Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 11.03.2024 – 6 U 37/23 e
Titel:

Kein Unterlassungsanspruch bei nicht erkennbarer Berichterstattung

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 1004 Abs. 1 S. 2
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
Leitsatz:
„Mühelos erkennbar“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2005 – VI ZR 122/04, NJW 2005, 2844 Rn. 10; BGH, Urteil vom 15. September 2015 – VI ZR 175/14, NJW 2016, 789 Rn. 28) ist ein von einer Berichterstattung Betroffener nur, wenn sich die Erkennbarkeit aus in der beanstandeten Veröffentlichung selbst mitgeteilten Informationen über die Person ergibt. Dass ein interessierter Leser die Identität des Betroffenen aufgrund von in der Veröffentlichung mitgeteilten Informationen durch eigene Recherchen ermitteln kann, reicht für die Annahme einer „mühelosen Erkennbarkeit“ grundsätzlich nicht aus.
Schlagworte:
mühelos erkennbar, Erkennbarkeit, Betroffenheit, Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Unterlassungsanspruch, Internetrecherche, Recherche, Persönlichkeitsrecht
Vorinstanz:
LG Bayreuth, Urteil vom 12.10.2023 – 31 O 223/23
Fundstellen:
AfP 2024, 355
GRUR-RS 2024, 8906
LSK 2024, 8906

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 12.10.2023 im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 86.800,00 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis längstens 08.04.2024.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Kläger machen gegen die Beklagte presserechtliche Unterlassungs-, Widerrufs- und Schadensersatzansprüche geltend.
2
Die Kläger sind Studenten, die im … 2022 „in ihrer Freizeit“ für ein Dienstleistungsunternehmen in der Gepäckabfertigung am Flughafen Y. arbeiteten. Die Beklagte ist verantwortlich für die in … verbreitete regionale Zeitschrift „…“, zu der eine Onlinepräsenz auf der Internetseite www…..de gehört. Die Beklagte veröffentlichte am xx.xx.2022 auf der von ihr verantworteten Internetseite die folgende Wortberichterstattung (Anlage K 8):
3
Extremismus Mitarbeiter zeigen IS-Geste am Y. Flughafen Ein Foto aus den sozialen Medien sorgt für Aufregung, das Männer mit IS-Geste auf dem Y.er Rollfeld zeigt. Die Behörden reagieren sofort.
4
Y. (…/…) – Drei junge Männer in Arbeitskluft posieren mit einer IStypischen Geste am Rollfeld des größten Flughafens von … in Y.: Mitten in der Sommerferienzeit sorgen diese Bilder aus sozialen Medien für Aufregung. Nach Angaben der Bundespolizei sind sofort nach Bekanntwerden des Vorfalls alle erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergriffen worden. Die „Z.“-Zeitung berichtete über den Vorfall. Ein Bild aus sozialen Medien zeigt, wie drei Männer in Arbeitskluft am Rollfeld stehen und ihre Zeigefinger symbolisch nach oben strecken – eine Geste, die für die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) typisch ist. Die Bundespolizei hat nach eigenen Angaben am Donnerstag Kenntnis von einem Video bekommen und nach einer sofortigen Auswertung den Ort dem Flughafen Y. zugeordnet. Anhand des Bildmaterials seien alle drei Personen identifiziert worden, teilte die Bundespolizei am Freitag mit. Da auf Grund des auf den Videos zu sehenden Verhaltens ein islamistischer Bezug nicht ausgeschlossen werden könne, seien sofort die Flughafenausweise gesperrt worden. Damit sei sichergestellt, dass ein Zutritt zu Sicherheitsbereichen des Flughafens ausgeschlossen sei. Es sei ebenfalls überprüft worden, dass die Personen derzeit keinen Dienst auf dem Flughafen versehen. Der Fall sei dann an die Y.er Polizei übergeben worden.
5
Generalstaatsanwaltschaft Y. führt keine Ermittlungen Ein Polizeisprecher sagte, man sei am Donnerstag zu den Adressen der Männer gefahren. Bei zwei von ihnen habe man eine Gefährderansprache gehalten, der dritte sei im Urlaub gewesen. „Den haben wir weiter im Fokus – wenn er zurück ist, werden wir auch bei ihm eine Gefährderansprache durchführen.“ Gefährderansprachen führt die Polizei durch, wenn sie Hinweise auf eine möglicherweise anstehende Straftat bekommt. Sie wird zum Beispiel bei Extremisten und Hooligans vorstellig. Damit wollen die Beamten signalisieren, dass man die Person auf dem Schirm habe und dass sie die Gedanken, die sie möglicherweise hat, bloß nicht in die Tat umsetzen solle.
6
Die Generalstaatsanwaltschaft Y. führt nach Angaben eines Sprechers keine Ermittlungen in dem Fall. Das Zeigen des erhobenen Zeigefingers erfülle keinen Straftatbestand.
7
Die Bundespolizei wies darauf hin, dass Personal vor einer Tätigkeit im Flughafen-Sicherheitsbereich einer Zuverlässigkeitsüberprüfung unterzogen werde. Zuständig seien die Landesluftsicherheitsbehörden, die dafür etwa Anfragen an Polizei- und Verfassungsschutzbehörden stellten, um dort vorliegende Erkenntnisse berücksichtigen zu können. „Erst nach positivem Überprüfungsergebnis wird ein Flughafenausweis ausgestellt, welcher den Zutritt in den Sicherheitsbereich ermöglicht“, so ein Sprecher. Mit der Überprüfung könnten bereits vor Arbeitsaufnahme mögliche Sicherheitsbedenken erkannt werden. Bei der Bundespolizei lagen den Angaben nach zu den betreffenden Personen keine polizeilichen Erkenntnisse vor.
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„Die Behörden haben umgehend reagiert und da gab es auch keinen Toleranzspielraum“, sagte der … der DPolG Bundespolizeigewerkschaft, A., der …. Er fügte hinzu: „Selbstverständlich führt das zu Magenschmerzen bei den Reisenden, aber die deutschen Flughäfen sind sicher.“ Vor dem Hintergrund einer wachsenden extremistische Bedrohungslage müsse man stetig wachsam bleiben. Die Sicherheitsverfahren müssten stetig betrachtet und auf dem neuesten Stand gehalten werden. Das gelte auch für die Zuverlässigkeitsüberprüfung.
9
Die Flughafen Y. GmbH erklärte, die betroffenen Personen seien keine Mitarbeiter der GmbH, sondern Beschäftigte eines am Flughafen tätigen Dienstleisters.
10
Das berichtete Geschehen hat sich tatsächlich so ereignet. Die Kläger sind zwei der „drei jungen Männer“.
11
Die Kläger haben in erster Instanz vorgetragen, der Vorfall selbst sei komplett harmlos gewesen, nach dem Beladen einer Maschine hätten sie zum Spaß miteinander „gerangelt“, seien von einem Fluggast durch das Fenster der Maschine gefilmt und um ein anschließendes Foto gebeten worden. Für den Fluggast hätten sie mit erhobener Hand und ausgestrecktem Zeigefinger posiert. Sie seien weder Sympathisanten islamistischer Terroristen noch selbst Islamisten und hätten auch keine Sympathie oder Nähe zu solchen Einstellungen bekunden wollen. Auch seien Fluggäste durch ihr Verhalten nicht geängstigt, sondern im Gegenteil erheitert worden.
12
Die Kläger sind der Auffassung, die Berichterstattung der Beklagten sei vorverurteilend und nicht rechtmäßig. Durch die Berichterstattung der Z.-Zeitung (vgl. Anlage K 3), auf die in dem Bericht der Beklagten verwiesen werde, seien sie identifizierbar.
13
Das Landgericht hat nach informatorischer Anhörung der Kläger die auf Unterlassung einzelner Teile der Berichterstattung, Widerruf einer Behauptung, Zahlung von Schadensersatz in Höhe von jeweils 3.400,00 € wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage mit Endurteil vom 12.10.2023 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
14
Der Vorfall habe sich im Bereich öffentlicher Selbstdarstellung der Kläger und an einer Örtlichkeit, die für das Sicherheitsempfinden der Öffentlichkeit weit überdurchschnittlich sensibel sei, ereignet. An die Rechtfertigung einer Berichterstattung seien damit grundsätzlich keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. In der Berichterstattung fänden sich keine sachlichen Fehler. Der äußere Sachverhalt sei auch nach dem Vortrag der Kläger zutreffend geschildert. Zu inneren Tatsachen habe die Beklagte, anders als die Z.-Zeitung, keine Tatsachenbehauptungen aufgestellt. Auch in der Bewertung, die gezeigte Geste sei „IStypisch“ liege keine falsche Tatsachenbehauptung. Das demonstrative Zeigen der „Tauhîd-Geste“ hätten sich Salafisten und Vertreter des IS in der deutschen Öffentlichkeit wirksam zum gemeinsamen Erkennungszeichen gemacht, wie die Beklagte vorgetragen und durch die Anlage B 3 belegt habe. Eine Vorverurteilung der Kläger durch die Berichterstattung sei nicht erkennbar, insbesondere sei ausdrücklich auf die fehlende Strafbarkeit des Zeigens der Geste hingewiesen worden. Die Öffentlichkeit habe hingegen ein hohes Interesse daran, zu erfahren, dass sich ein solcher Vorfall ereignet hat und wie die Behörden und der Flughafenbetreiber darauf reagiert haben. Es könne dahinstehen, ob das öffentliche Interesse an der Berichterstattung so groß gewesen sei, dass es eine identifizierende Berichterstattung gerechtfertigt hätte, denn die Berichterstattung der Beklagten habe die Kläger nicht identifiziert. Die Beschreibung der „drei jungen Männer“ ermögliche keine Identifizierung der Kläger. Auch der Hinweis, dass die Z.-Zeitung berichtet habe, mache die Berichterstattung der Beklagten nicht zur identifizierenden Berichterstattung. Der an einer Identifikation der Kläger interessierte Leser müsse von Grund auf an anderer Stelle recherchieren. Es könne auch von einem Presseorgan, das seinerseits die Namen der Beteiligten und andere Informationen zu deren Identifikation korrekterweise verschweigt, gerade nicht verlangt werden, dass es gar nicht berichte, wenn an anderer Stelle andere Presseorgane „sich nicht seriös verhalten“ hätten. Hinzu komme, dass die Beklagte in ihrer Berichterstattung lediglich eine Meldung einer zuverlässigen Presseagentur (…) übernommen habe, sich also auf das Agenturprivileg berufen könne.
15
Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen, insbesondere wegen der in erster Instanz zuletzt gestellten Anträge, wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Ersturteil (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
16
Gegen das vorgenannte Endurteil richtet sich die Berufung der Kläger, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vortragen:
17
Die Kläger würden von der Beklagten „ohne jede weitere Beweisgrundlage“ in die Nähe des IS gerückt. Dabei stünden die Kläger in Wirklichkeit in keinerlei Nähebeziehung zu diesem oder hegten überhaupt das geringste Interesse für diesen. Den Verlautbarungen der Beklagten ursächlich zugrunde liegt eine Berichterstattung der Z.-Zeitung, die vom Landgericht … per einstweiliger Verfügung als rechtswidrig untersagt und mittlerweile auch per Hauptsache-Urteil verboten worden sei (Anlage BK 1). Weder die Z.-Zeitung noch die Beklagte hätten es zudem für nötig erachtet, den Klägern vor Veröffentlichung ihrer im Höchstmaß rufschädigenden Vorhaltungen eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, um die Vorwürfe weiter aufzuklären. So entstehe der Verdacht, die Kläger hegten tatsächlich Sympathien für den IS, was unwahr und frei erfunden sei. Das Landgericht habe die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nicht einmal erwähnt, geschweige denn, diese seiner rechtlichen Prüfung zugrunde gelegt. Sowohl die Z.-Zeitung als auch die Beklagte wüssten, dass der Vorwurf, die Kläger hätten eine IS-Geste gezeigt, unmöglich einzig und allein auf ein Foto in einem …-Video gestützt werden könne, das die Z.-Zeitung zufällig im Internet aufgefunden habe. Zur Verifizierung dieser schwerwiegenden Vorwürfe hätten die Kläger befragt werden müssen. Es handele sich folglich um unzulässige Verdachtsberichterstattung.
18
Die Kläger seien von der Berichterstattung der Beklagten auch betroffen, denn sie seien für eine Vielzahl von Personen in der Berichterstattung der Beklagten erkennbar. Rechtsirrig nehme das Landgericht insoweit an, die Umstände, die zur Erkennbarkeit führen, müssten sich ausschließlich aus dem streitgegenständlichen Artikel selbst ergeben. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde im Übrigen vollumfänglich auf die Ausführungen in der Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger zum Bundesgerichtshof in einer Parallel-Angelegenheit verwiesen (Anlage BK 2). Richtigerweise könnten an der Erkennbarkeit der Kläger – zumindest für die Rezipienten der Berichterstattung der Z. – keinerlei Zweifel bestehen.
19
Die Kläger hätten keine IS-Geste gezeigt. Diese Behauptung sei unwahr und deshalb nicht nur zu unterlassen, sondern sie sei auch im Wege der Berichtigung zu korrigieren. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang schon die Anträge der Kläger falsch ausgelegt. Die Vorwürfe seien gerade in Bezug auf die Kläger unwahr und geeignet, deren Ansehen in der Öffentlichkeit erheblich zu beeinträchtigen.
20
Die Kläger beantragen im Berufungsverfahren:
I. die Beklagte unter Aufhebung des am 12.Oktober 2023 verkündeten Urteils des Landgerichts Bayreuth zu verurteilen
1. es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, in Bezug auf die Kläger wörtlich und/ oder sinngemäß zu behaupten oder zu verbreiten und/ oder behaupten oder verbreiten zu lassen:
a) „Extremismus …
b) „IS-Geste…“
c) „mit einer IStypischen Geste“
d) „… Geste, die für die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) typisch ist.“
e) „… ein islamistischer Bezug nicht ausgeschlossen werden könne…“
f) „Die „Z.“-Zeitung berichtete über den Vorfall.“
wenn dies geschieht wie in der Veröffentlichung vom xx.xx 2022 unter dem Titel „Mitarbeiter zeigen IS-Geste am Y. Flughafen“, abrufbar unter dem Link https://www….
2. die nachfolgende Berichtigung unverzüglich im Internet unter www…..de in dem gleichen Teil und mit gleicher Schrift wie die Ausgangsmitteilung ohne Einschaltungen und Weglassungen zu veröffentlichen:
Widerruf
Am xx.xx 2022 haben wir über ein Foto aus einem …-Video berichtet, das Herrn … und Herrn … jeweils mit erhobener Hand und ausgestrecktem Zeigefinger zeigt. Hierzu berichteten wir wörtlich:
„ … zeigen IS-Geste“
Wir widerrufen diese Äußerung als unwahr.
- der Verlag
II.
Namens und in Vollmacht der Klägers zu 1) die Beklagte zu verurteilen,
1.
an den Kläger zu 1) eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch einen Betrag in Höhe von 3.400,- EUR nicht unterschreiten soll,
2.
den Kläger zu 1) von den vorgerichtlichen Kosten für dieses Verfahren in Höhe von 2.824,59 EUR freizustellen.
III.
Namens und in Vollmacht der Klägers zu 2) die Beklagte zu verurteilen,
1.
an den Kläger zu 2) eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch einen Betrag in Höhe von 3.400,- EUR nicht unterschreiten soll,
2.
den Kläger zu 2) von den vorgerichtlichen Kosten für dieses Verfahren in Höhe von 2.824,59 EUR freizustellen.
21
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
22
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und erwidert auf das Berufungsvorbringen insbesondere:
23
Über die Kläger werde in dem streitgegenständlichen Artikel nicht identifizierbar berichtet und es werde auch nichts über ihre IS-Nähe ausgesagt. Das Landgericht habe in dem angefochtenen Urteil auf Grundlage des Sachvortrags der Beklagten festgestellt, dass das Tauhid-Zeichen vom „Islamischen Staat“ vereinnahmt worden und in der Vergangenheit von Attentätern vor, nach oder während der Verübung eines Attentats gezeigt worden sei. Es habe auch zutreffend festgehalten, dass die Beklagte zum inneren Sachverhalt keine Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe. Gegen diese Feststellungen wende sich die Berufung nicht.
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Entgegen der Ansicht der Berufungsbegründung seien im vorliegenden Fall die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nicht anwendbar. Über die Kläger sei kein Verdacht verbreitet worden, insbesondere nicht hinsichtlich ihrer mutmaßlichen Einstellung zum IS oder zum islamistischen Terror. Eine Persönlichkeitsrechts- oder Sorgfaltspflichtverletzung durch die Beklagte scheide zudem bereits wegen der fehlenden Erkennbarkeit der Kläger aus. Die von den Klägern begehrte Verurteilung würde eine anonyme Berichterstattung faktisch unmöglich machen und damit weite Teile des Zeitgeschehens der öffentlichen Wahrnehmung entziehen. Denn bei vielen Sachverhalten sei aus nachvollziehbaren Gründen eine Identifizierbarmachung der Beteiligten unzulässig. Mit dem faktischen Ausschluss einer Anonymisierbarkeit ginge in diesen Fällen zwingend das Verdikt eines Berichterstattungsverbots einher.
25
Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen.
II.
26
Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung der Kläger offensichtlich unbegründet, so dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bietet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die Klage abgewiesen und angenommen, den Klägern stehe gegen die Beklagte kein Unterlassungsanspruch nach §§ 1004 Abs. 1 Satz 2, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG wegen einer Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann daher zunächst auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen werden. Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich die nachfolgenden ergänzenden Anmerkungen:
1. Der Senat tritt zunächst der Auffassung des Landgerichts bei, die Kläger seien von der Berichterstattung der Beklagten nicht betroffen, da die Kläger durch die Wortberichterstattung der Beklagten nicht erkennbar seien.
a) Ein Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts steht demjenigen zu, der durch die Veröffentlichung individuell betroffen ist. Dies setzt voraus, dass er erkennbar zum Gegenstand einer medialen Darstellung wurde.
b) Daran fehlt es im zur Entscheidung gestellten Fall auch nach der Ansicht des Senats.
Aus den in dem Artikel enthaltenen Angaben selbst ergibt sich keine Erkennbarkeit der Kläger. Die einzige individualisierende Angabe ist, dass es sich um „drei junge Männer“ handele, die im Sicherheitsbereich (Rollfeld) als Beschäftigte eines am Y. Flughafen tätigen Dienstleisters eingesetzt waren. Dies trifft auf eine Vielzahl von Personen zu. Letztlich zieht dies auch die Berufungsbegründung nicht ernsthaft in Zweifel.
c) Entgegen der Ansicht der Berufungsbegründung sind die Kläger auch nicht deswegen „erkennbar“, weil der Artikel die vorausgegangene Berichterstattung der Z.-Zeitung erwähnt.
aa) Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und zahlreicher weiterer Oberlandesgerichte sowie der herrschenden Lehre an, wonach sich die Umstände, die zur Identifizierung und damit Erkennbarkeit des Betroffenen führen, aus dem Artikel selbst ergeben müssen. Für eine Erkennbarkeit reicht es nicht schon aus, wenn ein interessierter Leser die Identität des Betroffenen durch eigene Recherchen ermitteln kann.
(1) Zwar nimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an, für eine Erkennbarkeit sei ausreichend, dass sich die Identität „mühelos ermitteln“ lasse. Jedoch formuliert der Bundesgerichtshof zugleich regelmäßig, die Erkennbarkeit sei gegeben, wenn die Person ohne namentliche Nennung „aufgrund der mitgeteilten Umstände“ erkennbar werde (BGH, Urteil vom 21. Juni 2005 – VI ZR 122/04, NJW 2005, 2844 Rn. 10; BGH, Urteil vom 15. September 2015 – VI ZR 175/14, NJW 2016, 789 Rn. 28). In der „Esra“-Entscheidung hat der Bundesgerichtshof dementsprechend darauf abgestellt, dass „aus den Darstellungen im Roman“ auf die dortigen Klägerinnen geschlossen werden könne (BGH, Urteil vom 21. Juni 2005 – VI ZR 122/04, NJW 2005, 2844 Rn. 14). Dem folgend versteht der Senat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einer „mühelosen Erkennbarkeit“ so, dass sich die Erkennbarkeit aus in der beanstandeten Veröffentlichung mitgeteilten Informationen über die Person ergeben muss. Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt eine Erkennbarkeit nur aufgrund von „entsprechenden Recherchen“ grundsätzlich nicht ausreichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. November 1999 – 1 BvR 348/98, NJW 2000, 1859 Rn. 40).
(2) In diesem Sinne wird die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch von der überwiegenden Anzahl der Oberlandesgerichte sowie der herrschenden Lehre verstanden. Dass ein interessierter Leser die Identität durch eigene Recherchen ermitteln kann, reicht für eine Erkennbarkeit nicht aus (OLG Köln, Urteil vom 14.6.2018 – 15 U 157/17, NJW-RR 2019, 106 Rn. 21; KG Berlin, Beschluss vom 21. Januar 2021 – 10 U 1/20, ZUM-RD 2021, 470 Rn. 32; OLG Dresden, Urteil vom 25. Januar 2022 – 4 U 2052/21, K& R 2022, 374 Rn. 24; Söder, in: BeckOK-Informations- und Medienrecht, 42. Edition Stand: 01.11.2023, § 823 BGB Rn. 75; Sedelmeier/Burkhardt, in: Löffler, Presserecht, 7. Aufl. 2023, § 11 LPG Rn. 75; Weberling/Hagemeister, in: Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 7. Aufl. 2021, § 24 Rn. 5; Burkhardt, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, 12. Kapitel, Rn. 43; Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl. 2019, § 13 Rn. 13.53).
27
Die von der Berufungsbegründung intendierte Ausdehnung des Begriffs der Erkennbarkeit stellte, wie die Berufungserwiderung zu Recht einwendet, eine erhebliche Beeinträchtigung des Rechts auf freie Berichterstattung dar, weil in den Fällen, in denen eine identifizierende Berichterstattung unter Namensnennung oder mit Abdruck eines Fotos wegen der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen nicht möglich wäre, eine anonymisierte Berichterstattung rechtlich zwar zulässig, faktisch aber ausgeschlossen wäre, weil es theoretisch immer möglich ist, dass mit den Umständen des Einzelfalls vertraute Dritte bei eingehender Recherche einen Rückschluss auf den Betroffenen ziehen können (OLG Dresden a.a.O.; Burkhardt, a.a.O.).
28
bb) Dies zugrunde gelegt genügt es nicht, wenn der Leser des Artikels des Beklagten durch die Berichterstattung der Z.-Zeitung oder gar erst durch eine Internetrecherche die Kläger identifizieren kann.
29
2. Ein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte besteht darüber hinaus auch deswegen nicht, weil die Beklagte über die Kläger keine unwahren Tatsachen behauptet hat.
30
a) Die von den Klägern „geposte“ Geste als „IS-Geste“, „IStypische Geste“ oder „Geste, die für die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) typisch ist“ zu beschreiben, ist nicht unwahr. Die Behauptung der Berufungsbegründung, „die Kläger hätten keine IS-Geste gezeigt“ widerspricht den Feststellungen des Landgerichts, findet keine Stütze im Vortrag der Kläger und ist objektiv unrichtig.
31
Die Geste des erhobenen Zeigefingers ist im islamischen Kontext mehrdeutig. Die Beklagte hat allerdings unter Bezugnahme auf die Anlage B 3 und Veröffentlichungen des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren (Seite 4 f. der Klageerwiderung) unwidersprochen vorgetragen, dass diese Geste – jedenfalls auch – als Erkennungszeichen von Salafisten und IS-Mitgliedern sowie IS-Sympathisanten genutzt wird. Dies wird bestätigt durch die von den Klägern selbst vorgelegte Anlage K 11, in welcher der Autor Nathaniel Zelinsky vom Journal „Foreign Affairs“ erläutert: „Das Zeichen ist häufig als Geste der IS-Kämpfer zu sehen. Zelinsky deutet das als Signal zur ‚Zerstörung der westlichen Welt‘“.
32
Dass die Kläger die Geste in Kenntnis dieser Bedeutung benutzt hätten, wird in dem streitgegenständlichen Artikel nicht behauptet.
33
b) Die Kläger können auch nicht verlangen, dass die Beklagte den Satz „Die Z.-Zeitung berichtete über den Vorfall“ unterlässt. Diese Tatsachenbehauptung trifft uneingeschränkt zu. Soweit diese Berichterstattung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger verletzt haben sollte, ändert dies nichts daran, dass die streitgegenständliche Aussage der Beklagten wahr ist. Ein eigenständiger, das Persönlichkeitsrecht verletzender Gehalt kann ihr nicht entnommen werden, zumal sich die Beklagte die vorgenannte Berichterstattung inhaltlich nicht zu eigen gemacht hat.
34
c) Bei der Formulierung, „ein islamistischer Bezug könne nicht ausgeschlossen werden“ handelt es sich um die Wiedergabe einer Verlautbarung der Bundespolizei, welche zuvor das zur Verfügung stehende Bildmaterial ausgewertet hatte. Die Aussage ist unter Angabe der Quelle in indirekter Rede wiedergegeben. Die Beklagte hat sich diese Aussage somit nicht zu eigen gemacht. In Anbetracht der mindestens mehrdeutigen Geste, welche die Kläger gezeigt haben, ist die Aussage auch nicht unrichtig.
35
Daher kann der Beklagten auch nicht verboten werden, den streitgegenständlichen Artikel in die Rubrik „Extremismus“ einzuordnen. Soweit der Verdacht eines islamistischen Bezugs nicht auszuschließen war, was die Beklagte unter Bezugnahme auf eine offizielle Verlautbarung der Bundespolizei annehmen durfte, kann die Berichterstattung durch dieses Stichwort kategorisiert werden. Offenkundig handelt es sich auch nicht um eine Aussage, die auf die Charakterisierung der Kläger zielt, sondern nur der Leserschaft eine schlagwortartige Einordung der Thematik ermöglichen soll.
36
3. Angesichts des fehlenden Unterlassungsanspruchs bestehen auch die weiteren geltend gemachten Ansprüche auf Widerruf, Zahlung einer Geldentschädigung sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht.
III.
37
Die Berufungsangriffe erfordern keine Erörterung in mündlicher Verhandlung.
38
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder anderer Oberlandesgerichte ab. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der als Anlage BK 2 vorgelegten Nichtzulassungsbeschwerdeschrift.
39
Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme der Berufung an, die zwei Gerichtsgebühren spart (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis GKG).