Inhalt

LG Bayreuth, Endurteil v. 29.04.2025 – 31 O 593/24
Titel:

Automatisierte Verarbeitung, Verbraucherkredit, Wahrscheinlichkeitswert, Dsgvo, Elektronisches Dokument, Personenbezogene Daten, Rechtsverfolgungskosten, Versandhandel, Geschäftsgeheimnis, Elektronischer Rechtsverkehr, Feststellungsantrag, Auskunftserteilung, Rechtshängigkeit, Klagepartei, Streitwert, Vertragsverhältnisse, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Berechtigtes Interesse, Kreditauskunftei, Vorgerichtliche Anwaltskosten

Schlagworte:
Automatisierte Entscheidung, Scorewertberechnung, Tatsachenbehauptung, Transparenzpflicht, Geschäftsgeheimnis, Beweislast, Auskunftsanspruch
Fundstelle:
GRUR-RS 2025, 13866

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen,
a) welches Score-Ergebnis und darauf gestützten Wahrscheinlichkeitswert sie jeweils mitgeteilt hat
b) welche gespeicherten Daten der Klägerin sie für dieses Ergebnis jeweils verwendet hat
c) wie und mit welcher Gewichtung jedes Datum in die Scoreberechnung eingegangen ist, dies dergestalt, dass zu jedem einzelnen berücksichtigten Datum angegeben wird, welcher Score ohne Berücksichtigung dieses Datums sich ergeben hätte. Liegen mehrere gleichartige Daten vor, die jeweils alleine für sich zu keiner Abweichung führen, sind sie zu aggregieren (zusammenzufassen und der Score anzugeben, der sich bei Weglassen der zusammengefassten Daten insgesamt ergäbe).
dies für folgende übermittelte Scorewerte (Datum, Empfänger, ggf. Bezeichnung mehrerer am selben Tag übermittelter unterschiedlicher Scores)::
13.12.2022 TF Bank AB (...)
09.05.2023 B. Bank I. PLC H. B. (...)
09.05.2023 BNP P.s S.A. Niederlassung Deutschland – C. F. (...)
22.05.2023 BNP P. S.A. Niederlassung Deutschland – C. F. (...)
26.05.2023 S. C1. AG F F (...), hier:
S.-Score für Banken, Version 3.0
Individuelle S.-Scorekarte
S.-Bestandsscore für Banken, Version 3.0
02.06.2023 A. Bank S.A. 9, rue GL (...)
23.06.2023 B. Bank Ireland PLC H B (...)
25.06.2023 Bank N., en filial av N. B. G. AB (publ) (...)
28.06.2023 A. E. E. S.A. (G. B.) (...)
29.06.2023 Younited S.A. Niederlassung Deutschland (...)
29.07.2023 T. AG Internet (...), hier:
Individueller S. -Score für Banken,
Individueller S. -Score für Versandhandel,
S. -Score für Versandhandel, e-Commerce und Identitätsmanagment, Version 3.0
S. -Score für Banken, Version 3.0
29.07.2023 B. Bank Ireland PLC H B (...)
22.08.2023 S. C2. Bank AG FF (...), hier:
S. -Score für Banken, Version 3.0
S. -Bestandsscore für Banken, Version 3.0
22.08.2023 T AG Fachhändlerservice (...),
hier:
Individueller S. -Score für Banken,
Individueller S. -Score für Versandhandel,
S. -Score für Versandhandel, e-Commerce und Identitätsmanagment, Version 3.0
S. -Score für Banken, Version 3.0
23.08.2023 T. AG Fachhändlerservice (...),
hier:
Individueller S. -Score für Banken,
Individueller S. -Score für Versandhandel,
S. -Score für Versandhandel, e-Commerce und Identitätsmanagment, Version 3.0
S. -Score für Banken, Version 3.0
06.09.2023 Y. S.A. Niederlassung Deutschland (...)
04.10.2023 T. AG Fachhändlerservice (...),
hier:
Individueller S. -Score für Banken,
Individueller S. -Score für Versandhandel,
S. -Score für Versandhandel, e-Commerce und Identitätsmanagment, Version 3.0
S. -Score für Banken, Version 3.0
05.10.2023 M3. Bank p.l.c. (...)
10.10.2023 M3. Bank p.l.c. (...)
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.000,00 € immateriellen Schadensersatz sowie weitere 453,87 EUR vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen aus beiden Beträgen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.11.2024 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 3/4 und die Beklagte 1/4 zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 16.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin verfolgt datenschutzrechtliche Ansprüche gegenüber einer Kreditauskunftei.
2
Die Beklagte ist eine privatwirtschaftlich organisierte Kreditauskunftei mit einer Vielzahl von Vertragspartnern (folgend: „Kunden“), die zum einen Daten „wirtschaftlich aktiver Personen“ (folgend: Betroffene“) über deren relevante Aktivitäten an die Beklagte übermitteln, zum anderen bei der Beklagten Anfragen zu bestehenden oder beabsichtigten Geschäftspartnern stellen und Auskünfte zu deren Kreditwürdigkeit erhalten.
3
Die Beklagte hat über die Klägerin eine Vielzahl von solchen Daten erfasst und eine Vielzahl von Antworten auf entsprechende Anfragen erteilt, darüber hat sie die Klägerin auf Anfrage informiert (im einzelnen: Anlage K1, Anlage B2).
4
Aus den erfassten Daten ermittelt die Beklagte unter anderem einen „Basisscore“, gelesen als Wahrscheinlichkeit, mit der ein Betroffener seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen wird (genauer: dass der Betroffene zu einer Gruppe von Menschen gehört, die in ihrer Gesamtheit ihre Zahlungsverpflichtungen mit diesem Prozentsatz erfüllen). Je nach Branche des anfragenden Kunden und Art des beabsichtigten Geschäfts variiert sie diesen Basisscore nach oben oder unten und gibt ein abgestuftes Risiko an. Es handelt sich um ein massenweise durchgeführtes computerisiertes Rechenverfahren ohne menschlichen Eingriff.
5
Die Algorithmen und die Gewichtung der Eingangsdaten zählen nach bisheriger Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 28.1.2014 – VI ZR 156/13) als Geschäftsgeheimnis und werden von der Beklagten auch auf DSGVO-Auskunftsersuchen nicht preisgegeben. Lediglich allgemeine Aussagen (siehe Anlage K 9) sind bekannt, so dass mitgeteilte Zahlungsausfälle und Insolvenzen den Score negativ beeinflussen, ebenso wie etwa häufige Wohnsitzwechsel.
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Die Parteien haben vor Klageerhebung korrespondiert, jedoch ohne Ergebnis.
7
Die Klägerin trägt vor:
8
Die Beklagte verwende zur Berechnung des Scores auch Alter und Geschlecht des Klägers, dies sei unzulässigerweise (§ 19 AGG) diskriminierend.
9
Auch die Heranziehung der Adressdaten zum „Geoscoring“, d.h. aus der Zahlungsmoral der Nachbarschaft auf den Betroffenen zu schließen, sei unzulässig.
10
Zentral aber sei, dass in jedem von der Beklagten an einen Kunden mitgeteilten Scorewert des Klägers eine unzulässige automatisierte Entscheidung gesehen werden müsse. Es sei nämlich üblich, dass, insbesondere in Massengeschäften, eine ablehnende und damit den Kläger benachteiligende Entscheidung der Kunden gegen einen Kontrakt mit dem Kläger alleine auf einer schlechten Beurteilung durch die Beklagte ohne weitere Überprüfung eines menschlichen Mitarbeiters des Kunden beruhe.
11
Nachvollziehbar erläutert habe die Beklagte die Berechnung des Scorewerts nicht. Im Gegenteil sei nicht nachvollziehbar, wie die Beklagte mit den in der Auskunft niedergelegten Daten auf die jeweiligen negativen Scores komme.
12
Zum Anlass der einzelnen Auskünfte hat die Klägerin vorgetragen:
Auskunft an die TF Bank AB vom 13.12.2022:
13
Ich wollte einen Verbraucherkredit ohne besonderen Verwendungszweck von 3.000,- Euro. Ich habe deshalb über das Internet die schwedische Bank kontaktiert und habe eine Absage erhalten.
14
Zum 27.12.2022 mit dem Verlag der Tagesspiegel habe ich einen laufenden Vertrag, die buchen monatlich bei mir ab und liefern Nachrichten. Der Vertrag läuft immer noch.
Zum Eintrag vom 09.05.2023 Younited S.A.:
15
Das ist mir unbekannt, dazu kann ich jetzt nichts sagen.
Zum Eintrag B. Bank Irland vom 9. Mai 2023 und den Folgeeinträgen bis 02.06.2023:
16
Das sind alles Kreditanfragen, ich habe bei den jeweiligen Banken Konsumentenkredite in der Größenordnung von 2.500,- oder 3.000,- Euro angefragt. Ich habe nur Absagen ohne Begründung bekommen.
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Das gilt auch für die weiteren Einträge auf der Seite vom 23.06.2023 Barclays Bank bis zum 29.06.2023 Y. Auch hier habe ich Verbraucherkredite beantragt bei verschiedenen Banken, aber keinen bekommen.
18
Das gilt auch für alle weiteren Einträge auf der Auskunft, ich habe immer wieder versucht einen Verbraucherkredit zu erhalten und habe keinen bekommen. Auch von meiner Hausbank nicht, das ist die Cbk.
19
Dazu wird festgestellt, dass auf eine Anfrage vom 16.07.2023 die Cbk keinen Score von der Beklagten mitgeteilt bekommen hat.
20
Zum immateriellen Schaden hat die Klägerin insbesondere vorgetragen:
21
Ich fühle mich bei all dem wie eine Aussätzige, Sie bekommen keinen Kredit, können das Konto nicht überziehen, kriegen keinen Ratenkauf. Gesundheitliche Beschwerden habe ich deswegen nicht – noch nicht.
22
Die Klägerin beantragt:
I. Es wird festgestellt, dass die beklagtenseits vorgenommene auf einer automatisierten Verarbeitung beruhende Erstellung des Bonitätsscores der Klagepartei, also der sog. „Basisscorewerte“, der sog. „Branchenscorewerte“ sowie der sog. „Orientierungswerte“, rechtswidrig ist;
II. Die Beklagte wird verurteilt, die Erstellung des Bonitätsscores der Klagepartei, also der sog. „Basisscorewerte“, der sog. „Branchenscorewerte“ sowie der sog. „Orientierungswerte“, nicht ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhend vorzunehmen;
III. Die Beklagte wird verurteilt, bei jeder Abfrage der S. -Scorewerte betreffend die Klagepartei, hinsichtlich des Basisscorewertes, des Orientierungswertes sowie sämtlicher Branchenscorewerte Werte mitzuteilen, die nicht ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhen.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € oder für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken gegen eines der Mitglieder des Vorstands der Beklagten, es zu unterlassen, bei der Erstellung der S. -Scorewerte betreffend die Klagepartei, dies umfasst die sog. Basisscorewerte, die sog. Branchenscorewerte sowie die sog. Orientierungswerte, folgende Merkmale in die Erstellung einzubeziehen:
a. besondere Kategorien personenbezogener Daten im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2016/679,
b. den Namen der Klagepartei oder personenbezogene Daten aus ihrer Nutzung sozialer Netzwerke,
c. Informationen über Zahlungseingänge und -ausgänge auf und von Bankkonten,
d. Anschriftendaten,
e. Alter,
f. Geschlecht,
g. Daten Dritter, die nicht im Zusammenhang mit dem Zahlungsverhalten der Klagepartei stehen, insbesondere Daten der Nachbarschaft;
V. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen angemessenen Schadensersatz zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 5.000,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;
VI. Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft darüber zu geben, auf welche konkrete Weise die Bonitätsscorewerte der Klagepartei, d.h. der Basisscorewert, sämtliche Branchenscorewerte und der Orientierungswert errechnet wurden,
insbesondere nachvollziehbar und nachprüfbar
a. die dafür verwendete Berechnungsmethode,
b. die hierfür zugrunde gelegten Berechnungsparameter,
c. die für die Berechnung herangezogenen und verwendeten personenbezogenen Merkmale der Klagepartei,
d. die Risikoklassen, in welche die jeweiligen Scorewerte eingestuft werden sowie deren genaue Aufschlüsselung und Ausgestaltung,
e. die Gewichtung von Kategorien von Kriterien und der einzelnen Kriterien zueinander, die den Wahrscheinlichkeitswert am stärksten beeinflussen,
f. die Aussagekraft des konkreten Wahrscheinlichkeitswerts,
g. die erstellten Wahrscheinlichkeitswerte und ihre Empfänger
darzulegen;
VII. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.134,55 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
24
Sie verwende Wohnort, Alter/Geburtsdatum und Geschlecht der Betroffenen nur zur Identifizierung, nicht zur Scoreberechnung. Konkret für die Klägerin gehe dies auch aus Anlage K1/B2 hervor (n/a in den betreffenden Spalten). Geoscoring finde nur statt, wenn keine anderen Angaben vorlägen, also nicht bei der Klägerin.
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Sie selbst treffe keine Entscheidungen, teile lediglich den Kunden den Scorewert mit. Damit es sich um eine Art. 22 DS-GVO unterfallende automatisierte Entscheidung handele, müsse die Klägerin darlegen und beweisen, dass ein von der Beklagten berechneter Scorewert im Einzelfall der Entscheidung eines konkreten Kunden über den Abschluss, die Durchführung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses mit der Klägerin „maßgeblich“ zugrunde gelegt wurde und dass die Klägerin dadurch eine erhebliche Beeinträchtigung erlitten habe. Sie habe ihre Kunden vertraglich verpflichtet, den Scorewert nicht automatisiert weiter zu verarbeiten.
26
Das Gericht hat die Klägerin angehört, aber keinen weiteren Beweis erhoben. Auf die Sitzungsniederschrift wird zur Anhörung verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist teilweise unzulässig (Anträge I-III) im Übrigen aber teilweise begründet.
I.
28
„Vor der Klammer“ ist dazu auszuführen:
29
1. Die Tätigkeit der Beklagten unterfällt Art. 22, 6 DSGVO.
30
Bereits der von der Beklagten errechnete Scorewert kann eine Entscheidung i.S.d. Art. 22 DSGVO sein (so explizit EuGH NJW 24, 413 [415, RN 46]).
31
Unstreitig ist, dass bei der Beklagten der Wert automatisiert berechnet wird. Auszuscheiden sind bereits aber hier alle Fälle, in denen die Beklagte ihren Kunden gar keinen Score mitgeteilt hat (Einträge „ohne Score“ in der Tabelle der Anlagen K1/B2).
32
An dieser Stelle muss auch festgehalten werden, dass es sich bei einem Scorewert entgegen früherer BGH-Rechtsprechung keineswegs um eine rechtlich privilegierte Meinungsäußerung handeln kann; Computerprogramme sind keine Rechtsträger des Art. 5 Grundgesetz. Abgesehen davon trägt die Beklagte selbst vor, dass es sich bei der Scoreermittlung um das Ergebnis eines wissenschaftlich gesicherten Verfahrens handele, das den Betroffenen zu einer Untermenge der Wirtschaftssubjekte mit prognostiziert gleichem Verhalten zuordnet. Es handelt sich also bereits nach dem Beklagtenvortrag klar um eine Tatsachenbehauptung.
33
Dem Rückzug der Beklagten darauf, dass sie selbst es nicht sei, die die Entscheidung treffe, hat der EuGH (NJW 2024, 413 Rn. 73) eine klare Absage erteilt, nämlich, dass eine „automatisierte Entscheidung im Einzelfall“ im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, wenn ein auf personenbezogene Daten zu einer Person gestützter Wahrscheinlichkeitswert in Bezug auf deren Fähigkeit zur Erfüllung künftiger Zahlungsverpflichtungen durch eine Wirtschaftsauskunftei automatisiert erstellt wird, sofern von diesem Wahrscheinlichkeitswert maßgeblich abhängt, ob ein Dritter, dem dieser Wahrscheinlichkeitswert übermittelt wird, ein Vertragsverhältnis mit dieser Person begründet, durchführt oder beendet.
34
Was also drittens die Voraussetzung betrifft, dass die Entscheidung gegenüber der betroffenen Person „rechtliche Wirkung“ entfalten oder sie „in ähnlicher Weise erheblich“ beeinträchtigen muss, indem das Handeln des Kunden, dem der Wahrscheinlichkeitswert übermittelt wird, „maßgeblich“ von diesem Wert geleitet wird (EuGH NJW 2024, 413 [415, Rn. 48, 50]), so kann aus dem Umstand, dass die Kunden die kostenpflichtigen Dienste der Beklagten in Anspruch nehmen bzw. nach der erteilten Auskunft konkret in Anspruch genommen haben, die widerlegliche Vermutung aufgestellt werden, dass dies der Fall ist. Die Beklagte ist allgemein bekannt nicht eine Auskunftei unter Vielen. Im Gegenteil trägt sie selbst ihre zentrale Rolle als Zusammenschluss von Unternehmen der Kreditwirtschaft vor. Der Beklagtenvortrag im Schriftsatz vom 15.4.2025 ist nicht geeignet, die Vermutung zu widerlegen, es ist nicht nachvollziehbar, dass die Tätigkeit der Beklagten für ihre Kunden als irrelevant bzw. unmaßgeblich dargestellt wird. Es besteht auch kein Anlass zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung, nachdem die Beklagte Beweismittel für eine andere Entscheidungsfindung ihrer Kunden gerade nicht anbietet.
35
Jedenfalls bei einem schlechten Score kann sich die Beklagte auch nicht darauf zurückziehen, dass der Kläger erst nachweisen müsse, dass ein Kunde aufgrund des mitgeteilten Score ohne weitere Überprüfung ein Geschäft mit dem Kläger abgelehnt habe. Aus dem Inhalt der vorgelegten Auskünfte (Anlage K1/B2) spricht dafür der Beweis des ersten Anscheins. Insbesondere im weitgehend automatisierten Betrieb von Massengeschäften wäre es höchst ungewöhnlich, eine ablehnende Entscheidung über die nachteilige S. -Auskunft hinaus noch einmal individuell zu überprüfen. Nur bei darüber hinausgehenden Kreditentscheidungen von erheblichem Gewicht dürfte es üblich sein, selbst eine positive S. -Auskunft nur als ein Kriterium unter mehreren zu betrachten. Das ist hier aber nicht streitgegenständlich.
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Die Klägerin wird durch die vorstehenden Ausführungen aber nicht davon entlastet, zuerst vortragen zu müssen, dass (in Bezug auf eine in der Beklagtenauskunft enthaltene und damit unstreitige) Anfrage der Kunde ein konkretes Geschäft mit ihr abgelehnt hat.
37
Aufgrund der Anhörung der Beklagten ist das Gericht indessen davon überzeugt, dass dies bei al. len in Ziffer I. des Urteilstenors aufgeführten Auskünften der Beklagten der Fall gewesen ist. Das Gericht ist die Liste der unstreitig von den Banken angeforderten und ihnen von der Beklagten erteilten Auskünfte (Anlage K1, B2) ausführlich mit der Klägerin durchgegangen, die Klägerin hat jeweils berichtet, dass sie versucht habe, einen Verbraucherkredit zu erlangen, dass dieser jedoch abgelehnt wurde, teilweise ohne Erklärung, teilweise sogar mit einem Verweis auf den schlechten S. -Score. Dabei hat die Klägerin selbst einzelne Vorfälle ausgeschieden. Die Beklagte hat die Vorfälle nur mit Nichtwissen bestritten. Es ist fraglich, ob dies überhaupt zulässig ist, nachdem mit den anfragenden Kunden ein Vertragsverhältnis besteht und die Beklagte sich ohne weiteres hätte informieren können, soweit nicht schon in der Anfrage des Kunden genannt ist, wieso angefragt wird. Dies kann indes dahinstehen. Nachdem Auskünfte der Beklagten sich nicht aus dem Nichts generieren, im Gegenteil die Anfragen der jeweiligen Kunden unstreitig sind, reicht dem Gericht die glaubhaft vorgetragene Auskunft der Klägerin bei ihrer Anhörung aus. Nachdem weder Klägerin noch Beklagte weitere Beweismittel zu dieser Frage anboten, war der Terminsvortrag der Klägerin auch keinesfalls verspätet.
2. Ausnahmen nach Art. 22 Abs. 2 DSGVO sind nicht gegeben
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In keinem Fall ist ein Vertrag zwischen den Parteien gegenständlich (lit. a).
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Es gibt keine wirksame Gestattungsnorm (lit. b). § 31 BDSG ist nicht anwendbar, der EuGH hat in der zitierten Entscheidung dem nationalen Gericht die Beurteilung überlassen, ob diese Vorschrift europarechtskonform ist bzw. eine selbständige Erlaubnisnorm über das Europarecht hinaus darstellen kann oder nicht; sie ist es nicht, der Sachverhalt ist in Art. 22, 6 DSGVO abschließend geregelt (Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, Datenschutzrecht-Ehmann, RN 6 zu § 31 BDSG m.w.N.). Die durch die EuGH-Entscheidung veranlasste Gesetzesänderung (§ 37a (neu) BDSG) ist in der Amtsperiode des 20. Bundestags nicht zur Beschlussfassung gelangt.
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Zu einer Einwilligung (lit.c) ist nicht vorgetragen.
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3. Die Beklagte hält Art. 22 Abs. 3 DSGVO nicht ein.
42
Nach dieser Vorschrift müsste die Beklagte angemessene Maßnahmen treffen, um die Rechte und Freiheiten sowie die berechtigten Interessen des Betroffenen zu wahren, wozu mindestens das Recht auf Erwirkung des Eingreifens einer Person seitens der Beklagten, auf Darlegung des eigenen Standpunkts des Klägers und auf Anfechtung der Entscheidung gehört. Das ist im Ablauf der Beklagten für den Vorgang der Scoreberechnung bislang nicht vorgesehen. (Davon zu unterscheiden ist die Möglichkeit, die verwendeten Eingangsdaten einzeln infrage zu stellen, zu berichtigen oder löschen zu lassen, die unstreitig gegeben ist.)
43
4. Die Beklagte hält Art. 15 Abs. 1 lit. I DSGVO nicht ein.
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Nach dieser Vorschrift ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger anhand der maßgeblichen Informationen in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form das Verfahren und die Grundsätze zu erläutern, die bei der automatisierten Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zur Gewinnung eines bestimmten Ergebnisses – beispielsweise eines Bonitätsprofils – konkret angewandt wurden. (EuGH NZA 2025, 413 [416, RN 66]). Dem werden die Auskünfte Anlage 1 und 5a nicht gerecht. Insbesondere geht nicht präzise, transparent, verständlich daraus hervor, welche der vorhandenen Informationen sich in welche Richtung und wie stark auf den Score auswirken.
II.
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Zu den einzelnen Klageanträgen
1.1.
zum Feststellungsantrag
Der Feststellungsantrag ist auch als Zwischenfeststellungsantrag nicht zulässig, da er nicht Bezug nimmt auf eine konkrete Scoreerstellung und Übermittlung des Score an den Kunden. Vereinfacht gesagt: solange die Beklagte nicht einen bestimmten Score an einen bestimmten Kunden mitteilt, bei dem dieser Score eine erhebliche Wirkung auf eine wirtschaftliche Entscheidung hat, kann die Beklagte Scores errechnen, wie sie lustig ist. Falls sie einen Score an einen Kunden mitteilt und dabei die Regularien nach Art. 22,15 DSGV einhält, ist dies nicht rechtswidrig. Ohne Bezug auf einen konkreten Einzelfall kann das Gericht eine allgemeine Feststellung nicht treffen.
2.2.
Zum Antrag, Scorewerte nicht ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhend zu berechnen
Der Antrag ist in dieser Form unzulässig. Ob eine Scoreberechnung durch automatisierte Verarbeitung bei der Beklagten zulässig oder unzulässig ist, hängt vom konkreten Einzelfall ab. Das Vorliegen dieser Umstände im Einzelfall wäre jeweils im Vollstreckungsverfahren zu überprüfen, was den maßgeblichen Kern der Sache dorthin verlagert.
3.3.
Zum Antrag, ausschließlich Werte mitzuteilen, die nicht ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhen
Auch dieser Antrag ist unzulässig, es gilt mutatis mutandis das zum vorangehenden Antrag ausgeführte.
4.4.4.4.
Der Schadensersatzantrag ist zulässig und zum Teil aus Art. 82 DSGVO begründet. Die Beklagte hat, wie dargelegt, in einer Vielzahl von Einzelfällen gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 und 22 DSGVO verstoßen.
Es geht hier nicht um einen materiellen Schaden, es ist durchaus denkbar, dass ein vorschriftsmäßiges Vorgehen genauso zu einer Ablehnung der Kreditanträge geführt hätte.
Es geht um das Ohnmachtsgefühl eines einer automatisierten Datenverarbeitung Unterworfenen, der sich zudem nicht sicher sein kann, welche seiner Daten in welcher Weise für oder gegen ihn sprechen und wie er sich verhalten soll. Das übersteigt eine bloße Befindlichkeit, sondern hat konkrete Auswirkungen auf die Lebensqualität und geistige Gesundheit des Betroffenen. Die Klägerin hat dieses Gefühl überzeugend artikuliert.
Aufgrund der Vielzahl der Verstöße einerseits, des bereits erörterten Umstands andererseits, dass die Klägerin auch bei vorschriftsmäßigen Vorgehen der Beklagten mit einiger Wahrscheinlichkeit kein besseres Ergebnis hätte erzielen können, hält das Gewicht einen Schadenersatzbetrag von 3000 EUR für angemessen und ausreichend.
5.5.5.5.
Zum Unterlassungsantrag hinsichtlich der Verwendung bestimmter Daten
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte hat bestritten, diese Daten (mit einer Ausnahme, dazu unten) zur Berechnung des Scorewerts verwendet zu haben. Daten zu a bis c sind nach dem Inhalt der erteilten Auskunft für die Kläger außerdem gar nicht erfasst. Damit liegt eine Erstbegehung nicht vor.
Soweit es um „Geoscoring“ geht, liegt ebenfalls keine Erstbegehung zulasten der Klägerin vor. Die Beklagte hat sich unwidersprochen dahingehend eingelassen, dass dieses zum Einsatz kommt wenn sie im Versandhandel um Auskünfte zu Personen gebeten wird, die ihr unbekannt sind. Ob dies zulässig ist, kann dahinstehen. Zu diesem Personenkreis gehört die Klägerin nicht, die Beklagte hat Anschrift und Girokontodaten.
Soweit es um die Anzahl bisheriger Anschriften geht, ist fraglich, ob dies durch „Anschriftendaten“ von Klägerseite gemeint ist; jedenfalls aber ist nicht ersichtlich, weshalb dieses Datum nicht in eine Scoreberechnung Eingang finden könnte. Hier fehlt es jedenfalls an der Rechtswidrigkeit. Die Beklagte hat unwidersprochen ausgeführt, dass Personen, die häufig umziehen, häufig auch für die Gläubiger nicht erreichbar sind oder Zahlungen ausfallen lassen.
6.
Der Auskunftsantrag ist zulässig und zum Teil begründet. Das Gericht sieht die in Ziffer 1 des Tenors ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten als – den berechtigten Interessen der Beklagten Rechnung tragendes – minus zu den weitergehenden Anträgen der Klägerin.
46
Zu den Unterbuchstaben c, d und g hat die Beklagte bereits Auskunft erteilt.
47
Zu lit. f bedarf es keiner Auskunft. Ein Wahrscheinlichkeitswert ist ein Wahrscheinlichkeitswert. Abgesehen davon ist es nicht Sache der Beklagten, sondern ihrer Kunden, den Wert zu gewichten.
48
Interessant sind lit. a, b und e. Zunächst gilt, dass auch insoweit eine Auskunft nur verlangt werden kann, als tatsächliche Einzelfälle vorliegen, in denen der von der Beklagten errechnete Wert beim Kunden maßgeblich verwendet wurde. Dann aber – also in den in Ziffer I des Urteilstenors genannten Fällen – ist die in EuGH NZA 2025, 413 angesprochene Situation gegeben.
49
Das Gericht hält dafür, dass für jeden dieser Fälle die Beklagte dem Kläger nicht nur den berechneten Score vorlegt, sondern auch die zugrunde gelegten Ausgangsdaten zusammen mit einem für jedes verwendete Datum anzugebenden Wert, wie sich der Score ohne Berücksichtigung dieses Wertes verändert hätte (angesprochen vom EuGH in der zitierten Entscheidung Randnummer 62). Das Gericht hält diese Art der Auskunft als ausreichend transparent und nachvollziehbar, weil sie insbesondere den Betroffenen dazu ermächtigt, sich negativ auswirkende Handlungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Mit der rein mathematischen Herleitung im Sinne einer algorithmischen Rechenvorschrift dagegen kann der Betroffene gar nichts anfangen, eventuell am Geschäftsgeheimnis der Beklagten interessierte Dritte sehr wohl. Umgekehrt ist nicht ersichtlich, dass die hier vom Gericht dem EuGH folgend vorgeschlagene Art der Beauskunftung Geschäftsgeheimnisse der Beklagten so offenbart, dass Dritte zum Nachbau der von der Beklagten eingerichteten Datenverarbeitung in der Lage sind; ohnehin dürfte sich die geschäftliche Stellung der Beklagten weniger auf das errichtete Programmsystem stützen, als vielmehr auf die Vielzahl der Kunden, die regelmäßig Daten einmelden. Auch der pauschale Verweis der Beklagten auf ihr Geschäftsgeheimnis im Schriftsatz vom 15.4.2025 steht dem nicht entgegen. Im Gegenteil hat die Beklagte angekündigt, in künftigen Fällen in vergleichbarer Weise Auskünfte erteilen zu wollen.
50
7. Für die Verfolgung nicht gegebener Ansprüche können außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten nicht geltend gemacht werden, nur aus dem Erfolgswert von 4000 EUR entsprechend 453,87 EUR Anwaltskosten.
III.
Nebenentscheidungen: §§ 3, 92, 709 ZPO.