Inhalt

OLG Nürnberg, Endurteil v. 25.03.2025 – 3 U 936/24
Titel:

Vitaminbonbons

Normenkette:
HCVO Art. 10 Abs. 1, Abs. 3
Leitsätze:
1. Ein wesentliches Kriterium für die Unterscheidung zwischen spezifisch gesundheitsbezogenen Hinweisen i.S.v. Art. 10 Abs. 1 HCVO und unspezifischen Hinweisen i.S.v. Art. 10 Abs. 3 HCVO ist, ob die Aussage eine abschließende, wissenschaftliche Genauigkeit in Anspruch nehmende Information beinhalten oder nur schlagwortartig auf entsprechende Wirkzusammenhänge aufmerksam machen soll.
2. Den Anforderungen, die sich aus der visuellen Dimension des „Beifügens“ i.S.v. Art. 10 Abs. 3 HCVO ergeben, ist nicht schon genügt, wenn durch einen Sternchenhinweis ein Bezug zwischen der unspezifischen Angabe und der spezifischen Angabe hergestellt wird. Ein solcher Sternchenhinweis kann nur das gebotene Mittel sein, um bei einer ausnahmsweise (wegen besonderer Anzahl oder Länge der Angaben) gestatteten räumlichen Trennung die Verbindung in der gebotenen Weise herzustellen, legitimiert aber für sich genommen nicht eine räumliche Trennung.
3. Durch eine Ersetzung des Wortes „normal“ durch „gesund“ bei gesundheitsbezogenen Angaben aus dem Anhang zur VO (EU) 432/2012 droht bei Vitaminbonbons keine Fehlvorstellung darüber, dass der Verzehr eine Heilung von Krankheiten bewirken könne.
Schlagworte:
Verbraucherschutz, gesundheitsbezogene Angaben, Irreführung, Verpackungsgestaltung, Koppelungspflicht, Aufbrauchfrist, Abmahnkosten
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 18.04.2024 – 19 O 4187/23
Fundstelle:
GRUR-RS 2025, 12694

Tenor

I. Auf die Berufungen der Parteien wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18. April 2024, Az. 19 O 4187/23, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, diese zu vollstrecken an den Geschäftsführern der Beklagten, zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern vitaminhaltige Bonbons mit der kombinierten Angabe der Bezeichnung „ImmunStark“ und der Aussage „Vitamin C, B6, B9 und B12 tragen zu einer gesunden Funktion des Immunsystems bei“, zu bewerben bzw. bewerben zu lassen, wenn dies geschieht wie nachfolgend abgebildet:
2. Die Verurteilung aus Ziffer 1. verpflichtet die Beklagte nicht, bereits veräußerte und sich noch im Handel befindliche Produktpackungen zurückzurufen, sofern die Beutel vor dem 1. Mai 2024 befüllt und vor 30. September 2024 von der Beklagten in den Handel gebracht wurden.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 260,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. Mai 2023 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen werden die Berufungen des Klägers und der Beklagten zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3.
IV. Das vorliegende Endurteil ist – auch, soweit es das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18. April 2024, Az. 19 O 4187/23 aufrechterhält – vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung wegen der Verurteilung zur Unterlassung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 8.500,00 €, abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in dieser Höhe leistet. Wegen der Zahlungspflicht und der Kostentragungspflicht können beide Parteien die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110% des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Gläubigerseite Sicherheit i.H.v. 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird für die Beklagte zugelassen, soweit sie zur Unterlassung verurteilt wurde (Ziffer I. 1).
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 25.000,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten um die Zulässigkeit der Gestaltung einer Verpackung von gefüllten Vitaminbonbons, insbesondere der dort präsentierten Angaben.
2
Der Kläger ist ein in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverband. Die Beklagte stellt seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Bonbons u.a. mit symptomlindernden Effekten her und vertreibt diese unter der Markenbezeichnung „“.
3
Die Beklagte begann im Jahr 2023 Herstellung und Vertrieb von Vitaminbonbons der Sorte „Vitamin Shot“. Auf der Vorderseite der (im Tenor wiedergegebenen) Tütenverpackung üblicher Größe ist unter der Markenbezeichnung „®“ die Angabe „ImmunStark*“ angebracht und darunter, in größerer und andersfarbiger Schrift, der Name des Produkts „Vitamin Shot“. Auf der Rückseite der insgesamt in einem Violett-Ton gehaltenen Verpackung ist in einem weiß unterlegten, kastenartigen Textfeld angegeben: „® ImmunStark* mit ausgewählten Vitaminen: * Vitamine C, B6, B9 und B12 tragen zu einer gesunden Funktion des Immunsystems bei…“ [es folgt die Angabe zur Verzehrmenge].
4
Der Kläger, dem dieser Sachverhalt am 23. April 2023 bekannt wurde, hat die Beklagte unter dem 26. April 2023 abgemahnt. Bemühungen um eine Verständigung auf eine strafbewehrte Unterlassungserklärung mit einem für beide Seiten akzeptablen Inhalt führten zu keinem Erfolg. Der Kläger begehrt, gestützt auf das UWG und hilfsweise auf das UKlaG, die Beklagte ordnungsmittelbewehrt zu verurteilen, es zu unterlassen, das Produkt mit der Bezeichnung „ImmunStark“ und/oder der Aussage „Vitamin C, B6, B9 und B12 tragen zu einer gesunden Funktion des Immunsystems bei“ zu bewerben, wenn dies in der dargestellten Weise geschieht. Er verlangt ferner Erstattung der Abmahnkosten, die er auf Grundlage seines eigenen Bearbeitungsaufwands mit 260,00 € beziffert hat. Nach Auffassung des Klägers stellen beide Aussagen spezifische gesundheitsbezogene Angaben i.S.v. Art. 10 Abs. 1 HCVO dar, die sich so nicht in der Liste der nach der HCVO zugelassenen Aussagen (Anhang zur VO (EU) 432/2012) finden. Insbesondere dürfe das dort in den zugelassenen Aussagen für die Vitamine B6, B9, B12 und C vorgesehene Wort „normal“ nicht durch „gesund“ ausgetauscht werden. Die Aussagen seien zudem krankheitsbezogen und zugleich irreführend. Die Beklagte meint demgegenüber, „Immunstark“ sei nicht auf bestimmte Körperfunktionen bezogen und daher eine unspezifische Angabe i.S.d. Art. 10 Abs. 3 HCVO. Die zugeordnete Aussage „Vitamine C…“ entspreche inhaltlich der für die genannten Vitamine in der Liste zugelassenen Aussagen; das in den zugelassenen Aussagen jeweils vorgesehene Wort „normal“ dürfe durch „gesund“ ersetzt werden, weil sich daraus keine abweichende Bedeutung ergebe.
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Das Landgericht hat die Beklagte zur Unterlassung einer kumulativen Verwendung der Bezeichnung „ImmunStark“ und der Aussage „Vitamin C, B6, B9 und B12 tragen zu einer gesunden Funktion des Immunsystems bei“ verurteilt, die Anträge hinsichtlich der isolierten Verwendung einer der beiden jedoch abgewiesen. Dementsprechend hat es dem Kläger 2/3 der Verfahrenskosten auferlegt und ihm Auslagenerstattung lediglich im Umfang von 1/3 der begehrten Höhe (86,66 €) zuerkannt. „ImmunStark“ sei eine spezifische gesundheitsbezogene Angabe i.S.v. Art. 10 Abs. 1 HCVO, weil sie einen unmittelbaren Wirkungszusammenhang zwischen den Bonbons bzw. den darin enthaltenen Inhaltsstoffen und dem Immunsystem herstelle. Zudem stelle die Angabe eine nicht erlaubte krankheitsbezogene Information und Werbung dar. Dies führe dazu, dass die kombinierte Verwendung beider Angaben unzulässig sei. Ein Unterlassungsanspruch allein gegen die Aussage „ImmunStark“ sei nicht gegeben, weil es an einer Wiederholungsgefahr fehle. Die Beklagte habe die Aussage bislang nie in Alleinstellung verwendet; der Verkehr sei es gewohnt, in dem Sternchenhinweis eine Bezugnahme auf eine andernorts erfolgte Angabe zu sehen. Die Aussage „Vitamine C…“ sei demgegenüber zulässig, da die veränderte Wortwahl den Aussagegehalt nicht entscheidend verändere. Auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 7 Abs. 3 LMIV ergäben sich keine weitergehenden Ansprüche des Klägers.
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Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien selbstständig Berufungen eingelegt; sie verfolgen damit jeweils ihre erstinstanzlichen Anträge weiter, soweit ihnen nicht entsprochen wurde.
7
Der Kläger hält die Ersetzung von „normal“ durch „gesund“ weiter für relevant, weil die in der Liste zugelassene Formulierung bedeute, dass die Vitamine bei gesunden Verbrauchern eine Funktionsunterstützung bewirken, während das Adjektiv „gesund“ impliziere, dass eine Funktionsunterstützung auch bei einem nicht-gesunden Immunsystem erfolge. Der Verbraucher meine, das Immunsystem werde erst durch Einnahme der Nährstoffe gesund. Generell sei bei der Zulassung abweichender Formulierungen ein strenger Maßstab geboten, und die Verwendung divergierender Formulierungen geeignet, den Verbraucher zu verwirren. Das Landgericht habe auch zu Unrecht eine Wiederholungsgefahr oder eine Erstbegehungsgefahr hinsichtlich der isolierten Verwendung von „Immunstark“ verneint, weil die Bezeichnung sich unmittelbar unter dem Produktnamen befinde und der Sternchenhinweis nicht so deutlich hervortrete, dass die Aussage als unselbstständiger Teil einer Gesamtaussage erscheine. Die Bezeichnung stelle letztlich eine Blickfangangabe dar. Jedenfalls müsse die Erstbegehungsgefahr deshalb angenommen werden, weil die Beklagte die Zulässigkeit der Bezeichnung verteidigt hat. Unabhängig hiervon hätten die Abmahnkosten in voller Höhe zugesprochen werden müssen.
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Die Beklagte greift mit ihrem Rechtsmittel die Wertung des Landgerichts an, „ImmunStark“ sei eine spezifische Angabe i.S.v. Art. 10 Abs. 1 HCVO; sie ähnle den Bezeichnungen „lernstark“ oder „herzgesund“, die der BGH als unspezifische Angabe i.S.v. Art. 10 Abs. 3 HCVO eingeordnet hat bzw. in der Literatur als unspezifisch angesehen würden. Es fehle an dem Erfordernis, dass ein Zusammenhang gerade zwischen einem bestimmten Nährstoff und dem gesundheitsfördernden Effekt behauptet werde. Zudem nehme „immun“ nicht erkennbar auf das menschliche Immunsystem Bezug; das Immunsystem sei auch ein komplexes Ineinanderwirken mehrerer konkreter Körperfunktionen und damit nicht selbst eine Körperfunktion i.S.v. Art. 10 Abs. 1 HCVO. Dementsprechend habe die EFSA in „Schutz des Immunsystems“ eine allgemeine und unspezifische Angabe erblickt. Zumindest sei der Beklagten eine ausreichend lange Aufbrauchfrist zuzubilligen, weil sich die Produkte mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum 2026 bereits im Handel befänden und ein Rückruf erhebliche Kosten auslösen sowie zu einer Vernichtung der Produkte zwingen würde. Auf den Hinweis des Senats, der visuellen Komponente der Koppelungspflicht sei möglicherweise nicht entsprochen, hat die Beklagte mit Ausführungen zur Werbefreiheit, der Notwendigkeit einer Änderung der Produktaufmachung und Unterschieden zu den ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs erwidert.
9
Der Senat hat zur Sache mündlich verhandelt und die maßgeblichen Aspekte mit den Parteien erörtert; eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. Im Übrigen wird zur Darstellung des Sachverhalts auf den Tatbestand der angegriffenen Entscheidung sowie die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen; zur näheren Darstellung des tatsächlichen und rechtlichen Vorbringens wird ebenfalls auf die Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
II.
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Die zulässigen Berufungen der Parteien haben jeweils nur in geringem Umfang Erfolg.
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1. Der Senat kann mangels Relevanz dahinstehen lassen, ob – wie es das Landgericht unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des OLG Hamm angenommen hat – Ansprüche aus dem UWG jeweils einen anderen Streitgegenstand im Verhältnis zu Ansprüchen aus dem UKlaG bilden (für eine Identität Regenfus, WRP 2025, 1 (8, Rn. 47)). Der Kläger hat jedenfalls auf die Aufforderung des Landgerichts erklärt, dass er seine Anträge vorrangig auf das UWG und nur hilfsweise auf das UKlaG stützt, sodass die im Falle einer alternativen Klagehäufung erforderliche Angabe der Reihung erfolgt ist. In der Sache kommt es sowohl für den Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG als auch den Unterlassungsanspruch aus § 2 UKlaG darauf an, ob die Bezeichnung „ImmunStark“ und/oder die Angabe „Vitamin C…“ mit den Vorgaben der HCVO und der LMIV vereinbar sind.
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2. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg, soweit sie sich gegen das ausgesprochene Verbot einer kombinierten Verwendung der Bezeichnung „ImmunStark“ und der Aussage „Vitamin…“ wendet; ihr war lediglich die erstmals im Berufungsrechtszug begehrte Aufbrauchfrist zu gewähren.
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a) Der Senat neigt allerdings dahin, „ImmunStark“ abweichend von der Ansicht des Landgerichts als nichtspezifische gesundheitsbezogene Angabe Art. 10 Abs. 3 HCVO einzuordnen.
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aa) Uneingeschränkt zutreffend erscheint der Ausgangspunkt des Landgerichts, dass das Kunstwort „ImmunStark“ im vorliegenden Kontext eine Verbindung zum menschlichen Immunsystem herstellt.
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(1) Eine gesundheitsbezogene Angabe liegt nach der Legaldefinition des Art. 5 Abs. 2 Nr. 5 HCVO vor, wenn erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, es bestehe ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits; auch der Begriff des Zusammenhangs ist dabei weit zu verstehen und erfasst jeden Zusammenhang, der eine Verbesserung des Gesundheitszustands anhand des Verzehrs des Lebensmittels impliziert (BGH, Urteil vom 7. April 2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 19 – Repair-Kapseln; BGH, Beschluss vom 12. März 2015 – I ZR 29/13, GRUR 2015, 611 Rn. 29 – RESCUE-Produkte; BGH, Urteil vom 10. Dezember 2015, I ZR 222/13, GRUR 2016, 412, Rn. 20 f. – lernstark m.w.N.).
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(2) Ohne Erfolg weist die Berufung der Beklagten darauf hin, dass das Adjektiv „immun“ lediglich allgemein „unempfindlich, widerstandsfähig, gefeit“ bedeutet sowie in juristischen Kontext auch „Immunität genießend, unantastbar“ ausdrückt. Denn ein Bezug zum menschlichen Immunsystem besteht gleichwohl.
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Bei Produkten, die zum menschlichen Verzehr bestimmt sind, stellt der Verbraucher einen solchen Zusammenhang zu Körper und Körpervorgängen ohne Weiteres von selbst her. Es liegt fern, bei einem solchen Produkt das Wort „immun“ gedanklich mit der Immunität von Parlamentsmitgliedern, ausländischen Staaten oder deren Vertretern in Verbindung zu bringen, weil es auch für den Durchschnittsverbraucher ausgeschlossen erscheint, dass durch den Verzehr von vitaminhaltigen Süßwaren solche Vorrechte erworben oder verstärkt werden könnten. Demgegenüber impliziert der Hinweis auf ein starkes Immunsein gerade dann, wenn er im Zusammenhang mit allgemein als gesundheitsfördernd bekannten Substanzen wie Vitaminen gebraucht wird (was vorliegend im selben Blickfang durch die Bezeichnung der Bonbonsorte mit „Vitamin Shot“ geschieht), klar, dass sich der Verzehr positiv auf das menschliche Immunsystem, d.h. die mit der Abwehr von Krankheitserregern befassten Organe und Prozesse, auswirke.
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bb) Irrelevant ist auch, dass der Begriff „ImmunStark“ für sich genommen nicht auf eine Eigenschaft des Lebensmittels hinweist. Es genügt, dass ein Begriff von den angesprochenen Verkehrskreisen bei der in Rede stehenden Verwendung im Zusammenhang mit einer anderen Angabe dahin verstanden wird, dass bestimmte körperliche Fähigkeiten gestärkt oder verbessert werden (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2015, I ZR 222/13, GRUR 2016, 412, Rn. 18 – lernstark m.w.N.).
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cc) Die Aussage dürfte als nichtspezifische Angabe i.S.v. Art. 10 Abs. 3 HCVO einzuordnen sein.
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(1) Für die Unterscheidung ist von folgenden Grundsätzen und Kriterien auszugehen:
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(a) Wesensgemäß für einen Verweis auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Nährstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden (Art. 10 Abs. 3 HCVO) ist regelmäßig, dass dieser das Bezugsobjekt und/oder den Wirkbezug nicht eindeutig benennt (Hüttebräuker, in: Holle/Hüttebräuker, 1. Aufl. 2018, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 52). (Spezifische) gesundheitsbezogene Angaben gem. Art. 10 Abs. 1 HCVO können nur solche Aussagen sein, bei denen eine wissenschaftliche Bewertung möglich ist, um eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zu bestätigen oder zu verneinen; nur für solche kommt ein Zulassungsverfahren in Betracht, während dies bei Angaben i.S.v. Art. 10 Abs. 3 HCVO wegen ihrer allgemeinen Formulierung nicht überprüfbar ist (BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – I ZR 36/11, GRUR 2015, 403, Rn. 36 – Monsterbacke II; BGH, Beschluss vom 12. März 2015 – I ZR 29/13, GRUR 2015, 611 Rn. 29 – RESCUE-Produkte; BGH, Urteil vom 7. April 2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 24 – Repair-Kapseln; Rathke/Hahn, in: Sosnitza/Meisterernst, 188. EL November 2023, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 34; Hüttebräuker, in: Holle/Hüttebräuker, 1. Aufl. 2018, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 52). Ein Verweis auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile für die Gesundheit liegt mithin vor, wenn die Wirkung des Stoffes oder des Lebensmittels für die Gesundheit nicht durch Benennung der jeweiligen konkreten körperlichen Funktion angegeben wird.
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(b) Der Umstand, dass der Zusammenhang nur in allgemein gehaltenen Begriffen umschrieben wurde, schließt allerdings nicht aus, dass eine Angabe eine spezifische gesundheitsbezogene Angabe darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 7. April 2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 25 – Repair-Kapseln). Für die Behauptung eines bestimmten Wirkungszusammenhangs zwischen den Produkten und Körperfunktionen genügt es beispielsweise, dass diese zu einer „tollen Haut, einem völligen Haar, festen Fingernägeln führen und die Herzmuskelzellen in guter Laune halten“ sollten (BGH, Urteil vom 7. April 2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 26 – Repair-Kapseln).
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(c) Als unspezifisch bewertet wurden die Angaben „Schutz des Immunsystems“ (durch die EFSA, die aus diesem Grund ein Zulassungsverfahren für einen solchen Claim abgelehnt hat, vgl. Nw. in der Berufungsbegründung S. 7), „für den Stoffwechselprozess (Glukose/Koffeinzufuhr)“ und „Erhalt der normalen Muskelfunktion“ (vgl. Rathke/Hahn, in: Sosnitza/Meisterernst, 188. EL November 2023, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 36), ferner Auslobungen wie „gut für das Wohlbefinden in der Rekonvaleszenz“ oder „für Gesundheit und Wohlbefinden“ (Rathke/Hahn, in: Sosnitza/Meisterernst, 188. EL November 2023, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 37). Dasselbe gilt für Formulierungen wie „für die Gesundheit“, „mit… lebst du gesund“ oder „herzgesund“ (Rathke/Hahn, in: Sosnitza/Meisterernst, 188. EL November 2023, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 34).
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Auch die Bezeichnung „Gelenk-Tablettenplus“ wurde als nichtspezifische gesundheitsbezogene Angabe angesehen, weil sie nicht auf bestimmte, die Gesundheit unterstützende Körperfunktionen Bezug nimmt; behauptet wird nur ein positiver Einfluss auf die Funktion von Körpergelenken, ohne dass jedoch erkennbar wird, in welcher (konkreten) Weise sich die Gelenkgesundheit verbessern soll (OVG Magdeburg, BeckRS 2018, 25176; zustimmend Rathke/Hahn, in: Sosnitza/Meisterernst, 188. EL November 2023, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 37a). Außerdem wurden als nicht spezifisch qualifiziert die Werbung mit „vitalisierend“ für alkoholfreies Bier und die Claims für Bachblütenpräparate „wird gerne in emotional aufregenden Situationen, z. B. im Job, verwendet“ und „…können uns unterstützen, emotionalen Herausforderungen zu begegnen“ (Rathke/Hahn, in: Sosnitza/Meisterernst, 188. EL November 2023, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 37b). Ebenso verweise „RESCUE“ nur auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile, weil keine konkreten Wirkungen für bestimmte Körperfunktionen angegeben werden (BGH, Beschluss vom 12. März 2015 – I ZR 29/13, GRUR 2015, 611 Rn. 30 – RESCUE-Produkte). Als unspezifisch wurden auch Aussagen eingeordnet wie „B-Vitamine für Gehirn, Nerven, Konzentration und Gedächtnis“, da nicht einer bestimmten Substanz eine konkrete Wirkung für bestimmte Körperfunktionen zugesprochen werde und die Angabe wegen ihrer Unbestimmtheit erkennbar keine vollständige Information enthalte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Juni 2016 – 15 U 8/15, GRUR-RS 2016, 21228; bestätigt in BGH, Urteil vom 25. Juni 2020 – I ZR 162/16, GRUR 2020, 1007, Rn. 23 f. – B-Vitamine II; zustimmend Hüttebräuker, in: Holle/Hüttebräuker, 1. Aufl. 2018, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 52).
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Dagegen wurde der Claim „Gut für die Stimme“ in der Werbung für ein Hustenbonbon als spezifische Angabe eingeordnet, da sie dem angesprochenen Verkehr suggeriere, das Produkt sei der Stimme bzw. dem Stimmapparat förderlich, ohne dass auf die konkreten Inhaltsstoffe der jeweiligen Produktvariante abgestellt wurde, und ebenso die Produktbezeichnung „ArterioClean“, weil ihr die sprachliche Bedeutung zukomme, Arterien zu reinigen (vgl. Rathke/Hahn, in: Sosnitza/Meisterernst, 188. EL November 2023, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 37b). Zudem hat der BGH die Bezeichnungen „und dieses Produkt macht schlau“ und „es hilft Leuten, sich besser zu erinnern“ als spezifische gesundheitsbezogene Angaben eingeordnet (vgl. bei Hüttebräuker, in: Holle/Hüttebräuker, 1. Aufl. 2018, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 52, der zumindest den erstgenannten Claim als unspezifisch ansieht).
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(2) Danach dürften die besseren Gründe dürften dafür sprechen, die Bezeichnung „ImmunStark“ als unspezifisch i.S.v. Art. 10 Abs. 3 HCVO einzuordnen.
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(a) Einer Qualifikation als spezifische Angabe dürfte zwar noch nicht entgegenstehen, dass bei der Abwehr von Infektionen eine Vielzahl von Funktionen und Organen (Knochenmark, Thymusdrüse, Milz, Lymphknoten; Immunzellen, Haut und Schleimhäute) zusammenwirken und daher aus medizinischer Sicht „das Immunsystem“ nicht als einheitliches Wirksystem eingeordnet werde.
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Zum einen ist insoweit die Sicht des Verbrauchers maßgeblich, der von der Aufmachung angesprochen wird. Dieser dürfte als medizinischer Laie die Vorstellung haben, es liege ein zwar aus mehreren Komponenten bestehendes, aber durchaus einheitliches Funktionsgefüge zur Abwehr von Infektionen vor. Durch die Wortkomponente „Stark“ liegt zudem – in wesentlich deutlicherer Form als z.B. bei der Bezeichnung „Gelenktabletten“ – ein Hinweis auf einen die Wirkung verbessernden Effekt vor. Hieraus folgt zugleich, dass – anders als es bei der Bezeichnung „lernstark“ angenommen wurde, weil ein erfolgreiches Lernen eine Mehrzahl von Voraussetzungen aufweist, insbesondere Konzentration und Intelligenz (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2015, I ZR 222/13, GRUR 2016, 412, Rn. 31 – lernstark) – ein deutlicher Bezug zu einer Körperfunktion hergestellt wird.
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Zum anderen greift der europäische Normsetzer bei den zugelassenen Angaben in der Liste zu Art. 10 Abs. 1 HCVO selbst auf die Formulierung „Immunsystem“ zurück, obwohl die dort aufgeführten Aussagen den Anspruch erheben, wissenschaftlich fundiert zu sein. Aus Sicht der maßgeblichen Stellen und Behörden gibt es damit „das Immunsystem“, jedenfalls insoweit, als dieses durch die genannten Stoffe positiv beeinflusst werden kann.
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(b) Jedoch lässt sich der Bezeichnung weder unmittelbar noch mittelbar entnehmen, welcher konkrete Inhaltsstoff der Bonbons diese positive Wirkung herbeiführen soll. Auch in Zusammenschau mit der unmittelbar darunter angebrachten Bezeichnung „VitaminShot“ wird dies nicht klar, weil offen bleibt, welche der Vitamine förderlich für das Immunsystem sein sollen.
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Demgegenüber wurde in der BGH-Entscheidung „lernstark“ die Einordnung als unspezifisch jedenfalls auch damit begründet („zudem“), dass mit der Angabe kein konkreter Nährstoff oder sonstiger Bestandteile des Safts bezeichnet werde, auf denen der behauptete Einfluss zurückgeführt werden kann. Versteht man diese Passage dahin, dass eine spezifische Angabe nur dann vorliegt, wenn sie konkrete Aussagen sowohl über den ausgelösten Effekt als auch den auslösenden Bestandteil enthält, ist vorliegend keine spezifische Angabe gegeben, weil zumindest die letztgenannte Information nicht gegeben ist.
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(c) Die vorliegende Aussage stellt sich auch als weniger konkret dar als die Bezeichnungen, welche in jüngerer Zeit (insbesondere nach Veröffentlichung der Liste zugelassener Angaben) als unspezifisch qualifiziert worden. Insbesondere erscheint der Bezug zu bestimmten Organen und Körperfunktionen in der Aussage „B-Vitamine für Gehirn, Nerven, Konzentration und Gedächtnis“, die vom BGH in zwei Entscheidungen (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2018 – I ZR 162/16, GRUR 2018, 959, Rn. 22 f. – B-Vitamine I; BGH, Urteil vom 25. Juni 2020 – I ZR 162/16, GRUR 2020, 1007, Rn. 23 f. – B-Vitamine II; zuvor OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Juni 2016 – 15 U 8/15, GRUR-RS 2016, 21228; zustimmend Hüttebräuker, in: Holle/Hüttebräuker, 1. Aufl. 2018, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 52) als unspezifisch qualifizierte wurde, nicht als weniger konkret als die vorliegende Wortschöpfung „ImmunStark“.
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(d) Nach dem Verständnis des Senats muss ein wesentliches Unterscheidungskriterium darin liegen, ob die Aussage eine abschließende, wissenschaftliche Genauigkeit in Anspruch nehmende Information beinhalten soll oder nur schlagwortartig auf entsprechende Wirkzusammenhänge aufmerksam machen soll.
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Für diesen Maßstab spricht die Systematik der Regelungen in Art. 10 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 3 HCVO einschließlich der „Koppelungspflicht“. Der europäische Gesetzgeber wollte zwar einerseits sicherstellen, dass nur wissenschaftlich abgesicherte Aussagen über gesundheitliche Wirkungen von Inhaltsstoffen getätigt werden (Art. 10 Abs. 1 HCVO), hat aber den Unternehmen mit Art. 10 Abs. 3 HCVO einen gewissen Freiraum eingeräumt. Danach sind nichtspezifische Hinweise nicht absolut verboten, sondern unter dem Vorbehalt gestattet, dass zugleich eine spezifische, wissenschaftlich geprüfte, zugelassene und in die Gemeinschaftsliste aufgenommene gesundheitsbezogene Angabe präsentiert wird (vgl. Hüttebräuker, in: Holle/Hüttebräuker, 1. Aufl. 2018, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 52, 62; EuGH, Urteil vom 30. Januar 2020, C-524/18, GRUR 2020, 310 Rn. 38 – Dr. Willmar Schwabe). Nichtspezifische Verweise sollen somit durch die zwingende Beifügung einer zugelassenen spezifischen gesundheitsbezogenen Angabe konkretisiert und präzisiert werden. Dies soll die Gefahr einer Irreführung, die sich aus den i.d.R. vagen Formulierungen und der damit einhergehenden Bedeutungsoffenheit ergibt, entgegenwirken (vgl. Hüttebräuker, in: Holle/Hüttebräuker, 1. Aufl. 2018, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 62).
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Als nichtspezifische Verweise i.S.v. Art. 10 Abs. 3 HCVO sind daher insbesondere schlagwortartige Aussagen anzusehen, die plakativ wirken, aber gerade wegen der damit einhergehenden Vagheit – mögen sie auch bestimmte Vorstellungen zu positiven gesundheitlichen Effekten vermitteln – präzisierungs- und ergänzungsbedürftig sind. Aussagen, die erkennbar nicht den Anspruch erheben, in abschließender und wissenschaftlich korrekter Weise über Wirkzusammenhänge zu informieren, sind danach als nichtspezifische Verweise i.S.v. Art. 10 Abs. 3 HCVO einzuordnen. Dies läuft dem Normzweck des Art. 10 HCVO nicht zuwider, weil durch die Koppelungspflicht sichergestellt ist, dass der Verbraucher jedenfalls auch die spezifische Angabe zur Kenntnis nehmen kann und so erfährt, welche positiven Wirkungen genau von welchem der Inhaltsstoffe für welche Körperfunktionen er erwarten darf.
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Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Bezeichnung mit „ImmunStark“ weitestgehend offenlässt, worin genau die positiven Wirkungen liegen sollen. Es wird lediglich pauschal auf eine günstige Wirkung hingewiesen. Auch nach dem Verständnis des angesprochenen Durchschnittsverbrauchers liegt daher eine schlagwortartige, auf Einprägsamkeit abzielende Bezeichnung vor, die nicht den Anspruch erhebt, fundiert und mit wissenschaftlich belegter Richtigkeit darüber zu informieren, welche Bestandteile der Bonbons in welcher Weise und in welcher Intensität im Körper wirken. Er realisiert daher, dass die Bezeichnung auf Werbewirksamkeit, nicht auf sachliche Information hin ausgerichtet ist.
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(e) Der Senat misst zudem der Einschätzung der zuständigen Fachbehörde EFSA ein gewisses Gewicht zu.
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Diese Behörde ist zwar nicht dazu berufen, Aussagen verbindlich zu prüfen und einzuordnen. Da sie die einzige Stelle ist, die auf entsprechenden Antrag über die Zulässigkeit einer spezifischen gesundheitsbezogenen Angabe zu entscheiden hat und dazu als Vorfrage zu klären hat, ob überhaupt eine spezifische Angabe i.S.v. Art. 10 Abs. 1 HCVO vorliegt, kommt ihrer Einschätzung und Handhabungspraxis jedenfalls eine nicht unerhebliche indizieller Relevanz zu. Es ist nämlich davon auszugehen, dass sie den größten Überblick über die genutzten und zur Anmeldung gestellten Aussagen besitzt und eine einheitliche Verwaltungspraxis entwickelt hat, die auch den rechtlichen Vorgaben Rechnung trägt.
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Insoweit unterstützt zumindest der Umstand, dass die EFSA selbst die Angabe „immune system protection“ als unspezifische Angabe i.S.v. Art. 10 Abs. 3 HCVO eingeordnet hat, weil das Immunsystem vielfältige Aufgaben habe, und für Art. 10 Abs. 1 HCVO der spezifische Aspekt der Immunfunktion näher bezeichnet werden müsse, den Standpunkt des Senats. Die Angabe „immune system protection“ wäre jedenfalls nicht weniger spezifisch als „ImmunStark“.
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b) Ebenso würde der Senat einen Verstoß gegen das Verbot gegen Art. 7 Abs. 3 LMIV, nach dem Lebensmitteln keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zugeschrieben werden dürfen oder ein entsprechender Eindruck nicht erweckt werden darf, nicht annehmen. Die Ausführungen unter 4. b) im Zusammenhang mit „gesund“ gelten insoweit entsprechend, insbesondere fehlt es daran, dass der für erforderlich gehaltene Bezug zu einer konkreten Krankheit nicht hergestellt ist.
41
c) Die angegriffene Produktgestaltung entspricht aber selbst dann, wenn man „ImmunStark“ als unspezifische Angabe i.S.v. Art. 10 Abs. 3 HCVO einordnet und einen Krankheitsbezug i.S.v. Art. 7 Abs. 3 LMIV verneint, nicht den maßgeblichen Anforderungen. Die Beklagte genügt nicht dem Erfordernis, einer unspezifischen Angabe eine erlaubte Angabe i.S.v. Art. 10 Abs. 1 HCVO in der in Art. 10 Abs. 3 HCVO vorgesehenen Weise beizufügen (Koppelungspflicht).
42
aa) Nach den in der Entscheidung „Biomineralwasser“ (Urteil vom 13. September 2012, I ZR 230/11, GRUR 2013, 401, Rn. 24) dargestellten Grundsätzen bildet in Fällen, in denen sich die Klage gegen die konkrete Verletzungsform richtet, diese Verletzungsform den Lebenssachverhalt, durch den der Streitgegenstand bestimmt wird. Streitgegenstand ist damit die Aufmachung der Bonbonverpackung als solche, die u.a. die Bezeichnung „ImmunStark“ auf der Vorderseite, die Aussage zu den Vitaminen auf der Rückseite sowie die Verknüpfung durch das Zeichen * enthält. Dies führt dazu, dass das Gericht (dem nach allgemeinen Grundsätzen die Anwendung der maßgeblichen Rechtssätze auf den ihm unterbreiteten Sachverhalt obliegt) darin frei ist, auf welchen rechtlichen Gesichtspunkt er eine Unzulässigkeit der konkreten Produktgestaltung stützt. Dem Kläger ist eröffnet, auch einzelne Elemente gesondert anzugreifen und eine Klärung der Rechtmäßigkeit ihrer Verwendung zu erreichen, indem er auf diese bezogene spezifische Anträge stellt; dies hat der Kläger vorliegend auch getan, indem er ein Verbot nicht nur hinsichtlich der kumulativen Nutzung der Bezeichnung und der Aussage begehrt hat, sondern auch jeweils hinsichtlich der isolierten Nutzung.
43
Überdies hat der Kläger auf den entsprechenden Hinweis hin ausdrücklich erklärt, dass er die Verpackung auch im Hinblick auf diesen Gesichtspunkt angreift und dies vom Streitgegenstand umfasst sein soll.
44
bb) Wegen der Kopplungspflicht des Art. 10 Abs. 3 HCVO darf ein Verweis auf nichtspezifische Vorteile nur dann verwendet werden, wenn ihr eine erlaubte Angabe i.S.v. Art. 10 Abs. 1 HCVO beigefügt wird. Wie bereits ausgeführt, enthält Art. 10 Abs. 3 HCVO kein per-se-Verbot für Angaben mit unspezifischem Gesundheitsbezug, stellt sie aber unter den Vorbehalt der Verwendung mit spezifischen, wissenschaftlich geprüften, zugelassenen und in die Gemeinschaftsliste aufgenommenen gesundheitsbezogenen Angaben (Hüttebräuker, in: Holle/Hüttebräuker, 1. Aufl. 2018, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 52, 62; EuGH, Urteil vom 30. Januar 2020, C-524/18, GRUR 2020, 310 Rn. 38 – Dr. Willmar Schwabe). Nach dem Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte der Vorschrift korrespondiert die Koppelungspflicht für unspezifische Verweise auf positive gesundheitliche Effekte mit der Zulassungspflicht für spezifische gesundheitsbezogene Angaben: Nichtspezifische Verweise sollen durch die zwingende Beifügung einer zugelassenen spezifischen gesundheitsbezogenen Angabe konkretisiert und präzisiert werden, so dass Irreführungsgefahren infolge der vagen Formulierung und der damit einhergehenden Bedeutungsoffenheit vermieden werden (Hüttebräuker, in: Holle/Hüttebräuker, 1. Aufl. 2018, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 62).
45
Das Erfordernis des „Beifügens“ besitzt dabei eine materiellen und eine visuelle Dimension (EuGH, Urteil vom 30. Januar 2020, C-524/18, GRUR 2020, 310 Rn. 40 – Dr. Willmar Schwabe; BGH, Urteil vom 25. Juni 2020 – I ZR 162/16, GRUR 2020, 1007, Rn. 27 – B-Vitamine II).
46
cc) Die Anforderungen im Hinblick auf die materielle Dimension sind vorliegend gewahrt.
47
(1) Die materielle Dimension verlangt eine inhaltliche Entsprechung zwischen der unspezifischen gesundheitsbezogenen Angabe und der ihr beigefügten spezifischen gesundheitsbezogenen Angabe. Dies setzt im Wesentlichen voraus, dass die spezifische Angabe die allgemeine Angabe umfassend untermauert (BGH, Urteil vom 25. Juni 2020 – I ZR 162/16, GRUR 2020, 1007, Rn. 27 – B-Vitamine II; EuGH, Urteil vom 30. Januar 2020, C-524/18, GRUR 2020, 310 Rn. 41 – Dr. Willmar Schwabe). Allgemeine Verweise müssen somit vollständig von der zu koppelnden, spezifischen und zugelassenen Angabe „gedeckt“ sein (Hüttebräuker, in: Holle/Hüttebräuker, 1. Aufl. 2018, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 63).
48
(2) Diesem Erfordernis ist vorliegend genügt. Die Bezeichnung als „ImmunStark“ impliziert eine Kräftigung und damit eine Verbesserung der menschlichen Abwehrkräfte, insbesondere gegen Krankheitserreger. Die zugelassenen Aussagen „Vitamin… trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei“ besagen damit übereinstimmend, dass die Zuführung der genannten Vitamine solche positiven Auswirkungen auf das Immunsystem bewirkt.
49
(3) Entgegen der – zuletzt in der mündlichen Verhandlung wiederholten – Argumentation des Klägers geht das Wortelement „stark“ nicht in entscheidender Weise über das „beitragen“ hinaus. Der Terminus „stark“ stellt eine relative, keine absolute Angabe dar und beschreibt damit einen Zustand, der nicht von einem Defizit (“schwach“) geprägt ist. Im Kontext mit „Immunsystem“ wird „stark“ dahin verstanden, dass dieses hinreichend funktionsfähig ist, um die alltäglichen Angriffe durch gängige Bakterien und Viren so abzuwehren, dass keine nennenswerten Infektionen auftreten. Ebenso ist das Verb „stärken“ zumindest dann, wenn es in Bezug auf das Immunsystem verwendet wird, weitestgehend synonym mit „zu einem normalen i.S.v. adäquaten Zustand beitragen“.
50
dd) Jedoch fehlt es nach dem Verständnis des Senats an der ebenfalls erforderlichen visuellen Dimension des „Beifügens“.
51
(1) Unter dem Aspekt der visuellen Dimension verlangt „Beifügen“, dass ein normal informierter und angemessen aufmerksamer Durchschnittsverbraucher den Zusammenhang zwischen dem Verweis auf die allgemeinen, nicht spezifischen Vorteilen für die Gesundheit und der spezifischen gesundheitsbezogenen Angabe sofort wahrnimmt. Dies erfordert grundsätzlich eine räumliche Nähe oder unmittelbare Nachbarschaft zwischen dem Verweis und der Angabe (BGH, Urteil vom 25. Juni 2020 – I ZR 162/16, GRUR 2020, 1007, Rn. 27 – B-Vitamine II; EuGH, Urteil vom 30. Januar 2020, C-524/18, GRUR 2020, 310 Rn. 47 – Dr. Willmar Schwabe). Können die spezifischen gesundheitsbezogenen Angaben wegen ihrer großen Zahl oder Länge nicht vollständig auf der Seite der Verpackung erscheinen, auf der sich der Verweis befindet, den sie untermauern sollen (d.h. die unspezifische Angabe i.S.v. Art. 10 Abs. 3 HCVO), kann das Erfordernis eines visuellen Zusammenhangs ausnahmsweise durch einen ausdrücklichen Hinweis wie etwa einen Sternchenhinweis erfüllt werden. Voraussetzung ist dann allerdings, dass damit klar und für den Verbraucher vollkommen verständlich die inhaltliche Entsprechung zwischen den gesundheitsbezogenen Angaben und dem Verweis sichergestellt wird (BGH, Urteil vom 25. Juni 2020 – I ZR 162/16, GRUR 2020, 1007, Rn. 27 – B-Vitamine II; EuGH, Urteil vom 30. Januar 2020, C-524/18, GRUR 2020, 310 Rn. 48 – Dr. Willmar Schwabe).
52
(2) Die damit für den Regelfall erforderliche „räumliche Nähe oder unmittelbare Nachbarschaft“ ist vorliegend nicht gegeben, weil sich die Erläuterung durch die spezifische Angabe auf der Rückseite der tütenartigen Bonbonverpackung befindet und daher nahezu ausgeschlossen ist, dass der Verbraucher zugleich die Bezeichnung „ImmunStark“ und die konkrete Aussage wahrnimmt und beide aufeinander bezieht.
53
(3) Der EuGH gesteht zwar zu, dass Ausnahmesituation gegeben sein können, in denen die räumliche Nähe z.B. durch einen Sternchenhinweis ersetzt werden kann, wenn und weil die spezifischen gesundheitsbezogenen Angaben wegen ihrer großen Zahl oder Länge nicht vollständig auf der Seite der Verpackung erscheinen können, auf der sich der Verweis befindet. An den genannten Voraussetzungen fehlt es jedoch vorliegend.
54
(a) Die hier von der Beklagten wiedergegebene spezifische Aussage ist in jeder Hinsicht nicht besonders lang; ebenso wenig liegen besonders umfangreiche Angaben vor.
55
Die vorliegend verwendete Aussage, mit der die Beklagte die inhaltsgleiche Aussage für die 4 Vitamine kombiniert, nimmt 82 Zeichen (einschließlich Leerzeichen) ein. Sie beansprucht auf der Rückseite der knapp eine DIN-A5 Seite großen Tütenverpackung 3 Zeilen, wobei die Zeilenlänge weniger als 1/3 der Gesamtbreite der Verpackung ausmacht. Diese 3 Zeilen nehmen etwa 1/10 der Gesamthöhe der Verpackung ein. Auch bei einem Abdruck auf der Vorderseite ergäbe sich kein höherer Platzbedarf.
56
Die Grundaussage „Vitamin B12 trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei“ weist 65 Zeichen auf, die zusammengefasste Aussage 82 Zeichen. Vergleicht man die Aussage mit den anderen zugelassenen Aussagen gemäß der Liste (Anhang zur VO (EU) 432/2012), ist sie jedenfalls nicht überdurchschnittlich lang, sondern – auch wenn vier insoweit übereinstimmende, zulässige Aussagen zu dem jeweiligen Vitamin zusammengefügt werden – bewegt sich im Bereich des Durchschnittlichen. Es finden sich dort deutlich umfangreichere Aussagen wie etwa „Der Ersatz von gesättigten Fettsäuren durch ungesättigte Fettsäuren in der Ernährung trägt zur Aufrechterhaltung eines normalen Cholesterinspiegels im Blut bei. Ölsäure ist eine ungesättigte Fettsäure.“ (201 Zeichen) oder „Der Verzehr von Alpha-Cyclodextrin als Bestandteil einer stärkehaltigen Mahlzeit trägt dazu bei, dass der Blutzuckerspiegel nach der Mahlzeit weniger stark ansteigt“ (164 Zeichen). Zahlreiche Aussagen sind jedenfalls länger als die Einzelaussage und etwa so lang wie die zusammengefasste Aussage – z.B. „Calcium trägt zu einer normalen Signalübertragung zwischen den Nervenzellen bei“ (79 Zeichen), „Vitamin C trägt zu einer normalen Kollagenbildung für eine normale Funktion der Blutgefäße bei“ (94 Zeichen) oder „Zuckerfreier Kaugummi trägt zur Neutralisierung der Säuren des Zahnbelags bei“ (77 Zeichen). Aussagen mit der Länge der Einzelaussage zu einem der Vitamine finden sich eher selten (z.B. „Zuckerrübenfasern tragen zur Erhöhung des Stuhlvolumens bei“: 65 Zeichen). Zu berücksichtigen ist ferner, dass selbst die kürzesten Aussagen wie „Vitamin C erhöht die Eisenaufnahme“, „Zink hat eine Funktion bei der Zellteilung“, „Selen trägt zur Erhaltung normaler Haare bei„oder „Zink trägt zur Erhaltung normaler Sehkraft bei“ auf 35, 42, 45 bzw. 46 Zeichen kommen. Dies schließt insgesamt es aus, vorliegend einen besonderen Umfang oder Länge, der einen Ausnahmefall begründen könnte, anzunehmen, weil jedenfalls keine signifikante Abweichung vom Durchschnittlichen und Gewöhnlichen festzustellen ist.
57
(b) Die (hinsichtlich der 4 Vitamine kombinierte) Aussage ist auch deutlich kürzer als der Text, mit dem sich BGH und EuGH in ihren Entscheidungen befasst haben. Die dortigen Ausführungen zu den Vitaminen B1, B 12, B2, Folsäure, Pantothensäure und Zink nahmen über 700 Zeichen ein. Eine Vergleichbarkeit mit der dortigen Situation ist daher nicht ansatzweise gegeben. Zudem hat sich selbst der BGH nicht ausdrücklich dazu verhalten, ob die Aussage die Anforderungen an einen besonderen Umfang erfüllt (BGH, Urteil vom 25. Juni 2020 – I ZR 162/16, GRUR 2020, 1007, Rn. 29 – B-Vitamine II).
58
(c) Die Vorderseite der Bonbontüte bietet auch dann, wenn die Gestaltung nicht wesentlich abgeändert werden soll, ausreichend Platz, um die korrespondierende spezifische Angabe wiederzugeben. Die Beklagte weist bereits in der angegriffenen Aufmachung mit dem Text „+ 10 Vitamine C, B6, B9, B12, B1, B2, B3, B5, B7, E“ darauf hin, dass sich in der Füllung der Bonbons bestimmte Vitamine befinden, und benötigt dazu 52 Zeichen. Sie könnte auf diese Aussage verzichten oder sie ohne erheblichen Aufwand und Verlust an Blickfang und Lesbarkeit mit den Aussagen dazu, was genau die Vitamine C, B6, B9, B12 im Hinblick auf das Immunsystem bewirken, verbinden.
59
(d) Der Senat verkennt nicht, dass die Werbefreiheit als Teil der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Er folgt der Beklagten auch darin, dass es grundsätzlich im Interesse der Verbraucher liegt, dass Angaben im Hinblick auf Größe, Schriftbild, Farbwahl und Kontrast gut lesbar sind und Verpackungen nicht mit Informationen überladen werden, damit die wichtigen Informationen nicht zwischen anderen Angaben „untergehen“.
60
Die Notwendigkeit, die im Hinblick auf die Werbewirksamkeit bedeutsame Vorderseite einer Produktverpackung (geringfügig) umzugestalten und mit Informationen zu versehen, ist aber im vorliegenden Fall keine zwingende. Wie mündlich erörtert, bewirkt die Koppelungspflicht des Art. 10 Abs. 3 HCVO nur, dass die spezifischen Aussagen anzubringen sind, sofern eine unspezifische Aussage getätigt wird. Es liegt daher in der freien Entscheidung des Werbenden, ob er sich einer solchen Pflicht aussetzt oder nicht, weil er die Wahl hat, eine unspezifische gesundheitsbezogene Aussage zur Beschreibung und Anpreisung seines Produkts einzusetzen oder nicht.
61
Die Werbefreiheit steht zudem unter dem Vorbehalt einer verhältnismäßigen Beschränkung zur Verfolgung durch andere legitime Zwecke. Solche legitimen Zwecke liegen im Schutz der Gesundheit und dem Schutz der Verbraucher vor Fehlvorstellungen darüber, welche positiven Eigenschaften beworbene Produkte aufweisen. Diese Zwecke könnten es sogar rechtfertigen, bestimmte Angaben zwingend auf der Vorderseite eine Produktverpackung anzubringen. Ob die Voraussetzungen dafür vorliegend gegeben wären, kann dahinstehen, weil die Beklagte jedenfalls nicht verpflichtet ist, entsprechende Informationen wiederzugeben, weil sie mittelbar bestimmen kann, ob die Kopplungspflicht im konkreten Fall eingreift. Eine solche nur bedingte Verpflichtung kann durch die genannten Schutzziele verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.
62
(e) Ebenso sieht der Senat kein Gegenargument gegen seinen Standpunkt darin, dass die Beklagte für jeden der Inhaltsstoffe ihrer Bonbons sämtliche im Anhang zur VO (EU) 432/2012 zugelassenen Aussagen wiedergeben dürfte und dann eine erhebliche Länge und Umfang zusammenkäme, zumal bereits für Vitamin C 15 Aussagen zugelassen sind. Hieraus folgt nicht, dass die Beklagte mittelbar bestimmen könnte, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind, die Angaben durch einen Sternchenverweis auslagern zu dürfen.
63
Auch insoweit gilt nämlich, dass es der Beklagten grundsätzlich freisteht, Angaben i.S.v. Art. 10 Abs. 1 HCVO anzubringen oder nicht. (Bedingt) verpflichtet hierzu ist sie nur, soweit sie auch eine nichtspezifische Angabe i.S.v. Art. 10 Abs. 3 HCVO verwendet hat. Die beschriebene Situation könnte daher nur auftreten, wenn die nicht spezifische Angabe so weit und umfassend formuliert ist, dass es des Beifügens einer entsprechenden Zahl von spezifischen Aussagen bedarf. Dies ist jedenfalls vorliegend nicht der Fall. Anlass zu Ausführungen, was bei einer anderen Bezeichnung und Aufmachung des Produkts gelten könnte, besteht nicht.
64
(f) Ohne Erfolg bleibt schließlich der Hinweis der Beklagten, dass sich auf ihrer Produktverpackung – anders als in den Fällen, die Anlass der Entscheidungen von BGH und EuGH waren – ein Sternchenhinweis zur Verknüpfung findet.
65
Die zitierten Passagen ergeben klar, dass es nicht schon genügt, durch einen Sternchenhinweis einen Bezug zwischen der unspezifischen Angabe und der spezifischen Angabe herzustellen, sondern es als Ausnahme rechtfertigungsbedürftig ist, dass sich beide nicht in räumlicher Nähe oder unmittelbarer Nachbarschaft befinden. Ein Sternchenhinweis kann daher nur das gebotene Mittel sein, um bei einer ausnahmsweise gestatteten räumlichen Trennung die Verbindung in der gebotenen Weise herzustellen, legitimiert aber für sich genommen nicht eine räumliche Trennung.
66
(4) Zudem sieht der Senat ein weiteres Defizit darin, dass der Sternchenhinweis nicht hinreichend klar gestaltet und auf die zu koppelnde Angabe bezogen ist.
67
Der Verbraucher erwartet regelmäßig, dass Fußnoten in Form von Ziffern oder Zeichen wie einem Sternchen auf derselben Seite aufgelöst werden. Eine Vielzahl von Verbrauchern wird daher meinen, dass die mit dem Fußnotenzeichen versprochene Erläuterung in der rechts unten auf der Vorderseite angebrachten Information findet, das Produkt enthalte die genannten 10 Vitamine. Der Aspekt, dass der Verbraucher die mit einem Sternchenverweis in Bezug genommene Erläuterung auf derselben Seite erwartet, wird in den Entscheidungen von EuGH und BGH nicht weiter bedacht, zumal keine Festlegung erfolgen musste, wie ein solcher Verweis auszusehen hat. Aus Sicht des Senats dürfte daher zusätzlich zu dem Sternchenverweis eine Klarstellung wie „Erläuterung siehe Rückseite“ erforderlich und zumutbar sein, damit die inhaltliche Entsprechung für den Verbraucher, wie gefordert, klar und vollkommen verständlich hergestellt wird.
68
Zudem wird die Erkennbarkeit des Sternchens und seiner Bedeutung vorliegend dadurch gemindert, dass die Beklagte der Nennung ihrer Marke „“ und (jeweils bei der Abbildung der Bonbons) der Nennung ihres Unternehmensnamens sowie bei der Wendung „Nur echt mit der Fahne“ das ®-Zeichen beifügt. Es droht damit eine erhebliche Gefahr, dass der Leser das Sternchen nicht als Verweis versteht, zumal eine Erläuterung auf derselben Produktseite fehlt. Dem Standpunkt der Beklagten, das Sternchen sei groß und deutlich platziert, kann sich der Senat ebenfalls nicht anschließen. Vielmehr droht das Zeichen aufgrund der Platzierung übersehen zu werden.
69
ee) Damit genügt die Beklagte den sich aus Art. 10 HCVO ergebenden Vorgaben schon deshalb nicht, weil sie – das Vorliegen einer unspezifischen Angabe unterstellt – die geforderte Koppelung nicht in der gebotenen Weise unternommen hat. Dem Unterlassungsantrag war daher aus diesem Grund grundsätzlich zu entsprechen, sodass die Berufung nicht mit ihrem Ziel einer vollständigen Abweisung durchdringen konnte.
70
d) Erfolg hat die Berufung jedoch insoweit, als die Beklagte eine Auftbrauchfrist beantragt hat.
71
aa) Der Anspruch des Unterlassungsschuldners auf Gewährung einer Aufbrauchfrist gründet sich auf § 242 BGB (BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 143/19, BGHZ 233, 193 = GRUR 2022, 930, Rn. 57 – Knuspermüsli II; BGH, Urteil vom 10. Mai 2016 – X ZR 114/13, GRUR 2016, 1031, Rn. 42 – Wärmetauscher; zur dogmatischen Einordnung Ohly, in: Ohly/Sosnitza, 8. Aufl. 2023, UWG § 8 Rn. 39; Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher, 3. Aufl. 2016, UWG § 8 Rn. 165).
72
(1) Die Aufbrauchsfrist soll dem Unterlassungsschuldner einen Zeitraum zur Überlegung, Reaktion und Organisation geben, um dem Unterlassungsgebot Folge leisten zu können. Dies schließt insbesondere, aber nicht ausschließlich das Aufbrauchen (d.h das Verwenden von Vorräten) vorhandener Waren oder Materialien und die Abwicklung bereits begründeter Verträge sowie die Umstellung der Produktion ein (vgl. Ohly, in: Ohly/Sosnitza, 8. Aufl. 2023, UWG § 8 Rn. 44; MüKoUWG/Fritzsche, 3. Aufl. 2022, UWG § 8 Rn. 149; Schilling, in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 13. Aufl., Kap. 57 Rn. 25). Als übliche Zeiträume werden verbreitet 3 bis 6 Monate genannt, wobei die Umstände des Einzelfalls entscheidend sind (vgl. Ohly, in: Ohly/Sosnitza, 8. Aufl. 2023, UWG § 8 Rn. 44; MüKoUWG/Fritzsche, 3. Aufl. 2022, UWG § 8 Rn. 134; Schilling, in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 13. Aufl., Kap. 57 Rn. 26); selbst der BGH hat in einem Fall einen Zeitraum von fast einem Jahr gewährt, um bestehende Versicherungsverhältnisse selbst zu beenden oder neu zu gestalten (BGH, Urteil vom 25. Januar 1990 – I ZR 19/87, GRUR 1990, 522 (528) – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz). Ausgeschlossen ist, zu gestatten, noch nach Rechtskraft des Unterlassungsurteils neue Verletzungshandlungen zu begehen, d.h. rechtsverletzende Gegenstände herzustellen und neu zu verbreiten (Ohly, in: Ohly/Sosnitza, 8. Aufl. 2023, UWG § 8 Rn. 44; BGH, Urteil vom 16. November 1973, I ZR 98/72, GRUR 1974, 474 (476) – Großhandelshaus).
73
(2) Die Gewährung einer Aufbrauchfrist setzt voraus, dass dem Unterlassungsschuldner durch ein sofort mit der Zustellung des Titels uneingeschränkt zu beachtendes Verbot unverhältnismäßige Nachteile entstehen und die Belange sowohl des Gläubigers als auch der Allgemeinheit durch eine befristete Fortsetzung des Wettbewerbsverstoßes nicht unzumutbar beeinträchtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 143/19, BGHZ 233, 193 = GRUR 2022, 930, Rn. 58 – Knuspermüsli II; BGH, Urteil vom 10. Mai 2016 – X ZR 114/13, GRUR 2016, 1031, Rn. 42 – Wärmetauscher; BGH, Urteil vom 29. März 2007 – I ZR 122/04, GRUR 2007, 1079 Rn. 40 – Bundesdruckerei). Dies erfordert eine umfassende Interessenabwägung, die zum Ergebnis führen muss, dass die Nachteile für den Schuldner, die ihm bei sofortiger Durchsetzung des Unterlassungstitel drohen, außer Verhältnis zum Interesse des Gläubigers und der Allgemeinheit an sofortiger Unterlassung stehen (BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 143/19, BGHZ 233, 193 = GRUR 2022, 930, Rn. 60 – Knuspermüsli II; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, 8. Aufl. 2023, UWG § 8 Rn. 40; Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher, 3. Aufl. 2016, UWG § 8 Rn. 164). Die Gewährung einer Aufbrauchfrist stellt dabei den Ausnahmefall dar, sodass diese nur zurückhaltend gewährt werden kann; die Schuldnerinteressen müssen in einem deutlichen Missverhältnis zu den Gläubigerinteressen stehen (Ohly, in: Ohly/Sosnitza, 8. Aufl. 2023, UWG § 8 Rn. 43; Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher, 3. Aufl. 2016, UWG § 8 Rn. 164).
74
Bei der Interessenabwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit den Unterlassungsschuldner ein Verschulden trifft (BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 143/19, BGHZ 233, 193 = GRUR 2022, 930, Rn. 61 – Knuspermüsli II; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, 8. Aufl. 2023, UWG § 8 Rn. 41; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, 5. Aufl. 2021, UWG § 8 Rn. 192); Fahrlässigkeit liegt dabei vor, wenn sich der Verletzer erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt und deshalb eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit seines Verhaltens jedenfalls in Betracht ziehen muss (vgl. BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 143/19, BGHZ 233, 193 = GRUR 2022, 930, Rn. 68 – Knuspermüsli II). Relevante Gesichtspunkte sind ferner, dass/ob der Gläubiger das streitgegenständliche Verhalten längere Zeit unbeanstandet vorgenommen hat (BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 143/19, BGHZ 233, 193 = GRUR 2022, 930, Rn. 62 – Knuspermüsli II; BGH, Urteil vom 25. Januar 1990 – I ZR 19/87, GRUR 1990, 522 (528) – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz), aber auch, dass sich der Schuldner (z.B. wegen des Prozessverlaufs in den Instanzen) auf einen ungünstigen Ausgang auch des Revisionsverfahrens einstellen konnte und musste (BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 143/19, BGHZ 233, 193 = GRUR 2022, 930, Rn. 63 – Knuspermüsli II). Allein die Klageerhebung muss jedoch für den Unterlassungsschuldner kein Anlass sein, sich auf die Folgen eines möglichen Verbots einzustellen (BGH, Urteil vom 29. März 2007 – I ZR 122/04, GRUR 2007, 1079 Rn. 40 – Bundesdruckerei; strenger Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, 5. Aufl. 2021, UWG § 8 Rn. 192, der hier zumindest grob fahrlässiges handeln annimmt, so dass gute Gründe bestehen müssten, aufgrund derer der Schuldner sein Verhalten für rechtmäßig halten dürfte).
75
Relevant ist schließlich das Gewicht des Verstoßes (Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, 5. Aufl. 2021, UWG § 8 Rn. 192). Als Situationen, in denen Verbraucher- oder Allgemeininteressen für den sofortigen Vollzug der Unterlassung und damit gegen die Gewährung einer Aufbrauchfrist sprechen, werden – neben Fällen individueller oder gezielter Betroffenheit des klagenden Mitbewerbers – insbesondere Fälle der Irreführung gem. §§ 5, 5a UWG genannt (Ohly, in: Ohly/Sosnitza, 8. Aufl. 2023, UWG § 8 Rn. 42; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, 5. Aufl. 2021, UWG § 8 Rn. 195; Schilling, in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 13. Aufl., Kap. 57 Rn. 26; diesem Aspekt eher geringe Relevanz zukommen lassend Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Feddersen, 43. Aufl. 2025, UWG § 8 Rn. 1.95; auf den Grad der Irreführung abstellen MüKoUWG/Fritzsche, 3. Aufl. 2022, UWG § 8 Rn. 162; vgl. auch BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 143/19, BGHZ 233, 193 = GRUR 2022, 930, Rn. 65 – Knuspermüsli II).
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(3) Der Unterlassungsschuldner muss substanziiert darlegen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Aufbrauchfrist vorliegen (BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 143/19, BGHZ 233, 193 = GRUR 2022, 930, Rn. 59 – Knuspermüsli II). Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Aufbrauchsfrist vor, ist diese dem Unterlassungsschuldner zuzusprechen, ohne dass dem Gericht eine Ermessen zusteht (Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Feddersen, 43. Aufl. 2025, UWG § 8 Rn. 1.96; MüKoUWG/Fritzsche, 3. Aufl. 2022, UWG § 8 Rn. 170). Die Gewährung einer Aufbrauchfrist ist, wenn die erforderlichen Voraussetzungen in prozessual beachtlicher Weise vorgebracht sind, auch noch in der Rechtsmittelinstanz möglich und geboten (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 1973, I ZR 98/72, GRUR 1974, 474 (476) – Großhandelshaus). Jedoch ist wiederum zu berücksichtigen, dass sich der Schuldner zwangsläufig auf das Verbot einstellen konnte, insbesondere, wenn er bereits erstinstanzlich verurteilt wurde (Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Feddersen, 43. Aufl. 2025, UWG § 8 Rn. 1.97) und insoweit die verstrichene Zeit auf die Aufbrauchfrist anzurechnen ist (MüKoUWG/Fritzsche, 3. Aufl. 2022, UWG § 8 Rn. 164).
77
bb) Die Beklagte hat in der Berufungsbegründung vom 18. Juli 2024 ausführlich vorgebracht, dass im Geschäftsjahr 2023/24 ca. 6,7 Millionen Beutel von Vitaminbonbons mit der verfahrensgegenständlichen Verpackung vertrieben wurden, dass der Abverkauf im September 2024 abgeschlossen sein werde und sich bis April 2025 noch voraussichtlich 932.000 Beutel im Einzelhandel befinden werden.
78
Sie hat ferner plausibel dargelegt, dass bereits der Rückruf der im Handel befindlichen, noch nicht an Endkunden abgesetzter Beutel als solcher zu erheblichem Aufwand und Kosten führen wird, weil die Händler ein Entgelt dafür fordern, bereits feilgehaltene Waren wieder aus dem Regal zu nehmen und an den Hersteller zurückzuleiten. Ebenso hat sie aufgezeigt, dass eine Umetikettierung oder Neuverpackung noch nicht in den Handel gelangter oder zurückgerufener Beutel erheblichen Aufwand auslösen würde, und sie die Produkte nicht im regulären Wege und Umfang in den Handel geben könnte, weil der Zeitraum bis zum Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums zu kurz ist. Letztlich wäre die Vernichtung der Packungen einschließlich des Inhalts die einzige wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
79
Der Kläger hat diese Ausführungen weder ausdrücklich bestritten noch hat er sich sonst zu dem Verlangen nach einer Aufbrauchfrist geäußert, sodass das Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht als zugestanden anzusehen ist. Dies bedeutet zugleich, dass sie ungeachtet der Neuheit i.S.v. § 531 Abs. 2 ZPO im Berufungsrechtszug zu berücksichtigen sind.
80
cc) Nach den wiedergegebenen rechtlichen Grundsätzen führt dies dazu, dass der Beklagten zu gestatten war, diejenigen Beutel weiterzuveräußern, und sie von der (mit einem entsprechenden Unterlassungspflicht verbunden) Pflicht zum Rückruf noch im Handel befindlicher Beutel zu dispensieren, soweit die Befüllung vor dem 1. Mai 2024 erfolgte.
81
Die Ausführungen der Beklagten sind dahin zu verstehen, dass sich die beschriebenen wirtschaftlichen Nachteile für ihr Unternehmen und der faktische Zwang zur Vernichtung der Lebensmittel bereits daraus ergeben, dass die Beutel bepackt wurden, für die bereits in den Handel gelangten Beutel aber erheblich größer sind.
82
Die Beklagte musste mit dem Erlass des erstinstanzlichen Urteils am 18. April 2024 damit rechnen, dass ihr der Verkauf der so gestalteten Packungen endgültig untersagt werden wird. Der Abmahnung und/oder der Klageerhebung kam eine solche Wirkung im vorliegenden Fall noch nicht zu, weil jedenfalls nachvollziehbare Gründe für den Standpunkt der Beklagten sprachen. Der Senat gesteht der Beklagten noch einige Tage zur Prüfung und Umstellung zu, weshalb er einen Weiterverkauf von bis 1. Mai 2024 befüllten Beutel gestattet. Dafür, dass die Beklagte zu diesem Zeitpunkt in erheblichem Umfang Tüten vorrätig hatte und ihr ein erheblicher Schaden drohen würde, wenn sie diese nicht nutzen könnte, gibt ihr Vortrag nichts her, so dass ihr eine Verwendung der Beutel durch weitere Befüllung nicht zusätzlich zu gestatten war. Zudem begrenzt der Senat das zulässige Aufbrauchen dahingehend, dass die gefüllten Beutel bis Ende September 2024 in den Handel gelangt sein mussten. Der Senat ist insoweit zwar nicht nach § 308 Abs. 1 ZPO an das Gesuch der Beklagten gebunden, da der Antrag auf Gewährung einer Aufbrauchfrist keinen Sachantrag darstellt. Die Beklagte bringt damit aber selbst zum Ausdruck, dass ein Verbot für den Zeitraum nach September 2024, in dem der Abverkauf auch aus ihrer Sicht im Zeitpunkt der Berufungsbegründung abgeschlossen sein sollte, keine unzumutbare Nachteile bewirkt. Diese Einschätzung schließt sich seit der Senat aufgrund der vorgebrachten Umstände an.
83
Auch wenn sich daraus hinsichtlich der in den Handel gelangten Beutel eine insgesamt recht lange Aufbrauchfrist ergeben kann, erscheint diese bei Berücksichtigung aller Interessen verhältnismäßig. Aufgrund des Mindesthaltbarkeitsdatums Mai 2026 ist von selbst sichergestellt, dass es danach zu einer uneingeschränkten Beachtung des Verbots kommt. Zwar besitzen Pflichten zur Information über Aspekte, die die Gesundheit betreffen, generell ein gesteigertes Gewicht. Der vorliegend gegebene Verstoß tritt aber nicht offenkundig zutage und ist auch in seiner Bedeutung reduziert, weil die Beklagte die erforderlichen Angaben jedenfalls auf der Rückseite angebracht hat, ihr also nur vorzuwerfen ist, dies nicht in der gehörigen Weise getan zu haben. Es ist mit den Belangen der Allgemeinheit einschließlich des Gesundheitsschutzes als solchen zu vereinbaren, wenn die bereits produzierten und in den Handel gelangten Packungen noch veräußert werden dürfen, zumal sich der Bestand im Handel derzeit nur noch auf 932.000 beläuft und eine Vielzahl von Käufern bereits in der Vergangenheit zu dem Produkt gegriffen haben werden, sich also nicht aufgrund der Angaben erneut hierzu entschließen. Da sich Referenzfälle nicht finden, ist das Verhalten der Beklagten auch nicht von Anfang an als fahrlässig anzusehen. Hierfür spricht auch, dass selbst der Kläger, mag er auch zeitnah mit seiner Abmahnung und der Unterlassungsklage reagiert haben, zunächst den Fokus nicht auf die Koppelungspflicht, sondern auf die (nach Auffassung des Senats zulässige) Bezeichnung als solche gelegt hat.
84
3. Die Berufung des Klägers gegen die Abweisung seines auf die Bezeichnung „ImmunStark“ bezogenen Unterlassungsantrags bleibt ohne Erfolg.
85
a) Nach den o.g. Grundsätzen zum Streitgegenstand wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsklagen kann der Kläger auch einzelne Elemente der angegriffenen konkreten Verletzungsform herausgreifen und zum Gegenstand eines Unterlassungsbegehrens machen. Ein solcher Antrag, der dann einen eigenen Streitgegenstand darstellt, kann aber nur Erfolg haben, wenn sämtliche Voraussetzungen eines entsprechenden materiellrechtlichen Unterlassungsanspruchs im Hinblick auf das so umrissene Verhalten gegeben sind. Hierzu gehört nach § 8 Abs. 1 UWG und § 2 UKlaG eine Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr.
86
b) Die Überlegungen des Landgerichts, es fehle hinsichtlich der isolierten Verwendung von „ImmunStark“ an einer Begehungsgefahr, erscheinen dem Senat – wie in der mündlichen Verhandlung dargelegt – zutreffend. Dies gilt auch, wenn man einen Verstoß gegen die Koppelungspflicht annimmt.
87
Die Beklagte hat unstreitig in der Vergangenheit nie „Immunstark“ in Alleinstellung verwendet. Sie hat zweifelsfrei zu erkennen gegeben, dass sie die Bezeichnung „ImmunStark“ nur in Verbindung mit einer geeigneten zugelassenen spezifischen Angabe i.S.v. Art. 10 Abs. 1 HCVO verwenden will, und eine entsprechende Verpflichtung nie in Abrede gestellt hat. Die Beklagte hat jedenfalls das aus ihrer Sicht Erforderliche getan, um dem Kopplungsgebot zu entsprechen; die Gestaltung der Verpackung war auch (selbst wenn man mit dem Senat einen Verstoß annimmt) nicht offensichtlich unzureichend. Damit fehlt es sowohl an einem Sachverhalt, der als Verstoß gegen das Verbot einer isolierten Verwendung einer unspezifischen Angabe Art. 10 Abs. 3 HCVO qualifiziert werden könnte (sodass eine Wiederholungsgefahr bislang nicht begründet wurde), als auch an einer Sachlage, bei der ein entsprechender erstmaliger Verstoß mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (sodass auch eine Erstbegehungsgefahr nicht angenommen werden kann).
88
Zu einer anderen Beurteilung führt auch der Umstand nichts, dass die Beklagte die Bezeichnung „ImmunStark“ plakativ und unmittelbar unter ihrer Marke „“ eingesetzt hat. Für die maßgebliche Frage, ob eine Verwendung in Alleinstellung droht, lässt sich daraus nicht ableiten.
89
c) Darauf, dass die Beklagte in der vorgerichtlichen Auseinandersetzung und im vorliegenden Rechtsstreit die Zulässigkeit der Aussagen verteidigt hat, kann eine Wiederholungsgefahr nicht gestützt werden. Es muss einer Partei grundsätzlich zulässig sein, im Prozess den Standpunkt einzunehmen und die Rechtsauffassung zu vertreten, man habe sich rechtmäßig verhalten, ohne dadurch zugleich eine bisher fehlende Wiederholungsgefahr herbeizuführen (vgl. ausführlich Fritzsche, in: Gloy/Loschelder/Danckwerts WettbR-HdB, 5. Aufl. 2019, § 79 Rn. 40).
90
4. Ebenso erweist sich die Berufung des Klägers gegen die Abweisung des Antrags, der sich gegen die Verwendung der Aussage „Vitamin C…“ in Alleinstellung richtet, weil die Beklagte das Wort „normal“ durch das Wort „gesund“ ausgetauscht hat, als unbegründet. Dies gilt sowohl im Hinblick darauf, dass die Aussage von dem in der Liste zugelassene Angaben i.S.v. Art. 10 Abs. 1 HCVO genannten Text abweicht, als auch unter dem Gesichtspunkt des § 7 Abs. 3 LMIV (Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel), der krankheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln verbietet.
91
a) Der Senat kommt mit dem Landgericht zum Ergebnis, dass die Beklagte im vorliegenden Fall – Verwendung für Vitaminbonbons – das Wort „normal“ mit „gesund“ ersetzen durfte.
92
aa) Wie sich auch aus Erwägungsgrund 9 der VO (EU) 432/2012 ergibt, müssen die in der Liste (Anhang zur VO (EU) 432/2012) aufgenommenen und damit zugelassenen Aussagen nicht zwingend in vollständig identischer Form verwendet werden (siehe auch BGH, Urteil vom 7. April 2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 30 – Repair-Kapseln; BGH, Urteil vom 10. Dezember 2015, I ZR 222/13, GRUR 2016, 412, Rn. 51 – lernstark). Zulässig ist auch eine sinngleiche Verwendung der Aussagen, wenn also eine gleichbedeutende, inhaltlich übereinstimmende Angabe verwendet wird (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2015, I ZR 222/13, GRUR 2016, 412, Rn. 51 – lernstark).
93
Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (BGH, Urteil vom 7. April 2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 30 – Repair-Kapseln; BGH, Urteil vom 10. Dezember 2015, I ZR 222/13, GRUR 2016, 412, Rn. 52 – lernstark). Zu berücksichtigen ist allerdings auch das Interesse der Unternehmen, den Wortlaut der Produktaufmachung an das Verbraucherverständnis anzupassen, ohne deswegen einen gesonderten Zulassungsprozess durchlaufen zu müssen (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2015, I ZR 222/13, GRUR 2016, 412, Rn. 52 – lernstark).
94
Die erforderliche Sinngleichheit fehlt insbesondere, wenn der ausgelobte Wirkbeitrag gegenüber dem, der durch die zugelassene Form verlautbart wird, verstärkt wird. So wird eine Angabe wie „aktiviert“, „stimuliert“ oder „stärkt“ nicht als Synonym mit der Zulassung von Angaben wie „leistet einen Beitrag“ bzw. „unterstützt“ bewertet, da solche Auslobungen über den wissenschaftlich nachgewiesenen Zusammenhang hinausgehen (Hüttebräuker, in: Holle/Hüttebräuker, 1. Aufl. 2018, VO (EG) 1924/2006 Art. 10 Rn. 65); für „repair“ gilt dagegen (was man nur unterstützen kann) anderes (BGH, Urteil vom 7. April 2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 35 – Repair-Kapseln). Dagegen wird „unterstützen“ nicht anders verstanden als „Beitrag leisten“ (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2015, I ZR 222/13, GRUR 2016, 412, Rn. 56 – lernstark).
95
bb) Der Senat kann sich jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht der Argumentation des Klägers und des Oberlandesgerichts München (Urteil vom 21. Dezember 2023, 29 U 4088/22, GRUR-RR 2024, 256) anschließen, der Austausch des Begriffs „gesund“ mit „normal“ führe dazu, dass der Durchschnittsverbraucher meine, dem Produkt komme auch eine Funktion zu, wenn der Ausgangszustand des Verzehrenden nicht als „gesund“ bezeichnet werden kann (kritisch auch Feuerhake, WRP 2024, 1438 (1440, Rn. 15)).
96
(1) Das OLG München hat in einer zu einem in Fläschchen angefüllten Nahrungsergänzungsmittel ergangenen Entscheidung die Auffassung vertreten, der zugelassene Begriff „normal“ mache klar, dass es ausschließlich um eine Funktionsunterstützung bei gesunden Verbrauchern mit normalem Immunsystem geht, während die Änderung zu „gesund“ das Produkt aus Verbrauchersicht in die Nähe von Produkten rücke, die bei einem im Ausgangspunkt nicht oder nicht vollständig gesunden Anwender zum Einsatz kommen. Das abweichend verwendete Adjektiv sei daher geeignet, den Durchschnittsverbraucher in seinem Verständnis bei der Abgrenzung eines Nahrungsergänzungsmittels von einem bei Nichtgesunden einzusetzenden Produkt zu verunsichern (OLG München, Urteil vom 21. Dezember 2023, 29 U 4088/22, GRUR-RR 2024, 256, Rn. 31). Dies werde auch nicht dadurch egalisiert, dass sich Nahrungsmittel stets nur an gesunde Menschen richten (OLG München, Urteil vom 21. Dezember 2023, 29 U 4088/22, GRUR-RR 2024, 256, Rn. 32); die Verwendung von „gesund“ impliziere im Gegenteil, dass der Konsument bzw. sein Immunsystem erst durch das Mittel gesund werde. Jedenfalls werde der Verbraucher verwirrt.
97
(2) Nach dem Verständnis der Mitglieder des Senats, die als Verbraucher von Angeboten für Süßwaren, Nahrungsergänzungsmittel und insbesondere auch Husten- und Vitaminbonbons angesprochen werden, kommt eine derartige Fehlvorstellung zumindest bei Produkten und Aussagen der vorliegenden Art nicht auf.
98
Es herrscht auch in der Durchschnittsbevölkerung die Vorstellung vor, dass das menschliche Immunsystem grundsätzlich auch ohne Einnahme von Zusatzstoffen ausreichend funktionsfähig ist, also in der Lage ist, typische Krankheitserreger abzuwehren. Zugleich besteht das Bewusstsein, dass die Leistungsfähigkeit des Immunsystems durch verschiedene Faktoren und Einflüsse wie einseitige Ernährung oder Stress reduziert sein kann. Doch wird ein solcher Zustand noch nicht als „krank“ charakterisiert, sondern allenfalls als „geschwächt“. Schließlich wird dem angesprochenen Verbraucher jedenfalls durch den genannten Zusammenhang mit den in den Bonbons enthaltenen Vitaminen vermittelt, dass solche Schwächephasen auch auf einem Vitaminmangel beruhen können, der dann u.a. durch den Verzehr der Bonbons ausgeglichen wird.
99
Der gewöhnliche Zustand des Immunsystems ist bei diesem üblichen Verständnis „normal“, weil er den Grund- und Durchschnittszustand darstellt, aber auch „gesund“, weil eben kein als pathologisch negativ zu bewertender Zustand gegeben ist. Sowohl das „normal arbeitende“ als auch das „gesunde“ Immunsystem sind damit nach dem Verständnis des angesprochenen Verbrauchers solche, wie es bei Menschen gewöhnlich anzutreffen ist. Umgekehrt wird ein geringfügig, nicht durch eine Krankheit i.e.S. In seiner Leistungsfähigkeit geschwächtes Immunsystem gerade dann nicht als „krank“ qualifiziert, wenn das Defizit auf dem Mangel bestimmter Nährstoffe wie Vitamine beruht.
100
Ausgehend hiervon werden dann die Aussagen, ein Produkt oder Inhaltsstoff trage zum „normalen“ oder zum „gesunden“ Immunsystem bei, in derselben Weise so verstanden, dass dieser Stoff geringfügige Schwächen der beschriebenen Art kompensieren könne, indem der zugrundeliegende Mangel an entsprechenden Vitaminen ausgeglichen wird.
101
(3) Insoweit sieht der Senat einen entscheidenden Unterschied zu der Fallgestaltung, über die das OLG München zu befinden hatte. Dem Tatbestand jener Entscheidung zufolge war Gegenstand ein Produkt, welches in einer Flasche dargereicht wird und bei dem sich durch Drehen der Verschlusskappe die verschiedenen Inhaltsstoffe so vermischen, dass sich ein verzehrfertiges Produkt ergibt. Das OLG München selbst spricht im weiteren von „Nahrungsergänzungsmittel“.
102
(a) Aus der beschriebenen Darreichungsform ergibt sich, dass der Verbraucher das dort verfahrensgegenständliche Produkt zumindest in die Nähe von Medikamenten rückt, auch wenn er erkennen mag, dass es lediglich als Nahrungsergänzungsmittel einzuordnen ist. Bei so aufgemachten und verpackten Produkten besteht stets eine gesteigerte Gefahr, dass der Verbraucher die Grenze zwischen Nahrungsmitteln und echten Heilmitteln verkennt; dementsprechend ist das Risiko, dass der Begriff „gesund“ anders – insbesondere „stärker“ – interpretiert wird als „normal“ deutlich größer.
103
(b) Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind dagegen Bonbons, also Süßwaren.
104
Süßwaren mit gesteigertem Vitamingehalt mögen zwar (ähnlich Hustenbonbons, die vorrangig zur Linderung von Erkältungssymptomen konsumiert werden) auch deshalb verzehrt werden, weil damit positive Effekte erwartet werden. Der angesprochene Durchschnittsverbrauch ist es gewohnt, dass Süßwaren angeboten werden, deren Verzehr dadurch in einem positiveren Licht dargestellt wird, dass auf einen hohen Vitamingehalt hingewiesen wird. Der Verbraucher konsumiert solche Süßwaren dann nicht des reinen Genusses wegen, sondern, weil er damit seinem Körper zusätzliche Vitamine zuführen und so dessen Funktionen verbessern will.
105
Gleichwohl herrscht das Bewusstsein, dass solche Produkte weit entfernt von Medikamenten sind, und auch zu klassischen Nahrungsergänzungsmittel in Form von Vitaminkapseln oder Vitaminfläschchen wird ein deutlicher Unterschied wahrgenommen. Dies gilt unabhängig davon, ob (wozu die Parteien sich nicht explizit verhalten haben) die verfahrensgegenständlichen Bonbons aufgrund der Zugabe an Vitaminen usw. die Voraussetzungen an ein Nahrungsergänzungsmittel erfüllen. Entscheidend ist, dass die für die Gefahr eines Missverständnisses maßgebliche Distanz zu Medikamenten und damit zu Stoffen mit heilender Wirkung i.e.S. Bleibt erheblich ist.
106
Dies schließt nach Auffassung des Senats aus, dass bei den verfahrensgegenständlichen Bonbons eine relevante Fehlvorstellung darüber aufkommt, sie könnten wie ein Heilmittel dafür sorgen, dass ein nicht-normales und damit nicht-gesundes Immunsystem auf das normale Funktionsniveau gebracht wird.
107
(4) Der Senat gibt dem Kläger zu, dass das Adjektiv „gesund“ tendenziell – für sich genommen – eine positivere Aussage beinhalten kann als das Adjektiv „normal“. Entscheidend für die Zulässigkeit einer Abänderung der in der Liste aufgeführten Aussage muss aber sein, ob im Hinblick auf die konkrete Verwendung ein anderer, über die zugelassene Aussage hinausgehender Sinngehalt vermittelt wird. Hieran fehlt es aus den genannten Gründen. Es mag lediglich für den Durchschnittsverbraucher deutlicher in Erinnerung gerufen werden, dass das Immunsystem für die Gesundheit wichtig ist und er daher Sorge dafür tragen sollte, dass ein System „normal“ oder „gesund“ arbeitet. Diese Wirkung steht aber nicht im Widerspruch zu den Zielen und Wertungen des Art. 10 HCVO.
108
cc) Auch europarechtliche Rechtsakte i.w.S. gebieten kein anderes Verständnis.
109
(1) Die Beklagte hat umfassend dargelegt, dass sich in den Fassungen der Liste zugelassener Aussagen in den jeweiligen Sprachen für die immunsystemrelevanten Wirkungen der Vitamine C, B6, B9 und B 12 teils die entsprechenden Termini für „normal“, teils die für „gesund“ finden. So heißt es in der englischen Fassung an den entsprechenden Stellen „normal“, in der französischen „normale“, in der spanischen „normal[es]“ und in der niederländischen „normaal“. Dagegen wird in der polnischen, rumänischen und ungarischen Sprachfassung jeweils ein „gesund“ bedeutendes Wort verwendet wird, obwohl alle drei Sprachen auch ein Wort „normal“ kennen, dessen Bedeutung der in der deutschen Sprache entspricht. Die Verwendung von Worten wie „gesund“ kann somit nicht damit erklärten, dass die Sprachen einen dem Wort „normal“ entsprechenden Ausdruck nicht kennen. Interessant ist dabei insbesondere die rumänische Version („sanatatii“), da auch die rumänische Sprache dem Kreis der romanischen Sprachen angehört.
110
Eine nachvollziehbare Erklärung für die Verwendung ist ein Ort des anderen Terminus lässt sich damit nicht finden, was dafür spricht, dass die Worte „normal“ und „gesund“ als gleichbedeutend angesehen werden und daher auch eine Auswechslung grundsätzlich gestattet ist.
111
(2) Die nicht verbindlichen „General principles on flexibility of wording for health claims“ befassen sich in Nr. 2 dezidiert mit dem Ausdruck „normal“. Nach Ihnen sollte dieses Wort nicht durch einen anderen Ausdruck ersetzt werden. Gleichwohl wird festgehalten, dass das Wort „normal“ sich nicht in allen Sprachfassungen der Liste findet und in einigen europäischen Amtssprachen stattdessen Wörter wie „healthy“ oder „proper“ verwendet wird. Daher wird betont, dass ausschlaggebend sein muss, dass das Wort dann, wenn die Formulierung angepasst wird, dieselbe Bedeutung für den Verbraucher haben muss wie bei der amtlich zugelassenen Version, indem in gleicher Weise aufgezeigt wird, dass ein Zusammenhang zwischen der Lebensmittelkategorie und der Gesundheit besteht.
112
Ein striktes Gebot, das Wort „normal“ nicht durch andere Begriffe zu ersetzen, haben daher auch die Mitgliedstaaten, die sich auf diese Prinzipien verständigt haben, nicht aufstellen wollen. Entscheidend ist, dass kein weitergehender Eindruck erzeugt wird, als ein solcher, der „stärker“ ist als die zugelassenen Formulierungen und sich im Rahmen der wissenschaftlichen Erkenntnisse hält (vgl. Nr. 1 der General Principles).
113
dd) Der Senat kommt daher zum Ergebnis, dass der Austausch der Worte eine zulässige Abwandlung darstellt.
114
b) Aus Art. 7 Abs. 3 LMIV ergibt sich ebenfalls kein Verbot der angegriffenen Formulierung.
115
aa) Art. 7 Abs. 3 LMIV verbietet Informationen über ein Lebensmittel, die diesem irgendwelche Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder auch nur einen entsprechenden Eindruck erwecken. Der EU-Verordnungsgeber wollte die Verwendung von Informationen, die Lebensmitteln medizinische Eigenschaften zuschreiben, generell verbieten, um zu verhindern, dass Verbraucher zur Selbstmedikation oder Selbstbehandlung greifen, statt einen Arzt aufzusuchen (Sosnitza, in: Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, 190 EL August 2024, Art. 7 LMIV Rn. 371, 378 m.w.N.).
116
Krankheitsbezogene Angaben i.S. dieser Bestimmung sind von rein gesundheitsbezogenen Angaben zu unterscheiden, welche nicht vom Tatbestand des Art. 7 Abs. 3 LMIV erfasst werden und für die vorrangig die HCVO gilt (Sosnitza, in: Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, 190 EL August 2024, Art. 7 LMIV Rn. 377). Was genau eine Krankheit im Sinne der Bestimmung darstellt, ist umstritten. Hier wird teils zwischen Krankheiten und Krankheitssymptomen differenziert (vgl. Sosnitza, in: Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, 190 EL August 2024, Art. 7 LMIV Rn. 382). Überwiegend wird unter Krankheit jede, also auch eine geringfügige oder vorübergehende Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers verstanden; nicht erfasst sind danach normal verlaufende Erscheinungen oder Schwankungen der Funktionen, denen jeder Körper ausgesetzt ist, die seiner Natur oder dem natürlichen Auf und Ab seiner Leistungsfähigkeit entsprechen, wie etwa die Menstruation, die Schwangerschaft, das Greisenalter, Ermüdungserscheinungen oder Hunger (vgl. OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 12. September 2019 – 6 U 114/18, GRUR 2019, 1300, Rn. 24; OLG Nürnberg, Urteil vom 23. Dezember 2014 – 3 U 1874/14, GRUR-RR 2015, 391 (391 f.); Grube, in: Voit/Grube, 2. Aufl. 2016, LMIV Art. 7 Rn. 292; Sosnitza, in: Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, 190 EL August 2024, Art. 7 LMIV Rn. 379).
117
Im Interesse des Gesundheitsschutzes wird hier eine eher weite Auslegung für erforderlich gehalten (OLG Nürnberg, Urteil vom 23. Dezember 2014 – 3 U 1874/14, GRUR-RR 2015, 391 (391); OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 12. September 2019 – 6 U 114/18, GRUR 2019, 1300, Rn. 24). Als Krankheit im Sinne der Bestimmung wurde daher auch der alkoholbedingte „Kater“ oder „Hangover“ qualifiziert (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 12. September 2019 – 6 U 114/18, GRUR 2019, 1300, Rn. 25).
118
Als notwendige Voraussetzung für eine krankheitsbezogene Angabe wird jedoch der Bezug zu einer bestimmten Krankheit angesehen (Sosnitza, in: Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, 190 EL August 2024, Art. 7 LMIV Rn. 383; Grube, in: Voit/Grube, 2. Aufl. 2016, LMIV Art. 7 Rn. 294 m.w.N.). Allgemeine Hinweise auf die Förderung oder Stärkung zum Beispiel des Immunsystems genügen demnach nicht (Grube, in: Voit/Grube, 2. Aufl. 2016, LMIV Art. 7 Rn. 294).
119
Maßgeblich für die Beurteilung ist der Gesamteindruck, den das durchschnittlich informierte, situationsadäquat aufmerksame Mitglied des angesprochenen Verkehrskreises von der Werbung gewinnt (OLG Nürnberg, Urteil vom 23. Dezember 2014 – 3 U 1874/14, GRUR-RR 2015, 391 (392); OLG Hamburg, Urteil vom 22. Juli 2021 – 3 U 195/18, GRUR-RS 2021, 59741, Rn. 46).
120
bb) Die von der Beklagten verwendete Aussage nimmt lediglich darauf Bezug, dass das Immunsystem nicht optimal arbeitet, nicht aber auf eine konkrete Krankheit.
121
(1) Gewisse Einschränkungen der Abwehrfähigkeit des menschlichen Körpers, die z.B. auf unausgewogener Ernährung oder Überlastung beruhen, werden allgemein noch nicht als behandlungsbedürftige Krankheiten bewertet. Ein solcher Zustand wird, sowohl aus Sicht eines Mediziners als auch eines Laien, klar von echten Erkrankungen des Immunsystems unterschieden. Vielmehr besteht, wie beschrieben, bei den angesprochenen Verkehrskreisen die Vorstellung, dass durch zahlreiche Faktoren wie „ungesunde“ Ernährung die Abwehrkräfte in gewissem Umfang reduziert sind, was dann wie gewöhnlich verlaufende Erscheinungen oder Schwankungen solcher Körperfunktionen, nicht aber eine Krankheit, bewertet wird. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil zugleich das Bewusstsein herrscht, dass ein solches Defizit auf einfache Weise durch gewöhnliche Verhaltensweisen wie eine ausgewogene „gesunde“ Ernährung oder die bewusste Einnahme frei erhältlicher Ergänzungsmittel kompensiert werden kann.
122
(2) Die Aussage wird auch nicht so verstanden werden können, es könne einer menschlichen Krankheit vorgebeugt werden, d.h. deren Eintritt – wenn auch nicht zwingend – verhindert werden (zu diesem Begriffsverständnis vgl. Grube, in: Voit/Grube, 2. Aufl. 2016, LMIV Art. 7 Rn. 295). Zwar erinnert die Aussage den Verbraucher daran, dass ein leistungsfähiges Immunsystem das Risiko typischer Infektionskrankheiten verringert. Es ist aber auch allgemein bekannt, dass die Leistung des Immunsystems von zahlreichen Aspekten beeinflusst wird und die individuelle Anfälligkeit für Erkältungskrankheiten von zahlreichen Faktoren abhängt. Die Behauptung, dass Infektions- oder Erkältungskrankheiten generell oder bestimmte Krankheiten dieser Art durch den Verzehr der Bonbons verhindert werden könnten, wird nicht aufgestellt.
123
(3) Zudem ist in systematischer Hinsicht daraus, dass die HCVO eine Aussage des beschriebenen Inhalts grundsätzlich erlaubt, zu folgern, dass damit keine krankheitsbezogene, sondern nur eine gesundheitsbezogene Aussage getroffen wird; es kann kaum Absicht des Unionsgesetzgebers sein, einerseits Angaben mit gewissem Krankheitsbezug im Rahmen der HCVO zuzulassen und diese zugleich mit Art. 7 Abs. 3 LMIV zu untersagen (vgl. OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 12. September 2019 – 6 U 114/18, GRUR 2019, 1300, Rn. 31). Dies gilt sowohl für die Aussage in der Fassung „normal“ als auch in der Variante „gesund“, weil beide Varianten kein abweichendes Heilungs- oder Vorbeugungsversprechen suggerieren. Selbst in der verwendeten Gefahr bezieht sich das Adjektiv „gesund“ nur unmittelbar auf das Immunsystem, nicht aber den Körper als solchen und steht daher nicht im Zusammenhang mit den abzuwehrenden Infektionskrankheiten.
124
c) Der Unterlassungsantrag ist daher unbegründet, sodass die Berufung des Klägers auch in diesem Punkt zurückzuweisen war.
125
5. Erfolg hat demgegenüber die Berufung des Klägers, soweit er einen vollständigen Ersatz seiner Abmahnkosten (§ 13 Abs. 3 UWG) begehrt.
126
Die vom Landgericht unternommene Quotenregelung der begehrten Abmahnkosten in dem Umfang, wie sich die Abmahnung als berechtigt erweist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009, I ZR 149/07, GRUR 2008, 744 Rn. 52 – Sondernewsletter) kommt vorliegend nicht zur Anwendung. Sie setzt voraus, dass sich die Abmahnkosten nach dem Gegenstandswert der Abmahnung richten; nur dann lässt sich sagen, dass bei einer Abmahnung, die sich von Anfang an auf den berechtigten Umfang beschränkt hätte, nur geringere Kosten angefallen wären. Abmahnkosten eines Verbraucher- oder Wirtschaftsverbandes, die sich an dessen Sach- und Personalaufwand orientieren, fallen dagegen auch bei einer nur teilweise berechtigten Abmahnung in gleicher Höhe an und sind deshalb auch in einem solchen Fall in voller Höhe zu erstatten (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009, I ZR 149/07, GRUR 2008, 744 Rn. 51 – Sondernewsletter; BGH, Urteil vom 4. Dezember 2008 – I ZR 100/06, GRUR 2009, 513 Rn. 31 – Efokol, beide m.w.N.).
127
Daher kann der Kläger seine pauschaliert anhand des Aufwands kalkulierten Abmahnkosten ungeachtet des Umstands, dass sein Begehren sich lediglich wegen der „kumulativen Verwendung“ als berechtigt erwiesen hat, in vollem Umfang fordern.
128
Einwände gegen die Höhe der Kosten hat die Beklagte nicht vorgebracht. Der Betrag von 260,00 € hält sich auch nach Wissen des Senats im Bereich dessen, was Verbraucher- oder Wirtschaftsverbände regelmäßig aufgrund der gegebenen Kostenpositionen ansetzen (§ 287 Abs. 1 u. 2 ZPO).
6. Die Nebenentscheidungen waren wie folgt zu treffen:
129
a) Den Streitwert setzt der Senat mit 25.000,00 € fest. Dieser Betrag scheint bei Berücksichtigung des Angriffsfaktors und alle anderen maßgeblichen Gesichtspunkte als geeignet, das Interesse des Klägers, der dabei die Gesamtheit der Verbraucher repräsentiert, abzubilden. Die Parteien haben auch gegen den entsprechenden Vorschlag des Klägers und den Ansatz des Landgerichts keine Einwände erhoben.
130
b) Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 ZPO. Mangels besserer Anhaltspunkte folgt der Senat dem Erstgericht darin, dass sich der Gesamtstreitwert gleichmäßig auf das Begehren nach „kumulativer“ Verwendung beider Begriffe und die nach „isolierter“ Verwendung der beiden Begriffe aufteilt, sodass jeweils 1/3 auf jede Zielrichtung entfällt. Er berücksichtigt dabei auch, dass die Parteien in der mündlichen Verhandlung ihr Interesse an einer Klärung der Zulässigkeit jeder einzelnen der Aussagen betont haben.
131
Der Umstand, dass der Kläger wegen der Abmahnkosten in vollem Umfang durchgedrungen ist, wirkt sich entsprechend § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht aus.
132
Ebenso hat der Umstand, dass der Beklagten die begehrte Aufbrauchfrist zugestanden wurde, keine kostenrechtlichen Folgen. Bei Gewährung einer Aufbrauchfrist liegen regelmäßig die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vor, so dass es billigem Ermessen entspricht, dem Verletzer die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen (Büscher, in: Fezer/Büscher/Obergfell, 3. Aufl. 2016, UWG § 8 Rn. 166; Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Feddersen, 43. Aufl. 2025, UWG § 8 Rn. 1.96; MüKoUWG/Fritzsche, 3. Aufl. 2022, UWG § 8 Rn. 171). Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Die Parteien streiten um die grundsätzlichen Fragen dazu, ob die von der Beklagten verwendeten Angaben zulässig sind, sodass der Aspekt, dass sie die bereits gefüllten Tüten noch bis zum Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums abverkaufen darf, nur wenig ins Gewicht fällt. Überlegungen dazu, ob nicht § 97 Abs. 2 ZPO anzuwenden wäre, weil die Beklagte den entsprechenden Sachvortrag erst in der Berufungsinstanz gehalten hat, erübrigen sich damit.
133
c) Die Revision war für die Beklagte zuzulassen.
134
Der Senat konnte bei seiner Entscheidung, welche Anforderungen sich aus der Koppelungspflicht ergeben, zwar auf Judikate des BGH und des EuGH zurückgreifen. Dies betrafen jedoch einen Fall, in dem die Aussage i.S.v. Art. 10 Abs. 1 HCVO einen erheblich größeren Umfang aufwies als die vorliegende, so dass die Maßstäbe und Kriterien noch nicht hinreichend konturiert sind. Offen bleibt, welche Aspekte bei der Frage, ob vom Erfordernis der „räumlichen Nähe oder unmittelbaren Nachbarschaft“ abgesehen werden kann, relevant sind, insbesondere, welche Bedeutung dabei die Freiheit des Anbieters bei der Gestaltung und Werbung einnimmt. Fraglich ist ferner, welche Anforderungen an einen Sternchenhinweis o.Ä. gelten, damit er „klar und … vollkommen verständlich“ die inhaltliche Entsprechung herstellt. Ein Revisionsverfahren zu diesen bislang nicht geklärten Rechtsfragen lässt insoweit eine weitergehende Präzisierung und Konturierung erwarten.
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Dagegen besteht im Hinblick auf Ersetzung von „normal“ durch „gesund“ weder eine Divergenz noch eine Klärungsmöglichkeit im Hinblick auf eine Rechtsfrage. Der Senat kommt zwar zu einem anderen Ergebnis als das OLG München, doch stellt dies eine Abweichung in einer tatsächlichen Beurteilung dar und beruht zudem maßgeblich auf den Umständen des Einzelfalls, insbesondere der Art des betroffenen Produkts und der darauf begründenden Verkehrsauffassung. Es ist auch nicht erkennbar, dass im Zuge eines Revisionsverfahrens ein Rechtssatz zur Auslegung formuliert werden könnte, der den Instanzgerichten in künftigen Fällen eine weitere Präzisierung geben könnte.
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Im Hinblick auf die Abweisung der Klage wegen des Begriffs „ImmunStark“, die wegen fehlender Begehungsgefahr erfolgt, ist weder eine Divergenz noch eine grundsätzliche Bedeutung erkennbar.
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d) Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit war dementsprechend in Anwendung von § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO zu treffen.