Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 05.04.2024 – 3 W 545/24 UWG
Titel:

Antrag auf Anordnung von Schutzmaßnahmen für Klagepartei in Geschäftsgeheimnisstreitsache  

Normenkette:
GeschGehG §§ 16, 19
Leitsatz:
Die §§ 16-20 GeschGehG bilden keine Grundlage dafür, der Klagepartei Geheimhaltungsauflagen hinsichtlich der von ihr eingereichten Schriftsätze aufzuerlegen. Dies gilt auch, wenn sich die beklagte Partei damit verteidigt, das Geschäftsgeheimnis stehe in Wirklichkeit ihr zu.
Schlagworte:
Unterlassung, Verletzung, Widerspruch, Offenbarung, Rechtsverfolgung, Auflage, Zugang, Form, Schutz, Umfang, Hauptsache, Schriftsatz, Verfahren, Rechtsbehelf, Zugang zu Dokumenten, Gelegenheit zur Stellungnahme, keinen Erfolg
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 02.02.2024 – 19 O 127/22
Fundstelle:
GRUR-RS 2024, 8032

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 1) und 2) gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 2. Februar 2024, Az. 19 O 127/22, wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagten zu 1) und 2) tragen hälftig die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
1
Die Parteien streiten darum, ob das Landgericht gegenüber der Klagepartei Anordnungen nach §§ 16, 19 GeschGehG treffen muss.
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Die Klägerin verfolgt in der Hauptsache gegen die sieben Beklagten, mit im einzelnen unterschiedlichem Inhalt und Umfang, Unterlassung-, Auskunfts- und Vernichtungsansprüche sowie (dem Grunde nach) Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Geschäftsgeheimnissen im Bezug auf die von ihr hergestellten Rührgeräte für den pharmazeutischen Einsatz. Der Senat hat, nachdem das Landgericht zunächst die von der Klagepartei begehrten Anordnungen nach §§ 16, 19 GeschGehG abgelehnt hat, mit Beschluss vom 7. Juni 2023 (unter Zurückweisung des weitergehenden Begehrens) solche Anordnungen getroffen, soweit sie Informationen zum Aufbau der Rühreinheit und zum verwendeten Algorithmus bei der Skalierung der Mischparameter betreffen. Die Entscheidung über die Hilfsanträge der Beklagten (die mit Schriftsatz vom 27. Mai 2023 unter I. und II. primär die Zurückweisung dieser Anträge begehrt hatte), auch für die Klägerseite den Zugang zu deren Dokumenten und den Zutritt zur mündlichen Verhandlung zu beschränken (Antrag unter III. des Schriftsatzes vom 27. Mai 2023), hat er darin dem Landgericht übertragen.
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Die Beklagten zu 1) und 2) haben in der Folgezeit diesen Antrag mit Schriftsatz vom 18. November 2023 (dort unter II.) modifiziert. Sie halten die Einstufung von Passagen und Anlagen der Klageschrift als geheimhaltungsbedürftig und entsprechende Anordnungen für geboten, weil die betroffenen Informationen möglicherweise der Beklagten zu 1) als Geschäftsgeheimnis zuzuordnen seien und durch die vorliegende Klage die Gefahr bestehe, dass auf Seiten der Klägerin weitere Mitarbeiter von den Informationen Kenntnis erlangen. Ferner seien das Ziel eines fairen Verfahrens und die prozessuale Waffengleichheit zu berücksichtigen.
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Das Landgericht hat mit (nicht verfahrensgegenständlichem) Beschluss vom 2. Februar 2024, in Ergänzung eines vorangegangenen Beschlusses, jeweils eine weitere Person auf Seiten der Beklagten zu 1) und zu 2) als zuverlässige Personen bestimmt und der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme hinsichtlich als zuverlässig einzustufender Rechtsanwälte gegeben. Im vorliegend angefochtenen Beschluss vom 2. Februar 2024 hat es den Antrag der Beklagten zu 1) und 2) vom 27. Mai 2023 i.V.m. 18. November 2023 abgelehnt. Es hat sich dabei den Ausführungen des Senats im Beschluss vom 7. Juni 2023 angeschlossen, welche auch nach Anpassung der Anträge der Beklagten zu 1) und 2) maßgeblich seien. Über den Antrag I. vom 18. November 2023, Passagen der Klageschrift samt Anlagen nicht mehr als geheimhaltungsbedürftig einzustufen, werde das Landgericht erst entscheiden, wenn die Klagepartei zur ungeschwärzten Fassung dieses Schriftsatzes Stellung nehmen konnte; diese könne aber nicht hinausgegeben werden, weil zunächst über den Antrag II. der Beklagten zu 1) und 2) entschieden werden müsse.
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Gegen diese Entscheidung haben die Beklagten zu 1) und 2) mit Schriftsatz vom 27. Februar 2024 sofortige Beschwerde eingelegt. Das Oberlandesgericht habe in seinem Beschluss vom 7. Juni 2023 übersehen, dass den Beklagten die angeblichen Geschäftsgeheimnisse aufgrund der unstreitigen jahrelangen Kooperation der Parteien bekannt seien. Letztlich gehe der Streit darum, ob die Klägerin oder die Beklagten Inhaber der vermeintlichen Geschäftsgeheimnisse seien. Im Zuge der vorliegenden Prozessführung komme es auch dazu, dass innerhalb des Unternehmens der Klägerin vom „Need-to-Know-Prinzip“ abgewichen werde, und so die Gefahr der Kenntniserlangung durch Personen entstehe, die nicht dem entsprechenden technischen Aufgabengebiet angehören. Aufgrund des Charakters als Inhaberstreit hätten auch die Beklagten ein Interesse, die Klägerin daran zu hindern, die geltend gemachten Geschäftsgeheimnisse zu veröffentlichen. Das vom Senat angeführte Argument, die Klägerin dürfe nicht den Vorwurf riskieren, sich nicht ausreichend um den Schutz ihres Geschäftsgeheimnisses gekümmert zu haben, müsse in gleicher Weise für die Beklagten gelten. Des Weiteren kündigen die Beklagten zu 1) und zu 2) an, ihren Antrag auf Aufhebung der vom Senat getroffenen Anordnungen beim Oberlandesgericht einzubringen.
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Die Klägerin hat in ihrem Schriftsatz vom 3. April 2024 die Erwägungen des Senats verteidigt.
II.
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Der zulässige, insbesondere form- und fristgerecht beim iudex a quo sowie aufgrund seiner Zielrichtung statthaft (§ 20 Abs. 5 S. 5 GeschGehG) eingelegte, Rechtsbehelf hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Das Landgericht hat es zutreffend abgelehnt, der Klagepartei Geheimnisschutzmaßnahmen nach §§ 16, 19 GeschGehG wegen der in ihrer Klageschrift samt Anlagen enthaltenen Informationen aufzuerlegen. Hierfür besteht, wie der Senat bereits im vorangegangenen Beschluss vom 7. Juni 2023 skizziert hat, keine rechtliche Grundlage und kein Bedarf.
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a) Der Zweck der §§ 16, 19 GeschGehG besteht darin, zu verhindern, dass aufgrund des Rechtsstreits wegen eines Geschäftsgeheimnisses das Geschäftsgeheimnis dem Prozessgegner oder Dritten bekannt wird. Die Bestimmungen enthalten nach allgemeinem Verständnis Vorschriften zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Prozess (Kalbfus, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, 2. Auflage 2024, Vor §§ 16-20 Rn. 1). Sie sollen die effektive Durchsetzung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen ermöglichen, indem sie das Risiko für den Anspruchssteller ausschließen, dass das Geschäftsgeheimnis offenbart wird und er faktisch seinen Schutz verliert, weil er es zum Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht hat (BeckOK GeschGehG/Gregor, 18. Ed. 15.3.2021, GeschGehG § 16 Rn. 1 unter Hinweis auf BT-Drs. 19/4724, 34 und Erwägungsgrund 24 RL (EU) 2016/943).
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Die in §§ 16, 19 GeschGehG ermöglichten Anordnungen sollen mithin gewährleisten, dass die (Klage-)Partei, die mit ihrem Sachantrag den eines Geschäftsgeheimnisses verfolgt und sich damit eines solchen Geschäftsgeheimnisses berühmt, alle zur Rechtsverfolgung notwendigen Informationen mit der gebotenen Substantiierung in den Rechtsstreit einführen kann, ohne Gefahr zu laufen, dass gerade dadurch ein Dritter oder der Prozessgegner, der typischerweise zu ihren Wettbewerbern gehört, erstmals oder in erweitertem Umfang Kenntnis von den sensiblen Informationen erlangt. Umgekehrt muss dem in Anspruch genommenen Beklagten wegen des Gebots rechtlichen Gehörs möglich sein, sich gegen die Klageanträge wirkungsvoll zu verteidigen, indem er erfährt, was genau die Klägerseite geltend macht, und darauf aufbauend u.a. einwenden können, die Voraussetzungen für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen lägen nicht vor (vgl. die Schilderung bei Schönknecht, in: Keller/Schönknecht/Glinke, Geschäftsgeheimnisschutzgesetz, 1. Auflage 2021, Vorbemerkung zu §§ 16- 20, Rn. 2 ff.). Bei der Durchsetzung von Verletzungsansprüchen ginge der Geheimnisinhaber mithin das Risiko ein, entweder den Prozess oder das Geschäftsgeheimnis zu verlieren (Ohly/Sosnitza/Ohly, 8. Aufl. 2023, GeschGehG § 20 Rn. 1; Schönknecht, in: Keller/Schönknecht/Glinke, Geschäftsgeheimnisschutzgesetz, 1. Auflage 2021, Vorbemerkung zu §§ 16 -20, Rn. 7; Kalbfus, wrp 2019, 692 Rn. 1, 7). Um das sich so ergebende Dilemma aufzulösen, hat der Gesetzgeber, anstatt ein verfassungsrechtlich problematisches in-camera-Verfahren vorzusehen (vgl. Kalbfus, in: Harte-Bavendamm/ Ohly/Kalbfus, GeschGehG, 2. Auflage 2024, Vor §§ 16-20 Rn. 5 ff.; Kalbfus, wrp 2019, 692 (692) Rn. 8), die Möglichkeit geschaffen, den Kreis der Personen zu begrenzen, die uneingeschränkten Zugang zu Schriftsätzen und mündlichen Verhandlungen haben (Maaßen/Perino-Stiller, wrp 2022, 1208, Rn. 1).
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b) Hieraus folgt, dass die §§ 16, 19 GeschGehG nur dann herangezogen werden können, wenn verhindert werden soll, dass eine zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zwangsläufig gebotene Offenlegung von Informationen dem Ziel des Schutzes des Geschäftsgeheimnisses zuwiderläuft. Die Maßnahmen sollen dabei gerade sicherstellen, dass es nicht durch die notwendige Offenlegung von Umständen im Laufe des Rechtsstreits zu einer Entwertung des Geschäftsgeheimnisses kommt.
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Dagegen sind die §§ 16, 19 GeschGehG kein Instrument, mit dem Vorkehrungen gegen (möglicherweise) das Geschäftsgeheimnis offenbarende Handlungen erwirkt werden können, zu denen es außerhalb oder nur bei Gelegenheit eines anhängigen Rechtsstreits kommt. Will der Beklagte – insbesondere, weil er einwendet, das geltend gemachte Geschäftsgeheimnis stehe in Wirklichkeit ihm zu – erreichen, dass die Klagepartei die Informationen nicht verwenden und weitergeben darf, muss er hierzu grundsätzlich selbst entsprechende Sachanträge, in einem gesonderten Verfahren oder durch eine Widerklage, stellen. Mittels der §§ 16, 19 GeschGehG kann er lediglich erreichen, dass in diesem Zuge von ihm in dem Prozess eingeführte eigene Informationen (wozu er etwa im Fall einer Beweislastumkehr oder einer sekundären Darlegungslast gezwungen sein kann) nicht an Dritte und auf Klägerseite nur an einen begrenzten Kreis von Personen gelangen (vgl Kalbfus, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, 2. Auflage 2024, Vor §§ 16-20 Rn. 9 u.ö.). Die gebotene Symmetrie wäre dagegen überschritten, wenn der Beklagte im Wege der §§ 16, 19 GeschGehG Beschränkungen erreichen könnte, die auch der Kläger als der ursprüngliche Angreifer nur mittels Sachanträgen erlangen könnte.
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c) Dieses Verständnis steht nicht im Widerspruch dazu, dass nach vorherrschendem Verständnis der Begriff der „streitgegenständlichen Informationen“ nicht streng im Sinne des herkömmlichen Streitgegenstandsbegriffs zu verstehen ist, sondern sämtliche Informationen meint, die die Parteien einführen und damit zum Teil des Verfahrens machen (BeckOK GeschGehG/Gregor, 18. Ed. 15.3.2021, GeschGehG § 16 Rn. 20; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, 42. Aufl. 2024, GeschGehG § 16 Rn. 25; MüKoUWG/ Schlingloff, 3. Aufl. 2022, GeschGehG § 16 Rn. 3). Dies bedeutet nur, dass sich Zugangsbeschränkungen auch auf Dokumente und Informationen von anderen Personen als dem Kläger/Antragsteller beziehen können und, was ebenfalls aus Art. 9 der maßgeblichen Richtlinie hervorgeht, im Verfahren grundsätzlich auch Informationen des Beklagten/Antragsgegners geschützt werden sollen (Alexander, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, 42. Aufl. 2024, GeschGehG § 16 Rn. 25; BeckOK GeschGehG/Gregor, 18. Ed. 15.3.2021, GeschGehG § 16 Rn. 20; m Kalbfus, wrp 2019, 692 (692) Rn. 14). Dementsprechend wird auch ausgeführt, dass als streitgegenständlich nur die vom Beklagten „zu seiner Verteidigung vorgebrachten“ Informationen anzusehen sind (Schönknecht, in: Keller/ Schönknecht/Glinke, Geschäftsgeheimnisschutzgesetz, 1. Auflage 2021, § 16, Rn. 29), also nicht auch solche, die bereits von der Gegenseite zwecks der Rechtsverfolgung eingeführt wurden.
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d) Im Übrigen spricht für den hier vertretenen Standpunkt, dass auch vorangegangene Anordnungen nach §§ 16, 19 GeschGehG den Prozessgegner nicht in seinen geschäftlichen Aktivitäten hindern können und daher kein Verstoß gegen entsprechende Anordnungen vorliegt, wenn er die Informationen bereits vorher und unabhängig von dem Prozess erlangt hatte (so die vom Senat in Bezug genommenen Ausführungen bei Maaßen/Perino-Stiller, wrp 2022, 1208, Rn. 28; vgl. auch Kalbfus, wrp 2019, 692 (692) Rn. 19). Dann können aber die §§ 16, 19 GeschGehG spiegelbildlich auch kein Mittel sein, um zu verhindern, dass die Klagepartei ihr bereits unabhängig vom Prozess bekannte Informationen, mögen sie auch Geschäftsgeheimnisse des Gegners darstellen, nutzt oder weitergibt.
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e) Die im Beschwerdeschriftsatz angeführten Argumente greifen vor diesem Hintergrund nicht durch. Soweit es – wie bei den vorliegenden Anträgen – um Informationen geht, die bereits die Klägerin in den Prozess eingeführt hat, befinden sich die Beklagten von vornherein nicht in der Situation, entweder den Rechtsstreit zu verlieren (wenn sie darauf verzichten würden, relevante Informationen einzuführen) oder das Geschäftsgeheimnis zu verlieren (wenn sie relevante Informationen preisgeben).
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aa) Der gerügte innere Widerspruch zwischen dem Umstand, dass der Senat Anordnungen gegen die Beklagte getroffen hat, und der Annahme des Senats, der Beklagten seien gewisse Umstände bereits vor Klageerwiderung aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit der Unternehmen der Parteien bekannt, besteht nicht.
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Die Maßnahmen nach §§ 16, 19 GeschGehG sollen, wie dargelegt, sicherstellen, dass zur Verfahrensführung notwendigerweise mitgeteilte Informationen nicht dadurch weiter offenbart und verbreitet werden, dass sie Prozessstoff und dadurch einer größeren Zahl von Personen außerhalb des eigenen Unternehmens bekannt werden. Solche Maßnahmen können auch dann geboten sein, wenn bereits – was in Geschäftsgeheimnisstreitsachen zumindest typischerweise der Fall sein wird – bestimmte Personen der Gegenseite bestimmte Informationen besitzen.
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Es mag sein, dass deshalb die Klagepartei eine unbefugte Weitergabe und Ausnutzung nur schwer unterbinden kann. Ob sie einen Anspruch darauf hat, dass es hierzu nicht kommt, soll gerade in dem Rechtsstreit mittels der Sachanträge geklärt werden. Die §§ 16, 19 GeschGehG sind nicht dazu bestimmt, dies vorab zu klären, sondern nur der beschriebenen Gefahr einer Verschlimmerung gerade infolge der Prozessführung entgegenzuwirken.
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Im Übrigen kann einer Klagepartei, auch wenn sie – wie in Geschäftsgeheimnissachen typisch – behauptet, der Gegner besitze bereits bestimmte Informationen und verwende diese in rechtswidriger Weise, auch deshalb eine Schutzanordnung nicht verwehrt werden, weil sie Vorkehrungen dagegen treffen darf, dass ihre Behauptung nicht zutrifft. Der Prozess dient naturgemäß auch der Klärung, ob die Gegenseite bereits relevante Informationen besitzt. Stellt sich diese Behauptung als unzutreffend voraus, verliert die Klagepartei zwar den Rechtsstreit; sie darf aber auch für diesen Fall verhindern, dass Informationen erstmals an die Gegenseite gelangen (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juni 2023, unter II. 6. b) cc)).
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bb) Den Beklagten ist insoweit zwar zuzugeben, dass die Prozessführung auch das Risiko einer Vergrößerung der Zahl der Wissensträger auf der Klägerseite mit sich bringt, da das Need-to-know-Prinzip schlechter verwirklicht werden kann. Wie ausgeführt, ist es aber nicht Aufgabe der §§ 16, 19 GeschGehG, zu verhindern, dass der behauptete Inhaber des möglichen Geschäftsgeheimnisses den Schutz verliert, weil er mögliche und gebotene Schutzmaßnahmen nicht ergreift, was auch bei Handlungen im Zuge einer Prozessführung der Fall sein kann.
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Soweit die Behauptung der Beklagten, das Geschäftsgeheimnis stünde ihnen oder anderen Unternehmen ihrer Gruppe zu, zuträfe, würde sich zwar durch die vorliegende Prozessführung eine weitergehende Offenbarung in der Sphäre der Klägerin ergeben. Betroffen wäre dann aber nicht das von der Klägerin geltend gemachte Geschäftsgeheimnis, sondern ein (wenn auch weitgehend inhaltsgleiches) Geschäftsgeheimnis der Beklagten. Der Schutz eines solchen Geschäftsgeheimnisses kann grundsätzlich nicht über die §§ 16, 19 GeschGehG erreicht werden (es sei denn, Ausführungen hierzu finden sich notwendigerweise in schriftsätzlichem Vortrag der Beklagten), sondern nur durch Sachanträge, die dann (soweit es um den Schutz im Zuge der dadurch veranlassten Prozessführung geht) Anlass für Maßnahmen nach §§ 16, 19 GeschGehG sein könnten. Voraussetzung dafür, dass die Beklagten den Schutz eines von ihnen beanspruchten Geschäftsgeheimnisses erreichen können, der sich nicht gerade durch von ihnen erfolgte Ausführungen zur Rechtsverteidigung ergibt, sind somit – was sich wieder aus der Symmetrie ergibt – eigene Sachanträge dieser Partei; Gegenstand von Maßnahmen nach §§ 16, 19 GeschGehG könnten aber auch dann nur Informationen sein, die die Widerklagepartei gerade zum Zweck der erfolgreichen Rechtsverfolgung eingeführt hat.
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cc) Auch wenn somit die Klägerin durch eine Veröffentlichung von Umständen, die ein Geschäftsgeheimnis der Beklagten betreffen, dieses entwerten und damit den Erfolg einer späteren Widerklage der Beklagten verringern könnten, ist der insoweit möglicherweise veranlasste Schutz nicht über die §§ 16, 19 GeschGehG herzustellen. Ebenso wenig, wie die Klagepartei vor Einleitung eines Rechtsstreits, in dem sie materiellrechtliche Ansprüche wegen ihres Geschäftsgeheimnisses verfolgt, über §§ 16, 19 GeschGehG Schutzmaßnahmen gegen die beklagte Partei erreichen kann, kann die beklagte Partei über §§ 16, 19 GeschGehG den Schutz eines von ihr beanspruchten Geheimnisses erzielen, solange keine entsprechenden Hauptanträge gestellt sind. Dies gilt auch dann, wenn beide letztlich dasselbe Geschäftsgeheimnis geltend machen und nur darüber streiten, wem es zustehe.
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dd) Aus diesem Grund verfängt auch das Argument der Beklagten nicht, auch sie seien dem Risiko ausgesetzt, dass die Klägerin Ihnen später vorwirft, nicht ausreichend für den Schutz ihres Geschäftsgeheimnisses gesorgt zu haben. Wenn sie dieses Risiko vermeiden wollen, müssen sie die jeweils rechtlich möglichen Maßnahmen ergreifen, wozu aber derzeit isoliert Anträge nach §§ 16, 19 GeschGehG nicht zählen.
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f) Dazu, dass der Grundsatz der prozessualen Waffen- oder Chancengleichheit nicht gebietet, einer Partei allein deshalb Beschränkungen aufzuerlegen, weil sie gegenüber der anderen zu treffen waren, hat der Senat bereits in seinem vorangegangenen Beschluss das Gebotene ausgeführt. Argumente, die Anlass zu einer abweichenden Beurteilung geben könnten, bringt die Beschwerde nicht vor.
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2. Anlass, die mit Beschluss vom 7. Juni 2023 angeordneten Beschränkungen aufzuheben, sieht der Senat weiter nicht.
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a) Der Senat hat dabei bereits erhebliche Zweifel, ob er zu deren Aufhebung überhaupt befugt wäre. Das Gericht, das nach § 20 Abs. 2 S. 2 GeschGehG Maßnahmen aufheben oder abändern kann, dürfte in Anknüpfung an § 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 das „Gericht der Hauptsache sein“, vorliegend also das Landgericht, bei dem der Rechtsstreit in der Hauptsache noch anhängig ist. Zudem würde, wenn sich die von der angeordneten Maßnahme betroffene Partei mit ihrem Begehren nach Aufhebung unmittelbar an das Rechtsmittelgericht wenden könnte, indirekt die Regelung in § 20 Abs. 5 S. 4 GeschGehG umgangen, nach der eine Einstufung als geheimhaltungsbedürftig und entsprechender Beschränkungsmaßnahmen nicht isoliert angefochten werden können, um Verzögerungen zu vermeiden (vgl. zum Normzweck i.E. BGH, Beschluss vom 18. November 2021, I ZB 86/20, GRUR 2022, 591 (592) Rn. 15 m.w.N.). Die Ablehnung einer Aufhebung von Geheimschutzmaßnahmen steht funktional der Anordnung gleich; hieran ändert es nichts, ob die Maßnahme ursprünglich vom Ausgangsgericht oder vom Rechtsmittelgericht getroffen wurde.
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b) Jedenfalls erkennt der Senat derzeit keinen sachlichen Grund für die Aufhebung der Einstufung als geheimhaltungsbedürftig.
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Soweit die Beklagten zu 1) und 2) vorbringen, aus den Unterlagen K29 und K30 sei ersichtlich, welcher Motor in den Geräten der Klägerin verbaut ist, ist dies im Hinblick auf ein Geschäftsgeheimnis des Inhalts, wie es geltend gemacht und vom Senat als schützenswert qualifiziert wurde, nicht der entscheidende Aspekt. Die Klägerin sieht gerade in bestimmten Eigenschaften, die ein Motor aufweisen muss, um in Verbindung mit den weiteren baulichen Eigenschaften wie zum Beispiel dem (für sich genommen leicht ermittelbaren) Antriebsverhältnis ein besonderes Knowhow. Auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 7. Juni 2023, unter II. 1. b) und c) bb), cc), wird insoweit Bezug genommen. Anhand der Unterlagen oder nach einem Zerlegen eines am freien Markt erworbenen Geräts könnte zwar ein Gerät mit demselben Motor nachgebaut werden, aber nicht zwingend ein Gerät mit einem anderen Motor, weil nicht bekannt sei, auf welche Umstände und Parameter es ankommt und welche anderen am Markt verfügbaren Motoren daher unter den gegebenen Umständen den Anforderungen entsprechen oder nicht. Insoweit ändert es auch nichts, dass die Anlagen teils frei verfügbar oder jedenfalls einem größten Teil von Personen wie z.B. Serviceunternehmen zugänglich sind; nach Einschätzung des Senates genügte die Möglichkeit, dass sich bei Zusammenschau der schriftsätzlichen Ausführungen und diesen Anlagen Anhaltspunkte im Hinblick auf die geschützten Informationen ergeben (vgl. Beschluss vom 7. Juni 2023, unter II. 6. a)).
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c) Nachdem die Beklagten zu 1) und zu 2) im Schriftsatz vom 27. Februar 2024 klargestellt haben, weshalb sie den Schriftsatz vom 18. November 2023 nur in teilweise geschwärzter Form vorgelegt haben, wird das Landgericht prüfen können, ob möglicherweise nur ein Missverständnis vorliegt und wie weiter vorzugehen ist.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung eines Streitwerts für die Beschwerdeinstanz ist nicht veranlasst, da die Gerichtsgebühr pauschal bemessen wird.