Inhalt

LG München I, Endurteil v. 24.06.2024 – 4 HK O 3298/24
Titel:

Erfolgloser Verfügungsantrag gegen den Vertrieb eines alkoholfreien Gins ohne Pfanderhebung und Zutatenverzeichnis

Normenketten:
UWG § 3 a
VO (EU) Nr. 1169/2002 Art. 14 Abs. 1 Nr. a
VerpackG § 31 Abs. 1
Leitsatz:
Der Vertrieb von alkoholfreiem Gin ohne Erhebung eines Pfandes verstößt nicht gegen § 3a UWG in Verbindung mit § 31 VerpackG, weil es jedenfalls an einer spürbaren Beeinträchtigung der Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern fehlt.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Verfügung, Wettbewerbsrecht, Wiederholungsgefahr, Unterlassungserklärung, Gesetzeslücke, Marktteilnehmer, Verpackungsverordnung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 28.11.2024 – 6 U 2305/24 e
Fundstelle:
GRUR-RS 2024, 46129

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Antragsteller kann die Vollstreckung durch den Antragsgegner hinsichtlich der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Antragsgegner vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Antragsteller, ein qualifizierter Wirtschaftsverband i.S.v. § 8b UWG, wendet sich dagegen, dass der Antragsgegner, eine Destillerie, alkoholfreien Gin vertreibt und im Internet anbietet, ohne zugleich auch das Verzeichnis der Zutaten vor Vertragsschluss anzugeben und ohne ein Pfand von mindestens 0,25 € einschließlich Umsatzsteuer je Verpackung bei dem Vertrieb des alkoholfreien Gins zu erheben.
2
Der Antragsgegner wirbt im Internet unter der Domain www.th….de für das von ihm vertriebene Produkt „THE DUKE-ENTGEISTERT (ALKOHOLFREI)“, ohne zugleich das Zutatenverzeichnis anzugeben. Zudem erhebt er für das Produkt keinen Flaschenpfand.
3
Aufgrund dieser Verstöße mahnte der Antragsteller den Antragsgegner mit Schreiben vom 28.02.2024 ab und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf (Anlage A 5).
4
Mit der als Anlage AG 3 vorgelegten Erklärung vom 02.04.2024 verpflichtete sich der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, aber rechtsverbindlich es bei Meidung einer Vertragsstrafe zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken gegenüber Verbrauchern das Produkt „THE DUKE-ENTGEISTERT (ALKOHOLFREI)“ im Internet zum Verkauf anzubieten, ohne zugleich auch das Verzeichnis der Zutaten vor etwaigen Vertragsschluss anzugeben.
5
Der Antragsteller hält diese Unterlassungserklärung für unzureichend, weil sie auf das konkrete Produkt beschränkt sei.
6
Was die nicht Erhebung des Flaschenpfands angeht, trägt er vor, sein Handeln sei nicht rechtsmissbräuchlich, da es einem klagebefugten Verband grundsätzlich nicht verwehrt sei, nur gegen bestimmte Verletzer vorzugehen. Dies gelte auch dann, wenn ein Verband, der eine Rechtslage höchstrichterlich klären lassen wolle, zunächst gegen einen Dritten und nicht auch gegen eigene Mitglieder vorgehe. Es stehe dem Antragsgegner frei, gegen die von ihm behaupteten Verstöße der Mitglieder des Klägers selbst vorzugehen und wettbewerbsrechtliche Abmahnungen auszusprechen.
7
Darüber hinaus ergebe sich aus dem als Anlage A 8 vorgelegten Schreiben, dass der Antragsteller sehr wohl in anderen Angelegenheiten auch gegen eigene Mitglieder vorgehe.
8
Bei alkoholfreiem Gin handele es sich zweifelsohne um ein Getränk im Sinne der Verpackungsverordnung. Dem Antragstellervertreter sei auch nicht bekannt, dass kein alkoholfreier Gin in Pfandflaschen vertrieben werde.
9
Der Antragsteller stellt folgenden Antrag:
I. Der Antragsgegner wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, untersagt,
im geschäftlichen Verkehr
1.
gegenüber Verbrauchern vorgepackte Lebensmittel im Internet zum Verkauf anzubieten, ohne zugleich auch das Verzeichnis der Zutaten vor Vertragsschluss anzugeben,
2.
bei Vertrieb des Produkts „THE DUKE – Entgeistert (Alkoholfrei)“ an Verbraucher in Einweg-Getränkeverpackungen kein Pfand in Höhe von mindestens 0,25 € einschließlich Umsatzsteuer je Verpackung bei einem Füllvolumen von 0,1 Liter bis 3 Liter zu erheben,
wenn dies jeweils geschieht wie im Internet unter der Subdomainhttps://thedukegin.de/collections/alkoholfrei/products/the-duke-entgeistert-alkoholfrei (abgerufen und ausgedruckt am 27. Februar 2024 zwischen 19:54 Uhr und 19:56 Uhr); Anlage A 4
10
Der Antragsgegner beantragt
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
11
Er hält den Antragsteller für nicht antragsberechtigt, weil ihm keine erhebliche Anzahl von Unternehmen angehöre, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben würden.
12
Darüber hinaus sei das Vorgehen des Antragstellers rechtsmissbräuchlich, da die eigenen Mitglieder des Antragstellers entsprechende Konzentrate als alkoholfreie Gin-Alternative ebenfalls pfandfrei anbieten würden. Dies ergebe sich aus den als Anlagenkonvolut AG 1 und AG 2 vorgelegten Internetausdrucken. Der Antragsteller gehe gezielt und systematisch nur gegen Unternehmen vor, die keine Mitglieder seien, während seine eigenen Mitglieder, die teilweise deutlich gravierendere gleichartige vermeintliche Verstöße begingen, gezielt ausspare.
13
Da sich das angegriffene Produkt „ENTGEISTERT“ des Antragsgegners bereits seit Juni 2021 auf dem Markt befinde, müsse davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben es gehöre, die gewerblichen Interessen seiner Mitglieder zu wahren und darauf zu achten, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs im geschäftlichen Verkehr eingehalten werden, bereits vor geraumer Zeit von dem behaupteten Verstoß Kenntnis erlangt hätte.
14
Letztendlich sei auch kein Verfügungsanspruch gegeben. Bei dem alkoholfreien Gin des Antragsgegners handele es sich nicht um ein Getränk im Sinne von § 31 Verpackungsgesetz sondern vielmehr um ein Extrakt, mit dem durch Hinzugabe von z.B. Tonic-Water ein Getränk hergestellt werden könne. Am ehesten vergleichbar dürfte das Produkt mit einem typischen Sirup, z.B. mit Holundersirups sein.
15
Wie sich aus der im Termin vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Antragsgegners ergebe, sei diesem kein Hersteller von Gin bzw. alkoholfreien Gin bekannt, der sein Produkt in Pfandflaschen vertreibe oder jemals vertrieben habe.
16
Ein wettbewerblich relevanter Verstoß liege daher nicht vor.
17
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.06.2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war abzuweisen, weil die Kammer in dem vorgetragenen Verhalten, alkoholfreien Gin nicht in Pfandflaschen zu verkaufen, keinen wettbewerbsrechtlich relevanten Verstoß gegen das Verpackungsgesetz sieht und hinsichtlich der Nichtangabe der Zutatenliste ist die von der Beklagten abgegebene Unterlassungserklärung ausreichend, um die Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Im Einzelnen gilt folgendes:
19
1.) Die Klagebefugnis des Klägers folgt aus §§ 8 Abs. 3, Nr. 2, 8b Abs. 1, 2 UWG.
20
Der Antragsteller hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihm eine erhebliche Anzahl von Gewerbetreibenden angehören, die Waren oder gewerbliche Leistungen gleicher oder verwandter Art mit denjenigen des Antragsgegners vertreiben. Insbesondere auch aus den vom Antragsgegner selbst als Anlage AG 1 und AG 2 vorgelegten Internetausdrücken ergibt sich, dass die Mitglieder des Klägers Lidl und Metro selbst alkoholfreien Gin vertreiben.
21
2.) Hinsichtlich des gerügten Verstoßes des Vertriebs von alkoholfreiem Gin ohne Erhebung eines Pfands liegt jedoch kein Verfügungsanspruch vor.
22
Ein Unterlassungsanspruch, den der Antragsteller auf §§ 8, 3 a i.V.m. § 31 Abs. 1 Verpackungsgesetz stützt, würde gem. § 3 a UWG voraussetzen, dass der gerügte Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.
23
An dieser spürbaren Beeinträchtigung fehlt es in vorliegendem Fall, selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass es sich bei alkoholfreiem Gin um ein Getränk i.S.d. Verpackungsverordnung handelt.
24
Es ist nämlich kein Grund ersichtlich, weder zum Schutz der Interessen von Verbrauchern oder von sonstigen Marktteilnehmern, weshalb alkoholfreier Gin im Gegensatz zu alkoholhaltigem Gin, für den die Verpackungsverordnung eine Ausnahme vorsieht, in Pfandflaschen vertrieben werden sollte. Tatsächlich liegt offensichtlich eine Gesetzeslücke vor, weil der Gesetzgeber bei Erlass der Verpackungsverordnung nicht davon ausgegangen ist, dass Gin auch (wie z.B. Bier) in einer alkoholfreien Version vertrieben wird.
25
Auch die Interessen von Mitbewerbern durch einen sog. Vorsprung durch Rechtsbruch werden durch den pfandfreien Vertrieb des alkoholfreien Gins durch den Antragsgegner nicht spürbar beeinträchtigt.
26
Der Kammer ist – insofern übereinstimmend mit der eidesstattlichen Versicherung des Antragsgegners – kein Fall bekannt, in dem alkoholfreier Gin in Pfandflaschen vertrieben wird. Auch aus den als Anlage AG 1 und AG 2 vorgelegten Ausdrucken ergibt sich, dass es bei den Mitbewerbern des Antragsgegners üblich ist, alkoholfreien Gin in pfandfreien Flaschen zu vertreiben.
27
Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte Vortrag des Antragstellers im Schriftsatz vom 14.06.2024, wonach der alkoholfreie Gin „Sigfried Wonderleaf“ in Pfandflaschen vertrieben werde, konnte schon deshalb nicht mehr berücksichtigt werden, weil der Antragsgegner keine Gelegenheit hatte, zu diesem Vortrag Stellung zu nehmen.
28
Ein spürbarer Verstoß i.S.d. § 3 a UWG kann daher nicht angenommen werden.
29
Deswegen kann auch dahingestellt bleiben, wann der Antragsteller Kenntnis von dem gerügten Verstoß erlangt hat und ob es rechtsmissbräuchlich ist, nur gegen den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Verfügung vorzugehen, in der die streitige Frage gerade nicht höchstrichterlich geklärt werden kann.
30
3.) Was den gerügten Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 Ziff. a LMIV durch Nichtangabe der Zutatenliste angeht, so ist hier diesbezüglich durch Abgabe der Unterlassungsklärung in der Anlage AG 3 die Wiederholungsgefahr entfallen.
31
Zwar beseitigt eine Unterwerfungserklärung die Wiederholungsgefahr nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann, wenn sie nach Inhalt und Umfang – ebenso wie der Antrag und die Urteilsformel – dem Unterlassungsanspruch entspricht (BGH GRUR 1996, 290-292 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I).
32
Vorliegend erstreckt sich der Unterlassungsanspruch des Antragstellers inhaltlich nicht nur auf ein Verhalten der konkret beanstandeten Art, sondern auch auf die im Verfügungsverfahren beanspruchte Verallgemeinerung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beschränkt sich die durch eine Verletzungshandlung begründete Wiederholungsvermutung nicht allein auf die genau identische Verletzungsform, sondern umfasst auch alle im Kern gleichartigen Verletzungsformen.
33
Diesen Anspruchsgegenstand in der erweiterten Form deckte die von dem Antragsgegner abgegebene Unterlassungserklärung zwar dem Wortlaut nach nicht ab, da dieser sich nur auf die konkrete Verletzungsform bezieht. Unterwerfungserklärungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch – wie andere Willenserklärungen auch – der Auslegung nach den allgemeinen Regeln zugänglich. Auch die Auslegung einer auf die konkrete Verletzungshandlung bezugnehmende Unterwerfungserklärung kann ergeben, dass sich die Formulierung nicht auf identische, sondern auch auf alle Handlungen erstrecken soll, die gleichfalls das charakteristische der verletzenden Handlung aufweisen (vgl. BGH a.a.O.).
34
Dies gilt umso mehr, als auch Unterlassungsanträge und die entsprechenden Verurteilungen regelmäßig Bezug auf die konkreten Verletzungsformen nehmen, um dem Bestimmtheitsanforderungen des § 253 ZPO zu entsprechen. Es muss daher nach der Auffassung der Kammer im Regelfall auch ausreichen, eine auf die konkrete Verletzungsform bezogene Unterlassungserklärung abzugeben.
35
Im Streitfall bestehen bei der von dem Antragsgegner abgegebenen Unterlassungserklärung keine Zweifel daran, dass auch kerngleiche Verstöße hiervon umfasst sind, und sie ernstgemeint, den Anspruchsgegenstand uneingeschränkt abdeckend und durch ein Vertragsstrafenversprechen angemessen gesichert ist. Deshalb ist im Streitfall die Vermutung der Wiederholungsgefahr ungeachtet des Umstandes ausgeräumt, dass der Antragsteller die Erklärung nicht angenommen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH GRUR 1990, 1051 – Vertragsstrafe ohne Obergrenze mit weiteren Nachweisen).
36
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war daher mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.