Inhalt

LG Augsburg, Endurteil v. 26.09.2024 – 114 O 3781/23
Titel:

Prüfung einer automatisierten Entscheidung

Normenkette:
DSGVO Art. 15 Abs. 1, Abs. 4, Art. 22 Abs. 1, Art. 82 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein Verstoß gegen Art. 22 Abs. 1 DSGVO liegt nur vor, wenn der von der Datenverarbeitung Betroffene einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhenden Entscheidung unterworfen wurde, die rechtliche Wirkungen entfaltet oder ihn in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt. Der Betroffene ist darlegungs- und beweisbelastet. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der von der Datenverarbeitung Betroffene hat gegenüber einer Wirtschaftsauskunftei keinen Anspruch auf Erteilung einer Auskunft über die konkrete Berechnungsmethode des Scorings und die verwendeten Algorithmen. Insoweit kann sich die Wirtschaftsauskunftei auf ihr Geschäftsgeheimnis berufen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klagezulässigkeit, Beweislast, Immaterieller Schadenersatz, Diskriminierungsvorwurf, Auskunftsanspruch, Unterlassungsanspruch
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 25.02.2025 – 37 U 3586/24 e
Fundstelle:
GRUR-RS 2024, 48091

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 40.000,00 € festgesetzt.   

Tatbestand

1
Die Klägerin macht diverse Ansprüche infolge behaupteter datenschutzrechtlicher Verstöße gegen die Beklagte geltend.
2
Die Beklagte ist eine Gemeinschaftseinrichtung in Form einer Wirtschaftsauskunftei der kreditgebenden Wirtschaft in Deutschland. Aufgabe der Beklagten ist es, ihre Vertragspartner mit Auskünften bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit von potentiellen oder bestehenden Kunden kreditrelevanter Geschäfte zu unterstützen. Hierfür unterhält die Beklagte eine Datenbank mit über 68 Millionen Datensätzen über in Deutschland wirtschaftlich aktive Personen. Bei der Beklagten handelt es sich um ein privates Unternehmen und nicht um eine staatliche Stelle.
3
Die Beklagten erhält regelmäßig relevante Daten aus Geschäftsverbindungen mit ihren Kunden gemeldet (wie beispielsweise Informationen über zuverlässig oder unzuverlässig erfüllte Kredite). Die Beklagte speichert die ihr übermittelten Daten, um ihren Vertragspartnern wiederum Auskünfte erteilen zu können. Mit Hilfe der Auskunft der Beklagten sowie weiterer Informationen kann der Vertragspartner das statistische Risiko von Zahlungsstörungen für das konkrete kreditrelevante Geschäft ermitteln. Auf Grundlage des bei ihr zu einer Person gespeicherten elektronischen Datenbestandes kann die Beklagte zu dieser Person einen sogenannten Scorewert berechnen, der sich zwischen 0 und 100 (Höchstwert) bewegt. Beim Scoring berechnet die Beklagte anhand von gesammelten Informationen und Erfahrungen aus der Vergangenheit eine Prognose über zukünftige Ereignisse oder Verhaltensweisen der Person in Bezug auf die Erfüllung kreditrelevanter Verträge. Auf dieser Grundlage errechnet die Beklagte einen Wahrscheinlichkeitswert, mit welchem die Person kreditrelevante Verträge erfüllt.
4
Die Klagepartei macht verschiedene Feststellungs- und Leistungsanträge auf der Basis behaupteter datenschutzrechtlicher Verstöße der Beklagten geltend. Darüber hinaus begehrt die Klagepartei immateriellen Schadenersatz in Höhe von mindestens 5.000,- €, allerdings ausdrücklich nur für Vorfälle, die zeitlich bis zur Rechtshängigkeit des hiesigen Rechtsstreits eingetreten sind (Bl. 213 d. A.).
5
Die Klagepartei stützt ihre Anträge auf die Rechtsansicht, das Scoring der Beklagten sei intransparent und diskriminierend, insbesondere, da ihr Alter und ihr Geschlecht berücksichtigt würden. Die Beklagte betreibe insoweit verbotenes „Profiling“ im Sinne des Art. 22 DSGVO. Aufgrund der dominanten Stellung der Beklagten stelle ein schlechter Score bei der Beklagten faktisch einen Ausschluss von erheblichen Teilen des wirtschaftlichen Lebens dar, da viele potentielle Vertragspartner ihre Entscheidung für oder gegen einen Vertragsschluss mit der Klagepartei maßgeblich oder sogar ausschließlich auf die Score-Auskunft der Beklagten stützten.
6
Die bisher von der Beklagten erteilten Auskünfte seien unzureichend. Es sei nach wie vor nicht nachvollziehbar, welche Kriterien mit welcher Gewichtung die Beklagte in ihr Scoring einfließen lasse.
7
Die Klagepartei beantragt daher zuletzt:
I. Es wird festgestellt, dass die beklagtenseits vorgenommene auf einer automatisierten Verarbeitung beruhende Erstellung des Bonitätsscores der Klagepartei, also der sog. „Basisscorewerte“, der sog. „Branchenscorewerte“ sowie der sog. „Orientierungswerte“, rechtswidrig ist;
II. Die Beklagte wird verurteilt, die Erstellung des Bonitätsscores der Klagepartei, also der sog. „Basisscorewerte“, der sog. „Branchenscorewerte“ sowie der sog. „Orientierungswerte“, nicht ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhend vorzunehmen;
III. Die Beklagte wird verurteilt, bei jeder Abfrage der …-Scorewerte betreffend die Klagepartei, hinsichtlich des Basisscorewerts sowie sämtlicher Branchenscorewerte Werte mitzuteilen, die nicht ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhen.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei hinsichtlich aller bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit der Klage entstandenen Schäden einen angemessenen Schadensersatz zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 5.000,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;
V. Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft darüber zu geben, auf welche konkrete Weise die Bonitätsscorewerte der Klagepartei, d. h. der Basisscorewert, sämtliche Branchenscorewerte und der Orientierungswert errechnet wurden, insbesondere nachvollziehbar und nachprüfbar
a. die dafür verwendete Berechnungsmethode,
b. die hierfür zugrunde gelegten Berechnungsparameter,
c. die für die Berechnung herangezogenen und verwendeten personenbezogenen Merkmale der Klagepartei,
d. die Risikoklassen, in welche die jeweiligen Scorewerte eingestuft werden sowie deren genaue Aufschlüsselung und Ausgestaltung,
e. die Gewichtung von Kategorien von Kriterien und der einzelnen Kriterien zueinander, die den Wahrscheinlichkeitswert am stärksten beeinflussen,
f. die Aussagekraft des konkreten Wahrscheinlichkeitswerts,
g. die erstellten Wahrscheinlichkeitswerte und ihre Empfänger darzulegen;
VI. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € oder für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken gegen eines der Mitglieder des Vorstands der Beklagten, es zu unterlassen, bei der Erstellung der …-Scorewerte betreffend die Klagepartei, dies umfasst die sog. Basisscorewerte, die sog. Branchenscorewerte sowie die sog. Orientierungswerte, folgende Merkmale in die Erstellung einzubeziehen:
a. besondere Kategorien personenbezogener Daten im Sinne von Artikel 9  Absatz 1 der Verordnung (EU) 2016/679,
b. den Namen der Klagepartei oder personenbezogene Daten aus ihrer Nutzung sozialer Netzwerke,
c. Informationen über Zahlungseingänge und -ausgänge auf und von Bankkonten,
d. Anschriftendaten,
e. Alter,
f. Geschlecht,
g. Daten Dritter, die nicht im Zusammenhang mit dem Zahlungsverhalten der Klagepartei stehen, insbesondere Daten der Nachbarschaft;
VII. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.751,80 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
8
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
9
Sie vertritt die Auffassung, die Klage sei bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Ihr Geschäftsmodell und das dabei betriebene Scoring seien völlig rechtmäßig und insbesondere nicht diskriminierend. Der klägerische Vortrag beschränke sich auf unsubstantiierte Allgemeinplätze ohne hinreichenden Bezug zum konkreten Sachverhalt. Im Übrigen habe die Beklagte in den letzten zwölf Monaten vor der erteilten Datenauskunft an die Klagepartei bei der Erstellung des die Klagepartei betreffenden Scores weder das Alter, das Geschlecht noch Anschriftendaten der Klagepartei wertend berücksichtigt.
10
In der mündlichen Verhandlung vom 05.09.2024 scheiterte der Versuch einer gütlichen Einigung. Zur Ergänzung des Tatbestands und hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie der Sitzungsprotokolle ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
11
Die Klage ist zulässig.
12
1) Der unter Ziffer 1 erhobene Feststellungsantrag ist gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig, insbesondere liegt ein rechtlich schutzwürdiges Interesse der Klagepartei an der begehrten Feststellung vor.
13
2) Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite sieht das Gericht auch sämtliche Anträge als bestimmt genug und potentiell vollstreckungsfähig an.
II.
14
Die Anträge sind aber insgesamt unbegründet. Ein Verstoß gegen Art. 22 Abs. 1 DSGVO liegt nicht vor.
15
1) Um in den Anwendungsbereich des Art. 22 Abs. 1 DSGVO zu gelangen, müsste die Klagepartei daher zunächst zur Überzeugung des Gerichts darlegen und beweisen, dass sie einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung von Daten beruhenden Entscheidung unterworfen wurde, die ihr gegenüber rechtliche Wirkungen entfaltet oder sie in ähnlicher Weise beeinträchtigt. Um zu einem Verstoß gegen die Norm zu gelangen, dürften insbesondere keine weiteren Informationen neben dem von der Beklagten erstellten Scorewert in die Entscheidung potentieller Vertragspartner eingeflossen sein.
16
Diesen Nachweis vermag die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei nicht zu führen. Dem schriftsätzlichen Vorbringen ist kein hinreichend substantiierter Einzelfall zu entnehmen, in welchem diese Voraussetzungen vorliegen würden. Soweit die Klagepartei in der mündlichen Verhandlung zwei Vorfälle im Zusammenhang mit den Firmen … und … erwähnte, hat die Beklagtenseite diese zulässig mit Nichtwissen bestritten. Beweise für ihr Vorbringen hat die Klagepartei nicht angeboten. Das Gericht kann sich daher nicht mit hinreichender Sicherheit davon überzeugen, dass die Anfragen ausschließlich aufgrund des von der Beklagten übermittelten Scorewerts abgelehnt wurden.
17
Selbst wenn man allerdings davon ausgehen wollte, den diesbezüglichen Vortrag der Klagepartei als wahr zu unterstellen, ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass nicht jede Ablehnung einer Geschäftsbeziehung oder Nichtgewährung bestimmter Zahlungsmodalitäten gleich eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne des Art. 22 Abs. 1 DSGVO darstellt.
18
2) Der Klägerin stehen keine Ansprüche auf immateriellen Schadenersatz zu.
19
a) Ein Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO scheitert bereits daran, dass ein Verstoß gegen Vorschriften der DSGVO, namentlich Art. 22 Abs. 1, nicht zur Überzeugung des Gerichts vorliegt (siehe oben). Im Übrigen sieht das Gericht nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch keinerlei rechtlich relevante Beeinträchtigung der psychischen Verfassung der Klägerin mit Schadenswert, jedenfalls keine, die zurechenbar auf der Tätigkeit der Beklagten beruhen. Die informatorische Anhörung der Klagepartei brachte vielmehr deutlich zum Ausdruck, dass die Klagepartei hauptsächlich mit ihren finanziellen Möglichkeiten unzufrieden ist. Dies fällt jedoch nicht in den Verantwortungsbereich der Beklagten.
20
b) In diesem Zusammenhang ist darüber hinaus festzuhalten, dass die Zuerkennung von Schadenersatz für die von der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung geschilderten Vorfälle schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil die Klagepartei Schadenersatz ausdrücklich nur für Vorkommnisse begehrt, die sich bis zur Rechtshängigkeit des hiesigen Rechtsstreits zugetragen haben. In diesem Zeitraum lief allerdings das von der Klagepartei durchlaufende Privatinsolvenzverfahren noch. Soweit die Klagepartei die Auffassung vertritt, sie sei in diesem Zeitraum diskriminiert worden, weil die Mitteilungen der Beklagten auch ihr Alter und ihr Geschlecht ausgewiesen hätten, und die Verträge deswegen nicht zustande gekommen, ist diese Befürchtung objektiv fernliegend. Nach der Lebenserfahrung kann das Gericht es ausschließen, dass diese Faktoren neben der Tatsache des Privatinsolvenzverfahrens noch eine relevante Rolle gespielt haben.
21
c) Weitere Anspruchsgrundlagen sind wegen des Anwendungsvorrangs der datenschutzrechtlichen Sonderregelungen nicht zu prüfen (vgl. BGH, Urteil vom 27.07.2020, VI ZR 405/18).
22
3) Der Klagepartei stehen auch keine Auskunftsansprüche gegen die Beklagte zu. Soweit der Klagepartei gemäß Art. 15 Abs. 1 DSGVO zustand, ist dieser durch Erfüllung erloschen, da die Beklagte der Klagepartei hinreichend Auskunft über die bei ihr gespeicherten Daten erteilt hat. Soweit die Klagepartei weitere Auskünfte über die konkrete Berechnungsmethode des Scorings und die dabei zum Einsatz kommenden Algorithmen begehrt, steht ihr ein Anspruch nicht zu; die Beklagte kann sich insoweit zulässigerweise auf ihr Geschäftsgeheimnis berufen (Art. 15 Abs. 4 DSGVO).
23
4) Einen Anspruch auf Unterlassung der Einbeziehung bestimmter Datenkategorien in das von der Beklagten betriebene Scoring hat die Klagepartei ebenfalls nicht. Da die Klagepartei es nicht vermochte, zur Überzeugung des Gerichts aufzuzeigen, dass die Beklagte die von der Klagepartei beanstandeten Datenpositionen schon einmal im Rahmen einer Scoreberechnung wertend verwendet hat, fehlt es an einer Wiederholungsgefahr, die Voraussetzung für das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs ist (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2015, V ZR 160/14).
24
5) Die geltend gemachten Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
III.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bemisst sich nach § 709 ZPO.