Titel:
			Dsgvo, Auskunftsanspruch, Automatisierte Verarbeitung, Vertragsschluss, Datenschutzgrundverordnung, Feststellungsantrag, Wahrscheinlichkeitswert, Vertragsverhältnisse, Berufungsrücknahme, Unterlassungsantrag, Sach- und Rechtslage, Aussicht auf Erfolg, Geschäftsgeheimnis, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Landgerichte, Rechtliches Interesse, Rücknahme der Berufung, Gelegenheit zur Stellungnahme, Auskunftspflicht, Gerichtsgebühren
			Schlagworte:
			Scoring, Automatisierte Entscheidung, Bonitätsbewertung, Tatsachenfeststellung, Schadensersatzanspruch, Auskunftsanspruch, Geschäftsgeheimnisse
			Vorinstanz:
			LG Augsburg, Urteil vom 04.04.2025 – 021 O 4099/23
			Fundstelle:
			GRUR-RS 2025, 23217
		 
		 
		Tenor
		
			
			Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 04.04.2025, Az. 021 O 4099/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
		 
		Entscheidungsgründe
		
			1
			Das Urteil des Landgerichts Augsburg entspricht der Sach- und Rechtslage.
		 
		
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			Das Landgericht hat der in mehreren Klageanträgen gegen das sog. Scoring der Beklagten gerichteten Klage stattgegeben.
		 
		
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			Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne von § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich und werden von der Berufung auch nicht aufgezeigt. Der Senat sieht auch keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen des Landgerichts.
		 
		
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			1. Den Klageanträgen 1.-3. kann schon deshalb kein Erfolg beschieden sein, weil ihnen die Annahme zugrunde liegt, dass Art. 22 Abs. 1 DSGVO jede Ermittlung eines Scorewertes seitens der Beklagten verbietet, die ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruht.
		 
		
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			Diese Annahme (Berufungsbegründung, S. 15) beruht auf einem falschen Verständnis von Art. 22 Abs. 1 DSGVO und der hierzu ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (nachfolgend: „EuGH“) vom 07.12.2023 (EuGH NJW 2024, 413).
		 
		
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			Die Erstellung eines Scorewertes seitens der Beklagten stellt nämlich nur dann eine „automatisierte Entscheidung im Einzelfall“ im Sinne von Art. 22 Abs. 1 DSGVO dar, wenn „von diesem Wahrscheinlichkeitswert maßgeblich abhängt, ob ein Dritter, dem dieser Wahrscheinlichkeitswert übermittelt wird, ein Vertragsverhältnis mit dieser Person begründet, durchführt oder beendet“ (EuGH a.a.O., Rn. 73).
		 
		
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			Zu einer solchen, sich in maßgeblicher Weise auf den seitens der Beklagten übermittelten Wahrscheinlichkeitswert stützenden „Folge-Entscheidung“ seitens eines Dritten (z.B. eines Kreditgebers) hat der Kläger aber nicht substantiiert vorgetragen.
		 
		
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			Zu den Angriffen in der Berufungsbegründung vom 30.05.2025 ist zu sagen:
		 
		
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			1.1 Ersichtlich neben der Sache liegt der Vorwurf der Berufung, das Landgericht habe konkreten Vortrag zu einem bestimmten vom Kläger angestrebten Vertragsschluss übergangen:
		 
		
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			Vielmehr hat der Kläger nicht einen einzigen bestimmten (angestrebten) Vertragsschluss hinreichend genau bezeichnet. Dass es nicht ausreicht, in allgemeiner Form von Kreditkartenanträgen und Autofinanzierung zu sprechen, liegt auf der Hand. Der Kläger müsste vortragen und ggf. beweisen, dass ihm ein Vertragsschluss maßgeblich deshalb verwehrt wurde, weil eine negative [Wirtschaftsauskunftei]-Auskunft vorlag.
		 
		
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			Entsprechendes lässt sich Anlage K 12a, auf welche die Berufung verweist (Berufungsbegründung, S. 46), nicht entnehmen.
		 
		
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			Anlage K 13 bezieht sich nicht auf den (hiesigen) Kläger.
		 
		
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			Die in die Replik und die Berufungsbegründung einkopierte Ablehnung der …-Bank wiederum eruht nicht etwa auf einer negativen Auskunft seitens der Beklagten, sondern darauf, dass die Beklagte bis zum Abschluss des streitgegenständlichen Rechtsstreits dem Wunsch des Klägers nachkommt, keine Auskünfte mehr zu erteilen, die auf einer automatisierten Verarbeitung von Daten beruhen.
		 
		
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			Soweit der Kläger – an anderer Stelle – meint, schon die abstrakte Gefahr einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung – Profiling – beruhenden Entscheidung (Berufungsbegründung, S. 15) erfülle Art. 22 Abs. 1 DSGVO, so geht dies vorbei an den vom EuGH etablierten Voraussetzungen (s.o.: „sofern von diesem Wahrscheinlichkeitswert maßgeblich abhängt, ob …“).
		 
		
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			Der EuGH hatte infolge der Vorlage des VG Wiesbaden (ZD 2022, 121) kurzerhand vorauszusetzen, dass dem dortigen Kläger ein Kredit verweigert wurde, weil das Kreditinstitut den von der Be klagten mitgeteilten „Score“ seiner Entscheidung über die Begründung eines Vertrages maßgeblich zu Grunde gelegt hat. Eine derartige Feststellung konnte das Landgericht Augsburg vorliegend gerade nicht treffen.
		 
		
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			Der EuGH hat erkennbar gezielt vermieden, eine Aussage dahin zu treffen, als ob schon jede Ermittlung eines Scorewertes seitens der Beklagten unter Art. 22 Abs. 1 DSGVO fiele.
		 
		
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			1.2 Die Beklagte hat in der Duplik (Rz. 130) substantiiert behauptet, Alter, Geschlecht und Adressdaten des Klägers in dem der in Anlage K 1 vorgelegten Auskunft zugrundeliegenden Zeitraum nicht wertend verwendet zu haben.
		 
		
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			Die anderslautenden Behauptungen des Klägers erfolgen ersichtlich ins Blaue hinein. Auch der vom Kläger insoweit zitierten Datenkopie (Anlage K 1) lässt sich nicht entnehmen, dass Alter, Geschlecht oder Adressdaten in eine Auskunft eingeflossen sind.
		 
		
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			1.3 Mit seinem Feststellungsantrag (Ziff. 1) möchte der Kläger festgestellt wissen (Berufungsbegründung, S. 30), ob „für die Beklagte nach aktuell geltender Rechtslage das Recht besteht, die Klagepartei in der derzeitig konkret ausgeübten Scorewert-Erstellungspraxis automatisiert zu scoren“.
		 
		
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			Der Kläger legt insoweit aber kein rechtliches Interesse dar, das über den daneben gestellten Un terlassungsantrag hinausreichen würde.
		 
		
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			Soweit an anderer Stelle von „künftigen Schadensfolgen“ die Rede ist, suggeriert das eine vergangene Verletzungshandlung. Diese hätte aber im Feststellungsantrag konkret benannt werden müssen.
		 
		
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			1.4 Die Unterlassungsanträge in Ziff. 2/Ziff. 3 scheitern schon daran, dass kein Verstoß gegen Art. 22 Abs. 1 DSGVO vorliegt (s.o.).
		 
		
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			Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang erneut eine fortlaufende Stigmatisierung seitens der Beklagten bemängelt (Berufungsbegründung, S. 40 ff.), passt sein Vortrag nicht zu seinen Anträgen, die eine ganz andere Angriffsrichtung aufweisen und sich gegen eine automatische Verar beitung vorliegender Informationen richten.
		 
		
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			2. Mangels Verstoßes gegen Art. 22 Abs. 1 DSGVO oder andere Vorschriften der DSGVO (s.o.) kommt auch ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO von vornherein nicht in Betracht.
		 
		
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			Die Kritik der Berufungsbegründung am landgerichtlichen Urteil (Berufungsbegründung, S. 46 f.) kann der Senat dabei nicht nachvollziehen. Die zitierten Stellen („Beispiel zum Schadensantritt“; „allgemeinen Darstellungen“; „Unterlagen nicht zum Nachweis geeignet“) dürften einem anderen Urteil entnommen sein.
		 
		
			26
			Die Berufungsbegründung ist an dieser Stelle nicht auf das angegriffene Ersturteil zugeschnitten; am ehesten dürfte hier ein Eingabe- oder sonstiger Fehler im Bereich von „legal tech“ vorliegen.
		 
		
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			3. Mit dem vom Kläger unvollständig als Anlage K1 und von der Beklagten vollständig als Anlage B1 vorgelegten Schreiben vom 11.04.2023 hat die Beklagte den Auskunftsanspruch aus Art. 15 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 DSGVO erfüllt, dieser ist hierdurch erloschen und die Klage in der Folge insoweit unbegründet.
		 
		
			28
			Erfüllt iSd § 362 Abs. 1 BGB ist ein Auskunftsanspruch nach der zutreffenden Ansicht des BGH grundsätzlich dann, „wenn die Angaben nach dem erklärten Willen des Schuldners die Auskunft im geschuldeten Gesamtumfang darstellen. Wird die Auskunft in dieser Form erteilt, steht ihre etwaige inhaltliche Unrichtigkeit einer Erfüllung nicht entgegen. Der Verdacht, dass die erteilte Auskunft unvollständig oder unrichtig ist, kann einen Anspruch auf Auskunft in weitergehendem Umfang nicht begründen“ (BGH NJW 2021, 2726 Rn. 19).
		 
		
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			Für den Senat besteht aufgrund des Umfangs und des Wortlauts („erhalten Sie gemäß Art. 15 Datenschutz-Grundverordnung […]“) des Schreibens vom 11.04.2023 kein Zweifel daran, dass die Beklagte davon ausging, eine vollständige Auskunft i.S.v. Art. 15 DSGVO zu erteilen.
		 
		
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			Nachdem der Kläger nicht nachweisen konnte, dass ihn betreffend eine Entscheidung i.S.v. Art. 22 Abs. 1 DSGVO ergangen ist (s.o.), traf die Beklagte auch keine weitergehende Auskunftspflicht in Bezug auf „aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person“ (EuGH NJW 2024, 413 Rn. 56).
		 
		
			31
			Unabhängig davon ist der Senat der Überzeugung, dass die von der Beklagten auf S. 8 ihres Schreibens vom 11.04.2023 (nur abgedruckt in Anlage B1) unter der Überschrift „Profilbildung (Scoring)“ enthaltenen Informationen dem Kläger hinreichend deutlich machten, welche Logik das Scoring der Beklagten verfolgt (Bildung statistischer Vergleichsgruppen anhand ausgewählter Datenarten und bezogen auf bestimmte Branchen/Kunden). Davon, dass dem Kläger unter Berufung auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen „jegliche Auskunft“ verweigert wird (EuGH NJW 2025, 1471 Rn. 70), kann nicht die Rede sein. Ganz bewusst verlangt der EuGH auch keine Offenlegung der gesamten Berechnung, sondern – in Abwägung des Rechts der betroffenen Person auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten mit dem Recht der Beklagten an ihrem geistigen Eigentum und ihren Geschäftsgeheimnissen – lediglich eine Darstellung der hinter der Berechnung stehenden Logik. Diese hat die Beklagte geliefert.
		 
		
			32
			4. Die Ausführungen der Berufung zur GoA (Berufungsbegründung, S. 60 f.) vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Ein Bezug zu den klägerisch geltend gemachten Ansprüchen wird – soweit verständlich – nicht hergestellt.
		 
		
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			5. Die Relevanz der Ausführungen zur sog. „Scoresperre“ (Berufungsbegründung, S. 61) für die klägerischen Anträge wird nicht deutlich.
		 
		
			34
			Unabhängig davon gilt: Dass die Beklagte – jedenfalls bis zum Abschluss des streitgegenständlichen Verfahrens – davon absieht, den Kläger automatisiert zu bewerten, beschwert diesen schon deshalb nicht, weil er genau das einfordert. Eine individuelle, nicht automatisierte Bewertung der Kreditwürdigkeit von Privatpersonen bietet die Beklagte nicht an. Die vom Kläger außergerichtlich begehrte Rückführung aller Bonitätsscores auf einen – faktisch gar nicht realistischen – Idealwert (s. Anlage K5) würde den sozioökonomischen Interessen, denen das Geschäftsmodell der Beklagten unter anderem dient (EuGH ZD 2024, 166 Rz. 83), widersprechen.
		 
		
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			6. Die Berufungsrügen gehen damit insgesamt ins Leere, das Ersturteil erweist sich als richtig. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG). Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis spätestens 18.08.2025. Binnen gleicher Frist können beide Parteien zum Streitwert Stellung nehmen. Der Senat beabsichtigt, diesen – wie in der ersten Instanz geschehen – auf 10.000,- € festzusetzen.
		 
		
		
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			Die Berufung wurde am 9.9.2025 zurückgenommen.