Titel:
Falschbezeichnung eines Nahrungsergänzungsmittels als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke in der Werbung einer Online-Apotheke
Normenkette:
UWG § 5 Abs. 1 u. 2
Leitsatz:
Ob die Bezeichnung eines Nahrungsergänzungsmittels als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ zur Täuschung im Rechtsverkehr geeignet ist, ist grundsätzlich unerheblich. Wie sich aus den Vorgaben der RL 2005/29/EG ergibt, ist bei einer objektiv unwahren Werbebehauptung eine Eignung zur Täuschung keine Voraussetzung des Irreführungstatbestands gem. § 5 Abs. 2 UWG. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Irreführung
Vorinstanz:
LG Hof, Urteil vom 31.07.2024 – 1 HK O 16/23
Fundstellen:
MD 2025, 788
GRUR-RS 2025, 19985
LSK 2025, 19985
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Hof vom 31.07.2024, Az. 1 HK O 16/23, abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr vom Hersteller als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebrachte Produkte als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke und/oder Bilanzierte Diät zu bewerben, wenn dies geschieht wie in der Anlage K 4 wiedergegeben.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich Ziff. 1 gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 33.000,00 € und hinsichtlich Ziff. 2 gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger nimmt den Beklagten wegen der Falschbezeichnung des Produkts „B.“ auf der Internetseite einer Online-Apotheke auf Unterlassung in Anspruch.
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1. Der Kläger ist ein in die beim Bundesamt für Justiz gem. § 8b UWG geführte Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, gewerbliche oder selbständige berufliche Interessen zu verfolgen und zu fördern sowie zu Fragen des lauteren Wettbewerbs zu beraten und zu informieren.
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Der Beklagte ist Apotheker und betreibt im Internet unter der Domäne „www…..de“ eine Versandhandelsapotheke.
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Auf dieser Website hatte er im Oktober 2020 das Mittel „A.“ als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ angeboten. Diese Bezeichnung war falsch gewesen, da es sich tatsächlich um ein Nahrungsergänzungsmittel handelte. Wegen des falsch beworbenen Mittels „A.“ hatte der Kläger den Beklagten mit Schreiben vom 02.11.2020 abgemahnt (Anlage K 5). Der Beklagte hatte sich dem mit anwaltlicher Unterlassungserklärung vom 12.11.2020 teilweise unterworfen, indem er die Erklärung abgab, es bei Meidung einer an den Kläger zu entrichtenden Vertragsstrafe zu unterlassen, das Nahrungsergänzungsmittel „A.“ „Als Diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) – Zur diätetischen Behandlung von arthrotischen Gelenkbeschwerden“ zu bewerben (Anlage K 6).
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Im September 2023 – jedenfalls am 26.09.2023 – bot der Beklagte auf der von ihm betriebenen Website „www…..de“ das Produkt „B.“-Tabletten der D. an (Anlage K 4). Das Angebot war unter dem Link „Beipackzettel“ bzw. „wichtige Pflichtangaben“ mit der Abrufmöglichkeit zweier PDF-Dateien verknüpft, auf denen das Produkt jeweils als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ bezeichnet wurde. Tatsächlich handelte es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel, so dass diese Bezeichnung falsch war.
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Mit Schreiben vom 29.09.2023 mahnte der Kläger deshalb den Beklagten erneut ab und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Erklärung ab, „es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) und/oder Bilanzierte Diät zu vertreiben und/oder zu bewerben, wenn dies geschieht wie in der Online-Versandapotheke … für das Produkt „B.“ Tabletten der D. (…)“.
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Wegen der Einzelheiten wird auf das Aufforderungsschreiben Anlage K 7 Bezug genommen.
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Der Beklagte antwortete hierauf mit Anwaltsschreiben vom 09.10.2023, zu der Falschbezeichnung auf seiner Internetseite sei es gekommen, weil das Produkt ursprünglich als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) auf dem Markt gewesen sei. Der Hersteller habe es später in ein Nahrungsergänzungsmittel geändert, ihn über diese Änderung aber nicht informiert. Sodann gab er eine Verpflichtungserklärung dahingehend ab, es bei Meldung einer für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung an den Kläger zu zahlenden Vertragsstrafe zu unterlassen, das Produkt „B.“-Tabletten der D. als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) und/oder „bilanzierte Diät“ zu vertreiben und/oder zu bewerben, solange es sich tatsächlich um ein Nahrungsergänzungsmittel handele. Zugleich erklärte er sich zur Zahlung der geltend gemachten Abmahnpauschale bereit. Wegen des genauen Wortlauts der Erklärung und der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K 8 Bezug genommen. Eine Annahme dieser Verpflichtungserklärung erklärte der Kläger in der Folgezeit nicht.
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Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe ein weitergehender Anspruch als die Erklärung des Beklagten zu. Er hat erstinstanzlich beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, es zur Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monate, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke und/oder bilanzierte Diät zu bewerben, wenn es geschieht wie in der Anlage K4 wiedergegeben.
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Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
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Er hat die Auffassung vertreten, der Klage fehle es am Rechtsschutzbedürfnis. Es sei widersprüchlich, wenn der Kläger einerseits von einem kerngleichen Wettbewerbsverstoß ausgehe, was die beiden vorgerichtlichen Beanstandungen aus den Jahren 2020 und 2023 betreffe, andererseits aber in der zweiten Beanstandung keinen Verstoß gegen die erste Unterlassungserklärung zu erkennen vermöge. Darüber hinaus sei das Unterlassungsgebot gegen den Beklagten nicht im vom Kläger begehrten Umfang berechtigt. Die vorgerichtlich abgegebenen Erklärungen hätten die Wiederholungsgefahr jeweils vollumfänglich ausgeräumt.
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2. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig und unbegründet abgewiesen.
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a. Die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der Beklagte habe bereits im Jahr 2020 eine Unterwerfungserklärung abgegeben, die der Kläger drei Jahre lang offenbar als ausreichend angesehen habe. Im Jahr 2023 habe der Beklagte dann erneut eine entsprechende Erklärung abgegeben. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Kläger diese nun nicht annehme, sondern Klage erhebe und sich eines weitergehenden Anspruchs berühme. Der Kläger verhalte sich zudem widersprüchlich, wenn er die beiden Verstöße aus den Jahren 2020 und 2023 als kerngleich betrachte, in der Bewerbung aus dem Jahr 2023 aber keinen Verstoß gegen die Unterwerfungserklärung aus dem Jahr 2020 sehe.
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b. Darüber hinaus sei die Klage unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Unterlassung der Bewerbung jeglicher Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke bzw. bilanzierte Diät. Sein Klageantrag beinhalte eine unzulässige Verallgemeinerung, die das Charakteristische der Verletzungshandlung vernachlässige. Der Kläger begehre einen „Vorratstitel“, mithilfe dessen er aufgrund einer einzelnen irreführenden Angabe künftig ohne weiteres gegen jede fehlerhafte Sortimentsbezeichnung des Beklagten vorgehen könne. Dies sei unzulässig. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erstrecke sich die Wiederholungsgefahr ohne zusätzliche Aspekte nur auf einen bestimmten Gegenstand, aber nicht auf die gesamte Warengattung.
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Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 ZPO).
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3. Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit der er seinen erstinstanzlichen Klageantrag in der Sache unverändert weiterverfolgt. Er rügt dabei im Wesentlichen das Folgende:
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Seiner Klage komme das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zu. Die Unterlassungserklärung des Beklagten vom 12.11.2020 (Anl. K 6) stehe dem nicht entgegen. Die Klageerhebung könne auch vor dem Hintergrund nicht als „venire contra factum proprium“ gewertet werden, dass er sich über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg mit dieser Unterlassungserklärung begnügt habe. Hierdurch habe er beim Beklagten kein schutzwürdiges Vertrauen begründen können, trotz neuerlichen kerngleichen Verstoßes nicht vor Gericht auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden. Vielmehr belege der neue Verstoß, dass die Erklärung aus dem Jahr 2020 unzureichend gewesen sei. Das Verhalten des Beklagten begründe eine erneute Wiederholungsgefahr und erst recht ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Unterlassungsklage.
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Zudem sei unberücksichtigt geblieben, dass die Unterlassungserklärung des Beklagten vom 09.10.2023 (Anlage K 8) nicht annähernd so weit reiche wie das alte Unterlassungsversprechen vom 12.11.2020 (Anlage K 6). Es sei lediglich auf die Internetseite „….de“ und das einzelne Produkt „B.“-Tabletten der D. beschränkt gewesen.
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Der Kläger meint, es gebe den vom Landgericht gesehenen Widerspruch in seiner Argumentation nicht, die Vorfälle aus den Jahren 2020 und 2023 seien kerngleiche Verstöße, die zweite Beanstandung stelle aber keinen Verstoß gegen die erste Unterlassungserklärung vom 12.11.2020 dar. Das Landgericht unterscheide hier nicht zwischen der Reichweite eines gesetzlichen Unterlassungsanspruchs und eines Unterlassungsversprechens.
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Auch sei außer Acht gelassen worden, dass der Kläger das Unterlassungsversprechen des Beklagten nicht angenommen habe. Seit dem Urteil des BGH vom 01.12.2022 (I ZR 144/21 – Wegfall der Wiederholungsgefahr III) sei es Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass es zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr durch ein Unterlassungsversprechen einer Annahme durch den Unterlassungsgläubiger bedürfe.
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Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei der Unterlassungsantrag nicht zu weit gefasst. Er begehre keinen „Vorratstitel“ auf Grundlage einer unzulässigen Verallgemeinerung, sondern beziehe seinen Unterlassungsantrag allein auf Nahrungsergänzungsmittel und auch dies nur insoweit, als sie vom Herstellerunternehmen als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht worden seien.
22
Weiter bringt der Kläger in der Berufungsinstanz vor: Der Beklagte sei während des laufenden Verfahrens erster Instanz ein drittes Mal mit der Bewerbung eines vom Hersteller als solches in den Verkehr gebrachten Nahrungsergänzungsmittels als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) in seinem Onlineshop in Erscheinung getreten, und zwar das Mittel „E.“ betreffend. Auf ein diesbezügliches Schreiben der klägerischen Prozessbevollmächtigten, das als Anlage K 14 vorgelegt worden sei, habe der Beklagte nicht reagiert. Dies sei erstinstanzlich vorgetragen und vom Beklagten nicht bestritten worden.
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Nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils seien weitere vergleichbare Vorfälle zu verzeichnen gewesen. Im September 2024 – konkret jedenfalls am 10.09.2024 – habe der Beklagte auf der von ihm betriebenen Website das vom Hersteller G. als Nahrungsergänzungsmittel in Verkehr gebrachte Produkt „H.“ als „diätisches Lebensmittel“ bezeichnet (Anlage BB 1). Weiter habe der Beklagte das vom Herstellerunternehmen J. als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebrachte Produkt „K.“ als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ beworben (Anlage BB 2). Schließlich habe er an zwei Stellen das vom Hersteller L. als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebrachte Produkt „N.“ als Diätetisches „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ bezeichnet (Anlage BB 3).
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Diese neuerlichen Vorfälle belegten eine „erschreckende Nachlässigkeit“ des Beklagten, der zu einer gewissenhaften Ausübung seines Berufes auch standesrechtlich verpflichtet sei. Der Kläger hat im Berufungsverfahren zunächst beantragt,
unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Hof vom 31. Juli 2024 – 1 HK O 16/23 den Beklagten und Berufungsbeklagten wie folgt zu verurteilen:
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Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke und/oder Bilanzierte Diät zu bewerben, wenn dies geschieht wie in der Anlage K 4 wiedergegeben.
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Diesen Antrag hat der Kläger im Termin vom 05.02.2025 umformuliert und zuletzt beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Hof vom 31. Juli 2024 – 1 HK O 16/23 den Beklagten und Berufungsbeklagten wie folgt zu verurteilen:
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Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr vom Hersteller als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebrachte Produkte als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke und/oder Bilanzierte Diät zu bewerben, wenn dies geschieht wie in der Anlage K 4 wiedergegeben.
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Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Der begehrte Unterlassungstitel sei zu weit gefasst; dem Kläger stehe nur ein auf das konkrete Produkt beschränkter Anspruch zu. Da die Unterlassungserklärung des Beklagten den Unterlassungsanspruch vollständig abdecke, komme dem Kläger kein Rechtsschutzbedürfnis zu. Schließlich sei das Vorgehen des Klägers missbräuchlich gem. § 8c UWG.
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Weiter meint der Beklagte, der Kläger habe durch die Antragsumstellung seine Klage teilweise zurückgenommen, was jedenfalls im Kostenausspruch zum Ausdruck kommen müsse. Der Kläger habe seinen Antrag nicht nur konkretisiert, sondern inhaltlich verändert. Nach der Fassung des Klageantrags und in der Folge des Antrags aus der Berufungsbegründung sei die im Einzelfall sehr komplexe Zuordnung zu den entsprechenden Produktkategorien dem Beklagten aufgebürdet worden. Der Unterlassungsantrag habe in der zunächst geltend gemachten Fassung sogar die Konstellation umfasst, dass ein Hersteller sein Produkt unter der falschen Kategoriebezeichnung in Verkehr bringe. Dies sei zu weitgehend gewesen, denn dem Beklagten könne nicht abverlangt werden, die Einstufung des Herstellers zu überprüfen.
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Zu den vom Kläger vorgetragenen weiteren Falschbezeichnungen von Nahrungsergänzungsmitteln während des laufenden Verfahrens äußert sich der Beklagte nicht.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
32
Die zulässige Berufung des Klägers führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur antragsgemäßen Verurteilung des Beklagten.
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1. Die Klage ist zulässig.
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a. Der Kläger ist gem. §§ 8 Abs. 3 Nr. 2, 8b Abs. 1, Abs. 2 UWG klagebefugt. Dies wird von der Beklagtenseite auch nicht in Abrede gestellt.
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b. Der Klageantrag ist im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt.
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Gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Unterlassungsantrag – und nach § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO eine darauf beruhende Verurteilung – nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bliebe (st. Rspr.; vgl. BGH, WRP 2019, 874 Rn. 15 – Energieeffizienzklasse III; BGH, WRP 2015, 1468 Rn. 25 – Tagesschau-App; BGH, GRUR 1991, 254, 256 – Unbestimmter Unterlassungsantrag). Eine Bezugnahme auf Anlagen – wie im Streitfall auf die Anlage K 4 – ist zur Konkretisierung der Verletzungshandlung, deren Verbot begehrt wird, zulässig (OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.05.2015 – 3 U 379/15 –, Rn. 20, juris; BeckOK-ZPO/Bacher, 55. Ed. 01.12.2024, § 253 Rn. 57a i. V. m. Rn. 39a).
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Nach diesen Maßstäben erweist sich der Klageantrag als hinreichend bestimmt. Für den Beklagten sind die Verletzungshandlungen klar erkennbar, deren Unterlassung der Kläger begehrt. Durch die Bezugnahme auf die konkrete Werbung gemäß Anlage K 4 ist die notwendige Konkretisierung hergestellt worden (vgl. OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 22.11.2024 – I-4 U 71/24, MD 2025, 208, 209 = Anlage BB 6, S. 4, zu einer vergleichbaren Konstellation).
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c. Dem Kläger kommt auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zu.
39
Das Rechtsschutzbedürfnis folgt aus der Nichterfüllung des behaupteten materiellen Anspruchs und kann regelmäßig unterstellt werden (Cepl/Voß/Zigann/Werner, Prozesskommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 3. Aufl. 2022, ZPO § 253 Rn. 31). Dem Rechtssuchenden kann ein Anspruch auf gerichtliche Prüfung seines Anliegens nur unter ganz besonderen Umständen verwehrt werden (BGH, GRUR 2017, 1236, 1240 Rn. 37 – Sicherung der Drittauskunft). Es fehlt einer Klage allein dann, wenn sie objektiv schlechthin sinnlos ist, weil der Kläger unter keinen Umständen mit seinem prozessualen Begehren irgendeinen schutzwürdigen Vorteil erlangen kann (BGH a. a. O.; GRUR 2020, 1311, 1314 Rn. 29 – Vorwerk). Das ist beispielsweise der Fall, wenn er bereits einen durchsetzbaren gerichtlichen oder privaten Titel über den geltend gemachten Anspruch in Händen hält (Cepl/Voß/Zigann/Werner a. a. O., ZPO § 253 Rn. 31).
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Vorliegend hat der Kläger weder aus der Unterlassungserklärung des Beklagten vom 12.11.2020 (Anlage K 6) noch aus der Verpflichtungserklärung vom 09.10.2023 (Anlage K 8) eine effektive Handhabe zur Durchsetzung des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs.
41
aa. Die Erklärung vom 12.11.2020 bezieht sich ausdrücklich nur auf die Bewerbung des Nahrungsergänzungsmittels „A.“, umfasst also nicht das hier in Rede stehende Produkt „B.“ geschweige denn die gesamte Produktkategorie der Nahrungsergänzungsmittel. Zwar handelt es sich materiell um gleichartige Verstöße. Das bedeutet aber nicht, dass die gegenständliche Bewerbung aus dem Jahr 2023 von der Unterlassungserklärung aus dem Jahr 2020 umfasst wäre. Der Kläger hatte sein Begehren seinerzeit auf das konkrete Produkt „A.“ beschränkt (Anlage K 5). Die daraufhin abgegebene Erklärung des Beklagten vom 12.11.2020 mag hinter dem materiellen Unterlassungsanspruch des Klägers zurückgeblieben sein. Ein weitergehender Anspruch wurde aber nicht geltend gemacht und kann daher nun auch nicht als Grundlage einer etwaigen Vertragsstrafe dienen.
42
bb. Die Verpflichtungserklärung des Beklagten vom 09.10.2023 (Anlage K 8) ist schon deshalb keine taugliche Grundlage zur Durchsetzung des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs, weil sie nicht rechtswirksam ist. Lehnt der Gläubiger die Annahme einer strafbewehrten Unterlassungserklärung gegenüber dem Schuldner ab, scheitert der Abschluss des Unterlassungsvertrags. Eine Grundlage für eine Vertragsstrafe als effektives Instrument zur Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen fehlt dann (BGH, NJW 2023, 1654, 1658 Rn. 39 – Wegfall der Wiederholungsgefahr III).
43
Der Kläger hätte sein Begehren auch nicht ebenso effektiv wie im Klagewege durch die Annahme der Verpflichtungserklärung vom 09.10.2023 durchsetzen können. Diese Erklärung deckt das vorgerichtlich und gerichtlich geltend gemachte Unterlassungsbegehren nur zu einem kleinen Teil ab. Sie umfasst allein das Produkt „B.“, während sich der klägerische Antrag auf alle Nahrungsergänzungsmittel erstreckt. Außerdem beinhaltet sie ausschließlich die Bewerbung auf der konkreten, namentlich benannten Internetseite „….de“, wohingegen der Kläger den gesamten geschäftlichen Verkehr einbezogen haben möchte. Wie weit der geltend gemachte Anspruch materiell tatsächlich reicht, kann an dieser Stelle dahinstehen, da es sich insoweit um keine Frage der Zulässigkeit handelt.
44
cc. Das Rechtsschutzbedürfnis kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt des „venire contra factum proprium“ verneint werden. Unabhängig davon, dass es sich um einen materiell-rechtlichen Gesichtspunkt handelt, der die Zulässigkeit der Klage nicht berührt, war der Kläger aufgrund der Erklärung aus dem Jahr 2020 nicht gehalten, nach dem weiteren Verstoß aus dem September 2023 wieder nur die Unterlassung der Falschbezeichnung bei der Bewerbung eines bestimmten Produkts zu fordern. Vielmehr hat die Entwicklung gezeigt, dass eine auf ein konkretes Produkt beschränkte Unterlassungserklärung nicht ausreichend war, um gleichartige Verstöße zu verhindern. Es ist auch nicht ersichtlich, wodurch der Kläger ein schutzwürdiges Vertrauen des Beklagten begründet haben sollte, nur auf ein bestimmtes Produkt beschränkte Unterlassungserklärungen zu fordern.
45
2. Die zulässige Klage erweist sich als begründet.
46
a. Dem Kläger steht gegen den Beklagten der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 3 Abs. 1 und 3, 5 Abs. 2 Hs. 1, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 UWG zu.
47
aa. Der Beklagte hat eine unlautere geschäftliche Handlung gem. §§ 3, 5 Abs. 2 Hs. 1, 8 Abs. 1 S. 1 UWG vorgenommen, indem er auf der Seite der von ihm betriebenen Online-Versandapotheke das Mittel „B.“ des Herstellers D. als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ bezeichnete.
48
Nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 UWG ist eine geschäftliche Handlung irreführend und damit unlauter, wenn sie unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Ware oder Dienstleistung enthält. Dies ist für die Bezeichnung eines Nahrungsergänzungsmittels als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) der Fall.
49
(1) Die Bezeichnung war unwahr gem. § 5 Abs. 2 Hs. 1 UWG.
50
Angaben sind unwahr, wenn das Verständnis, das sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen erweckt, nach ihrem Gesamteindruck mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt (BGH, GRUR 2019, 1202, 1203 Rn. 18 – Identitätsdiebstahl; OLG Nürnberg, Urteil vom 24.05.2022 – 3 U 4652/21, GRUR-RS 2022, 12792 Rn. 18 – Krankenhaustransporte).
51
Dies trifft auf die streitgegenständliche Bezeichnung des Produkts „B.“ zu. Tatsächlich handelte es sich nicht um ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät), sondern um ein Nahrungsergänzungsmittel. Dies ist in der Berufungsinstanz unstreitig und ergibt sich zudem aus der Bindungswirkung des Tatbestands des erstinstanzlichen Urteils gem. § 314 S. 1 ZPO. Die von den tatsächlichen Verhältnissen abweichende Bezeichnung wird vom durchschnittlichen Verbraucher nicht anders verstanden. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Verbraucher die objektiv unrichtige Angabe tatsächlich richtig verstehen würde, also der Auffassung wäre, ein Nahrungsergänzungsmittel werde als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) bezeichnet oder beide Begriffe fänden synonym Verwendung.
52
(2) Ob die Bezeichnung des Mittels „B.“ als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ zur Täuschung im Rechtsverkehr geeignet ist, ist grundsätzlich unerheblich. Wie sich aus den Vorgaben der RL 2005/29/EG ergibt, ist bei einer objektiv unwahren Werbebehauptung eine Eignung zur Täuschung keine Voraussetzung des Irreführungstatbestands gem. § 5 Abs. 2 UWG (BeckOK UWG/Rehart/Ruhl/Isele, 26. Ed. 1.10.2024, § 5 Rn. 64).
53
Unabhängig davon könnte der gegenständlichen Falschbezeichnung die Täuschungseignung auch nicht abgesprochen werden. Der Beklagte vermag mit seinem Einwand nicht durchzudringen, die Unterscheidung sei unerheblich, weil sich der durchschnittliche Verbraucher keine Gedanken darüber mache, in welche der beiden Kategorien das von ihm gesuchte Produkt eingeordnet werde. Die feste Bezeichnung „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ folgt aus Art. 4 i. V. m. Anhang IV VO (EU) 2016/128 (im Folgenden: LMBZ-VO). Es handelt sich nach Art. 2 Abs. 2 li. g VO (EU) Nr. 609/2013 um (unter ärztlicher Aufsicht zu verwendende) Lebensmittel, die in spezieller Weise verarbeitet oder formuliert werden und zur ausschließlichen oder teilweisen Ernährung bestimmter Patienten bestimmt sind (Kügel/Müller/Hofmann/Müller, AMG, 3. Aufl. 2022, § 2 Rn. 171 mit weiteren Einzelheiten). Sie weisen damit eine gänzlich andere Zielrichtung als bloße Nahrungsergänzungsmittel auf, die gem. § 1 Abs. 1 der Nahrungsmittelverordnung (NemV) ein Lebensmittel zur Ergänzung der allgemeinen Ernährung darstellen. Weil sie sich an unterschiedliche Zielgruppen wenden, schließen sich Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke aus (EuGH, Urteil vom 02.03.2023, C-760/21, GRUR 2023, 656 ff. – … Pharma).
54
Diese Unterscheidung ist den angesprochenen Verkehrskreisen jedenfalls der Sache nach durchaus bewusst. Mit der Kategorisierung eines Mittels als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ sind besondere Anforderungen an die Lebensmittelinformation verbunden (Meisterernst, Lebensmittelrecht, 2. Aufl. 2024, § 17 Rn. 98). So ist eine Pflichtangabe erforderlich, für welche Krankheit, Störung oder Beschwerden das Erzeugnis bestimmt ist (vgl. Art. 5 Abs. 2 lit. e LBMZ-VO). Weiterhin ist ein Hinweis vorgeschrieben, dass das Erzeugnis unter ärztlicher Aufsicht verwendet werden muss (Art. 5 Abs. 2 lit. a LBMZ-VO). Gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. g LBMZ-VO müssen sie zudem als Pflichthinweis „eine Beschreibung der Eigenschaften und/oder Merkmale, denen das Erzeugnis seine Zweckdienlichkeit in Bezug auf die Krankheit, die Störung oder die Beschwerden verdankt, für deren Diätmanagement es vorgesehen ist … sowie die Begründung für die Verwendung dieses Erzeugnisses“ tragen. Dementsprechend soll nach der streitgegenständlichen Produktbewerbung des Beklagten auf dem verlinkten Beipackzettel und den ebenfalls verlinkten Pflichtangaben das Produkt „B.“ dem „Diätmanagement bei wiederkehrenden … Infektionen“ dienen. Im Folgeabsatz ist jeweils die genaue Wirkweise beschrieben. All diese Angaben sind bei einem Nahrungsergänzungsmittel weder erforderlich noch ohne Aufnahme in die Liste zugelassener Angaben nach Art. 13, 14 HCVO zulässig (vgl. Streinz/Kraus/Rützler, LebensmittelR-HdB, 48. EL Juni 2024, II. A. 3. d. ee.).
55
Dies begründet die Bedeutung der Klassifizierung für die angesprochenen Verkehrskreise. Wer sich wegen einer wiederkehrenden …-Infektion auf die vom Beklagten betriebene Website begibt, wird aufgrund der Bezeichnung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke einschließlich der damit verbundenen gesundheitsbezogenen Pflichtangaben eher zur Wahl des Produkts „B.“ neigen als wenn es als Nahrungsergänzungsmittel angeboten worden wäre. Denn dann wären weder der Bezug zu einer konkreten Erkrankung noch die Wirkweise des Mittels dargestellt worden.
56
bb. Unerheblich ist, dass der Beklagte von der Umklassifizierung des Produkts „B.“ durch den Hersteller keine Kenntnis hatte. Der Unterlassungsanspruch des § 8 Abs. 1 UWG setzt Vorsatz oder Verschulden nicht voraus (Köhler/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, UWG, 43. Aufl. 2025, § 8 Rn. 1.40).
57
cc. Die gem. § 8 Abs. 1 S. 1 UWG erforderliche Wiederholungsgefahr liegt vor. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die Erklärung des Beklagten vom 12.11.2020 (Anlage K 6) zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr geeignet war (was aufgrund deren beschränkter Reichweite allerdings nicht der Fall war). Denn selbst wenn die Erklärung vom 12.11.2020 den hier gegenständlichen Vorgang aus dem September 2023 erfasst hätte, läge ein neuerlicher Verstoß vor, der eine erneute Wiederholungsgefahr begründet (Köhler/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, UWG, 43. Aufl. 2025, § 8 Rn. 1.56 m. w. Nachw.).
58
Der Beklagte hat die Wiederholungsgefahr auch nicht durch seine Verpflichtungserklärung vom 09.10.2023 (Anlage K 8) beseitigt. Der Erklärung fehlt es mangels wirksamer Sanktionsmöglichkeit an der erforderlichen Abschreckungswirkung, da der Kläger sie nicht angenommen hat. Wie im Rahmen der Zulässigkeit bereits ausgeführt, kann die durch die Verletzungshandlung begründete Vermutung der Wiederholungsgefahr mit einer strafbewehrten Unterlassungserklärung nur so lange widerlegt werden, wie die erforderliche Abschreckungswirkung durch eine effektive Sanktionsdrohung gesichert ist. Eine solche Drohung gibt es nach der Ablehnung durch den Gläubiger nicht mehr, was der Erklärung ihre Wirkung auf die Wiederholungsgefahr nimmt (BGH, NJW 2023, 1654, 1659 Rn. 41 – Wegfall der Wiederholungsgefahr III).
59
Die im Verlauf des Verfahrens begangenen unstreitig gebliebenen weiteren gleichgelagerten Verstöße bestätigen überdies die Wiederholungsgefahr. Der insoweit getätigte Vortrag des Klägers ist gem. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen. Da sich die neuerlichen Falschbezeichnungen von Nahrungsergänzungsmitteln als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auf der Website des Beklagten befanden, beruht es offenkundig nicht auf einer Nachlässigkeit des Klägers, sie nicht schon zuvor vorgetragen zu haben. Darüber hinaus unterliegt unstreitiges Vorbringen ohnehin grundsätzlich nicht der Zurückweisung gem. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 ZPO (BGH, Beschluss vom 13.01.2015 – VI ZR 551/13, r+s 2015, 212).
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dd. Ein missbräuchliches Vorgehen des Klägers gem. § 8c UWG ist nicht ersichtlich. Insbesondere war er nicht gehalten, statt gegen den Beklagten gegen den Hersteller des Produkts „B.“-Tabletten vorzugehen.
61
Der Missbrauch im Sinne des § 8c UWG ergibt sich in erster Linie aus einer Zweck-Mittel-Disparität (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann, UWG, 5. Aufl. 2021, § 8c Rn. 41). Er liegt vor, wenn das beherrschende Motiv bei der Geltendmachung des wettbewerbsrechtlichen Abwehranspruchs sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind und diese als die eigentliche Triebfeder der Anspruchsdurchsetzung erscheinen (BGH, GRUR 2019, 199, 201 Rn. 21 – Abmahnaktion II; GRUR 2019, 966, 968 Rn. 33 – Umwelthilfe). Eine solch sachfremde Vorgehensweise wird vom Beklagten weder substantiiert vorgetragen noch ist sie aus den Umständen ersichtlich. Zum Zeitpunkt des Lauterkeitsverstoßes hatte der Hersteller das Produkt „B.“-Tabletten korrekt bezeichnet, nämlich als Nahrungsergänzungsmittel. Ein Anlass für eine Abmahnung bestand offenkundig nicht, denn der verfahrensgegenständliche Verstoß liegt gerade in der Abweichung der vom Beklagten verwendeten Angaben von den Angaben des Herstellers. Dies ist dem Beklagten und nicht dem Hersteller anzulasten.
62
Dass der Hersteller D. das Produkt ursprünglich unter einer falschen Bezeichnung in den Verkehr gebracht und die Abnehmer über die Umklassifizierung unzureichend informiert hat, wie der Beklagte unbestritten vorträgt, musste der Kläger nicht wissen. Überdies ist fraglich, ob eine Überprüfung des Verhaltens eines Herstellers gegenüber den seine Produkte abnehmenden Händlern noch vom Satzungszweck des Klägers umfasst wäre.
63
ee. Der Unterlassungsanspruch besteht im vollen vom Kläger geltend gemachten Umfang. Der sachliche Umfang des Unterlassungsanspruchs richtet sich nach dem Umfang der Begehungsgefahr. Ausgangspunkt ist die konkrete Verletzungshandlung. Dabei ist zu beachten, dass sich die durch eine Verletzungshandlung begründete Wiederholungsgefahr grundsätzlich auch auf alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen erstreckt, ohne dass insofern auf eine Erstbegehungsgefahr zurückgegriffen werden müsste (Köhler/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, UWG, 43. Aufl. 2025, § 8 Rn. 1.64 m. w. Nachw.). Der Unterlassungsantrag muss demnach das Charakteristische des Erstverstoßes bewahren und sich im Kern an dieser Verletzungshandlung orientieren (BGH, GRUR 2008, 702, 706 Rn. 55 – Internet-Versteigerung III). Auch in der vom Landgericht herangezogenen Entscheidung vom 05.10.2010 (I ZR 46/09) vertritt der Bundesgerichtshof nicht, dass sich Unterlassungsansprüche nur auf einen bestimmten Gegenstand erstreckten und keine ganze Warengattung umfassen dürften.
64
Diesen Anforderungen hat der Kläger mit seinem Antrag Genüge getan. Eine Art Vorratstitel, mithilfe dessen er aufgrund einer einzelnen irreführenden Angabe künftig ohne weiteres gegen jede fehlerhafte Sortimentsbezeichnung des Beklagten vorgehen könne, begehrt er gerade nicht. Er leitet seinen Anspruch aus der Bezeichnung eines bestimmten Nahrungsergänzungsmittels als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) ab. Sein Antrag bezieht sich allein auf ebenfalls in dieser Weise bezeichnete Nahrungsergänzungsmittel. Er bewegt sich damit in derselben Produktkategorie, so dass der sachliche Umfang seines Unterlassungsanspruchs nicht verlassen wird. Bei antragsgemäßer Entscheidung kann der Kläger deshalb nicht gegen jede fehlerhafte Produktbezeichnung vorgehen, sondern nur gegen die Bezeichnung von als Nahrungsergänzungsmittel in Verkehr gebrachten Produkten als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät). Dies stellt den charakteristischen Kern des dem Beklagten zur Last liegenden Lauterkeitsverstoßes dar (ebenso in vergleichbarer Konstellation OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 22.11.2024 – I-4 U 71/24, MD 2025, 208, 209 = Anlage BB 6, S. 3).
65
ff. Der Antrag des Klägers legt dem Beklagten jedenfalls in seiner zuletzt gestellten Fassung auch keine unzumutbare Belastung auf, die aus Treu und Glauben gem. § 242 BGB im Einzelfall einem grundsätzlich gegebenen Unterlassungsanspruch aus § 8 UWG entgegenstehen könnte (vgl. Köhler/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, UWG, 43. Aufl. 2025, § 8 Rn. 1.91). Ihm wird keine Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit einer Produktkategorisierung durch den Hersteller abverlangt; er muss bei seinen Angeboten lediglich die Bezeichnung verwenden, unter der das jeweilige Mittel vom Hersteller auf den Markt gebracht bzw. vertrieben wird. Dies kann von einem Apotheker erwartet werden. Darüber hinaus wäre eine objektive Falschbezeichnung, die sich auf die falschen Angaben des Herstellers stützt, in aller Regel schuldlos, so dass er kein Ordnungsmittel nach sich zöge.
66
b. Da der Klageantrag bereits aus §§ 3 Abs. 1 und 3, 5, 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG vollumfänglich begründet ist, muss nicht entschieden werden, ob er auch aus §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG, 11 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 lit. b, c LFGB, Artikel 7 Absatz 1 lit a, b VO (EU) Nr. 1169/2011, § 4 Abs. 1 NemV folgt.
67
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Dem Kläger waren auch in Ansehung der Antragsumstellung in der Berufungsinstanz keine anteiligen Kosten aufzuerlegen. Eine teilweise Klagerücknahme im Sinne des § 269 ZPO liegt nicht vor.
68
Der Klageantrag ist wie jede Prozesshandlung nach dem erkennbaren Willen auslegungsfähig (BGH, NJW-RR 2023, 707, 708 Rn. 14). Demnach verbietet es sich, ihm eine Bedeutung beizumessen, die ihr der Erklärende nicht beimessen will (BGH a. a. O.).
69
Der Kläger hat bereits in der Klageschrift den dem Beklagten zur Last gelegten Wettbewerbsverstoß mit einer Abweichung der verwendeten Bezeichnung des Produkts „B.“ von der Klassifizierung des Herstellers (und nicht von der objektiv zutreffenden Klassifizierung) begründet. In der Berufungsinstanz hat er dies noch einmal unterstrichen, indem er es zutreffend als unstreitig bezeichnet hat, dass die korrekte Produkteinstufung vom Hersteller und nicht vom Beklagten vorzunehmen sei (Schriftsatz vom 20.11.2024, S. 4 = Bl. 25 d. A.). Die Modifizierung des Antrags aus der Berufungsbegründung im Termin vom 05.02.2025 dahingehend, dass er sich auf „als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebrachte Produkte“ statt auf „Nahrungsergänzungsmittel“ bezieht, stellt damit lediglich eine Klarstellung des von vornherein verfolgten Klagebegehrens dar. Eine inhaltliche Beschränkung hat der Kläger nicht vorgenommen.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Über klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfragen war nicht zu entscheiden. Soweit Rechtsfragen zu beantworten waren, sind diese in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt. Der Senat weicht hiervon nicht ab.