Titel:
Schadensberechnung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Abmahnungsberechtigter, Schadensersatzpflicht, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Erstattungsanspruch, Vorlageverfahren, Feststellungsantrag, Klageabweisung, Abmahnungskosten, Nutzungsrecht, Leistungsschutzrecht, Ausnahmen vom Verbot, Konkrete Verletzungsform, Vervielfältigungsrecht, Zahlungsantrag, Schutzumfang, Verlagsvertrag, Klageantrag
Normenkette:
UrhG § 23 Abs. 1 S. 2, § 31 Abs. 3, § 51, § 51a, § 60b, § 97a Abs. 2
Leitsätze:
1. Zusammenfassungen des Inhalts von Sprachwerken und Beschreibungen der dort agierenden Figuren sind dann, wenn sie mit einer massiven Reduzierung einhergehen, eine gedankliche Durchdringung, Bewertung und Auswahl voraussetzen und eigene Worte verwenden, von § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG (in der Zeit seit 7. Juni 2021) bzw. §§ 23, 24 UrhG (im Zeitraum zuvor) gestattete Handlungen.
2. Die Wiedergabe von Originalpassagen eines Romans in einer Lehrerhandreichung wird weder von § 51 UrhG noch von § 51a UrhG gedeckt. Denn die für ein Zitat zu verlangenden eigenständigen Ausführungen würden von den Schülern erfolgen, nicht vom Verfasser der Handreichung, die lediglich zu solchen unterstützend verhilft. Eine „Pastiche“ verlangt jedenfalls, dass eine gewisse Auseinandersetzung mit dem vorbestehenden Werk erkennbar ist, was bei bloßen Zitaten bzw. Auszügen nicht der Fall ist.
3. In den Genuss der Privilegierung nach § 60b UrhG können nur Medien kommen, die eine Vielzahl von anderen Werken – mehr oder weniger gleichberechtigt – wiedergeben, was bedingt, dass ihre Zielsetzung ein bestimmtes, von den einzelnen genutzten Werken verschiedenes Thema bildet und zu diesem Zweck Werke oder Werkausschnitte „gesammelt“ wiedergegeben werden. Eine Sammlung i.S. dieser Bestimmung liegt somit nicht vor, wenn sich das Medium lediglich mit einem konkreten anderen Werk, wenn auch unter Zuhilfenahme weiterer Werke, befasst.
Schlagworte:
Urheberrechtsverletzung, Lehrerhandreichung, Inhaltszusammenfassung, Zitate-Spiel, Schadensersatzanspruch, Fabelschutz, Abmahnkosten
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 28.06.2024 – 19 O 5537/23
Fundstelle:
GRUR-RS 2025, 24150
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28. Juni 2024, Az. 19 O 5537/23, in Ziffern 1. und 4. (unter Beibehaltung der Ziffern 2., 3. und 5.) wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.761,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 7. Oktober 2023 zu bezahlen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Herstellung oder dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Werkes gemäß Klageantrag Ziffer 2. entstanden ist und künftig noch entstehen wird, wobei der Schadenersatz unter Berücksichtigung lediglich der in den Gründen dieses Urteils genannten Abschnitte zu ermitteln ist.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 9% und die Beklagte 91%.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 10% und die Beklagte 90%
IV. Das vorliegende Urteil und das unter I. genannte Urteil des Landgerichts, soweit es aufrechterhalten wurde, sind vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung wegen der Verurteilung zu Auskunftserteilung und Rechnungslegung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 1.000,00 € und wegen der Verurteilung zur Zahlung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit i.H.v. 1.000,00 € bzw. 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet. Wegen der Verfahrenskosten können beide Parteien die gegen sie gerichtete Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Gläubigerseite Sicherheit i.H.v. 110% des vollstreckenden Betrags leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 9.992,40 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten darum, ob der Klägerin gegen die Beklagte Ansprüche auf Auskunft und Schadensersatz wegen der Veröffentlichung einer Lehrerhandreichung zu einem von der Klägerin verlegten Jugendroman besitzt.
2
Die Klägerin ist Verlegerin des Jugendromans „…“, dessen Taschenbuchausgabe 488 Seiten umfasst. Der von ihr im Jahr 2009 mit der Autorin […] geschlossene Verlagsvertrag wurde zuletzt unter dem 13./22. Mai 2019 bis Januar 2030 verlängert. Die Beklagte, die einen Fachverlag für Unterrichtsmedien betreibt, gibt u.a. Sekundärliteratur in Form von Handreichungen für Lehrer heraus, die ein entsprechendes Werk als Klassenlektüre einsetzen wollen. Sie hat in der Reihe „...“ ab dem 24. Juni 2020 eine entsprechende, von der Autorin erstellte, Handreichung („Unterrichtsmodell“) für den Roman „…“ publiziert (ISBN […]). Diese umfasst 149 Seiten im Format DIN A4. Auf den Seiten 10-12 werden unter „Die Hauptfiguren“ die äußerlichen und inhaltlichen Merkmale und Charakterzüge von 13 der Romanfiguren dargestellt; anschließend wird auf Seite 13 der Roman zusammengefasst. In dem „Zitate-Spiel“ auf Seiten 22/23 sind 20 Originalzitate (je 4 bis 8 Zeilen) aus dem Roman in Kärtchenform abgedruckt; diese sollen die Grundlage einer Gruppenarbeit sein, bei der die Schüler den Romaninhalt erarbeiten können (vgl. die Hinweise auf S. 20). Der Vorschlag für eine Klassenarbeit auf Seiten 146/147 enthält einen etwa eine Druckseite umfassenden Originalauszug des Romans (dort S. 358-361), zu dem den Schülern entsprechende Aufgaben gestellt werden.
3
Die Klägerin sieht in den vier genannten Elementen des Unterrichtsmodells eine Verletzung des ihr durch den Verlagsvertrag von der Autorin […] übertragenen Vervielfältigungsrechts. Da die Charaktere des Romans Urheberrechtsschutz genössen, stelle die Wiedergabe von deren Merkmalen und Charakterzügen eine Rechtsverletzung dar; auch die Fabel als solche, die in der Zusammenfassung wiedergegeben wird, sei urheberrechtlich geschützt. Erst recht gelte dies für das Zitate-Spiel und die Klassenarbeit, die wörtliche Textauszüge enthielten. Mangels ausreichenden Abstands liege keine Bearbeitung vor; die als Ausübungsschranken in Betracht kommenden Tatbestände seien jeweils nicht erfüllt.
4
Auf die Abmahnung der Klägerin vom 7. Februar 2023 hat die Beklagte unter Aufrechterhaltung ihres Standpunkts, keine urheberrechtlichen Nutzungsrechte der Klägerin zu verletzen, am 27. April 2023 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin erstinstanzlich Erstattung der Kosten für die Abmahnung (2.642,40 € nebst Zinsen seit 7. Oktober 2023), Auskunft und Rechnungslegung hinsichtlich der veräußerten Vervielfältigungsstücke sowie die Feststellung, dass die Beklagte ihr zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, der aus der Herstellung, dem Besitz oder dem Inverkehrbringen des Unterrichtsmodells durch die Beklagte entstanden ist oder entstehen wird.
5
Die Beklagte meint, die Beschreibung der Charaktere und die Übernahme von Passagen in das Zitate-Spiel berühre bereits nicht Rechte der Klägerin. Sie weist darauf hin, dass nur etwa 4% des von ihr herausgegebenen Lehrmediums aus Zitaten des Romans besteht, und sich darin im Übrigen Beiträge mehrerer weiterer Autoren wie etwa Zeitungsartikel befinden. Die Bezugnahmen seien als Zitat (§ 51 UrhG), unter dem Gesichtspunkt der Pastiche (§ 51a UrhG) oder als Verwendung in einem Sammelwerk für den Schul-/Unterrichtsgebrauch (§ 60b Abs. 1 UrhG) gestattet. Dementsprechend habe auch die VG Wort auf ihre Meldung hin eine entsprechende Rechnung gestellt und damit eine Lizenz erteilt.
6
Das Landgericht hat den Zahlungs- und den Auskunfts-/Rechnungslegungsansprüchen voll entsprochen und die Verpflichtung der Beklagten zur Schadenersatzzahlung festgestellt, soweit dieser aus der Herstellung oder dem Inverkehrbringen des Werks entstanden ist oder entstehen wird. Abgewiesen hatte es die Klage nur insoweit, als eine Schadenersatzverpflichtung auch wegen des Besitzes festgestellt werden sollte, da der Klägerin als Inhaberin des Verlagsrechts lediglich das immaterialgüterrechtliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung zustehe, was bereits durch „Herstellung“ und „Inverkehrbringen“ abgebildet sei. Die sog. Fabel sowie die Originalzitate aus dem Werk „…“ seien schutzwürdige Gegenstände, da sie Sprachwerke nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG darstellten. Der Urheberrechtsschutz erstrecke sich dabei nicht nur auf die konkrete Textfassung oder die unmittelbare Formgebung, sondern auch auf den Gang der Handlung, die Charakteristik und Rollenverteilung der handelnden Personen, die Ausgestaltung der Szenen und die Szenerie des Romans. Keine Rechtsverletzung liege dagegen in der Wiedergabe der Romanfiguren, da die hierfür zu verlangende Verselbstständigung des Charakters nicht gegeben sei. Die im „Zitate-Spiel“ enthaltenen Originalpassagen seien wiederum schutzfähige Werkbestandteile, zumal jedenfalls der ganz überwiegende Teil die notwendige Schöpfungshöhe aufweise; dasselbe gelte für die im Rahmen der Klassenarbeit wiedergegebenen Passage. Ein Zitat i.S.v. § 51 UrhG liege jeweils nicht vor, weil nicht eine Nutzung als Beleg einer gedanklichen Bezugnahme erfolge. Nicht von der Zitierfreiheit umfasst sei, ein Werk nur um seiner selbst willen zur Kenntnis der Allgemeinheit zu bringen oder es leichter zugänglich zu machen. Das Lehrmedium solle eine Auseinandersetzung mit dem Originalwerk durch die Schüler, vermittelt durch Lehrpersonen, erst ermöglichen, liefere aber nicht eine eigene Auseinandersetzung der Verfasserin mit. Eine Pastiche i.S.v. § 51a S. 1 UrhG sei ebenfalls nicht gegeben, weil hierfür jedenfalls eine künstlerische und/oder wissenschaftliche Tätigkeit zu fordern ist. Schließlich komme auch die Schranke des § 60b UrhG der Beklagten nicht zugute, weil keine „Sammlung“ vorliege. Eine Sammlung liege nicht vor, wenn ein einziges Werk aufgearbeitet werden soll, mögen dazu auch Werke anderer Autoren zum Zwecke der vertieften Auseinandersetzung verwendet werden. Die mit der Privilegierung des § 60b UrhG einhergehende Beschränkung der Rechte des Urhebers, der statt der umfassenden Verbotsansprüche lediglich Vergütungsansprüche über die VG Wort erhält, sei dem Urheber nur zuzumuten, wenn in dem Werk auch vergleichbare Texte anderer Autoren enthalten sind. Vorliegend werde aber, was schon das Cover zeige, lediglich das Originalwerk „…“, welches Bestsellerpotenzial auf dem deutschsprachigen Markt besitzt, bzw. dessen Sogwirkung für das angebotene Unterrichtsmodell ausgenutzt.
7
Hiergegen wendet sich die Beklagte, die mit ihrem Rechtsmittel weiter eine vollständige Klageabweisung erstrebt. Sie meint, dass bereits der Klageantrag zu weit gefasst und deswegen auch die Abmahnung unzureichend gewesen sei, weil ihr gesamtes Werk angegriffen sei; die notwendige Beschränkung auf die konkreten Verletzungsformen, die die Klägerin in den vier Abschnitten sieht, sei nicht gegeben. Die Klägerin habe nicht dargetan, dass der Verlagsvertrag sie zur Herausgabe einer entsprechenden Unterrichtshandreichung befugt, sodass ihr keine Abwehrrechte und Ansprüche zustünden. Das Landgericht sei im Hinblick auf die Frage, ob eine Bearbeitung vorliege, zu streng gewesen, da es die Maßstäbe für ein Verblassen zu hoch angesetzt habe. Bei der vorzunehmenden Gesamtschau sei eine Zusammenfassung mit eigenen Worten etwas völlig anderes als ein Roman, der auf 488 Seiten erzählt wird. Der didaktische Zweck hätte berücksichtigt werden müssen; Sekundärliteratur lebe davon, dass die Charakteristika nicht verblassen. Wäre der Standpunkt des Landgerichts zutreffend, dürften auch keine Literaturlexika mehr publiziert werden. Das Landgericht habe sich auch nicht damit auseinandergesetzt, dass die VG Wort der Beklagten eine Lizenz erteilt habe. Die Entscheidung des OLG München, die das Landgericht zur Ablehnung der Schranke des § 51 UrhG herangezogen habe, habe eine andere Sachlage betroffen. § 51b UrhG müsse so ausgelegt werden, dass die Urheberbelange auch für die vorliegenden wissenschaftlichen Zwecke zurückstehen müssen, soweit ein Mindestschutz gewährt ist. Der Begriff der „Pastiche“ sei rechtlich nicht abschließend geklärt, vorliegend sei eine solche gegeben, da über ein Arrangement hinaus keine weiteren einschränkenden Tatbestandsmerkmale zu fordern seien. Die Zusammenfassung auf S. 13 ihrer Lehrerhandreichung genüge damit den Anforderungen an eine „Pastiche“; ebenso sei in dem Zitate-Spiel und der Klassenarbeit eine Auseinandersetzung mit dem Originaltext enthalten, was ausreiche. Erforderlichenfalls müsse der Senat die Beantwortung der Vorlagefrage des Senats aus der Entscheidung „Metall auf Metall V“ abwarten oder selbst ein Vorabentscheidungsverfahren initiieren. Eine Urheberrechtsverletzung sei auch deshalb nicht gegeben, weil eine „Sammlung“ vorliege, da eine solche nicht monothematisch sein müsse. Das Landgericht habe schließlich nicht ausreichend gewürdigt, dass der Anteil der Zitate aus dem Originalwerk bei 4% und damit deutlich unter 10% liegt. Die Gestaltung des Covers entspreche der, die die Beklagte bei allen Ausgaben der Reihe „...“ verwendet; das Landgericht unterstelle zu Unrecht der Beklagten, sie nutze gezielt die Sogwirkung des Bestsellerromans aus.
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Die Beklage und Berufungsführerin beantragt,
das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
10
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung. Der Antrag und auch die Abmahnung seien hinreichend spezifiziert; die Beklagte lege ein zu enges Verständnis der „konkreten Verletzungsform“ an. Konkrete Verletzungsform sei die Publikation der Beklagten, welche durch die Angabe der ISBN eindeutig identifiziert sei; ferner habe die Klägerin angegeben, worin sie genau die Verletzung sieht. Der Verlagsvertrag verleihe ihr einen Überschuss an Verbotsrecht, mit der sie jedenfalls die Rechtsverletzungen durch die Beklagte bekämpfen könne. Die VG Wort habe eine Lizenz für eine Nutzung der vorliegenden Art nicht einräumen können, sondern habe lediglich der Meldung einer angeblich freigestellten Nutzung entsprochen. Zutreffend habe das Landgericht verlangt, dass die Beklagte bzw. die Verfasserin des Unterrichtsmodells, damit ein Zitat vorliegt, eigenständige Ausführungen und Anmerkungen macht. Die Wiedergabe der Fabel könne von vornherein kein Zitat darstellen. Nach der InfoSoc-Richtlinie stehe den nationalen Gesetzgebern kein Spielraum mehr zu, soweit Vervielfältigungen betroffen sind, sodass eine sonstige freie Benutzung nicht mehr anerkannt werden könne. Entscheidend sei, ob das Werk noch wiederzuerkennen ist, was das Landgericht zutreffend bejaht habe. Eine Pastiche liege nicht vor, weil eine solche jedenfalls eine künstlerisch-kommunikative Ausdrucksform wie bei einer Hommage oder einer Stilnachahmung verlange. Die Privilegierung einer Sammlung komme nur zur Anwendung, wenn darin die Werke mehrerer Urheber nicht nur enthalten sind, sondern ihr auch das inhaltliche Gepräge geben, indem sie die Bildung der Leser über die Urheber und ihre Werke erstrebt. Für diese Auslegung spreche neben den vom Landgericht angeführten Argumenten auch die Regelung in § 60a UrhG.
11
Der Senat hat über die Berufung mündlich verhandelt. Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. Im Übrigen wird zur Darstellung des Sachverhalts sowie des tatsächlichen und rechtlichen Vorbringens auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen, einschließlich des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
12
Die zulässige Berufung der Beklagten hat nur in geringem Umfang Erfolg.
13
1. Der Einwand der Berufung, die Klageanträge seien zu weit und zu unbestimmt gefasst, da sie die einzelnen urheberrechtsverletzenden Passagen nennen müssten, greift nicht durch.
14
a) Im Hinblick auf die Anträge auf Auskunft und Rechnungslegung (Klageanträge/Urteilsziffern 2. und 3.) folgt dies bereits daraus, dass Gegenstand der rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten die Publikation des konkreten, im landgerichtlichen Tenor mit Titel und ISBN genau bezeichneten Druckwerk war. In diesem befinden sich die urheberrechtsverletzenden Passagen/Elemente. Darauf, dass das Werk (auch nach dem Standpunkt der Klägerin) nicht im Ganzen urheberrechtlich bzw. vertragsrechtlich geschützte Positionen der Klägerin verletzt, kann es insoweit nicht ankommen, da diese nicht selbstständig Gegenstand von Herstellungs- und Vertriebshandlungen waren. Auskunft und Rechnungslegung, mit denen die spätere Schadensberechnung vorbereitet werden soll, können nur die Daten (Zahlen, Preise, Kostenanteile etc.) zu dem rechtsverletzenden Objekt betreffen, nicht zu darin enthalten Bestandteilen.
15
b) Entsprechendes gilt für den Ausspruch, dass die Beklagte zum Schadenersatz wegen der Herstellung und dem Inverkehrbringen des bezeichneten Werkes verpflichtet ist.
16
Zu Unrecht vermisst die Beklagte eine Auflistung der Passagen, in denen eine Verletzung von Rechten der Klägerin gesehen wurde, im Urteilstenor. Der Aspekt, in welchem Umfang und in welcher Intensität die in dem Werk der Beklagten enthaltenen Passagen und Elemente urheberrechtlich geschützte Positionen der Klägerin verletzen, und inwieweit diese für den Absatz des Werks und den Ertrag der Beklagten kausal waren, hat zwar für den Umfang des zu leistenden Schadensersatzes Bedeutung. Im Betragsverfahren wird daher zu berücksichtigen sein, welcher Anteil und welche Bedeutung den urheberrechtsverletzenden Elementen an dem Umsatz und dem Gewinn, den die Beklagte mit der Unterrichtshandreichung erzielt hat, zukommt (vgl. BeckOK UrhR/Reber, 46. Ed. 15.2.2024, UrhG § 97 Rn. 116; i.Ü. zum Erfordernis einer Bewertung der Kausalität der Verletzungshandlung für den Verletzergewinn für den Bereich des Patentrechts Haedicke/Timmann PatR-HdB/Haedicke/Timmann, 2. Aufl. 2020, § 14. Rn. 217 ff.; Samer, in: Götting/Meyer/Vormbrock, Gewerblicher Rechtsschutz, 2. Auflage 2020, § 12 Rn. 82 ff.). Dies ändert aber nichts daran, dass die Handlung, die die Verpflichtung zum Schadenersatz begründet, in der Herstellung und dem Vertrieb des Druckwerks als solchem besteht. Es muss daher nicht bereits im Tenor, der eine solche Schadenersatzpflicht dem Grunde nach zuspricht, zum Ausdruck kommen, dass nicht das Werk im Ganzen, sondern nur einzelne Elemente desselben Urheberrechtsverletzungen bewirkt haben und deshalb nur diese bei der späteren Bemessung der Anspruchshöhe zu berücksichtigen sein werden, also dann eine wertende Gewichtung vorzunehmen sein wird. Der Senat nimmt eine entsprechende Klarstellung gleichwohl in den Tenor des vorliegenden Berufungsurteils auf.
17
Soweit das Kammergericht in seinem Urteil vom 3. Dezember 2002 (5 U 245/02, GRUR-RR 2003, 262 (262 f.) – Harry-Potter-Lehrerhandbuch) gefordert hat, dass „sozusagen „Zeile für Zeile“ eingehend zu prüfen [sei], ob der erforderliche Abstand eingehalten ist“, bezieht sich auch dies auf das inhaltliche Prüfungsprogramm, stellt aber keine Anforderungen im Hinblick auf die Formulierung des Urteilsausspruchs dar.
18
2. Die Klägerin ist aktivlegitimiert im Hinblick auf die verfolgten Ansprüche.
19
a) Das Landgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass derjenige, der Inhaber der ausschließlichen Nutzungsrechte an einem Werk ist, die Vervielfältigung und Verbreitung einer unfreien Bearbeitung dieses Werkes untersagen darf, selbst wenn davon auszugehen ist, dass ihm selbst eine derartige Nutzung des Originalwerks nicht gestattet wäre. Ein ausschließliches Nutzungsrecht i.S.v. § 31 Abs. 3 UrhG legitimiert den Nutzungsberechtigten zur Verfolgung urheberrechtlicher Verletzungshandlungen (BGH, Urteil vom 17. Juni 1992 – I ZR 182/90, GRUR 1992, 697 (689) – ALF). Der Schutzumfang umfassender ausschließlicher Nutzungsrechte ist insoweit – nicht anders als der Schutzumfang des Urheberrechts selbst – weiter als das positive Benutzungsrecht, weil er das Verbietungsrecht gegen eine unfreie Bearbeitung einschließt, das erforderlich ist, um einen wirksamen Schutz des Rechts zu gewährleisten. Diese Rechtsmacht folgt bereits aus der dinglichen Rechtslage (BGH, Urteil vom 29. April 1999, I ZR 65/96, GRUR 1999, 984 (985) – Laras Tochter; BGH, Urteil vom 17. Juni 1992 – I ZR 182/90, GRUR 1992, 697 (689) – ALF).
20
Die Autorin […] hat im Verlagsvertrag der Klägerin das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werks in allen vereinbarten Ausgaben für alle Auflagen für die deutsche Sprache weltweit eingeräumt (§ 2 Abs. 1 des Verlagsvertrags). Die Klägerin ist daher Inhaberin eines ausschließlichen Nutzungsrechts i.S.v. § 31 Abs. 3 UrhG. Die Befugnis der Klägerin, zum Schutze der so erlangten Position die ursprünglich dem Urheber zustehenden Befugnisse geltend zu machen, ergibt sich zudem aus § 9 Abs. 2 VerlG.
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b) Vorliegend verfolgt die Klägerin zwar nicht Unterlassungsansprüche, sondern Schadensersatzansprüche und vorbereitende Auskunfts-/Rechnungslegungsansprüche. Die Schadensersatzansprüche ergeben sich jedoch daraus, dass die Beklagte durch die Publikation ihrer Lehrerhandreichung eine Handlung unternommen hat, die die Klägerin aufgrund des überschießenden Verbietungsrechts verhindern hätte können; die Beklagte hätte von der Klägerin, der die ausschließlichen Rechte zur Vervielfältigung und Verbreitung des Romans in deutscher Sprache im relevanten Zeitraum zustanden, entsprechende Befugnisse erwerben müssen. Diese hätte die Klägerin der Beklagten auch vermitteln können, da eine Vervielfältigung des Originals vorlag. Die Publikation der Lehrerhandreichung hat insoweit einen Vermögensschaden für die Klägerin bewirkt.
22
Der Umstand, dass der Klägerin im Verlagsvertrag von der Autorin nicht das Recht eingeräumt wurde, Lehrerhandreichungen herauszugeben, steht daher einem Schadenersatzanspruch nicht von vornherein entgegen. Relevant könnte dieser Umstand lediglich werden, wenn die Klägerin einen „konkreten“ Schadensersatzanspruch in Gestalt entgangenen Gewinns durch eigene operative Tätigkeiten dieser Art verlangen würde. Der Klägerin stehen aber wegen des Grundsatzes, dass der Schaden in dreifacher Weise berechnet werden kann, auch zwei weitere, hiervon nicht betroffene Berechnungsmethoden offen (Lizenzanalogie und Gewinnabschöpfung), für die es aus den genannten Gründen nicht darauf ankommt, ob sie selbst entsprechende Geschäfte hätte tätigen können (so ausdrücklich zum Verletzergewinn BeckOK UrhR/Reber, 46. Ed. 15.2.2024, UrhG § 97 Rn. 114 m.w.N. zum Geschmacksmuster- und zum Wettbewerbsrecht). Wie der Inhalt der begehrten Auskunft zeigt, gedenkt sie auch, einen dieser Wege zu gehen.
23
Da beim Verlagsvertrag die Überlassung der Rechte für eigene Rechnung des Verlegers erfolgt (§ 1 S. 1 VerlG), entsteht ein entsprechender wirtschaftlicher Schaden auch unmittelbar und ausschließlich in der Person der Klägerin.
24
3. Die von der Beklagten in der Reihe „EinFachDeutsch“ herausgegebene Lehrerhandreichung zum Jugendroman „…“ verletzt durch das darin enthaltene „Zitate-Spiel“ (S. 22/23) und den einen Originalauszug des Romans umfassenden Vorschlag für die Klassenarbeit (S. 146), die Nutzungsrechte der Klägerin (dazu b)). Dagegen gilt dies nicht für die Zusammenfassung des Romans und die Wiedergabe der Charaktere (S. 13 bzw. S. 10-12; dazu sogleich unter a)).
25
a) Nach der Rechtsauffassung des Senats sind Zusammenfassungen des Inhalts von Sprachwerken und Beschreibungen der dort agierenden Figuren dann, wenn sie wie im vorliegenden Fall mit einer massiven Reduzierung einhergehen, eine gedankliche Durchdringung, Bewertung und Auswahl voraussetzen und eigene Worte verwenden, von § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG (in der Zeit seit 7. Juni 2021) bzw. §§ 23, 24 UrhG (im Zeitraum zuvor) gestattete Handlungen. Daraus, dass die Lehrerhandreichung eine Zusammenfassung des Romans enthält, welche aus der eigentlichen Beschreibung des Romaninhalts und einer Beschreibung der Hauptfiguren besteht, könnte die Klägerin daher keine Ansprüche ableiten; die entsprechenden Elemente sind auch nicht bei der später vorzunehmenden Bemessung des Schadenersatzes zu berücksichtigen.
26
aa) Die allgemeinen Regelungen des Urheberrechts gelten grundsätzlich auch für Inhaltsangaben von Sprachwerken (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2012, I ZR 12/08, GRUR 2011, 134, Rn. 49 f. – Perlentaucher). Auch im Übrigen kennt das nationale und das europäische Urheberrecht auch kein Sonderregime für Sekundärliteratur, insbesondere Lehrerhandreichungen der vorliegenden Art und darin enthaltene Inhaltszusammenfassungen. Maßgeblich sind daher die allgemeinen Bestimmungen zu den Rechten des Urhebers und den Schranken dieser Rechte.
27
Schadensansprüche und vorbereitende Auskunftsansprüche der Klägerin können damit nur bestehen, soweit einzelne Passagen/Elemente eine Vervielfältigung des Werks der Autorin […] darstellen. Im Hinblick auf die S. 10-13, die unstreitig keine Originalzitate enthalten, setzen solche Ansprüche somit voraus, dass nur eine einfache Bearbeitung oder Umgestaltung vorliegt, d.h. nicht eine solche i.S.v. § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG n.F. bzw. § 23 UrhG a.F., bei der ein hinreichender Abstand zum benutzten Werk gegeben ist (siehe nur Wandtke/Bullinger/Heerma, 6. Aufl. 2022, UrhG § 16 Rn. 7). Denn ist die Veränderung der benutzten Vorlage so weitreichend, dass die entlehnten eigenpersönlichen Züge des Originals angesichts der Eigenart der Nachbildung verblassen, liegt keine Bearbeitung oder andere Umgestaltung i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG und keine Vervielfältigung i.S.d. § 16 UrhG, sondern ein selbstständiges Werk vor, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen worden ist und das nach § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG n.F. ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 – I ZR 173/21, GRUR 2023, 571, Rn. 28 – Vitrinenleuchte).
28
Ausgehend von diesen Grundsätzen wird die Frage, ob die Veröffentlichung von Schul-Sekundärliteratur zu Romanen und insbesondere von darin enthaltenen Zusammenfassungen zulässig ist, in Rechtsprechung und Literatur nur wenig, aber kontrovers diskutiert. Eine unfreie Benutzung nehmen dann, wenn ein Roman in ein Lehrbuch für eine Schule transportiert wird, an Schricker/Loewenheim/Loewenheim, 6. Aufl. 2020, UrhG § 24 Rn. 20; LG Hamburg, Urteil vom 12. Dezember 2003, 308 O 57/03, GRUR-RR 2004 65 (67) – Harry Potter; Loewenheim, ZUM 2004, 89 (92)), während andere (Erdmann, WRP 2002, 1329 ff.; Schack, Urheberrecht, Rn. 276) Inhaltszusammenfassungen unter bestimmten Voraussetzungen als zulässig ansehen.
29
bb) Nach den allgemeinen Grundsätzen kann bei Sprachwerken der Schutzbereich des Urheberrechts sowohl den Inhalt als auch die Form einschließen.
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(1) Von vornherein nicht schutzfähig ist allerdings bei Sprachwerken ein innovativer Charakter seines Inhalts. Der gedankliche Inhalt eines Schriftwerks – die ihm zugrunde liegende Idee – muss der geistigen Auseinandersetzung zugänglich sein (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2012, I ZR 12/08, GRUR 2011, 134, Rn. 36 – Perlentaucher; Erdmann, WRP 2002, 1329 (1333)).
31
(2) Anderes gilt jedoch, wenn diese Idee eine individuelle Gestalt angenommen hat, wie etwa bei der eigenschöpferischen Gestaltung eines Romanstoffs, bei der dann eine Figur oder die „Fabel“, die Charakteristik der Personen oder die Ausgestaltung der Szenen urheberrechtlich geschützt sein können (Loewenheim/Leisner, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 3. Aufl. 2021, § 7 Rn. 6). Unter der „Fabel“ eines Werks wird dabei allgemein das Handlungs- und Beziehungsgeflecht der Charaktere eines Romans verstanden (siehe nur BGH, Urteil vom 17. Juli 2013 – I ZR 52/12, GRUR 2014, 258 Rn. 25 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm; BGH, Urteil vom 1. Dezember 2012, I ZR 12/08, GRUR 2011, 134, Rn. 36 – Perlentaucher; Erdmann, WRP 2002, 1329 (1335)). Bei der Übernahme des Kerns einer geschützten „Fabel“ in ein neues Sprachwerk erfolgt dementsprechend eine Übernahme des Inhalts (BeckOK UrhR/Ahlberg/Lauber-Rönsberg, 43. Ed. 1.8.2024, UrhG § 23 Rn. 40). In Fällen, in denen die Idee eine Formgestaltung durch eine Figur, Fabel oder Skizze gefunden hat, ist jedoch in der Verletzungsprüfung besonders sorgsam darauf zu achten, dass nur die Nutzung der individualisierten Gestaltungselemente des Werks einen Eingriff in das in seinem Schutzumfang entsprechend beschränkte Urheberrecht begründen kann, der bloße Rückgriff auf die zugrundeliegende allgemeine Idee aber frei bleibt (Loewenheim/Leisner, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 3. Aufl. 2021, § 7 Rn. 6), (3) Die von der Autorin […] gedanklich geschaffene Situation aus einer Computersoftware, ihrem Programmierer und den unterschiedlich charakterisierten Schülerinnen und Schülern einer Londoner Schule stellt eine Konkretisierung bloßer Ideen dar, die die Anforderungen an den Schutz einer „Fabel“ erfüllt. Es liegt zweifellos eine erhebliche eigenschöpferische Leistung vor, die die abstrakte Grundthematik – Einfluss von Computerprogrammen auf junge Menschen und deren Beziehung untereinander – dadurch gewissermaßen mit Leben zu erfüllen, dass Personen mit unterschiedlichen Charakteren die denkbaren Haltungen und Reaktionen verkörpern.
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cc) Im Hinblick auf die damit maßgebliche Frage, ob bei Zusammenfassungen oder Charakteranalysen eine (unzulässige) Vervielfältigung oder eine (erlaubte) Bearbeitung i.S.v. § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG gegeben ist, ist entscheidend, ob ein ausreichender Abstand eingehalten wird. Für die Bemessung des Abstands gelten dabei folgende Grundsätze:
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(1) Ein hinreichender Abstand i.S.v. § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG liegt nach der Rechtsprechung des BGH zu §§ 23, 24 UrhG a.F. vor, wenn die entlehnten eigenpersönlichen Züge des geschützten Werks angesichts der Eigenart des neuen Werks „verblassen“ (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2012, I ZR 12/08, GRUR 2011, 134, Rn. 33 – Perlentaucher; BGH, Urteil vom 29. April 1999, I ZR 65/96, GRUR 1999, 984 (987) – Laras Tochter).
34
„Verblassen“ ist dabei unionsrechtskonform dahin zu verstehen, ob schutzbegründende eigenschöpferische Elemente wiederzuerkennen sind (BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 222/20, GRUR 2022, 899 Rn. 47 – Porsche 911). Ein hinreichender Abstand ist daher anzunehmen, wenn die aus dem vorbestehenden Werk entlehnten eigenpersönlichen Züge dem Gesamteindruck nach gegenüber der Eigenart des neuen Werks so stark verblassen, dass das vorbestehende Werk nicht mehr oder nur noch rudimentär zu erkennen ist (BT-Drs. 19/27426, S. 78). Dies muss auch für die Anwendung der zu § 24 Abs. 1 UrhG a.F. entwickelten Grundsätze im Rahmen des nun geltenden § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG maßgeblich sein (BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 222/20, GRUR 2022, 899 Rn. 49 – Porsche 911). Die Wiedererkennbarkeit ist damit immanente Beschränkung des Schutzbereichs der Verwertungsrechte (BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 222/20, GRUR 2022, 899 Rn. 49 – Porsche 911).
35
Nach Auffassung des Senats wird dadurch, dass unter Geltung der RL 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (i.F. InfoSoc-RL) auf das Kriterium der Wiedererkennbarkeit abzustellen ist, die Rechtsprechung dazu, wie der Abstand zu ermitteln und zu bemessen ist, nicht vollständig obsolet. Zwar ging auch der Gesetzgeber davon aus, dass die Sachverhalte, in denen die deutsche Rechtsprechung einen ausreichenden „inneren Abstand“ angenommen hatte, z.B. im Falle von Parodien, nun i.d.R. in den Schutzbereich von § 23 UrhG fallen und daher die Zulässigkeit nach § 51a UrhG zu beurteilen ist (Begr BT-Drs. 19/27426, 78; vgl. BeckOK UrhR/Ahlberg/Lauber -Rönsberg, 46. Ed. 1.2.2025, UrhG § 23 Rn. 34). Insgesamt sollte aber nach der Vorstellung des Gesetzgebers an der „Verblassens“-Rechtsprechung als solcher festgehalten werden können (vgl. – wenn auch kritisch – BeckOK UrhR/Ahlberg/Lauber-Rönsberg, 46. Ed. 1.2.2025, UrhG § 23 Rn. 34). Es gilt daher weiterhin, dass eine freie Benutzung selbst bei deutlichen Übernahmen gegeben sein kann, wenn das neue Werk zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des früheren Werks einen so großen inneren Abstand hält, dass es seinem Wesen nach als selbständig anzusehen ist (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2012, I ZR 12/08, GRUR 2011, 134, Rn. 34 – Perlentaucher). Erst recht ist daran, dass ein äußerer Abstand aus einer unzulässigen Vervielfältigung herausführt, festzuhalten. Relevant bleibt weiter, inwieweit das benutzte und das neu geschaffenen Werk Individualität aufweisen; je stärker die Individualität des neuen Werks ist, desto eher kann von einem Verblassen bzw. fehlenden Wiedererkennen die Rede sein (vgl. Loewenheim, ZUM 2004, 89 (91) nach BGH, Urteil vom 24. Januar 1991, I ZR 72/89, GRUR 1991, 533 (534) – Brown Girl II u.a.; Dreier/Schulze/Raue, 8. Aufl. 2025, UrhG § 23 Rn. 47: Wechselwirkung; Raue, AfP 2022, 1 Rn. 27).
36
Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass das Kriterium der Erkennbarkeit nicht dazu dient, den Schutz von Werkfragmenten zu begründen, sondern ein einmal begründeten Schutz zu beschränken (Raue, AfP 2022, 1 Rn. 20 m.w.N.).
37
(2) Für urheberrechtliche Zulässigkeit von Inhaltsangaben, abstracts etc., ist zu berücksichtigen, dass solche Texte nicht alle Eigenheiten des Originalwerks in einer Weise mitteilen müssen, dass diese erkennbar bleiben. Vielmehr kann bei der Zusammenfassung fremder Werke auf eigene Worte zurückgegriffen werden. Nach der Lebenserfahrung ist es ohne weites möglich, den gedanklichen Inhalt eines Schriftwerks in eigenen Worten zusammenzufassen; genießt das zusammengefasste Werk allein aufgrund seiner sprachlichen Gestaltung Urheberrechtsschutz, ist eine Zusammenfassung in eigenen Worten grundsätzlich eine urheberrechtlich unbedenkliche freie Benutzung desselben (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2012, I ZR 12/08, GRUR 2011, 134, Rn. 37 – Perlentaucher). Die Wiedergabe des gedanklichen Inhalts des Originalwerks steht dem Autor der Zusammenfassung frei (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2012, I ZR 12/08, GRUR 2011, 134, Rn. 51 – Perlentaucher).
38
(a) Dementsprechend wird verbreitet angenommen, dass eine kurze Zusammenfassung eines fremden Schriftwerks mit eigenen Worten eine freie Benutzung darstellt und deshalb urheberrechtliche Abwehransprüche nicht auslöst (Schack, Urheberrecht, Rn. 367; Anm. Rössel, GRUR 2011, 134).
39
(b) Eine unzulässige Bearbeitung i.S.v. § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG liegt dagegen vor, wenn lediglich gestrichen, gekürzt oder sonst wie Auszüge erstellt werden (Wandtke/Bullinger/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 23 Rn. 38; Rössel, GRUR 2011, 134 (187)). Da das Werk nicht im Ganzen, sondern auch in seinen Einzelteilen geschützt wird, steht der Annahme einer Vervielfältigung nicht entgegen, dass nur erhebliche Teile des Werks nach originellen Gesichtspunkten gekürzt werden, solange das schutzfähige Werk in der originalen Formgestaltung unverändert wiedergegeben wird (BeckOK UrhR/Götting, 43. Ed. 1.8.2024, UrhG § 16 Rn. 11).
40
(c) Wird im späteren Werk die Handlung des früheren Werks fortgesponnen, wird eine freie Benutzung nur angenommen, wenn der zweite Autor die Fabel lediglich als Anregung herangezogen hat. Umgekehrt kann selbst bei signifikanten Textübereinstimmungen eine freie Benutzung gegeben sein, wenn mit der Übernahme ein ganz anderes Gedanken- und Stimmungsbild vermittelt wird (so BeckOK UrhR/Ahlberg/Lauber-Rönsberg, 43. Ed. 1.8.2024, UrhG § 23 Rn. 40 ff. m.w.N.).
41
(3) Bei der vorzunehmenden vergleichenden Beurteilung des benutzten und des neugeschaffenen Werks ist ein Gesamtvergleich anzustellen (BGH, Urteil vom 29. April 1999, I ZR 65/96, GRUR 1999, 984 (988) – Laras Tochter), bei dem vom Gesamteindruck des Originals und der Gestaltungsmerkmale, auf denen dieser beruht, auszugehen ist. Das Ergebnis dieses Gesamtvergleichs bestimmt den Grad der Eigentümlichkeit, von dem der Schutzumfang abhängt. Grundsätzlich sind nur die im Schutzbereich des benutzten Werks liegenden Entlehnungen rechtlich relevant (Schricker/Loewenheim/Loewenheim, 6. Aufl. 2020, UrhG § 24 Rn. 16).
42
Enthält ein neues Werk urheberrechtlich geschützte Elemente des älteren, so sind an das Vorliegen einer freien Benutzung strenge Maßstäbe anzulegen. Die übernommenen Elemente müssen in dem neuen Werk aufgehen und dürfen das neue Werk nicht in der Weise prägen, dass sie das Wesen der Bearbeitung ausmachen. Bei der Prüfung einer Bearbeitung stehen die Übereinstimmungen, nicht die Unterschiede der zu vergleichenden Werke im Vordergrund. Entscheidend ist, in welchem Umfang urheberrechtlich geschützte Teile des älteren Werkes in dem neuen Werk vorhanden sind (Wandtke/Bullinger/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 23 Rn. 36).
43
(4) Unerheblich für die Beurteilung, ob eine abhängige Bearbeitung oder eine freie Benutzung (in der alten Terminologie) vorliegt, ist, ob das neue Werk geeignet und bestimmt ist, dass ältere zu ersetzen (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2012, I ZR 12/08, GRUR 2011, 134, Rn. 45 – Perlentaucher, in Abkehr von der zuvor wohl überwiegenden Auffassung).
44
dd) Aus Sicht des Senats stellt, ausgehend von diesen Grundsätzen, eine Inhaltsbeschreibung eines umfassenden Romans wie die vorliegende, die aus einer eigentlichen 1-seitigen Zusammenfassung und einer 2 ½-seitigen Darstellung der Charaktere der Romanfiguren besteht und dabei die Fabel analysiert und aufarbeitet, eine von § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG bzw. § 24 Abs. 1 UrhG a.F. gedeckte Handlung dar. Derartige Zusammenfassungen, die zwar notwendigermaßen die schutzfähigen Elemente der Fabel und der Charaktere inhaltlich wiedergeben, aber die sprachliche Gestaltung des Ausgangswerks nicht übernehmen und dabei auch noch eine ganz erhebliche Komprimierung und Analyse vornehmen, weisen einen hinreichenden „äußeren“ Abstand zum Originalwerk auf.
45
(1) Eine Übernahme des Inhalts des Originalwerks i.S.d. Fabel in der Zusammenfassung des Romaninhalts und der Hauptfiguren ist vorliegend gegeben, weil die Eigentümlichkeiten des Hintergrunds, der Figuren, und des Geschehensablaufs so wiedergegeben werden, wie es im Roman der Fall ist und sie diesen gedanklich (wenn auch nicht sprachlich) prägen. Immerhin geht es in Zusammenfassungen dieser Art gerade darum, die Konstellation der Personen und Probleme möglichst treffend wiederzugeben, um dem Leser den Zugang zum Originalwerk zu eröffnen oder zumindest zu vereinfachen und dabei auf wesentliche Aspekte aufmerksam zu machen (vgl. Loewenheim, ZUM 2004, 89 (92)).
46
Gleichwohl ist der erforderliche Abstand, insbesondere im Hinblick auf die Form, gegeben, so dass der Bereich einer urheberrechtlich unzulässigen Bearbeitung oder Umgestaltung verlassen ist:
47
(2) Vorliegend wird ein fast 500-seitiges Werk auf eine bzw. 3 1/2 Druckseiten komprimiert, und dabei auch keineswegs der Eindruck erweckt, dass die story vom Verfasser des Sekundärwerks bzw. der darin abgedruckten Zusammenfassung stammt. Vielmehr ergibt sich für jeden Adressaten eines derartigen Werks, dass es Sekundärliteratur darstellt und damit das behandelte Werk von einem anderen stammen wird als von dem, der die Unterrichtshandreichung erstellt hat.
48
(a) Eine lediglich eine DIN A4-Seite einnehmende Zusammenfassung eines Romans stellt bereits eine andere Form und Literaturgattung als ein 488-seitiger Roman dar und erzeugt einen ganz anderen Gesamteindruck. Die Übernahme typischer literarischer Gestaltungsmittel, die einen guten Roman ausmachen, so etwa die Wahl erzählender Passagen oder von Dialogen, ist bei einer solchen Reduzierung schlicht unmöglich. Erforderlich für eine solche Komprimierung auf ca. 1% des Umfangs des Ausgangswerks (selbst wenn man unterstellt, dass sich auf einer Druckseite der Originalausgabe des Romans weniger Zeichen befinden als auf einer Druckseite der Lehrerhandreichung der Beklagten) ist umgekehrt eine eigenständig getroffene Auswahl und Schwerpunktsetzung, was an beschreibenden und bewertenden Elementen aufgenommen werden soll. Die Zusammenfassung geht damit über gewöhnliche Kürzungen oder die Herstellung von Auszügen deutlich hinaus.
49
Übernommen wird zwar von der Beklagten der inhaltliche Kern des Romans (Fabel), sodass insoweit ein „Wiedererkennen“ attestiert werden mag. Diese Gemeinsamkeit tritt aber aufgrund der Andersartigkeit der Form und Literaturkategorie vollständig in den Hintergrund, sodass nicht mehr davon die Rede sein kann, das Werk als solches werde wiedererkannt. Bei der Übertragung eines Werks in eine andere Werkform oder einem Genresprung liegt tendenziell nur eine Nutzung vor, die nicht in den Schutzbereich des Werks fällt (vgl. Wandtke/Bullinger/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 23 Rn. 37).
50
(b) Zudem verwendet die Verfasserin der Zusammenfassung durchgehend eigene Worte, sie übernimmt somit nicht literarisch charakteristische Elemente oder die „dichterische Welt“ des Originals (vgl. Erdmann, WRP 2002, 1329 (1339); BGH, Urteil vom 1. Dezember 2012, I ZR 12/08, GRUR 2011, 134, Rn. 37 – Perlentaucher).
51
(c) Die Inhaltswiedergabe und die Beschreibung der Hauptfiguren beruhen in erheblichem Maß auf eigenen gedanklichen Analysen der Verfasserin der Lehrerhandreichung, so dass diese die Qualität eines eigenständigen Sprachwerks besitzt.
52
Die auf S. 13 des angegriffenen Werkes abgedruckte Inhaltszusammenfassung weist einen ganz erheblichen Anteil kommentierender und beschreibender Elemente auf. Die Umstände und Zusammenhänge, wie sie dort wiedergegeben sind, werden naturgemäß in einem Originalwerk nicht unmittelbar adressiert, sondern durch die Erzählung, die Sprache, die Gedankenführung, den Einsatz von zeitlichem Versatz, Monologen und Dialogen gegenüber erzählenden Passagen usw. dem Leser vermittelt. So wird der Hintergrund der Romangeschichte im 1. Absatz beschrieben, und sodann zu Beginn des 2. Absatzes mitgeteilt, dass die Romanhandlung erst später, quasi zeitlich nach dieser Vorgeschichte, einsetzt. Damit ist eine Beschreibung der Erzähltechnik der Verfasserin gegeben, die sich aber so pointiert gerade nicht im Roman findet, sondern sich erst aus diesem für den Leser ergibt. Erhebliche eigene Zusammenfassungs- und Bewertungsarbeit liegt etwa in dem Satz, „er ist bereits so tief im Spiel gefangen, dass er tut, was von ihm verlangt wird“ Auch die dem 3. Absatz einleitende Bewertung, dass er (der Protagonist […]) „am Boden zerstört ist“, stellt eine starke Zusammenfassung dessen dar, was ein Autor beschreibend vermittelt. Nichts anderes gilt für den 4. Absatz, der mit dem Satz beginnt „die Ereignisse im Spiel spitzen sich immer weiter zu, bis es zur finalen Schlacht kommt“. Eine sicher im eigentlichen Romantext nicht vorhandene und von diesem losgelöste Formulierung ist schließlich die knappe Beschreibung, dass zwei Figuren sich bei der Detektivarbeit näher kommen und auch anschließend zusammenbleiben, um dann dafür zu sorgen, dass ein Dritter „auch noch zur Verantwortung gezogen werden kann“. Eine Situation wie bei dem Operettenführer, dem das RG attestiert hat, dass sich der Verfasser auf eine sehr kurze Einführung in andeutenden Sätzen beschränkt hat, die nur spärliche eigene Zutaten darstellten und daher weder bemerkenswerten Gehalt noch persönliche Farbe verliehen (RG, Urteil vom 25. Juni 1930, I 21/30, RGZ 129, 252 (257)), ist daher hier gerade nicht gegeben.
53
Nichts anderes gilt für die Beschreibung der auftretenden Personen auf S. 10 bis 13. Darin werden jeweils zunächst plakativ die wesentlichen Eigenschaften und ihr Verhältnis zu dem Computerprogramm […] usw. mitgeteilt. Ferner werden charakterliche Merkmale aufgezeigt wie z.B. bei Helen „Sie reagiert oft aggressiv und beleidigend, egal, ob das angemessen ist oder nicht“ oder Geschehnisse komprimiert dargestellt, so z.B. bei Colin H. „Er ist bereit, so einiges zu tun, was der Spieler ihm aufträgt“. Es wird somit der Romaninhalt in abstrakter Weise beschrieben, ohne dass die einzelnen Geschehnisse als solche wiedergegeben werden.
54
Die insgesamt 3 1/2seitige Zusammenfassung erfüllt daher zweifellos sämtliche Voraussetzungen dafür, dass sie selbst als Sprachwerk urheberrechtlichen Schutz genießt, wie es als Voraussetzung für eine entsprechende zulässige Bearbeitung gem. § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG ist (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2012, I ZR 12/08, GRUR 2011, 134, Rn. 37 – Perlentaucher). Die von der Romanautorin übernommenen Elemente, die allein den Romaninhalt (Fabel) betreffen, gehen in dem Werk der Beklagten vollständig auf, was einem Wiedererkennen im Rechtssinne entgegensteht.
55
Damit liegt eine Situation vor, die sich diametral von der unterscheidet, die Gegenstand der Operettenführer-Entscheidung des Reichsgerichts (RG, Urteil vom 25. Juni 1930, I 21/30, RGZ 129, 252)) war. Die dort zu beurteilenden Hefte enthielten ausweislich des Entscheidungstatbestands eine Schilderung des Handlungsganges der Werke mit eingestreuten Notenbeispielen, denen Stücke der Liedertexte beigedruckt waren (RGZ 129, 252 (252)). Der räumliche Anteil der Handlungsschilderung war dabei im Vergleich zu Noten und Text durchwegs gering (50% und weniger; RGZ 129, 252 (253)). Das Reichsgericht verneinte eine freie Benutzung i.S.v. § 13 Abs. 1 LitUrhG daher schon deshalb, weil keine eigentümliche Schöpfung gegeben war. Die Operettenführer hätten die Musik- und Textzitate im Geleit einer kurzen Handlungsschilderung dargeboten. Dabei hätten die eigenständig verfassten Passagen lediglich als Faden gedient, an dem die Notenbeispiele und Textteile aufgereiht waren, und wurden deshalb als reiner Handlungsbericht ohne eigene irgendwie beträchtliche Gedanken qualifiziert (RGZ 129, 252 (256)). Wie ausgeführt, unterscheiden sich die genannten Elemente der vorliegend zu beurteilenden Lehrerhandreichung von einer solchen Situation, da sie nicht lediglich die Verbindung zwischen fremden Teilen herstellen, sondern eigenständigen Wert besitzen und dabei erhebliche gedankliche Leistungen verkörpern.
56
(3) Für das vorstehende Verständnis des Senats spricht dabei, dass dann, wenn man auch Zusammenfassungen von Sprachwerken, die die vorliegend gegebenen Eigenschaften aufweisen, als urheberrechtlich relevante Vervielfältigungen ansehen würde, Zusammenfassungen von Romanen nie ohne Zustimmung des Urhebers veröffentlicht werden dürften, weil es naturgemäß nie gelingen wird, auf die Wiedergabe der Fabel zu verzichten (ähnlich auch Erdmann, WRP 2002, 1329 (1335)). Ein solches Ergebnis stünde jedoch im Widerspruch zum Grundsatz, dass der gedankliche Inhalt eines Schriftwerks der geistigen Auseinandersetzung zugänglich sein muss. Das Werk des Urhebers, der sein eigenes Werk nicht im luftleeren Raum geschaffen hat, sondern auf Grundlage von internalisierten kulturelle Errungenschaften und von Anregungen vorbestehender Werke, muss konsequenterweise ebenfalls zur Grundlage des weiteren kulturellen Schaffens und der gesellschaftlichen Kommunikation werden (Raue, AfP 2022, 1 Rn. 1). Eine solche ist aber, wenn Ausgangspunkt der Diskussion ein bereits vorhandenes Sprachwerk ist, praktisch nur möglich, wenn auch mitgeteilt oder erwähnt werden darf, worin die „Fabel“ dieses Sprachwerks liegt (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2012, I ZR 12/08, GRUR 2011, 134, Rn. 36 – Perlentaucher). Insoweit ergibt sich ein Konflikt zwischen den Grundannahmen, dass veröffentlichte Werke einschließlich Sprachwerken und der dabei zum Ausdruck gekommenen Gedanken einer Diskussion und Rezeption zugänglich sein sollen, und dem Schutz der Fabel. Dieses Spannungsfeld ist nach Auffassung des Senats dadurch aufzulösen, dass der Schutz der Fabel tendenziell eng zu verstehen ist; der Schutzbereich einer Fabel, eines Personencharakters oder einer Skizze ist daher auch dann, wenn sie als gewonnene Idee überhaupt urheberrechtlichen Schutz genießt, tendenziell eng anzusehen. Er darf nicht dazu führen, dass der Autor darüber bestimmen und ggf. verhindern kann, ob und in welcher Weise andere über sein Werk berichten, wenn hierzu eine Auseinandersetzung mit diesem erforderlich ist. Ein vergleichbarer Schutz besteht insbesondere auch bei anderen Werken nicht; so verbietet das Urheberrecht am Entwurf eines Kraftfahrzeugs, eines Bauwerks oder eines Musikstücks ersichtlich nicht, hierüber zu berichten und dabei die Eigentümlichkeiten – Form Farbe und Material bzw. Tonhöhen, Rhythmus und Klangeindruck – mitzuteilen, solange keine Abbildung oder Wiedergabe erfolgt. Auch wenn dem Senat die Besonderheiten von Sprachwerken bewusst sind, ist eine Privilegierung solcher gegenüber allen anderen Werkskategorien nicht angezeigt.
57
Der Senat kann offen lassen, ob der beschriebene Konflikt zwischen dem Schutz der Fabel einerseits und dem grundsätzlichen Gebot der Offenheit zur geistigen Auseinandersetzung dadurch aufzulösen ist, dass lediglich die Ausnutzung der Fabel für ein eigenes Werk – anstelle sich eine solche neu auszudenken – unzulässig ist (in diesem Sinn Erdmann, WRP 2002, 1329 (1335): der Schutz der Fabel ist auf einen Plagiatsschutz beschränkt; ablehnend LG Hamburg, Urteil vom 12. Dezember 2003, 308 O 57/03, GRUR-RR 2004 65 (67) – Harry Potter). Jedenfalls ergibt sich bei Anwendung der allgemeinen Kriterien unter Berücksichtigung der Notwendigkeiten einer geistigen Auseinandersetzung für Fallgestaltungen wie die vorliegende, dass eine Rechtsverletzung nicht gegeben ist.
58
(4) Schließlich steht dieser Ansatz des Senats in Einklang mit dem in der Literatur geäußerten Verständnis des Kriteriums der Wiedererkennbarkeit. Abzustellen ist darauf, ob das Werk – genauer: dessen prägende persönliche geistige Leistungen – in der neuen Gestaltung „zum Ausdruck“ kommen (Stieper, GRUR 2023, 577, Peifer, GRUR 2022, 967 (968 f.); Raue, AfP 2022, 1 Rn. 24 f.). Dass eine Wiedererkennbarkeit als solche nicht genügen kann, entspricht zudem der Auffassung des BGH, der eine Urheberrechtsverletzung an einer geschaffenen Romanfigur verneint hat, wenn für ein entsprechendes Karnevalskostüm geworben wird, auch wenn dieses klar diese Figur darstellen soll. Grund war, dass die äußeren Merkmale der Romanfigur (Haare, Sommersprossen, Kleidungsstücke) lediglich die äußere Gestaltung der Romanfigur prägen, welche aber (neben Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und typischen Verhaltensweisen) nur einen Teil der literarischen Figur ausmachen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2013 – I ZR 52/12, GRUR 2014, 258 Rn. 45 ff. – Pippi-Langstrumpf-Kostüm I). Nicht entscheidend anders liegt es, wenn zwar inhaltsprägende Erzählungselemente übernommen werden, wichtige andere Merkmale, insbesondere literarische Eigentümlichkeiten aber nicht und zudem eine ganz andere Textgattung erzeugt wird.
59
Der Senat weist an dieser Stelle auch darauf hin, dass die Entscheidungen zum „Verblassen“ bzw. „Wiedererkennen“ nicht Sprachwerke zum Gegenstand hatten, sondern das Urheberrecht an Werken der angewandten Kunst (BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 222/20, GRUR 2022, 899 Rn. 28 – Porsche 911: Kraftfahrzeug bzw. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 – I ZR 173/21 Rn. 13 – Vitrinenleuchte) oder Leistungsschutzrechte des Tonträgerherstellers (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 – C-476/17 Rn. 29 – Pelham). Die beschriebene Problematik, einerseits einen hinreichenden Schutz für die gedankliche Leistung (Entwicklung der Fabel) zu gewährleisten und anderseits der Öffentlichkeit eine gewisse Auseinandersetzung zu ermöglichen, stellte sich dabei nicht. Bei der Wiedergabe von einfachen Tonsequenzen mag die Frage, ob der Hörer sie wiedererkennt, einfach zu beantworten sein und zugleich bedeuten, dass eine Verletzung des Leistungsschutzrechts gegeben ist. Bei einem Sprachwerk, dessen Eigenheit sowohl von inhaltlichen Merkmalen (Fabel, Personen) als auch stilistischen Merkmalen geprägt ist, müssen dagegen sämtliche dieser Dimensionen berücksichtigt werden. Es muss dann auch ausreichen, dass durch eine eigenständige Wortwahl und den Übergang zu einer anderen Textkategorie mit zusammenfassendem, beschreibendem und bewertendem Charakter Abstand hergestellt wird, weil auch in einem solchen Sprachwerk, das sich gewissermaßen auf der Meta-Ebene befindet, das Ursprungswerk nicht mehr als solches (sondern nur noch als Gegenstand) wiedererkannt wird.
60
ee) Die Zusammenfassung des Inhalts und die Beschreibung der Charaktere der Hauptfiguren in der vorliegenden Form ist daher von § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG gestattet.
61
b) Dagegen verletzt die wörtliche Wiedergabe von einzelnen Sätzen des Originalwerks im „Zitate-Spiel“ und der fast eine DIN A4-Seite einnehmenden Textpassage in der Klassenarbeit das Vervielfältigungsrecht der Klägerin. Dies ist auch nicht durch eine geschriebene oder ungeschriebene Schrankenregelung gestattet.
62
aa) Die Berufung der Beklagten wendet sich nicht gegen die Ausführungen des Landgerichts, dass auch einzelne Sätze oder Satzteile eines Werks urheberrechtlichen Schutz gegen Vervielfältigung genießen können, wenn sie bereits für sich betrachtet Ausdruck einer eigenen geistigen Schöpfung sind (Wandtke/Bullinger/Heerma, 6. Aufl. 2022, UrhG § 16 Rn. 6), und dass diese Voraussetzungen jedenfalls bei der überwiegenden Zahl der auf Seiten 22/23 abgedruckten Zitate erfüllt sind. Erst recht gilt dies für die im Rahmen der Klassenarbeit abgedruckte Passage.
63
bb) Die Übernahme dieser Passagen ist nicht vom Zitatrecht des § 51 UrhG gedeckt.
64
(1) Bei der Frage, ob die wortgetreue Wiedergabe einzelner Passagen vom Zitatrecht gem. § 51 UrhG gedeckt ist, hat sich das Landgericht eng an den Ausführungen des OLG München betreffend Hitlers „Mein Kampf“ (OLG München, Urteil vom 14. Juni 2012, 29 U 1204/12, ZUM-RD 2012, 479) orientiert. Danach ist ein Zitat im Interesse des allgemeinen kulturellen und wissenschaftlichen Fortschritts zulässig, um der Freiheit der geistigen Auseinandersetzung mit fremden Gedanken zu dienen (BGH, Urteil vom 30. Juni 1994, I ZR 32/92, GRUR 1994, 800 (803) – Museumskatalog; BGH, Urteil vom 30. November 2011, I ZR 212/10, ZUM 2012, 681 Rn. 28 – Blühende Landschaften; vgl. auch BGH, Urteil vom 5. Oktober 2010, I ZR 127/09, MMR 2011, 544 Rn. 23 – Kunstausstellung im Onlinearchiv). Zitate sollen daher als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbstständige Ausfüllung des Zitierenden dienen.
65
Nicht ausreichend für die Privilegierung als Zitat ist daher, dass es lediglich darum geht, ein fremdes Werk leichter zugänglich zu machen oder um seiner selbst willen der Allgemeinheit zur Kenntnis zu bringen (so jeweils BGH, Urteil vom 30. November 2011, I ZR 212/10, ZUM 2012, 681 Rn. 28 – Blühende Landschaften). Entscheidend ist vielmehr, dass das Zitat lediglich Hilfsmittel zum Verständnis der eigenen Darstellung bleibt, das zitierte Werk muss die Hauptsache, das Zitat lediglich die Nebensache bleiben (BGH, Urteil vom 30. Juni 1994, I ZR 32/92, GRUR 1994, 800 (803) – Museumskatalog; OLG München, Urteil vom 14. Juni 2012, 29 U 1204/12, ZUM-RD 2012, 479 (480)).
66
(2) Diese Voraussetzungen hat das Landgericht zu Recht verlangt. Um dem Charakter der Schrankenbestimmung als Ausnahme vom Verbot, urheberrechtlich geschützte Werke wiederzugeben, Rechnung zu tragen, muss ein weitergehender Zweck vorliegen, weil sonst im Ergebnis nahezu jede Vervielfältigung von dieser Schranke gedeckt wäre. Dieser ist darin zu sehen, dass ein Werk oder ein Auszug daraus genutzt wird, um Aussagen zu erläutern, eine Meinung zu verteidigen oder eine geistige Auseinandersetzung zwischen dem Werk und den Aussagen des Nutzers zu ermöglichen (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 – C-516/17, GRUR 2019, 940 Rn. 78 – Spiegel Online/Volker Beck (Reformistischer Aufbruch); Dreier/Schulze/Dreier, 8. Aufl. 2025, UrhG § 51 Rn. 2b). Der Zitierende muss sich somit das im zitierten Werk zum Ausdruck kommende Gedankengut für eigene Erwägungen und Ausführungen zu eigen machen (was der Nutzung als Beleg für die eigene Auffassung entspricht) und/oder sich mit diesem selbstständig auseinandersetzen (was der Nutzung als Grundlage für die Erörterung des Zitierenden entspricht; vgl. jeweils Wandtke/Bullinger/Lüft, 6. Aufl. 2022, UrhG § 51 Rn. 3). Hieraus folgt, wie das Landgericht zutreffend ausführt, dass die Zitierfreiheit es gerade nicht gestattet, ein Werk nur um seiner selbst willen zur Kenntnis der Allgemeinheit zu bringen oder es leichter zugänglich zu machen, und damit auch nicht rechtfertigen kann, Originalauszüge in einem Hilfsmittel zum Verständnis eines Werks wiederzugeben (BeckOK UrhR/Schulz, 46. Ed. 1.2.2025, UrhG § 51 Rn. 13; auch Wandtke/Bullinger/Lüft, 6. Aufl. 2022, UrhG § 51 Rn. 5).
67
(3) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. In den beiden betroffenen Elementen der Lehrerhandreichung werden nicht von deren Autorin eigenständige Gedanken entwickelt, zu deren Stützung sie auf Passagen in dem Originalwerk zurückgreifen wird; ebenso wenig setzt sie sich selbst mit diesen auseinander. Allenfalls mag die Lehrerhandreichung aufzeigen, welche weitergehenden Fragen in dem Originalwerk aufgeworfen sind und anhand des Romans in didaktisch sachgerechter Weise zum Gegenstand der Diskussion im Unterricht gemacht werden können. Die zu verlangenden eigenständigen Ausführungen würden dann aber von den Schülern erfolgen, nicht von der Beklagten, die lediglich zu solchen unterstützend verhilft.
68
(4) Unerheblich ist aus diesem Grund auch, dass die Handreichung der Beklagten eine Lektüre des Originalwerks nicht ersetzt. Dieser Aspekt ist für die Frage der Einordnung als Zitat nicht relevant.
69
cc) Auch ein Fall der von § 51a UrhG gestatteten Karikatur, Parodie oder Pastiche ist nicht gegeben.
70
(1) Die Varianten einer Karikatur oder einer Parodie liegen ersichtlich nicht vor. Nach dem gängigen, nicht zweifelhaften Begriffsverständnis wäre hierzu erforderlich, dass die Wiedergabe zum Zweck des Ausdrucks von Humor oder einer Verspottung erfolgt (BGH, Beschluss vom 14. September 2023 – I ZR 74/22, GRUR 2023, 1531 Rn. 22 – Metall auf Metall V; Raue, AfP 2022, 1 Rn. 48), was erkennbar nicht der Fall ist und auch nicht sein soll.
71
(2) Auch ein Fall der dort genannten „Pastiche“ kann nicht angenommen werden. Dabei kann offenbleiben, welche Bedeutung bei der gebotenen autonomen Auslegung diesem Begriff genau zukommt, weil bei allen ernstlich in Betracht kommenden und diskutierten Inhalten die Anforderungen nicht erfüllt wären.
72
(a) Der Beklagten ist zuzugeben, dass eine Klärung, was unter „Pastiche“ zu verstehen ist noch nicht erfolgt ist und Gegenstand eines laufenden Vorlageverfahrens bildet.
73
Im französischen Recht soll eine Pastiche eine humoristische Absicht des Künstlers sowie die Entlehnung charakteristischer Merkmale des Ausgangswerkes voraussetzen; selbst die aus Frankreich stammende Ehefrau eines Senatsmitglied sah sich aber zu einer näheren Definition der unter diesen Begriff zu subsumierenden Fallgruppen nicht in der Lage. In den mitgliedstaatlichen Sprachen kommt dem Begriff „Pastiche“ eine Bedeutung zu, die von einer Stilimitation bis zu rekombinierenden Arrangements oder Neukompositionen aus bereits vorhandenem Material fremder Herkunft reichen. Als Gemeinsamkeit lässt sich lediglich ein referenzieller Charakter in Bezug auf etwas bereits Bestehendes ausmachen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2023 – I ZR 74/22, GRUR 2023, 1531 Rn. 27 – Metall auf Metall V). Eine stilistische Nachahmung kann aber in § 51a UrhG bzw. Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL nicht gemeint sein, da ein Stil als solcher ohnehin nicht urheberrechtlich schutzfähig ist (siehe nur BeckOK UrhR/Lauber-Rönsberg, 46. Ed. 1.2.2025, UrhG § 51a Rn. 15).
74
(b) Für ein Begriffsverständnis, nach dem die Entlehnung von Merkmalen und eine künstlerische oder humorvolle Absicht i.w.S. verlangt werden, spricht, dass in der maßgeblichen Richtlinienbestimmung des Art. 5 Abs. 3k InfoSoc-RL (ebenso wie in § 51a UrhG) Pastiche zusammen mit der Parodie und der Karikatur in einer Schrankenbestimmung geregelt worden ist.
75
Der BGH hat in seinem Vorlagebeschluss das wesentliche Merkmal einer Pastiche darin gesehen, dass an ein bestehendes Werk erinnert wird, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede vorhanden sind. Pastiche ist danach ein Auffangtatbestand zumindest für künstlerische Auseinandersetzungen mit einem vorbestehenden Werk (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2023 – I ZR 74/22, GRUR 2023, 1531 Rn. 34 – Metall auf Metall V), also eine allgemeine Schranke für die Kunstfreiheit. Für eine solche besteht ein Bedarf, weil der Kunstfreiheit allein durch die immanente Begrenzung des Schutzbereichs der Verwertungsrechte auf eine Nutzung der Werke und Leistungen in wiedererkennbarer Form und die übrigen Schrankenregelungen nicht in allen Fällen der gebotene Raum gegeben werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2023 – I ZR 74/22, GRUR 2023, 1531 Rn. 37 – Metall auf Metall V). Erforderlich, aber auch ausreichend für die Nutzung „zum Zwecke“ einer Pastiche ist demnach, dass der Charakter als Pastiche für denjenigen erkennbar ist, dem der in Bezug genommene urheberrechtliche Schutzgegenstand bekannt ist und der das für die Wahrnehmung des Pastiche erforderliche intellektuelle Verständnis besitzt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2023 – I ZR 74/22, GRUR 2023, 1531 Rn. 42 – Metall auf Metall V).
76
(c) In der Literatur wird der Unterschied der Pastiche zur Karikatur oder Parodie vielfach darin gesehen, dass bei einer Pastiche eine humoristische oder verspottende Komponente nicht erforderlich ist, sondern auch eine Wertschätzung oder Ehrerbietung für das Original gegeben sein kann (in diesem Sinne auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 19/27426, 91; Dreier/Schulze/Dreier, 8. Aufl. 2025, UrhG § 51a Rn. 18; BeckOK UrhR/Lauber-Rönsberg, 46. Ed. 1.2.2025, UrhG § 51a Rn. 16; Wandtke/Bullinger/Lüft/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 14; Raue, AfP 2022, 1 Rn. 49 ff.).
77
(d) Mit dem Landgericht ist für eine „Pastiche“ jedenfalls zu fordern, dass eine gewisse Auseinandersetzung mit dem vorbestehenden Werk zu erkennen sein muss (ebenso Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 18; Erdmann, WRP 2002, 1329 (1332); auch OLG Hamburg, welches im Verfahren „Metall auf Metall“eine bewertende Referenz auf ein Original verlangt hat, vgl. BeckOK UrhR/Lauber-Rönsberg, 46. Ed. 1.2.2025, UrhG § 51a Rn. 17; in der Sache ebenso Raue, AfP 2022, 1 Rn. 54: Nutzung im Rahmen einer künstlerischen oder kommunikativen Auseinandersetzung). Eine solche Auseinandersetzung ist bei den bloßen Zitaten bzw. Auszügen zu verneinen. Dementsprechend werden als „Pastiche“ nur anlehnende Nutzungen als privilegiert angesehen, bei denen die Unterschiede zum Originalwerk wahrnehmbar sind, nicht aber plagiatsähnliche Wiedergaben (vgl. BeckOK UrhR/Lauber-Rönsberg, 46. Ed. 1.2.2025, UrhG § 51a Rn. 17). Auf diese Minimalanforderungen ist ungeachtet der Frage, ob weitere Voraussetzungen gegeben sind, auch aus Sicht des Senats aus den genannten systematischen Erwägungen sowie dem Umstand, dass auch diese Schranke im Interesse des Urhebers nicht konturlos bleiben darf, nicht zu verzichten,
78
(e) Selbst wenn man weitergehend ausreichen lässt, dass wie bei Collagen, Montagen o. ä. Ausschnitte des Originals für ein neues Werk verwendet werden (dazu Dreier/Schulze/Dreier, 8. Aufl. 2025, UrhG § 51a Rn. 20), würde sich nichts zugunsten der Beklagten ergeben. Dies gälte selbst dann, wenn man die Pastiche-Schranke noch weiter dahin verstünde, dass sie die kreative Nutzung fortbestehender Schutzgegenstände für Neuanschaffungen erlauben solle (Wandtke/Bullinger/Lüft/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 14). Die von der Beklagten herausgegebene Lehrerhandreichung weist die charakteristischen Merkmale solcher Werke nicht auf. Auf das Originalwerk wird nicht humoristisch, verspottend oder anerkennend Bezug genommen, sondern dieses schlicht wiedergegeben, ohne dass irgendwelche künstlerische, humoristische o.Ä. Bearbeitung anzutreffen wäre.
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(f) Soweit die Beklagte meint, jegliches Arrangement genieße die Privilegierung als Pastiche, ist überdies darauf hinzuweisen, dass selbst der BGH im Vorlagebeschluss nicht erwogen hat, auch nicht-künstlerische Nutzungen eines Werkes unter die Pastiche zu subsumieren. Er spricht zwar davon, dass nach einem bestimmten Verständnis Pastiche ein Auffangtatbestand zumindest für künstlerische Auseinandersetzungen mit einem Originalwerk darstelle (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2023 – I ZR 74/22, GRUR 2023, 1531 Rn. 34 – Metall auf Metall V). Dies könnte dahin verstanden werden, dass der künstlerische Kontext nicht zwingend ist. In jedem Fall müsste aber zumindest eine Auseinandersetzung als solche stattfinden (vgl. Dreier/Schulze/Dreier, 8. Aufl. 2025, UrhG § 51a Rn. 18), und diese ist bei der bloßen Wiedergabe von getreuen Auszügen als solche nicht vorhanden. Auch die Einbettung der Zitate in ein Spiel bzw. der Passage in eine Klassenarbeit führen aber aus den genannten Gründen nicht dazu, dass die Autorin des Unterrichtsmodells eine Auseinandersetzung mit dem Originalwerk unternehmen würde.
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(g) Überdies würde dann, wenn man in einem ganz weiten, abstrakten Sinn annähme, Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL und § 51a UrhG sollten ein Auffangtatbestand für derivatives Werkschaffen sein, eine Interessenabwägung im Einzelfall erforderlich, bei der die Kunst- und Meinungsfreiheit einerseits und die Rechte des Urhebers anderseits gegenüberzustellen sind. Diese fiele zulasten der Beklagten aus.
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In Anwendung des Drei-Stufen-Tests muss danach ein fairer Ausgleich zwischen den Urhebern der vorbestehenden und der neu geschaffenen Werke gewahrt sein (vgl. BeckOK UrhR/Lauber-Rönsberg, 46. Ed. 1.2.2025, UrhG § 51a Rn. 17 f.). Dies ist auch bei der Rechtsanwendung im Einzelfall zu beachten. Ausnahmen und Beschränkungen dürfen danach nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, dürfen die normale Verwertung des Werkes nicht beeinträchtigen und dürfen die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzen (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 – C-516/17, GRUR 2019, 940 Rn. 37, 46 – Spiegel Online/Volker Beck (Reformistischer Aufbruch)). Diese Voraussetzungen sind auch bei der Anwendung der Ausnahmebestimmung im konkreten Fall durch das mit der Sache befasste Gericht zu prüfen (EuGH, Urteil vom 3. September 2014 – C-201/13, GRUR 2014, 972 Rn. 32 – Deckmyn; EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 – C-516/17, GRUR 2019, 940 Rn. 52 – Spiegel Online/Volker Beck (Reformistischer Aufbruch)).
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In diese Abwägung ist dann auch einzustellen, welchen geistigen Gehalt das neue Werk aufweist und ob es einen ausreichenden inneren Abstand besitzt; insoweit kann der Gedanke der Belegfunktion entsprechend herangezogen werden (Wandtke/Bullinger/ Lüft/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 15). Nach diesen Kriterien müsste die Abwägung vorliegend zugunsten der Klägerin ausfallen, weil sich die eigenen Überlegungen der Verfasserin der Handreichung der Beklagten auf ein Minimum beschränken, umgekehrt der Abstand in den angegriffenen Passagen minimal ist. Die Kunstfreiheit ist überhaupt nicht betroffen.
83
Eine Deutung (wie sie die Beklagte vertritt), bei der bereits jede Einbindung des Originalwerks in ein eigenes Schaffensprodukt (das nicht einmal Werkqualität besitzen muss) unter dem Gesichtspunkt der Pastiche gestattet ist, wäre mit den Bedingungen, dass die gewöhnliche Verwertung nicht beeinträchtigt werden darf und die Interessen der Rechtsinhaber nicht ungebührlich verletzt werden dürfen, nicht zu vereinbaren. Der Autor bzw. Verleger müsste eine ggf. erhebliche Einschränkung seines Vervielfältigungsrechts hinnehmen, ohne dass gewichtige Interessen der Gegenseite vorhanden sind. Auf Seiten des Produzenten einer entsprechenden Unterrichtshandreichung sind nämlich keine gewichtigen Interessen zu erkennen, in einem solchen Werk Originalzitate zu verwenden. Wie auch in der mündlichen Wandlung erörtert wurde, lassen sich derartige Handreichungen ohne weiteres auch erstellen, wenn nicht Originalpassagen übernommen werden.
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Dies gilt auch dann, wenn man in Fällen der vorliegenden Art (Sekundärliteratur in Form von Unterrichtshandreichungen für Lehrer) lebensnah annimmt, dass das Vorhandensein entsprechender Hilfsmittel die Neigung von Lehrern, den behandelten Roman als Klassenlektüre einzusetzen, erhöhen kann und der Autor oder Verleger mittelbar davon profitiert, indem er einen Klassensatz seiner Originalwerke absetzen kann. Hierdurch würde nämlich keine Beteiligung daran und Vergütung dafür erfolgen, dass gerade Originalzitate wiedergegeben werden.
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dd) In Erwägung zu ziehen ist ferner die Privilegierung von Sammlungen für den Unterrichtsgebrauch in § 60b UrhG. Der Senat schließt sich aber den umfangreichen Überlegungen des Landgerichts, dass auch § 60b UrhG keine Schranke für die streitgegenständlichen Passagen im „Zitate-Spiel“ und der Klassenarbeit bildet, aus den dort angeführten Gründen an:
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(1) Die von § 60b Abs. 1 UrhG privilegierten Unterrichts- und Lehrmedien sind in § 60b Abs. 3 UrhG dahin legaldefiniert, dass darunter Sammlungen zu verstehen sind, die Werke einer größeren Anzahl von Urhebern vereinigen und ausschließlich zur Veranschaulichung des Unterrichts und der Lehre an Bildungseinrichtungen i.S.v. § 60a UrhG zu nicht kommerziellen Zwecken geeignet, bestimmt und entsprechend gekennzeichnet sind.
87
Unproblematisch gewahrt ist die in § 60b UrhG genannte Voraussetzung, dass in dem Unterrichts- oder Lehrmedium lediglich bis zu 10% eines veröffentlichten Werks vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich zugänglich gemacht werden darf. Ebenfalls gegeben ist die geforderte subjektive Zweckbestimmung, die sich objektiv in der äußeren Ausgestaltung und in der inneren Aufbereitung des Stoffes niederschlagen, also an pädagogischen Überlegungen orientiert sein muss (Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 60b Rn. 17). Ebenso dient das Werk nicht-kommerziellen Zwecken, da die Beklagte ihre Lehrerhandreichungen zwar nur gegen Entgelt veräußert, der maßgebliche Zweck der Nutzung (Dreier/Schulze/ Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 60b Rn. 16) jedoch erkennbar im Einsatz im Schulunterricht besteht. Schließlich ist die weitere, regelmäßig genannte Voraussetzung erfüllt, dass ein Unterrichts- und Lehrmedium mindestens die Werke von 7 Autoren enthalten muss (Wandtke/Bullinger/Lüft, 6. Aufl. 2022, UrhG § 60b Rn. 7; Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 60b Rn. 13); nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beklagten machen schließlich die Originaltexte nur etwa 4% des Umfangs der von ihr herausgegebenen Lehrerhandreichung aus, während die fremden Beiträge etwa 7% einnehmen und den ganz überwiegenden Anteil (83%) die Texte der Autorin […] darstellen.
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(2) Es fehlt aber am Charakter des „Unterrichtsmodells“ der Beklagten als Unterrichts- und Lehrmedium, weil dieses ungeachtet der genannten quantitativen Verhältnisse nicht als „Sammlung“ angesehen werden kann.
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In den Genuss der Privilegierung nach § 60b UrhG können nur Medien kommen, die eine Vielzahl von anderen Werken – mehr oder weniger gleichberechtigt wiedergeben, was bedingt, dass seine Zielsetzung ein bestimmtes, von den einzelnen genutzten Werken verschiedenes Thema bildet und zu diesem Zweck Werke oder Werkausschnitte „gesammelt“ wiedergegeben werden. Eine Sammlung i.S. dieser Bestimmung liegt somit nicht vor, wenn sich das Medium lediglich mit einem konkreten anderen Werk, wenn auch unter Zuhilfenahme weiterer Werke, befasst (ebenso Erdmann, WRP 2002, 1329 (1332); LG Hamburg, Urteil vom 12. Dezember 2003, 308 O 57/03, GRUR-RR 2004 65 (69) – Harry Potter).
90
(a) Gegen die Einbeziehung „monothematischer“ Werke, die lediglich ein einzelnes schutzfähiges Werk eines Autors zum Gegenstand haben, spricht der Wortlaut der Bestimmung, nach der das Unterrichts- und Lehrmedium zur Veranschaulichung des Unterrichts konzipiert sein muss. Das Unterrichts- und Lehrmedium muss also dadurch, dass es verschiedene Werke zusammenstellt, auf die Vermittlung eines bestimmten Unterrichtsinhalts abzielen. Dieser kann beispielsweise im Erlernen des Lesens oder des Textverständnisses als solchen liegen, aber auch in der Befassung mit bestimmten Literaturgattungen oder -epochen. Dies impliziert, dass dieser Unterrichtsinhalt vom Genuss der abgedruckten Werke als solchen verschieden sein muss. Erfüllt wäre die Voraussetzung damit, wenn sich das Unterrichts- und Lehrmedium den verschiedenen Arten, Gattungen, Epochen etc. der Literatur widmet und dazu repräsentative Beispiele von Gedichten, Glossen, Kurzgeschichten und Dramen vorstellt.
91
Eine derartige Situation ist hier nicht gegeben, weil sich das Unterrichtsmaterial der Beklagten ausschließlich mit dem Werk, an dem der Klägerin die Rechte zustehen, und dem darin verarbeiteten Thema – offenbar die Gefährlichkeit von Computerspielen für Kinder und die Gefährlichkeit von Künstlicher Intelligenz – befasst.
92
(b) Zudem spricht die vom Landgericht dargestellte Normhistorie des § 60b UrhG bzw. deren Vorgängernormen für ein derartiges „enges“ Verständnis. Danach sollte die Erstellung eines klassischen Lesebuchs ermöglicht werden. Es ist nicht festzustellen, dass der Gesetzgeber die tradierte Funktion aufgeben und losgelöst von dieser in weitem Umfang zustimmungsfreie Nutzungen eröffnen wollte.
93
(c) Eine enge Auslegung der Norm ist zudem deshalb geboten, weil sie die Ansprüche des Urhebers bzw. Verlegers essenziell verkürzt. Die Regelung nimmt dem Urheber die Möglichkeit zur Entscheidung, ob und zu welchen Bedingungen er eine Lizenz erteilen will, und gewährt lediglich eine Entschädigung nach Maßgabe der Bedingungen der Wahrnehmungsgesellschaft (vgl. § 60h Abs. 1 u. 5 UrhG). Ihm wird folglich ein „dulde und liquidiere“ auferlegt. Dies mag zumutbar sein, wenn sein Text lediglich als Teil einer repräsentativen Auswahl von Texten abgedruckt werden soll, weil dann zum einen der Eingriff in sein Urheberrecht weniger intensiv erscheint und zum anderen die Verringerung der Transaktionskosten für den Herausgeber einer solchen Sammlung, der nicht mit den einzelnen Autoren Lizenzen ausverhandeln muss, sondern das Verfahren über die Verwertungsgesellschaft nutzen kann, die Nachteile für den Autor rechtfertigen. Beides fehlt aber bei monothematischen Werken der vorliegenden Art. Dem Herausgeber eines solchen Werkes ist ohne weiteres zuzumuten, sich mit dem Autor des zu behandelnden Werks ins Benehmen zu setzen, weil nur ein einzelner vorhanden ist. Zudem ist eine Vergütung, wie sie bei gewöhnlichen Zitaten in Sammlungen erhoben wird und für solche angemessen ist, bei einem Werk, welches ein anderes in den Mittelpunkt stellt, nicht stets adäquat.
94
(d) Für eine entsprechende enge Auslegung von § 60b UrhG spricht ferner, wie die Klägerin aufgezeigt hat, die Gegenüberstellung mit § 60a UrhG, der den Lehrenden Herstellung von Vervielfältigungsstücken zur Verwendung im Unterricht in größerem Maße gestattet. Die einschränkenden Vorgaben des § 60b UrhG sind insoweit zu beachten, und insbesondere auch im Hinblick darauf, welche Anforderungen das Werk besitzen muss.
95
(e) Insoweit ist unerheblich, dass – was die Beklagte hervorhebt – zur Erstellung der Lehrerhandreichung Texte inhaltsbezogen ausgewählt und zusammengestellt wurden, während dies bei einem Lesebuch, welches die Voraussetzungen des § 60b UrhG erfüllt, nicht zwingend der Fall ist. Der Umstand, weshalb ein bestimmter Text in eine Sammlung aufgenommen wurde, spielt für die Qualifikation des Sammelwerks keine unmittelbare Rolle. Entscheidend ist nur, ob sich der Text als einer von vielen ähnlichen gleichgeordnet einreiht oder einem Werk entnommen ist, das den Mittelpunkt und Gegenstand des Unterrichtsmediums bildet.
96
(f) Als unberechtigt erweist sich demnach auch die Kritik der Beklagten daran, dass das Landgericht auf die Gestaltung des Covers abgestellt hat. Vielmehr wird bereits daraus, dass die Beklagte die entsprechende Ausgabe aus ihrer Reihe mit dem Romantitel und den Namen der Autorin bezeichnet, mehr als deutlich, dass dieses Werk – und nicht etwa das Erlernen des Lesens oder die Literaturgattungen „Romane der Moderne“ – Gegenstand und Inhalt ihrer Lehrerhandreichung sein soll. Darauf, ob die Beklagte gezielt die Sogwirkung des durchaus erfolgreichen Originalromans ausnutzt, kommt es nicht entscheidend an.
97
ee) Der Senat hält es auch weder für geboten noch europarechtlich zulässig, über die drei genannten Schutzschranken hinaus oder durch extensive Auslegung derselben ein Recht herzuleiten, Sekundärliteratur unter Nutzung von Originalzitaten dieser Art ohne Lizenzierung durch den Autor/Verlag zu publizieren.
98
Nach dem Verständnis des Europäischen Gerichtshofs sind die in Art. 5 der InfoSoc-RL aufgeführten Ausnahmen und Beschränkungen erschöpfend (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 – C-476/17, GRUR 2019, 929 Rn. 58 – Pelham; EuGH, Urteil vom 7. August 2018 – C-161/17, GRUR 2018, 911 Rn. 16 – Cordoba).
99
Zwar sind die vorhandenen Schranken des Urheberrechts erkennbar punktuell und nehmen daher nicht auf jegliche Interessenkonstellation Rücksicht, doch hat dies seine Berechtigung, weil andernfalls die Rechte der Künstler, Autoren usw. entwertet würden. Auch sind keine Belange, die auf europäischer Ebene anerkannt sind und so erhebliches Gewicht besitzen, dass sie infolge verfassungskonformer o.Ä. Auslegung eine zusätzliche Ausnahme zwingend gebieten würden, erkennbar. Insbesondere verlangt die Wissenschaftsfreiheit nicht, Lehrmedien dieser Art auch dann publizieren zu können, wenn sie Zitate enthalten. Die Verwendung des Jugendromans als Klassenlektüre im Schulunterricht hängt schon nicht davon ab, dass die Lehrer auch durch entsprechende Handreichungen den Unterricht besser vorbereiten und gestalten können. Es ist nicht einmal zwingend notwendig, auf ein bestimmtes Originalwerk als Klassenlektüre zurückzugreifen. Jedenfalls können Lehrerhandreichungen auch erarbeitet und publiziert werden, ohne selbst Originalpassagen wiederzugeben. Der Vorschlag für die Klassenarbeit hätte ohne weiteres in derselben Weise realisiert werden können, indem mitgeteilt wird, welche Passage in der Angabe wiederzugeben ist oder von den Schülern berücksichtigt werden soll. Lediglich das Zitate-Spiel hätte sich so kaum umsetzen lassen, doch hängt eine Unterrichtshandreichung nicht von einem solchen Element ab.
100
ff) Aus entsprechenden Überlegungen kann der Senat auch nicht berücksichtigen, dass der Urheber oder Verleger mittelbar davon profitiert, wenn andere eine Unterrichtshandreichung zu einem von ihm publizierten Roman erstellen. Der Senat geht insoweit zwar davon aus, dass entsprechende Sekundärliteratur die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Lehrer den behandelten Originaltext als Klassenlektüre einsetzen und so eine entsprechende zusätzliche Zahl von Exemplaren abgesetzt wird (vgl. Erdmann, WRP 2002, 1329 (1330, 1337)). Es findet sich im Urheberrecht aber kein Ansatzpunkt, aus diesem wirtschaftlichen Effekt eine Schutzschranke herzuleiten oder in sonstiger Weiser bei der Subsumtion einzustellen.
101
gg) Die Nutzung der Zitate ist schließlich auch nicht durch die von der VG Wort gewährte Lizenz rechtmäßig geworden. Die Beklagte hat eine Lizenz zur Veröffentlichung in einer Sammlung i.S.v. § 60b UrhG für den Abdruck der Zitate im Zitate-Spiel und des Auszugs in der Klassenarbeit erworben. Diese genügte aber nicht, um die tatsächlich vorgenommene Vervielfältigung abzudecken.
102
Die Beklagte konnte sich auch nicht darauf verlassen, eine ausreichende Lizenz erlangt zu haben, da sie nicht aufgezeigt hat, die VG Wort über alle Umstände informiert zu haben, und wissen musste, dass die VG Wort nur im Umfang des § 60b UrhG zur Lizenzerteilung befugt ist. Auch das für einen Schadensersatzanspruch erforderliche Verschulden fehlt daher nicht. Überdies würden sich entsprechende Ansprüche nach den Grundsätzen zur Lizenzanalogie und auf Abschöpfung des Verletzergewinns auch unter bereicherungsrechtlichen Aspekten (Eingriffskondition) ergeben.
103
Soweit die Klägerin über die VG Wort Vergütungen erhalten hat, die aus den von der Beklagten an die VG Wort gezahlten Entgelten resultieren, wären diese lediglich bei der Schadensermittlung anspruchsmindernd zu berücksichtigen.
104
c) Teilweisen Erfolg hat das Rechtsmittel im Hinblick auf die Verurteilung zur Erstattung der Abmahnkosten.
105
aa) Entgegen dem Standpunkt der Beklagten genügte die Abmahnung den inhaltlichen Anforderungen des § 97a Abs. 2 UrhG und bezeichnete insbesondere mit hinreichender Genauigkeit die Verletzungshandlung. Wie eingangs ausgeführt, lag diese in der Herstellung und Verbreitung der Lehrerhandreichung als solcher. Auch dem Erfordernis, in Fällen, in denen die Verletzung in der Verwertung einzelner schutzfähige Teile aus einem Werk oder Schutzgegenstand liegt, diese Teile im Allgemeinen zu bezeichnen (BeckOK UrhR/Reber, 46. Ed. 15.2.2024, UrhG § 97a Rn. 6), ist genügt. Darüber hinaus wird auf S. 2 der Abmahnung konkret auf die Zusammenfassung der literarischen Hauptfiguren und des Romaninhalts als rechtsverletzende Elemente Bezug genommen. Ferner verweist die Abmahnung auf die Übernahme wörtlicher Textauszüge im Zitat-Spiel und in der Klassenarbeit, wobei sie jeweils die Seitenzahlen nennt. Insoweit war erkennbar, in welchen Elementen der Lehrerhandreichung die Klägerin eine Urheberrechtsverletzung sieht, und damit auch, dass sie nicht hinsichtlich der Veröffentlichung als solcher oder sämtlicher Teile eine Rechtsverletzung annimmt. Letzteres ergab sich zudem daraus, dass es einleitend in der Abmahnung heißt, das Unterrichtsmodell der Beklagten enthalte selbstständig urheberrechtlich geschützte Elemente des Romans der Autorin […], und sich auch im weiteren Verlauf der Terminus „Elemente“ findet. Dasselbe ergibt sich daraus, dass die Klägerin im Schlussteil lediglich verlangt, die weitere Nutzung urheberrechtlich geschützte Elemente und Auszüge sofort zu beenden (S. 10 der Abmahnung).
106
bb) Soweit die Klägerin in der Abmahnung mit der Inhaltszusammenfassung und der Beschreibung der Hauptfiguren auch Elemente als urheberrechtsverletzend rügte, die nach Auffassung des Senats keine Verletzungen darstellen, ist allerdings eine Reduzierung des Erstattungsanspruchs nach den Grundsätzen in der Entscheidung „Sondernewsletter“ (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009, I ZR 149/07, GRUR 2010, 744, Rn. 52) vorzunehmen. Danach sind die Kosten einer teilweise richtigen Abmahnung dann, wenn sich die Höhe der Abmahnkosten nach dem Gegenstandswert der Abmahnung richtet, nur zu ersetzen, soweit die Abmahnung berechtigt war, und dazu die Höhe des Ersatzanspruchs nach dem Verhältnis des Gegenstandswerts des berechtigten Teils der Abmahnung zum Gegenstandswert der gesamten Abmahnung zu bestimmen.
107
Die vorliegende Fallgestaltung entspricht zwar nicht vollständig der dort gegenständlichen, weil es nicht um eine Mehrheit von selbstständigen Werbeaussagen in einem Medium geht, doch ist die Situation insoweit vergleichbar, als die Klägerin die Verletzung des ihr zustehenden Urheberrechts durch mehrere einzelne Elemente einer Publikation der Beklagten gerügt hat. Die Grundüberlegungen und die Interessenlage sind aber dieselben. Insbesondere wäre dann, wenn sich die Klägerin in ihrer Abmahnung auf die Rüge der tatsächlich berechtigten Einzelvorwürfe beschränkt hätte, wegen des geänderten Angriffsfaktors nur ein geringerer Gegenstandswert in Ansatz zu bringen gewesen. Die Überlegung, dass durch eine Quotelung (und nicht die Zuerkennung der Abmahngebühren aus einem entsprechend geringeren Gegenstandswert) beide Parteien an den Folgen der Gebührendegression partizipieren sollen, gilt hier in gleicher Weise.
108
Der Senat bewertet dabei die (berechtigterweise vorgeworfene) Übernahme von Originalzitaten im Zitate-Spiel und der Klassenarbeit doppelt so stark wie die (unberechtigterweise gerügte) Veröffentlichung der Zusammenfassung und Charakterbeschreibung. Eine wortwörtliche Übernahme ist naturgemäß bei der Bemessung des Angriffsfaktors schwerer zu gewichten als eine Vervielfältigung der Fabel o.Ä. in eigenen Worten. Für Zitatespiel und Klassenarbeit bringt er daher 50.000,00 €, für letztere 25.000,00 € in Ansatz. Daher erweisen sich die Abmahnkosten nur im Umfang von 2/3 als berechtigt. Zur Höhe der Kosten für die Abmahnung folgt der Senat dem Landgericht, zumal hiergegen gerichtete Einwendungen nicht vorgebracht wurden. Der Klägerin stehen daher lediglich 1.761,60 € nebst Zinsen zu.
109
4. Als Nebenentscheidungen waren zu treffen:
110
a) Der Streitwert war, ausgehend von der landgerichtlichen Festsetzung auf 10.142,40 € und der dort getroffenen Entscheidung, auf 9.992,40 € festzusetzen.
111
Das Landgericht hat, ausgehend vom Ansatz der Klägerin, den Zahlungsantrag mit 2.642,40 € und die beiden Auskunftsanträge und den Feststellungsantrag mit insgesamt 7.500,00 € berücksichtigt. Hiergegen bestehen keine Bedenken. Da das Landgericht die Auskunftsanträge und den Feststellungsantrag teilweise (Handlungsvariante „Besitz“) abgewiesen hat und sich die Klägerin hiergegen nicht gewandt hat, sind diese nur mit entsprechendem Abzug in die Berufungsinstanz gelangt; der Senat setzt (zumal das Landgericht die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bejaht hat) die Abweisung mit 2% an, so dass sich der Streitwert nunmehr 7.350,00 € + 2.642,40 € = 9.992,40 € beträgt.
112
b) Da die Klägerin mit ihrem Zahlungsantrag nur teilweise durchgedrungen ist, waren ihr in Anwendung von § 92 Abs. 1 ZPO die Kosten im Umfang von 9% aufzuerlegen. Aufgrund dieses Verhältnisses und der Auslösung als Gebührensenkung kommt die Anwendung von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht in Betracht.
113
Für die erstinstanzliche Kostenentscheidung folgt daraus, unter Berücksichtigung der bereits dort erfolgten Teilabweisung, eine Quote von 10% zu 90%.
114
c) Die Revision gegen diese Entscheidung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§ 542 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) zuzulassen. Die Rechtslage im Hinblick auf die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Sekundärliteratur zu urheberrechtlich geschützten Schriftwerken ist weitgehend ungeklärt oder jedenfalls umstritten. In der Rechtsprechung finden sich lediglich einzelne Entscheidungen, die aber nur einzelne Aspekte beleuchten und im Übrigen feststellen, dass urheberrechtliche Grundsatzfragen aufgeworfen werden (vgl. KG, Urteil vom 3. Dezember 2002, 5 U 245/02, GRUR-RR 2003, 262 (262) – Harry-Potter-Lehrerhandbuch). Die Rechtslage ist zudem durch das Inkrafttreten der InfoSoc-RL und die Änderung der §§ 23, 24 UrhG geprägt; wie in der mündlichen Verhandlung von den Parteivertretern zutreffend dargestellt wurde, liegen zu § 23 UrhG n.F. nur zwei höchstrichterliche Entscheidungen vor, die sich aber nicht mit Sprachwerken befassen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Normen europarechtlich determinierten Hintergrund aufweisen. All dies gebietet, eine höchstrichterliche Klärung der vom Senat behandelten Rechtsfragen zu eröffnen. Da die Entscheidung nicht ausschließlich von den Umständen des Einzelfalls abhängt, ist auch zu erwarten, dass geeignete Leitlinien für künftige Entscheidungen entwickelt werden können.
115
d) Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich nach alledem aus § 708 Nr. 10 i.V.m. § 711 ZPO.