Titel:
Haftung des Host-Providers wegen Fake-Accounts
Normenketten:
BGB § 12, 823, § 1004
KUG § 22, § 23
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
Leitsatz:
Meldet ein Plattformnutzer einen Account als "Fake-Account", weil Bilder und Videos des Anspruchstellers hochgeladen werden, und wird vom Plattformbetreiber anschließend mitgeteilt, eine Prüfung habe ergeben, dass keine Verstöße gefunden wurden, kann der Plattformbetreiber als Störer auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Identitätsdiebstahl, Fake Account, Persönlichkeitsrecht, Namensrecht, Host-Provider, Unterlassungsanspruch, Wiederholungsgefahr
Fundstelle:
GRUR-RS 2025, 21895
Tenor
1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann – wegen jeder Zuwiderhandlung
im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland den seit mindestens 9.1.2024 unter der Bezeichnung … auftretenden Account auf der Plattform der Antragsgegnerin zu veröffentlichen, verbreiten oder sonst zugänglich zu machen, wenn dies geschieht wie unter ….
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen,
3. Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt sind zuzustellen:
Gründe
1
Der Antragssteller, von Beruf Rechtsanwalt, betreibt unter dem Anmeldenamen … einen Account auf der Plattform der Antragsgegnerin mit über 21.800 Followern, 316.700 Likes und ca. 200 veröffentlichten Videos (Stand 30.12.2024). Die Antragsgegnerin betreibt unter … die Plattform … für Nutzer im Europäischen Wirtschaftsraum und in der Schweiz. Vor dem 9.12.2024 erstellten Unbekannte auf der Plattform der Antragsgegnerin einen Account unter … mit dem Anmeldenamen … auf dem das Profilbild und neun Videos des Antragstellers verwendet wurden, die mit dem Inhalt des Accounts des Antragsstellers übereinstimmten. Der Antragssteller ist Urheber der Videos und des Profilbildes, Nutzungsrechte daran hat er nicht übertragen. Die Profilbeschreibung der beiden Accounts gleichen sich stark. Der Account … weist 7320 Follower und 19.702 Likes auf (stand 9.12.24). Der Account … nahm über das private Nachrichtensystem der Plattform … zu einem Nutzer auf und versuchte diesen zu einer Investition in Bitcoin zu überreden. Der Antragsteller erlangte am 9.12.2024 erstmalig von dem Account … Kenntnis. Er meldete um 12.11 den Account … als Fakte Account auf dem plattformeigenen Meldeformular der Antragsgegnerin in del … wobei er das Feld „Jemand gibt sich als eine andere Person aus“ – „Ich“ eingab. Um 12:11 Uhr desselben Tages meldete sich die Antragsgegnerin mit der Nachricht „Überprüfung deiner Meldung – Wir überprüfen die Meldung und ergreifen entsprechende Maßnahmen, wenn ein Verstoß gegen unsere Community-Richtlinien vorliegt“. Um 12:41 Uhr desselben Tages schrieb die Antragsgegnerin an den Antragsteller „Keinen Verstöße gefunden – Wir haben das Konto, das du gemeldet hast, überprüft und festgestellt, dass es nicht gegen unsere Community-Richtlinien verstößt. Du hast möglicherweise andere Methoden für eine Klärung, wie beispielsweise eine außergerichtliche Einigung oder Gerichtsverhandlungen. Mehr erfahren“. Hiergegen legt der Antragsteller am 14.12.2024, 16:51 Uhr Einspruch ein. Er erhielt daraufhin am 14.12.2024, um 17:21 Uhr die Nachricht: Keinen Verstöße gefunden – Wir haben das Konto, das du gemeldet hast, überprüft und festgestellt, dass es nicht gegen unsere Community-Richtlinien verstößt. Du hast möglicherweise andere Methoden für eine Klärung, wie beispielsweise eine außergerichtliche Einigung oder Gerichtsverhandlungen. Mehr erfahren“. Der gesamte Nachrichtenverlauf steht unter der Überschrift „Keine Verstöße gefunden – Status: Kein Verstoß“. Mit Schreiben seines Prozessvertreters vom 17.12.2024 forderte der Antragsteller die Antragsgegnerin per Email zur Sperrung des Accounts … und Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bis zum 19.12.2024 auf. Der Account wurde gesperrt, eine Unterlassungserklärung wurde nicht abgegeben.
2
Der Antragssteiler behauptet, bei dem Account … handle es sich um einen Fake Account, dessen Existenz ihn aufgrund Identitätsdiebstahls in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, seinem Namensrecht sowie seinem Recht am eigenen Bild und seinem Urheberrecht verletze. Es bestünde Verwechslungsgefahr zwischen seinem Account und dem Account … Darüber hinaus bestünde ein Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.M. Art. 16 DSA, bei dem es sich um ein Schutzgesetz handle. Das Meldesystem der Antragsgegnerin sei unzureichend. Diese habe über die Eingaben des Antragstellers im Meldesystem ausreichende Kenntnis von der Rechtsverletzung erhalten, so dass sie tätig hätte werden müssen. Die zwischenzeitlich erfolgte Sperrung des Accounts … sei nicht ausreichend, um eine Wiederholungsgefahr auszuschließen.
3
Der Antragsteller beantragt:
Der Antragsgegnerin wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt, den seit mindestens 9.12.2024 unter der Bezeichnung … auftretenden Account sowie kerngleiche Inhalte auf der Plattform der Antragsgegnerin zu veröffentlichen, verbreiten oder sonst zugänglich zu machen, wenn dies geschieht wie unter ….
4
Die Antragsgegnerin beantragt
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 8.1.2025 kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Die Antragsgegnerin trägt vor, dass sie den Account … am 17.12.2024 um 15:29 gesperrt habe, nach sie erstmals mit Email des Antragsstellers vom 17.12.2024, 9:35 Uhr umfassender über den streitgegenständlichen Account in Kenntnis gesetzt worden sei. Eine Haftung der Antragsgegnerin vor diesem Zeitpunkt scheide mangels ausreichender Inkenntnissetzung durch den Antragsteller aus. Als Host-Providerin sei ihre Haftung nämlich eingeschränkt. Der Antragssteiler hätte im Rahmen des Meldesystems der Antragsgegnerin Details und Erläuterungen übersenden können, er habe die ihm zur Verfügung stehenden umfassenden Kontakt- und Meldemöglichkeiten allerdings nicht genutzt. Die Antragsgegnerin verstoße nicht gegen die Vorschriften des Digital Services Act Bei dem Account des Antragstellers handle es sich um einen Unternehmensaccount. Eine internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I bestünde nicht. Ein Verfügungsgrund sei nicht gegeben, der Account … sei endgültig gesperrt worden, so dass eine Vermutung für eine Wiederholungsgefahr entfalle. Die Antragsgegnerin habe unverzüglich reagiert und den Account gelöscht. Es fehle damit an der Dringlichkeit. Zudem scheide eine Haftung der Antragsgegnerin als Hostproviderin nach § 7 DDG und Art. 6 DSA aus, da sie nach tatsächlicher Kenntnis der rechtwidrigen Tat unverzüglich tätig geworden sei. Eine ausreichende Inkenntnissetzung vorm dem 17.12.2024 durch den Antragsteller habe nicht stattgefunden. Mit ihren Antworten auf die Meldung des Antragstellers habe die Antragsgegnerin zum Ausdruck gebracht, dass ihr die vom Antragsteller gemachten Angaben für eine Sperre des Accounts nicht ausreichten. Eine allgemeine Überwachungspflicht der Antragsgegnerin bestünde nicht. Bloß allgemein gehaltene hinweise auf die Existenz rechtswidriger Inhalte, wie sie der Antragsteller geäußert habe, reichten nicht aus. Art. 16 DA sei kein Schutzgesetz.
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Hinweise wurde mit Verfügung vom 9.1.2025 erteilt.
7
Bezüglich des weiteren Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.
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Der zulässige Antrag ist begründet, die einstweilige Verfügung war demnach zu erlassen. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund liegen vor.
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1. Die internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I ergibt sich aus Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, § 32 ZPO.
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2. Der Verfügungsgrund besteht, der Antragsteller hat unwidersprochen innerhalb der im OLG Bezirk München maßgeblichen Monatsfrist den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung gestellt.
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3. Der Verfügungsanspruch folgt aus §§ 1004 i.S.v. § 823 Abs. 1 i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sowie §§ 22, 23 KUG und § 19 a UrhG.
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a) Eine hinreichende Kenntnis der Antragsgegnerin von der Rechtsverletzung lag ab dem 9.12.2024, spätestes jedenfalls ab den 14.12.2024 vor. Die Sperrung des Acccounts erfolgte erst am 17.12.2024, obwohl für die Durchführung der Sperrung nach eigenem Vortrag der Antragsgegnerin ein Zeitraum von ca 6 Stunden ausreichend ist.
13
1.a.a) Haftung für die Rechtsverletzung und damit Schuldner der Unterlassungspflicht ist, wer in irgendeiner Weise willentlich und adäquat zur mVerletzung des geschützten Rechts beiträgt (BGH v. 22.7.2010 – Kinderhochstühle im Internet I). Die Antragsgegnerin ist unstreitig sog. Host-Providerin, die dem eigentlichen Störer, i.e. dem Unbekannten, der den Account … kreiert und verwendet hat, ihre Plattform zur Äußerung zur Verfügung gestellt hat. Zur Vermeidung einer Haftung als mittelbarer Störerin ist die Antragsgegnerin danach nicht verpflichtet, die von allen Nutzern in ihre Plattform eingebrachten Inhalte vor Veröffentlichung auf mögliche Rechtsverletzungen zu prüfen; eine Verantwortlichkeit und Haftung der Antragsgegnerin tritt vielmehr erst dann ein, wenn sie Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt hat (BGH, 9.8.2022 – VI ZR 1244/20). Die Kenntniserlangung erfolgt durch Mitteilung der Rechtsverletzung dergestalt, dass der Rechtsverstoß auf Grundlage der Behauptung der Betroffenen ohne eingehende rechtliche oder tatsächliche Überprüfung feststellt werden kann (OLG Frankfurt a.M. v. 13.6.2024 – 16 U 195/22). Der Umfang der konkreten Überprüfungsmaßnahmen bestimmt sich nach dem Einzelfall, wobei eine maßgebliche Bedeutung dem Gewicht der angezeigten Rechtsverletzung sowie den Erkenntnismöglichkeiten des Host-Providers zukommt OLG (Frankfurt a.M. v. 13.6.2024 – 16 U 195/22).
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Nach diesen Grundsätzen besteht vorliegend eine Haftung der Antragsgegnerin, die nach zweifacher Mitteilung des Rechtsverstoßen am 9. und am 14.12.2024 die Rechtsverletzung nicht abgestellt hat.
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1.a.b) Auf die Geeignetheit und Rechtmäßigkeit des Meldesystems der Antragsgegnerin kommt es vorliegend nicht an.
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1.a.c) Unstreitig ist, dass der Antragssteller sowohl am 9.12 als auch am 14.12 sich an die Antragsgegnerin wandte. Er wählte die von der Antragsgegnerin angebotene Formulierung „Jemand gibt sich als eine andere Person aus“ und „ich“. Der Antragsstellerin war damit benannt, wer sich beschwert – der vorgelegte Nachrichtenverlauf belegt, dass Antragsteller und Antragsgegnerin auf die Meldung hin kommuniziert haben; auf welchen Account sich die Beschwerde bezieht, nämlich … und aus welchem Grund die Beschwerde eingereicht wurde: ein Dritter bzw. ein dritter Account gibt sich als der Beschwerdeführer aus.
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1.a.d) Ausweislich des vorgelegten Nachrichtenverlaufs waren diese Angaben, entgegen den Ausführungen ein der Antragserwiderung, für die Antragsgegnerin ausreichend um die Tatvorwürfe prüfen zu können. So lautete nämlich die erste Nachricht jeweils, dass geprüft werde, und in einer zweiten Nachricht wurde jeweils geteilt, dass Verstöße nicht gefunden hätten werden können. Die Antragsgegnerin verwies als keineswegs darauf, dass mangels vorgelegter Unterlagen, eidesstattlicher Versicherungen u.ä. eine Beurteilung nicht möglich gewesen sei, sondern teilte unzweideutig mit, dass kein Verstoß vorliege; nicht anders waren die Nachrichten vom 9.12, 12:41 Uhr und vom 14.12., 17:21 Uhr zu verstehen. Insbesondere die Statusmeldung „kein Verstoß“ macht deutlich, dass es nicht um ein ephemeres Ergebnis eines oberflächlichen Suche geht, sondern um das Ergebnis einer Prüfung mit einem eindeutigen Resultat.
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1.a.e) Entgegen den Ausführungen der Antragsgegnerseite enthielten diese als abschließend formulierten Nachrichten der Antragstellerin auch keinen Hinweis darauf, dass vom Beschwerdeführer weiter vorgetragen werden müsse oder überhaupt könne. Dies verdeutlicht die Überschrift über den Verlauf „Keine Verstöße gefunden – Status: kein Verstoß“.
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1.a.f) Die Antragsgegnerin hat in ihren Nachrichten es damit so dargestellt, dass sie eine Prüfung durchgeführt habe und das Ergebnis dieser Prüfung die Feststellung gewesen sei, dass kein Verstoß vorliege. Bezogen auf die Meldung bedeutete dies, dass kein Identitätsdiebstahl vorliegt und die Existenz eines Fake-Accounts von der Antragsgegnerin negiert wurde. Aufgrund Mitteilung des Prüfungsvorgangs und des eindeutigen Prüfungsergebnisses – „Wir haben das Konto, das du gemeldet hast, überprüft und festgestellt, …“ kann sich die Antragstellerin nunmehr nicht darauf berufen, die Meldung sei nicht ausreichend substantiiert gewesen und hätte nicht ausgereicht. Damit würde sie sich selbst widersprechen, will sie doch eine Prüfung durchgeführt haben.
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1.a.g) Der Antragsteller hat sich unbestritten der Eingabemaske der Antragsgegnerin bedient. Diese traf auf seinen Fall = Fake Account mit Identitätsdiebstahl ohne jeden Zweifel zu. Die Antragsgegnerin muss sich damit die Gestaltung ihrer Eingabemaske zurechnen lassen und kann sich nun nicht darauf berufen, dass die dort von geforderten und damit als ausreichend eingestuften Angaben nicht ausreichen würden, um dieser Rechtsverletzung nachzugehen.
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1.a.h) Ob die Antragsgegnerin noch weitere Meldesysteme bzw. Kontaktierungsmöglichkeiten im Fall von Rechtsverletzungen vorhält, ist unerheblich. Der Verletzte kann sich auf eine Meldung beschränken und ist nicht verpflichtet, sämtlich Kontaktmöglichkeiten auszuprobieren – gerade, wenn – wie vorliegend – die streitige Rechtsverletzung über die gewählte Kontaktaufnahme/das gewählte Kontaktformular mitgeteilt werden kann.
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b) Der Unterlassungsanspruch folgt insbesondere aus § 12 S. 1 und 2 BGB. Die bereits zweifach erfolglos zur Löschung aufgeforderte Antragsgegnerin hat willentlich und adäquat kausal zum unbefugten Gebrauch des Namens … der hierdurch eintretenden Zuordnungsverwirrung und der daraus folgenden Beeinträchtigung der schutzwürdigen Interessen des Antragstellers beigetragen.
23
c) Der Unterlassungsanspruch folgt ebenso aus § 1004 S. 2 analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. § 12 BGB und § 22 KUG. Das Abrufbarhalten von Fake-Profilen durch die mehrfach zur Löschung aufgeforderte Antragsgegnerin verletzt den Antragssteller in seinem Selbstbestimmungsrecht und seinem sozialen Geltungsanspruch als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. dazu etwa Solmecke, Handbuch Multimedia-Recht, Werkstand: 58. EL März 2022, Teil 21.1 Rdnr. 17 mit Verweis auf u.a. BVerfG NJW 1965, 685 – Soraya sowie Tamm/Tonner/Brönneke/Specht-Riemenschneider/Riemenschneider, Verbraucherrecht, 3. Auflage, § 4 b Rdnr. 56).
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d) Durch die erfolgten Verletzungshandlungen ist die für die jeweils geltend gemachten Unterlassungsansprüche erforderliche Wiederholungsgefahr gegeben.
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e) Die Frage der kerngleichen Verletzungen ist eine Frage, die im Rahmen der Vollstreckung gegebenenfalls zu stellen ist. Sie ist damit nicht in den Tenor aufzunehmen.
26
Die Antragsgegnerin hat als Unterlegene die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 91 ZPO. Der festgesetzte Streitwert orientiert sich an den Angaben der Antragstellerin in der Antragsschrift.