Inhalt

OLG München, Beschluss v. 17.04.2024 – 18 W 618/24 Pre e
Titel:

Ordnungsgeld wegen "Anstiftung" des Konzertpublikums zum Gesang

Normenkette:
ZPO § 890
Leitsatz:
Für die Verhängung eines Ordnungsgeldes ist eine Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht zwar grundsätzlich durch den Schuldner selbst erforderlich. Es genügt aber auch ein Zuwiderhandeln durch Dritte, wenn dieses dem Schuldner zuzurechnen ist und ihn ein Verschulden trifft, wobei es genügt, soweit hierfür ein eigenes Verhalten ursächlich ist. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ordnungsgeld, Kunstfreiheit, Persönlichkeitsrecht, Zuwiderhandlung, Haftung für Dritte, Konzertmitschnitt
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 21.02.2024 – 25 O 16530/19
Rechtsmittelinstanz:
BVerfG Karlsruhe vom 19.12.2024 – 1 BvR 1425/24
Fundstelle:
GRUR-RS 2024, 41767

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 21.02.2024, Az. 25 O 16530/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 65.000 € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Der Schuldner wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen ein verhängtes Ordnungsgeld.
2
Die Gläubiger haben am 11.12.2019 ein Endurteil des Landgerichts München I (Az.: 25 O 16530/19) erstritten, durch das dem Schuldner unter Ziffer 1 im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt wird, in Bezug auf die Gläubiger zu 1) bis zu 4) folgende Äußerungen zu verbreiten oder verbreiten zu lassen, wenn dies geschieht wie in dem sogenannten „Diss-Track“ des Schuldners mit dem Titel „…“:
a) „Werder Brem'n der ganze Kader (Werder Brem'n)
Jeder potenzieller Vater (…)“
b) sowie unter Bezugnahme auf den Vater der Gläubiger zu 1) bis zu 4):
„Und sie sind nicht mal von dir“.
3
Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot sind dem Schuldner die gesetzlichen Ordnungsmittel angedroht worden. Das Endurteil vom 11.12.2019 ist dem Schuldner am 16.12.2019 sowohl von Amts wegen als auch durch die Prozessbevollmächtigten der Gläubiger von Anwalt zu Anwalt zugestellt worden.
4
Mit Beschluss vom 20.02.2020 (Ordnungsmittelheft Nr. 1, Bl. 129/136 d.A.) hat das Landgericht gegen den Schuldner wegen Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot erstmals ein Ordnungsgeld von 30.000 € verhängt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners vom 06.04.2020 hat der Senat mit Beschluss vom 07.08.2020 – 18 W 1010/20 (Ordnungsmittelheft Nr. 1, Bl. 206/216 d.A.) zurückgewiesen.
5
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 09.10.2020 (Ordnungsmittelheft Nr. 2, Bl. 243/255 d.A.) unter Zurückweisung des Antrags im Übrigen gegen den Schuldner wegen erneuter Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot vom 11.12.2019 ein weiteres Ordnungsgeld von 60.000 €, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, für je 5.000 € einen Tag Ordnungshaft verhängt. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners vom 28.10.2020 hat der Senat mit Beschluss vom 28.12.2020 – 18 W 1757/20 (Ordnungsmittelheft Nr. 3, Bl. 293/305 d.A.) das Ordnungsgeld auf 45.000 € herabgesetzt und die sofortige Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen.
6
Mit Beschluss vom 18.08.2021 (Geheft „Vor der Vernichtung herauszunehmende Schriftstücke“, Bl. 348/356 d.A.) hat das Landgericht gegen den Schuldner wegen erneuter Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot abermals ein Ordnungsgeld, diesmal in Höhe von 15.000 €, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, für je 5.000 € einen Tag Ordnungshaft verhängt.
7
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 15.06.2023 (Ordnungsmittelheft Nr. 4, Bl. 394/397 d.A.) gegen den Schuldner wegen erneuter Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot ein Ordnungsgeld von 30.000 €, ersatzweise für je 5.000 € einen Tag Ordnungshaft verhängt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners vom 24.07.2023 hat der Senat mit Beschluss vom 11.10.2023 – 18 W 1778/23 Pre (Geheft „OLG-Aktenteil 18 W 1178/23 Pre e“, Bl. 4/12) zurückgewiesen.
8
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der vorgenannten Beschlüsse Bezug genommen.
9
Auf der „…-Tour 2023“ spielte der Schuldner auch seinen Song „…“.
10
Beim Auftritt in … am 02.06.2023 sang er: „Werder Brem'n der ganze Kader“. Dann hielt er das Mikrofon in die Menge, woraufhin seine Fans die fehlende Zeile „Jeder potentieller Vater“ sangen. Später streckte er seine Arme in die Höhe und wippte auffordernd, woraufhin seine Fans die nächsten vier Zeilen des „…“-Songs sangen. Die ersten drei Zeilen waren schwer zu verstehen. Gut verständlich war lediglich die letzte Zeile, welche lautet „und sie sind nicht mal von dir“.
11
Bei der Aufführung des Songs am 03.06.2023 in … rappte der Schuldner abermals „Werder Brem'n der ganze Kader“ und hielt das Mikrofon auffordernd in Richtung der Zuschauer. Diese sangen daraufhin „Jeder potenzieller Vater“. Daraufhin rappte der Schuldner „Bist alleine mit den …“. Nachdem er das Mikrofon wiederum auffordernd in Richtung Publikum gerichtet und seine Arme rhythmisch vor- und zurückbewegt hatte, sangen seine Fans „und sie sind nicht mal von Dir“. Dabei hob der Schuldner bestätigend sowie im Takt wippend die Arme in die Luft, um das Publikum aufzufordern, die beiden genannten verbotenen Zeilen mitzusingen, was dann auch gut hörbar geschah.
12
Am 04.06.2023 verbreitete der Schuldner einen 39-sekündigen Videomitschnitt von der Veranstaltung in … am 03.06.2023 als „angehefteten Tweet“ über seinen Twitter-Account, abrufbar unter: … / Twitter. Im Rahmen dieses anklickbaren Videoausschnitts ist die Video-Sequenz zu sehen, in der der Schuldner Teile des Songs „…“ rappt und in dem das Publikum auf Aufforderung des Schuldners die beiden verbotenen Zeilen singt. Der Twitter-Account des Schuldners hatte 224.434 Follower und das Video mit den verbotenen Textzeilen wurde 22.933 Mal angesehen.
13
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den angegriffenen Beschluss des Landgerichts sowie auf die gläubigerseits mit Schriftsatz vom 06.06.2023 vorgelegten Anlagen(konvolute) – insbesondere auch auf die auf DVD vorgelegten Konzertmitschnitte – verwiesen.
14
Mit Schriftsatz vom 06.06.2023 (Bl. 398/403 d.A.), auf dessen weiteren Inhalt Bezug genommen wird, haben die Gläubiger zu 1) bis 4) beantragt, gegen den Schuldner wegen Verstoßes gegen das Unterlassungsgebot vom 17.11.2022 ein „ganz empfindliches Ordnungsgeld“ zu verhängen.
15
Der Schuldner ist dem mit Schriftsatz vom 05.07.2023 (Bl. 418/419 d.A.), auf den hinsichtlich der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, entgegengetreten. Er hat u.a. geltend gemacht, er habe die verbotenen Textzeilen mittlerweile aus dem Songtext entfernt und könne nicht für das Verhalten seiner Fans verantwortlich gemacht werden. Die Auferlegung eines „Totalverbots“ der Aufführung des Songs verletze seine Kunstfreiheit.
16
Das Landgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 21.02.2024 (Ordnungsmittelheft Nr. 5, Bl. 456/458 Rs d.A.) gegen den Schuldner ein Ordnungsgeld von 65.000 €, ersatzweise für je 5.000 € einen Tag Ordnungshaft verhängt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Schuldner habe die verbotenen Textzeilen auf den beiden Konzerten zwar nicht selbst gesungen; er habe seine Fans aber hierzu aufgefordert. Dann habe er einen Videomitschnitt des einen Konzerts mit dem entsprechenden Ausschnitt über seinen Twitter-Account verbreitet. Hierdurch habe er jeweils schuldhaft gegen das Unterlassungsgebot verstoßen. Bei der Bemessung der Höhe des Ordnungsmittels sei insbesondere auch zu berücksichtigen, dass den Schuldner selbst vorangegangene gegen ihn verhängte Ordnungsgelder nicht dazu angehalten hätten, sich an die gerichtliche Untersagung zu halten.
17
Gegen den ihm am 02.03.2024 und seinen Verfahrensbevollmächtigten am 27.02.2024 zugestellten Beschluss hat der Schuldner mit Schriftsatz vom 12.03.2024 (Bl. 465/468 d.A.), beim Landgericht München I eingegangen am selben Tage, sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er die
Aufhebung des Beschlusses vom 21.02.2024 und die Zurückweisung des Ordnungsmittelantrags
beantragt.
18
Er rügt unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. (Beschluss vom 14.12.2018 – 6 W 98/18), da die Gläubiger den 5. Ordnungsmittelantrag gestellt hätten, als über den 4. Ordnungsmittelantrag noch nicht rechtskräftig entschieden worden sei, habe das Landgericht keinen weiteren Ordnungsmittelbeschluss erlassen dürfen. Vielmehr habe es das vierte Ordnungsmittelverfahren um den neuen Antrag erweitern und über beide Anträge zusammen entscheiden müssen.
19
Außerdem habe der Schuldner nicht gegen das Unterlassungsgebot verstoßen. So sei es ihm nicht verboten, den Song „…“ aufzuführen. Außerdem habe das Landgericht verkannt, dass er die Zeilen „Jeder potenzieller Vater (ohh)“ und „Und sie sind nicht von dir“ aus dem Song „entfernt“ und nicht selbst „performt“ habe. Der Schuldner hafte aber nicht für Handlungen Dritter, könne also nicht für Handlungen des Publikums – namentlich das Singen von Liedern auf seinen Konzerten seitens der Fans – verantwortlich gemacht werden. Es fehle bei den verfahrensgegenständlichen Veröffentlichungen also an einer dem Schuldner zurechenbaren Bezugnahme auf die Gläubiger. Der angegriffene Beschluss des Landgerichts bewirke ein „Totalverbot“ hinsichtlich der Aufführung des Songs und verletze die Kunstfreiheit des Schuldners. Da die Gläubiger zu 1) bis 4) in Dubai lebten, sei zudem nicht erkennbar, wie diese durch Auftritte des Schuldners in Deutschland in ihren Rechten verletzt werden könnten. Bei der Bemessung eines etwaigen Ordnungsmittels seien zudem insbesondere der Unwertgehalt der Verletzungshandlung und der Grad des Verschuldens zu berücksichtigen.
20
Die Gläubiger zu 1) bis 4) sind der sofortigen Beschwerde mit Schriftsatz vom 20.03.2024 (Bl. 475/478 d.A.) entgegengetreten. Sie beantragen,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
21
Hinsichtlich der Begründung wird auf den besagten Schriftsatz verwiesen.
22
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 11.04.2024 (Bl. 481/483 d.A.), auf dessen Gründe Bezug genommen wird, der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung vorgelegt.
II.
23
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
24
1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 793 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die zweiwöchige Notfrist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde (§ 569 Abs. 1 ZPO) ist gewahrt.
25
2. In der Sache hat das Rechtsmittel aber keinen Erfolg. Das Landgericht hat wegen der verfahrensgegenständlichen Verstöße des Schuldners gegen das ihm durch die einstweilige Verfügung des Landgerichts München I vom 11.12.2019 (Az.: 25 O 16530/19) auferlegte Unterlassungsgebot zu Recht ein Ordnungsgeld in Höhe von 65.000 € und ersatzweise Ordnungshaft verhängt.
26
a) Die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung – die von Amts wegen zu prüfen sind – liegen vor. Hiergegen erhebt der Schuldner in der Beschwerdebegründung auch keine Einwände. Da es sich bei dem Vollstreckungstitel um eine einstweilige Verfügung handelt, bedarf es keiner Vollstreckungsklausel (§§ 936, 929 Abs. 1 ZPO). Die Zustellung der einstweiligen Verfügung ist am 16.12.2019 und damit innerhalb der Vollziehungsfrist von einem Monat bewirkt worden (§§ 936, 928, 929 Abs. 2, § 750 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die gemäß § 890 Abs. 2 ZPO erforderliche Androhung der Ordnungsmittel ist bereits im Endurteil vom 11.12.2019 enthalten.
27
b) Der Beschwerde verhilft auch der Umstand nicht zum Erfolg, dass der 5. Ordnungsmittelantrag zu einem Zeitpunkt gestellt wurde, als über den 4. Ordnungsmittelantrag noch nicht rechtskräftig entschieden worden war. In dem klägerseits herangezogenen Verfahren (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 14.12.2018 – 6 W 98/18, BeckRS 2018, 34098) ging es lediglich um die Frage der Höhe des Streitwertes in einem Ordnungsmittelverfahren, in dem ein gestellter Ordnungsmittelantrag wegen weiterer Zuwiderhandlungen nachträglich erweitert wurde (siehe a.a.O. unter Rn. 3). Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass der Schuldner ein Recht darauf hätte, dass in Fällen, in denen er weitere Zuwiderhandlungen gegen ein Unterlassungsgebot begeht, bevor rechtskräftig über einen vorangegangenen Ordnungsmittelantrag entschieden wurde, kein neues Ordnungsmittelverfahren betrieben, sondern lediglich das bereits laufende Ordnungsmittelverfahren erweitert wird. Zwar kann für mehrere zusammenhängende Zuwiderhandlungen ein Gesamtordnungsmittel verhängt werden (vgl. MüKoZPO/Gruber, 6. Aufl., § 890 ZPO, Rn. 36 m.w.N.). Hier war das vorangegangene, auf einem Antrag vom 23.11.2022 fußende 4. Ordnungsmittelverfahren aber bereits entscheidungsreif, als die Gläubiger mit Schriftsatz vom 06.06.2023 (Bl. 398/403 d.A.) einen 5. Ordnungsmittelantrag stellten. Das 4. Ordnungsmittelverfahren wurde auch bereits mit Beschluss des Landgerichts vom 15.06.2023 Bl. 394/397 d.A.) beschieden. Dagegen, dass das Landgericht insoweit nicht das 4. Ordnungsmittelverfahren erweitert, sondern dieses abgeschlossen und den Antrag vom 06.06.2023 betreffend ein 5. Ordnungsmittelverfahren eingeleitet hat, gibt es daher nichts zu erinnern, zumal die Zuwiderhandlungen aus dem 4. Ordnungsmittelantrag nicht mit denjenigen aus dem 5. zusammenhingen. In der vorliegenden Fallgestaltung ist das Landgericht mithin zu Recht davon ausgegangen, dass bei mehreren selbständigen Verstößen (wiederholte Zuwiderhandlungen) mehrfach ein Ordnungsgeld verhängt werden kann. Die Verstöße aus dem 4. und dem hier zur Entscheidung stehenden 5. Ordnungsmittelverfahren stehen auch nicht im Verhältnis natürlicher Handlungseinheit; denn sie sind nicht aufgrund ihres räumlich-zeitlichen Zusammenhangs so eng miteinander verbunden, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen (vgl. zum Ganzen Zöller/Seibel, 35. Aufl., § 890 ZPO, Rn. 20; BGH, Beschluss vom 17.12.2020 – I ZB 99/19, juris Rn. 21, jeweils m.w.N.). Die betreffenden Einzelverstöße sind vorliegend daher nicht als eine Zuwiderhandlung anzusehen. Es liegt auch kein Verstoß gegen das außerstrafrechtliche Doppelahndungsverbot vor (vgl. dazu BeckOK ZPO/Stürner, 52. Ed., § 890 ZPO, Rn. 54a; BVerfG, Beschluss vom 03.08.1989 – 1 BvR 1194/88, BeckRS 1989, 6919, Rn. 10 f.).
28
c) Der Schuldner hat durch das Rappen der verbotenen Textzeile „Werder Brem'n der ganze Kader“ und die Aufforderung an seine Fans, an seiner statt die nachfolgenden – ebenfalls verbotenen – Zeilen zu singen sowie durch die Veröffentlichung des verfahrensgegenständlichen Konzertmitschnitts über Twitter jeweils gegen die vom Landgericht ausgesprochene Unterlassungspflicht verstoßen.
29
aa) Die verfahrensgegenständlichen Textzeilen aus den beiden Konzerten und dem vom Schuldner veröffentlichten Konzertmitschnitt sind ihrem Wortlaut nach identisch mit den oben genannten Äußerungen, die das Landgericht im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt hat.
30
bb) Der Einwand des Schuldners hinsichtlich der beiden ersten Verstöße, er habe doch den Text des Lieds geändert (Anlage AG1) und könne nicht dafür verantwortlich gemacht werden, was seine Fans auf Konzerten sängen, greift zu kurz. So wurde dem Schuldner im Unterlassungstitel ausdrücklich nicht nur untersagt, die verfahrensgegenständlichen Äußerungen zu verbreiten, sondern ebenso, diese verbreiten zu lassen. Zudem muss die Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht zwar grundsätzlich der Schuldner selbst begehen. Es genügt aber auch ein Zuwiderhandeln durch Dritte, wenn dieses dem Schuldner zuzurechnen ist und ihn ein Verschulden trifft (vgl. Thomas/Putzo/Seiler, 44. Aufl., § 890 ZPO, Rn. 11 m.w.N.). Dabei muss es sich bei den Dritten nicht um solche handeln, die – wie etwa Mitarbeiter oder Tochtergesellschaften eines Schuldners – von diesem abhängig wären. Vielmehr kommt auch bei „außenstehenden Dritten“ eine Haftung in Betracht. Dabei handelt es sich nicht um eine Haftung für fremdes Verschulden. Denn ein Eigenverschulden kann auch darin gesehen werden, dass im Hinblick auf Dritte zumutbare Einwirkungen unterblieben sind. Insbesondere führt der Umstand, dass die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten gegenüber nicht vom Schuldner abhängigen Personen andere sind als gegenüber „Abhängigen”, nicht dazu, dass eine Organisationspflicht, die sich auf solche außenstehenden Dritten bezieht, von Verfassungs wegen stets verneint werden müsste (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 04 12.2006 – 1 BvR 1200/04, NJW-RR 2007, 860, 861, Rn. 13 f.). Ein Schuldner haftet zudem für das Tun oder Unterlassen Dritter, soweit hierfür ein eigenes Verhalten ursächlich ist (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 19.09.2002 – 26 W 85/02, BeckRS 2002, 30283332 m.w.N.; BeckOK ZPO/Stürner, 52. Ed., § 890 ZPO, Rn. 24).
31
Nach diesen Maßgaben ist hier nicht nur hinsichtlich der jeweils vom Schuldner selbst gerappten Textzeile „Werder Brem'n der ganze Kader“, sondern auch bezüglich der auf seine konkludente Aufforderung hin seitens der Fans bei den Konzerten gesungenen nachfolgenden verbotenen Textzeilen eine vom Schuldner selbst verursachte Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht zu bejahen, bezüglich derer ihn ein Verschulden trifft. Denn wie im angegriffenen Beschluss dargelegt und auch vom Schuldner nicht in Abrede gestellt, hat dieser seine Fans mit eindeutigen Gesten ausdrücklich dazu angehalten, in die von ihm hierfür „zur Verfügung gestellten Lücken“ des Lieds die verbotenen Textzeilen zu singen. Die Inaugenscheinnahme der Mitschnitte zeigt, dass der Schuldner nicht nur billigend in Kauf nahm, dass Fans – trotz der zwischenzeitlich erfolgten Änderung des „offiziellen Texts“ – die verbotenen Zeilen singen, sondern dass er sogar in der Absicht handelte, genau dies herbeizuführen. Er hat deshalb nicht nur die ihm zur Unterbindung von Verstößen gegen das Unterlassungsgebot möglichen und zumutbaren Einwirkungen auf die Fans unterlassen, sondern hat diese vielmehr sogar aktiv und absichtlich angestiftet, die verbotenen Textzeilen zu singen. Dem Schuldner wird hier daher nicht etwa ein Verhalten Dritter zugerechnet, sondern durch seine eigenen aktiven „Anstiftungshandlungen“ hat er selbst kausal und schuldhaft einen Verstoß gegen die Unterlassungspflicht herbeigeführt.
32
cc) Die Argumentation des Schuldners, der angegriffene Beschluss bewirke ein „Totalverbot“ hinsichtlich der Aufführung des Songs und verletze daher seine Kunstfreiheit, geht ebenfalls fehl. Insoweit darf auf die zutreffenden Erläuterungen des Landgerichts im Nichtabhilfebeschluss (auf S. 2 f.) sowie im Urteil vom 11.12.2019 (auf S. 12) Bezug genommen werden, denen der Senat sich vollumfänglich anschließt.
33
dd) Soweit der Schuldner moniert, in der streitgegenständlichen Veröffentlichung werde nicht auf die Gläubiger Bezug genommen, dringt dies ebenfalls nicht durch. Denn unmittelbar betroffen ist nicht nur, wer namentlich erwähnt wird, sondern auch derjenige, gegen den die Aussage objektiv gerichtet ist (vgl. Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 7. Aufl., 44. Kapitel, Rn. 7). Zwar enthalten die verfahrensgegenständlichen Textzeilen hier keine explizite Bezugnahme auf die Gläubiger, etwa durch Nennung ihrer Namen. Diese sind jedoch entgegen der Auffassung des Schuldners gleichwohl erkennbar und damit individuell betroffen. Denn obwohl die Gläubiger nicht ausdrücklich erwähnt werden, wird für einen unvoreingenommenen und verständigen Rezipienten der Konzerte bzw. des Konzertmitschnitts nichtsdestoweniger klar, wer gemeint ist (vgl. hierzu im Einzelnen bereits Senat, Beschluss vom 11.10.2023 – 18 W 1178/23 Pre, S. 6 f. unter II.2.b) bb) [im Geheft „OLG-Aktenteil 18 W 1178/23 Pre“]).
34
d) Der Verstoß gegen die Unterlassungsverfügung war zudem schuldhaft. Der Schuldner hatte Kenntnis von der gegen ihn ergangenen einstweiligen Verfügung und das Unterlassungsgebot war eindeutig formuliert, so dass an seinem Inhalt kein Zweifel bestehen konnte. Ihm war zudem sogar bereits durch den ersten gegen ihn verhängten Ordnungsgeldbeschluss explizit und unmissverständlich verdeutlicht worden, dass auch das Reposten von Beiträgen Dritter bzw. deren Aufnahme in eine Instagram-Story grundsätzlich als ein Zueigenmachen und damit korrespondierend als Veröffentlichung des Schuldners zu werten ist (vgl. dazu bereits Landgericht München, Beschluss vom 20.02.2022, S. 6 = Ordnungsmittelheft Nr. 1, Bl. 134 d.A. und Senat, Beschluss vom 07.08.2020 – 18 W 1010/20, S. 9 ff. = Ordnungsmittelheft Nr. 1, Bl. 214 ff. d.A. unter II.2.b und c, und Senat, Beschluss vom 11.10.2023 – 18 W 1178/23 Pre, S. 7 unter II.2.c [im Geheft „OLG-Aktenteil 18 W 1178/23 Pre“]). Der Senat hat auch keinen Zweifel daran, dass der hinsichtlich der gerichtlichen Unterlassungsverfügung fortwährend seine nicht besonders gewandten „Spielchen“ treibende Schuldner zudem auch jedenfalls billigend in Kauf nahm, auch dann gegen den Unterlassungstitel zu verstoßen, wenn er die Zeilen zum Teil nicht selbst singt, sondern hierzu seine Fans auffordert. Er hat damit schuldhaft gegen das von der Unterlassungsverfügung umfasste Verbot verstoßen.
35
e) Das vom Landgericht auf Grundlage einer sorgfältigen, im Ergebnis sowie – abgesehen von einem Punkt (siehe dazu unten unter II.2.f) dd)) – auch in der Begründung der Sach- und Rechtslage entsprechenden sowie tragfähigen Begründung verhängte Ordnungsgeld ist auch seiner Höhe nach angemessen. Ordnungsmittel im Sinne von § 890 ZPO sind im Hinblick auf ihren Zweck zu bemessen. Sie haben einen doppelten Zweck: Als zivilrechtliche Beugemaßnahme dienen sie – präventiv – der Verhinderung künftiger Zuwiderhandlungen. Daneben stellen sie – repressiv – eine strafähnliche Sanktion für die Übertretung des gerichtlichen Verbots dar. Dieser doppelte Zweck erfordert es, die Bemessung der Ordnungsmittel jedenfalls in erster Linie mit Blick auf den Schuldner vorzunehmen. Zu berücksichtigen sind insbesondere Art, Umfang und Dauer des Verstoßes, der Verschuldensgrad, der Vorteil des Verletzers aus der Verletzungshandlung und die Gefährlichkeit der begangenen und möglicher künftiger Verletzungshandlungen für den Verletzten (vgl. BGH, Beschluss vom 08.12.2016 – I ZB 118/15, NJW-RR 2017, 382, Rn. 17; Beschluss vom 23.10.2003 – I ZB 45/02 = BGHZ 156, 335, juris Rn. 52). Darüber hinaus soll dem Schuldner vor Augen geführt werden, dass die Titelverletzung wirtschaftlich nicht lohnend ist, so dass weitere Zuwiderhandlungen unterbleiben. Außerdem sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zu berücksichtigen (vgl. Zöller/Seibel, 35. Aufl., § 890 ZPO, Rn. 18 m.w.N.).
36
f) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist das vom Landgericht gegen den Schuldner festgesetzte Ordnungsgeld von 65.000 € angemessen. Der Senat macht sich die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts vollständig zu eigen; ergänzend ist das Folgende anzumerken:
37
aa) Im vorliegenden Fall ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich um drei Verstöße handelte, die in relativ engem zeitlichen und kontextualen Zusammenhang stehen. Diese erstreckten sich zudem jeweils nur auf einige Sekunden der Konzerte bzw. des vom Schuldner verbreiteten Konzertmitschnitts. Die Besucherzahlen der erstgenannten und die Abrufzahlen des Letztgenannten stellen sich indes nicht als unerheblich dar.
38
bb) Der Unwertgehalt der Zuwiderhandlung wiegt zudem schwer. Denn der Schuldner hat mit seiner Veröffentlichung über angebliche Väter der Gläubiger zu 1) bis zu 4) die Letztgenannten durchaus gravierend in ihrem Anspruch auf Achtung ihrer Intim-/Privatsphäre und damit in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt.
39
cc) Zu Recht hat das Landgericht angenommen (Nichtabhilfebeschluss auf S. 3 = Bl. 483 d.A.), dass sich der Unwertgehalt der Zuwiderhandlungen auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die Gläubiger zu 1) bis 4) mittlerweile im Ausland aufhalten, als so erheblich darstellt, dass die Höhe des verhängten Ordnungsgeldes gleichwohl nicht übersetzt erscheint. Überdies ändert der Umzug nichts daran, dass die Gläubiger den verständigen Durchschnittsrezipienten der Konzerte und des geposteten Videomittschnitts bekannt sind. Die Verstöße stellen sich daher – entgegen der Rechtsmeinung des Schuldners – trotz des Umzugs der Gläubiger für diese nicht etwa als unerheblich oder gar als irrelevant dar.
40
dd) Zudem ist das Verschulden des Schuldners als durchaus erheblich anzusehen. Auch insoweit ist die Tatsache in den Blick zu nehmen, dass gegen ihn wegen einschlägiger Verstöße gegen das Unterlassungsgebot in den letzten Jahren bereits mehrfach Ordnungsgelder verhängt werden mussten.
41
Soweit zu den den hiesigen Verstößen vorangegangenen Ordnungsgeldbeschlüssen im angegriffenen Beschluss des Landgerichts (auf S. 5 im 2. Absatz) einerseits die vier Beschlüsse vom 20.02.2020, 09.10.2020, 18.08.2021 und 15.06.2023 genannt werden und andererseits ausgeführt wird, der Schuldner habe sich „von den beiden Beschlüssen“ nicht beeindrucken lassen, ist Folgendes anzumerken: Die hier verfahrensgegenständlichen Verstöße erfolgten am 2., 3. und 4.06.2023. Zu diesem Zeitpunkt waren gegen den Schuldner also drei rechtskräftige Ordnungsgeldbeschlüsse ergangen.
42
Dies hat ihn aber offenbar noch immer nicht hinreichend beeindruckt. Denn nicht einmal dies konnte den sich als geradezu unbelehrbar erweisenden Schuldner von weiteren Verstößen abhalten und dazu bringen, sich endlich an die gerichtliche Unterlassungsverfügung zu halten.
43
g) In der Gesamtschau hält der Senat daher ein Ordnungsgeld von 65.000 € zur Sanktionierung der verfahrensgegenständlichen Verstöße des Schuldners für ausreichend, aber auch für erforderlich.
III.
44
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 i.V.m. § 891 S. 3 ZPO.
45
2. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren entspricht der Höhe des durch das Landgericht festgesetzten Ordnungsgeldes.
46
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO). Mit seiner Entscheidung weicht der Senat auch nicht von den seitens der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ab.