Titel:
Werbung für ärztliche Fernbehandlungen zur Verschreibung von Arzneimitteln zur Gewichtsreduktion
Normenketten:
UWG § 8 Abs. 3 Nr. 4
HWG § 9 S. 2, § 10 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Werbung für Fernbehandlungen zur Verschreibung von Arzneimitteln zur Gewichtsreduktion, die lediglich auf der Prüfung eines online ausgefüllten Fragebogens basiert, verstößt gegen § 9 HWG, da sie nicht den allgemein anerkannten fachlichen Standards entspricht und einen persönlichen ärztlichen Kontakt erfordert. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die sich an den allgemeinen Verbraucher richtet, verstößt gegen § 10 Abs. 1 HWG, da sie nur bei Fachkreisen zulässig ist. Dies gilt auch dann, wenn das beworbene Präparat zwar nicht namentlich genannt ist (hier: Abnehmspritze), durch die Werbung jedoch der Absatz bestimmter Arzneimittel im Hinblick darauf gefördert wird, dass die angesprochenen Verkehrskreise aufgrund sonstiger Umstände wie z.B. der Angabe des Indikationsgebiets oder ihrer Kenntnisse der Marktverhältnisse der Anzeige entnehmen können, es solle für bestimmte einzelne oder mehrere Arzneimittel geworben werden. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Verfügung, Aktivlegitimation, Wettbewerbsverhältnis, Fernbehandlungsverbot, Dringlichkeitsfrist, Kostenentscheidung
Fundstelle:
GRUR-RS 2025, 2785
Tenor
1. Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,--, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren untersagt, zu Zwecken des Wettbewerbs es zu unterlassen,
2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Antragstellerin 1/3, die Antragsgegnerin 2/3.
Tatbestand
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege der einstweiligen Verfügung zuletzt noch dagegen, dass die Antragsgegnerin gegenüber Endverbrauchern in Deutschland für Fernbehandlungen mit dem Ziel der Verschreibung von Arzneimitteln zur Gewichtsreduktion/Adipositas wirbt, wobei die Behandlung durch die Überprüfung eines durch den Nutzer auf einer Plattform ausgefüllten Fragebogens besteht. Darüber hinaus wendet sie sich dagegen, dass die Antragsgegnerin gegenüber Endverbrauchern in Deutschland für den Absatz verschreibungspflichtiger Arzneimittel zur Gewichtsreduktion/Adipositas wirbt, wie im Urteilstenor wiedergegeben.
2
Die Antragstellerin ist die Interessenvertretung der niedergelassenen A. im Kammerbezirk N.
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Die Antragsgegnerin, eine in den N. ansässige V., übersandte am 19.11.2024 unter der Überschrift „Update: Preisnachlass für Abnehmbehandlungen“ den als Anlage ASt 2 vorgelegten Newsletter. Nach einem einleitenden Text folgte ein Bild einer sogenannten Abnehmspritze mit dem Text „Injektionen zur Gewichtsreduktion“. Ferner wurde ein zusätzlicher Rabatt von € 30,-- ausgelobt.
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Klickte man auf den Button „Rabatt sichern“, so wurde man auf die nachfolgend eingeblendete Seite mit der Überschrift „Online-Fragebogen“ weitergeleitet:
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Durch das Anklicken des Buttons „weiter“ wurde man auf einen auszufüllenden Fragebogen weitergeleitet, von dem als Anlage ASt 4 entsprechende Screenshot vorgelegt wurden.
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Wie sich aus dem als Anlage ASt 5 vorgelegten Screenshot ergibt, konnte der Patient am Ende des Fragebogen-Vorgangs die Abnehmspritze „Wegovy“ oder „Mounjaro“ auswählen, anklicken und bestellen.
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Dieser Service wurde auch über Google Adwards beworben. Gab der Nutzer etwa „Wegovy kaufen“ ein, so erschien die im Tenor unter Ziffer 1.2 abgebildete Werbung mit der Anpreisung „Gewichtsverlustbehandlung online in nur wenigen Klicks kaufen“. Auf die als Anlagen ASt 6 bis ASt 8 vorgelegten Screenshots wird insoweit Bezug genommen.
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Die Antragstellerin trägt vor, im gesamten Prozess der Bestellung sei nicht vorgesehen, dass ein kommunikativer Kontakt mit einem Arzt stattfinde, etwa im Wege einer Videosprechstunde.
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Die Werbung verstoße daher schon deshalb gegen das Verbot der Werbung für eine Fernbehandlung aus § 9 HWG, da das reine Ausfüllen eines Fragebogens kein „Kommunikationsmedium“ im Sinne dieser Vorschrift sei.
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Darüber hinaus sei eine Behandlung durch einen derartigen Fragebogen jenseits der anerkannten fachlichen Standards. Wie sich aus den als Anlagen ASt 11 vorgelegten Patientenleitlinie zur Diagnose und Behandlung der Adipositas der Deutschen Adipositas-Gesellschaft ergebe, gehörten zur Diagnose der Adipositas neben der Erfassung des BMI, der Messung des Taillenumfangs und der Bestimmung diverser Laborwerte Laboruntersuchungen von Blut und Urin, Elektrokardiografie, Ergometrie, das Herzecheo, die 24-Stunden-Blutdruckmessung, das Schlafapnoescreening und die Oberbauchsonografie. Ein derartiger Standard liege im Interesse des Patienten und werde durch einen simplen Fragebogen nicht abgebildet.
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Darüber hinaus werde in diesem Zusammenhang auch gegen § 10 HWG verstoßen, da die Antragsgegnerin für verschreibungspflichtige Arzneimittel außerhalb der Fachkreise werbe.
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Die Antragstellerin stellt zuletzt noch folgende Anträge:
1. Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,--, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren untersagt, zu Zwecken des Wettbewerbs es zu unterlassen,
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
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Sie führt aus, es fehle schon der für den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund.
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Wie sich aus dem aus Anlage AG 01 vorgelegten Schreiben vom 01.02.2023 ergebe, habe die Antragstellerin die Antragsgegnerin bereits Anfang 2023 wegen des Verstoßes gegen § 9 HWG abgemahnt. Bereits damals sei die Abmahnung darauf gestützt worden, dass angeblich die Verwendung eines Online-Fragebogens keine Fernbehandlung sei und nicht ausreiche. Die Antragstellerin kenne daher das von ihr nun mit dem Antrag vom 12.12.2024 beanstandete Vorgehen der Antragsgegnerin seit Februar 2023.
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Die Behauptung der Antragstellerin, dass dem Patienten nicht mitgeteilt werde, welcher Arzt seinen Fragebogen prüfe, sei unzutreffend.
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Am Ende der als Anlage AG 05 vorgelegten Unterlage, auf welche Bezug genommen wird, werde darauf hingewiesen, dass der behandelnde Arzt einer EU-Lizenz verfüge, aber nicht in Deutschland ansässig sei. Darüber hinaus folge ein Hinweis auf die Person des Arztes, der für die Bewertung der vom Patienten online zur Verfügung gestellten Informationen verantwortlich sei. Durch einen Klick könne man auch weitere Informationen zu dem namentlich benannten Arzt erhalten.
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Falsch sei auch die Behauptung auf Seite 7 der Antragsschrift, der Patient könne sich ein Arzneimittel aussuchen und dieses bestellen. Der Patient habe die Möglichkeit, ein Arzneimittel vorzuschlagen, dessen Verordnung er selbst für sinnvoll halte. Der behandelnde Arzt prüfe allerdings anhand der ihm vom Patienten zur Verfügung gestellten Informationen, ob die Verordnung dieses Arzneimittels medizinisch indiziert sei und ob keine Kontraindikationen bestünden.
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Hinsichtlich des Antrags 1.1 sei die Antragstellerin auch nicht aktiv legitimiert. Es fehlten schon die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG sowie das Vorliegen eines abstrakten Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Mitgliedern des Antragstellers und der Beklagten.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.02.2025 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war, soweit er nicht zurückgenommen wurde, stattzugeben, da sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund vorliegt.
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Im Einzelnen gilt Folgendes:
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1. Die Aktivlegitimation der Antragstellerin folgt bereits aus § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG, da es sich bei der Apothekenkammer um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt, die im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben bei der Vertretung selbständiger beruflicher Interessen tätig ist.
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Im Übrigen bestünde zwischen den Apotheken, deren berufliche Interessen die Apothekerkammer wahrnimmt, und der Antragsgegnerin, eine Onlineapotheke, auch ein konkretes Wettbewerbsverhältnis, weil die Werbung der Antragsgegnerin, die auf die Online-Bestellung der Abnehmspritze bei ihr in den Niederlanden abzielt, geeignet ist, den Absatz von Apotheken in Deutschland bezüglich dieses Medikaments zu beeinflussen.
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2. Die Antragsgegnerin verstößt dadurch, dass sie für Fernbehandlungen mit dem Ziel der Verschreibung von Arzneimittelns zur Gewichtsreduktion/Adipositas wirbt, wobei die der Ausstellung einer Verschreibung vorgeschaltete Behandlung in der durch die Prüfung eines durch den Nutzer auf einer Plattform ausgefüllten Fragebogens besteht, gegen § 9 HWG.
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Hiernach ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Mensch oder Tier beruht (Fernbehandlung) grundsätzlich unzulässig. Eine Ausnahme besteht gemäß Satz 2 des § 9 HWG lediglich dann, wenn die Fernbehandlung unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgt und wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.
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Diese Ausnahme ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.
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Ob von der Beklagten, die nicht konkret vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, dass zwischen dem Arzt, der – wie sie vorträgt – den Fragebogen prüft, und dem Patienten tatsächlich kommuniziert wird, z. B. über eine Videosprechstunde, ein Kommunikationsmedium im Sinne des § 9 Satz 2 HWG verwendet wird oder nicht, kann letztlich dahingestellt bleiben.
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Die Fernbehandlung von Adipositas mittels Ausfüllens eines Fragebogens entspricht nämlich nicht allgemein anerkannten fachlichen Standards. Vielmehr ist vor der Verschreibung einer Abnehmspritze ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen erforderlich.
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Dies ergibt sich letztendlich bereits aus den „Warnhinweisen“, die die Antragsgegnerin gemäß den als Anlagen AG 05 vorgelegten Unterlagen dem Patienten online selbst erteilt. In diesem wird auf zahlreiche Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Magenschmerzen, Hypoglykämie (bei Patienten mit Typ-2-Diabetes) und Schwindel, auf das Risiko einer Unterfunktion und darauf hingewiesen, dass die Behandlung eingestellt werden sollte, wenn man innerhalb von drei Monaten nach Behandlungsbeginn nicht mindestens 5 % seines Körpergewichts verliert.
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Darüber hinaus wird ausgeführt, dass eine regelmäßige Nachsorge und Überwachung während einer Gewichtsreduktion unbedingt erforderlich ist. Gerade diese, von der Antragsgegnerin selbst für erforderlich gehaltene regelmäßige Nachsorge erfordert aber zwingend einen persönlichen ärztlichen Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen i. S. v. § 9 Satz 2 HWG.
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Hinzu kommt, dass ausweislich der als Anlage ASt 11 vorgelegten Patientenleitlinie zur Diagnose und Behandlung der Adipositas der deutschen Adipositasgesellschaft zahlreiche Untersuchungen, u. a. des Bluts und des Urins, nötig sind, um Adipositas zu diagnostizieren und zu behandeln. Dies kann daher gerade nicht im Wege der Fernbehandlung erfolgen.
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3. Die Antragsgegnerin hat dadurch, dass sie die im Klageantrag 1.2 eingeblendete Werbung geschaltet hat, auch gegen § 10 Abs. 1 HWG verstoßen.
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Hiernach darf für verschreibungspflichtige Arzneimittel nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, geworben werden.
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Die angegriffene Internetwerbung wendet sich jedoch an den allgemeinen Verbraucher und verstößt daher gegen § 10 Abs. 1 HWG. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es für den Verbraucher bei Betrachten der Werbung ausdrücklich ersichtlich ist, wie das konkrete Arzneimittel heißt, das er von der Antragsgegnerin erhalten wird.
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Nach der Rechtsprechung des BGH liegt eine unzulässige Werbung für Arzneimittel i.S.v. § 10 HWG auch dann vor, wenn das beworbene Präparat zwar nicht namentlich genannt ist, durch die Werbung jedoch der Absatz bestimmter Arzneimittel im Hinblick darauf gefördert wird, dass die angesprochenen Verkehrskreise aufgrund sonstiger Umstände wie z.B. der Angabe des Indikationsgebiets oder ihrer Kenntnisse der Marktverhältnisse der Anzeige entnehmen können, es solle für bestimmte einzelne oder mehrere Arzneimittel geworben werden ( BGH MDR 1993, 228-229).
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So liegt der Fall hier.
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In der ersten eingeblendeten Werbung wird mit der Abnehmspritze geworben. Entsprechendes gilt aber auch für die weiteren Einblenden, bei denen man eine „Gewichtsverlustbehandlung“ kaufen kann. Es handelt sich hierbei um die Werbung nicht für eine Behandlung als solche, sondern um die Werbung für den Absatz von Medikamenten, wie sich aus dem Hinweis „100 %-ige Original-Medikamente“ ergibt. Auch wird in der angegriffenen Werbung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese jetzt „auf Lager“ seien. Auf Lager sind aber stets nur Produkte, also Arzneimittel. Da es sich bei der Werbenden, der Antragsgegnerin – um eine Apotheke handelt, ist es auch naheliegend, dass hier die Bewerbung eines bestimmten Arzneimittels, nämlich der Abnehmspritze, im Vordergrund steht.
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Um welche Gruppe von Präparaten es sich hierbei handelt, wissen die angesprochenen Verkehrskreise, zu denen auch die Mitglieder der Kammer gehören, bereits deshalb, weil „die Abnahmespritze“ in jüngster Zeit starke mediale Aufmerksamkeit erfahren hat.
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4. Der Verfügungsgrund ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung innerhalb der im Gerichtsbezirk des Landgerichts München I geltenden Monatsfrist gestellt hat. Die E-Mail gemäß Anlage ASt 2, die zur weiteren Recherchen durch die Antragstellerin geführt hat, trägt das Datum vom 19. November 2024. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde am 12. Dezember 2024 eingereicht.
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Die als Anlage AG 1 vorgelegte Abmahnung vom 01.02.2023 betrifft ein völlig anderes Medikament, nämlich ein Mittel zur Behandlung erektiler Dysfunktion und deshalb naturgemäß auch andere, zu beurteilende Werbeunterlagen.
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Der Verstoß gegen § 9 HWG muss jedoch jeweils im Zusammenhang mit dem beworbenen Medikament geprüft werden, da das Fernbehandlungsverbot nach § 9 Satz 2 HWG gerade nicht gilt, wenn die Behandlung unter Verwendung von Kommunikationsmitteln erfolgt und ärztlichen Standards entspricht . Ob dies der Fall ist, ist von Medikament zu Medikament unterschiedlich.
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Auch bei dem gerügten Verstoß gegen § 10 HWG wegen der Bewerbung eines verschreibungspflichtigen Medikaments kommt es entscheidend auf die Ausgestaltung der Werbung und das Medikament an, das beworben wird mit der Folge, dass die Abmahnung vom 01.02.2023 sich nicht dringlichkeitsschädlich auswirkt.
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Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war, soweit er nicht zurückgenommen wurde, daher in vollem Umfang stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
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Ein Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit war nicht erforderlich, da einstweilige Verfügungen auch ohne besonderen Ausspruch vorläufig vollstreckbar sind.