das gilt auch, falls für die Prüfung der Äquivalenz jeweils unterschiedliche Prüfungsschritte angewendet werden. Diese Annahme stützt sich auf dem in allen Staaten geltenden Art. 2 des Protokolls zu Art. 69 EPÜ. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses kann dahingestellt bleiben, ob eine Vereinheitlichung zumindest hinsichtlich der Staaten gilt, die das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht ratifiziert haben. Denn bei der Prüfung eines Patents wendet das Europäische Patentamt einen einheitlichen Maßstab an, unabhängig davon, ob ein Einheitspatent oder ein herkömmliches Europäisches Patent beantragt worden ist.
1. Indizwirkung der Bewertung in Deutschland
139
Die wiedergegebene Bewertung hinsichtlich der Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland hat eine starke Indizwirkung dahingehend, dass das gleiche Ergebnis in den weiteren EPÜ-Mitgliedstaaten in gleicher Weise gefunden wird.
140
Auf Grund dieser starken Indizwirkung ist es nicht erforderlich, dass die Kammer zum jeweiligen ausländischen Recht Gutachten unabhängiger Sachverständiger einholen muss. Ansonsten wäre die von der Durchsetzungsrichtlinie geforderte effektive Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte in einer den Schutzrechtsinhabern nicht zumutbaren Weise erschwert.
141
Vielmehr ist es an der in Anspruch genommenen Partei, konkrete Anhaltspunkte vorzutragen, dass auf Grund des nationalen Rechts eine anderweitige Entscheidung ergehen würde. Ihr obliegt die Darlegungslast, warum andere Staaten zu einer anderen Bewertung kommen würden.
142
Keine Berücksichtigung kann dabei das Argument finden, dass die Verfahren in anderen Ländern in tatsächlicher Hinsicht anders durchgeführt werden. Mit anderen Worten: Es ist unbeachtlich, dass in anderen Ländern Verfahren grundsätzlich anders geführt werden (z.B. durch Sachverständigenbeweis) oder eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Rechtsinstitut der äquivalenten Patentverletzung besteht (typischerweise haben Richter, die nicht regelmäßig mit Patentverletzungen befasst sind, Berührungsängste, dieses Rechtsinstitut anzuwenden). Denn dabei handelt es sich um tatsächliche Gegebenheiten, auf die sich eine wegen Patentverletzung in Anspruch genommene Partei nicht berufen kann.
143
Maßstab ist tatsächlich allein, ob nationales Recht (Gesetze oder etabliertes Richterrecht) die Voraussetzungen des EPÜ in einer Weise modifiziert, die zu einem anderen Ergebnis führen würde. Dies bedeutet, dass die in Anspruch genommene Partei die aus ihrer Sicht relevanten Vorschriften bzw. Entscheidungen vorzulegen hat. Zusätzlich muss sie eine qualifizierte Stellungnahme eines in dem jeweiligen Rechtsgebiet kundigen Experten vorlegen, der zumindest standesrechtlich zur Wahrheit verpflichtet sein muss.
144
Diese Grundsätze zur Indizwirkung der Verletzung nach deutschem Recht gelten nicht nur für wortsinngemäße, sondern auch für äquivalente Patentverletzungen und insbesondere, wenn eine einfachgelagerte Äquivalenzkonstellation vorliegt. Nach dem Verständnis der Kammer dient die Ausweitung des Schutzbereichs auf äquivalente Verletzungsformen dazu, eindeutige Umgehungslösungen in den Schutzbereich eines Patents zu ziehen. Eine eindeutige Umgehungslösung ist zumindest dann gegeben, wenn ein nicht den Kern der Erfindung tragendes Merkmal modifiziert wird.
145
Dies ist vorliegend der Fall: Es wird lediglich die Pufferlösung der Formulierung geändert. Diesem Puffer kommt nach dem Klagepatent keine andere Bedeutung zu, als den pH-Wert der Formulierung einzustellen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Widerbeklagten – wohl unter dem Eindruck des Verfahrens im Vereinigten Königreich – das Gutachten der Sachverständigen (Anlage 9) vorgelegt und ausgeführt haben, dass die Wahl des Puffers auch eine Bedeutung für die Stabilität einer Proteinformulierung habe. Wie bereits dargelegt, ist damit keine wesentliche Erhöhung des Komplexitätsgrades verbunden. Denn einfach gelagerte Routinetests ermöglichen die Kontrolle, ob sich der Austausch des Puffers im Gesamtgefüge der Formulierung auf die Stabilität auswirkt. Die Durchführung solcher Tests stellt für den Fachmann keine Hürde dar.
146
Bei wertender Betrachtung ist der Vortrag der Widerbeklagten als Versuch einzuordnen, das ausgetauschte Merkmal über den Wortlaut und die Beschreibung hinaus mit Bedeutung aufzuladen, um dem Austausch den – aus einer äquivalenten Verletzung hinausführenden – Anschein einer erfinderischen Tätigkeit zu geben.
Aus den oben diskutierten Gründen ist dies nicht überzeugend.
2. Keine Erschütterung der Indizwirkung durch die Entscheidung des UK High Court
147
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des UK High Court ist geprägt von dem Verständnis, dass in allen EPÜ-Mitgliedstaaten eine im Wesentlichen gleiche Bewertung der Voraussetzungen für die Annahme einer Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln vorliegt. Der Bundesgerichtshof nimmt in Entscheidungen zur Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln regelmäßig auf die Rechtsprechungspraxis und auf konkrete Entscheidungen der Gerichte aus dem Vereinigten Königreich Bezug. Auch die Richter im Vereinigten Königreich gehend davon aus, dass im Kern die gleichen Ergebnisse erzielt werden.
148
Auch in der Parallelentscheidung vor dem UK High Court mit dem Aktenzeichen [2025] EWHC 2527 (Pat) betont das Gericht, dass der angewandte Standard nicht von dem deutschen Verständnis abweicht (vgl. Ziffer 423, Nr. 62). Dass dennoch in der Sache anders entschieden wurde, hat nach dem Verständnis der Kammer im Wesentlichen zwei Gründe:
149
Erstens: In dem Verfahren vor dem UK High Court wird nicht der eingeschränkte Anspruch 1 geltend gemacht, sondern eine auf den unabhängigen Nebenanspruch 5 beschränkte Fassung. Dadurch ist die durch den Anspruch geschützte Formulierung wesentlich genauer beschrieben. Bei den Ausführungen zu den einzelnen Staaten (konkret Bulgarien) wird ausgeführt werden, dass dies zu einem anderen Ergebnis führt. Das kann jedoch nicht dahingehend verallgemeinert werden, dass der UK High Court in der streitgegenständlichen Konstellation die Äquivalenz verneinen würde.
150
Zweitens: Die Parteien haben in den beiden Verfahren unterschiedlich vorgetragen, so dass der UK High Court über einen anderen Lebenssachverhalt zu entscheiden hatte, was naturgemäß zu einem anderen Ergebnis führen kann. Es wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass der UK High Court das Vorliegen der ersten Frage (nach deutschem Verständnis die Gleichwirkung) verneint hat. Im vorliegenden Verfahren wurde die Gleichwirkung von den Widerbeklagten hingegen nicht bestritten. Die entsprechende Frage stand demnach gar nicht im Mittelpunkt der Diskussion. Dabei wird nicht verkannt, dass die Widerbeklagten das Argument, dass der Puffer einen Einfluss auf die Stabilität der Formulierung habe, an anderer Stelle vorgebracht haben.
151
Deshalb ist die benannte Indizwirkung nicht durch die Entscheidung des UK High Court erschüttert.
3. Bewertung von Äußerungen im Erteilungsverfahren
152
Unterschiedliche Ergebnisse folgen auch nicht aus einer etwaigen unterschiedlichen Behandlung von Äußerungen im Erteilungsverfahren in einem der geltend gemachten 19 Staaten.
153
Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass die Schutzbereichsbestimmung eines Europäischen Patents in keinem EPÜ-Mitgliedstaat unter Berücksichtigung von Äußerungen im Erteilungsverfahren erfolgen darf. Art. 69 Abs. 1 EPÜ ist insofern abschließend. Maßgeblich sind die Patentansprüche, und Beschreibung und Zeichnungen zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.
154
Von diesem Grundverständnis ausgehend, können Äußerungen im Erteilungsverfahren allenfalls unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens einen Einfluss auf den durch die Erteilung gewährten Schutz haben. Mit anderen Worten: Der Schutzumfang eines Patents ist immer objektiv zu bestimmen. Soweit ein Patent zu Unrecht erteilt worden ist, weil im Rahmen der Anmeldung unzutreffende Angaben gemacht worden sind, kann dieses Verhalten allenfalls einer Durchsetzung unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens entgegengesetzt werden kann.
155
Im Hinblick auf die Äußerungen im Erteilungsverfahren haben sich die Widerbeklagten hinsichtlich einiger Länder darauf bezogen, dass die Patentinhaberin einen konkludenten Verzicht erklärt habe. Die Patentinhaberin habe mithin während des Erteilungsverfahrens aufgrund des Einwands fehlender Neuheit oder fehlender erfinderischer Tätigkeit auf eine Erstreckung des Schutzbereichs des Patents auf eine Ausführungsform mit Histidin als Puffer verzichtet. Diese Ausführungen sind allerdings nicht überzeugend, wie im Rahmen der Diskussion der deutschen Rechtslage bereits ausgeführt worden ist. Zutreffend ist auch der UK High Court zum gleichen Ergebnis gekommen.
156
4. Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass in allen 19 Staaten eine Verletzung des Patentanspruch 1 in der mit dem Hauptantrag geltend gemachten Fassung mit äquivalenten Mitteln indiziert ist. Der Vortrag der Widerbeklagten ist nicht geeignet, diese Indizwirkung zu widerlegen.
5. Beurteilung der Rechtslage in den 19 geltend gemachten Ländern
157
Auf Basis dieser für alle untersuchten Länder geltenden allgemeinen Grundsätze und dem konkreten Vortrag der Parteien zu dem Recht der einzelnen Staaten ist hinsichtlich der einzelnen Länder jeweils wie folgt Stellung zu nehmen.
158
Vorangestellt werden soll noch eine Einschätzung des gesamten Sachverhalts. R stützt sich auf insgesamt 19 nationale Patente, die vom Europäischen Patentamt einheitlich erteilt worden sind. F und K haben ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland und haben für das Biosimilar F eine einheitliche Zulassung erhalten, die sie mit nur wenigen weiteren Schritten berechtigt, dieses Biosimilar in allen 19 Staaten auf den Markt zu bringen. Entsprechende Vorbereitungshandlungen sind bereits getroffen worden. Gegen den hier geltend gemachten Unterlassungsanspruch werden teilweise kleinteilige Argumente vorgebracht, welche konkreten Gesichtspunkte hinsichtlich der jeweiligen Staaten nicht berücksichtigt worden seien. Dabei verkennen die Widerbeklagten die durch das EPÜ und die Durchsetzungsrichtlinie bestehende Einheitlichkeit hinsichtlich der Bewertung, ob eine äquivalente Patentverletzung vorliegt. Sie stützen sich mit ihren Argumenten auf Normen und Rechtsinstitute, deren Zweck es nicht ist die Durchsetzung von Patentrechten zu erschweren.
(1) Österreich
159
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt aus § 147 des österreichischen Patentgesetzes (öPatG). Die von R angegebene Vorschrift des § 22 öPatG regelt hingegen die Wirkungen des erteilten Patents. Gemäß § 22a Abs. 1 S. 3 öPatG ist das Protokoll zu Art. 69 EPÜ ausdrücklich zur Schutzbereichsbestimmung heranzuziehen.
160
Entgegen der Auffassung der Widerbeklagten ist der Antrag in Bezug auf Österreich nicht deshalb unzulässig, weil R es versäumt habe, die Rechtsvorschrift anzugeben, in der der Unterlassungsantrag geregelt ist, sondern stattdessen die Vorschrift, in der die Wirkungen des Patents geregelt sind. Wie die Widerbeklagten selbst einräumen, muss ein Antragsteller seinen Anspruch rechtlich nicht qualifizieren, folglich muss er auch nicht die Norm angeben, auf die er seinen Anspruch stützt. Die Widerbeklagten berufen sich auf folgende Aussage des österreichischen Rechtsanwalts C K (Anlage 30, S. 2 f.):
„Wenn der Kläger seinen Anspruch aber ausdrücklich auf einen einzigen Rechtsgrund beschränkt, darf das Gericht dem Klagebegehren nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattgeben; andernfalls liegt ein Verstoß gegen § 405 ZPO (aliudVerbot) und damit ein beachtlicher Verfahrensmangel vor (OGH 4 Ob 26/07p; RISJustiz RS0037659).“
161
In der zitierten Entscheidung des OGH heißt es weiter: „Maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts ist der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt; eine unrichtige rechtliche Qualifikation wirkt sich nicht zum Nachteil des Klägers aus, wenn er alle anspruchsbegründenden Tatsachen vorgetragen und unter Beweis gestellt hat.“ Danach ist die Angabe der falschen Norm unschädlich.
162
Gemäß dem Gutachten des österreichischen Rechtsanwalts K (Anlage 30, S. 9) wird die Äquivalenz in Österreich bejaht, wenn (1) die abgewandelte Ausführungsform das der Erfindung zugrunde liegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln löst (Gleichwirkung); (2) die Fachperson die bei der Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mit Hilfe ihrer Fachkenntnisse zur Lösung des der Erfindung zugrunde liegenden Problems als gleichwirkend auffinden kann (Naheliegen); und (3) die Überlegungen der Fachperson derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert sind, dass die Fachperson die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der patentgemäßen Ausführung gleichwertige Lösung in Betracht zieht (OGH, Beschluss vom 20.05.2008, 17 Ob 6/08v, GRUR Int. 2008, 1047, 1048 – Bicalutamid II). Dabei bezieht sich der OGH explizit auf die deutsche Rechtsprechung.
163
Im Gutachten von Rechtsanwalt K heißt es weiter (siehe Anlage 30, S. 9):
„Das Naheliegen des ausgetauschten Elements wäre in einem Fall wie hier nur dann gegeben, wenn durch die Erläuterungen zum Stand der Technik zum Prioritätszeitpunkt im Patent übersichtsweise, genau und mit Fundstellen, die einzelnen Verbindungen angeführt, und bei der Erläuterung der Wirkung der Erfindung auf die Gruppe dieser Mittel (Puffer) Bezug genommen werden würde (und nicht nur auf die eine, einzig genannte Verbindung (Natriumphosphat) (siehe OLG Wien 133 R 15/18f, Pemetrexed).“
164
Diese Aussage stellt aber erkennbar eine Fehlinterpretation des Urteils des OLG Wien dar. Denn die zitierte Aussage wird dort nicht in dem Sinne getätigt, dass es für ein Naheliegen zwingend einer solchen Angabe in der Patentschrift bedürfe (das würde auch nicht zu den Vorgaben des OGH passen, wo das Naheliegen anders als die Gleichwertigkeit keinen Bezug zur Patentschrift aufweist). In dem vom OLG Wien zu entscheidenden Fall war es nur so, dass die Angaben so genau in der Patentschrift vorhanden waren.
165
Es ist daher davon auszugehen, dass ein österreichischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(2) Bulgarien
166
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Bulgarien aus Art. 28 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über Patente und die Registrierung von Gebrauchsmustern (ЗАКОН ЗА ПАТЕНТИТЕ И РЕГИСТРАЦИЯТА НА ПОЛЕЗНИТЕ МОДЕЛИ). Das ergibt sich aus dem von den Widerbeklagten vorgelegten Gutachten der bulgarischen Rechtsanwälte T D, D S und T (Anlage 29, S. 10), welches insoweit durch die Kammer überprüft wurde. Die von R angegebene Vorschrift des Art. 19 „Patentgesetz“ regelt (soweit man davon ausgeht, dass R damit das zitierte Gesetz meint) hingegen die Wirkungen des erteilten Patents.
167
Die bulgarische Rechtsprechung wendet unstreitig den sogenannten „functionway-result“-Test zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung an. Nach diesem aus dem USamerikanischen Recht stammenden Test muss das jeweilige Merkmal der angegriffenen Ausführungsform im Wesentlichen dieselbe Funktion erfüllen wie nach dem Patentanspruch, und zwar auf im Wesentlichen dieselbe Weise, um im Wesentlichen zum selben Ergebnis zu führen wie in der patentierten Erfindung (siehe U.S. Supreme Court, Warner-Jenkinson Co., Inc. v. Hilton Davis Chemical Co., 520 U.S. 17, 39 (1997)).
168
Die britische Rechtsprechung hat diesen Ansatz im Wesentlichen als erste von den drei sogenannten „Improver“-Fragen übernommen (siehe UK Supreme Court, Actavis UK Ltd. v. Eli Lilly and Co., [2017] UKSC 48 Rn. 60, 66). Nachdem das vorstehend zitierte Urteil die Fragen neu formuliert hat, wird im Folgenden von „Actavis“-Fragen gesprochen. Diese drei Fragen lauten:
1. Erreicht die Variante, auch wenn sie nicht dem Wortlaut des relevanten Patentanspruchs entspricht, im Wesentlichen dasselbe Ergebnis auf im Wesentlichen dieselbe Weise wie die Erfindung, d. h. wie die im Patent offenbarte erfinderische Idee?
2. Wäre es für einen Fachmann, der das Patent am Prioritätstag liest und weiß, dass die Variante im Wesentlichen dasselbe Ergebnis wie die Erfindung erzielt, naheliegend („obvious“), dass sie dies auf im Wesentlichen dieselbe Weise tut wie die Erfindung?
3. Hätte ein solcher Leser des Patents geschlussfolgert, dass der Patentinhaber dennoch beabsichtigte, dass die strikte Einhaltung des Wortlauts des relevanten Patentanspruchs eine wesentliche Voraussetzung der Erfindung sei?
169
Für den „function-way-result“-Test ist allein die erste Actavis-Frage relevant. Auf die zweite und die dritte Frage wird daher an dieser Stelle nicht eingegangen. Sie werden bei den Ausführungen zur Rechtslage in Irland erörtert.
170
Die Widerbeklagten haben sich nicht darauf berufen, dass der „function-way-result“-Test in Bulgarien in besonderer Art und Weise angewendet würde. In dem von den Widerbeklagten vorgelegten Gutachten der bulgarischen Rechtsanwälte T und T (Anlage 29) wird nur ausgeführt, dass in Bulgarien dieser Test angewendet würde.
171
Die Merkmale „dieselbe Funktion“ und „dasselbe Ergebnis“ des function-way-result-Tests entsprechen dem deutschen Merkmal der Gleichwirkung. Das Merkmal „dieselbe Weise“ entspricht den deutschen Merkmalen Auffindbarkeit und Gleichwertigkeit (siehe Meier-Beck, GRUR 2018, 241, 245). Dabei ist die Entsprechung für das Merkmal „dieselbe Weise“, bezogen auf den hiesigen Fall, genauer auszuführen.
172
Übertragen auf den hiesigen Fall bedeutet das, dass die angegriffene Ausführungsform ebenso wie die patentierte Erfindung eine (vom Wortlaut nicht erfasste) Pufferlösung enthält und deshalb im Wesentlichen dasselbe Ergebnis auf im Wesentlichen dieselbe Weise erzeugt.
173
Dem steht die bereits in Bezug genommene Entscheidung des UK High Court vom 8. Oktober 2025 ([2025] EWHC 2527 (Pat)) nicht entgegen. Vielmehr wird die hiesige Bewertung durch die Ausführungen im britischen Urteil gestützt. Das Gericht würde zu derselben Entscheidung gelangen, wenn derselbe Anspruch und derselbe Tatsachenvortrag zur Entscheidung gestanden hätten.
174
Im dortigen Fall hatte die Patentinhaberin auf Anspruch 1 des Klagepatents verzichtet und sich stattdessen auf eine – nochmal eingeschränkte – Fassung von Anspruch 5 gestützt. Auf dieser Basis kam das britische Gericht zu der Schlussfolgerung, der Anspruch sei aufgrund der genauen Angabe der Bestandteile (samt deren Dosierung) der Formulierung derart eng gefasst, dass sich das „erfinderische Konzept“ des Anspruchs auf die beanspruchte Zusammensetzung beschränke (aaO, Rn 475). Nach diesem „erfinderischen Konzept“ sei im Rahmen der ersten „Actavis“-Frage zu fragen (aaO, Rn 424 f., 427, 465). Deshalb sei im Rahmen der ersten „Actavis“-Frage zu konstatieren, dass die Formulierung der Widerbeklagten das erfinderische Konzept auf andere Weise umsetze (siehe aaO, Rn 487 f., 491). Würde man hingegen das erfinderische Konzept breiter formulieren – namentlich in dem Sinne, dass es in der Formulierung einer für die intravitreale Verabreichung geeigneten, d.h. auch ausreichend stabilen, Formulierung auf Basis von 40 mg/ml von Aflibercept (diese Menge entspricht der im britischen Verfahren eingeschränkten Fassung von Anspruch 5 des Klagepatents) und einem pH-Wert von 6,2 -6,3 liege –, wäre die erste „Actavis“-Frage zu bejahen (aaO, Rn 491). Das Bundespatentgericht hat aber für den in diesem Verfahren relevanten Anspruch 1 des Klagepatents festgestellt, dass die Aufgabe des Klagepatents (also das „erfinderische Konzept“) in der Bereitstellung von für die intravitreale Verabreichung geeigneten Formulierungen des vaskulären Endothelzellen-Wachstumsfaktor (VEGF)-Antagonisten bestehend aus den in Merkmal 1.1 genannten Aminosäuren besteht. Das ist nochmal breiter als die vom britischen Gericht alternativ betrachtete breitere Formulierung des erfinderischen Konzepts. Für den im hiesigen Verfahren relevanten Anspruch 1 würde folglich auch ein britisches Gericht die erste „Actavis“-Frage bejahen
175
Es ist daher davon auszugehen, dass ein bulgarischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(3) Dänemark
176
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Dänemark aus Art. 59 Abs. 1 des konsolidierten Patentgesetzes (Bekendtgørelse af patentloven). Die von R angegebene Vorschrift des Art. 3 des Patentgesetzes regelt hingegen die Wirkungen des erteilten Patents.
177
Ausweislich der von R vorgelegten Antworten der dänischen Mitglieder der Internationalen Vereinigung für den Schutz des geistigen Eigentums (AIPPI) auf einen Fragebogen der Vereinigung aus dem Jahr 2023 gibt es in der dänischen Rechtsprechung keinen fest etablierten Test, um eine äquivalente Patentverletzung zu prüfen. Es soll aber ausweislich dieser Antworten gemäß einem Urteil des dänischen Obersten Gerichtshofs entscheidend sein, ob das wesentliche Element der patentierten Erfindung in der angegriffenen Ausführungsform vorhanden ist, ob die Abweichungen zwischen der patentierten Erfindung und der angegriffenen Ausführungsform unwesentlich sind und ob die Abweichungen für die Fachperson naheliegend waren (siehe AIPPI, Yearbook 2023 – Doctrine of Equivalents, Anlage B 23, S. 156 ff.; die zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ist jünger als die ebenfalls zitierten Entscheidungen zweier Berufungsgerichte, die eine dem function-way-result-Test ähnliche Prüfung vorgenommen haben, und es wird auch angegeben, dass der Oberste Gerichtshof den von der AIPPI abgefragten „function test“ nicht explizit in Bezug genommen habe).
178
Die Widerbeklagten haben sich zur Prüfung der äquivalenten Patentverletzung in Dänemark nicht geäußert. Nach dem somit entscheidenden Maßstab stellt der streitgegenständliche Sachverhalt auch in Dänemark eine äquivalente Patentverletzung dar. Das wesentliche Element der Erfindung ist die Nutzbarmachung des Wirkstoffs Aflibercept für die intravitreale Injektion. Vor diesem Hintergrund ist die Verwendung eines Histidinpuffers anstelle eines Natriumphosphatpuffers unwesentlich und auch für den Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit auffindbar, also naheliegend.
179
Es ist daher davon auszugehen, dass ein dänischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(4) Finnland
180
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Finnland aus Art. 57 Abs. 1 des Patentgesetzes (Patenttilaki). Die von R angegebene Vorschrift des Art. 3 des Patentgesetzes regelt hingegen die Wirkungen des erteilten Patents.
181
Die finnische Rechtsprechung wendet unstreitig den sogenannten „function-wayresult“-Test zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung an. Die Widerbeklagten haben sich zur Prüfung der äquivalenten Patentverletzung in Finnland nicht geäußert. Aus den Antworten der finnischen Mitglieder der AIPPI auf den Fragebogen der Organisation ergeben sich keine Besonderheiten betreffend die Anwendung des Tests (siehe Anlage B 23, S. 187 ff.). Daher kann auf die obigen Ausführungen zur Anwendung des function-way-result-Tests in Bulgarien verwiesen werden.
182
Es ist daher davon auszugehen, dass ein finnischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(5) Griechenland
183
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Griechenland aus Art. 17 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 1733/1987 (Νομοσ υπ’ αριθμ. 1733/1987). Die von R angegebene Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 dieses Gesetzes regelt hingegen die Wirkungen des erteilten Patents.
184
Die griechische Rechtsprechung wendet unstreitig den sogenannten „functionway-result“-Test zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung an. Die Widerbeklagten haben sich zur Prüfung der äquivalenten Patentverletzung in Griechenland nicht geäußert. Daher kann auf die obigen Ausführungen zur Anwendung des function-way-result-Tests in Bulgarien verwiesen werden.
185
Es ist daher davon auszugehen, dass ein griechischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(6) Irland
186
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Irland aus Art. 47 Abs. 1 a) des Patents Act. Die von R angegebene Vorschrift des Art. 40 dieses Gesetzes regelt hingegen die Wirkungen des erteilten Patents.
187
Die Parteien sind sich darin einig, dass die irischen Gerichte wahrscheinlich den britischen Ansatz zur patentrechtlichen Äquivalenz übernehmen. Demnach würden sie die drei „Actavis“-Fragen anwenden.
188
Die Widerbeklagten bzw. die von ihnen eingeschaltete irische Rechtsanwältin J (siehe Anlage 25) vertreten keine Meinung zu der Frage, wie die irischen Gerichte diese drei Fragen beantworten würden.
189
(a.) Hinsichtlich der ersten „Actavis“-Frage kann auf die Ausführungen zum bulgarischen Recht verwiesen werden. Wie auch die patentierte Erfindung enthält die angegriffene Ausführungsform eine – wenn auch vom Anspruchswortlaut nicht erfasste – Pufferlösung. Sie erzeugt deshalb im Wesentlichen dasselbe Ergebnis auf im Wesentlichen dieselbe Weise.
190
(b.) Die zweite „Actavis“-Frage ist ebenfalls zu bejahen. Danach ist zu klären, ob es für einen Fachmann, der das Patent am Prioritätstag liest und weiß, dass die Variante im Wesentlichen dasselbe Ergebnis wie die Erfindung erzielt, naheliegend wäre („obvious“), dass sie dies auf im Wesentlichen dieselbe Weise tut wie die Erfindung. Der Fachmann hätte bei Lektüre der Patentschrift und Kenntnis dessen, dass die angegriffene Ausführungsform im Wesentlichen zum selben Ergebnis wie die patentierte Erfindung führt, gewusst, dass dies darauf beruht, dass Histidin ebenso ein Puffer ist wie Natriumphosphat. In dem Zusammenhang erscheint auch relevant, dass der britische Supreme Court die zweite „Actavis“-Frage in Actavis gerade aktualisiert hat um sicherzustellen, dass Routinetests chemischer Formulierungen dem Naheliegen nicht entgegenstehen (Supreme Court, Actavis UK Ltd. v. Eli Lilly and Co., [2017] UKSC 48, Rn 61 f.).
191
Mit Blick auf das Urteil des High Court of England and Wales vom 8. Oktober 2025 im Verfahren F v. R [2025] EWHC 2527 (Pat) ist betreffend die zweite „Actavis“-Frage Folgendes auszuführen: Das Urteil verneint die zweite Frage zwar, dies ist aber eine Konsequenz dessen, dass im dortigen Fall nicht Anspruch 1, sondern Anspruch 5 zur Entscheidung stand (siehe schon oben bei der Diskussion bei der Rechtslage in Bulgarien, Rn 173 f.). Wenn man das „erfinderische Konzept“ nicht auf die konkrete (und im britischen Verfahren nochmal eingeschränkte) Formulierung von Anspruch 5 beschränkt, sondern entsprechend der für Anspruch 1 geäußerten Auffassung des Bundespatentgerichts weiter fasst (siehe dazu schon oben Rn 174), käme auch das britische Gericht zu einer Bejahung der zweiten „Actavis“-Frage (siehe aaO, Rn 489, 492). Im Übrigen scheint es fraglich, ob die höheren britischen Instanzen der im zitierten Urteil entwickelten Auffassung folgen, dass im Rahmen der zweiten „Actavis“-Frage keine Tests berücksichtigt werden dürfen (siehe aaO, Rn 431 ff., 489), zumal der britische Supreme Court die Fragen nicht zuletzt mit Blick auf die beabsichtigte Kohärenz mit der deutschen, italienischen und niederländischen Rechtsprechung neu formuliert hat (siehe Actavis v Lilly [2017] UKSC 48 Rn 62).
192
(c.) Die dritte Frage beschäftigt sich damit, ob der Patentinhaber aus objektiver Sicht die strikte Einhaltung des Wortlauts als wesentliche Voraussetzung der Erfindung angesehen hätte. Diese Frage ist ebenso wie im deutschen Recht zu verneinen. Aus dem Schweigen der Patentschrift zu möglichen alternativen Pufferlösungen kann nicht der Schluss gezogen werden, der Patentinhaber habe den Schutzbereich des Patents auf einen Natriumphosphatpuffer beschränken wollen. Mit Blick auf das entgegenstehende Ergebnis im zitierten britischen Urteil ist erneut darauf hinzuweisen, dass dies erklärtermaßen daran liegt, dass Anspruch 5 viel enger formuliert ist als Anspruch 1 (siehe aaO, Rn 494).
193
Es ist daher davon auszugehen, dass ein irischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(7) Litauen
194
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Litauen aus Art. 52 Abs. 2 des Patentgesetzes (Patentų įstatymas 1994 m. sausio 18 d. Nr. I-372). Die von R angegebene Vorschrift des Art. 16 dieses Gesetzes regelt hingegen die Offenbarung der Erfindung in der Patentschrift.
195
Die litauische Rechtsprechung wendet unstreitig den sogenannten „function-wayresult“-Test zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung an. Dieser ist auch in Art. 38 Abs. 3 Unterabs. 1 des Patentgesetzes als einer der beiden Faktoren zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung explizit genannt. Die Widerbeklagten haben sich zur Prüfung der äquivalenten Patentverletzung in Litauen nicht geäußert. Daher kann auf die obigen Ausführungen zur Anwendung des function-way-result-Tests in Bulgarien verwiesen werden. Der zweite, in Art. 38 Abs. 3 Unterabs. 2 des Patentgesetzes genannte Faktor fragt danach, ob es für den Fachmann naheliegend war, dass dasselbe Ergebnis wie in der patentierten Erfindung durch das Austauschmittel erreicht werden kann. Auch diese Frage ist im vorliegenden Fall zu bejahen.
196
Es ist daher davon auszugehen, dass ein litauischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(8) Luxemburg
197
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Luxemburg aus Art. 80 Abs. 4 a) des Gesetzes vom 20. Juli 1992 zur Änderung der Regelung für Patente für Erfindungen (Loi du 20 juillet 1992 portant modification du régime des brevets d'invention). Die von R angegebene Vorschrift des Art. 29 Abs. 1 einer Loi sur les brevets existiert nicht.
198
Es ist unstreitig zwischen den Parteien, dass es zu erwarten ist, dass luxemburgische Gerichte den „function-way-result“-Test anwenden. Die Widerbeklagten haben sich zur Prüfung der äquivalenten Patentverletzung in Luxemburg nicht geäußert.
199
Es ist daher davon auszugehen, dass ein luxemburgischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(9) Niederlande
200
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in den Niederlanden aus Art. 70 Abs. 1 des Patentgesetzes (Rijksoctrooiwet). Die von R angegebene Vorschrift des Art. 53 Abs. 1 dieses Gesetzes regelt die Wirkungen des Patents.
201
Die niederländische Rechtsprechung wendet unstreitig den sogenannten „function-way-result“-Test zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung an. Die Widerbeklagten haben sich zur Prüfung der äquivalenten Patentverletzung in den Niederlanden nur betreffend die Berücksichtigung der Erteilungsgeschichte geäußert. Insoweit wird auf die einleitenden Bemerkungen verwiesen. Daher kann auf die obigen Ausführungen zur Anwendung des function-way-result-Tests in Bulgarien verwiesen werden.
202
Es ist daher davon auszugehen, dass ein niederländischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(10) Polen
203
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Polen aus Art. 287 Abs. 1 des Gesetzes betreffend das industrielle Eigentum (Ustawa z dnia 30 czerwca 2000 r. Prawo własności przemysłowej). Die von R angegebene Vorschrift des Art. 63 Abs. 1 dieses Gesetzes regelt die Wirkungen des Patents.
204
Die polnische Rechtsprechung wendet unstreitig den sogenannten „function-wayresult“-Test zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung an. Die Widerbeklagten haben sich zur Prüfung der äquivalenten Patentverletzung in Polen nicht geäußert. Daher kann auf die obigen Ausführungen zur Anwendung des functionway-result-Tests in Bulgarien verwiesen werden.
205
Es ist daher davon auszugehen, dass ein polnischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(11) Portugal
206
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Portugal aus Art. 345 Abs. 1 des Código da Propiedade Industrial. Die von R angegebene Vorschrift des Art. 102 dieses Gesetzes regelt die Wirkungen des Patents.
207
R trägt vor, die portugiesische Rechtsprechung wende den „functionway-result“-Test an. Die Widerbeklagten tragen durch den portugiesischen Rechtsanwalt F vor, der Test zur äquivalenten Patentverletzung laute zusammenfassend in Portugal wie folgt (siehe Anlage 26a, S. 6 f.):
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Portugal eine Verletzung durch Äquivalenz vorliegt, wenn
(i) Wenn die alternative Ausführungsform dasselbe technische Problem löst und im Wesentlichen dieselbe Funktion erfüllt, um im Wesentlichen dasselbe Ergebnis zu erzielen wie die beanspruchte Erfindung.
(ii) Wenn der Fachmann zum Zeitpunkt der Anmeldung oder der Priorität verstanden hätte, dass die alternative Ausführungsform im Wesentlichen die gleiche Funktion erfüllt, um im Wesentlichen das gleiche Ergebnis wie die beanspruchte Erfindung zu erzielen.
(iii) Außer wenn die alternative Ausführungsform
(a) war aus dem Stand der Technik ersichtlich
(b) unter klare Verzichtserklärungen oder Einschränkungen fällt, die der Patentinhaber während des Prüfungsverfahrens oder des Nichtigkeitsverfahrens gemacht hat,
(c) ist in der Patentschrift enthalten, aber nicht in den Ansprüchen.“
208
Eine äquivalente Patentverletzung ist sowohl nach dem „function-way-result“-Test (insoweit kann auf die Ausführungen zu Bulgarien verwiesen werden) als auch nach dem von Rechtsanwalt B zitierten Test zu bejahen. Namentlich zu Kriterium (iii) (b) wird auf die einleitenden Bemerkungen des Abschnitts verwiesen.
209
Es ist daher davon auszugehen, dass ein portugiesischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(12) Rumänien
210
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Rumänien – entsprechend den Angaben von R – aus Art. 61 Abs. 1 des Patentgesetzes (Lege nr. 64 din 11 octombrie 1991 privind brevetele de inventie).
211
Die rumänische Rechtsprechung wendet unbestritten einen Test an, wonach eine äquivalente Patentverletzung vorliegt, wenn das Austauschmittel (1) für die Fachperson naheliegend war und (2) dasselbe Ergebnis erzielt. Das deckt sich insoweit mit den Antworten der rumänischen Mitglieder der AIPPI auf den Fragebogen der Vereinigung, als es dort heißt, das rumänische Recht definiere ein äquivalentes Element als ein solches, das zum selben Ergebnis führt (siehe AIPPI, Yearbook 2023 – Doctrine of Equivalents, Anlage B 23, S. 464). Die Widerbeklagten haben sich zur Prüfung der äquivalenten Patentverletzung in Rumänien nicht geäußert. Auf Basis des geschilderten Tests ist eine äquivalente Patentverletzung zu bejahen.
212
Es ist daher davon auszugehen, dass ein rumänischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(13) Slowakei
213
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in der Slowakei aus § 32 Abs. 1 des Gesetzes betreffend Patente, ergänzende Schutzzertifikate und einige Änderungen (Slovak Zákon č. 435/2001 Z.z o patentoch, dodatkovüch ochrannüch osvedčeniach a o zmene a doplnení niektorüch zákonov). Die von R angegebene Vorschrift des § 11 Abs. 1 dieses Gesetzes regelt Arbeitnehmererfindungen.
214
R trägt vor, nach slowakischem Recht liege eine äquivalente Patentverletzung vor, wenn (1) das Austauschmittel im Wesentlichen dieselbe Funktion erfüllt und (2) das betroffene Merkmal, in dem das Austauschmittel von dem Anspruch im Wortsinn abweicht, keinen relevanten Einfluss auf die Funktion hat. Die Widerbeklagten vertreten hingegen die Auffassung, es werde geprüft, ob (1) das Merkmal in Kombination mit allen anderen Merkmalen des betrachteten unabhängigen Patentanspruchs im Wesentlichen die gleiche Funktion erfüllt und ob (2) das Merkmal dem Fachmann zum Zeitpunkt der Bewertung bekannt ist; beide Merkmale müssten kumulativ erfüllt sein, um eine Äquivalenz zu bejahen. Nach beiden Tests ist eine äquivalente Patentverletzung zu bejahen.
215
Es ist daher davon auszugehen, dass ein slowakischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(14) Slowenien
216
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Slowenien aus Art. 121 Abs. 1 a) des Gesetzes betreffend das gewerbliche Eigentum (Zakon o industrijski lastnini). Die von R angegebene Vorschrift des Art. 19 Abs. 1 dieses Gesetzes regelt Ausnahmen von der Wirkung des Patents.
217
R hat unbestritten vorgetragen, die slowenischen Gerichte orientierten sich an der Rechtsprechung der deutschen und britischen Gerichte. Sie würden daher eine äquivalente Patentverletzung bejahen, wenn jene nach deutschen Maßstäben zu bejahen wäre.
218
Es ist daher davon auszugehen, dass ein slowenischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(15) Spanien
219
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Spanien aus Art. 71 Abs. 1 a) des Patentgesetzes (Ley N° 24/2015, de 24 de julio de 2015, de Patentes). Die von R angegebene Vorschrift des Art. 50 dieses Gesetzes regelt verfahrensrechtliche Fragen betreffend die Erteilung des Patents.
220
R vertritt die Auffassung, dass die spanischen Gerichte sich an der britischen Rechtsprechung orientieren würden, wie sie im Urteil des britischen Supreme Court in Actavis v. Eli Lilly ausgesprochen wurde (siehe dazu oben zu Irland). Auf dieser Basis würden die spanischen Gerichte zur Feststellung einer Patentverletzung kommen.
221
Die Widerbeklagten vertreten hingegen, unter Verweis auf ein Urteil des spanischen Obersten Gerichtshofs vom 29.04.2015 (ECLI:ES:TS:2015:1940), die Auffassung, die spanischen Gerichte würden die zweite „Actavis“-Frage aus Sicht des Patentinhabers strenger formulieren. So heißt es in dem von den Widerbeklagten vorgelegten Gutachten des spanischen Rechtsanwalts O R (Anlage a, Punkt 36):
„In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass der Oberste Gerichtshof in seinem Urteil zu Escitalopram (siehe Dok. 18 meiner ersten Rechtsauffassung) feststellt, dass Frage 2 des Protokolls bewertet zum Prioritätsdatum des Patents, und dass ‚die Kammer die strengere These des Berufungsgerichts für zutreffender hält, da sie verlangt, dass die begründete Erwartung, dass die Alternative funktionieren wird, die Schwelle der Vorhersehbarkeit erreicht. […]. Es ist erforderlich, dass der Fachmann „hätte“ annehmen müssen, dass die Variante (das äquivalente Element) eine naheliegende Alternative war, d. h., dass der Erfolg der Substitution zur zufriedenstellenden Lösung des durch das Patent behandelten technischen Problems vorhersehbar war‘. Dementsprechend steht dieser Ansatz derzeit nicht im Einklang mit dem des britischen Obersten Gerichtshofs im Fall Pemetrexed, der eine Neuformulierung von Frage 2 des Protokolls in dem Sinne vorschlägt, dass zum Prioritätsdatum davon ausgegangen werden muss, dass die Variante funktioniert.“ (Fettdruck des letzten Satzes, wie im Original, weggelassen)
222
In dem von den Verfügungsklägerinnen im Verfahren 7 O 9383/25 vorgelegten Gutachten des spanischen Rechtsanwalts M M M (Anlage AST 29ü, Punkt 27) wird hingegen die Erwartung geäußert, dass die spanischen Gerichte in Zukunft dem Ansatz des britischen Supreme Court in Actavis v. Eli Lilly folgen würden.
223
Aus dem von Rechtsanwalt R zitierten Urteil des spanischen Obersten Gerichtshofs ergibt sich, dass im dort zu entschiedenen Rechtsstreit diskutiert wurde, wie der Begriff „obviedad“ auszulegen sei. Die kompletten relevanten drei Absätze lauten wie folgt (Rn 15 des Urteils, Annex von Anlage 23):
„Der Unterschied zwischen dem angefochtenen Urteil und dem, was der Kläger in seiner Berufung vorbringt, besteht darin, dass die Audiencia Provincial der Auffassung ist, dass für das Vorliegen von Naheliegen ein Fachmann vorhersehen kann, dass die in der umstrittenen Umsetzung eines der technischen Elemente des Patents verwendete Alternative, die dessen Funktionsweise nicht verändert, das technische Problem des Patents lösen wird, der Berufungskläger es jedoch für ausreichend hält, dass ein Fachmann diese Alternative testen oder ausprobieren würde und vernünftigerweise erwarten kann, dass sie funktioniert.
Das Gericht hält die anspruchsvollere Sichtweise des Gerichts für zutreffender, wonach die vernünftige Erwartung, dass die Alternative funktioniert, die Schwelle der Vorhersehbarkeit erreichen muss. Diese Vorhersehbarkeit ist nicht als 100prozentige Erfolgssicherheit zu verstehen (die in diesen Bereichen der Wissenschaft und Technologie schwer zu erreichen ist), sondern als eine sehr hohe Erfolgswahrscheinlichkeit. Es reicht nicht aus, wie der Berufungskläger behauptet, dass der Fachmann die Variante mit Erfolgserwartungen in Betracht gezogen hätte. Erforderlich ist, dass der Fachmann die Variante (das äquivalente Element) als naheliegende Alternative betrachtet hätte; das heißt, dass der Erfolg der Substitution bei der Lösung des durch das Patent zufriedenstellenden technischen Problems vorhersehbar war.
Daher reicht die bloße Möglichkeit, dass der Fachmann die Lösung des technischen Problems im Lichte des neuesten Stands der Technik übernommen hätte (‚could‘), nicht aus; vielmehr ist eine hohe Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass er dies getan hätte (‚would‘).“
(“La diferencia entre lo que afirma la sentencia recurrida y lo que sostiene la demandante en su recurso es que mientras que la Audiencia Provincial considéra que para que exista obviedad es necesario que para el experto en la materia sea predecible que la alternativa utilizada en la realizaciôn controvertida respecto de uno de los elementos técnicos de la patente, que no altera el funcionamiento de la misma, solucionarâ el problema técnico abordado por la patente, en cambio para la récurrente basta con que el experto en la materia probaria o intentarfa esa alternativa al tener una expectativa razonable de que funcionarâ.
La Sala considéra que es mäs acertada la tesis mas exigente de la Audiencia, al requérir que la expectativa razonable de que la alternativa funcionarâ alcance el umbral de la predecibilidad. Esta predecibilidad debe ser entendida no como un cien por cien de seguridad en el éxito (que en estos campos de la ciencia y de la técnica es dificil poder alcanzar) pero si como una probabilidad muy elevada de éxito. No es suficiente, como pretende la récurrente, que el experto en la materia habria contemplado la variante con expectativas de éxito. Es necesario que el experto en la materia „habrfa“ contemplado que la variante (el elemento équivalente) era una alternativa obvia, esto es, que el éxito de la sustitucion, para resolver el problema técnico abordado satisfactoriamente por la patente, era predecible.
Por tanto, no basta la simple posibilidad de que el experto en la materia hubiera adoptado la soluciôn al problema técnica a la vista del estado de la técnica mas reciente (podia, ‘could’), sino que se exige una alta probabilidad de que lo hubiera hecho (habria, ‘would’).”)
224
In dem Sinne, wie der spanische Oberste Gerichtshof demnach ausweislich des dritten zitierten Absatzes den Begriff „obviedad“ auslegt – was nicht unbedingt dem deutschen Verständnis des Begriffs „Vorhersehbarkeit“ entspricht –, wäre eine äquivalente Patentverletzung zu bejahen. Denn anzustellende Routinetests (siehe dazu oben in Rn 145) stehen der „hohen Wahrscheinlichkeit“, dass die Alternative funktioniert, nicht entgegen.
225
Darüber hinaus hält die Kammer es aber auch für wahrscheinlich, dass die spanischen Gerichte in Zukunft dem Ansatz des britischen Supreme Court, wie er in Actavis v. Eli Lilly geäußert wurde, zumindest für den Bereich pharmazeutischer Erfindungen folgen. Denn es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die spanischen Gerichte sich in der Vergangenheit an den britischen Gerichten orientiert haben. Und der britische Supreme Court hat in der genannten Entscheidung explizit mit Blick auf die spanischen Gerichte ausgesprochen, dass er eine Annäherung an kontinentaleuropäische Rechtsprechung anstrebe (siehe [2017] UKSC 48 Rn 97). Insoweit als der High Court of England and Wales in seiner Entscheidung vom 8. Oktober 2025 im Verfahren F v. R ([2025] EWHC 2527 (Pat)) ausgesprochen hat, im Rahmen der zweiten „Actavis“-Fragen sollten keine Tests berücksichtigt werden, hat die Kammer Bedenken, ob die höheren britischen Instanzen dem folgen werden (siehe oben Rn 191 die Diskussion der Rechtslage in Irland), geschweige denn die spanischen Gerichte.
(16) Schweden
226
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Schweden aus Kap. 15 § 4 des Patentgesetzes (Patentlag). Die von R angegebene Vorschrift des § 3 dieses Gesetzes stellt einen unklaren Verweis dar.
227
Die schwedische Rechtsprechung wendet unstreitig den sogenannten „functionway-result“-Test zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung an. Die Widerbeklagten haben sich zur Prüfung der äquivalenten Patentverletzung in Schweden nicht geäußert. Daher kann auf die obigen Ausführungen zur Anwendung des function-way-result-Tests in Bulgarien verwiesen werden.
228
Es ist daher davon auszugehen, dass ein schwedischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(17) Tschechien
229
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Tschechien aus § 4 des Gesetzes zur Durchsetzung gewerblicher Eigentumsrechte und zum Schutz von Betriebsgeheimnissen (Zákon č. 221/2006 Sb., ze dne 25. dubna 2006 o vymáhání práv z průmyslového vlastnictví a ochraně obchodního tajemství). Die von R angegebene Vorschrift des § 13 Abs. 1 des Patentgesetzes regelt hingegen die Wirkungen des erteilten Patents.
230
R vertritt die Auffassung, nach tschechischem Recht liege – wie nach slowakischem Recht – eine äquivalente Patentverletzung vor, wenn (1) das Austauschmittel im Wesentlichen dieselbe Funktion erfüllt und (2) das betroffene Merkmal, in dem das Austauschmittel von dem Anspruch im Wortsinn abweicht, keinen relevanten Einfluss auf die Funktion hat.
231
Die Widerbeklagten tragen hingegen unter Verweis auf ein Gutachten der tschechischen Rechtsanwältin E (Anlage 27a, Punkt 12 ff.) Folgendes vor:
„Die Gerichte haben drei Voraussetzungen für die Anwendung der Äquivalenzdoktrin definiert:
Die erste Voraussetzung ist, dass das Merkmal ein wesentliches Merkmal der patentgeschützten Lösung sein muss.
Gemäß der zweiten Voraussetzung müssen der Gegenstand der Beurteilung und das entsprechende wesentliche Merkmal des Patents im Hinblick auf das im Patent festgelegte Ziel die gleiche Funktion haben.
Gemäß der dritten Voraussetzung muss das verglichene Element des Gegenstands der Beurteilung zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Patents im Stand der Technik bekannt gewesen sein, sodass ein Fachmann es ohne erfinderische Tätigkeit identifizieren konnte.
Die oben genannten Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein; die Nichterfüllung auch nur einer dieser Bedingungen reicht aus, um zu dem Schluss zu kommen, dass das verglichene Element des Gegenstands kein technisches Äquivalent des entsprechenden Merkmals der patentgeschützten Lösung ist.
Bei Zweifeln hinsichtlich des Umfangs des Patentschutzes ‚ist es erforderlich, eine Auslegung der Patentansprüche zu wählen, die zum Schutz dessen führt, was tatsächlich neu an der Erfindung war und warum das Patent erteilt wurde. Patentansprüche können daher nicht weit ausgelegt werden, um die Verwendung von Lösungen zu verhindern, die vor der Einreichung der Patentanmeldung bekannt waren, oder von neuen technischen Lösungen, die sich von dem erteilten Patent unterscheiden.‘ Gemäß dem vom Tschechischen Amt für gewerbliches Eigentum herausgegebenen Praktischen Leitfaden für Verfahren vor dem Amt ‚darf die neue Kombination von Merkmalen (mit einem technischen Äquivalent) aufgrund dieses Äquivalents auch nicht so nahe an den Stand der Technik heranreichen, der für die Patentierbarkeit des betreffenden unabhängigen Patentanspruchs relevant war, dass diese Patentierbarkeit durch ihr Vorhandensein in Frage gestellt wird. Die Anwendung der Äquivalenztheorie ist generell ausgeschlossen in Fälle, in denen ein technisches Äquivalent an die Stelle eines Merkmals eines unabhängigen Patentanspruchs treten sollte, das allein die Kombination der Merkmale dieses Anspruchs vom Stand der Technik unterscheidet.‘“
232
Die Widerbeklagten schlussfolgern, dass ein tschechisches Gericht die Äquivalenz für nicht nachgewiesen erachten würde, „da dies den Anwendungsbereich des erteilten Patents in unangemessener Weise ausweiten würde, um ein Merkmal abzudecken, das am Prioritätstag selbst nach den Ausführungen der Patentinhaberin und der Antragstellerinnen als erfinderisch angesehen worden wäre.“
233
Danach ist eine äquivalente Patentverletzung unabhängig davon, ob der Auffassung von R oder derjenigen der Widerbeklagten zu folgen ist, zu bejahen. Denn bei der Prüfung der äquivalenten Patentverletzung nach deutschem Recht wurde festgestellt (darauf wird auch in den einleitenden Bemerkungen dieses Abschnitts verwiesen), dass das Merkmal „Natriumphosphatpuffer“ nicht „allein die Kombination der Merkmale [des Patentanspruchs] vom Stand der Technik unterscheidet“ bzw. dass die Patentinhaberin dieses Merkmal nicht (für sich genommen) als erfinderisch angesehen hat.
234
Es ist daher davon auszugehen, dass ein tschechischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(18) Ungarn
235
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Ungarn aus Art. 35 Abs. 2 b) des Gesetzes zum Schutz von Erfindungen durch Patente (1995. évi XXXIII. törvény a találmányok szabadalmi oltalmáról).
236
Die ungarische Rechtsprechung wendet unstreitig den sogenannten „functionway-result“-Test zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung an. Die Widerbeklagten haben sich zur Prüfung der äquivalenten Patentverletzung in Ungarn nicht geäußert. Daher kann auf die obigen Ausführungen zur Anwendung des function-way-result-Tests in Bulgarien verwiesen werden.
237
Es ist daher davon auszugehen, dass ein ungarischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
(19) Zypern
238
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in Zypern aus Art. 61 Abs. 2 a) des Patentgesetzes (Ο περί Διπλωμάτων Ευρεσιτεχνίας Νόμος του 1998 (N. 16(I)).
239
Die zypriotische Rechtsprechung orientiert sich unstreitig an den britischen Gerichten. Dies erscheint auch vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte (Zypern war von 1878 bis 1960 britisches Protektorat) nachvollziehbar. Die Widerbeklagten haben sich zur Prüfung der äquivalenten Patentverletzung in Zypern nicht geäußert. Daher kann auf die obigen Ausführungen zu Irland verwiesen werden.
240
Es ist daher davon auszugehen, dass ein zypriotischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
6. Ergebnis der Analyse der Äquivalenzprüfung in den 19 geltend gemachten Ländern
241
Es ist davon auszugehen, dass die Einwände der Widerbeklagten in keinem Fall durchgreifen und ein nationaler Richter in jedem Staat zu dem Ergebnis kommen würde, dass eine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln vorliegen würde.
242
III. Es besteht in Hinblick auf alle 19 mit diesem Verfahren geltend gemachten Staaten eine Erstbegehungsgefahr, so dass das von R geltend gemachte Unterlassungsbegehren begründet ist.
243
Das gilt allerdings nur in Bezug auf F, K und T, weil es bezüglich r an jedem Vortrag mangelt, inwieweit r in die Planung des Vertriebs der angegriffenen Ausführungsform jenseits des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland eingebunden sei.
1. Erstbegehungsgefahr als materiell-rechtliche Voraussetzung
244
Ausgangspunkt ist, dass sich die Prüfung einer etwa erforderlichen Erstbegehungsgefahr als materiell-rechtliche Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs nach dem Recht des Schutzlands richtet (siehe BGH, I ZR 99/88, GRUR 1990, 687, 689 – Anzeigenpreis II; Benkard/Grabinski/Zülch/Tochtermann, aaO, § 139 Rn 27).
245
Allerdings dürfen die Anforderungen an den klägerischen Vortrag nicht überspannt werden. Insbesondere ist es zulässig, wenn die Klagepartei Tatsachen vorträgt, die es als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen, dass in allen Staaten eine unmittelbare Patentverletzung bevorstehen könnte, beispielsweise durch das mögliche baldige Anbieten eines Produkts. Ausreichend wäre der Vortrag, dass eine Zulassung zumindest beantragt ist und eine Vertriebsstruktur besteht, die es ermöglichen würde, das Produkt zu vertreiben. Gerade im Pharmabereich werden sich die erheblichen Investitionen in neue Produkte nur refinanzieren lassen, wenn dieses Produkt weithin verfügbar ist. Dies gilt für die in der Entwicklung kostspieligen Biosimilars besonders. Wenn ein solcher Vortrag erfolgt ist, wäre es bei der in Anspruch genommenen Partei vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, dass trotz der Möglichkeit entweder ein Vertrieb nicht geplant ist oder die rechtlichen Voraussetzungen in einem Land einen Unterlassungsanspruch nicht rechtfertigen würden.
246
Vorliegend ist von maßgeblicher Bedeutung, dass mit der Zulassung des Biosimilars F die Möglichkeit besteht, dass es in allen geltend gemachten Staaten in arzneimittelrechtlicher Hinsicht zugelassen werden könnte. Nach dem Vortrag der Widerbeklagten haben sie bereits eine Struktur entwickelt, die in arbeitsteiliger Weise den Europäischen Markt mit dem Biosimilar F versorgen kann. Hinzu kommt, dass es in Deutschland, Frankreich, Belgien und Italien bereits negative Feststellungsklagen gibt bzw. gegeben hat. Insgesamt kann dies nur so bewertet werden, dass für alle in Anspruch genommenen Länder zumindest die Gefahr eines Markteintritts besteht.
2. Hinreichend konkrete Verletzungsgefahr in allen 19 Ländern – Bewertung anhand einer Gesamtschau der auf die einzelnen Länder bezogenen Äußerungen und Handlungen des Patentverletzers
247
Die Erstbegehungsgefahr ist in Fällen, in denen der Patentinhaber gleichzeitig die Unterlassung der Patentverletzung in mehreren ausländischen Ländern geltend macht, auf Basis einer Gesamtschau der auf diese Länder bezogenen Äußerungen und Handlungen des Patentverletzers zu bewerten.
248
Eine effektive Durchsetzung von Patentrechten fordert – zumindest für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union unmittelbar – mit der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG, dass bei einer hinreichend konkreten Gefährdungslage vorsorglich Unterlassungsbegehren erlangt werden können. Dies gilt insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Verfahrenskonzentration. Potenzielle Patentverletzer sollen sich nicht dadurch einen Vorteil verschaffen können, dass sie in sukzessiver Weise vorgehen. Ansonsten wären sie in der Lage, finanzielle und personelle Ressourcen von Patentinhabern – die sich nicht aussuchen können, dass ihre Schutzrechte von Dritten in verschiedenen Staaten verletzt werden – über Gebühr beansprucht werden.
249
Vorliegend ist es der Widerklägerin im Ergebnis nicht zuzumuten ist, bezüglich jedes Landes, in dem das Klagepatent validiert ist, zuzuwarten, bis die Widerbeklagten eventuell auch für dieses Land einen Markteintritt ankündigen und/oder in diesen Mitgliedstaaten weitere negative Feststellungsklagen gegen R erheben.
250
Nach diesem Maßstab sind die folgenden Aspekte relevant:
251
a.) In der Replik vom 27. Juni 2025 ließen die Widerbeklagten über ihren Prozessvertreter mitteilen, die „Vermarktungspläne für den deutschen sowie den übrigen europäischen Markt [lägen] vor“ (Rn 6).
252
Es droht folglich eine Vermarktung von F zumindest in Teilen Europas ab dem 24. November 2025 durch F und T. Diese Ankündigung deckt sich mit dem Inhalt des Berichts für die Hauptversammlung von F vom selben Tag. Dort heißt es zum Einführungsstatus in Bezug auf die angegriffene Ausführungsform (Anlage B 26, S. 33):
...
253
Eine Seite zuvor werden Vertriebspartner für die angegriffene Ausführungsform präsentiert (MENA steht wahrscheinlich für „Middle East, Northern Africa“, APAC für „Asia, Pacific“ und LATAM für „Latin America“):
 
254
Dies zeigt, dass eine weltweite Vermarktungsstrategie planen mit einem besonderen Fokus auf eine schnelle Einführung in Europa. Dabei zeigt der Bericht für die Hauptversammlung von, dass sie in Bezug auf andere Biosimilars neben Deutschland, Frankreich, Italien und dem Vereinigten Königreich auch Spanien zu den „5 Topmärkten“ in Europa zählt (Anlage B 26, S. 26, 30).
255
b.) Diese Ankündigungen haben auch umgesetzt. In der Schutzschrift vom 18. März 2025 (siehe Verfahren 7 O 9383/25) haben sie mitgeteilt (siehe dort Rn. 43), dass sie den italienischen Behörden die nach Art. 5 Abs. 2 b) der Verordnung Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über das ergänzende Schutzzertifikat (ESZ-VO) erforderliche Mitteilung über eine bevorstehende Herstellung von gemacht hätten. In der Anmeldung hätten sie kundgetan, dass „Zweck der Herstellung die Ausfuhr und die Lagerung von sei und dass der Mitgliedstaat, in dem die Herstellung stattfinden solle, Italien sei“ (dort Rn. 44).
256
Weiter haben im August und Dezember 2024 in Frankreich bzw. Belgien jeweils negative Feststellungsklage mit dem Ziel erhoben, feststellen zu lassen, dass die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent nicht verletzt. Im Februar 2025 folgte ein entsprechender Antrag im einstweiligen Rechtsschutz in Italien (siehe Anlagen B 10 bis B 12). Im hiesigen Verfahren haben und ihre negative Feststellungsklage im Übrigen auf die Niederlande, Österreich, Portugal, Schweiz und Spanien erweitert.
257
In dem von B und B im Verfahren 7 O 9383/25 vorgelegten Gutachten der französischen Rechtsanwältin F J heißt es, durch Entscheidung vom 31. Juli 2025 seien ® und ® in die Liste der E-Biosimilar-Arzneimittel der französischen Behörde für die Zulassung von Arzneimitteln in Frankreich (‚ANSM‘) aufgenommen worden (siehe Anlage AST 28ü, S. 19). Laut dem von B und B im Verfahren 7 O 9383/25 vorgelegten Gutachten des belgischen Rechtsanwalts S C (Anlage AST 30ü, Rn 22) sind auf der Website der belgischen Föderalen Agentur für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte alle belgischen Produktinformationen bereits veröffentlicht, darunter die Fachinformation, die Etikettierung und die Packungsbeilage für ® und ®, die in Niederländisch, Französisch, Deutsch und Englisch heruntergeladen werden könnten. Zwar macht die Widerklägerin hinsichtlich Belgien im vorliegenden Verfahren keinen Unterlassungsanspruch geltend, das Vorgehen der Widerbeklagten in Belgien ist jedoch bei der wertenden Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen.
258
Es ist auch von Bedeutung, dass F und T über eine einheitliche europäische arzneimittelrechtliche Zulassung für die angegriffene Ausführungsform verfügen, mithin für keinen EU-Mitgliedstaat große regulatorischen Hürden vor einer Vermarktung bestehen.
259
c.) Die Widerbeklagten haben eine Studie der Europäischen Kommission mit dem Titel „Generics in small markets or for low volume medicines“ (Anlage 31) vorgelegt, mit der sie nachweisen wollen, dass die europaweit simultane Einführung von Generika und Biosimilars die „absolute Ausnahme“ sei (Erwiderung auf die Widerklage vom 16.09.2025, Rn 39). Die Widerbeklagten geben aber in dem Zusammenhang selbst an, „üblich [seien] gestaffelte Markteintritte, bei denen Pharmafirmen große und lukrative Märkte zuerst bedienen und kleinere Staaten verzögert oder gar nicht“. Sie geben also selbst an, dass es in der Regel gut möglich ist, dass kleinere Staaten ebenfalls beliefert werden, nur später als die großen. Es ist davon auszugehen, dass bei – wie die Widerbeklagten selbst betonen – in der Entwicklung sehr teuren Biosimilars häufiger eine wenigstens verzögerte Markteinführung stattfindet als bei Generika, um die Kosten durch die breitere Vermarktung zu amortisieren. Zudem zeigt die – Generika und Biosimilars gemeinsam erfassende – Studie immerhin, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt in neun von 30 Staaten mindestens fünf Generika bzw. Biosimilars, bezogen auf elf Wirkstoffe, verfügbar waren und in weiteren neun Staaten drei bis vier Generika bzw. Biosimilars. In mehr als der Hälfte der untersuchten Staaten waren also allein zu einem bestimmten Zeitpunkt etwa ein Drittel der Wirkstoffe durch Generika bzw. Biosimilars flankiert, womit ein verzögerter Markteintritt noch nicht abgedeckt ist.
260
d.) Es ist mithin davon auszugehen, dass F und T ihr Produkt F nicht nur in Deutschland, Belgien, Frankreich und Italien, sondern auch in mehreren anderen europäischen Ländern zeitnah auf den Markt bringen werden. In einer solchen Konstellation können aber nach Auffassung der Kammer nicht die üblichen Maßstäbe für die Erstbegehungsgefahr gelten, wie sie die Widerbeklagten für mehrere europäische Länder aufgezeigt haben, ohne dass in jenen Fällen (erkennbar) auf eine Konstellation wie die hiesige abgestellt worden wäre. Der feststehende, nah bevorstehende Markteintritt zumindest in Deutschland, Belgien, Frankreich und Italien muss vor dem Hintergrund der von den Widerbeklagten selbst eingeräumten Tatsache, dass Biosimilars zeitgleich oder verzögert auch in anderen europäischen Staaten auf den Markt gebracht werden, dazu führen, dass die Erstbegehungsgefahr auch für die anderen europäischen Staaten bejaht wird.
3. Keine andere Bewertung aufgrund der Entscheidung des LG Düsseldorf, 4b O 103/23
261
Soweit die Widerbeklagten in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des LG Düsseldorf verweisen (4b O 103/23, GRUR-RS 2024, 44187) liegt der dortigen Entscheidung und auch namentlich der von den Widerbeklagten zitierten Textstelle eine andere Konstellation zugrunde. Im dortigen Verfahren ging es um eine negative Feststellungsklage eines Biosimilar-Herstellers, dessen chemische Formulierung zum Entscheidungszeitpunkt im Einzelnen noch nicht feststand. Die Interessenlage der Parteien im dortigen Verfahren war mithin eine gänzlich andere als hier. Dort wollte der Kläger weit im Vorfeld gerichtlich die Zulässigkeit seines Handelns abklären lassen, bevor er seine Investitionen im Hinblick auf die konkrete Formulierung und Vermarktungspläne fortsetzte. Das stellt aber kein rechtliches Interesse dar, wie das LG Düsseldorf zutreffend festgestellt hat. Im hiesigen Fall geht es um die Abwehr einer drohenden Patentverletzung, die hinsichtlich des Eingriffs in den Schutzbereich bereits feststeht. Die von den Widerbeklagten konkret zitierte Stelle des Urteils (Rn 28) besagt, dass sich die Patentinhaberin in Deutschland keine Äußerungen ihrer Prozessvertreter in einem ausländischen Verfahren zurechnen lassen muss, in denen diese Prozessvertreter eine Erstbegehungsgefahr für das ausländische Land bejahen. Von jener Konstellation ist es zu unterscheiden, wenn die Kammer auf Basis der dargelegten Umstände betreffend mehrere Länder zu dem Ergebnis kommt, dass eine Erstbegehungsgefahr für diese Länder zu bejahen ist.
D.
262
Die negative Feststellungsklage auf Feststellung, dass der B kein Unterlassungsanspruch gegen F bezogen auf das Klagepatent in Deutschland zustehe, ist unbegründet.
263
Entsprechendes gilt für die negative Feststellungsklage, dass der B und der B kein Unterlassungsanspruch gegen F und K bezogen auf das Klagepatent in fünf weiteren Ländern (Niederlande, Österreich, Portugal, Schweiz und Spanien) zustehe.
264
Jeweils ist eine äquivalente Patentverletzung zu bejahen (dazu unter I.). Die beiden B-Gesellschaften sind zudem aktivlegitimiert (dazu unter II.).
265
I. 1. Insoweit als der Tatbestand der äquivalenten Patentverletzung und die Erstbegehungsgefahr als notwendige Bestandteile des Unterlassungsanspruchs betroffen sind, ergibt sich dieses Ergebnis für Deutschland sowie die Staaten Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien aus den obigen Ausführungen unter B. I. und unter C. II.
266
2. Aber auch bezogen auf die Schweiz sind äquivalente Patentverletzung und Erstbegehungsgefahr zu bejahen.
267
a.) Hinsichtlich der Erstbegehungsgefahr gilt für die Schweiz Entsprechendes wie für die anderen 19 Länder. Daher kann insoweit auf die obigen Ausführungen unter C. III. verwiesen werden.
268
b.) Auch die äquivalente Patentverletzung ist zu bejahen.
269
Der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung folgt in der Schweiz aus Art. 72 des Bundesgesetzes über Erfindungspatente.
270
F und K tragen vor, dass die schweizerische Rechtsprechung für die Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung folgenden dreistufigen Test anwende:
1. Erfüllt das abgewandelte Merkmal im Zusammenwirken mit den übrigen technischen Merkmalen des Patentanspruchs objektiv die gleiche Funktion wie das beanspruchte Merkmal (Gleichwirkung)?
2. Ist die Gleichwirkung für den Fachmann bei objektiver Betrachtung unter Berücksichtigung der Lehre des Patents offensichtlich, wenn die Merkmale ausgetauscht sind (Auffindbarkeit)?
3. Gelangt der Fachmann bei objektiver Lektüre der Patentschrift zum Schluss, der Patentinhaber habe den Anspruch – aus welchen Gründen auch immer – so eng formuliert, dass er den Schutz für eine gleichwirkende und auffindbare Ausführung nicht beansprucht (Gleichwertigkeit)?
271
Dabei führen F und K aus, dass sich dieser Test am deutschen Recht orientiere, er sei aber nicht identisch dazu.
272
Ob namentlich die zweite Frage die schweizerische Rechtsprechung korrekt wiedergibt (hierzu bestehen erhebliche Zweifel bei Konsultation des „Pemetrexed“Urteils des schweizerischen Bundesgerichts vom 20. Oktober 2017, 4A_208/2017, GRUR Int. 2018, 132 Rn. 5.4.1, welches sich für die zweite Frage explizit auf den BGH bezieht), kann hier dahingestellt bleiben.
273
Denn F und K wollen die äquivalente Patentverletzung am dritten Merkmal scheitern lassen, weil der Fachmann die Klagepatentschrift so gelesen hätte, dass die Patentinhaberin den Schutz auf „Natriumphosphat“ als Puffer beschränkt hätte. Diese Auffassung stützen die F und K auf ein Rechtsgutachten des schweizerischen Rechtsanwalts A (Anlage 38, S. 4).
274
Rechtsanwalt M gibt insoweit aber nur seine persönliche Auffassung nach Auslegung der dritten Frage wieder, ohne dass er in dieser Hinsicht auf Besonderheiten des schweizerischen Rechts verweist. Das schweizerische Bundesgericht verweist hingegen auch für das Merkmal der Gleichwertigkeit auf das „Pemetrexed“-Urteil des BGH (siehe GRUR Int. 2018, 132 Rn. 5.5.1), konkret insoweit als der BGH im Anschluss an die Aussage, das deutsche Merkmal der Gleichwertigkeit entspreche der dritten britischen „Improver“-Frage (siehe dazu oben in der Darstellung der Rechtslage in Bulgarien und Irland), konstatiert (siehe GRUR 2016, 921 Rn. 51): „Nach [der britischen] Rechtsprechung fällt eine solche Ausführungsform, auch wenn die Abwandlung keinen wesentlichen Einfluss auf die erfindungsgemäße Wirkung hat und dieser Umstand dem Fachmann nahegelegt war, nicht in den Schutzbereich des Patents, wenn dem Patentanspruch aus fachmännischer Sicht zu entnehmen ist, dass die Übereinstimmung mit dem primären Wortlaut zu den wesentlichen Erfordernissen der Erfindung gehört.“ In der Folge hat der BGH eine äquivalente Patentverletzung in „Pemetrexed“ bejaht und die Kammer hat ausgeführt, weshalb der hiesige Fall mit dem Fall „Pemetrexed“ vergleichbar ist.
275
Es ist daher davon auszugehen, dass ein schweizerischer Richter ebenfalls zur Feststellung einer äquivalenten Patentverletzung kommen würde.
II.
276
B und B sind auch jeweils aktivlegitimiert.
277
B als exklusive Lizenznehmerin und B als exklusive Unterlizenznehmerin sind beide jeweils zur Klage aus dem Klagepatent im eigenen Namen berechtigt, haben also auch selbst einen Unterlassungsanspruch gegen F.
278
Die Widerbeklagten haben in Frage gestellt, ob der Lizenzvertrag zwischen der Patentinhaberin und B vom 18. Oktober 2006 überhaupt eine exklusive Lizenz einräumt und zudem in Frage gestellt, ob ein exklusiver Lizenznehmer seine Klagebefugnis behält, wenn er selbst eine exklusive Lizenz weitergibt. Diese Bedenken stehen einer Aktivlegitimation jedoch nicht entgegen.
279
Die von B als exklusive Lizenznehmerin erlangte Klagebefugnis hat sie auch nicht durch das Einräumen einer Unterlizenz verloren.
1. Aktivlegitimation von B
280
a.) Ein Lizenznehmer ist nach allgemeiner Meinung dann berechtigt, eine Patentverletzung im eigenen Namen geltend zu machen, wenn er über eine exklusive Lizenz betreffend die jeweils geltend gemachte patentrechtliche Benutzungshandlung verfügt. Grund dafür ist, dass der Patentinhaber bestimmen können muss, wie und wo sein Schutzrecht verteidigt wird. Lediglich bei einer ausschließlichen Lizenz hat er sich seiner Rechte am Schutzrecht so weit begeben, dass sein Interesse hinter dem Interesse des Lizenznehmers, seine ausschließliche Lizenz verteidigen zu können, zurücktritt.
281
Eine exklusive Lizenz in diesem Sinn liegt auch dann vor, wenn sich der Patentinhaber eine eigene Nutzung vorbehält. Denn es stünde dem exklusiven Lizenznehmer im Zweifel frei, Unterlizenzen zu erteilen, auch an den Patentinhaber.
282
b.) R hat B in Ziffern 4.1 und 4.5 des Vertrags vom 18. Oktober 2006 (Anlage 18, nachfolgend: Lizenzvertrag) eine für die Zwecke der Aktivlegitimation ausreichende exklusive Lizenz für den geltend gemachten Antrag erteilt.
283
Die Kammer kann diesen Lizenzvertrag – der USamerikanischen Recht unterfällt – auf Grundlage des Vorbringens beider Parteien auslegen, da es sich um eine einfach gelagerte Rechtsfrage handelt, hinsichtlich der es im internationalen Rechtsverkehr einheitliche Standards gibt. Denn Lizenzverträge mit internationaler Wirkung müssen auch für die lizensierten Gebiete handhabbar sein. Es kann der Anwendung der Verträge nicht von jedem Dritten entgegengehalten werden, dass sie nach dem einschlägigen Recht Ausnahmen postulieren würden. Soweit eine Partei der Ansicht ist, dass der Vertrag nach dem einschlägigen Recht anders auszulegen sei, müsste sie konkret vortragen, welche Rechtsgrundsätze Anwendung finden sollen und weshalb diese Rechtsgrundsätze zu einem anderen Ergebnis führen. Ein solcher Vortrag wurde nicht erbracht und es ist auch nicht ersichtlich, dass er zielführend gewesen wäre. Ergänzend ist zu erwähnen, dass sich R., B und B in den unterschiedlichen Verfahren gegen die Widerbeklagten betreffend das Biosimilar F abgestimmt haben. Sofern R Zweifel daran gehabt hätte, dass der Lizenzvertrag vom 18. Oktober 2006 eine hinreichende Legitimationsgrundlage darstellt, hätte sie diese Zweifel im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft ausräumen können.
284
c.) Ziffer 4.1 des Lizenzvertrags lautet, soweit hier relevant, wobei „Company“ License Grants. Subject to the terms and conditions of this Agreement (including, without limitation, Section 4.5) and any Existing License or New is a party, R hereby grants to Company (a) the nontransferable (except as permitted by Section 20.9), co-exclusive (with R and its Affiliates) right and license under the R Intellectual Property to make, have made, use, develop, import and export Licensed Products for use in the Field in the Territory, and (b) the nontransferable (except as permitted by Section 20.9), exclusive right and license under the R Intellectual Property to sell and offer to sell Licensed Products in the Field in the Territory, subject to R’s right to supply Licensed Products to Company, as contemplated by this Agreement. […]“
285
Dabei ist es nicht ausreichend, dass der Lizenzvertrag (unter 4.1. b) von einer „Exklusivlizenz“ spricht. Die Frage, welche Rechtsnatur eine Lizenz hat, bestimmt sich nicht nach der Bezeichnung, sondern nach dem Inhalt. Allerdings hat eine Bezeichnung eine Indizwirkung. Deshalb ist zu überprüfen, ob die zurückbehaltenen Rechte einen solchen Umfang haben, dass die für eine Prozessführungsbefugnis (bzw. die Weiterlizenzierung einer solchen) erforderliche Exklusivität nicht mehr vorliegt.
286
Der Vertragstext ist so zu verstehen, dass R eine exklusive Lizenz (vorbehaltlich Ziffer 4.5) betreffend die Herstellung, das Herstellenlassen, die Verwendung, die Entwicklung, den Import und den Export der lizenzierten Produkte, in einem Co-Exklusivitätsverhältnis mit der Patentinhaberin und ihren Tochter- oder Konzerngesellschaften („affiliates“), erteilt.
287
Wie dargestellt, steht es der Einordnung als Exklusivlizenz nicht entgegen, dass sich die Patentinhaberin bestimmte Nutzungsrechte zurückbehält. Eine andere Beurteilung ist auch nicht dadurch veranlasst, dass in diese Nutzungsrechte auch Tochter- oder Konzerngesellschaften („affiliates“) einbezogen sind. Denn es steht der Patentinhaberin frei, wie sie sich organisiert und es ist anerkannt und bei wertender Betrachtung auch wirtschaftlich erforderlich, dass sich Unternehmen so organisieren, dass Konzernunternehmen arbeitsteilig tätig werden. Eine solche Aufteilung von Aufgaben auf Tochter- oder Konzernunternehmen kann deshalb nicht dazu führen, dass die Exklusivität der Lizenz entfällt. Denn der Patentinhaberin ist es gerade nicht gestattet Lizenzen an fremde Dritte zu erteilen.
288
d.) Der Einordnung als Exklusivlizenz steht auch Ziffer 4.5 des Lizenzvertrags nicht entgegen. Dieser lautet, soweit hier relevant:
„4.5 Retained Rights. With respect to the licenses granted under this Article 4, R reserves for itself and its Affiliates and Third Party licensees under the Intellectual Property and R’s interest in the Joint Inventions, (a) the right to make, have made, distribute, import, export and use R Products in the Field in the Territory exclusively for Development purposes, and (b) the right to Manufacture and, if agreed to by Company or set forth in any Plans, the right to Commercialize Licensed Products for use in the Field in the Territory in accordance with this Agreement. […]
289
(1.) Es ist bereits zweifelhaft, ob der Umfang dieser zurückbehaltenen Rechte über § 11 Nr. 2 PatG hinausgeht, und ob die Tatsache, dass diese Ausnahme ausdrücklich in dem Vertrag enthalten ist, nicht allein der unterschiedlichen Rechtspraxis in den Vereinigten Staaten von Amerika geschuldet ist. Dies kann aber dahinstehen, weil die Einschränkung keinen Umfang hat, der einer Exklusivlizenz entgegensteht.
290
(2) Die Tatsache, dass die Patentinhaberin sich, ihren Tochtergesellschaften und Drittlizenznehmern unter Ziffer 4.5.(a) das Recht zu patentrechtlichen Benutzungshandlungen für „Development purposes“ vorbehält, hat keinen Einfluss auf die exklusive Lizenz für B für den Vertrieb des patentierten Produkts außerhalb der USA. Ziffer 1.30 des Lizenzvertrags definiert „Develop“ oder „Development“ als Aktivitäten betreffend Forschung, klinische Studien, Technologietransfer, etc. sowie als „jeglichen anderen Entwicklungsaktivitäten betreffend das lizenzierte Produkt […] einschließlich […] Aktivitäten zur Unterstützung neuer Produktformulierungen, Verabreichungstechnologien und/oder neue Einsatzgebiete“. Damit werden „Development purposes“ klar abgegrenzt von der hier relevanten exklusiven Lizenz für den Vertrieb der lizenzierten Produkte.
291
(3) Insoweit als sich die Patentinhaberin in Ziffer 4.5.(b) „das Recht zur Herstellung und, falls die Zustimmung von [B] vorliegt oder falls es so in Plänen festgelegt ist, das Recht zur Kommerzialisierung der lizenzierten Produkte“ vorbehält, hat dies keinen Einfluss auf die hier relevante exklusive Lizenz für den Vertrieb der lizenzierten Produkte. Die B -Gesellschaften haben unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des bei B arbeitenden Dr. N (Anlage AST 25 im Verfahren 7 O 9383/25) vorgetragen, dass weder eine Zustimmung von B vorläge für einen entsprechenden Vertrieb seitens der Patentinhaberin noch es entsprechende Pläne gäbe. Diesen Vortrag haben die Widerbeklagten nicht erschüttern können. Herr Dr.... arbeitet zwar erst seit dem Jahr 2015 bei B, betreut aber ihr Ophthalmologiegeschäft und ihre Beziehungen mit R . Folglich wäre er darüber informiert, wenn die in Ziffer 4.5.(b) genannte Bedingung eingetreten wäre. Der Vortrag der Widerbeklagten erfolgt demnach ins Blaue hinein.
292
Dadurch, dass eine Zustimmung der Lizenznehmerin erforderlich ist, liegt zudem eine Konstellation vor, die ein einseitiges Tätigwerden des Lizenzgebers ausschließt. Insofern ist dieser Sachverhalt nicht anders zu bewerten als die Einräumung einer Rücklizenz.
293
e. B hat ihre Aktivlegitimation nicht deshalb verloren, weil sie B eine alleinige Unterlizenz erteilt hat. Zu dieser Weiterlizenzierung war sie gemäß Ziffer 4.3 des Lizenzvertrages sowie gemäß der zwischen R und B im Juli 2025 getroffenen Klarstellung dieser Ziffer (Anlage 20) ohne Zustimmung der Patentinhaberin berechtigt.
294
Wie bereits ausgeführt, steht es Unternehmen frei, wie sie sich organisieren. Insbesondere steht es in deren Organisationsbefugnis, wie Aufgaben zwischen Tochter- oder Konzernunternehmen aufgeteilt werden. Deshalb ist kein Grund ersichtlich, weshalb B ihre Aktivlegitimation auf Grund der Einräumung einer exklusiven Lizenz an B verloren haben soll. Beide Unternehmen sind jeweils Konzerngesellschaften des B -Konzerns.
295
Weiter ist die Stellung eines Exklusivlizenznehmers in Hinblick auf eine Kette von Lizenzverträgen mit der Stellung des Patentinhabers vergleichbar. Der Exklusivlizenznehmer hat ein eigenes Recht daran, dass er die mit der Exklusivlizenz verbundenen Rechte gegenüber Dritten verteidigen kann. Auf Grund seiner Stellung besteht insbesondere keine Gefahr von widersprüchlichem Vorgehen.
2. Aktivlegitimation von B
296
B wurde von B eine exklusive Lizenz für alle Gebiete außerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika eingeräumt. Damit ist sie nach allgemeinem Verständnis berechtigt, das vorliegende Recht im eigenen Namen geltend zu machen.
E.
297
F haftet auch als Störerin gemäß § 1004 BGB, da sie die arzneimittelrechtliche Marktzulassung für die angegriffene Ausführungsform K, T und r zur Verfügung gestellt hat.
298
I. Für die Frage der Störerhaftung ist gemäß Art. 4 Abs. 1 oder Abs. 3 der Verordnung Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom-II-VO) deutsches Recht anwendbar.
299
Die vorrangige Kollisionsnorm des Art. 8 Abs. 1 Rom-II-VO, die auf das Schutzland verweist, gilt nur für die „Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums“. Der Störer begeht, wie bereits ausgeführt, nicht selbst eine Patentverletzung, er haftet für die Patentverletzung eines Dritten.
300
Nach der demnach anwendbaren allgemeinen Kollisionsnorm des Art. 4 Rom-IIVO ist gemäß deren Absatz 1 „auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt“. Das ist im vorliegenden Fall Deutschland, da es nur eine EUweit geltende arzneimittelrechtliche Marktzulassung gibt, die folglich auch nur einmal zur Verfügung gestellt werden kann. In dieser einen Zurverfügungstellung liegt der Schaden. Da F ihren Sitz in Deutschland hat, tritt der Schaden in Deutschland ein.
301
Sollte man dem nicht zustimmen, wäre deutsches Recht gemäß Art. 4 Abs. 3 RomII-VO anwendbar. Diese Norm besagt: „Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Absätzen 1 oder 2 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.“ Danach wäre deutsches Recht anwendbar, weil es nur eine – in Deutschland stattgefundene – Überlassung der Marktzulassung an die (mit Ausnahme von T) alle ebenfalls in Deutschland ansässigen Unternehmen K und r gibt.
302
II. Als Störer haftet für gewöhnlich derjenige, der ohne Teilnahme an der Benutzungshandlung lediglich eine weitere Ursache für die Patentverletzung gesetzt hat. So kann unter bestimmten Umständen die Überlassung eines Telefonanschlusses für die Begehung von Patentverletzungen zu einer Störerhaftung führen (siehe BGH, X ZR 156/97, GRUR 1999, 977, 979 – Räumschild). Die Ausführungen der Widerbeklagten, wonach nur eine wenigstens mittelbare Patentverletzung zu einem Unterlassungsanspruch führen könne, treffen daher nicht zu.
303
Es ist kein Grund ersichtlich, wieso nicht auch derjenige, der eine unmittelbare Patentverletzung begeht, im Vorfeld dazu durch seine Handlungen aber auch Dritten eine unmittelbare Patentverletzung ermöglicht, als Störer haften können soll.
304
Die Überlassung der arzneimittelrechtlichen Marktzulassung an K, T und r ermöglicht es diesen Unternehmen erst, zu unmittelbaren Patentverletzern zu werden. Dies ist eine mit Blick auf ihre Gefährlichkeit für den Patentinhaber deutlich intensivere Einwirkung als das Überlassen eines Telefonanschlusses.
F.
305
I. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 100 ZPO. Dabei war zu berücksichtigen,
dass allein die Beklagte zu 1 teilweise unterlegen ist, und das nur bezüglich der Klägerin 4), soweit sie einen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der anderen europäischen Länder geltend gemacht hat. Da die Klägerin zu 4) an insgesamt 3 der zahlreichen mit der Klage und Widerklagte geltend gemachten Prozessrechtsverhältnisse beteiligt war, und nur im Verhältnis zur Beklagten zu 1) eingeschränkt obsiegt hat, erscheint es sachgerecht, der Beklagten zu 1) 1/3 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 4) aufzuerlegen. Im Übrigen tragen die Klägerinnen gesamtverbindlich die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten. Das Gericht verkennt nicht, dass die jeweiligen Ansprüche in unterschiedlichen Konstellationen geltend gemacht wurden. Im Hinblick auf das einheitliche Auftreten und den einheitlichen Vortrag erscheint die Kostenentscheidung sachgerecht.
306
II. Die Regelungen zur Sicherheitsleistung ergeben sich aus §§ 709, 108 ZPO. Dabei war bezüglich der Vollstreckung in der Bundesrepublik Deutschland eine Sicherheitsleistung in Höhe von 5 Mio. EUR anzuordnen und hinsichtlich der übrigen Länder ebenfalls eine – einheitliche – Sicherheitsleistung in Höhe von 5 Mio. EUR. Eine weitergehende Aufteilung der Sicherheitsleistung hinsichtlich einzelner Länder war aus Sicht der Kammer nicht sachgerecht.