Inhalt

OLG München, Endurteil v. 28.11.2024 – 6 U 2305/24 e
Titel:

Antragsgegner, Lebensmittelinformationsverordnung, Rechtsmißbrauch, Spürbarkeit, Unterlassungsantrag, Wettbewerbsverstoß, Wegfall der Wiederholungsgefahr, Verpackungsgesetz, Marktverhaltensregelung, Unterlassungsanspruch, Prozeßführungsbefugnis, Aufbrauchsfrist, Wettbewerbsverstöße, Dienstleistungen, Antragstellers, Grur, Berufungsanträge, Zutatenverzeichnis, Vertragsschluss, Anspruchsberechtigung

Schlagwort:
Unlauterkeit
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 24.06.2024 – 4 HK O 3298/24
Fundstellen:
MD 2025, 342
LSK 2024, 43049
GRUR-RS 2024, 43049

Tenor

I. Auf die Berufung des Antragstellers wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 24.06.2024 (Az. 4 HK O 3298/24) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 250.000,-Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monate,
verboten,
im geschäftlichen Verkehr
1. gegenüber Verbrauchern vorgepackte alkoholfreie Getränke im Internet zum Verkauf anzubieten, ohne zugleich auch das Verzeichnis der Zutaten vor Vertragsschluss anzugeben,
2. bei Vertrieb des Produkts „THE D. – Entgeistert (Alkoholfrei)“ an Verbraucher in Einweg-Getränkeverpackungen kein Pfand in Höhe von mindestens 0,25 € einschließlich Umsatzsteuer je Verpackung bei einem Füllvolumen von 0,1 Liter bis 3 Liter zu erheben,
wenn dies jeweils geschieht wie im Internet unter der Subdomain https://theD.-gin…. -entgeistert-alkoholfrei (abgerufen und ausgedruckt am 27.02.2024 zwischen 19:54 Uhr und 19:56 Uhr):
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller 10% und der Antragsgegner 90%.

Entscheidungsgründe

I.
1
Mit seiner Berufung verfolgt der Antragsteller seinen auf Wettbewerbsrecht gestützten Eilantrag weiter.
2
Der Antragsteller ist ein qualifizierter Wirtschaftsverband im Sinne von § 8b UWG (Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände gemäß § 8b UWG, Anlage A 1). Der Antragsgegner bietet u.a. Spirituosen an, insbesondere Gin.
3
Der Antragsgegner warb jedenfalls am 27.02.2024 im Internet unter der Domain www.....de für das von ihm vertriebene Produkt „THE D. – ENTGEISTERT (ALKOHOLFREI)“, ohne zugleich vor Vertragsschluss das Zutatenverzeichnis anzugeben. Zudem erhob er für das Produkt keinen Flaschenpfand (Anlage A 4).
4
Wegen dieser beiden Handlungen mahnte der Antragsteller den Antragsgegner mit Anwaltsschreiben vom 28.02.2024 (Anlage A 5) ab. Die daraufhin am 02.04.2024 (Anlage AG 3) abgegebene Unterlassungserklärung des Antragsgegners hat der Antragsteller in seiner Replik abgelehnt.
5
Der Antragsteller hat vorgetragen,
er sei antragsbefugt. Ihm gehöre eine erhebliche Anzahl von Unternehmen an, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertrieben. Auch sei sein Vorgehen nicht rechtsmissbräuchlich unter dem Gesichtspunkt des selektiven Vorgehens nur gegen Nicht-Mitglieder, da es einem antragsbefugten Verband grundsätzlich nicht verwehrt sei, nur gegen bestimmte Verletzer vorzugehen.
6
Die Unterlassungserklärung des Antragsgegners in Bezug auf das Zutatenverzeichnis sei unzureichend, weil sie auf das konkrete Produkt beschränkt sei.
7
In Bezug auf das nichterhobene Pfand macht der Antragsteller geltend, alkoholfreier Gin sei ein Getränk im Sinne der Verpackungsverordnung.
8
Der Antragsteller hat beantragt:
Dem Antragsgegner wird bei Vermeidung der aufgeführten Ordnungsmittel untersagt, im geschäftlichen Verkehr
1.
gegenüber Verbrauchern vorgepackte Lebensmittel im Internet zum Verkauf anzubieten, ohne zugleich auch das Verzeichnis der Zutaten vor Vertragsschluss anzugeben,
2.
bei Vertrieb des Produkts „THE D. – Entgeistert (Alkoholfrei)“ an Verbraucher in Einweg-Getränkeverpackungen kein Pfand in Höhe von mindestens 0,25 € einschließlich Umsatzsteuer je Verpackung bei einem Füllvolumen von 0,1 Liter bis 3 Liter zu erheben,
wenn dies jeweils geschieht wie im Internet unter der Subdomain https://theD. -gin.de/…-D. -entgeistert-alkoholfrei (abgerufen und ausgedruckt am 27.02.2024 zwischen 19:54 Uhr und 19:56 Uhr); Anlage A 4
9
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
10
Der Antragsgegner hat vorgetragen,
dem Eilantrag fehle die Dringlichkeit. Da das angegriffene Produkt bereits seit Juni 2021 auf dem Markt sei, sei davon auszugehen, dass der Antragsteller bereits vor geraumer Zeit von dem behaupteten Verstoß Kenntnis erlangt habe.
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Es sei aber auch kein Verfügungsanspruch gegeben. Bei dem alkoholfreien Gin des Antragsgegners handele es sich nicht um ein Getränk im Sinne von § 31 Verpackungsgesetz. Am ehesten vergleichbar sei das Produkt mit einem typischen Sirup, z.B. mit Holundersirup. Dem Antragsgegner sei kein Hersteller von Gin bzw. alkoholfreien Gin bekannt, der sein Produkt in Pfandflaschen vertreibe oder jemals vertrieben habe. Ein wettbewerblich relevanter Verstoß liege daher nicht vor.
12
Mit Urteil vom 24.06.2024 hat das Landgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
13
Der Antragsteller hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.
14
Der Antragsteller wiederholt und vertieft zur Begründung seiner Berufung das Vorbringen aus dem ersten Rechtszug. Er macht geltend, die Wiederholungsgefahr sei durch die Abgabe der Unterlassungserklärung in Bezug auf die fehlende Zutatenliste nicht ausgeräumt, weil zwischen den Parteien kein Unterlassungsvertrag zustandegekommen sei. Soweit sich der Antragsteller dagegen wende, dass der Antragsgegner kein Pfand erhebe, sei das Landgericht unzutreffend davon ausgegangen, dass es an einer spürbaren Beeinträchtigung fehle.
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Der Antragsteller beantragt zuletzt:
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 24.07.2024 (4 HK O 3298/24) wird dem Antragsgegner bei Meidung der aufgeführten Ordnungsmittel untersagt, im geschäftlichen Verkehr
1.
gegenüber Verbrauchern vorgepackte alkoholfreie Getränke im Internet zum Verkauf anzubieten, ohne zugleich auch das Verzeichnis der Zutaten vor Vertragsschluss anzugeben
2.
bei Vertrieb des Produkts „THE D. – Entgeistert (Alkoholfrei)“ an Verbraucher in Einweg-Getränkeverpackungen kein Pfand in Höhe von mindestens 0,25 € einschließlich Umsatzsteuer je Verpackung bei einem Füllvolumen von 0,1 Liter bis 3 Liter zu erheben,
wenn dies jeweils geschieht wie im Internet unter der Subdomain https://theD. -gin.de… … (abgerufen und ausgedruckt am 27.02.2024 zwischen 19:54 Uhr und 19:56 Uhr); Anlage A 4
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Der Antragsgegner beantragt:
Die Berufung wird zurückgewiesen, hilfsweise wird dem Antragsgegner bis 31.01.2025 eine Aufbrauchsfrist gewährt.
17
Der Antragsgegner verteidigt das Ersturteil und meint, der Eilantrag sei wegen fehlender Prozessführungsbefugnis des Antragstellers schon unzulässig. Der Antragsteller handle zudem rechtsmissbräuchlich, weil er selektiv gegen Nichtmitglieder vorgehe. Zudem fehle es am Verfügungsgrund.
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Aber auch ein Verfügungsanspruch stehe dem Antragsteller nicht zu. In Bezug auf die fehlende Zutatenliste sei die Wiederholungsgefahr durch Abgabe seiner Unterlassungserklärung entfallen, auch wenn der Antragsteller diese abgelehnt habe. Ein Verstoß gegen das Verpackungsgesetzt liege nicht vor.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2024 sowie auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen.
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Von einem Tatbestand wird im Übrigen in entsprechender Anwendung von § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO abgesehen.
II.
21
Die nach § 511 Abs. 1, Abs. 2 Nummer 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere gemäß § 519 Abs. 1, Abs. 2, § 517 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 520 Abs. 2, Abs. 3 ZPO begründete Berufung des Antragstellers hat Erfolg. Das Landgericht hat den Verfügungsantrag des Antragstellers zu Unrecht zurückgewiesen, dieser ist zulässig und es liegt ein Verfügungsanspruch vor.
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A. Der Eilantrag ist zulässig.
23
I. Der Antragsteller ist prozessführungsbefugt, § 8 Abs. 3 Nummer 2 UWG.
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Dabei regelt diese Bestimmung nicht nur die sachlichrechtliche Anspruchsberechtigung, sondern auch die prozessuale Antragsbefugnis, die als Sachurteilsvoraussetzung nicht nur im Zeitpunkt der beanstandeten Wettbewerbshandlung bestanden haben muss, sondern zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch fortbestehen muss (BGH GRUR 2022, 490 Rn. 20; GRUR 2022, 930 Rn. 12 – Knuspermüsli II; Bornkamm/Feddersen in: Köhler/Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 3.9 zu § 8).
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1. Grundsätzlich prozessführungsbefugt und anspruchsberechtigt nach § 8 Abs. 3 Nummer 2 UWG sind diejenigen rechtsfähigen Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen, die in der Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG eingetragen sind, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, und die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt.
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a) Gemäß § 8 Abs. 3 Nummer 2 UWG müssen die auf demselben Markt vertriebenen Waren oder Dienstleistungen „gleicher oder verwandter Art“ sein. Damit wird der sachlich relevante Markt umschrieben. Die Begriffe sind weit auszulegen (BGH GRUR 1997, 479, 480 – Münzangebot; GRUR 1998, 489, 490 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; GRUR 2000, 438, 440, 391 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge; GRUR 2001, 260 – Vielfachabmahner; GRUR 2007, 610 Rn. 17 – Sammelmitgliedschaft V; Bornkamm/Feddersen in: KöhlerFeddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 3.39 zu § 8). Für die lauterkeitsrechtliche Marktabgrenzung müssen die beiderseitigen Waren (Leistungen) sich ihrer Art nach so gleichen oder nahe stehen, dass der Absatz des einen Unternehmers durch (irgendein) wettbewerbswidriges Handeln des anderen Unternehmers beeinträchtigt werden kann (BGH GRUR 1998, 489, 490 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; GRUR 2000, 438, 440 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge; GRUR 2001, 260 – Vielfachabmahner; Bornkamm/Feddersen in: Köhler /Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 3.39 zu § 8). Dazu kann eine nicht gänzlich unbedeutende potenzielle Beeinträchtigung mit einer gewissen, wenn auch nur geringen Wahrscheinlichkeit ausreichen (BGH GRUR 2007, 610 Rn. 17 – Sammelmitgliedschaft V; GRUR 2023, 585 Rn. 25 – Mitgliederstruktur; Bornkamm/Feddersen in: Köhler /Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 3.39 zu § 8).
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Bei der Marktabgrenzung ist von der Geschäftstätigkeit des werbenden Unternehmens auszugehen (BGH GRUR 1998, 489, 491 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; GRUR 2001, 260, 261 – Vielfachabmahner; GRUR 2004, 251, 252 – Hamburger Auktionatoren; GRUR 2006, 778 Rn. 19 – Sammelmitgliedschaft IV; Bornkamm/Feddersen in: Köhler /Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 3.40 zu § 8). Dabei kommt es darauf an, auf welche Waren oder Dienstleistungen und dementsprechend auf welchen Branchenbereich sich die beanstandete Wettbewerbsmaßnahme bezieht (BGH GRUR 2006, 778 Rn. 19 – Sammelmitgliedschaft IV). Der erforderliche Bezug kann auch durch die konkrete Wettbewerbsmaßnahme hergestellt werden (BGH GRUR 1972, 553 – Statt Blumen ONKO-Kaffee). Die Beteiligten müssen im Übrigen nicht derselben Wirtschafts- oder Handelsstufe angehören (BGH GRUR 1996, 804, 805 – Preisrätselgewinnauslobung III; GRUR 1998, 489, 490 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; GRUR 1997, 541, 542 – Produkt-Interview).
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b) Nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG muss es sich des Weiteren um eine erhebliche Zahl von betroffenen Mitgliedsunternehmen handeln, die auf dem betreffenden sachlich und räumlich maßgebenden Markt tätig sind. Welche Anzahl von Gewerbetreibenden „erheblich“ ist, lässt sich nicht von vornherein und generell bestimmen (BGH GRUR 1998, 489, 491 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; Bornkamm/Feddersen in: Köhler /Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 3.44 zu § 8).
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Einem Wettbewerbsverband gehört eine im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG erhebliche Anzahl von Unternehmern an, wenn diese Mitglieder als Unternehmer, bezogen auf den maßgeblichen Markt, in der Weise repräsentativ sind, dass ein missbräuchliches Vorgehen des Verbands ausgeschlossen werden kann (BGH GRUR 2015, 1240 Rn. 14 – Der Zauber des Nordens).
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Jedenfalls ist keine Mindestanzahl erforderlich (BGH GRUR 1998, 489, 491 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III), zumal auf vielen Märkten nur wenige Unternehmen tätig sind. Es müssen lediglich Unternehmen aus dem Kreis der Mitbewerber auf dem relevanten Markt (BGH GRUR 1998, 170 – Händlervereinigung) nach Anzahl und/oder Größe, Marktbedeutung oder wirtschaftlichem Gewicht in der Weise repräsentativ vertreten sein, dass ein missbräuchliches Vorgehen des Verbandes ausgeschlossen werden kann (statt vieler BGH GRUR 2007, 610 Rn. 18 – Sammelmitgliedschaft V; GRUR 2007, 809 Rn. 15 – Krankenhauswerbung; GRUR 2023, 585 Rn. 26 – Mitgliederstruktur; Bornkamm/Feddersen in: Köhler /Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 3.45 zu § 8).
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In Zweifelsfällen ist darauf abzustellen, ob die Zahl und wirtschaftliche Bedeutung der branchenzugehörigen Verbandsmitglieder den Schluss darauf zulässt, dass nicht lediglich Individualinteressen Einzelner, sondern objektiv gemeinsame („kollektive“) gewerbliche Interessen der Wettbewerber wahrgenommen werden. Dies kann auch bei einer geringen Zahl entsprechend tätigen Mitgliedern anzunehmen sein (BGH GRUR 2007, 610 Rn. 18 – Sammelmitgliedschaft V). Daher ist nicht erforderlich, dass die Verbandsmitglieder nach ihrer Zahl und ihrem wirtschaftlichen Gewicht im Verhältnis zu allen anderen auf dem Markt tätigen Unternehmen repräsentativ sind (BGH GRUR 2007, 809 Rn. 10 – Krankenhauswerbung; GRUR 2009, 692 Rn. 12 – Sammelmitgliedschaft VI; Bornkamm/Feddersen in: Köhler /Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 3.45 zu § 8).
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c) Die Darlegungs- und Beweislast des Antragstellers für die Tatsachen, aus denen sich seine Prozessführungsbefugnis (und seine Anspruchsberechtigung) nach § 8 Abs. 3 Nummer 2 UWG ergeben ist – gegenüber dem früheren Rechtszustand – gemildert aufgrund der Einführung des Eintragungserfordernisses auch für Wirtschaftsverbände, in deren Folge die Prüfung der Eintragungsvoraussetzungen allein dem Bundesamt für Justiz obliegt.
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Um im Streitfall insbesondere den Nachweis der Mitgliedschaft einer erheblichen Anzahl von Mitgliedsunternehmen im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG zu führen, braucht der Antragsteller im Prozess nicht zur Bedeutung und zum Umsatz seiner (unmittelbaren und mittelbaren) Mitglieder vorzutragen; vielmehr reicht es aus, wenn sich im Wege des Freibeweises feststellen lässt, dass es dem Verband nach der Struktur der Mitglieder um die ernsthafte kollektive Wahrnehmung der Mitgliederinteressen geht (BGH GRUR 2009, 692 Rn. 12 – Sammelmitgliedschaft VI; GRUR 2015, 1140 Rn. 14 – Bohnengewächsextrakt; BGH GRUR 2015, 1240 Rn. 15 – Der Zauber des Nordens; Bornkamm/Feddersen in: Köhler /Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 3.67 zu § 8 m.w.N.).
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2. Nach diesen Maßstäben ist der Antragsteller antragsbefugt.
35
Er ist in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände gemäß § 8b UWG eingetragen (Anlage A 1).
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Angesichts dessen, dass der sachlich relevante Markt derjenige des Vertriebs alkoholfreier Getränke ist, reicht die Mitgliederzahl aus in Anbetracht folgender, bundesweit tätiger Mitglieder des Antragstellers, die sämtlich Getränke vertreiben:
… Dienstleistung GmbH & Co. KG,
… Lebens-Mittelfilialbetrieb Stiftung & Co. KG,
… GmbH,
The … GbR,
M. Deutschland GmbH,
M. SB-Großhandel GmbH & Co. KG .,
M. SB-Großhandel GmbH & Co. KG L.,
E. Verband kaufmännischer Genossenschaften e. V. und
T. GmbH.
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II. Ohne Erfolg führt der Antragsgegner an, der Antragsteller handle rechtsmissbräuchlich. Zwar ist nach § 8c Abs. 1 UWG die Geltendmachung der Ansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist. Die daran zu stellenden Anforderungen sind aber nicht erfüllt. Insbesondere ist kein Fall des unzulässigen selektiven Vorgehens des Antragstellers nur gegen Nichtmitglieder gegeben.
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1. Dabei ist es grundsätzlich nicht missbräuchlich, wenn der anspruchsberechtigte Mitbewerber oder Verband nur gegen einen oder einzelne von mehreren Verletzern vorgeht. Denn es steht dem Verletzer frei, seinerseits gegen die anderen Verletzer vorzugehen (BGH WRP 1999, 424, 426 – Bonusmeilen; GRUR 2001, 178 – Impfstoffversand an Ärzte; GRUR 2012, 411 Rn. 19 – Glücksspielverband; GRUR 2017, 1281 Rn. 15 – Großhandelszuschläge).
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Allerdings kann es im Einzelfall missbräuchlich sein, wenn ein Verband grundsätzlich nur gegen Außenstehende und nicht gegen eigene Mitglieder vorgeht, vielmehr deren Wettbewerbsverstöße planmäßig duldet (BGH GRUR 1997, 681, 683 – Produktwerbung; GRUR 2012, 411 Rn. 22 – Glücksspielverband; GRUR 2020, 294 Rn. 58 – Culatello di Parma). Denn die Klagebefugnis der Verbände liegt nicht nur im Interesse der betroffenen Mitglieder, sondern auch im öffentlichen Interesse (BGH GRUR 2023, 585 Rn. 50 – Mitgliederstruktur). Andererseits gibt es keine Obliegenheit eines Verbands, auch gegen eigene Mitglieder vorzugehen, auf die sich der außenstehende Dritte berufen könnte. Daher ist auch in solchen Fällen zu fragen, ob der Verband überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen (ebenso OLG Hamburg GRUR-RR 2012, 21, 24). Dabei sind, wie es § 8c Abs. 1 UWG verlangt, die Gesamtumstände zu berücksichtigen.
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So ist bspw. ein Missbrauch anzunehmen, wenn ein Verband mit seinem ausschließlichen Vorgehen gegen Nichtmitglieder bezweckt, neue Mitglieder zu werben, die dann Schutz vor Verfolgung durch den Verband genießen (BGH GRUR 2012, 411 Rn. 22 – Glücksspielverband; BGH GRUR 2023, 585 Rn. 48 – Mitgliederstruktur; OLG Frankfurt a.M. WRP 2021, 665 Rn. 29).
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Dagegen ist ein Missbrauch zu verneinen, wenn eine dauerhafte Beschränkung der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen auf Nichtmitglieder schon aus seinem – rechtlich unbedenklichen – Verbandszweck folgt. Das ist anzunehmen, wenn der Verband nur Unternehmen aufnimmt, die am Markt gleichgerichtete Interessen verfolgen, und der Verbandszweck darauf gerichtet ist, diese Unternehmen vor unlauterem Wettbewerb anderer Unternehmen mit anderer Zielsetzung zu schützen (BGH GRUR 2012, 411 Rn. 24 – Glücksspielverband).
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2. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Antragsgegners, Tatsachen für das Vorliegen eines Missbrauchs darzulegen und dafür Beweis anzubieten (BGH GRUR 2023, 585 Rn. 51 – Mitgliederstruktur). Erst wenn er in ausreichendem Umfang Indizien vorträgt, die für eine missbräuchliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sprechen, obliegt es dem Antragsteller, diese Umstände zu widerlegen (BGH GRUR 2023, 585 Rn. 51 – Mitgliederstruktur; BGH GRUR 2001, 178 Rn. 8 – Impfstoffversand an Ärzte; BGH GRUR 2006, 243 Rn. 21 – MEGA SALE).
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3. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller derart überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Für eine systematische Duldung von Wettbewerbsverstößen durch Mitglieder des Antragstellers gibt es keine Anhaltspunkte.
44
Soweit sich der Antragsgegner darauf beruft, der Antragsteller gehe gegen von ihm genannte Unternehmen nicht vor, obwohl sie ebenfalls eine alkoholfreie Ginalternative pfandfrei anböten, benennt er dabei lediglich zwei Unternehmen, die auch Mitglieder des Antragstellers sind. Ein planmäßiges Dulden von Wettbewerbsverstößen ist darin nicht zu sehen. Unstreitig geht der Antragsteller dagegen grundsätzlich auch gegen eigene Mitglieder vor (vgl. auch sein Schreiben vom 13.11.2023, Anlage A 8). Dem Antragsteller ist ein Ermessen zuzubilligen, zu entscheiden, gegen wen er vorgeht. Dass er dieses Ermessen überschreitet, ist weder dargetan noch ersichtlich.
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III. Der Verfügungsantrag ist in Bezug auf die fehlende Zutatenliste (Berufungsantrag Ziff. 1) jedenfalls nach Änderung des Antrags von „vorverpackten Lebensmitteln“ auf „vorgepackte alkoholfreie Getränke“ (vgl. Sitzungsprotokoll vom 28.11.2024, Seite 2) hinreichend bestimmt. Denn nunmehr verwendet der Antragsteller nicht mehr den Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 LMIV, was grundsätzlich kritisch zu bewerten ist. Auch hat er seinen Antrag durch den Zusatz „wenn dies jeweils geschieht wie (…)“ auf die konkrete Verletzungshandlung in Anlage A 4 bezogen. Durch diese Bezugnahme auf das konkrete Angebot des Antragsgegners mit der angegriffenen Verletzungshandlung wird verdeutlicht, wogegen sich der Antragsteller konkret wendet.
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IV. Ein Verfügungsgrund besteht.
47
1. Zwar muss grundsätzlich der Antragsteller die Dringlichkeit seines Verfügungsantrags darlegen und glaubhaft machen (Köhler/Feddersen in: Köhler/Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 2.13 zu § 12). Jedoch ist vorliegend der Anwendungsbereich des § 12 Abs. 1 UWG eröffnet, weil Verfahrensgegenstand die Sicherung von im UWG bezeichneten Ansprüchen auf Unterlassung ist. § 12 Abs. 1 UWG begründet die widerlegliche tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit (statt vieler BGH GRUR 2000, 151, 152 – Späte Urteilsbegründung; KG GRUR-RR 2015, 181, 182).
48
Die Widerlegung der Vermutung ist grds. Sache des Antragsgegners. Zur Widerlegung der tatsächlichen Vermutung ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass der Antragsgegner Tatsachen vorträgt, die den Schluss auf eine Kenntniserlangung zu einem bestimmten Zeitpunkt zulassen. Er muss also Umstände dartun und glaubhaft machen, die auf eine „dringlichkeitsschädliche“ Kenntnis schließen lassen (OLG Hamburg GRUR-RR 2018, 479 Rn. 47; OLG Stuttgart GRUR-RR 2019, 109 Rn. 19).
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2. Dabei genügt grundsätzlich die Kenntnis der Tatsachen, die den Wettbewerbsverstoß begründen. Der positiven Kenntnis steht die grob fahrlässige Unkenntnis gleich (ebenso OLG Karlsruhe GRUR-RR 2010, 450; OLG Köln GRUR-Prax 2011, 87; OLG München MD 2017, 183, 185; OLG Frankfurt GRUR-RR 2018, 251 Rn. 44; OLG Hamburg BeckRS 2019, 9190 Rn. 16). Sie liegt vor, wenn dem Antragsteller nach Lage der Dinge der Wettbewerbsverstoß nicht verborgen geblieben sein kann (OLG Oldenburg WRP 1996, 461, 464 zu Fachverband; OLG Hamm WRP 2012, 985 Rn. 22). Dagegen reicht eine bloß fahrlässige Unkenntnis nicht aus, da es keine allgemeine Marktbeobachtungspflicht (im Sinne einer Obliegenheit) gibt (OLG Hamm BeckRS 2012, 9719 Rn. 23; OLG Köln GRUR-RR 2015, 245, 246; OLG Stuttgart GRUR-RR 2014, 251, 252; OLG Bamberg LMuR 2014, 94 Rn. 37; OLG Frankfurt GRUR-RR 2019, 70 Rn. 21; GRUR-Prax 2020, 491 Rn. 53; Köhler/Feddersen in: Köhler /Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 2.15a zu § 12).
50
Nicht ausreichend in diesem Zusammenhang ist es grundsätzlich, dass der Wettbewerbsverstoß objektiv schon längere Zeit andauert (OLG Hamburg WRP 1999, 683, 684) oder einem Dritten bekannt ist.
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3. Daher ist unmaßgeblich, dass sich, wie der Antragsgegner unwidersprochen vorträgt, das angegriffene Produkt „Entgeistert“ schon seit Juni 2021 auf dem Markt befinde und in der streitgegenständlichen Form durchgehend so angeboten werde. Auch darauf, ob Mitglieder des Antragstellers schon zu einem dringlichkeitsschädlichen Zeitpunkt von der streitgegenständlichen Werbung Kenntnis erlangt haben, kommt es nicht an.
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Tatsachen, die den Schluss zulassen, dass die beim Antragsteller maßgeblichen Personen zu einem dringlichkeitsschädlichen Zeitpunkt Kenntnis von der Verletzung erlangt haben, hat der Antragsgegner nicht vorgetragen und keine Umstände dargetan und glaubhaft gemacht, die auf eine „dringlichkeitsschädliche“ Kenntnis schließen lassen. Über bloße Mutmaßungen geht der Antragsgegnervortrag in diesem Zusammenhang nicht hinaus. Namentlich genügt es nicht, dass der Antragsgegner bestreitet, dass der Antragsteller bzw. in Bezug auf das streitgegenständliche Produkt wettbewerbsrechtlich betroffene Mitglieder erst am 27.02.2024 von dem vermeintlichen Wettbewerbsverstoß des Antragsgegners Kenntnis erlangt hätten.
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Somit kommt es auf eventuelle Unzulänglichkeiten der vom Antragsteller vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Herrn J. P. vom 16.04.2024 (Anlage A 9) nicht an. Gleiches gilt für die Frage ob, die vom Antragsteller mit seinem nicht nachgelassenen Schriftsatz (vom 14.06.2024, Bl. 35 LG) nachgereichte eidesstattliche Versicherung von Herrn P. vom 11.06.2024 (Anlage A 10) berücksichtigt werden kann.
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B. Der Eilantrag ist auch begründet.
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I. Der Antragsteller ist nach § 8 Abs. 3 Nummer 2 UWG aktivlegitimiert, insbesondere spricht nichts dafür, dass dessen Voraussetzungen nicht auch schon zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung vorlagen.
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II. Dem Antragsteller steht gegen den Antragsgegner ein Unterlassungsanspruch gemäß Berufungsantrag Ziff. 1 betreffend die fehlenden Zutatenangaben zu. Dieser folgt aus § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG, § 3 Abs. 1, § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. b, Art. 14 der VO (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (ABl. 2004 L 304 v. 22.11.2004, 18; kurz Lebensmittelinformationsverordnung oder LMIV).
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1. Die fehlenden Zutatenangaben sind nicht nach dem Rechtsbruchtatbestand des § 3a UWG, sondern nach § 5a UWG zu beurteilen (BGH GRUR 2022, 930 Rn. 17-26 – Knuspermüsli II; BGH GRUR 2022, 1163 Rn. 60 – Grundpreisangabe im Internet; BGH GRUR 2022, 1832 Rn. 16 – Herstellergarantie IV). Denn in Fällen der Verletzung einer Informationspflicht in Bezug auf kommerzielle Kommunikation ist für die Unlauterkeit nach neuerer Rechtsprechung des BGH allein § 5a UWG maßgeblich (BGH GRUR 2022, 930 Rn. 23 – Knuspermüsli II m.w.N.).
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2. Der Umstand, dass die RL 2005/29/EG (kurz: Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken oder UGP-RL) in ihrem Anwendungsbereich (Art. 3 UGP-RL) zu einer vollständigen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts geführt hat (Art. 4 UGP-RL; vgl. BGH GRUR 2021, 752 Rn. 48 – Berechtigte Gegenabmahnung, m.w.N.), steht der Anwendung der Lebensmittelinformationsverordnung im Streitfall nicht entgegen. Nach Art. 3 Abs. 3 und Erwgr. 9 Satz 2 UGP-RL lässt diese die Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt. Dazu zählen die Vorschriften des Lebensmittelrechts wie etwa die Lebensmittelinformationsverordnung (BGH GRUR 2022, 930 Rn. 28 ff. – Knuspermüsli II m.w.N.).
59
3. Die von der Lebensmittelinformationsverordnung vorgeschriebenen Angaben sind wesentliche Informationen im Sinne von § 5a Abs. 4 UWG, da es sich um im Unionsrecht festgelegte Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation handelt (BGH GRUR 2022, 930 Rn. 27; 33 ff. – Knuspermüsli II).
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4. Im Streitfall enthält der Antragsgegner Verbrauchern entgegen § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG die verpflichtende Information des Art. 9 Abs. 1 lit. b LMIV vor, nämlich das Verzeichnis der Zutaten, obwohl diese Informationen gemäß Art. 14 Abs. 1 lit. a LMIV im hier vorliegenden Falle von vorverpackten Lebensmitteln, die durch Einsatz von Fernkommunikationstechniken zum Verkauf angeboten werden, vor dem Abschluss des Kaufvertrags verfügbar sein und auf dem Trägermaterial des Fernabsatzgeschäfts erscheinen müssen. Dass es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt um ein vorverpacktes Lebensmittel in diesem Sinne handelt, steht außer Streit.
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5. Das Vorenthalten dieser wesentlichen Information war auch erheblich im Sinne des § 5a Abs. 2 UWG.
62
Die Voraussetzungen des in § 5 a Abs. 2 UWG geregelten Unlauterkeitstatbestands, dass der Verbraucher die ihm vorenthaltene wesentliche Information „je nach den Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen“ und „deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte“, stellen nach § 5a Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 UWG zusätzliche Tatbestandsmerkmale dar, die selbstständig zu prüfen sind. Jedoch trifft den Unternehmer, der geltend macht, dass – abweichend vom Regelfall – der Verbraucher eine ihm vorenthaltene wesentliche Information für eine Kaufentscheidung nicht benötigt und das Vorenthalten dieser Information den Verbraucher nicht zu einer anderen Kaufentscheidung veranlassen kann, insoweit eine sekundäre Darlegungslast (BGH GRUR 2022, 930 Rn. 51 – Knuspermüsli II m.w.N.). Dieser sekundären Darlegungslast hat der Antragsgegner nicht genügt.
63
6. Die für den vorläufig zu sichernden Unterlassungsanspruch erforderliche Begehungsgefahr ist in Form von Wiederholungsgefahr gegeben, denn ist es wie hier zu einer Rechtsverletzung gekommen, streitet eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr. Diese ist nicht durch die Unterlassungserklärung des Antragsgegners vom 02.04.2024 (Anlage A 5) entfallen, weil der Antragsteller ihre Annahme abgelehnt hat (BGH GRUR 2023, 255 Rn. 39 ff. – Wegfall der Wiederholungsgefahr III unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren im Ersturteil zitierten Rechtsprechung).
64
III. Auch im Hinblick auf Berufungsantrag Ziff. 2 (Flaschenpfand) steht dem Antragsteller ein Verfügungsanspruch zu. Er folgt aus § 3, § 3a UWG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 VerpackG.
65
1. Der Anwendung des § 3a UWG steht nicht entgegen, dass die UGP-RL, die in ihrem Anwendungsbereich (Art. 3 UGP-RL) zu einer vollständigen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts geführt hat (Art. 4 der UGP-RL) und keinen mit § 3a UWG vergleichbaren Unlauterkeitstatbestand kennt (BGH GRUR 2015, 813 Rn. 11 – Fahrdienst zur Augenklinik; Köhler/Odörfer in: Köhler/Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 1.8 zu § 3a).
66
Denn die UGP-RL regelte unlautere Geschäftspraktiken nur von Unternehmen gegenüber Verbrauchern abschließend, nach Art. 3 Abs. 1 UGP-RL gilt die UGP-RL nur für das Verhältnis von Unternehmern zu Verbrauchern (B2C), also nicht im Verhältnis zu Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern (BGH GRUR 2010, 654 Rn. 15 – Zweckbetrieb; Köhler/Odörfer in: Köhler /Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 1.21 zu § 3a; Niebel/Kerl in: Fritzsche/Münker/Stollwerck, BeckOK UWG, 25. Edition Rn. 10 zu § 3a). § 31 VerpackG regelt aber das Verhältnis zu Mitbewerbern und bezweckt nicht den Schutz von Verbraucherinteressen (von Jagow in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Auflage, Rn. 126 zu § 3a).
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2. § 31 Abs. 1 VerpackG ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG.
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Der Marktbezug ergibt sich zwar nicht aus der unmittelbaren Zielsetzung des Verpackungsgesetzes, nämlich den Belangen des Umweltschutzes, weil diese für sich genommen wettbewerbsneutral sind (BGH GRUR 2000, 1076 – Abgasemissionen; BGH GRUR 2007, 162 Rn. 12 – Mengenausgleich in Selbstentsorgergemeinschaft). Auch bezweckt das Verpackungsgesetz nicht den Schutz von Verbraucherinteressen.
69
Die Pfandpflicht des § 31 VerpackG wirkt sich jedoch deutlich auf das Verhalten der Hersteller und Vertreiber beim Absatz der in den Verpackungen enthaltenen Waren aus (OLG Köln LMRR 2012, 136; von Jagow in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Auflage, Rn. 126 zu § 3a). Dies gilt zumal die Vorschriften des Verpackungsgesetzes nach § 1 Abs. 1 Satz 4 VerpackG zumindest auch die Interessen der Mitbewerber schützen (Köhler/Odörfer in: Köhler /Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 1.279 zu § 3a; Niebel/Kerl in: Fritzsche/Münker/Stollwerck, BeckOK UWG, 25. Edition, Rn. 207 zu § 3a; den Marktbezug bejahend im Hinblick auf die Rücknahme- und Verwertungspflicht gemäß § 6 VerpackVO (alter Fassung): BGH GRUR 2007, 162 Rn. 12 – Mengenausgleich in Selbstentsorgergemeinschaft).
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3. Der Antragsgegner hat gegen die Pflicht aus § 31 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 VerpackG verstoßen.
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Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 VerpackG sind Hersteller von mit Getränken befüllten Einweggetränkeverpackungen verpflichtet, von ihren Abnehmern ein Pfand in Höhe von mindestens 0,25 Euro einschließlich Umsatzsteuer je Verpackung zu erheben. Das Pfand ist von jedem weiteren Vertreiber auf allen Handelsstufen bis zur Abgabe an den Endverbraucher zu erheben, § 31 Abs. 1 Satz 2 VerpackG. Somit ist unerheblich, ob der Antragsgegner Hersteller oder lediglich Vertreiber auf einer anderen Handelsstufe ist.
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a) Diese Pflicht trifft entgegen seiner Auffassung auch den Antragsgegner in Bezug auf den streitgegenständlichen alkoholfreien Gin. Er wendet ohne Erfolg ein, es handle sich nicht um ein Getränk.
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Ausweislich § 3 Abs. 2 VerpackG sind Getränkeverpackungen geschlossene oder überwiegend geschlossene Verkaufsverpackungen für flüssige Lebensmittel, wobei nun unmittelbar auf die einschlägige EU-Verordnung ((EG) Nr. 178/2002) verwiesen wird. Nach deren Art. 2 sind Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden (können). Art. 2 Abs. 2 der vorbezeichneten Verordnung stellt klar, dass unter Lebensmittel auch Getränke fallen (Konzak/Körner in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Werkstand: 104. EL, Rn. 38 zu § 3).
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Damit sind Getränke flüssige Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden (können).
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Diese Voraussetzungen erfüllt das streitgegenständliche Produkt. Es ist unstreitig zum Trinken bestimmt. Daran ändert auch das Argument des Antragsgegners nichts, es sei ein Extrakt, mit dem durch Hinzugabe, z.B. von Tonic Water, ein Getränk hergestellt werden könne, das Produkt sei nicht dafür gedacht, dass es als solches, direkt und pur getrunken werde. Das Produkt „Entgeistert“ werde erst durch Vermischung mit anderen Getränken trinkbar und dann erst selbst zum Getränk. Eine zum Trinken bestimmte Flüssigkeit ist es dennoch, denn es ist nicht maßgeblich, ob diese pur genossen werden kann. Auch auf seiner Internetseite beschreibt der Antragsteller das streitgegenständliche Produkt im Übrigen „Als alkoholfreie Alternative zu unserem Gin“ (Anlage A4, Seite 4).
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b) Eine Ausnahme von der Pfandpflicht nach § 31 Abs. 4 VerpackG greift nicht.
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Hierbei handelt es sich um einen abschließenden Katalog, der streitgegenständliche alkoholfreie Gin fällt unter keine der Regelungen. Ohnehin sind Ausnahmetatbestände wie § 31 Abs. 4 VerpackG stets eng auszulegen, weil ansonsten die Gefahr besteht, dass der Sinn der gesetzlichen Regelung unterlaufen wird.
78
Soweit das Landgericht – im Zusammenhang mit der Prüfung der Spürbarkeit nach § 3a UWG – ausgeführt hat, es gebe keinen Grund, weshalb alkoholfreier Gin im Gegensatz zu alkoholhaltigem Gin, für den die Verpackungsverordnung eine Ausnahme vorsehe, in Pfandflaschen vertrieben werden solle, es liege eine Gesetzeslücke vor, weil der Gesetzgeber bei Erlass der Verpackungsverordnung nicht davon ausgegangen sei, dass Gin auch (wie z.B. Bier) in einer alkoholfreien Version vertrieben werde, folgt aus diesen Ausführungen keine analoge Anwendbarkeit der Ausnahmetatbestände des § 31 Abs. 4 VerpackG. Die dafür geltenden Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es fehlt schon an einer planwidrigen Regelungslücke.
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4. Dieser Verstoß gegen § 31 Abs. 1 VerpackG ist, anders als das Erstgericht angenommen hat, auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern, Mitbewerbern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, § 3a UWG.
80
a) Für die Eignung, die Interessen der Marktteilnehmer spürbar zu beeinträchtigen, genügt eine objektive Wahrscheinlichkeit, dass die konkrete geschäftliche Handlung solche Interessen in diesem Sinn beeinträchtigt. Dies beurteilt sich nach dem jeweiligen Schutzzweck der verletzten Marktverhaltensregelung (BGH GRUR 2008, 186 Rn. 25 – Telefonaktion; BGH GRUR 2001, 258, 259 – Immobilienpreisangaben; BGH GRUR 2002, 360, 366 – H. I. V. POSITIVE II; Köhler/Odörfer in: Köhler /Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 1.98 f. zu § 3a; Götting/Hetmank in: Fezer/Büscher/Obergfell, Lauterkeitsrecht: UWG, 3. Auflage, Rn. 165b zu § 3a).
81
Dabei indiziert der Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung im Regelfall, d.h. soweit im Einzelfall keine besonderen Umstände vorliegen, die Eignung zur spürbaren Beeinträchtigung der Interessen der Marktteilnehmer, an die sich die Handlung richtet (BGH GRUR 2021, 84 Rn. 35 – Verfügbare Telefonnummer; BGH GRUR 2021, 752 Rn. 59 – Berechtigte Gegenabmahnung; Köhler WRP 2014, 259 Rn. 59). Es ist dann Sache des Anspruchsgegners, Umstände darzulegen, die diese tatsächliche Vermutung erschüttern (BGH GRUR 2017, 203 Rn. 31 – Quecksilberhaltige Leuchtstofflampen; BGH GRUR 2021, 84 Rn. 35 – Verfügbare Telefonnummer; Köhler/ Odörfer in: Köhler / Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 1.112 zu § 3a).
82
Bei der Beurteilung der Spürbarkeit sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, wie insbesondere die Schwere, Häufigkeit oder Dauer. Für eine Spürbarkeit sprechen das Gewicht des betroffenen Interesses, die Intensität des Eingriffs, besondere Risiken wie etwa solche für Körper und Gesundheit (BGH GRUR 2013, 857 Rn. 19 – Voltaren; BGH GRUR 2005, 778, 780 – Atemtest I), Dauer und Häufigkeit der Verletzung oder die Anzahl der betroffenen Wettbewerbsteilnehmer (BGH GRUR 2013, 857 Rn. 19 – Voltaren). Bei Werbehandlungen kann der Grad der Anreizwerbung relevant sein (BGH GRUR 2000, 1087, 1089 – Ambulanter Schlussverkauf;). Daher kann in Fällen, in denen der Verstoß lediglich geeignet ist, einen für den Handelnden nur geringfügigen Wettbewerbsvorsprung zu begründen, die Spürbarkeit zu verneinen sein (BGH GRUR 2001, 258, 259 – Immobilienpreisangaben; BGH GRUR 2001, 1166, 1169 – Fernflugpreise; Niebel/Kerl in: Fritzsche/Münker/Stollwerck, BeckOK UWG, 25. Edition, Rn. 43 zu § 3a).
83
b) Mit Blick auf diese Grundsätze ist vorliegend von Spürbarkeit des Verstoßes gegen § 31 Abs. 1 VerpackG auszugehen. Tatsächlich verschafft sich, wer kein Pfand erhebt, erhebliche Wettbewerbsvorteile vor allem wegen des ersparten Aufwandes auf Kosten der Umwelt (s. auch LG Berlin GRUR-RS 2023, 18816 Rn. 15).
84
Im übrigen hat der Antragsgegner keine Umstände dargelegt, die die durch den begangenen Verstoß indizierte tatsächliche Vermutung der Spürbarkeit erschüttern.
85
Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang argumentiert, die Interessen von Mitbewerbern seien durch den pfandfreien Vertrieb des alkoholfreien Gins durch den Antragsgegner nicht spürbar beeinträchtigt, der Kammer sei übereinstimmend mit der eidesstattlichen Versicherung des Antragsgegners kein Fall bekannt, in dem alkoholfreier Gin in Pfandflaschen vertrieben werde. Auf eine solche Kenntnis kommt es jedoch nicht an. Auch die Frage, ob tatsächlich kein Wettbewerber der Mitglieder des Antragstellers alkoholfreien Gin in Pfandflaschen vertreibt, ist für die Spürbarkeit des begangenen Verstoße gegen eine Marktverhaltensregel nicht maßgeblich. Daher musste nicht entschieden werden, ob der durch einen Internetausdruck (Anlage A 11) substantiierte Vortrag des Antragstellers in seinem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14.06.2024, wonach andere Unternehmen alkoholfreien Gin durchaus in Pfandflaschen anböten, berücksichtigt werden kann.
86
IV. Soweit der Antragsgegner hilfsweise die Einräumung einer Aufbrauchsfrist beantragt, ist dies ohne Erfolg.
87
Die Gewährung einer Aufbrauchs- oder Umstellungsfrist setzt voraus, dass dem Schuldner durch ein unbefristetes Verbot unverhältnismäßige Nachteile entstünden und die Belange sowohl des Gläubigers als auch der Allgemeinheit durch eine befristete Fortsetzung der Wettbewerbswidrigkeit nicht unzumutbar beeinträchtigt werden (BGH GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus; GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen; GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz; Bornkamm/Feddersen in: Köhler/Feddersen, UWG, 43. Auflage, Rn. 1.88 zu § 8). Solche sind hier weder dargetan noch sonst ersichtlich.
III.
88
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Dabei war dem Umstand, dass der Antragsteller seinen ursprünglichen Berufungsantrags Ziff. 1 in der mündlichen Verhandlung auf das zutreffende Maß eingeschränkt hat, mit einer 10%igen Kostenbelastung Rechnung zu tragen.
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Ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hatte nicht zu erfolgen, nachdem das Urteil mit Verkündung rechtskräftig geworden ist, § 542 Abs. 2 ZPO. Vor diesem Hintergrund kommt auch die Zulassung der Revision nicht in Betracht.