Titel:
Urheberrechtsverletzung durch Lehrerhandreichung zu einem Roman
Normenketten:
UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 16, § 17, § 23, § 51, § 60b, § 101
VerlG § 1 S. 1, § 9 Abs. 2
BGB § 242
Leitsatz:
Eine Sammlung im Sinne des § 60b Abs. 1, Abs. 3 UrhG fehlt, wenn sich das (vermeintliche) Sammlungswerk gezielt nur mit einem ganz bestimmten Sprachwerk auseinandersetzt oder sich in die Sogwirkung dieses Originalsprachwerks begeben möchte. (Rn. 65 – 69) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Vervielfältigung
Fundstellen:
LSK 2024, 43333
GRUR-RS 2024, 43333
ZUM-RD 2025, 146
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.642,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 07.10.2023 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen über die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten analogen und digitalen Vervielfältigungsstücke des von der Beklagten herausgegeben Werkes ... mit dem Titel .... ISBN: ... bearbeitet von ... und herausgegeben von ...
3. Ferner wird die Beklagte verurteilt, Auskunft zu erteilen über die Preise, die für die betreffenden Vervielfältigungsstücke gemäß Klageantrag Ziff. 2. bezahlt worden sind, sowie Rechnung zu legen über die durch die Vervielfältigung und Verbreitung erzielten Gewinne, außerdem Auskunft zu erteilen über die Herkunft und den Vertriebsweg der betreffenden Vervielfältigungsstücke und zwar über Namen und Anschrift der Händler, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Vervielfältigungsstücke sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Herstellung oder dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Werkes gemäß Klageantrag Ziff. 2. entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar wegen der Auskunftsverpflichtungen in Ziffern 2 und 3 gegen Sicherheitsleistung i.H.v. jeweils 1.500,00 €. Im Übrigen ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 10.142,40 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die beteiligten Verlage streiten darüber, inwieweit eine von der Beklagten vertriebene Lehrerhandreichung das Verlagsrecht der Klägerin an dem Originalroman der Autorin verletzt.
2
Die Klägerin ist ein deutscher Kinder- und Jugendbuchverlag mit Sitz in ... Gegenstand des Unternehmens der Beklagten ist der Betrieb eines Verlages für u.a. Schulbücher, Lehrmittel und Unterrichtsmedien. Die Klägerin ist Verlegerin des Jugendromans der Autorin und hält aufgrund des mit der Autorin bestehenden Verlagsvertrages an diesem Werk umfassende Nutzungs- und Verwertungsrechte. Auf den Verlagsvertrag (in Auszügen) vom 13./22.05.2019 in Anlage K1, welcher eine Verlängerung des ursprünglichen Verlagsvertrags vom 22.07./18.08.2009 darstellt, wird Bezug genommen.
3
Die Beklagte veröffentlichte und vertrieb vom 24.06.2020 bis April 2023 in der Reihe [im Folgenden:] eine Lehrerhandreichung zu dem eingangs erwähnten Jugendroman . Auf das Deckblatt sowie das Impressum dieses Buchs in Anlage K2 wird Bezug genommen.
4
Die Klägerin behauptet, das enthalte in verschiedener Art und Weise selbständig urheberrechtlich geschützte Elemente des Romans von, an dem die Klägerin ausschließliche Nutzungs- und Verwertungsrechte halte. Hierzu trägt sie im Einzelnen vor:
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Im ersten Kapitel erfolge auf den Seiten 10 bis 12 eine Wiedergabe der von geschaffenen äußeren und inhaltlichen Merkmale und Charakterzüge der literarischen Hauptfiguren, welche über die konkrete textliche Festlegung im Roman hinaus auch selbständigen Urheberrechtsschutz genieße. Auf den entsprechenden Auszug in Anlage K4 werde und wird Bezug genommen.
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Darüber hinaus enthalte das Buch in urheberrechtlich relevantem Umfang wörtlich Textauszüge, ohne dass die Voraussetzungen eines erlaubten Zitats vorlägen. Erwähnenswert sei hier insbesondere das „Zitate-Spiel“ auf den Seiten 22 und 23 des streitgegenständlichen Werkes sowie der Vorschlag für eine Klassenarbeit auf Seite 146. In den vorzitierten Textstellen werde der Text – was unstreitig ist – aus dem Werk wörtlich übernommen. Auf den entsprechenden Auszug in Anlage K5 werde und wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben ihrer vorgerichtlichen Bevollmächtigten vom 07.02.2023 ließ die Klägerin die Beklagte abmahnen und verlangte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie zur Vorbereitung etwaiger Schadensersatzansprüche Auskunft über den Umfang der Verletzungshandlung. Auf die entsprechende Anlage K6 wird Bezug genommen. Dies führte zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung nach Hamburger Brauch durch die Beklagte vom 27.04.2023, welche die Beklagtenvertreterin mit Schreiben vom gleichen Tag den vorgerichtlichen Klägervertretern übermittelte – insoweit wir auf Anlage K7 Bezug genommen – und welche die Klägerin im Nachgang annahm.
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Ferner verlangt die Klägerin hierfür Abmahnkosten ersetzt, die sie, wie sie behauptet, an ihre vorgerichtlichen anwaltlichen Bevollmächtigten aus insgesamt zwei Rechnungen vom 02.02.2023 (Anlage K10a) und vom 05.05.2023 (Anlage K10b) am 13.02.2023 bzw. 18.05.2023 beglichen habe.
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Die Klägerin beantragt mit ihrer am 06.10.2023 den Beklagtenvertretern zugestellten Klage:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.642,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 07.10.2023 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen über die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten analogen und digitalen Vervielfältigungsstücke des von der Beklagten herausgegeben Werkes
3. Ferner wird die Beklagte verurteilt, Auskunft zu erteilen über die Preise, die für die betreffenden Vervielfältigungsstücke gemäß Klageantrag Ziff. 2. bezahlt worden sind, sowie Rechnung zu legen über die durch die Vervielfältigung und Verbreitung erzielten Gewinne, außerdem Auskunft zu erteilen über die Herkunft und den Vertriebsweg der betreffenden Vervielfältigungsstücke und zwar über Namen und Anschrift der Händler, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Vervielfältigungsstücke sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Herstellung, dem Besitz oder dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Werkes gemäß Klageantrag Ziff. 2. entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
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Die Beklagte beantragt
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Neben der Rechtsauffassung, wonach hinsichtlich der Beschreibung der Charaktere und der Übernahme der Zitate aus dem Originalwerk in das Zitatespiel in ihrem schon kein Urheberrechtsschutz und damit auch keine relevante urheberrechtliche Nutzungshandlung bestehe, macht die Beklagte insbesondere auch das Eingreifen der Schrankenbestimmungen des § 51 UrhG, des § 51a UrhG und vor allem des § 60b UrhG geltend.
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Das Gericht hat Termin auf den 29.02.2024 bestimmt. Auf das entsprechende Sitzungsprotokoll (Bl. 95, 96 d.A.) sowie im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen wird ergänzend Bezug genommen.
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Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und nahezu vollumfänglich – von der Herausnahme des „Besitzes“ im Feststellungsantrag Ziffer 4 abgesehen – begründet.
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Die Klage ist zulässig.
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I. Insbesondere ist das angegangene Landgericht-Nürnberg-Fürth gemäß § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich sowie gemäß § 32 ZPO i.V.m. § 45 Abs. 2 Nr. 2 BayGZVJu örtlich zuständig, das streitgegenständliche der Beklagten war bundesweit über das Internet abrufbar und auch im stationären Buchhandel zum Beispiel in Bayreuth oder Nürnberg zu erwerben. Der ausschließliche Gerichtsstand nach § 104a UrhG ist nicht eröffnet, weil es sich bei der Beklagten schon nicht um eine natürliche Person handelt.
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II. Auch das Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO für den Feststellungsantrag Ziffer 4 besteht, da die Klägerin den ihr aus den behaupteten Urheberrechtsverletzungen zustehenden Schaden vor Erhalt der separat beantragten Auskünfte noch nicht beziffern kann, jedoch im Hinblick auf den Verjährungshemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB ein Interesse daran hat, die Schadensersatzpflicht der Beklagten hieraus bereits jetzt feststellen zu lassen.
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Die Klage ist auch nahezu vollumfänglich begründet.
I. Auskunftsanspruch gemäß Klageantrag Ziffer 2 aus § 242 BGB
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Der Anspruch auf die gemäß Klageantrag Ziffer 2 begehrte, der Vorbereitung der Bezifferung eines Schadensersatzanspruchs dienende Auskunft ergibt sich aus § 242 BGB.
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Voraussetzung für einen derartigen Auskunftsanspruch ist allgemein das Vorliegen einer rechtlichen Beziehung zwischen den Parteien, die es mit sich bringt, dass der Auskunftbegehrende über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Unklaren und deshalb auf die Auskunft des Verpflichteten angewiesen ist, während der Pflichtige die Auskunft unschwer erteilen kann und dadurch nicht unbillig belastet wird.
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1. Die erforderliche rechtliche Beziehung zwischen den Parteien folgt daraus, dass der Klägerin dem Grunde nach ein urheberrechtlicher Schadensersatzanspruch aus § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG auf Grund Verletzung von deren Verlagsrecht (vgl. § 1 VerlG) durch das beanstandete der Beklagten zusteht.
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a) Die Klägerin ist insoweit aktivlegitimiert hinsichtlich der Verlagsrechte i.S.d. § 1 VerlG in Form der Vervielfältigung (vgl. §§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 16 UrhG) und Verbreitung (vgl. §§ 15 Abs. 1 Nr. 2, 17 UrhG) des Originalromas der Autorin
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aa) Dass ein Verlag diese Rechte für Autoren auf eigene Rechnung ausübt und dies auch gegenüber Dritten ergibt sich aus § 1 S. 1 und § 9 Abs. 2 VerlG.
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bb) Die entsprechende Rechteeinräumung ergibt sich insbesondere aus § 2 Abs. 1 des Verlagsvertrags vom 13./22.05.2019, worin das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung (Hauptrecht) in allen vereinbarten Ausgaben für alle Auflagen ohne Stückzahlbegrenzung für die deutsche Sprache eingeräumt wird.
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(1) Nicht durchzudringen vermag die Beklagte hierzu mit ihrer Argumentation, aus § 2 Abs. 5, Buchstabe d des Vertrags, wonach alle in Abs. 3 und 4 nicht aufgeführten Rechte im Besitz der Autorin verblieben, ergebe sich in Verbindung mit § 2 Abs. 4, Buchstabe a eine Beschränkung dahingehend, dass die Klägerin nicht – wie anerkanntermaßen aber für Schadensersatzansprüche nach § 97 Abs. 2 UrhG erforderlich – das ausschließliche Recht zur Bearbeitung habe.
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(2) Diese Argumentation übersieht, dass zwar in § 2 Abs. 4, Buchstabe a des Verlagsvertrags geregelt ist, dass der Verlag berechtigt ist, das Werk zu bearbeiten oder bearbeiten zu lassen (wobei er Beeinträchtigungen des Werkes zu unterlassen hat und Änderungen am Werk der Zustimmung der Autorin bedürfen). Es ist jedoch seit langem anerkannt, dass das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht am Originalwerk auch durch die Vervielfältigung oder Verbreitung eines bearbeiteten Werks verletzt werden kann, wenn nämlich (so nach der bis 06.06.2021 gültigen Rechtslage) gerade noch nicht der Grad einer freien Benutzung i.S.d. § 24 UrhG a.F. bzw. jetzt noch nicht der Grad der hinreichenden Abstandnahme zum benutzten Werk i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG n.F. vorliegt. Insoweit genügt der Klägerin zur Aktivlegitimation vorliegend bereits die Einräumung des Verlagsrechts (= Hauptrechte) der Vervielfältigung und Verbreitung durch § 2 Abs. 1. b) Die sogenannte Fabel und die für das Zitatespiel in das der Beklagten wortwörtlich übernommenen Originalzitate aus dem Werk sind ihrerseits urheberrechtlich schutzfähige Gegenstände i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG, die Figuren des Romans und ihre Charakteristika, wie sie (zusammengefasst) im beschrieben werden, hingegen als solche nicht.
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aa) Die Fabel als die eigentlichen Handlung des Romans ist als solche als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG – in ihrer konkreten Ausdrucksform – geschützt. Grundsätzlich können auch einzelne, selbständige Teile eines Gesamtwerks ihrerseits Urheberrechtsschutz als Sprachwerk erlangen, wenn sie für sich betrachtet Schöpfungshöhe i.S.d. § 2 Abs. 2 UrhG aufweisen.
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(1) In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass bei Werken der Literatur i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG nicht nur die konkrete Textfassung oder die unmittelbare Formgebung eines Gedankens urheberrechtlich schutzfähig ist. Auch eigenpersönlich geprägte Bestandteile und formbildende Elemente des Werkes, die im Gang der Handlung, in der Charakteristik und Rollenverteilung der handelnden Personen, der Ausgestaltung von Szenen und in der „Szenerie“ des Romans liegen, genießen Urheberrechtsschutz (vgl. BGH GRUR 1999, 984 – Laras Tochter, BGH GRUR 2014, 358 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm Rz. 25 – 29; Loewenheim in Schricker/Loewenheim, § 2 Rn. 85). Danach kann zunächst insbesondere auch die Fabel, das Handlungs- und Beziehungsgeflecht der Charaktere eines Romans, des Sprachwerkes, selbstständigen Urheberrechtsschutz genießen.
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(2) Wie zwischen den Parteien auch nicht streitig und insoweit wird die Einschätzung ausdrücklich von der Kammer geteilt, gibt die sich über eine komplette Seite erstreckende Wiedergabe der Handlung des Romans unter Darstellung der wesentlichen Beziehungen zwischen den fiktiven Romanfiguren unter „Der Inhalt des Romans“ auf S. 13 des in allen wesentlichen Umständen zutreffend die Fabel, das Handlungs- und Beziehungsgeflecht der Charaktere des Romans wieder. Zur Vermeidung von Wiederholungen des Inhalts / der Fabel des Originalwerks wird hierauf verwiesen.
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bb) Daneben ist auch ein eigenständiger Schutz der einzelnen Figuren des Romans, auf Grund ihres Charakters sowie ihrer Verhaltensweisen, aber losgelöst vom konkreten Beziehungsgeflecht und dem Handlungsrahmen zwar grundsätzlich denkbar, allerdings setzt dies eine Art „Verselbständigung“ des Charakters/Verhaltens der Figur voraus, wie sie – so nennt es der BGH als Beispiel – etwa bei Fortsetzungsromanen gegeben sein kann. An einer solchen Fortsetzungsromanreihe, aus deren Gesamtzusammenhang sich dann erst ganz typische Verhaltensweisen oder Charakteristika einer Romanfigur ergeben könnten, die fortan durch die Allgemeinheit gezielt mit dem Namen dieser Romanfigur verknüpft oder zumindest assoziiert werden, fehlt es vorliegend aber, so dass sich die einzelnen Figuren – jedenfalls bislang – nicht „verselbständigt“ haben vom konkreten Beziehungsgeflecht und dem Handlungsrahmen des Romans ... . Auch sind die einzelnen Figuren (bislang) nicht – etwa auf Grund ihres Namens oder ihrer Erscheinungsform in einer Gesamtbetrachtung – derart (ein)prägend und damit „originell“ wie etwa die Figur einer Pippi Langstrumpf aus den Kinderbuchromanen der Autorin Astrid Lindgren. Ein selbständiger „Romanfigurschutz“ ist daher für die Figuren des Romans (noch) nicht anzuerkennen.
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cc) Hingegen sind die 20 wortwörtlich aus dem Originalwerk in das „Zitatespiel“ des (auf dessen S. 22, 23, vgl. S. 1 und S. 2 der Anlage K5) übernommenen Zitate ihrerseits als selbständige schutzfähige Teile des Romans schutzfähig. Lediglich völlig alltägliche Äußerungen ohne Originalität werden als Sprachzitate aus dem Schutzbereich ausgeklammert. Selbst wenn man das Nehmen der Schöpfungshöhe für ganz vereinzelte der 20 Zitate auf Grund fehlender Originalität in Zweifel ziehen könnte, nimmt jedenfalls der ganz überwiegende Teil die Hürde der Schöpfungshöhe. Soweit in den Zitaten des Zitatespiels von die Rede ist oder sobald in den eigentlich prosaischen Zitaten ein Anflug von Poesie/Metapher/Allegorie auftaucht, ist die Schöpfungshöhe jedenfalls zu bejahen. Für ein (vielleicht ganz vereinzelt denkbares) Ausklammern einzelner Zitate wegen fehlender Schöpfungshöhe ist angesichts dessen, dass zum einen der urheberrechtliche Unterlassungsanspruch gemäß § 97 Abs. 1 UrhG als der einzig in die Zukunft reichende Anspruch gerade nicht streitgegenständlich ist und zum anderen das der Beklagten in seiner konkreten Form einen Sachverhalt betrifft, der durch das Einstellen des Vertriebs bereits im April 2023 streitgegenständlich nur vergangene Zeiträume betrifft, jedenfalls keine Entscheidungserheblichkeit ersichtlich.
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dd) Auch der auf S. 146f. des (= S. 3, 4 der Anlage K5) für die Erstellung des Vorschlags einer Klassenarbeit wortwörtlich aus dem Originalroman übernommene Text weist die erforderliche Schöpfungshöhe für ein selbständig urheberrechtsfähiges Teilwerk auf.
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c) In die soeben (unter b aa, cc und dd) dargestellten urheberrechtlich schutzfähigen Bestandteile des Originalwerks greift das der Beklagten in urheber- und verlagsrechtlich relevanter Weise in Form des Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechts ein.
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aa) Das Vervielfältigungsrecht ist gemäß § 16 Abs. 1 UrhG das Recht, Vervielfältigungsstücke des Werkes herzustellen, gleichviel ob vorübergehend oder dauerhaft, in welchem Verfahren und in welcher Zahl. Das Verbreitungsrecht ist hingegen gemäß § 17 Abs. 1 UrhG das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen.
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bb) Für beide Nutzungsrechte war bereits nach der alten, bis 06.06.2021 gültigen Rechtslage anerkannt, dass auch das Vervielfältigen oder Verbreiten eines urheberrechtlich schutzfähigen Werkes in im Sinne des § 23 UrhG bearbeiteter Form nicht aus den genannten Nutzungshandlungstatbeständen hinausführte, sofern nicht ein Fall der freien Benutzung nach § 24 UrhG a.F. vorlag.
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(1) Der BGH hat im Urteil Porsche 911 (GRUR 2022, 899) darüber hinaus entschieden, dass sich in Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung zur rechteeingreifenden Vervielfältigung eines Werkes in veränderter Form die immanente Schutzbereichsbegrenzung der „Wiedererkennbarkeit“ des ursprünglichen Werkes im neuen Werk ergibt. Diese bis Juni 2021 in § 24 UrhG a.F. angelegte Unterscheidung hat durch die Streichung des § 24 UrhG a.F. und stattdessen Aufnahme des Erfordernisses der Abstandswahrung in § 23 I 2 UrhG n.F. hat nach der Ansicht des BGH keine Änderung erfahren.
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(2) Dieses EuGH-Kriterium der „Wiedererkennbarkeit“ ist nach dem BGH freilich so zu verstehen, dass insbesondere die bisherigen Ausnahmefälle nach deutschem Recht, in denen auf Grund einer „Natur der Sache“ das eigentlich für eine freie Benutzung erforderliche Kriterium, wonach die eigenschöpferischen Züge des Ausgangswerks hinter dem neuen Werk „verblassen“ müssten – relevant etwa in den Fällen der Satire oder der Parodie, bei denen zwangsläufig zur Auseinandersetzung das Ausgangswerk für den Leser erkennbar bleiben muss – nicht gefordert wurde, so nicht weiter als Ausnahmefälle aufrechterhalten bleiben können. Vielmehr ist auch in diesen Fällen für eine freie Bearbeitung i.S.d. § 24 UrhG a.F. das „Verblassen“ des Ausgangswerks bzw. des hinreichenden Abstandhaltens i.S.d. § 23 I 2 UrhG n.F. zu fordern. Da die genannten Werke das Merkmal des Verblassens kaum jemals erfüllen werden können, verlagert sich die Frage der Zulässigkeit in Konsequenz dessen hin auf die Rechtfertigungsebene bzw. das Eingreifen von Schranken.
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(3) Überholt vor diesem Hintergrund der die Rechtsprechung des EuGH umsetzenden BGH-Rechtsprechung in der Entscheidung Porsche 911 ist hingegen nach Auffassung der Kammer das früher in der Instanzrechtsprechung bemühte Kriterium zu (im weitesten Sinne) Sekundärliteratur, wonach es darauf ankomme, ob die Sekundärliteratur nach ihrer konkreten Ausgestaltung darauf abziele, an die Stelle der Lektüre (“des Werkgenusses“) des Originals zu treten. Auf dieses Kriterium hatte das LG Hamburg in der Entscheidung Literatur-Werkstatt Grundschule (GRUR-RR 2004, 65, 69) in Bezug auf die Harry Potter-Romanreihe noch maßgeblich abgestellt, um dort zum Schluss zu gelangen, dass im dortigen Fall ein „an die Stelle Treten“ des Originalwerks beabsichtigt gewesen sei und deshalb eine freie Benutzung nach § 24 UrhG a.F. nicht vorliege, sondern eine unfreie Bearbeitung nach § 23 UrhG a.F.
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cc) Die beanstandete einseitige (S. 13) „Zusammenfassung des Inhalts“ des Romans im stellt auf dieser Basis eine Vervielfältigungshandlung des Originalwerks i.S.d. § 16 UrhG und der Verkauf des mithin einen Eingriff in das Verbreitungsrecht gemäß § 17 UrhG dar:
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Maßgeblich ist der Gesamteindruck der die Eigentümlichkeit/Originalität (vgl. § 2 Abs. 2 UrhG) begründenden Teile des Vorlagewerks und des neuen Werks. Nach diesem Gesamteindruck bleibt aber die Fabel des Romans in der gegebenen Zusammenfassung erkennbar und verblasst hierin nicht, was ja gerade auch nicht bezweckt ist, um eine Auseinandersetzung mit dem Originalwerk bei der weiteren Durcharbeitung des (im Unterricht mit den Schülern) zu ermöglichen.
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dd) Gleiches (= kein „Verblassen“ des Originaltextes des Romans) gilt erst recht auch für die wortwörtlich in das Zitatespiel übernommenen 20 Zitate aus dem Roman sowie den dem Vorschlag einer Klassenarbeit im auf S. 146 zu Grunde gelegten Textauszug.
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d) Der Eingriff in das Verlagsrecht der Klägerin erfolgte auch widerrechtlich i.S.d. § 97 Abs. 2 i. V.m. Abs. 1 UrhG, da keine irgendwie geartete Zustimmung zur Vervielfältigung oder Verbreitung von Klägerseite vorliegt. Vor allem greift keine Schrankenbestimmung des Urhebergesetzes ein, die die Widerrechtlichkeit ausschließen könnte. aa) Die Schranke des Zitates gemäß § 51 UrhG greift nicht ein.
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(1) Nach § 51, S. 1 UrhG ist zulässig die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist, was durch Regelzulässigkeitsbeispiele in § 51, S. 2 UrhG näher konkretisiert wird.
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(2) Immer erforderlich ist dabei jedenfalls die Wahrung des Zitatzwecks (vgl. den Wortlaut des § 51, S. 1 UrhG: “zum Zwecke des Zitats“). Es muss sich dazu aber in jedem Fall um den Beleg einer gedanklichen Bezugnahme handeln.
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(a) Die Zitierfreiheit gestattet es daher nicht, ein Werk nur um seiner selbst willen zur Kenntnis der Allgemeinheit zu bringen (zuletzt OLG Köln NJW-RR 2016, 165 (168) – Afghanistan-Papiere; MMR 2014, 263 (264); BGH NJW 2008, 2346 (2349) – TV-Total; NJW 1987, 1408 (1409) – Filmzitat; GRUR 1959, 197 (199) – Verkehrskinderlied) oder es leichter zugänglich zu machen (OLG München ZUM-RD 2012, 479 (484) – das unlesbare Buch), bspw. als „neues Hilfsmittel für die Bewältigung der Lektüre [eines] Werkes“ (so explizit OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 2015, 384).
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(b) Auch der Vorlagebeschluss des BGH an den EuGH in der Revision zum Verfahren Afghanistan-Papiere geht von diesem eben dargelegten Maßstab aus (abgedruckt in GRUR 2017, 901, Rn. 25; vgl. ferner auch BGH, GRUR 2011, 45, Rn. 23 – Kunstausstellung im Online-Archiv). Allein da der EuGH auf die Vorlagefrage den Weg der Rechtfertigung über § 50 UrhG im dortigen Fall vorzeichnete, kam es auf die dargelegte Rechtsauffassung des BGH zum Zitatzweck des § 51 UrhG nicht mehr entscheidungserheblich an. Es ist jedoch gerade nichts dafür ersichtlich, dass der BGH insoweit etwas am rechtlichen Maßstab zur Auslegung des Zitatzwecks im Rahmen des § 51 UrhG ändern wollte.
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(3) An dem so verstandenen Zitatzweck fehlt es vorliegend dem mit dem „Zitatespiel“, weil die Verfasser gerade erst den Schülern, vermittelt durch die Lehrperson, eine solche Auseinandersetzung/Erörterung mit dem Originalwerk ermöglichen möchten, mithin dieses den Schülern leichter zugänglich machen wollen, aber gerade nicht selbst eine solche eigene Auseinandersetzung der Autoren des mitliefern/präsentieren.
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(4) Das Gleiche gilt für den in den Vorschlag für eine Klassenarbeit (S. 146 des ...) übernommenen Textausschnitt aus dem Roman; auch insoweit soll lediglich der Zugang zum Originalwerk erleichtert werden, wofür auch gerade die vorgeschlagenen Fragen für die entsprechende Klassenarbeit sprechen.
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(5) Für die Zusammenfassung des Romaninhalts (der Fabel) auf S. 13 des fehlt es hingegen bereits am Übernehmen von (wörtlichen) Zitaten aus dem Roman in das, so dass die Schranke schon gegenständlich nicht eingreifen kann.
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bb) Auch die Schranke des § 51a UrhG für Karikatur, Parodie und Pastiche greift nicht ein.
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(1) Nach § 51a, S. 1 UrhG ist zulässig die Vervielfältigung, die Verbreitung und die öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches. Nach § 51a, S. 2 UrhG umfasst die Befugnis nach Satz 1 die Nutzung einer Abbildung oder sonstigen Vervielfältigung des genutzten Werkes, auch wenn diese selbst durch ein Urheberrecht oder ein verwandtes Schutzrecht geschützt ist.
52
(2) Insoweit ist zwar seit Einführung der entsprechenden Schrankenbestimmung zum 07.06.2021 lebhaft umstritten, welche Fälle hiervon konkret umfasst sein sollen. Die Unsicherheit rührt vor allem daher, dass der Begriff „Pastiche“ nirgends näher definiert wird und sich nach Auffassung der Kammer auch nicht von selbst versteht. Während Art. 5 Abs. 3 lit. k der EU-InfoSoc-Richtlinie die Norm bereits seit 20 Jahren als für die Mitgliedstaaten fakultative Schrankenregelung im Urheberrecht vorsah, verpflichtete erst Art. 17 Abs. 7 der DSM-Richtlinie (auch) den deutschen Gesetzgeber zum Tätigwerden – wie gesagt, ohne insbesondere dem Begriff „Pastiche“ nähere inhaltliche Konturen zu verleihen.
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(3) Auch die Kammer vermag den (vorliegend allenfalls ernstlich in Betracht kommenden) Begriff „Pastiche“ nicht abschließend zu definieren. Eine Auslegung im Zusammenhang mit den anderen Erlaubnismöglichkeiten des § 51a, S. 1 UrhG – der Karikatur bzw. der Parodie – lässt jedoch den Schluss zu, dass damit künstlerische und/oder wissenschaftliche Tätigkeiten gemeint sind, nicht hingegen die wirtschaftlich orientierte Zweitverwertung von Literatur im Rahmen von Lehrmaterialien von Schulbuchverlagen.
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cc) Schließlich greift auch die Schranke des § 60b UrhG betreffend Unterrichts- und Lehrmedien nicht ein.
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(1) Nach § 60b Abs. 1 UrhG dürfen Hersteller von Unterrichts- und Lehrmedien für solche Sammlungen bis zu 10 Prozent eines veröffentlichten Werkes vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen.
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(2) Einen weiteren Erlaubnisvorbehalt sieht die Verweisung in § 60b Abs. 2 auf § 60a Abs. 2 UrhG vor, welcher vorliegend allerdings gegenständlich nicht einschlägig ist, da weder „Abbildungen, einzelne Beiträge aus derselben Fachzeitschrift oder wissenschaftlichen Zeitschrift, sonstige Werke geringen Umfangs oder vergriffene Werke“ i.S.d. § 60a Abs. 2 UrhG gegeben sind. Insbesondere ist der Roman mit insgesamt 468 Seiten offensichtlich kein „(sonstiges) Werk geringen Umfangs“.
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(3) § 60b Abs. 3 UrhG definiert Unterrichts- und Lehrmedien als Sammlungen, die Werke einer größeren Anzahl von Urhebern vereinigen und ausschließlich zur Veranschaulichung des Unterrichts und der Lehre an Bildungseinrichtungen (§ 60a) zu nicht kommerziellen Zwecken geeignet, bestimmt und entsprechend gekennzeichnet sind.
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Insbesondere über die Auslegung dieser Definition, konkret des Begriffs der „Sammlung“ entzündet sich der Kernstreit zwischen den Parteien des vorliegenden Verfahrens.
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(a) Allgemein akzeptiert scheint insoweit das Mindestkriterium von sieben unterschiedlichen Autoren in dem urheberrechtlich geschützten (Sammel-)Werk zu sein, welches durch Ausschnitte einerseits aus dem Originalroman der Autorin, andererseits aber auch verschiedener Zeitungsartikel unterschiedlichster Autoren, die in das übernommen wurden, aber überschritten ist.
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(b) Umstritten ist, ob darüber hinaus das rein zahlenmäßige Kriterium der verschiedenen Autoren auch inhaltlich qualifiziert sein muss.
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(i) Die Klägerin ist insoweit der Auffassung, vorliegend gehe es – wie insbesondere auch bereits das Cover des zeige – allein um die Aufbereitung des Werks einer einzigen Autorin; dass das Werk von der Beklagtenautorin didaktisch aufbereitet werde und auch mehrere Zeitungsartikel eingepflegt seien, um eine vertiefte Auseinandersetzung mit Grundproblematiken (z.B. dem Machtverlust durch KI) des Buches in der Schule zu ermöglichen, genüge gerade nicht, vielmehr müssten, vergleichbar einem Schullesebuch, mehrere Texte vergleichbarer Schriftsteller wie der Romanautorin für eine „Sammlung“ zusammengefasst werden.
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Bereits zur seit Einführung des Urhebergesetzes im Jahr 1966 bis ins Jahr 2018 gültigen Vorgängervorschrift des § 46 UrhG a.F. sei anerkannt gewesen, dass mit „Sammlung“ lediglich jeweils unterschiedliche Schriftsteller oder Komponisten gemeint gewesen seien, was sich auch aus dem Vergleich mit den entsprechenden Regelungen im Vorgängergesetz des Urhebergesetzes, dem LUG (“Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst“ von 1901), ergebe. Anders als in der Vorgängervorschrift für Lichtbildwerke im Kunsturhebergesetz (KUG) alter Fassung, das ein solches Erfordernis der „Sammlung“ nicht beinhaltete, habe der Gesetzgeber bei der Zusammenführung der verschiedenen Werkkategorien durch Schaffung des Urhebergesetzes sich für die Vorgängerregelung des § 46 UrhG a.F. gerade für das Erfordernis einer entsprechenden „Sammlung“ entschieden.
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Ferner sei für eine parallele Auslegung des Begriffs „Sammlung“ in § 38 UrhG kein Wille des Gesetzgebers erkennbar, in den Kommentierungen werde sich eher an der Auslegung des Begriffs in § 4 UrhG orientiert.
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Zudem habe eine Stellungnahme des Börsenvereins zur geplanten und so auch letztlich umgesetzten Formulierung des § 60b III UrhG explizit die Streichung des Begriffs „Sammlung“ für wünschenswert erklärt, weil dadurch auch „kürzere, monographische Lehr- und Unterrichtsmedien bzw. deren Verfasser vom gesetzlichen Privileg profitieren [könnten]“. Diesen Vorschlag habe der Gesetzgeber aber nicht aufgegriffen, was zeige, dass er am hergebrachten Verständnis des „Sammlungsbegriffs“ festgehalten habe.
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(ii) Die Beklagte stützt sich bezüglich ihrer Auffassung, wonach es keiner weiteren inhaltlichen (neben der zahlenmäßigen) Qualifizierung der von mehreren Autoren (oder Komponisten) stammenden Beiträge für eine „Sammlung“ i.S.d. § 60b Abs. 1, Abs. 3 UrhG bedürfe, vor allem auf den Wortlaut der Vorschrift(en).
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(iii) Nach Auffassung der Kammer ist die Klägerauffassung im Ergebnis überzeugender.
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Zwar ist zu konstatieren, dass der Wortlaut ein solches inhaltlich qualifizierendes Element des Sammlungsbegriffs nicht vorsieht.
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Die Gesetzeshistorie, die die Klägerin dargelegt hat, erscheint jedoch zumindest insoweit einen Anhaltspunkt zu liefern, als der historische Gesetzgeber des Urhebergesetzes von 1965 hinsichtlich des Sammlungsbegriffs an die damals bekannten Formen eines Schullesebuchs oder Schulliedersammelbuchs (vergleichbar etwa dem bekannten Werk „Unser Liederbuch Schalmei“) angeknüpft hat. Inwieweit der Gesetzgeber von diesem historischen Verständnis bei Streichung von § 46 UrhG a.F. im Jahr 2018 und auch bei Einführung von § 60b UrhG im Jahr 2021 abweichen wollte, wird freilich aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht völlig klar. Allein die Nichtübernahme des Formulierungsvorschlags des Börsenvereins belegt noch nicht, dass sich der Gesetzgeber über eine Neudefinition des Sammlungsbegriffs ernstlich Gedanken gemacht hätte.
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Letztlich gibt der Sinn und Zweck der Vorschrift des § 60b UrhG den Ausschlag.
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Dieser liegt nach Auffassung der Kammer darin, dem Autor auch die kommerziellen Früchte seines Werkes möglichst weitgehend angedeihen zu lassen, freilich in Abwägung mit dem gegenläufigen Ziel, die Bildung und den Unterricht der Jugend in möglichst hoher Qualität zu ermöglichen. Letzteres Ziel wäre eher dadurch zu erreichen, dass keine zusätzliche inhaltliche Qualifizierung der rein quantitativen Anzahl verschiedener Autoren, die zur Erfüllung des Sammlungsbegriffs unstreitig erforderlich ist, aufgestellt würde, da sonst die Gefahr besteht, dass lediglich Werke von bereits seit 70 Jahren verstorbenen Autoren (vgl. § 64 UrhG) für die umfassende Behandlung zu Unterrichts- und Lehrzwecken zur Verfügung stünden. Auf der anderen Seite erscheint es jedoch eher gerechtfertigt, einen Autor lediglich mittelbar über seinen Anteil an der Vergütung der Verwertungsgesellschaft VG Wort (wie es Konsequenz der Anwendung der Schranke des § 60b UrhG wäre) statt unmittelbar durch Zubilligung der Verbotsansprüche der §§ 97ff. UrhG an der wirtschaftlichen Verwertung seines Werks partizipieren zu lassen, wenn andere Autoren vergleichbarer Texte ebenfalls in dem (vermeintlichen) Sammlungswerk aufgeführt sind. Insbesondere für den Fall, dass sich aber das (vermeintliche) Sammlungswerk gezielt nur mit einem ganz bestimmten Sprachwerk auseinandersetzen oder sich in die Sogwirkung dieses Originalsprachwerks begeben möchte, erscheint es nicht gerechtfertigt, den Autor dieses Originalsprachwerks lediglich auf seinen Vergütungsanteil bei der VG Wort zu verweisen.
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Für den vorliegenden Fall kann schon angesichts des (in Anlage K2, S. 1) vorgelegten Hardcovers des nach Auffassung der Kammer kein Zweifel daran bestehen, dass gezielt die Sogwirkung dieses einen Originalwerks, welches – zwischen den Parteien unstreitig – Bestsellerpotenzial jedenfalls auf dem deutschsprachigen Markt hat, für das angebotene ausgenutzt werden soll.
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Mangels Erfüllens des Begriffs „Sammlung“ scheidet daher die Schranke des § 60b UrhG gegenständlich aus.
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e) Die Beklagte ist als Verlegerin des auch Täterin der Urheberrechtsverletzungen, mithin passivlegitimiert.
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f) Die Beklagte handelte auch schuldhaft in Form von zumindest Fahrlässigkeit, vgl. § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG. Insoweit ist anerkannt, dass es zur Vermeidung des (nach obigen Maßgaben) auf ihrer Seite bestehenden Rechtsirrtums zur Zulässigkeit des vor dessen Veröffentlichung geboten gewesen wäre, adäquaten Rechtsrat einzuholen. Hierzu ist nichts vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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2. Auch die weiteren Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs gemäß § 242 BGB sind gegeben, die Klägerin ist hinsichtlich der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten analogen wie digitalen Vervielfältigungsstücke des in nicht vorwerfbarer Weise in Unkenntnis, wohingegen die Beklagte diese Auskunft unschwer erteilen kann.
II. Auskunftsanspruch gemäß § 101 UrhG
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Auch der gemäß Klageantrag Ziffer 3 geltend gemachte Auskunftsanspruch besteht im beantragten Umfang.
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1. Hinsichtlich der widerrechtlichen Verletzung des Verlagsrechts der Klägerin in Form des Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechts an dem Originalwerk durch die Beklagte kann nach oben verwiesen werden. Auf Grund der täterschaftlichen Verantwortlichkeit der Beklagten kommt es nicht auf die zusätzlich einschränkende Voraussetzung der Offensichtlichkeit der Urheberrechtsverletzung nach § 101 Abs. 2 UrhG an.
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2. Ferner erfolgte die Rechtsverletzung durch die Beklagte auch „in gewerblichem Umfang“ i.S.d. § 101 Abs. 1 UrhG. Hieran kann schon angesichts der Größe des Beklagtenverlags kein vernünftiger Zweifel bestehen.
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3. Der beantragte Umfang dieses Auskunftsanspruchs wird auch von § 101 Abs. 3 (Nrn. 1 und 2) UrhG abgedeckt.
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4. Eine Unverhältnismäßigkeit auf Beklagtenseite mit der Belastung des Auskunftsanspruchs nach § 101 Abs. 4 UrhG ist nicht eingewandt.
III. Feststellung der Schadensersatzpflicht (Klageantrag 4)
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1. Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen für diesen, auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gemäß § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG gestützten Anspruch kann nach oben auf die Prüfung der Voraussetzungen der „rechtlichen Beziehung“ im Rahmen des Auskunftsanspruchs nach § 242 BGB verwiesen werden, diese liegen mithin allesamt vor.
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2. Der Feststellungsanspruch besteht jedoch nicht für Schäden, die aus einem „Besitz“ der Beklagten an dem streitgegenständlichen herrühren sollen. Diese Formulierung orientiert sich zu sehr am Sacheigentum i.S.d. § 903 BGB und berücksichtigt nicht, dass der Klägerin als Inhaberin des Verlagsrechts lediglich die immaterialgüterrechtlichen Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte zustehen, die aber bereits durch die Begriffe „Herstellung“ und „Inverkehrbringen“ im Klageantrag Ziffer 4 abgebildet werden.
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3. Hingegen bestehen keine Bedenken, die Feststellung der Schadensersatzpflicht auch auf erst künftig entstehende Ansprüche aus der Herstellung oder dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen zu erstrecken, da insoweit die Schadensentstehung – trotz der Einstellung des Vertriebs und der Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung im April 2023 – noch nicht sicher abgeschlossen ist, insbesondere können sich auch bei Dritten noch von der Beklagten hergestellte und/oder in Verkehr gebrachte Exemplare befinden, deren Weiterverkauf dann einen Schaden etwa in Form entgangener Lizenzeinnahmen bei diesen Dritten begründen würde.
IV. Abmahnkosten (Klageantrag Ziffer 1)
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Der Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten in eingeklagter Höhe von 2.642,40 € ergibt sich bereits, so dass es auf andere Anspruchsgrundlagen nicht mehr ankommt, aus § 97a Abs. 3 S. 1 UrhG. Danach kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden, soweit die Abmahnung berechtigt ist und § 97a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 4 UrhG entspricht.
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1. Dabei besteht Einigkeit, dass die „Berechtigung“ der Abmahnung nicht gleichbedeutend damit ist, dass das in der Abmahnung enthaltene Verlangen in allen Teilen auch begründet ist. Bedeutsam ist, dass mit der Abmahnung ein existenter und durchsetzbarer (also nicht etwa verjährter) Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird. Der in Anspruch Genommene muss für die Rechtsverletzung als Täter, Teilnehmer oder Störer verantwortlich sein (OLG Düsseldorf BeckRS 2016, 11442 Rn. 10). Keine Berechtigung besteht für solche Abmahnungen, mit denen Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden, die bereits erloschen sind, etwa durch entsprechende Drittunterwerfungen oder, für das Urheberrecht bedeutender, vorbeugende Unterlassungserklärungen. Ferner besteht keine Berechtigung der Abmahnung bei Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterlassungsverlangens (vgl. Insgesamt zum Maßstab der „Berechtigung“ einer urheberrechtlichen Abmahnung BeckOK-UrhG, 42. Edition, Stand 15.02.2024, § 97a UrhG, Rn. 19, 20).
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Gemessen an diesen Maßstäben ist die Berechtigung des Abmahnungsschreibens der vorgerichtlichen Klägerrechtsanwälte vom 07.02.2023 in Anlage K6 zu bejahen. Insbesondere verfängt der Beklagteneinwand nicht, dass zum Teil im Abmahnungsschreiben Gegenstände des Originalwerks, insbesondere für die Beschreibung/Charakteristik der Figuren an sich, geltend gemacht wurden, die materiellrechtlich (nach obigen Ausführungen) keinen selbständigen Urheberrechtsschutz genießen. Dies macht die Abmahnung jedoch nicht „unberechtigt“, weil die Beklagte sehr wohl aus dem Abmahnungsschreiben erkennen konnte, dass in ihrem streitgegenständlichen Unterrichtsmodell auch Urheberrechtsverletzungen enthalten sind und die Klägerin deshalb Unterlasungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche geltend machte.
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2. Die Abmahnung entspricht auch den inhaltlichen Anforderungen des § 97a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 UrhG.
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a) § 97a Abs. 2 Nr. 1 UrhG, die Angabe der für die Klägerin vorgerichtlich abmahnenden Kanzlei, ist eingehalten.
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b) Bzgl. § 97a Abs. 2 Nr. 2 UrhG, dem Erfordernis der genauen Bezeichnung der Rechtsverletzung, ist wiederum darauf hinzuweisen, dass dieses Erfordernis – genauso wie das übrige Merkmal der „Berechtigung“ der Abmahnung in § 97a Abs. 3 S. 1 UrhG – gerade nicht dazu führt, dass erforderlich wäre, dass das (Unterlassungs-)verlangen in sämtlichen Bereichen begründet wäre. Durch die Klarheit der Bezeichnung der Rechtsverletzung soll dem Abgemahnten vielmehr selbst lediglich eine Prüfung der Abmahnung auf ihre sachlichrechtliche Berechtigung ermöglicht werden. Insoweit bestehen vorliegend keine Klarheitsbedenken.
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c) Insbesondere kann ein Verstoß gegen § 97a Abs. 2 Nr. 3 UrhG nicht gegeben sein, weil im Abmahnungsschreiben gerade noch keine konkreten Zahlbeträge von der Beklagten eingefordert, mithin nicht „geltend gemacht“ werden, wogegen keine Zulässigkeitsbedenken bestehen.
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d) Auch ein Verstoß gegen § 97a Abs. 2 Nr. 4 UrhG kommt nicht in Betracht, da die vorgerichtlichen Klägervertreter darauf verzichtet hatten, einen eigenen Entwurfstext für eine (strafbewehrte) Unterlassungserklärung ihrem Abmahnungsschreiben beizulegen.
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3. Eine Deckelung des Gegenstandswerts i.S.d. § 11 RVG für die anwaltliche Inanspruchnahme nach § 97a Abs. 3 S. 2 UrhG kommt nicht in Betracht, da die Beklagte schon keine natürliche Person ist, vgl. Nr. 1.
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4. Der Ansatz von 75.000,00 € als Gegenstandswert für den mit der Abmahnung in erster Linie verfolgten Unterlassungsanspruch, wie ihn die Klagepartei in der Klageschrift vornimmt, begegnet eingedenk des sogenannten „Angriffsfaktors“ keinen Bedenken. Dabei ist zwar einerseits zu sehen, dass sich die direkten Übernahmen aus dem Originalwerk in das in Grenzen halten; auf der anderen Seite ist aber insbesondere auch die Größe und die Verbreitung von Schuldmedien des beklagten Verlages auf dem deutschen (Schul-)Markt zu sehen, welche eine potenziell größere Schadensentstehung auf Klägerseite vermuten lassen.
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5. Auch der Ansatz eines 1,5-Gebührenfaktors begegnet bei der vorliegenden Komplexität des urheberrechtlichen Mandats, das eine umfangreiche Beschäftigung einerseits mit dem gesamten der Beklagten, andererseits dem 468 Seiten langen Originalroman erforderlich macht, um Verletzungshandlungen zu ermitteln und rechtlich bewerten zu können, keinen rechtlichen Bedenken.
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6. Auf Grund der jeweils mit Buchungs- und Zahlstempel versehenen Rechnungen (in Anlage K10a und K10b) ist die Kammer auch davon überzeugt, § 286 Abs. 1 ZPO, dass die Klägerin tatsächlich diese Beträge an ihre vorgerichtlich mit der Abmahnung befassten Rechtsanwälte beglichen hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Insoweit macht die Kammer davon Gebrauch, der Beklagten die vollständigen Verfahrenskosten aufzuerlegen, da das teilweise Unterliegen der Klägerin – in Form der Nichtzuerkennung der Schadensersatzfeststellung, soweit diese auf dem „Besitz“ der Beklagten an dem streitgegenständlichen ist – geschätzt verhältnismäßig (sehr) gering ist und auch keinen Gebührensprung ausgelöst hat.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich bezüglich der Auskunftspflichten aus § 709, S. 1 ZPO, im Übrigen aus § 709 S. 2 i.V.m. S. 1 ZPO.