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OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 04.11.2024 – 3 U 1585/24 Pre
Titel:

Zulässige Bildnisveröffentlichung im Zusammenhang mit einer Corona-Demonstation

Normenketten:
BGB § 823, § 1004
KUG § 22, § 23
GG Art. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
Leitsatz:
Der Abgebildete muss keinen aktuellen Anlass für die Veröffentlichung seines Bildnisses geben; ein während einer Veranstaltung aufgenommenes Foto darf somit auch außerhalb dieses Kontextes veröffentlicht werden, wenn es der Personalisierung abstrakter Themen dient. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterlassungsanspruch, Bildveröffentlichung, Zeitgeschichte, Persönlichkeitsrecht, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demonstration
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 17.06.2024 – 15 O 2100/23 Pre
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 10.12.2024 – 3 U 1585/24 Pre
Fundstelle:
GRUR-RS 2024, 38909

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 17.06.2024, Az. 15 O 2100/23 Pre, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin veröffentlichte am 29.03.2023 auf www.s...de den Artikel „Pandemie-V. …“ und illustrierte diesen mit dem streitgegenständlichen Foto:
2
Das Foto wurde auf einer Demonstration im Oktober 2022 aufgenommen und zeigt den Beklagten in erkennbarer Weise. Der Beklagte trägt vor, dass es sich bei ihm um die ganz rechts ersichtliche Person in rotem Hemd und Lederhose handele.
3
Das Landgericht wies – nachdem die Parteien die erhobene negative Feststellungsklage übereinstimmend für erledigt erklärt hatten – mit Urteil vom 17.06.2024 die auf Unterlassung gerichtete Widerklage ab. Der Beklagte habe bereits nicht nachgewiesen, dass er überhaupt von der streitgegenständlichen Veröffentlichung betroffen sei. Darüber hinaus ergebe sich die Zulässigkeit der Bildveröffentlichung aus der Zeitgeschichtlichkeit der Aufnahme (§ 22, § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG).
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Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte in seiner Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Unterlassungsansprüche weiterverfolgt. Zur Begründung führt er insbesondere aus, dass das Landgericht es verfahrensfehlerhaft versäumt habe, ihn darauf hinzuweisen, dass er in Bezug auf seine Betroffenheit von der Veröffentlichung beweisfällig bleibe. Die Behauptung, er sei die Person rechts auf dem Bild, ersichtlich in rotem Hemd und Lederhose mit einer Trommel, habe er bereits in der Widerklageschrift aufgestellt. Bei der gebotenen Abwägung des Rechts auf Meinungsfreiheit/Pressefreiheit bzw. des Informationsinteresses mit dem Persönlichkeitsrecht des Berufungsklägers habe das Landgericht außer Acht gelassen, dass sich der streitgegenständliche Artikel überhaupt nicht mit der abgebildeten Demonstration an sich beschäftigt.
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Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
II.
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Die Berufung des Beklagten ist zur Überzeugung der Mitglieder des Senats vollumfänglich unbegründet, da der Beklagte gegen die Klägerin keinen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. § 22, § 23 KUG, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG auf Unterlassung der Wiedergabe des Bildes in dem Artikel „Pandemie-V. …“ habe. Zwar ist es für den Senat in Bezug auf die Betroffenheit des Beklagten nicht entscheidungserheblich, ob es sich bei ihm um die ganz links oder ganz rechts auf dem Foto gezeigte Person handelt, weil in beiden Fällen die Identifizierbarkeit der abgebildeten Person zu bejahen ist. Die Zugänglichmachung der Aufnahme ist jedoch durch § 23 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 KUG gerechtfertigt.
1. In rechtlicher Hinsicht geht der Senat von folgenden Grundsätzen aus:
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a) Die Zulässigkeit einer Bildveröffentlichung beurteilt sich nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG. Dabei steht der Anwendbarkeit der §§ 22, 23 KUG im hier betroffenen journalistischen Bereich die DSGVO nicht entgegen (BGH GRUR 2021, 100 Rn. 10 f. – Ehescheidung).
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b) Die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zuzuordnen ist, erfordert eine Abwägung zwischen den grundrechtlich geschützten Rechten des Abgebildeten und der Presse. Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse. Es gehört zum Kern der Pressefreiheit, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht und daher von ihr aufgegriffen werden soll. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt. Allerdings besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Es bedarf mithin einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen (BGH GRUR 2021, 106 Rn. 22 f. – G20-Gipfel).
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Wesentliches Abwägungskriterium ist der Informationswert der Berichterstattung. Ein abwägungsrelevanter Informationswert liegt vor, wenn die Berichterstattung einen Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse liefert oder sich mit Vorgängen von allgemeinem Interesse befasst, worunter auch Darstellungen zeittypischer Zustände und Lebenslagen fallen. Eine für den Informationswert bedeutsame Aussage kann dem Bild selbst innewohnen, was vorrangig zu prüfen ist (Wandtke/Bullinger/Fricke, 6. Aufl. 2022, KUG § 23 Rn. 16).
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Bei der vorzunehmenden Abwägung kann es auch auf die Aktualität des Ereignisses ankommen. Das Informationsinteresse an bestimmten Ereignissen und Personen kann sich im Laufe der Zeit ändern und auch enden, was im Einzelfall beurteilt werden muss. Dabei bereitet die Aktualität regelmäßig keine Probleme, wenn zur Bebilderung einer aktuellen Berichterstattung auf älteres kontextneutrales Bildmaterial zurückgegriffen wird (Wandtke/Bullinger/Fricke, a.a.O. § 23 Rn. 33).
11
c) Der Begriff der „Versammlungen, Aufzüge und ähnlichen Vorgänge“ i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG ist weit zu verstehen und nicht auf den verfassungsrechtlichen Versammlungsbegriff beschränkt (Dreier/Schulze/Specht-Riemenschneider, 7. Aufl. 2022, KUG § 23 Rn. 39). Er umfasst alle Ansammlungen von Menschen, die den kollektiven Willen haben, etwas gemeinsam zu tun, beispielsweise Demonstrationen (OLG München NJW 1988, 915 (916)).
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Voraussetzung für die zustimmungsfreie Abbildung und Verwertung von nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG privilegierten Fotografien ist grundsätzlich, dass die Versammlung insgesamt oder zumindest ein repräsentativer Ausschnitt hiervon als Vorgang gezeigt wird; nicht gedeckt ist dagegen, wenn einzelne oder mehrere Individuen herausgehoben werden (OLG Frankfurt MMR 2004, 683 (684) – Online-Fotoservice). Allerdings schließt die Erkennbarkeit eines einzelnen oder einzelner Abgebildeter allein die Ausnahme noch nicht aus; die Versammlung muss nicht insgesamt gezeigt werden, privilegiert ist vielmehr bereits ein repräsentativer Ausschnitt (OLG Hamburg GRUR 1990, 35 – Begleiterin). Daher dürfen einzelne Teilnehmer dargestellt werden, wenn durch die Aufnahmen die Charakteristik oder den Verlauf der Veranstaltung, die bildlich dokumentiert wird, beispielhaft verdeutlicht wird (Wanckel, Foto- und Bildrecht, 6. Aufl. 2023, Rn. 354).
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d) Eine Verletzung berechtigter Interessen nach § 23 Abs. 2 KUG kann beispielsweise gegeben sein, sein, wenn der Aussagegehalt der Abbildung verfälscht worden ist (vgl. BVerfG GRUR 2005, 500 (502) – Ron Sommer). Dabei kann unter Umständen zwar ausreichend sein, dass der Kontext des begleitenden Beitrags völlig sachfremd ist (vgl. OLG Hamburg AfP 2012, 166 zur Veröffentlichung eines auf dem Sommerfest des Bundespräsidenten entstandenen Fotos der Begleiterin eines Politikers anlässlich einer Reportage über Ermittlungen gegen diesen wegen falschen Flugkostenabrechnungen). Der Abgebildete muss jedoch keinen aktuellen Anlass für die Veröffentlichung seines Bildnisses geben; ein während einer Veranstaltung aufgenommenes Foto darf somit auch außerhalb dieses Kontextes veröffentlicht werden, wenn es der Personalisierung abstrakter Themen dient (BGH GRUR 2019, 866 – Eine Mutter für das Waisenkind, dort ausreichend, dass das Thema Vormundschaft allgemein behandelt wurde und die abgebildeten Personen Mündel und Vormund waren).
14
2. Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs handelt es sich bei der beanstandeten Aufnahme um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG) und von einer Versammlung, an welcher der Beklagte teilgenommen hat (§ 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG), deren Verbreitung kein berechtigtes Interesse des abgebildeten Beklagten verletzt (§ 23 Abs. 2 KUG).
15
Es handelt sich bei der Demonstration im Oktober 2022 gegen die damalige Corona-Politik der Bundesregierung um ein zeitgeschichtliches Ereignis § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG. Die Klägerin setzte das Foto in dem streitgegenständlichen Artikel „Pandemie-V. …“ kontextgerecht ein und zeigte den Beklagten, der sich freiwillig und in vorderster Reihe auf einer Corona-Demonstration – begleitet von Aussagen wie „Die Impfung wirkt! Todsicher!“ – präsentierte. Der Informationswert ergibt sich dabei auch aus der begleitenden Wortberichterstattung, die sich mit den Nachwirkungen der Diskussionen rund um die staatlichen Maßnahmen der Corona-Pandemie auseinandersetzt. Der Beklagte hat dabei selbst ganz bewusst Anlass gegeben, mit der im Bild gezeigten Musikkapelle im fraglichen Kontext als visueller Aufhänger für eine kritische Auseinandersetzung über die „ewige …“ herangezogen zu werden. Die Verwendung kontextgerechter und somit zwar nicht neutraler, aber dennoch inhaltlich passender Bilder ist im Zusammenhang mit einer zulässigen Wortberichterstattung nicht zu beanstanden. Die Veröffentlichung kontextgerechter Bildnisse ist vielmehr als Visualisierung eines in Textform berichteten zeitgeschichtlichen Ereignisses regelmäßig zulässig, wenn das Foto keinen eigenständigen Verletzungseffekt hat.
16
Die Demonstration ist auch als Versammlung i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG anzusehen. Der Beklagte musste, als er in der Öffentlichkeit an der Corona-Demonstration mit dem Ziel der kollektiven Meinungskundgabe teilnahm, damit rechnen, im Zuge der Berichterstattung abgebildet zu werden. Auch rückt die verwendete Abbildung keinen der Demonstrierenden als Person in den Fokus oder Vordergrund, sondern zeigt die Musikkapelle als Teil der Versammlung, wobei vor allem die öffentlichkeitswirksame Botschaft mit Skelett und dem Slogan „Die Impfung wirkt! TODSICHER“ die Bildaussage beherrscht. Der Beklagte trägt selbst vor, dass es sich bei ihm um die ganz rechts ersichtliche Person in rotem Hemd und Lederhose handele. Diese Person ist nicht als Individuum herausgehoben, sondern fügt sich in die Reihe der anderen Demonstrierenden in vorderster Reihe ein.
17
Überwiegende Interessen des Beklagten im Sinne von § 23 Abs. 2 KUG sind weder dargetan noch ersichtlich. Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen zum Informationswert der begleitenden Wortberichterstattung ergeben sich derartige Interessen insbesondere nicht aus der Tatsache, dass zwischen der Demonstration und der Veröffentlichung des Bildes ein Zeitraum von fünf bis sechs Monaten lag und nicht speziell diese Demonstration Gegenstand der Berichterstattung war. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass – wie das Landgericht zutreffend ausführte – die öffentliche Diskussion über die Bewertung sog. „Corona-Maßnahmen“ sowie über das Verhalten sog. „Querdenker“ in der Öffentlichkeit während dieses Zeitraums angedauert hat und selbst jetzt noch Aktualität hat. Das angegriffene Bild illustriert diese Thematik sowie die schon in der Überschrift des Meinungsartikels deutlich werdende These einer „ewigen“ im Sinne von nach dem Ende der Pandemiemaßnahmen noch anhaltenden „Wut“ der „C.“ durchaus anschaulich, indem es Demonstranten zeigt, die noch im Oktober 2022 mit dramatischer Symbolik und Wortwahl auf die von ihnen subjektiv wahrgenommene Gefährlichkeit von Impfungen aufmerksam machen wollen.
18
3. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
III.
19
Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, den Streitwert auf 10.000,00 € festzusetzen. Zwar haben die vorgerichtlichen Angaben des Beklagten in der Abmahnung eine Indizwirkung für die Bemessung des Streitwerts. Unter Berücksichtigung des Bildinhalts und des Artikels, der Tatsache, dass der Beklagte nicht namentlich benannt wurde, und dem Grad der Verbreitung hält der Senat einen Streitwert von 10.000,00 € für angemessen und ausreichend.
IV.
20
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.