Titel:
Nichtzulassungsbeschwerde, Mittelbare Patentverletzung, Aussetzung des Verfahrens, Feststellungsinteresse, Verpflichtung zur Rechnungslegung, Klageerweiterung, Nachgelassener Schriftsatz, Vollstreckungsverfahren, Kartellrechtlicher Zwangslizenzeinwand, Kartellrechtlicher Anspruch, Nichtigkeitsklage, Nicht nachgelassener Schriftsatz, Stufenklage, Lizenzbereitschaft, Unterlassungsanspruch, Unverhältnismäßigkeit, gewerblicher Rechtsschutz, Standardessenzielle Patente, Klageantrag, Widerklage
Schlagworte:
Patentverletzung, Unterlassungsanspruch, Lizenzverhandlungen, FRAND-Einwand, Marktbeherrschende Stellung, Auskunftsanspruch, Verzögerungstaktik
Fundstelle:
GRUR-RS 2024, 48852
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihren jeweiligen Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu unterlassen
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
die in einem LTE Zeitduplex, TDD, System anwendbar sind, umfassend:
eine Empfangseinheit, eine Bestimmungseinheit und eine Verarbeitungseinheit, wobei die Empfangseinheit ausgebildet ist zum Empfang einer Zellübergabeanweisung, die von einer Netzwerkseite übertragen wird; die Bestimmungseinheit ausgebildet ist zum Bestimmen aus der von der Empfangseinheit empfangenen Zellübergabeanweisung, ob eine Zielzelle für eine Übergabe des Nutzergeräts in einem TDD-Modus arbeitet und ob die Zellübergabeanweisung eine TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle trägt; und die Verarbeitungseinheit ausgebildet ist zum Ableiten [for deducting] eines Parameters eines Steuerkanals der Zielzelle von der TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle in der Zellübergabeanweisung und zum Implementieren der Zellübergabe gemäß des Parameters des Steuerkanals der Zielzelle, wenn die Bestimmungseinheit bestimmt, dass die Zielzelle in dem TDD-Modus arbeitet und die Zellübergabeanweisung die TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle trägt
(EP … – Anspruch 8, unmittelbare Patentverletzung)
Abnehmern in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,
die geeignet sind, ein Zellübergabeverfahren, das in einem LTE Zeitduplex, TDD, System anwendbar ist, durchzuführen wobei das Verfahren umfasst:
Das Empfangen, durch ein Nutzergerät für welches eine Zellübergabe benötigt wird, einer Zellübergabeanweisung, die von einer Netzwerkseite übertragen wird, das Bestimmen aus der Zellübergabeanweisung, durch das Nutzergerät, ob eine Zielzelle in einem TDD-Modus arbeitet und ob die Zellübergabeanweisung eine TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle trägt; und das Ableiten [deducting] eines Parameters eines Steuerkanals der Zielzelle von der TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle in der Zellübergabeanweisung und das Implementieren der Zellübergabe gemäß des Parameters des Steuerkanals der Zielzelle durch das Nutzergerät auf ein Bestimmen, dass die Zielzelle in dem TDD-Modus arbeitet und die Zellübergabeanweisung die TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle trägt.
(EP … – Anspruch 1, mittelbare Patentverletzung)
II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I. bezeichneten Handlungen seit dem 21. August 2021 begangen hat, und zwar unter Angabe
1. der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer;
2. der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren;
3. der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin im Wege eines chronologisch geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte, die zu Ziffer I. bezeichneten Handlungen seit dem 21. August 2021 begangen hat, und zwar unter Angabe
1. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, – preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer;
2. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, – zeiten, – preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger;
3. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, der Suchmaschinen und anderer Marketingwerkzeuge, mit Hilfe derer die betroffenen Webseiten einzeln oder gemeinsam registriert wurden, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume jeder Kampagne;
4. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die Handlungen zu Ziffer I. seit dem 21. August 2021 entstanden ist und noch entstehen wird.
V. Die Beklagte wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1 bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.
VI. Die Beklagte wird verurteilt, die unter Ziffer I.1 bezeichneten, seit dem 21. August 2021 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber gewerblichen Abnehmern unter Hinweis darauf, dass mit dem hiesigen Urteil der patentverletzende Zustand der genannten Erzeugnisse festgestellt wurde, und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
VII. Die Beklagte wird verurteilt, die unter Ziffer I. bezeichneten, seit dem 21. August 2021 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen, indem sie sie an sich nimmt und/oder dafür Sorge trägt, dass der jeweilige Besitzer die Erzeugnisse vernichtet.
VIII. Die Widerklage wird abgewiesen.
IX. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
X. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung wie folgt:
- Ziffer I. einheitlich in Höhe von …
- Ziffern II. und III. einheitlich in Höhe von …
- Ziffer V. und VII. einheitlich in Höhe von …
- Ziffer VI. in Höhe von …
- Ziffer IX. in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
XI. Der Streitwert der Klage wird auf … festgesetzt. Der Streitwert der Widerklage wird auf … festgesetzt.
XII. Der Klägerin wird aufgegeben, der Beklagten wegen der Prozesskosten innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils an die Klagepartei eine weitere Sicherheit in Höhe von … Euro zu leisten.
Die Sicherheit kann bewirkt werden durch eine schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts oder durch Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren.
XIII. Der Antrag der Beklagten auf Erweiterung des Vorlage- und Geheimnisbeschlusses vom 30.10.2023 (Schriftsatz der Beklagten vom 24.11.2023) wird zurückgewiesen.
Tatbestand
1
Die Klägerin ist seit dem 20.08.2021 als alleinige Inhaberin des nationalen deutschen Teils des europäischen Patents … (Anlage EIP A1, im Folgenden „Klagepatent“) mit dem Titel „Verfahren und Vorrichtungen zur Implementierung einer Geräteweiterleitung“ im Patentregister eingetragen. Unter Inanspruchnahme der Priorität CN … vom 26.12.2007 wurde die europäische Anmeldung am 26.12.2008 eingereicht und am 6.10.2010 veröffentlicht. Das Klagepatent wurde der damaligen Anmelderin … erteilt.
2
Anspruch 8 des Klagepatents lautet der in der maßgeblichen englischen Fassung:
A. User Equipment (11) applicable in an LTE TDD system, comprising a receiving unit, a determination unit (111, 112, 113) and a processing unit (113, 115), wherein,
the receiving unit is configured for receiving a cell handover command transmitted from a network side;
the determination unit (111, 112) is configured for determining from the cell handover command received by the receiving unit whether a target cell for a handover of the User Equipment (11) operates in a TDD mode and whether the cell handover command carries TDD timeslot configuration information of the target cell; and
the processing unit (113) is configured for deducting a parameter of a control channel of the target cell from the TDD timeslot configuration information of the target cell in the cell handover command and implementing the cell handover according to the parameter of the control channel of the target cell when the determination unit (111, 112) determines that the target cell operates in the TDD mode and the cell handover command carries the TDD timeslot configuration information of the target cell.
3
Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet in der maßgeblichen englischen Fassung:
A cell handover method applicable in an LTE TDD system, comprising:
receiving, by a User Equipment for which a cell handover is required, a cell handover command transmitted from a network side;
determining (S901, S902) from the cell handover command, by the User Equipment, whether a target cell operates in a TDD mode and whether the cell handover command carriers TDD timeslot configuration information of the target cell; and
deducting (S707, S906) a parameter of a control channel of the target cell from the TDD timeslot configuration information of the target cell in the cell handover command and implementing (S708, S907) the cell handover according to the parameter of the control channel of the target cell, by the User Equipment, upon determining that the target cell operates in the TDD mode and the cell handover command carries the TDD timeslot configuration information of the target cell.
4
Die Beklagte vertreibt über die Webseite … deren Impressumsverantwortliche sie ist, LTE-fähige Telefone und Tablets in der Bundesrepublik Deutschland.
5
Vorgaben für den LTE-Standard sind insbesondere in folgenden technischen Spezifikationen enthalten:
- --
-
ETSI TS 136.101 in der Version 8.5.1 (2009-04) mit dem Titel „User Equipment
(UE) radio transmission and reception (auszugsweise in Anlage EIP A4),
- -
-
ETSI TS 136.211 in der Version 8.6.0 (2009-04) mit dem Titel „Physical channels and modulation“ (auszugsweise in Anlage EIP A5),
- -
-
ETSI TS 136.300 in der Version 8.8.0 (2009-04) mit dem Titel „Overall description; Stage 2“ (auszugsweise in Anlage EIP A5) sowie
- -
-
ETSI TS 136.331 in der Version 8.5.0 (2009-04) mit dem Titel „Protocol specification“ (auszugsweise in Anlage EIP a7).
6
Die Klägerin behauptet, sie sei alleinige Inhaberin des Klagepatents. Sie ist der Auffassung, dass die angegriffenen Ausführungsformen das Klagepatent in Anspruch 8 unmittelbar und in Anspruch 1 mittelbar verletzten. Der FRAND-Einwand der Beklagten habe keinen Erfolg, so dass der begehrte Unterlassungsanspruch auszusprechen sei.
7
Die Klägerin stellt zuletzt die Klageanträge wie tenoriert (Terminprotokoll vom 17.01.2024), zusätzlich dazu als Hilfsanträge zu verstehende „insbesondere“-Anträge A1 bis A8 sowie B1 und B2. Die Hilfsanträge sind hier nicht wiedergegeben.
8
Die Beklagte beantragt:
- 1.
-
Klageabweisung,
- 2.
-
den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung der von der Beklagten gegen das Klagepatent EP … B1 erhobenen Nichtigkeitsklage auszusetzen.
9
Im Rahmen der Widerklage beantragt die Beklagte zuletzt:
I. Die Klägerin wird verurteilt, der … – unter Berücksichtigung von deren Geschäftstätigkeit im Zusammenhang mit der Herstellung und dem Vertrieb von mobilfunkfähigen Nutzergeräten – zu allen von ihr als standardessenziell für die 3G-, 4G-bzw. 5G-Mobilfunkstandards deklarierten Patente (SEP) oder einem diese Schutzrechte umfassenden Portfolio ein schriftliches und konkretes, ausbeutungs- und diskriminierungsfreies (=FRAND) Lizenzangebot abzugeben, welches Nutzungen der … sowie mit ihr verbundener Unternehmen einschließlich der Beklagten in der Vergangenheit und Zukunft lizenziert, und zu erläutern, warum die mit dem Angebot unterbreiteten Lizenzbedingungen FRAND sind, insbesondere im Lichte der Lizenzen, welche für die vorgenannten SEP mit Drittparteien in Kraft stehen.
II. Hilfsweise im Wege der Stufenklage:
1. Die Klägerin wird verurteilt, Auskunft über den Inhalt des zwischen ihr und … abgeschlossenen Lizenzvertrags zu erteilen, auf den sich die … beziehen, und zwar durch die Vorlage des Lizenzvertrags.
2. Nach Auskunftserteilung wird die Klägerin verurteilt, ein von … für alle mit ihr verbundenen Unternehmen, zu denen die Beklagte gehört, abzugebendes, ausbeutungs- und diskriminierungsfreies FRAND-Lizenzangebot für die von der Klägerin als standardessenziell für die 3G-, 4G-bzw. 5G-Mobilfunkstandards deklarierten Patente (SEP) anzunehmen.
III. Es wird festgestellt, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten sämtliche Schäden zu ersetzen, die der Beklagten seit dem 20. Juni 2023 dadurch entstanden sind und zukünftig noch entstehen, dass sich die Klägerin weigert, gegenüber der … ein in der Sache ausbeutungs- und diskriminierungsfreies (=FRAND) Lizenzangebot für die von ihr als standardessenziell für die 3G-, 4G-bzw. 5G-Mobilfunkstandards deklarierten Patente (SEP), zu denen auch das Klagepatent gehört, abzugeben, welches Nutzungen der Beklagten abdeckt.
10
Die Klägerin wendet sich gegen eine Aussetzung des Verfahrens und beantragt Abweisung der Widerklage.
11
Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass die Klägerin Inhaberin des Klagepatents sei. Sie ist der Auffassung, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagepatent nicht. Jedenfalls sei das Verfahren im Hinblick auf die Nichtigkeitsklage der Beklagten vom 12.05.2023 (Anlage rop 1) auszusetzen. Den Beklagten stünde gegen die Klägerin der FRAND-Einwand zu.
12
Die Beklagte hat mit nachgelassenem Schriftsatz vom 30.01.2024 ergänzend zur Verletzung des Klagepatents vorgetragen. Die Klägerin hat hierauf mit Schriftsatz vom 08.03.2024 in rechtlicher Hinsicht erwidert.
13
Die Beklagte hat mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 26.03.2024 ergänzend zu ihrem Rechtsbestandsangriff vorgetragen. Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 30.01.2024 hat sie ihren Vortrag zum FRAND-Einwand ergänzt. Die Klägerin hat hierauf mit Schriftsatz vom 08.03.2024 Stellung genommen. Die Beklagte hat wiederum mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 12.03.2024 erwidert.
14
Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlungen vom 17.01.2024 ebenso wie auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
15
Die zulässige Klage ist begründet. Die Widerklage ist im Hinblick auf den Antrag zu I. bereits unzulässig, im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
16
Die Klage ist zulässig.
17
I. Das Landgericht München I ist zuständig (§ 143 PatG, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, § 32 ZPO i.V.m. § 38 Nr. 1 BayGZVJu).
18
II. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, § 256 Abs. 1 ZPO. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten ist vor Erteilung der Auskunft noch nicht bezifferbar.
19
Die Patentverletzungsklage ist hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsformen begründet (II. und III.).
20
I.1. Das Klagepatent bezieht sich u.a. auf eine Vorrichtung bzw. ein Verfahren für einen Handover (Zellübergabe) in einem Long Term Evolution (LTE) Mobilfunk-System, in welchem physikalische Ressourcen von allen Nutzergeräten gemeinsam genutzt und von einer Basisstation zugewiesen werden (KPS, [0001] und [0002]).
21
Im Stand der Technik ist ein bestimmter Ablauf einer Zellübergabe vorbekannt. Vorgesehen ist dabei, dass die Kommunikation mit einem Nutzergerät über die Quellzelle („source cell“) durchgeführt wird. Ein beispielhafter Ablauf eines vorbekannten Handovers ist in der nachfolgend eingeblendeten Figur 1 des Klagepatents dargestellt (Fig. 1, [0003] – [0008]).
22
Danach umfasst eine Zellübergabe die Schritte S101 bis S105:
- 1)
-
Das Nutzergerät sendet zunächst einen Messbericht an die Quellzelle („source cell“), z.B. mit Informationen über die Empfangsstärke eines Pilotsignals (S101).
- 2)
-
Die Quellzelle stellt daraufhin eine Zellübergabeanfrage („handover request“) an die Zielzelle („target cell“) (S102).
- 3)
-
Anschließend erzeugt die Zielzelle eine Zellübergabeanweisung und sendet eine Bestätigungsnachricht für die Zellübergabeanfrage zusammen mit der Zellübergabeanweisung an die Quellzelle (S103) (KPS, Abs. [0007]).
- 4)
-
Die Quellzelle wiederrum leitet die Zellübergabeanweisung an das Nutzergerät weiter (S104).
- 5)
-
Das Nutzergerät führt sodann einen Zufallszugriff („random access“) bei der Zielzelle durch (S105).
23
2. Die Klagepatentschrift kritisiert, dass im Stand der Technik ein Handover zu einer Zielzelle, die im TDD-Modus arbeitet, noch nicht implementiert sei. Die Erfinder hätten erkannt, dass sich hierbei verschiedene Probleme ergeben könnten ([0036] bis [0038]). I.E. sei ein Handover nach dem Stand der Technik nicht möglich, wenn die Zielzelle im TDD-Modus arbeite [0037].
24
3. Das Klagepatent beschreibt als Aufgabe, den Handover an eine Zelle bereitzustellen, die im TDD-Modus arbeitet.
25
4. Gelöst werden soll diese Aufgabe zum Beispiel durch den Gegenstand des unabhängigen Verfahrensanspruchs 1 und den nebengeordneten Vorrichtungsanspruchs 8.
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Anspruch 1 der geltend gemachten Fassung gliedert die wie folgt:
„1. Ein Zellübergabeverfahren, das in einem LTE Zeitduplex, TDD, System anwendbar ist, umfassend:
1.1 Das Empfangen, durch ein Nutzergerät für welches ein Handover benötigt wird, einer Handover-Anweisung, die von einer Netzwerkseite übertragen wird,
1.2 das Bestimmen aus der Handover-Anweisung, durch das Nutzergerät,
1.2.1 ob eine Zielzelle in einem TDD-Modus arbeitet und
1.2.2 ob die Handover-Anweisung eine TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle trägt; und
1.3 das Ableiten [deducting] eines Parameters eines Steuerkanals der Zielzelle von der TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle in der Handover-Anweisung und
1.4 das Implementieren der Zellübergabe gemäß des Parameters des Steuerkanals der Zielzelle durch das Nutzergerät auf ein Bestimmen, dass die Zielzelle in dem TDD-Modus arbeitet und die Handover-Anweisung die TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle trägt.“
27
Anspruch 8 der geltend gemachten Fassung gliedert die Kammer wie folgt:
„8. Ein Nutzergerät, das in einem LTE Zeitduplex, TDD, System anwendbar ist, umfassend
8.1 eine Empfangseinheit, die ausgebildet ist zum Empfang einer Handover-Anweisung, die von einer Netzwerkseite übertragen wird;
8.2 eine Bestimmungseinheit, die ausgebildet ist zum Bestimmen aus der von der Empfangseinheit empfangenen Handover-Anweisung,
8.2.1 ob eine Zielzelle für eine Übergabe des Nutzergeräts in einem TDD-Modus arbeitet und
8.2.2 ob die Handover-Anweisung eine TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle trägt; und
8.3 eine Verarbeitungseinheit, die ausgebildet ist
8.3.1 zum Ableiten [for deducting] eines Parameters eines Steuerkanals der Zielzelle von der TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle in der Handover-Anweisung und
8.3.2 zum Implementieren der Zellübergabe gemäß des Parameters des Steuerkanals der Zielzelle, wenn die Bestimmungseinheit bestimmt, dass die Zielzelle in dem TDD-Modus arbeitet und die Handover-Anweisung die TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle trägt.
28
5. Das Gericht definiert angesprochene Fachperson in Übereinstimmung mit den Parteien und dem Hinweis des Bundespatentgerichts so, dass sie über einen Universitätsabschluss als Master of Sience oder Diplom-Ingenieur/in der Fachrichtungen Nachrichten-, Informationstechnik sowie über eine mehrjährige Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Mobilfunksystemen verfügt. Sie ist mit den Normen und Standards auf dem Gebiet vertraut und verfolgt die laufenden Standardisierungsbemühungen.
29
6. Folgende Merkmale bedürfen näherer Erläuterung.
30
a) Merkmal 8.2 lehrt eine Bestimmungseinheit, die ausgebildet ist zum Bestimmen aus der von der Empfangseinheit empfangenen Handoveranweisung, ob gemäß Merkmal 8.2.2 die Handoveranweisung eine TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle trägt. Gemäß [0030] umfasst die TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation in einem LTE TDD System die Wiederholperiode der TDD-Zeitschlitz-Konfiguration (Funkrahmenkonfiguration), die Uplink- bzw. Downlink-Richtung der „normalen“ Unterrahmen, sowie Länge und Verwendung der einzelnen speziellen Unterrahmen (vgl. BPatG, qualifizierter Hinweis, Anl. rop 11, S. 18).
31
Merkmal 8.3 verlangt eine Verarbeitungseinheit, die gemäß Merkmal 8.3.1 zum Ableiten (englisch: deducting] eines Parameters eines Steuerkanals der Zielzelle von der in Merkmal 8.2.2 genannten TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation der Zielzelle in der Handoveranweisung ausgebildet ist. Der Begriff Ableiten geht dabei schon nach seinem Wortsinn und dem in der maßgeblichen englischen Anspruchsfassung verwendeten Begriff „deducting“, der sich auch als schlussfolgern übersetzen ließe, über ein bloßes Empfangen oder Ermitteln hinaus. Merkmal 8.3.1 ist so zu verstehen, dass der Parameter eines Steuerkanals der Zielzelle eine Eigenschaft des Steuerkanals ist, die aus den TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformationen abgeleitet wird und nicht bereits im Befehl explizit als Teil der TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation angegeben ist (so auch BPatG, qual. Hinweis, S. 16/17, Anlage rop 11). Beim Ableiten des Parameters des Steuerkanals handelt es sich somit nicht um das bloße Auslesen der TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation aus den im Handover-Befehl enthaltenen Daten, sondern um einen davon getrennten Schritt des der beanspruchten Vorrichtung zugrunde liegenden Verfahrens. Der Parameter eines Steuerkanals der Zielzelle ist damit nicht unmittelbar in den TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformationen enthalten, sondern ist aus diesen in einem Zwischenschritt gesondert zu ermitteln. Dieses Verständnis von Merkmal 8.3.1 ergibt sich auch aus [0078] und [0079]. Beschreibungsstelle [0079] enthält ein Ausführungsbeispiel, in dem das Nutzergerät aus dem Verhältnis der TDD-Zeitschlitze in der TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation einen spezifischen Uplink-Teilrahmen (subframe) erhält.
32
b) Entgegen der Auffassung der Beklagten (Schriftsatz vom 30.01.2024, S. 2) ist Merkmal 8.3.1 jedoch nicht so auszulegen, dass der Parameter eines Steuerkanals keinesfalls eine TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation sein kann bzw. dass die in [0030] genannten Elemente nicht Parameter eines Steuerkanals sein dürfen. Weder schreibt [0030] vor, dass die dort genannten Elemente abschließend sind und zwingend Teil der TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation sein müssen, noch folgt aus Merkmal 8.3.1, dass ein abgeleiteter Parameter keinesfalls eines der in [0030] genannten Elemente sein darf. Denn der Anspruch spezifiziert die TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation gerade nicht. [0030] ist als Ausführungsbeispiel zu verstehen, das nicht ausschließt, dass andere Informationen Teil der TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation sind. Umgekehrt bezieht sich das Ausführungsbeispiel [0079] auch nicht auf alle in [0030] genannten Informationen, sondern nur auf das Verhältnis der TDD-Zeitschlitze. Dies zeigt, dass die TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation nicht zwingend sämtliche Informationen aus [0030] enthalten muss. Ausreichend ist damit, dass eine Information, die Teil der TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation ist, vom Nutzgerät empfangen wird und von dieser ein Parameter des Steuerkanals abgeleitet werden kann.“
33
Entgegen der Ansicht der Beklagten geht auch das Bundespatentgericht nicht davon aus, dass ein abgeleiteter Parameter keinesfalls ein Element des [0030] sein darf. In seinem qualifizierten Hinweis stellt das Patentgericht auf S. 26 bei der Frage der erfinderischen Tätigkeit gegenüber der ZP3 ausdrücklich darauf ab, dass alle Parameter zur Verwendung der Tabelle 2 direkt signalisiert und nicht aus der TDD-Zeitschlitz-Konfiguration abgeleitet werden. Darüber hinaus geht die ZP3 nach Auffassung des Bundespatentgerichts nicht auf die Signalisierung der TDD-Zeitschlitz-Konfiguration oder weiterer Konfigurationsinformationen ein, d.h. die ZP3 dürfte keinen Anhaltspunkt dafür geben, dass diese als Teil eines Handover-Befehls zu übertragen wären.
34
c) Die Auslegung der Merkmale 1.2 und 1.3 des Verfahrensanspruchs entspricht den obigen Ausführungen.
35
II. Die Beklagten verletzen das Klagepatent in der geltend gemachten Fassung von Anspruch 8 mit der angegriffenen Ausführungsform unmittelbar wortsinngemäß, § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG. Die Ausführungsform weist sämtliche Merkmale des Klagepatents auf.
36
1. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht Merkmal 8.2.1 i.V.m. Merkmal 8.3.1 des Klagepatents. Die Verwirklichung der übrigen Merkmale ist zwischen den Parteien zu Recht nicht streitig.
37
a) Die Ausgestaltung der angegriffenen Vorrichtungen ist zwischen den Parteien insoweit unstreitig, als sie mit dem LTE-Standard kompatibel sind und diesen im Rahmen des Handover-Verfahrens nutzen.
38
b) Eine Verletzung des Merkmals 8.2.1 i.V.m. 8.3.1 liegt vor, weil von der empfangenen TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation eine Random-Access-Resource abgeleitet wird, die Parameter eines Steuerkanals ist.
39
aa) Die angegriffenen Ausführungsformen empfangen unstreitig eine TDD-Zeitschlitzinformation in Form des Parameters subframe Assignment des TDD-Config-Informationselements. In dieser ist die Downlink/Uplink-Zeitschlitz-Konfiguration enthalten. Anhand dieser Down-link/Uplink-Zeitschlitzkonfiguration und des ebenfalls mit der Zellübergabeanweisung empfangenen Parameters prach-ConfigIndex werden die Random-Access-Ressourcen des Physical Random Access Channel (PRACH) in einem Uplink-Zeitschlitz ermittelt. Die Abhängigkeit der Zuweisung der PRACH-Ressourcen ergibt sich dabei aus der Tabelle 5.7.1-4, Abschnitt 5.7.3 des Standards (Unterstreichung und Markierungen durch Klägerin):
40
bb) Hieraus folgt, dass die Random-Access-Ressource als Parameter des Steuerkanals nicht unmittelbar durch die TDD-Zeitschlitzkonfigurations-Information signalisiert wird, sondern mittels der Verarbeitungsregel nach Tabelle 5.7.1-4 und der zitierten Passage des LTE-Standards ermittelt wird.
41
Soweit die Beklagte mit dem nachgelassenen Schriftsatz vom 30.01.2024, S. 7 f., erstmals vorträgt, der Parameter des Steuerkanals sei Teil der Uplink-Downlink-Richtung jedes normalen Unterrahmens, ist dies für die Kammer nicht nachvollziehbar. Die Random-Access-Ressource ist in der TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation nicht unmittelbar enthalten und auch nicht gemäß [0030] Teil von dieser. Dass sich aus der Tabelle 5.7.1-4 der Wert der Random-Access-Ressource herauslesen lässt, steht einem Ableiten nicht entgegen. Vielmehr setzt das Ableiten gerade voraus, dass die Information in mittelbarer Form in der TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation enthalten ist, jedoch nicht unmittelbar signalisiert wird, sondern über einen Zwischenschritt ermittelt werden kann. Durch die Anwendung der Tabelle 5.7.1-4 und dem zugehörigen Werte-Quadrupel wird aus der Downlink/Uplink-Zeitschlitzkonfiguration mittels eines Zwischenschritts die Random-Access-Ressource des PRACH-Kanals ermittelt. Damit ist das Ableiten des Parameters auf Grundlage der Tabelle 5.7.1-4 ein vom Auslesen getrennter Schritt.
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cc) Diesem Ergebnis steht auch nicht die Auslegung durch das Patentgericht in dem qualifizierten Hinweis (Anl. rop11) entgegen. Die Beklagte ist der Ansicht, bei Zugrundelegung der Ausführungen des Patentgerichts zur im Rahmen des Rechtsbestandsangriffs geltend gemachten Einwendung ZP3 (Anlage rop1 – Anlage-ZP3) und der Auslegung des Begriffs „Ableiten“ im Sinne von Merkmal 8.3.1 sei eine Verletzung nicht gegeben (nachgelassener Schriftsatz vom 30.01.2024, S. 5-7). Der Parameter des Steuerkanals, der in der ZP3 bestimmt, aber nach Ansicht des Patentgerichts nicht abgeleitet werde, sei der vom UE für die Übermittelung der RA-Präambel zu verwendende Beginn der Uplink-Periode. Gemäß der ZP3 bestimme das UE den Beginn der Uplink-Periode dadurch, dass es diese Ressource aus den beiden von der Basisstation signalisierten Parametern Framing Allocation und Slot Allocation # herleite. Des Weiteren könne das UE anhand der in ZP3 aufgestellten Regeln (vgl. Anl. rop12: grüner Bereich) mittels der Slot Allocation # und anhand der Tabelle 2 die Werte MT und NF herleiten. Mit den Werten MT, NF und P könne das UE wiederum den konkret zu verwendenden Unterrahmen am Beginn der Uplink-Periode bestimmen und damit gemäß den Regeln auf Bl. 1, 2. und 3. Aufzählungspunkt die Random-Access-Ressource PRACH. Dies sei jedoch kein Ableiten im Sinne des Klagepatents, da die Random-Access-Ressource, die am Beginn einer Uplink-Periode liege, selbst eine TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation und daher kein Parameter des Steuerkanals sei.
43
Der Rückgriff auf den Hinweis des Patentgerichts führt vorliegend nicht aus der Verletzung, da die ZP3 und der Standard schon verschiedene Parameter des Steuerkanals betreffen, die nicht gleichgesetzt werden können. Die ZP3 offenbart nämlich nicht, dass ein Parameter des Steuerkanals von der frame allocation abhängig ist. Auch aus der Tabelle 2 der ZP3 ergibt sich dies nicht, da dort die frame allocation nicht genannt wird. Genannt wird lediglich der Parameter fPrach, der aber laut der ZP3 lediglich zu Informationszwecken bereitgestellt wird. Insbesondere werden die Parameter des Steuerkanals MT und MF Tabelle 2 über die Slot Allocatin # signalisiert, während die framing allocation in der Tabelle nicht genannt ist. Demgegenüber wird in Tabelle 5.7.1-4 des Standards die UL/DL configuration ausdrücklich genannt.
44
dd) Auf den erstmals in der mündlichen Verhandlung konkretisierten weiteren Verletzungsvorwurf der Klägerin (vgl. Anlage EIP A24) kommt es damit nicht an.
45
III. Von Anspruch 1 machen die angegriffenen Verletzungsformen mittelbar wortsinngemäß Gebrauch. Die angegriffenen Verletzungsgegenstände verletzen Anspruch 1 des Klagepatents, weil eine mittelbare Patentverletzung nach § 10 Abs. 1 PatG vorliegt.
46
1. Die Voraussetzungen der mittelbaren Patentverletzung sind gemäß § 10 Abs. 1 PatG erfüllt. Der Gefährdungstatbestand nach § 10 PatG wird objektiv und subjektiv verwirklicht.
47
a) Mittel sind die angegriffenen Verletzungsformen (EVS-fähige Mobiltelefone), weil sie Gegenstände sind, die selbst noch nicht die Lehre des Patentanspruchs 1 (wortsinngemäß oder äquivalent) verwirklichen, aber geeignet sind, zur unmittelbaren Benutzung der Erfindung (in wortsinngemäßer oder äquivalenter Form) verwendet zu werden.
48
b) Diese Mittel beziehen sich auf ein wesentliches Element der Erfindung. Die Geräte können das in Anspruch 1 beanspruchte Verfahren ausführen. Da die in Anspruch 1 enthaltenen Merkmale maßgeblich durch die angegriffenen Verletzungsformen verwirklicht werden, tragen sie damit zum erfindungsgemäßen Leistungsergebnis maßgeblich bei.
49
c) Die angegriffenen Verletzungsformen (EVS-fähige Mobiltelefone) sind objektiv zur unmittelbaren Patentbenutzung geeignet. Wenn eine angegriffene Verletzungsform bestimmungsgemäß von dritter Seite genutzt wird, sind die Voraussetzungen zur Anwendung des Verfahrens nach Anspruch 1 hergestellt. Die angegriffenen Mittel sind geeignet, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden. Nach der objektiven Beschaffenheit der angegriffenen Verletzungsformen und ihrer Einbindung in den EVS-Standard ist dies der Fall, weil eine unmittelbare wortsinngemäße Benutzung der geschützten Lehre mit allen ihren Merkmalen durch die Nutzer möglich ist. Diese Benutzung durch Nutzer ist bereits erfolgt. Insoweit wird auf die Darlegung der Verletzung unter II. verwiesen. Die dortigen Ausführungen gelten entsprechend für die Verwirklichung des Verfahrensanspruchs 1.
50
2. Das Angebot oder die Lieferung im Inland zur Benutzung der Erfindung im Inland ist erfolgt.
51
3. Der subjektive Tatbestand ist gegeben.
52
Die subjektive Bestimmung des Nutzers zur unmittelbaren patentverletzenden Verwendung ist offensichtlich. Die angegriffenen Verletzungsformen sehen die patentverletzende Funktionalität (EVS-Kompabilität) vor. Es ist evident, aber zumindest davon auszugehen, dass sie vom Nutzer der Vorrichtungen entsprechend ausgeführt wird. Die objektive Eignung und die Verwendungsbestimmung der Abnehmer sind für die Beklagten offensichtlich.
53
IV. Die Klägerin ist aktivlegitimiert.
54
Die Klägerin ist laut Patentregister (Anlage EIP A2) seit dem 20.08.2021 alleinige Inhaberin des Klagepatents. Aus der Eintragung im Patentregister spricht die Vermutung, dass der Eingetragene tatsächlich materieller Inhaber des Patents ist (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, D. Rn. 280). Diese Vermutungswirkung hat die Beklagte nicht erschüttert. Die Beklagte kann den behaupteten Erwerb nicht mit bloßen Nichtwissen bestreiten, sondern muss substantiierte Gründe aufzeigen, dass die Patentübertragung nicht erfolgt ist und der Registerinhalt damit unzutreffend ist (vgl. BGH GRUR 2013, 713, 717 – Fräsverfahren; GRUR-RS 2018, 15434, R. 26 – Anhängekupplung; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, D. Rn. 281). Dies hat die Beklagte nicht dargetan.
55
V. Die Beklagte ist unstreitig passivlegitimiert.
56
VI. Damit stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche wie tenoriert zu.
57
1. Der Anspruch auf Unterlassung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG. Die Wiederholungsgefahr wird durch die rechtswidrigen Benutzungshandlungen indiziert.
58
a) Ein Schlechthinverbot ist hinsichtlich Ziffer I.1. des Tenors gerechtfertigt. Die angegriffenen Verletzungsformen werden technisch und wirtschaftlich sinnvoll in patentverletzender Weise verwendet. Das hat die Beklagtenseite nicht in Zweifel gezogen.
59
b) Der Unterlassungsanspruch ist nicht unverhältnismäßig.
60
Gemäß § 139 Abs. 1 S. 3 PatG ist der Unterlassungsanspruch ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde.
61
Der Unverhältnismäßigkeitseinwand des § 139 Abs. 1 S. 3 PatG ist auf besondere Ausnahmefälle begrenzt. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass der Unterlassungsanspruch die logische Folge des Ausschließlichkeitsrechts ist. Mit der Erteilung des Patents entstehen an der patentierten Erfindung absolute Rechte, die neben ihrem Zuweisungsgehalt einen Ausschlussgehalt besitzen, so dass der Inhaber des Rechts grundsätzlich jedermann von der Nutzung der patentierten Lehre ausschließen kann. So erlauben sie insbesondere – im Rahmen der übrigen gesetzlichen, insbesondere der patent- und kartellrechtlichen Vorgaben – den Ausschluss Dritter von der Nutzung der patentierten Lehre. Um sein Ausschließlichkeitsrecht durchzusetzen ist der Patentinhaber in aller Regel auf den Unterlassungsanspruch angewiesen.
62
Der Gesetzgeber hat in der Begründung des 2. PatModG klargestellt, dass eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Der Unterlassungsanspruch ist die regelmäßige Sanktion der Patentrechtsordnung bei einer Patentverletzung. Darlegungs- und beweisbelastet für eine Unverhältnismäßigkeit ist die Beklagtenseite. Eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs kommt nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht (BT-Drs. 19/25821, S. 53).
63
Wenn der Patentverletzer besondere Umstände darlegt, die im Einzelfall eine nicht gerechtfertigte Härte begründen können, kann es im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls und bei einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände unter Berücksichtigung des Gebotes von Treu und Glauben und der grundsätzlich vorrangigen Interessen des Verletzten an der Durchsetzung seines Unterlassungsanspruchs ausnahmsweise darauf ankommen, ob der Verletzte selbst Produkte oder Komponenten herstellt, die mit dem patentverletzenden Produkt in Wettbewerb stehen, oder ob primär eine Monetarisierung seiner Rechte das Ziel des Patentinhabers ist (BT-Drs. 19/25821, S. 53). Im Übrigen können wirtschaftliche Auswirkungen der Unterlassungsverfügung, die Komplexität von Produkten, subjektive Gesichtspunkte auf beiden Seiten und Drittinteressen zu berücksichtigen sein. So kann etwa zu Lasten des Verpflichteten eine fehlende Lizenzwilligkeit gesehen werden (BT-Drs. 19/25821, S. 54).
64
(2) Bei Anwendung dieser Maßstäbe greift der von der Beklagten erhobene Einwand der Unverhältnismäßigkeit nicht durch. Unter Berücksichtigung aller Umstände des zwischen den Parteien geführten Rechtsstreits und ihrer maßgeblichen Interessen hat die Beklagtenseite eine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs nicht dargetan.
65
… (Duplik (Nicht-Technik), Rn. 289), begründet für sich gesehen keine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs. Nach der bisherigen Rechtslage (vgl. Werner in: Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Aufl. 2020, § 139 Rn. 92 m.w.N.), der die Gesetzesbegründung zustimmt (s.o.), ist der Umstand allein, dass ein Patentverwerter einen Unterlassungsanspruch geltend macht, für sich gesehen nicht geeignet, diesen als unverhältnismäßig einzustufen (st. Rspr. der Kammer, vgl. LG München I GRUR-RS 2022, 34498 – „keepawake-message“).
66
Dass die dem Klagepatent zugrunde liegende technische Funktion nur einen Teilaspekt des EVS-Standards adressiert, und die angegriffenen Ausführungsformen höchst komplexe Produkte sind, begründet für sich gesehen ebenfalls keine Unverhältnismäßigkeit.
67
Jedenfalls bei der Geltendmachung von standardessenziellen Patenten kommt eine Unverhältnismäßigkeit grundsätzlich nicht in Betracht. Denn der Nutzer eines SEPs hat grundsätzlich einen Anspruch auf Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen. Dass der Lizenzvertrag noch nicht abgeschlossen ist, ist – wie sogleich unter C. gezeigt wird – der Beklagtenseite anzulasten.
68
Wie oben erläutert, kann die Lizenzunwilligkeit bei einer Interessenabwägung zu berücksichtigen sein. Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus der Argumentation der Beklagten, dem Unverhältnismäßigkeitseinwand verbliebe neben dem FRAND-Einwand kein Anwendungsbereich. Der Umstand, dass die Unternehmensgruppe der Beklagten jedenfalls ein – nicht schlechterdings untragbares, s.u. – Angebot von der Klägerin erhalten und dieses nicht angenommen hat, weil sie lizenzunwillig gewesen ist (hierzu unter C.), vermag die Rechte der Klägerin wegen der Komplexität des Verletzerprodukts nicht zu beschränken. Denn die Unternehmensgruppe der Beklagten hatte und hat die Möglichkeit, ihr patentverletzendes Handeln zu legitimieren. Sie hat (bislang) von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch gemacht. Dass die Klägerin ihre Patentrechte gegen einen lizenzunwilligen Patentverletzer durchsetzen muss und hierzu auf ein gerichtliches Verfahren angewiesen ist, ist dann logische Folge. Dies begründet im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung keine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs.
69
Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der herrschenden Meinung in der rechtswissenschaftlichen Literatur: Kommt der Patentinhaber seinen FRAND-Verpflichtungen nach, so eröffnet § 139 Abs. 1 S. 3 PatG dem Patentverletzer bei Fehlen weiterer, die Unverhältnismäßigkeit begründender Umstände keine zusätzliche Verteidigungsmöglichkeit (vgl. Ohly, GRUR 2021, 1229, 1236).
70
Bei einer Gesamtbetrachtung der von der Beklagtenseite aufgeworfenen Aspekte kommt eine Unverhältnismäßigkeit ebenso wenig in Betracht.
71
2. Der Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB. Diese sind Hilfsansprüche zu den, dem Grunde nach gegebenen, Ansprüchen der Klägerin auf Entschädigung und Schadensersatz.
72
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
73
Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern.
74
Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben der Beklagten angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Der Wirtschaftsprüfervorbehalt ist wie beantragt zu gewähren.
75
3. Da die Beklagte die Verletzungshandlungen zumindest fahrlässig begangen hat, ist sie dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, § 139 Abs. 2 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ. Die Beklagten haften nach § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner.
76
Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte im Geschäftsbetrieb der Beklagten spätestens einen Monat nach Veröffentlichung der Erteilung des Klagepatents erkannt werden können und müssen, dass dieses durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen verletzt wird. Eine für die Feststellung der Schadensersatzpflicht ausreichende gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens ist wegen des bereits eingetretenen Schadens aufgrund der geschehenen Patentbenutzungen begründet.
77
4. Die Ansprüche auf Vernichtung und Entfernung der Verletzungsformen und auf Rückruf ergeben sich im Umfang des Tenors aus § 140a Abs. 1 und 3 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
78
Der von den Beklagten erhobene kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand (sog. FRAND-Einwand) steht der Durchsetzbarkeit der klägerischen Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung nicht entgegen. Dieser Einwand greift mangels Lizenzwilligkeit der Unternehmensgruppe der Beklagten nicht durch.
79
Entgegen der Annahme der Beklagten liegt kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung durch die Klägerin vor. Es kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin eine marktbeherrschende Stellung besitzt, so dass sie Normadressatin des Art. 102 AEUV ist. Ebenso kann zugunsten der Beklagten angenommen werden, dass die FRAND-Erklärung der ursprünglichen Patentinhaberin die Klägerin bindet. Den sich aus dieser Stellung ergebenden Pflichten ist die Klägerseite hinreichend nachgekommen. Insbesondere bestand keine Pflicht zur Vorlage des … Lizenzvertrags.
80
I. Ein Patentinhaber, der sich gegenüber einer Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, Lizenzen an einem standardessenziellen Patent (SEP) zu FRAND-Bedingungen (also fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen) zu erteilen, kann seine durch das standardessenzielle Patent vermittelte marktbeherrschende Stellung durch die Erhebung einer Verletzungsklage missbrauchen, wenn und soweit diese geeignet ist zu verhindern, dass dem Standard entsprechende Produkte auf den Markt gelangen oder auf dem Markt erhältlich bleiben (vgl. EuGH GRUR 2015, 764 – Huawei Technologies/ZTE; BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 – FRAND-Einwand I). Als missbräuchlich können Klageanträge in Betracht kommen, die auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung von Produkten oder auf Vernichtung gerichtet sind (vgl. BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 – FRAND-Einwand I m. w. N.).
81
Der Unionsgerichtshof hat zur FRAND-Lizenz entschieden, dass der Inhaber eines von einer Standardisierungsorganisation normierten standardessenziellen Patents, der sich gegenüber dieser Organisation unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, seine marktbeherrschende Stellung nicht dadurch missbraucht, dass er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt, wenn er zum einen den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, hingewiesen hat und dabei das betreffende Patent bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll, und zum anderen, nachdem der angebliche Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, er dem Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat und dieser Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, reagiert, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und unter anderem impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird (vgl. EuGH aaO). Weiter hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass es dem Inhaber eines standardessenziellen Patents mit FRAND-Erklärung grundsätzlich nicht verboten ist, gegen den Verletzer seines Patents eine Verletzungsklage auf Rechnungslegung bezüglich der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das Patent oder auf Schadensersatz wegen dieser Handlungen zu erheben (EuGH aaO).
82
Die klageweise Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung sowie Vernichtung durch den Patentinhaber kann sich als missbräuchlich darstellen, wenn sich der Verletzer zwar (noch) nicht rechtsverbindlich zum Abschluss eines Lizenzvertrags zu bestimmten angemessenen Bedingungen bereiterklärt hat, dem Patentinhaber aber anzulasten ist, dass er sich seinerseits nicht hinreichend bemüht hat, der mit der marktbeherrschenden Stellung verbundenen besonderen Verantwortung gerecht zu werden und einem grundsätzlich lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzvertrags zu ermöglichen (BGH aaO – FRAND-Einwand I). Der Missbrauch der Marktmacht folgt aus der Ablehnung eines nachgefragten Zugangs zu der Erfindung schlechthin oder aus unangemessenen Bedingungen für einen nachgefragten Zugang, von denen der Patentinhaber auch am Ende von Verhandlungen nicht abzurücken bereit ist, mithin der Weigerung, dem den Abschluss eines Vertrags zu FRAND-Bedingungen anstrebenden Lizenznehmer als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses diejenigen fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen anzubieten, die dieser beanspruchen kann und zu denen er seinerseits bereit ist, mit dem Patentinhaber abzuschließen (vgl. BGH GRUR 2021, 585 Rn. 59 – FRAND-Einwand II). Aus einem nicht FRAND-Bedingungen entsprechenden Angebot als solchem ergibt sich noch kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung des Patentinhabers: Ein Missbrauch liegt erst darin, dem Patentverletzer die Verhandlung und den Abschluss eines in Ansehung der im Verhandlungsprozess artikulierten Interessen interessengerechten FRAND-Lizenzvertrags zu verweigern oder unmöglich zu machen und stattdessen das Patent oder eines der zu lizenzierenden Patente klageweise durchzusetzen (BGH aaO Rn. 78 – FRAND-Einwand II).
83
Derjenige, der das Patent benutzen will oder bereits benutzt und patentgemäße Produkte auf den Markt gebracht hat, obwohl er über keine Lizenz verfügt, muss bereit sein, eine Lizenz an diesem Patent zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen zu nehmen (BGH aaO Rn. 70 – FRAND-Einwand I). Denn auch der marktmächtige Patentinhaber kann die Lizenznahme niemandem aufdrängen; zwar kann der potenzielle Lizenznehmer von ihm den Abschluss eines Lizenzvertrags verlangen, der Patentinhaber ist aber darauf angewiesen, Ansprüche wegen Patentverletzung gegen denjenigen durchzusetzen, der die patentgemäße Lehre benutzen, einen Lizenzvertrag hierüber aber nicht abschließen will (vgl. BGH aaO Rn. 82 – FRAND-Einwand I). Der Verletzer muss sich daher klar und eindeutig bereiterklären, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen abzuschließen, und muss auch in der Folge zielgerichtet an den Lizenzvertragsverhandlungen mitwirken, weil „a willing licensee must be one willing to take a FRAND licence on whatever terms are in fact FRAND“ (BGH aaO Rn. 83 – FRAND-Einwand I). Unter welchen Umständen eine fehlende Lizenzbereitschaft des Patentverletzers vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls (BGH aaO Rn. 78 – FRAND-Einwand II).
84
Eine missbräuchliche Verweigerung durch den marktbeherrschenden Patentinhaber setzt zwingend ein fortdauerndes Verlangen des Verletzers nach Abschluss eines Vertrags zu FRAND-Bedingungen und dessen Bereitschaft zur Mitwirkung am Zustandekommen eines solchen Vertrags voraus, ohne die eine „Verweigerung“ des Patentinhabers ins Leere ginge (BGH aaO Rn. 66 – FRAND-Einwand II). Die Lizenzbereitschaft ist unentbehrlich, weil sich ein die gegenläufigen beiderseitigen Interessen ausbalancierendes, angemessenes Ergebnis in der Regel erst als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses erfassen lässt, in dem diese Interessen artikuliert und diskutiert werden, um auf diese Weise zu einem beiderseits gewünschten fairen und angemessenen Interessenausgleich zu gelangen. Die Anforderungen an das Verhalten des Patentinhabers und an das Verhalten des Nutzers der Erfindung bedingen sich dabei wechselseitig. Maßstab der Prüfung ist dasjenige, was eine vernünftige Partei, die an dem erfolgreichen und dem beiderseits interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, zur Förderung dieses Ziels in einem bestimmten Verhandlungsstadium jeweils tun würde (BGH aaO Rn. 59 – FRAND-Einwand II). Eine objektive Bereitschaft zum Abschluss eines FRAND-Lizenzvertrags zeigt sich regelmäßig in der an dem gemeinsamen Ziel eines erfolgreichen Abschlusses orientierten aktiven Förderung der Verhandlungen. Dabei bauen die Verhandlungsschritte von an einem Vertragsschluss interessierten Parteien aufeinander auf. Eine Förderpflicht besteht deshalb stets, wenn und insoweit nach den geschäftlichen Gepflogenheiten und den Grundsätzen von Treu und Glauben mit dem nächsten Verhandlungsschritt zu rechnen ist (BGH aaO Rn. 68 – FRAND-Einwand II).
85
Hat es eine Seite zunächst an der gebotenen Mitwirkung am Zustandekommen eines Lizenzvertrags zu FRAND-Bedingungen fehlen lassen, geht dies grundsätzlich zu ihren Lasten. Je nach Sachlage kann sie gehalten sein, begangene Versäumnisse so weit wie möglich zu kompensieren. Dies entspricht den üblichen Gepflogenheiten von an einem Vertragsschluss interessierten Personen, welche bei einer verzögerten Reaktion auf ein entsprechendes Verhandlungsangebot normalerweise damit rechnen müssen, dass die Gegenseite kein Interesse an einem Vertragsschluss mehr hat (BGH aaO Rn. 60 – FRAND-Einwand II).
86
Der Patentverletzer darf die Verhandlungen insbesondere nicht verzögern (EuGH aaO Rn. 66, 71). Denn anders als bei Vertragsverhandlungen, die ein lizenzwilliges Unternehmen vor Benutzungsaufnahme anstrebt, kann das Interesse des Verletzers auch – allein oder jedenfalls in erster Linie – darauf gerichtet sein, den Patentinhaber möglichst bis zum Ablauf der Schutzdauer des Klagepatents hinzuhalten, weil ihm dann keine Verurteilung zur Unterlassung mehr droht (BGH aaO Rn. 82 – FRAND-Einwand I). Eine Verzögerungstaktik besteht typischerweise darin, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen nicht schlichtweg abzulehnen, sondern ihn vorgeblich anzustreben, aber die Findung einer angemessenen Lösung im Einzelnen zu hintertreiben oder zumindest so lange wie möglich hinauszuschieben (BGH aaO Rn. 67 – FRAND-Einwand II). Die auf Grundlage objektiver Gesichtspunkte vorzunehmende Beurteilung, ob eine Verzögerungstaktik verfolgt wird, soll auch das weitere Verhalten des Verletzers auf eine Verletzungsanzeige oder ein Angebot des Patentinhabers in den Blick nehmen (BGH aaO Rn. 77 – FRAND-Einwand II).
87
Fehlt es an der Lizenzwilligkeit des Patentverletzers, kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs offengelassen werden, ob das Angebot des Patentinhabers (inhaltlich) FRAND-Bedingungen entspricht (BGH aaO Rn. 82, 101). Gänzlich entbunden von Reaktionspflichten und daher ebenfalls von der Pflicht, alle Einwände zugleich zu benennen, ist der Lizenzsucher allein in dem Fall, dass ein Angebot in einem Ausmaß FRAND-widrig ist, dass es bei objektiver Wertung als schlechterdings untragbar erscheint, daher als nicht ernst gemeint zu bewerten ist und in der Sache nach dem objektiven Empfängerhorizont eine Weigerung darstellt, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen (vgl. BGH aaO Rn. 71 – FRAND-Einwand II).
88
Nach der Rechtsprechung des Landgerichts München I trägt der beklagte Patentnutzer nach den üblichen zivilprozessualen Maßstäben grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Begründetheit seines kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands. Der FRAND-Einwand ist eine Einwendung des Beklagten und er muss grundsätzlich die für ihn günstigen Umstände darlegen und ggf. beweisen. Das gilt sowohl für den Umstand, das Verhalten (Angebot) des Patentinhabers sei schlechterdings untragbar, als auch für die Rüge des Patentnutzers, durch die ihm angebotenen Vertragsbedingungen werde er gegenüber anderen Lizenznehmern des Patentinhabers diskriminiert (LG München I, Urteil vom 17.02.2023, 21 O 4140/21, GRUR-RS 2023, 11247 – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation). Zur Darlegung dieser Rüge gehört zumindest, dass der Patentnutzer hierfür plausible Anhaltspunkte vorträgt. Je nach Einzelfall kann dies dazu führen, dass dann der Lizenzgeber im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast wiederum hierzu näher vorzutragen hat (LG München I, aaO – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
89
Ein lizenzwilliger Patentnutzer muss als Lizenzsucher zwar grundsätzlich über die wesentlichen Faktoren für die Bemessung der zu zahlenden Lizenzgebühr unterrichtet sein. Hierfür muss er in der Regel die ihm angebotene Lizenzgebühr anhand der wesentlichen Faktoren für den Preis erläutert bekommen. Wird eine Pauschallizenzgebühr für Nutzungen in der Vergangenheit und in der Zukunft vereinbart, kann entsprechend dem Sinn und Zweck der Pauschalzahlung ein niedrigerer Maßstab gelten. Je mehr Lizenzverträge abgeschlossen sind, desto eher kann sich die Erläuterung der Faktoren auf eine Gegenüberstellung der konkret angebotenen Gebühr mit den vereinbarten Lizenzgebühren in bereits abgeschlossenen Lizenzverträgen beschränken. Aus offengelegten Lizenzverträgen mit Dritten samt weiteren erläuternden Informationen des Patentinhabers, die er beispielsweise in einen elektronischen Datenraum eingestellt hat, ergibt sich aber grundsätzlich für einen lizenzwilligen Patentnutzer ein hinreichender Einblick in die Lizenzierungspraxis des Patentinhabers (LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22, GRUR-RS 2023, 24247 – Tonalitätsschätzung).
90
Macht der Lizenzsucher als Diskriminierungsvorwurf geltend, der Patentinhaber lizenziere zu unterschiedlichen Preisen, muss der Lizenzsucher in der Regel anhand von Beispielen aus der Lizenzierungspraxis des Patentinhabers konkrete Anhaltspunkte darlegen, dass er konkret gegenüber wem und inwiefern diskriminiert wird. Hierbei gilt keine kleinteilige Betrachtungsweise. Entscheidend ist vielmehr, ob die bislang mit Dritten vereinbarten Lizenzgebühren und die dem Lizenzsucher angebotenen Lizenzbedingungen in einem den Schutzzwecken des Kartellrechts entsprechenden wettbewerbskonformen, die Errichtung, Gewährleistung und Absicherung des Binnenmarkts dienenden Gesamtgefüge stehen und ob die angebotene Pauschallizenz den Lizenzsucher beim Marktzugang diskriminiert (LG München I, aaO – Tonalitätsschätzung).
91
Bei Verhandlungen über einen FRAND-Lizenzvertrag sind beide Parteien gehalten, in jeweils situationsangemessener Weise und nach den Geboten von Treu und Glauben beizutragen (EuGH, aaO), einen vernünftigen, interessengerechten und angemessenen Ausgleich zu finden. Hierzu gehört insbesondere zügig, förderlich und konstruktiv zu verhandeln und hierbei seine Interessen zu artikulieren, um konkrete Fortschritte beim Verhandeln der Lizenzvertragsbedingungen zu erzielen (LG München I, aaO – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
92
Verhandelt der Patentbenutzer die Lizenzbedingungen lediglich zögerlich, bringt er damit in aller Regel seine Lizenzunwilligkeit zum Ausdruck (Verzögerungstaktik). Verlangt ein Patentbenutzer vom Patentinhaber stetig weitere Informationen, ohne dass die ihm hierauf erteilten Auskünfte in Fortschritten bei der Verhandlung münden, kann dieses Verhalten die Lizenzunwilligkeit des Patentbenutzers belegen. Zwar kann ein Patentbenutzer grundsätzlich so viele Informationen verlangen und darf – in den Grenzen des Prozessrechts – prozessual so viel mit Nichtwissen bestreiten, wie er möchte. Nach mehrjährigem Verhandeln und nach mehrmaligem Wiederholen dieses Verhaltens ist das aber jedenfalls nicht mehr förderlich und konstruktiv (LG München I, aaO – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
93
Macht ein Patentbenutzer geltend, die ihm angebotene Lizenz sei nicht FRAND, weil sie schlechter als die Vertragsbedingungen der Konkurrenz sei, muss er, um als lizenzwillig angesehen zu werden, bereit sein, jedenfalls zu diesen (angeblich vorteilhafteren) Bedingungen den Lizenzvertrag zu schließen, und diese Bereitschaft objektiv durch sein Verhalten zum Ausdruck bringen (LG München I, aaO – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
94
Auch bei einer etwaigen Varianz in der bisherigen Preisbildung des Patentinhabers, die jedoch keine so erhebliche Ungleichbehandlung begründet, dass sie nicht im Verhandlungsweg zwischen zwei lizenzwilligen Partnern gelöst werden kann, würde eine vernünftige Partei, die an dem erfolgreichen und interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, diesen Umstand als Chance begreifen und versuchen, (trotzdem) zu einem vernünftigen, angemessenen und interessengerechten Vertragsschluss zu gelangen. Das gilt insbesondere hinsichtlich einzelner Finessen im Zahlenwerk, die sich erst beim Herunterrechnen der Pauschalgebühr ergeben (LG München I, aaO – Tonalitätsschätzung).
95
Eine hohe Lizenzvorstellung macht das klägerische Angebot in der Regel nicht willkürlich oder kartellrechtswidrig. Es müssen grundsätzlich weitere pönale Aspekte hinzutreten, um das Verhalten des Patentinhabers als schlechterdings untragbar zu bewerten bzw. es als mit der Folge nicht ernst gemeint einzuordnen, dass es hierauf objektiv keiner Reaktion des Patentnutzers bedarf. Abgesehen davon ist es Aufgabe der Verhandlungen zwischen den Parteien, eine Lösung für die Preisfrage zu finden und eine ggf. unangemessen hohe Preisvorstellung des Patentinhabers auf ein objektiv vernünftiges, interessengerechtes und angemessenes Maß zu nivellieren. Das heißt, dass in aller Regel eine Reaktion des lizenzsuchenden Patentnutzers auf das Angebot des Patentinhabers erforderlich ist, um im Einzelfall die Faktoren für die zutreffende Preisbestimmung durch Verhandlungen zu klären (LG München I, aaO – Tonalitätsschätzung).
96
In Fällen, in denen der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand gegen Ansprüche wegen Patentverletzung geltend gemacht wird, hat die Patentstreitkammer zu prüfen, ob insbesondere dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch ein kartellrechtlicher Anspruch des Patentbenutzers auf Unterlassung des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung entgegensteht. Hierbei kommt es maßgeblich auf die Abgrenzung zwischen Zugangsverweigerung und Preismissbrauch an. Der Patentverletzungsprozess, in dem der „FRAND-Einwand“ geltend gemacht wird, ist grundsätzlich nicht auf die Ermittlung des kartellrechtlich richtigen Preises gerichtet. Wegen der Dauer der Ermittlung des kartellrechtlich richtigen Preises, während derer der Patentnutzer die Erfindung faktisch frei nutzen kann, kann der Einwand des Preismissbrauchs im Verletzungsverfahren nur in krassen Ausnahmefällen zugelassen werden. Die Rechtsposition des Patentnutzers wird dadurch nicht unzumutbar beschränkt. Er hat insbesondere grundsätzlich die Möglichkeit, den kartellrechtlich richtigen Preis in einem gesonderten kartellrechtlichen Verfahren bestimmen zu lassen oder ein Gegenangebot nach § 315 BGB zu unterbreiten (LG München I, aaO – Tonalitätsschätzung).
97
II. Nach diesen Maßstäben ist entgegen der Annahme der Beklagten das Verhalten der Klägerseite nicht schlechterdings untragbar (unter 1.). Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Beachtung des einschlägigen Gesamtverhaltens der Parteien ist die Unternehmensgruppe der Beklagten hingegen nicht hinreichend lizenzwillig gewesen (unter 2.).
98
1. Das Verhalten der Klägerin ist nicht schlechterdings untragbar.
99
a) Entgegen dem Vorwurf der Beklagten hat die Klägerin die angebotenen Lizenzbedingungen nicht willkürlich bestimmt.
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Da nach den obigen Maßstäben eine hohe Lizenzvorstellung das klägerische Angebot in der Regel nicht willkürlich oder kartellrechtswidrig macht, sondern weitere pönale Aspekte hinzutreten müssen, um das Verhalten des Patentinhabers als schlechterdings untragbar zu bewerten bzw. es als mit der Folge nicht ernst gemeint einzuordnen, dass es hierauf objektiv keiner Reaktion des Patentnutzers bedarf, begründet das Vorbringen der Beklagten keine Willkür mit der Folge, dass die Unternehmensgruppe der Beklagten auf die Angebote der Klägerin nicht zu reagieren brauchte. Abgesehen davon ist es Aufgabe der Verhandlungen zwischen den Parteien, eine Lösung für die Preisfrage zu finden und eine ggf. unangemessen hohe Preisvorstellung des Patentinhabers auf ein objektiv vernünftiges, interessengerechtes und angemessenes Maß zu nivellieren. Das heißt, dass in aller Regel eine Reaktion des lizenzsuchenden Patentnutzers auf das Angebot des Patentinhabers erforderlich ist, um im Einzelfall die Faktoren für die zutreffende Preisbestimmung durch Verhandlungen zu klären (vgl. LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22, GRUR-RS 2023, 24247 – Tonalitätsschätzung). Da die Parteien auch hier vor allem den Abschluss einer Pauschallizenz angestrebt haben, begründete auch eine Varianz in der Preisbildung des Patentinhabers kein so erhebliches Hindernis, dass nicht im Verhandlungsweg zwischen zwei lizenzwilligen Partnern beseitigt werden könnte und die Parteien trotzdem (wenn beide Seiten es wollen) zu einem vernünftigen, angemessenen und interessengerechten Vertragsschluss gelangen (vgl. LG München I, aaO – Tonalitätsschätzung).
101
Pönale Aspekte, die das klägerische Angebot als untragbar erscheinen lassen, hat die Beklagte vorliegend nicht dargelegt. Diese ergeben sich insbesondere nicht aus der von der Klägerin geforderten Lizenzhöhe, die sich auf mehr als das doppelte der Apple-Lizenz beläuft. Denn eine Abweichung in dieser Größenordnung entbindet die Unternehmensgruppe der Beklagten bei objektiver Betrachtung nicht davon, mit der Klägerin konstruktiv und zielgerichtet zu verhandeln, um so im Wege der Verhandlung eine Lösung der Preisfrage zu finden. Für die Verhandlungsbereitschaft der Klägerin spricht insbesondere auch, dass die Klägerin zunächst im Jahr 2020 auch Stücklizenzen angeboten und später ein Schiedsverfahren vorgeschlagen hatte, was zeigt, dass sie bereit war, verschiedene Lizenzmodelle in Erwägung zu ziehen. Zudem hat die Klägerin vor der Klageerhebung Ende 2022 über zwei Jahre mit der Beklagten verhandelt. Das gesamte Verhalten der Klägerin zeigt, dass sie von Beginn an ernsthaft verhandlungsbereit und an einer außergerichtlichen Lösung interessiert war. Die Angebote der Klägerin waren damit nicht als letztes Wort zu verstehen, sondern vielmehr aus Ausgangspunkt für Verhandlungen.
102
Hieran ändert auch die von der Klägerin erläuterte … im Hinblick auf den … Vertrag nichts. Auch wenn die Klägerin in ihrer Berechnung …, so begründet dies für sich genommen kein schlechterdings untragbares Verhalten. Vielmehr sind auch einzelne … Damit bleibt es bei dem Grundsatz, dass die Preisfindung Aufgabe der Parteien ist und auch ein unterschiedliches Rabattsystem ohne weitere pönale Aspekte keine Willkür begründet.
103
Auch soweit die Beklagte einwendet, die Klägerin … und sich somit von der Beklagten wegbewegt, begründet dies nicht den Vorwurf der Willkür. Die Klägerin hat … damit begründet, …, dass die Klägerin hoffte, eine außergerichtliche Einigung zu finden (Klageerweiterung vom 21.07.2023, Rn. 30). Ein solches Verhalten ist nicht schlechterdings untragbar, da es nachvollziehbar und im Geschäftsleben üblich ist, dass für den Fall einer schnellen, außergerichtlichen Einigung, die keine weiteren Kosten (Anwalts- und Gerichtskosten verursacht) verursacht, besondere Vergünstigungen gewährt werden. Dies entbindet die Beklagte jedenfalls nicht von weiteren Verhandlungen.
104
Außerdem begründet die Tatsache, dass sich … der Klägerin … (vgl. Duplik (Nicht-Technik), Rn. 53) und …, kein willkürliches Verhalten der Klägerin. Auch der Umfang der Lizenzierung ist Gegenstand der Verhandlungen. Dass die Klägerin …, begründet daher kein willkürliches Verhalten, sondern dient in plausibler Weise dem Ziel, die sich ohnehin in die Länge ziehenden Verhandlungen in Umfang und Konfliktpotenzial zu begrenzen, um sie nicht weiter ausufern zu lassen.
105
b) Auch soweit die Beklagte im Hinblick auf den Lizenzvertrag eine Diskriminierung wegen … geltend macht, liegt jedenfalls kein schlechterdings untragbares Verhalten der Klägerin vor, das die Beklagte von weiteren Verhandlungen entbinden würde.
106
2. Die Lizenzunwilligkeit der Beklagten zeigt sich in ihrem … (unter b). Die Lizenzunwilligkeit ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Klägerin … (unter c).
107
a) Die Lizenzverhandlungen der Parteien sind im Wesentlichen wie folgt abgelaufen:
108
Am … wies die Klägerin die Beklagte erstmals auf die Verletzung ihres Patentportfolios hin. Am … .
109
Die Muttergesellschaft der Beklagten erklärte … .
110
… schloss die Klägerin ... einen Lizenzvertrag … (Duplik (Nicht-Technik), Rn. 21). Die Klägerin erwähnte mehrere Monate später gegenüber der Muttergesellschaft der Beklagten zunächst nur, … (vgl. Anl. VA3). Einzelheiten hierzu wurden nicht mitgeteilt.
111
… unterbreitete die Klägerin der Beklagten ein weiteres Angebot, welches sich nunmehr auch auf 5G-Patente bezog … .
112
Mit E-Mail … teilte die Klägerin der Beklagten zudem mit, …
113
Die Klägerin unterbreitete der Muttergesellschaft der Beklagten … ein weiteres Angebot und schlug zudem erneut die Durchführung eines Schiedsverfahrens vor. …
114
… erfuhr die Muttergesellschaft der Beklagten …
115
… erläuterte die Klägerin ihr Angebot insbesondere im Hinblick auf den … .
116
Da die Muttergesellschaft der Beklagten hierauf nicht reagierte, erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 28.12.2022 gegen die Beklagte Klage, zunächst ohne die Ansprüche auf Unterlassung, Vernichtung, Entfernung und Rückruf.
117
Nachdem die Beklagte von der Existenz … erfahren hatte, berief sie sich darauf, … Die Klägerin lehnte dieses Angebot ab, da sie der Ansicht war, … . In der Folge kam es zu weiteren Gesprächen.
118
… unterbreitete die Klägerin der Muttergesellschaft der Beklagten bei einem virtuellen Treffen ein angepasstes Angebot … . Dieses Angebot enthielt u.a. … . Zugleich erläuterte sie ihre Kritik an der Berechnungsmethode der Muttergesellschaft der Beklagten.
119
… kam es zu einem weiteren virtuellen Treffen der Parteien. … legte die Klägerin der Muttergesellschaft der Beklagten ein ausformuliertes Angebot (Anlage EIP A13) vor. Die Beklagte wies dieses Angebot zurück … . Dieses lehnte die Klägerin … ab und … zugleich …
120
Mit Schriftsatz vom 21.07.2023 erweiterte die Klägerin die Klage um die Ansprüche auf Unterlassen, Rückruf, Entfernung und Vernichtung.
121
Mit Schriftsatz vom 11.09.2023 beantragte die Beklagte im hiesigen Verfahren …
122
… die Muttergesellschaft der Beklagten der Klägerin … . Dieses Angebot wies die Klägerin … zurück.
123
Mit Schriftsatz vom 29.09.2023 erhob die Beklagte im hiesigen Verfahren Widerklage.
124
… übermittelte die Klägerin … ein weiteres Angebot … folgte der ausformulierte Lizenzvertragsentwurf (Anl. EIP A19).
125
Mit Beschluss des Gerichts vom 30.10.2023 wurde … als einzigem Mitarbeiter der Beklagten Zugang … gewährt.
126
Mit Schriftsatz vom 24.11.2023 hat die Beklagte die Erweiterung des Vorlagebeschlusses vom 30.10.2023 auf zwei weitere Mitarbeiter der Beklagten sowie auf zwei ökonomische Sachverständige beantragt. Dem ist die Klägerin mit Schriftsatz vom 08.12.2023 entgegengetreten.
127
Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 12.03.2024 hat die Beklagte mitgeteilt, dass … eine weitere Verhandlungsrunde stattgefunden hat.
128
b) Die Unternehmensgruppe der Beklagten hat die Verhandlungen zum Abschluss des angeblich gewollten Lizenzvertrags nicht hinreichend zielführend geführt. Sie hat sich weder hinreichend zielstrebig noch hinreichend konstruktiv bei den Verhandlungen für den Abschluss des angeblich gewollten Lizenzvertrags eingesetzt. Vielmehr zeigt das Gesamtverhalten der Beklagten und ihrer Muttergesellschaft, insbesondere ihr zu Beginn der Verhandlungen äußerst zögerliches Vorgehen sowie ihr Beharren …, obwohl sie diesen …, ihr fehlendes Interesse, mit der Klägerin zügig zum Abschluss des Lizenzvertrags zu gelangen. Die Unternehmensgruppe der Beklagten erscheint bereit, als Druckmittel eine möglichst lange Zeit das Klagepatent unberechtigt und ohne Bezahlung zu nutzen.
129
aa) Die Mitwirkungen der Beklagten am Verhandlungsprozess genügen nicht, um ihre Lizenzwilligkeit zu belegen. Die Unternehmensgruppe der Beklagten hat bei Gesamtschau der Verhandlungen betreffend das Patentportfolio nicht hinreichend förderlich und zielorientiert an einer Verhandlungslösung mitgewirkt und es an der gebotenen förderlichen und zielgerichteten Mitwirkung am Zustandekommen eines Lizenzvertrags zu FRAND-Bedingungen fehlen lassen.
130
Die Beklagte hat insbesondere zu Beginn der Verhandlungen äußerst zögerlich agiert und nicht zielstrebig am Verhandlungsfortschritt mitgewirkt. So hat sie weder auf den Verletzungshinweis vom … noch auf das Angebot … durch die Klägerin … . Auch nachdem die technischen Diskussionen … und die Klägerin der Beklagten ein weiteres Angebot …unterbreitet hatte, legte die Beklagte erst … . Somit hat das zögerliche Agieren bereits zu Beginn der Verhandlungen, die sich nunmehr über mehrere Jahre hinziehen, zu einer erheblichen Verzögerung geführt.
131
Diese Verzögerung hat die Beklagte auch nicht im Nachhinein durch besonderes Engagement bei den folgenden Verhandlungen ausgeglichen. … Ein so später Vorschlag kann die Lizenzwilligkeit der Beklagten nicht belegen, vielmehr spricht der Zeitpunkt dafür, dass das Gerichtsverfahren verzögert werden sollte. Auch die von der Beklagten mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 12.03.2024 behauptete … würde ihre Lizenzwilligkeit jedenfalls nicht belegen.
132
c) Die mangelnde Lizenzbereitschaft entfällt auch nicht dadurch, dass die Klägerin gegenüber der Beklagten die Vorlage … zunächst verweigert hat und dieser bislang nur an den Mitarbeiter der Beklagten … vorgelegt wurde. Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Klägerin im Hinblick auf … nicht transparent genug gehandelt habe und die Beklagte gegenüber … diskriminiert werden solle. Die Vorlage des … ausschließlich an … sei unzureichend. Die Klägerin treffe im Rahmen der FRAND-Verhandlungen die Obliegenheit, …
133
Zwar hat die Klägerin die Verhandlungen insoweit verzögert, als sie nicht bereits zu Beginn der Verhandlungen auf die Existenz … zumindest ausdrücklich hingewiesen hat. Aus dem Gesamtverhalten der Beklagten ergibt sich jedoch, dass sie unabhängig von einer Vorlage … nicht lizenzwillig ist und nur auf der Vorlage besteht, um die Verhandlungen noch weiter hinauszuzögern und das Klagepatent weiterhin unlizenziert nutzen zu können. Denn die Beklagte hat ausdrücklich erklärt, dass …
134
Dass die Vorlage des … und die Klägerin sich weigert, den …, begründet im konkreten Fall keine fehlende Lizenzwilligkeit der Klägerin. Der Kammer ist bewusst, dass die Nicht-Diskriminierung ein zentraler Aspekt im Rahmen von Verhandlungen ist und Lizenzsucher auf hinreichende Transparenz sowie ggf. auf die Vorlage von Drittverträgen angewiesen sind, um eine Diskriminierung prüfen und ggf. konkret darlegen zu können. Die Klägerin hat … lizenziert, im Anschluss die Beklagtenseite jedoch nicht hierüber informiert, obwohl bereits … ein Verletzungshinweis an die Unternehmensgruppe der Beklagten ergangen war und zwischen den Parteien bereits Verhandlungen liefen. Sie hat in einem Meeting … lediglich mitgeteilt, … . Die Beklagte erfuhr erst … . Insofern hätte die Klägerin die Lizenzverhandlung zu Beginn transparenter führen können, indem sie die Unternehmensgruppe der Beklagten über … informiert und … hätte. Insoweit hat die Klägerin ihrerseits und auf wenig vertrauensbildende Art und Weise zur Verzögerung der Verhandlungen beigetragen.
135
Die Beklagte ist jedoch ihrerseits selbst nicht hinreichend lizenzwillig und hält den … Vertrag …. Die Beklagte mag zwar ursprünglich die Bereitschaft gezeigt haben, … zu akzeptieren (vgl. Erwiderung Klageerweiterung, Rn. 17 ff.), sie verhält sich jedoch widersprüchlich.
136
Damit verfolgt die Beklagte nach Überzeugung des Gerichts eine reine Verzögerungstaktik. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass die Beklagte auch … nicht bereit wäre, einen Vertrag zu vergleichbaren Konditionen zu schließen. Dies zeigt sich bereits darin, dass die Beklagte … und es auch auf Nachfrage der Kammer in der mündlichen Verhandlung nicht gewesen ist, … . Vielmehr beabsichtigt die Unternehmensgruppe der Beklagten, nach … die Verhandlungen weiter zu verzögern, um das Klagepatent möglichst lange ohne Lizenz nutzen zu können. … würde das Verfahren weiterhin erheblich verzögern, so dass sie das Klagepatent weiter unberechtigt nutzen könnte. Eine Vorlage eines Drittlizenzvertrags ist jedenfalls dann nicht veranlasst, wenn der Patentverletzer ohnehin nicht bereit ist, einen damit vergleichbaren Lizenzvertrag abzuschließen.
137
Eine Aussetzung nach § 148 ZPO mit Blick auf die Nichtigkeitsklage der Beklagtenseite vom 12.05.2023 (Anlage rop01) ist nicht geboten.
138
I. Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellen als solches keinen Grund dar, das Verfahren auszusetzen. Anderenfalls würde man dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beimessen, die ihm nach dem Gesetz gerade fremd ist (BGH GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug). Bei der gebotenen Interessenabwägung hat grundsätzlich das Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung des ihm erteilten Patents Vorrang (vgl. Cepl in: Cepl/Voß, Prozesskommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 3. Auflage 2022, § 148 ZPO Rn. 106 m.w.N). Denn das Patent bietet nur eine beschränkte Schutzdauer. Für die Dauer der Aussetzung ist das Schutzrecht mit Blick auf den Unterlassungsantrag, der einen wesentlichen Teil des Schutzrechts darstellt, noch zusätzlich praktisch aufgehoben. Daher kommt eine Aussetzung grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Vernichtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Cepl in: Cepl/Voß, aaO, § 148 ZPO Rn. 107 m.w.N.).
139
Eine erstinstanzliche Entscheidung des zur Entscheidung über den Rechtsbestand berufenen (regelmäßig mit Fachpersonen besetzten) Organs ist grundsätzlich hinzunehmen, sofern die Entscheidung nicht offensichtlich fehlerhaft ist (Voß, in: BeckOK, PatR, PatG § 139 Vor §§ 139-142b (Verletzungsprozess) Rn. 186 m.w.N.). Die durch die Entscheidung benachteiligte Partei muss darlegen, inwieweit die Entscheidung falsch ist (Diagnose) und warum das zur Entscheidung berufene Organ in zweiter Instanz anders entscheiden wird (Prognose). Bei dem qualifizierten Hinweis gemäß § 83 PatG handelt es sich zwar noch nicht um eine erstinstanzliche Entscheidung. Gleichwohl kommt dieser für das Verletzungsverfahren eine besondere Bedeutung zu.
140
II. Nach diesen Maßstäben ist das Verfahren nicht auszusetzen. Der Gegenstand des Klagepatents ist nach Auffassung der Kammer rechtsbeständig. Die von den Beklagten erhobenen Angriffe auf den Rechtsbestand des Klagepatents greifen (jedenfalls nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit) durch. Die Beklagte hat mit nachgelassenem Schriftsatz vom 30.01.2024 erklärt, dass sich ihr Rechtsbestandsangriff nicht mehr auf ZP1 oder ZP2 stützt, sondern allein auf den Offenbarungsgehalt der ZP3.
141
1. Zweifel an der Neuheit der eingeschränkt aufrecht erhaltenen Ansprüche gegenüber der ZP3 bestehen nicht. Das Bundespatentgericht geht in seinem qualifizierten Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG vom 11.01.2024, 4 Ni 19/23 (EP) (Anlage rop 11) davon aus, dass das Klagepatent rechtsbeständig sein dürfte und die Nichtigkeitsklage keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte.
142
Bei der ZP3 handelt es sich um einen Diskussionsbeitrag aus dem Standardisierungsverfahren der 3GPP-Arbeitsgruppe TSG RAN WG1. Der Beitrag mit dem Titel „PRACH Slot Configuration for TDD FS1“ befasst sich mit Parametern des PRACH (Physical Random Access Channel), bei denen die Asymmetrie zwischen Downlink- und Uplink-Rahmen im Fall des TDD-Modus berücksichtigt werden muss (vgl. qualifizierter Hinweis BPatG, S. 26-27).
143
2. Die Lehre des Klagepatents wird durch die ZP3 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart, da jedenfalls kein Ableiten eines Parameters eines Steuerkanals der Zielzelle im Sinne von Merkmal 8.3 offenbart wird (zur Auslegung s.o. unter I.5.). Die Beklagte geht davon aus, dass das UE aus der TDD-Funkrahmenkonfiguration bzw. Rahmenaufteilung die Uplink-Wiederholperiode P ableiten kann. Bei der Uplink-Wiederholperiode P (Periodizität) handelt es sich jedoch nach der zutreffenden Ansicht des Patentgerichts nicht um einen Parameter des Steuerkanals PRACH, der aus der TDD-Zeitschlitz-Konfigurationsinformation abgeleitet wird, sondern eine Information, die nach [0030] des Klagepatents selbst als Teil der TDD-Zeitschlitz-Konfiguration zu verstehen ist. Ein Ableiten im Sinne des Merkmals 8.3 setzt jedoch einen getrennten Schritt voraus, der sich nicht im bloßen Auslesen der Daten erschöpfen darf. Durch das unmittelbare Signalisieren der Uplink-Wiederholperiode wird ein Ableiten nicht offenbart.
144
Dies gilt auch für die Angabe des Beginns der Uplink-Periode: Dass der PRACH zu Beginn der Uplink-Periode allokiert wird und nur eine PRACH-Instanz pro Abschnitt vorgesehen ist, sind Festlegungen, die offenbar nicht signalisiert werden und nicht aus der TDD-Zeitschlitz-Konfiguration abgeleitet werden können. Schließlich muss auch der Wert „Slot Allocation ‚“ zur Verwendung der Tabelle 2 dem Nutzergerät signalisiert werden. Darüber hinaus geht der Beitrag ZP3 nach Ansicht des Patentgerichts (qual. Hinweis, S. 27) nicht auf die Signalisierung der TDD-Zeitschlitz-Konfiguration oder weiterer Konfigurationsinformationen ein, d. h. sie dürfte keinen Anhaltspunkt dafür geben, dass diese als Teil eines Handover-Befehls zu übertragen werden.
145
III. Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht somit auch keine Gefahr eines Squeeze. Dies wäre der Fall, wenn das Verletzungsgericht einer breiten Auslegung des Patentanspruchs folgen würde, durch die eine Verletzung gegeben ist, das Patentgericht dagegen einer davon abweichenden engen Auslegung, durch die das Patent nicht neuheitsschädlich wäre, eine Verletzung aber nicht gegeben wäre. Vorliegend folgt das Gericht aber der Auslegung des Patentgerichts, so dass kein Squeeze gegeben ist.
146
IV. Der weitere Vortrag im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 26.03.2024 sowie der Verweis auf die ZP8 rechtfertigen ebenfalls keine Aussetzung.
147
Die Widerklage ist im Hinblick auf den Antrag zu I. bereits unzulässig, im Hinblick auf die Anträge zu II. und III. ist sie unbegründet.
148
I. Der Widerklageantrag zu I. ist unzulässig, weil er nicht hinreichend bestimmt ist, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
149
Liegt kein bestimmter Antrag vor, ist die Klage unzulässig. Nach der Rechtsprechung ist ein Klageantrag dann hinreichend bestimmt, wenn er den erhobenen Anspruch konkret bezeichnet, dadurch den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis absteckt, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung erkennen lässt, das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abwälzt und eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt (vgl. BGH NJW 2003, 668, 669 – P-Vermerk; BeckOK ZPO/Bacher § 253 Rn. 57). Prüfungsmaßstab für die hinreichende Bestimmtheit ist demnach immer die Eignung des Urteils für die Vollstreckung (MüKo-ZPO/Becker/Eberhard, § 253 Rn. 90). Dabei sind auslegungsbedürftige Begriffe in der Regel unzulässig, weil zu unbestimmt (Zigann/Werner, in Cepl/Voß, Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz, 3. Auflage, 2022, § 253 Rn. 212).
150
Vorliegend ist der Klageantrag unzulässig. Eine Verurteilung nach diesem Klageantrag würde keinen brauchbaren und im Regelungsgehalt hinreichend spezifizierten Lizenzvertrag zustande bringen können (vgl. Kühnen, GRUR 2019, 665, 667). Denn es ist nicht hinreichend bestimmt oder bestimmbar, was ein „ausbeutungs- und diskriminierungsfreies (=FRAND) Lizenzangebot“ ist, welches die Beklagte und Widerklägerin von der Klägerin und Widerbeklagten begehrt. Bei der Frage, ob ein Lizenzangebot FRAND ist, handelt es sich um eine schwierig zu beurteilende Rechtsfrage, die eine umfassende Abwägung und Bewertung aller konkreten Umstände des Einzelfalls voraussetzt. Auch der Zusatz, dass sich die FRAND-Konformität im Lichte der Lizenzen mit Drittparteien bestimmt (s. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2024), ändert hieran nichts, weil auch die Vergleichbarkeit von verschiedenen Lizenzen eine umfassende rechtliche Bewertung voraussetzt. Im vorliegenden Verfahren ist gerade zwischen den Parteien hoch umstritten, was FRAND ist. Der Streit, ob ein Angebot FRAND ist oder nicht, kann und darf dabei nicht in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden. Vielmehr ist es der Beklagten und Widerklägerin nicht nur möglich und zumutbar, ein vollständiges, FRAND-konformes Angebot zu formulieren und auf dessen Annahme zu klagen (vgl. MüKo-ZPO/Becker/Eberhard, § 253 Rn. 90), sondern es ist allgemein die Pflicht eines Klägers oder Widerklägers, für sein Rechtsschutzbegehren einen bestimmten Antrag zu formulieren. Soweit die Beklagte selbst Zweifel hat, welche Konditionen noch FRAND sind, könnte sie durch Hilfsanträge mehrere konkrete Angebote formulieren.
151
II. Der Widerklageantrag zu II. ist zulässig, aber unbegründet.
152
1. Zwar ist der Hilfsantrag zu II. vorliegend als Stufenklage unzulässig, da eine Verbindung zwischen Auskunfts- und Leistungsansprüchen gemäß § 254 ZPO nur dann zulässig ist, wenn die begehrte Auskunft dazu dient, den Leistungsanspruch zu beziffern oder in sonstiger Weise zu konkretisieren (BeckOK-ZPO/Bacher, § 254 Rn. 4). Eine Stufenklage ist damit ausgeschlossen, wenn der in erster Stufe verfolgte Auskunftsanspruch in keiner Weise der näheren Bestimmung eines noch nicht hinreichend bestimmten, in einer nachfolgenden Stufe geltend gemachten Leistungsbegehrens, sondern anderen Zwecken dient (BGH NZM 2016, 540, 541). Vorliegend dient die Stufenklage gerade nicht der näheren Konkretisierung eines Leistungsbegehrens, da ein solches im Hilfsantrag nicht enthalten ist. Die Stufenklage dient auch nicht der näheren Konkretisierung des Widerklageantrags zu I.
153
2. Allerdings ist dieser Widerklageantrag in eine von der Stufung unabhängige Auskunftsklage umzudeuten und als solche zulässig (vgl. BGH NJW 2002, 2952, 2953).
154
3. Die Widerklageantrag zu II. ist aber unbegründet, da kein kartellrechtlicher Auskunftsanspruch besteht. Ein Anspruch scheitert bereits daran, dass mangels Lizenzwilligkeit der Beklagten und Widerklägerin kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung durch die Klägerin und Widerbeklagte gegeben ist. Dieser ist jedenfalls für die kartellrechtlichen Ansprüche notwendige Voraussetzung für die Begründetheit des Widerklageantrags zu II.
155
III. Der Widerklageantrag zu III. ist zulässig, aber unbegründet.
156
1. Der Widerklageantrag zu III. ist zulässig, insbesondere besteht ein Feststellungsinteresse, § 256 ZPO.
157
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, da kein kartellrechtlicher Schadensersatzanspruch besteht. Ein Anspruch scheitert bereits daran, dass mangels Lizenzwilligkeit der Beklagten und Widerklägerin kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung durch die Klägerin und Widerbeklagte gegeben ist. Dieser ist jedenfalls für die kartellrechtlichen Ansprüche notwendige Voraussetzung für die Begründetheit des Widerklageantrags zu III.
158
Soweit die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien neuen Tatsachenvortrag enthalten, ist dieser nach § 296a ZPO verspätet und daher zurückzuweisen. Der Inhalt gebietet ebenfalls keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung, § 156 ZPO, wie zuvor erläutert.
159
I. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 ZPO. Die Klägerin obsiegt zur Gänze.
160
II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO. Die Festsetzung der Teilsicherheiten beruht auf den Angaben der Klägerin zum Verhältnis der Teilstreitwerte und entspricht gängiger Übung der Verletzungskammern am Landgericht München I.
161
Entgegen der Ansicht der Beklagten (Erwiderung Klageerweiterung, Rn. 140 ff.) ist die Festsetzung einer Vollstreckungssicherheit ... nicht veranlasst. Die Beklagte begründet dies mit einem zu erwartenden entgangenen Gewinn in dieser Höhe bis zum Abschluss eines etwaigen Berufungsverfahrens. Dass aufgrund des Gewinnausfalls ein Schaden in dieser Höhe entstünde, hat die Klägerin in Zweifel gezogen und diesen zu erwartenden Gewinn zu Recht als nicht substantiiert dargetan gerügt. Insbesondere hat die Beklagte nicht dargelegt, inwieweit der entgangene Gewinn sich auf die Beklagte selbst und nicht auf den Konzern insgesamt bezieht. Insoweit hat die Beklagte nur allgemein … verwiesen (vgl. Eidesstattliche Versicherung, Anl. rop KE8, Ziffer 11). Auch hat sie den zu erwartenden Gewinn lediglich pauschal behauptet, aber nicht konkret dargelegt und auch nicht näher erörtert, inwieweit bei dessen Berechnung ersparte Aufwendungen berücksichtigt worden sind.
162
III. Der Streitwert der Klage beträgt … . Der Streitwert bestimmt sich nach dem klägerischen Interesse. Die Klägerin hat zunächst den Streitwert bezogen auf die Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Feststellung von Schadensersatz auf im Hinblick auf die beiden ursprünglich in diesem Verfahren geltend gemachten Patente auf insgesamt … geschätzt. Mit Abtrennung des Gegenstands des Klagepatents B mit Beschluss vom 02.02.2023 hat das Gericht den Streitwert vorläufig auf … festgesetzt. Das Gericht geht nach Klageerweiterung um den Unterlassungsanspruch sowie die Ansprüche auf Entfernung, Vernichtung und Rückruf von einem Streitwert von … aus, da die Annexansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung sowie Feststellung auf Schadensersatz regelmäßig mit 10 bis 20% des Unterlassungsanspruchs zu bewerten sind (OLG Hamburg, Urt. vom 30.04.2013 – 3 U 184/10, BeckRS 2013, 11573; Schilling in Cepl/Voß, Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz, § 3 ZPO Rn. 101 m.w.N.).
163
IV. Der Streitwert der Widerklage beträgt … In dieser Höhe hat die Widerklägerin ihr Interesse beziffert. Dem ist die Widerbeklagte nicht entgegengetreten.
164
V. Aufgrund des erhöhten Streitwerts ist gemäß § 110 ZPO eine erhöhte Prozesskostensicherheit durch die Klägerin zu leisten. Diese bestimmt sich nunmehr aus einem Streitwert von … und setzt sich zusammen aus den Rechtsanwalts- und Patentanwaltsgebühren für erste Instanz, Berufungsinstanz und Nichtzulassungsbeschwerde zzgl. einer Auslagenpauschale von jeweils 5.000,00 € für die Erste Instanz und die Berufungsinstanz sowie der vierfachen Gerichtsverfahrensgebühr für die Berufungsinstanz (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 05.06.2023).
165
VI. Der Antrag der Beklagten auf Erweiterung des Vorlage- und Geheimhaltungsbeschlusses vom 30.10.2023 ist zurückzuweisen. Ein entsprechender Anspruch besteht mangels Lizenzwilligkeit der Beklagten nicht.