Inhalt

LG München I, Endurteil v. 04.12.2024 – 21 O 14559/24
Titel:

Patentverletzung bei zweckgebundenem Stoffschutz aufgrund ärztlich bekannter Handhabe

Normenketten:
PatG § 3 Abs. 4, § 9 S. 2 Nr. 1, § 14, § 139 Abs. 1
EPÜ Art. 54 Abs. 5, Art. 64 Abs. 1
ZPO § 938 Abs. 1
SGB V § 129 Abs. 1, Abs. 2, § 130a Abs. 8
AMG § 48
ApBetrO § 17
Leitsatz:
Aufgrund der Listung der angegriffenen Produkte in der Lauer-Taxe zum ... 2024 besteht in Verbindung mit dem sozialgesetzlichen Substitutionsmechanismus gemäß § 129 SGB VII und der den Ärzten bekannten Handhabe, Nilotinib mit Apfelmus einzunehmen, die ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr, dass jedenfalls in bestimmten Situationen die angegriffene Ausführungsform patentverletzend eingesetzt werden wird. Wird Patienten der patentgemäße Wirkstoff aus den angegriffenen Produkten der Verfügungsbeklagten dispergiert in Apfelmus verabreicht, wird von sämtlichen Merkmalen des zweckgebundenen Stoffschutzes Gebrauch gemacht, so dass dann eine Patentbenutzung vorliegt. Hierfür ist die Verfügungsbeklagte patentrechtlich verantwortlich, weil sie alle Vorkehrungen zum Vertrieb der angegriffene Ausführungsform getroffen hat, ohne die erforderlichen (tenorierten) Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Schlagwort:
einstweilige Verfügung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München vom -- – 6 U 4098/24 e
Fundstellen:
MittdtPatA 2025, 169
LSK 2024, 38354
GRUR 2025, 316
GRUR-RS 2024, 38354
PharmR 2025, 248

Tenor

I. Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter zu vollstrecken ist und insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf,
zu unterlassen
Pyrimidylaminobenzamid der Formel (I)
 
in welcher Py 3-pyridyl bedeutet, R1 für Wasserstoff steht, R2 für 5-(4-Methyl1H-imidazol-1-yl)-3-(trifluormethyl)-phenyl steht und R4 für Methyl steht; oder ein pharmazeutisch akzeptables Salz desselben, für die Verwendung bei der Behandlung von chronischer myeloischer Leukämie (CML),
insbesondere in Form von Arzneimitteln enthaltend Nilotinib („Nilotinib X“),
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen, oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
ohne, dass der Abgabe und/oder Verwendung von Nilotinib X für die orale Verabreichung dispergiert in Apfelmus entgegengewirkt wird:
I.1 indem die Verfügungsbeklagte Open-House- und Rabattverträgen, die die Verabreichung dispergiert in Apfelmus (püriertem Apfel) nicht ausdrücklich ausschließen, nicht beitritt bzw. solche Verträge nicht abschließt und bestehende Verträge, die den vorbenannten Ausschluss nicht enthalten, kündigt;
I.2 indem die Verfügungsbeklagte spezifische Warnhinweise in den gängigen Datenbanken der „ADG Apotheken-Dienstleistungsgesellschaft mbH (ADG)”, „N H SE (Awinta)”, „L. F. GmbH (L. F.)” und „P. GmbH & Co. KG (Pharmatechnik)” für Apotheken sowie „H. GmbH & Co. KG (cgm)” und „M. GmbH & Co. KG (m.)” für Ärzte schaltet, in welchen die Anwender darauf hingewiesen werden, dass die Verwendung von Nilotinib X zur oralen Verabreichung dispergiert in Apfelmus aus pa-tentrechtlichen Gründen nicht erlaubt ist;
I.3 indem die Verfügungsbeklagte Großhändler bei der Bestellung von Nilotinib X vertraglich verpflichtet, bei jeder Weitergabe von Nilotinib X an ihre Abnehmer Warnhinweise beizulegen, in denen darauf hinge-wiesen wird, dass die Verwendung von Nilotinib X zur oralen Verabreichung dispergiert in Apfelmus aus patentrechtlichen Gründen nicht erlaubt ist;
I.4 indem die Verfügungsbeklagte bis zum Ablauf des Patentschutzes mindestens einmal alle sechs Monate Informationsschreiben mit dem nachfolgenden Inhalt an alle Fachärzte aus den Bereichen Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie in Deutschland versendet:
„Der Wirkstoff Nilotinib hat eine patentgeschützte Art der Anwendung: Für die orale Verabreichung des Wirkstoffs Nilotinib dispergiert in Apfelmus, unter anderem eingesetzt bei Patienten mit Schluckbeschwerden, besteht Patentschutz zugunsten der N.AG.
Tasigna® ist das einzige Nilotinib-Präparat, das aufgrund dieses bestehenden Patentschutzes dispergiert in Apfelmus verabreicht werden darf. Wenn Sie einen Patienten, der keine Hartkapseln schlucken kann, aus medizinischen Gründen mit einem Nilotinib-Präparat behandeln möchten, verordnen Sie bitte Tasigna® und schließen Sie die Substitution durch Apotheker ausdrücklich aus.“
und ohne dass die Verfügungsbeklagte in geeigneter Form schriftlich gegenüber der Verfügungsklägerin die Erfüllung der Verpflichtungen gemäß Ziffern I.1 bis I.4 nachweist.
II. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Verfügungsklägerin nimmt die Verfügungsbeklagte wegen behaupteter Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 2 501 384 in Anspruch.
2
Die Unternehmensgruppe der Verfügungsklägerin ist ein weltweit agierender Pharmakonzern mit Hauptsitz in Ba. .
3
Die Verfügungsklägerin ist Inhaberin des am 17.11.2010 angemeldeten, eine Priorität vom 17.11.2009 in Anspruch nehmenden, europäischen Patents 2 501 384 (im Folgenden: Verfügungspatent; Anlage FBD1, 12). Der Erteilungshinweis für das Verfügungspatent wurde am 17.02.2016 veröffentlicht. Das Patent ist für die Bundesrepublik Deutschland validiert und steht in Kraft.
4
Gegen das Verfügungspatent erhoben mehrere Einsprechende im November 2016 vor dem Europäischen Patentamt (EPA) Einspruch. Auf die mündliche Verhandlung vom 24.04.2018 widerrief die Einspruchsabteilung das Verfügungspatent mit Entscheidung vom 17.05.2018. Die Verfügungsklägerin erhob hiergegen Beschwerde. Die Technische Beschwerdekammer des EPA bestätigte in letzter Erteilungs-Instanz am 25.11.2022 die umfassende Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents (Anlage FBD13).
5
Anspruch 1 lautet in der maßgeblichen englischen Sprachfassung wie folgt:
„A pyrimidylaminobenzamide of formula (I)
 
wherein
Py denotes 3-pyridyl,
R 1 represents hydrogen,
R 2 represents 5-(4-methyl-1H-imidazol-1-yl)-3-(trifluoromethyl)-phenyl;
and R 4 represents methyl;
or a pharmaceutically acceptable salt thereof, for use in the treatment of chronic myeloid leukemia (CML), wherein the compound of formula (I) or a pharmaceutically acceptable salt thereof and, optionally, pharmaceutically acceptable carriers, is orally administered dispersed in apple sauce.“
6
Der Konzern der Verfügungsklägerin vertreibt in Deutschland das Arzneimittel Tasigna, das als einzigen aktiven Bestandteil den Wirkstoff Nilotinib enthält. Tasigna wird zur Behandlung von Philadelphia-Chromosompositiver chronischer myeloischer Leukämie („CML“) eingesetzt. Tasigna ist als „Tasigna® 50 mg Hartkapseln“, „Tasigna® 150 mg Hartkapseln“ und „Tasigna® 200 mg Hartkapseln“ verfügbar (Anlage FBD2). Der arzneiliche Wirkstoff Nilotinib in dem Arzneimittel Tasigna war bis zum Tag des Ablaufs am 04.07.2023 durch das europäische Patent 1 532 138 geschützt.
7
Die Fachinformation des Originalpräparats Tasigna enthält auf Seite 3 nachfolgende Passagen:
„Abschnitt 4.2 Dosierung und Art der Anwendung
Art der Anwendung
Tasigna sollte zweimal täglich im Abstand von etwa 12 Stunden eingenommen werden. Es darf nicht zusammen mit Nahrungsmitteln eingenommen werden. Die Hartkapseln sollten unzerkaut mit Wasser geschluckt werden. Zwei Stunden vor und mindestens eine Stunde nach Einnahme der Dosis soll der Patient nichts essen.
Für Patienten, die keine Hartkapseln schlucken können, kann der Inhalt der Hartkapsel mit einem Teelöffel Apfelmus (püriertem Apfel) vermischt werden und sollte sofort eingenommen werden. Es darf nicht mehr als ein Teelöffel Apfelmus und kein anderes Nahrungsmittel als Apfelmus verwendet werden (siehe Abschnitte 4.4 und 5.2).“
(Anlage FBD2)
8
Die Abschnitte 4.4 und 5.2 der Fachinformation ergänzen dahingehend:
„Abschnitt 4.4 Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung
Nahrungsmitteleinfluss
Die Bioverfügbarkeit von Nilotinib wird durch Nahrung erhöht. Tasigna darf daher nicht zusammen mit Nahrungsmitteln eingenommen werden (siehe Abschnitte 4.2 und 4.5); empfohlen wird die Einnahme 2 Stunden nach einer Mahlzeit. Nach der Einnahme soll der Patient mindestens eine weitere Stunde lang nichts essen. Grapefruitsaft und andere Lebensmittel, die nachweislich CYP3A4-hemmend wirken, sind zu vermeiden. Bei Patienten, die keine Hartkapseln schlucken können, kann der Inhalt jeder Hartkapsel mit einem Teelöffel Apfelmus vermischt werden und sollte sofort eingenommen werden. Es darf nicht mehr als ein Teelöffel Apfelmus und kein anderes Nahrungsmittel als Apfelmus verwendet werden (siehe Abschnitt 5.2).“
„Abschnitt 5.2 Pharmakokinetische Eigenschaften
Bioverfügbarkeits-/Bioäquivalenz-Studien
Die einmalige Gabe von 400 mg Nilotinib in Form von 2 Hartkapseln zu je 200 mg, wobei der Inhalt jeder Hartkapsel mit einem Teelöffel Apfelmus vermischt wurde, war bioäquivalent mit der einmaligen Gabe von 2 intakten Hartkapseln zu 200 mg.“
9
Die Verfügungsbeklagte ist ein ... Pharmaunternehmen ..., das sich auf den Vertrieb von Generika spezialisiert hat. ... . Sie stellt Generika und rezeptfreie apothekenpflichtige Arzneimittel her.
10
Die Verfügungsbeklagte hat am ... vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte („BfArM“) die arzneimittelrechtliche Marktzulassung für das hier streitgegenständliche Arzneimittel „Nilotinib X 50 mg Hartkapseln (MA-Nummer ...)“, „Nilotinib X 150 mg Hartkapseln (MA-Nummer ...)“ und „Nilotinib X 200 mg Hartkapseln (MA-Nummer ...)“ erhalten. Hierbei handelt es sich um die an-gegriffene Ausführungsform. Die angegriffene Ausführungsform beruht auf dem Referenzarzneimittel Tasigna.
11
Die Verfügungsklägerin bot dem Mutterkonzern der Verfügungsbeklagten, ..., mit Schreiben vom 06.07.2021 erfolglos eine nicht exklusive Lizenz an dem Verfügungspatent an (Anlage FBD4).
12
Mit Schreiben vom 31.07.2024 wies die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte auf das Verfügungspatent hin und bat um eine Kopie der Fach- und Gebrauchsinformation für die angegriffene Ausführungsform (Anlage FBD6).
13
Mit anwaltlichem Schreiben vom 07.08.2024 teilte die Verfügungsbeklagte mit, dass sie in ihrer Fach- und/oder Gebrauchsinformation die Einnahme mit Apfelmus nicht vorsehe. Zudem legte sie entsprechende Kopien der Fach- und Gebrauchsinformation bei (Anlagen FBD7 bis FBD9).
14
Mit Schreiben vom 22.08.2024 wies die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte unter anderem darauf hin, dass aus ihrer Sicht erhebliche Zweifel an der arzneimittelrechtlichen Zulässigkeit der von ihr gewählten Einschränkung der Fach- und Gebrauchsinformation im Kontext der Verabreichung bestünden. Zudem forderte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte auf, ihr mitzuteilen, auf welcher Basis die vorgenommene Änderung der Fach- und Gebrauchsinformation erfolgt sei und welche Maßnahmen sie jenseits der Änderung der Fach- und Gebrauchsinformation im Falle eines Markteintritts ergreifen werde, um eine Verwendung ihres NilotinibGenerikums in der verfügungspatentgeschützten Art der Verabreichung zu verhindern. Darüber hinaus bat die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte um Bestätigung, dass sie keinen Rabattvertrag abschließen werde, der die Verabreichungsbeschränkung nicht berücksichtige (Anlage FBD10).
15
In ihrer Antwort vom 06.09.2024 äußerte die Verfügungsbeklagte, dass sie von der arzneimittelrechtlichen Zulässigkeit ihrer Fach- und Gebrauchsinformation überzeugt sei, deren aktuelle Formulierung sei ausreichend zur Verhinderung der patentgeschützten Verabreichung (Anlage FBD11).
16
Die an die Ärzteschaft gerichtete Fachinformation der angegriffenen Ausführungsform lautet in den hier interessierenden Abschnitten:
„Abschnitt 4.2 Dosierung und Art der Anwendung
Art der Anwendung
Nilotinib X sollte zweimal täglich im Abstand von etwa 12 Stunden eingenommen werden. Es darf nicht zusammen mit Nahrungsmitteln eingenommen werden. Die Hartkapseln sollten unzerkaut mit Wasser geschluckt werden. Zwei Stunden vor und mindestens eine Stunde nach Einnahme der Dosis soll der Patient nichts essen.
Bei Patienten mit Schluckbeschwerden, einschließlich pädiatrischer Patienten, die nicht in de Lage sind, die Hartkapseln zu schlucken, sollten andere Arzneimittel mit Nilotinib anstelle von Nilotinib X angewendet werden.“
(Anlage FBD8)
17
In der an die Patienten gerichteten Gebrauchsinformation der angegriffenen Ausführungsform finden sich auf Seite 3 bzw. Seite 5 folgende Hinweise:
Seite 3:
„2. Was sollten Sie vor der Einnahme von Nilotinib X beachten?
Befolgen Sie alle Anweisungen Ihres Arztes genau, auch wenn sie von den Informationen in dieser Packungsbeilage abweichen.“
Seite 5:
„Einnahme von Nilotinib X zusammen mit Nahrungsmitteln und Getränken
Nilotinib X darf nicht zusammen mit Nahrungsmitteln eingenommen werden.
Nahrungsmittel können die Aufnahme von Nilotinib X und daher die Nilotinib X-Konzentration im Blut, möglicherweise bis zu einer gefährlichen Menge, erhöhen. Trinken Sie keinen Grapefruitsaft und essen Sie keine Grapefruits. Grapefruit kann die Menge von Nilotinib X im Blut erhöhen, möglicherweise auf ein schädliches Maß.“
(Anlage FBD9)
18
Auf der Seite 7 der Gebrauchsinformation der angegriffenen Ausführungsform findet sich folgender Hinweis:
„Wie müssen Sie Nilotinib X einnehmen?
Öffnen Sie die Hartkapseln nicht. Wenn Sie oder Ihr Kind nicht in der Lage sind, die Kapsel als Ganzes zu schlucken, sollten andere Arzneimittel mit Nilotinib anstelle von Nilotinib X angewendet wer-den.“
19
Im Rahmen des europäischen Marktzulassungsverfahrens für die angegriffene Ausführungsform agierte ... als verfahrensführender Mitgliedsstaat (sog. Reference Member State, RMS). Im Verlauf des Austauschs mit dem Antragsteller der Marktzulassung für die angegriffene Ausführungsform, ... äußerte die ... Gesundheitsbehörde Bedenken, dass Patienten das Produkt zusammen mit Nahrungsmitteln, insbesondere mit Apfelmus, einnehmen könnten. Auf die Bedenken hinsichtlich der Sicherheit des Generikums, reichte ... in-vitro-Daten ein, die durch Dispersionen in Apfelmus gewonnen wurden, zusammen mit Stabilitätsdaten, die die Bioäquivalenz mit dem Tasigna-Kapselinhalt belegen sollten. Dies geht aus einem Dokument mit dem Titel ... hervor (Anlage FBD15).
20
Die Behörde hinterfragte die Sicherheit des generischen Niloti-nib-Produkts bei gleichzeitiger Einnahme von Apfelmus, da „unabhängig von den Angaben in der Fach- und Gebrauchsinformation davon ausgegangen werden kann, dass dieses Produkt entsprechend verwendet wird.“
Als Reaktion auf die Bedenken argumentierte der Antragsteller im europäischen Zulassungsverfahren, dass die unter nüchternen Bedingungen mit der ganzen Kapsel durchgeführte Bioäquivalenzstudie ausreichend sei, „um die zusätzliche Verabreichungsform zu unterstützen, nämlich die Dispersion des Kapselinhalts in einem Teelöffel Apfelmus (pürierter Apfel).“ Er führte spezifische Experimente mit seinem Produkt in Kontakt mit Apfelmus durch, um dieses Argument weiter zu stützen (vgl. Anlage FBD15, S. 15, letzter Absatz ff.) und die Gleichwertigkeit der generischen und Referenzprodukte von Nilotinib gemäß § 3.6 der Klinischen Pharmakologie und Pharmakokinetik nachzuweisen (vgl. Anlage FBD15).
21
Als Antwort auf weitere Bedenken der ... Gesundheitsbehörde entgegnete der Antragsteller ... weiterführende Hinweise in der Fachinformation seien nicht erforderlich. Sicherheitsbedenken hinsichtlich einer möglichen Einnahme mit Apfelmus bestünden nicht:
„Although there is a clear instruction in the SmPC and Package leaflet that the capsules must be swallowed whole with water, there would be no safety or efficacy issue even in case the capsules are opened, and their content is administered with apple sauce (i.e. same with the reference product) for patients which are switched from Tasigna to the generic product.“
(Anlage FBD16 – Hervorhebung durch das Gericht)
22
Die Verfügungsklägerin hält die Streichungen und Änderungen der Fach- und Gebrauchsinformation im Vergleich zum Original-Präparat für arzneimittelrechtlich unzulässig und hat daher einen Drittwiderspruch gegen die Zulassung erhoben.
23
Die angegriffene Ausführungsform wurde erstmals am ... 2024 in der Lauer-Taxe gelistet. Hiergegen wendet sich die Verfügungsklägerin mit ihrem streitgegenständlichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 22.11.2024.
24
Nach den Angaben der Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2024 ist die angegriffene Ausführungsform derzeit in Deutschland zwar weiterhin gelistet, aber nicht lieferbar. Eine Nichtigkeitsklage gegen das Verfügungspatent hat die Verfügungsbeklagte bislang nicht erhoben.
25
Die Verfügungsklägerin trägt vor, die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung lägen vor. Sowohl ein Verfügungsanspruch wie auch ein Verfügungsgrund lägen vor und seien glaubhaft gemacht.
26
Die angegriffene Ausführungsform verletze Anspruch 1 des Verfügungspatents wortsinngemäß. Die von der Verfügungsbeklagten unter der Bezeichnung „Nilotinib X“ in Deutschland zugelassene und in der Lauer-Taxe gelistete angegriffene Ausführungsform mache von der durch den unabhängigen Hauptanspruch 1 des Verfügungspatents geschützten Lehre wortsinngemäß Gebrauch. Aufgrund der vorliegenden Umstände sei hinsichtlich der zu erwartenden Verwendung und Abgabe von „Nilotinib X“ davon auszugehen, dass es mit Sicherheit zu einer patentverletzenden cross-label-Verwendung der angegriffenen Ausführungsform, insbesondere bei Patienten mit Schluckbeschwerden, komme. Die angegriffene Ausführungsform verletze das Verfügungspatent auch ohne die ausdrückliche Erwähnung der durch das Verfügungspatent geschützten Art der Anwendung „mit Apfelmus“. Denn wegen des Substitutionsmechanismus des § 129 Abs. 1 SGB V komme es zwangsläufig zu einer patentverletzenden cross label-Verwendung des Generikums. Damit rechne auch die Verfügungsbeklagte, wie die Aussagen im Marktzulassungsverfahren zeigten.
27
Der Rechtsbestand des Verfügungspatents sei infolge der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer des EPA unzweifelhaft. Die gleichwohl von der Gegenseite vorgetragenen Rechtsbestandsangriffe überzeugten nicht. Die Interessenabwägung falle insgesamt zugunsten der Verfügungsklägerin aus. Der kartellrechtliche Mißbrauchseinwand greife nicht, ein wettbewerbsbehinderndes Verhalten läge nicht vor.
28
Die Verfügungsklägerin hat in der Antragsschrift vom 22.11.2024 folgende Anträge gestellt:
I. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist, zu unterlassen,
Pyrimidylaminobenzamid der Formel (I)
 
in welcher Py 3-pyridyl bedeutet, R1 für Wasserstoff steht, R2 für 5-(4Methyl-1H-imidazol-1-yl)-3-(trifluormethyl)-phenyl steht und R4 für Methyl steht; oder ein pharmazeutisch akzeptables Salz desselben, für die Verwendung bei der Behandlung von chronischer myeloischer Leukämie (CML),
insbesondere in Form von Arzneimitteln enthaltend Nilotinib („Nilotinib X“),
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen, oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
ohne, dass der Abgabe und/oder Verwendung von Nilotinib X für die orale Verabreichung dispergiert in Apfelmus entgegengewirkt wird:
I.1 indem die Antragsgegnerin Open-House- und Rabattverträgen, die die Verabreichung dispergiert in Apfelmus (püriertem Apfel) nicht ausdrücklich ausschließen, nicht beitritt bzw. solche Verträge nicht abschließt;
I.2 indem die Antragsgegnerin spezifische Warnhinweise in den gängigen Datenbanken der „ADG Apotheken-Dienstleistungsgesellschaft mbH (ADG)”, „N H SE (Awinta)”, „L F GmbH (Lauer Fischer)” und „PGmbH & Co. KG (Pharmatechnik)” für Apotheken sowie „H GmbH & Co. KG (cgm)” and „M GmbH & Co. KG (m)” für Ärzte schaltet, in welchen die Anwender darauf hingewiesen werden, dass die Verwendung von Nilotinib X zur oralen Verabreichung dispergiert in Apfelmus nicht zugelassen ist;
I.3 indem die Antragsgegnerin Großhändler bei der Bestellung von Nilotinib X vertraglich verpflichtet, bei jeder Weitergabe von Nilotinib X an ihre Abnehmer Warnhinweise beizulegen, in denen darauf hingewiesen wird, dass die Verwendung von Nilotinib X zur oralen Verabreichung dispergiert in Apfelmus nicht zugelassen ist;
I.4 indem die Antragsgegnerin bis zum Ablauf des Patentschutzes mindestens einmal alle sechs Monate Informationsschreiben mit dem nachfolgenden Inhalt an alle Ärzte aus den Bereichen Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie in Deutschland versendet: „Der Wirkstoff Nilotinib hat eine patentgeschützte und eine nicht patentgeschützte Art der Anwendung. Für die orale Verabreichung des Wirkstoffs Nilotinib dispergiert in Apfelmus, unter anderem eingesetzt bei Patienten mit Schluckbeschwerden, besteht Patentschutz zugunsten der N AG. Tasigna® ist das einzige Nilotinib-Präparat, das derzeit auf dem deutschen Markt erhältlich ist und dispergiert in Apfelmus verabreicht werden darf. Wenn Sie einen Patienten, der keine Hartkapseln schlucken kann, aus medizinischen Gründen mit einem Nilotinib-Präparat behandeln möchten, verordnen Sie bitte Tasigna® und schließen Sie die Substitution durch Apotheker in den genannten Fällen ausdrücklich aus.“
I.5 indem die Antragsgegnerin ein freiwilliges Schulungs- und Dokumentationsprogramm für Apotheker und Ärzte in Bezug auf die sichere Anwendung von Nilotinib X und den Ausschluss der Anwendung mit Apfelmus einrichtet;
und ohne dass die Antragsgegnerin in geeigneter Form schriftlich gegenüber der Antragstellerin die Erfüllung der Verpflichtungen gem. lit. I.1 bis I.5 nachweist.
29
In der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2024 hat die Verfügungsklägerin diese Anträge mit der Maßgabe gestellt, dass Ziffer I.1. auch die bereits geschlossenen Verträge der Antragsgegnerseite betreffen soll. Diese sollen gekündigt werden, wenn keine Maßnahmen ergriffen sind, um eine Verabreichung von Nilotinib in Apfelmus dispergiert zu verhindern. Bei Ziffer I.2/3 soll die Formulierung „nicht zugelassen“ ersetzt werden durch die Formulierung „aus patentrechtlichen Gründen nicht erlaubt“. Ferner soll in Ziffer I.4 die Formulierung „Ärzte aus den Bereichen …“ durch „Fachärzte aus den Bereichen …“ ersetzt werden.
30
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen;
hilfsweise,
die Beibringung einer Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Streitwerts zur Vollziehung einer etwaigen einstweiligen Verfügung anzuordnen.
31
Die Verfügungsbeklagte trägt vor, die Gefahr einer Verletzung des Verfügungspatents durch die angegriffene Ausführungsform bestehe nicht. Die patentgeschützte Verwendung betreffe ausschließlich die Verabreichung mit Apfelmus. Wie die Verfügungsklägerin selbst zugebe, sei ein sinnfälliges Herrichten der angegriffenen Ausführungsform zur patentgeschützten Verabreichung gerade nicht gegeben.
32
Aber auch eine Haftung der Verfügungsbeklagten wegen des angeblich zu erwartenden cross-label-use sei nicht festzustellen. Ungeachtet dessen, ob die Grundsätze des cross-label-use bei patentgeschützten Indikationen auch auf den hiesigen Fall der patentgeschützten Art der Verabreichung anwendbar seien, scheide eine Haftung aus, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen. Im hiesigen Fall verhalte sich die Fach- und die Gebrauchsinformation der angegriffenen Ausführungsform ausdrücklich zum konkreten Anwendungsfall der patentgeschützten Verabreichung mit Apfelmus, nämlich die Einnahme durch Patienten mit Schluckbeschwerden. Dies sei ein Unterschied zu den üblichen Fällen des cross-label-use, wo die geschützte Verwendung ausgeklammert werde („carve out“). Vorliegend werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Arzneimittel von Patienten mit Schluckbeschwerden nicht angewendet werden solle. Durch die Streichung der Verabreichung mit Apfelmus verbleibe es bei dem Grundsatz, dass das Arzneimittel nicht mit Nahrungsmitteln eingenommen werden dürfe. Die ausdrückliche Handlungsanweisung in der Fachinformation – anstelle eines Schweigens der Fach- und Gebrauchsinformation zu dem für die patentgeschützte Verabreichung maßgeblichen Anwendungsfall – sei ausreichend, um eine Patentverletzung zu vermeiden. Daher könne von einem „Ausnutzen der Verschreibungspraxis“ im Sinne der Rechtsprechung keine Rede sein.
33
Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Ärzte den eindeutigen Hinweisen in der Fach- und Gebrauchsinformation Folge leisteten. So gehe auch das Oberlandesgericht Düsseldorf davon aus, dass nach der Lebenserfahrung feststehe, dass der Arzt das betreffende Arzneimittel nur nach Maßgabe der jeweiligen konkreten Fachinformation verordnen werde. Für Streichungen von Indikationen oder Dosierungen in der Fach- und Gebrauchsinformation des Generikums im Vergleich zum Referenzarzneimittel schlussfolgere das Oberlandesgericht Düsseldorf daher, dass der Arzt das Generikum nicht für gestrichene bzw. nicht enthaltene Indikationen verschreiben werde (OLG Düsseldorf, Urteil vom 9. Januar 2019 – 2 U 27/18, GRUR 2019, 279). Sollte das wider Erwarten anders sein, sei das nicht der Verfügungsbeklagten zurechenbar. Dies gelte insbesondere deswegen, weil sie die verfügungspatentgeschützte Verabreichung in den Fach- und Gebrauchsinformationen ausgeschlossen habe.
34
Soweit die Verfügungsklägerin auf Angaben des Zulassungsverfahrens rekurriere sei anzumerken, dass es selbstverständlich sei, dass für eine generische Marktzulassung die Bioäquivalenz für alle Verabreichungsformen und die gleichen Nahrungsmittelwechselwirkungen im Vergleich zum Referenzprodukt erforderlich seien (vgl. Q& A der CMDh (Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures – Human) 8b).
35
Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, welchen Mehrwert die von der Verfügungsklägerin geforderten Maßnahmen liefern sollten.
36
Weiterhin sei das Verfügungspatent nicht rechtsbeständig. Die ihm zugrunde liegende Erfindung sei sowohl neuheitsschädlich getroffen als auch naheliegend.
37
Das Verhalten der Verfügungsklägerin sei überdies kartellrechtswidrig und verstoße gegen Art. 102 AEUV/ §§ 19 ff. GWB. Die Verfügungsklägerin sei als einziger Anbieter von Nilotinib marktbeherrschend und damit Normadressat dieser Regelungen. Der Umstand, dass die Verfügungsklägerin sich einerseits auf einen vermeintlichen Patentschutz berufe, und anderseits die gesetzlich vorgeschriebene Vermeidung einer entsprechenden Patentverletzung aufgrund vermeintlicher zulassungsrechtlicher Hürden im Wege des Drittwiderspruchs durchzusetzen versuche, stelle eine klare Behinderung der Verfügungsbeklagten durch den Missbrauch ihrer bislang patentrechtlich begründeten marktbeherrschenden Stellung dar.
38
Schließlich falle die Interessenabwägung zugunsten der Verfügungsbeklagten aus, da es sich bei den verfügungspatentgeschützten Anwendungsfällen im Vergleich zu den mittlerweile patentfreien Verwendungen um ganz geringe Fallzahlen handele. Diese rechtfertigten es nicht, der Verfügungsbeklagten den Vertrieb des patentfreien Wirkstoffs bis zur Einrichtung der von der Verfügungsklägerin geforderten Maßnahmen zu verbieten.
39
Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

40
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet. Die Verfügungsklägerin hat das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs (A.) und eines Verfügungsgrundes (B.) zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht.
A.
41
Der von der Verfügungsklägerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch besteht wegen drohender Patentverletzung. Die von der Verfügungsklägerin vorgeschlagenen Maßnahmen sind weit überwiegend veranlasst. Lediglich der Gegenstand von Antrag I.5 ist nicht erforderlich.
42
Die Listung der angegriffenen Ausführungsform in der Lauer-Taxe begründet aufgrund der hier vorliegenden Umstände des Falles eine Erstbegehungsgefahr der wortsinngemäßen Verletzung des Verfügungspatents.
43
I. Das Verfügungspatent betrifft mit der oralen Verabreichung des Wirkstoffs Nilotinib oder eines seiner pharmazeutisch akzeptablen Salze in Apfelmus dispergiert zur Behandlung der CML einen zweckgebundenen Stoffschutz zur Behandlung von durch Bcr-Abl, c-KIT, DDR1, DDR2 oder PDGF-R Kinaseaktivität vermittelten proliferativen Erkrankungen und anderen Krankheitszuständen. Die Verabreichung von Nilotinib dispergiert in Apfelmus ist insbesondere bei Personen von Vorteil, die Schwierigkeiten beim Schlucken von Hartkapseln haben (aufgrund ihres Alters oder aufgrund von anderen Schluckbeschwerden).
44
1. Bei CML handelt es sich um eine langsam fortschreitende Form der chronischen Leukämie, also einer myeloischen Erkrankung von Blutzellen. Sie wird durch eine genetische Veränderung verursacht. Diese Veränderung, bekannt als das Philadelphia-Chromosom, entsteht durch eine reziproke chromosomale Translokation, eine Art Chromosomenanomalie, die dadurch verursacht wird, dass sich Teile getrennter Chromosomen von ihren ursprünglichen Chromosomen lösen und – vereinfacht gesagt – „die Plätze tauschen“. Die Translokation findet in einer blutbildenden Stammzelle statt, wobei sich ein Teil des langen Arms von Chromosom 22 auf Chromosom 9 verschiebt und ein winziger Teil des langen Arms von Chromosom 9 (Abl) an die Bruchstelle (Bcr) auf Chromosom 22 anheftet. Das daraus resultierende Fusionsgen auf dem abnormen Chromosom 22 (dem „Philadelphia-Chromosom“) wird als „BCR-ABL“- Fusionsgen bezeichnet.
45
Dieses Fusionsgen produziert ein abnormales Enzym, die Tyrosinkinase, das das unkontrollierte Wachstum und die Vermehrung von weißen Blutkörperchen (Leukozyten) fördert. Dieses unkontrollierte Wachstum weißer Blutkörperchen führt zu einer stark erhöhten Anzahl abnormaler weißer Blutkörperchen im Blutkreislauf und im Knochenmark. Sie sind dann nicht in der Lage, Infektionen auf normale Weise zu bekämpfen und lebenswichtige Organfunktionen einschließlich der Produktion gesunder Blutzellen sind beeinträchtigt. Unbehandelt verläuft CML in drei Phasen: (1) einer chronischen Phase, (2) einer akzelerierten Phase und (3) einer sogenannten Blastenphase (Blastenkrise). Die Blastenkrise ist die schwerste Form der Erkrankung. Ohne Behandlung kann sie innerhalb weniger Wochen bis Monate zum Tod führen.
46
Die Verfügungspatentschrift führt aus, die Verbindung gemäß der Formel I, in der Py 3-Pyridyl bedeute, R1 für Wasserstoff stehe, R2 für 5-(4-Methyl1H-imidazol-1-yl)-3- (trifluormethyl)-phenyl stehe und R4 für Methyl stehe, sei unter dem internationalen Freinamen „Nilotinib“ bekannt. Nilotinib (4methyl-3-[4-(3-pyridinyl)-2-pyrimidinyl]amino]-N-[5-(4-methyl-1H-imidazol1-yl) -3-(trifluor-omethyl) phenyl]benz-amid) sei in Form seines Monohydrochlorid-Monohydrat-Salzes unter dem Markennamen Tasigna™ zugelassen und werde so vermarktet. Nilotinib ist ein ATPkompetitiver Inhibitor für Bcr-Abl und hemme auch c-Kit, DDR1, DDR2 und PDGF-R-Kinase-Aktivität in klinisch relevanten Konzentrationen; [0002].
47
Es habe sich herausgestellt, dass die gleichzeitige Verabreichung von Nilotinib mit Nahrung die Exposition der Probanden signifikant erhöhe (sog. food effect). In einer Studie habe nach einem fettreichen Frühstück die Gesamtexposition (AUC0-t) 82% betragen; die Cmax habe 112% betragen, während der Anstieg der Gesamtexposition (AUC0-t) nach einem leichten Frühstück und 30 Minuten vor der Einnahme 29% und die Cmax 55% betragen habe. In Anbetracht dieser Erkenntnisse werde empfohlen, Nilotinib nicht mit einer Mahlzeit einzunehmen, um die Auswirkungen der Nahrung auf die Bioverfügbarkeit von Nilotinib zu minimieren. Eine diesbezügliche Aussage sei beispielsweise in Abschnitt 4.2, 4.4 und 4.5 der SPC (Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels) der von der Europäische Arzneimittel-Agentur (EMEA) erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen von Tasigna enthalten. Die gleichzeitige Einnahme von Grapefruitsaft habe ebenfalls zu einer leichten Erhöhung der Nilotinib-Resorption geführt; so sei die Cmax um 60% gestiegen, die AUC um 29%; [0003].
48
Bestimmte Patienten, z.B. ältere oder pädiatrische Patienten, hätten manchmal Schwierigkeiten, Hartkapseln als Ganzes zu schlucken; [0004].
49
2. Hieraus ergibt sich die objektiv zu bestimmende Aufgabe des Verfügungspatents, für Patienten mit Problemen beim Schlucken der Hartkapseln eine alternative Darreichungsform für Nilotinib bereitzustellen. Für pädiatrische Patienten sei auch eine flexible Dosierung wünschenswert, um die Dosierung in Abhängigkeit vom Körpergewicht anzupassen; [0004].
50
3.Als Lösung stellt das Verfügungspatent den hier geltend gemachten Anspruch 1 vor, der sich entsprechend dem Vorschlag der Verfügungsklägerin wie folgt gliedern lässt:
„1. A pyrimidylaminobenzamide of formula (I)
 
wherein
1.1. Py denotes 3-pyridyl,
R1 represents hydrogen,
R2 represents 5-(4-methyl-1H-imidazol-1-yl)-3-(trifluoromethyl)-phenyl; and
R4 represents methyl; or a pharmaceutically acceptable salt thereof,
1.2 for use in the treatment of chronic myeloid leukemia (CML),
1.3 wherein the compound of formula (I) or a pharmaceutically acceptable salt thereof and, optionally, pharmaceutically acceptable carriers, is orally administered dispersed in apple sauce.“
51
Der erfinderische Beitrag des Verfügungspatents zum Stand der Technik besteht mithin darin, Nilotinib insbesondere bei Patienten mit Schluckbeschwerden in Apfelmus dispergiert oral zu verabreichen und somit eine ihnen zuvor verschlossene Therapie mit Nilotinib zu ermöglichen.
52
4. Mit der Merkmalsgruppe 1.3. beansprucht das Verfügungspatent eine besondere Verabreichungsform des Wirkstoffs Nilotinib, nämlich mit Apfelmus. Es handelt sich mithin um einen medizinischen Verwendungsanspruch in Form einer weiteren medizinischen Indikation gemäß Art. 54 Abs. 5 EPÜ, § 3 Abs. 4 PatG (vgl. Schacht, Therapiefreiheit und Patentschutz für die weitere medizinische Indikation, 1. Auflage 2014). Gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspricht das einem zweckgebundenen Stoffschutz, unabhängig davon, wie der Anspruchswortlaut formuliert ist (BGH GRUR 2016, 921 Rn. 83 – Pemetrexed mV auf BGH GRUR 2014, 461 – Kollagenase I). Der Schutzbereich des Verfügungspatentanspruchs ist gemäß Art. 69 EPÜ, § 14 PatG auf die Verwendung des Wirkstoffs Nilotinib zur Einnahme mit Apfelmus beschränkt (BGH GRUR 2016, 792 Rn. 85 – Pemetrexed; Haedicke/Timmann, in: dies., Handbuch des Patentrechts, 2. Auflage 2020, § 12 Rn. 174; Zorr, Der Schutzbereich von Patenten auf eine zweite medizinische Indikation im Falle eines cross-label-use, 1. Auflage 2018, Rn. 121; Bühler, Verantwortlichkeit und Haftung für die Verletzung von Second Medical Use Patenten, 1. Auflage 2022, Rn. 75 ff.).
II.
53
Es liegt Erstbegehungsgefahr für die Verletzung des Verfügungspatentanspruchs 1 vor. Aufgrund der Listung der angegriffenen Produkte in der Lauer-Taxe zum ... 2024 besteht in Verbindung mit dem sozialgesetzlichen Substitutionsmechanismus gemäß § 129 SGB VII und der den Ärzten bekannten Handhabe, Nilotinib mit Apfelmus einzunehmen, die ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr, dass jedenfalls in bestimmten Situationen die angegriffene Ausführungsform patentverletzend eingesetzt werden wird (vgl. Ziffer 1. bis 3.). Wird Patienten der patentgemäße Wirkstoff aus den angegriffenen Produkten der Verfügungsbeklagten dispergiert in Apfelmus verabreicht, wird von sämtlichen Merkmalen des zweckgebundenen Stoffschutzes Gebrauch gemacht, so dass dann eine Patentbenutzung vorliegt. Hierfür ist die Verfügungsbeklagte patentrechtlich verantwortlich, weil sie alle Vorkehrungen zum Vertrieb der angegriffene Ausführungsform getroffen hat, ohne die erforderlichen (tenorierten) Schutzmaßnahmen zu ergreifen (vgl. Ziffer 4.).
54
1. Eine Erstbegehungsgefahr ist die ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr einer erstmaligen Rechtsverletzung (BGH GRUR 2015, 603 Rn. 17 – Keksstangen; BGH GRUR 2010, 1103 Rn. 23 – Pralinenform II; BGH GRUR 2008, 912 Rn. 17 – Metrosex; BGH GRUR 1970, 358 – Heißläuferdetektor; Grabinski/Zülch/Tochtermann, in: Benkard, PatG, 12. Auflage 2023, § 139 Rn. 28; Werner, in: Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Auflage 2020, § 139 Rn. 77). Sie muss objektiv gegeben sein und ist vom Kläger zu beweisen. Eine Patentverletzung braucht noch nicht vorzuliegen; es genügt, dass Tatsachen gegeben sind, die die ernsthafte Besorgnis künftiger Verletzungshandlungen rechtfertigen.
55
2. a) Die von der Kammer angenommene Erstbegehungsgefahr folgt nicht aus der aus der von der Verfügungsbeklagten beantragten Zulassung der angegriffenen Produkte. Denn eine Gefahr für eine erstmalige Patentverletzung ist noch nicht durch die Beantragung der arzneimittelrechtlichen Marktzulassung für ein Generikaprodukt gegeben (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 241 – HIV-Medikament; Werner in: Busse/Keukenschrijver, 9. Auflage 2020, § 139 Rn. 77).
56
b) 56 Die Erstbegehungsgefahr folgt gleichfalls nicht – wie die Parteien zutreffend annehmen – aus einem sinnfälligen Herrichten der angegriffenen Gegenstände seitens der Verfügungsbeklagten.
57
Sinnfälliges Herrichten ist das Bereitstellen eines Arzneimittels zur Verwendung für den patentgeschützten therapeutischen Zweck durch eine auf den speziellen Verwendungszweck abgestellte Formulierung, Konfektionierung, Dosierung, Umverpackung oder durch eine der Sache beigegebene Gebrauchsanleitung (so bereits OLG München NJW-RR 1999, 269 – Buspiron; OLG Düsseldorf GRUR 2017, 1107, Rz. 39 – Östrogenblocker). Erforderlich ist, dass das beschriebene Produkt in erkennbarer Weise auf den patentgeschützten Verwendungszweck ausgerichtet wird, so dass für den Abnehmer erkennbar ist, dass der Gegenstand in der patentgemäßen Weise eingesetzt werden soll (OLG München, a.a.O.).
58
Die angegriffene Ausführungsform ist nicht sinnfällig für die verfügungspatentgemäße Verwendung hergerichtet. Zwar verwirklicht die angegriffene Ausführungsform die Merkmale 1.1 und 1.2 des Verfügungspatents. Sie verwirklicht die Merkmalsgruppe 1.3 aber nicht. Hierfür wäre erforderlich, dass sie wie das Originalpräparat in der Fach- und Gebrauchsinformation die Einnahme mit Apfelmus vorsieht und damit sinnfällig für die Verwendung mit diesem verfügungspatentgemäßen Merkmal herrichtet. Das ist allerdings nicht der Fall, weil die angegriffene Ausführungsform weder in der an das medizinischen Fachpersonal gerichteten Fachinformation noch in der an die Patienten gerichteten Gebrauchsinformation den Hinweis oder gar die Aufforderung enthält, das Arzneimittel mit Apfelmus einzunehmen. Im Gegenteil weisen beide Informationsblätter deutlich darauf hin, den Wirkstoff Nilotinib nicht mit Nahrungsmittel und damit auch nicht mit Apfelmus einzunehmen. Zudem wird von einem Öffnen der Hartkapseln abgeraten und bei Schwierigkeiten, die Hartkapsel zu schlucken, auf ein anderes Arzneimittel mit Nilotinib verwiesen.
59
3. Die ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Benutzung des zweckgebundenen Stoffschutzpatents durch Herstellen, Anbieten und Inverkehrbringen der angegriffenen Produkte besteht hier aufgrund der spezifischen Ausgestaltung des deutschen Gesundheitswesens sowie des Wissens der behandelnden Ärzte um die Verabreichungsmöglichkeit von Nilotinib mit Apfelmus.
60
a) Der hier relevante Bereich des deutschen Gesundheitswesens betrifft die gesetzlich vorgegebene Erstattung der Arzneimittelkosten durch die gesetzlichen Krankkassen, bei denen die weit überwiegende Mehrheit der Krankenversicherten in Deutschland Mitglied sind. Geregelt wird die Erstattung der Arzneimittelkosten im SGB V.
61
Dieses sieht in § 129 Abs. 1 Nr. 1 die Pflicht von Apotheken zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels vor, wenn a) der verordnende Arzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder b) die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat. Hat die Krankenkasse des betreffenden Patienten einen Rabattvertrag im Sinne des § 130a Abs. 8 SGB V mit einem pharmazeutischen Unternehmen geschlossen, ist der Apotheker nach § 129 Abs. 2 SGB V in Verbindung mit § 4 des Rahmenvertrags verpflichtet, das preisgünstigere Arzneimittel abzugeben (vgl. Zorr, a.a.O., Rn. 174). Der Abschluss eines Rabattvertrags gemäß § 130a Abs. 8 SGB V führt zu einer quantitativen Ausweitung des Substitutionsmechanismus (Gaßner GuP 2021, 148, 149).
62
§ 129 SGB V implementiert somit einen Substitutionsmechanismus für Arzneimittel. Das preisgünstigere Arzneimittel ist typischerweise ein kostengünstigeres Generikum, das denselben Wirkstoff wie das – zumeist patentgeschützte – Originalpräparat enthält. Der Gesetzgeber des § 129 Abs. 1 S. 1 SGB V hat damit bewusst einen Mechanismus zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt. In der Begründung des Gesetzes zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz-AABG) vom 15. 02. 2002 (BGBl. I S. 684) heißt es:
„Gegenwärtig machen die Ärzte von der Möglichkeit, dem Apotheker die Auswahl eines preisgünstigen, wirkstoffgleichen Arzneimittels zu überlassen, unzureichend Gebrauch. Auf Grund dessen bleiben in diesem Marktsegment vorhandene Wirtschaftlichkeitsreserven ungenutzt. Die vorliegende Regelung stellt daher eine Umkehr des bisherigen Regel-Ausnahmeverhältnisses dar“.
(Drucksache 14/7144) zu § 73 Abs. 5 SGB V (B. Artikel 1, Nr. 1)
63
Der gesetzlich vorgeschriebene Substitutionsmechanismus wird nur dann unterbunden, wenn der Arzt auf dem Rezept das sogenannte „aut-idemKreuz“ setzt (vgl. eingehend Zorr, a.a.O., Rn. 197 ff.). Das ist vor dem Hintergrund von § 48 AMG bzw. § 17 V Abs. 1 ApBetrO zu sehen, wonach der Arzt die alleinige Entscheidungskompetenz über das zu verabreichende Arzneimittel hat und dem Apotheker die Abgabe eines anderen Arzneimittels grundsätzlich verboten bzw. nur bei ärztlicher Erlaubnis gestattet ist. Mit Setzen des „aut-idem-Kreuzes“ wird dem Apotheker vom Arzt untersagt, den Substitutionsmechanismus anzuwenden. Der Apotheker darf in diesem Fall das verordnete Arzneimittel nicht gegen ein preisgünstigeres wirkstoffgleiches Generikum austauschen.
64
Das aut-idem-Kreuz wird in der ärztlichen Praxis allerdings nur selten gesetzt (Gaßner PharmR 2020, 105, 107). Denn Ärzte werden durch vielerlei Vorgaben und Anreize angehalten, eine Substituierung zu ermöglichen (Axer in: Becker/Kingreen, SGB V, 9. Aufl. 2024, § 129 Rn. 21). Die Verschreibung eines Originalpräparates kann sich unmittelbar auf das Budget des Arztes auswirken. Denn er trägt die Kostenverantwortung (Hess in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 116. EL Sept. 2021, SGB V § 129 Rn. 3; Gaßner, ebd.; Barth in: Spickhoff, Medizinrecht, 4. Auflage 2022, SGB V § 129 Rn. 7). Leistungen müssen nicht nur ausreichend, sondern auch zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot liegt unter anderem vor, wenn das aut-idem-Kreuz gesetzt wurde, obwohl kein medizinisch begründeter zwingender Einzelfall vorliegt. Zwar obliegt die Entscheidung, ob und welche Gründe aus medizinischer Sicht einen solchen Einzelfall rechtfertigen, dem behandelnden Arzt. Indes sind allgemeingültige Gründe in der Regel ungeeignet, einen medizinisch begründeten Ausnahmefall bzw. ein aut-idem-Kreuz zu rechtfertigen. Leistungen, die als nicht notwendig bzw. unwirtschaftlich angesehen werden, werden von den gesetzlichen Krankenkassen im Folgenden nicht bewilligt bzw. deren Kosten nicht übernommen. Der ärztliche Ausschluss der Substitutionsmöglichkeit kann somit eine Vergütungskürzung oder Regressforderungen seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen nach sich ziehen (Schäffner GRUR 2018, 449, 450). Ferner sieht § 73 VIII SGB V vor, dass
„zur Sicherung der wirtschaftlichen Verordnungsweise die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sowie die Krankenkassen und ihre Verbände die Vertragsärzte auch vergleichend über preisgünstige verordnungsfähige Leistungen und Bezugsquellen, einschließlich der jeweiligen Preise und Entgelte zu informieren sowie nach dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse Hinweise zu Indikation und therapeutischen Nutzen zu geben haben“.
Auch von dieser Seite besteht somit Druck auf die Ärzte, den Substitutionsmechanismus anzuwenden.
65
Umgekehrt kann der Arzt sogar mittelbar von der Verordnung eines Generikums profitieren, weil er gegebenenfalls einen Bonus bekommt, wenn er im Rahmen eines Arzneimittelsteuerungssystems bestimmte Generikaquoten oder sonstige Verordnungsvorgaben einhält (Gaßner, a.a.O., 110).
66
Ein Apotheker, der aufgrund vertragsärztlicher Verordnung anstelle eines Rabattvertragsarzneimittels ein anderes Arzneimittel abgibt, handelt sogar pflichtwidrig, so dass ihm weder ein Vergütungsanspruch noch ein Anspruch auf Ersatz des Werts oder der Beschaffungskosten des abgegebenen Arzneimittels zusteht (Hess in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, a.a.O., SGB V § 129 Rn. 5.).
67
Der sozialrechtliche Substitutionsmechanismus bewirkt mithin, dass ein Generikum auch für patentgeschützte therapeutische Verwendungen abgegeben wird (vgl. Haedicke/Timmann, a.a.O., Rn. 191; Gaßner PharmR 2020, 105; Zorr, a.a.O., Rn. 166 ff.). Patentrechtliche Aspekt spielen hierbei keine Rolle.
68
In der patentrechtlichen Rechtsprechung der Düsseldorfer Gerichte ist daher aus Sicht der hiesigen Kammer völlig zu Recht anerkannt, dass ein Generikaanbieter auch dann eine Patentverletzung begeht, wenn sein Arzneimittel nicht sinnfällig für die Patentverletzung hergerichtet gerichtet ist, aber (1) für den patentgemäßen therapeutischen Zweck objektiv geeignet ist und (2) sich Umstände zunutze macht, die in ähnlicher Weise wie ein sinnfälliges Herrichten zu einem patentgemäßen Gebrauch führen (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2019, 337 Rn. 48 – Fulvestrant; PharmaR 2018, 306; GRUR 2017, 1107 Rn. 39 – Östrogenblocker).
69
b)  Es besteht die ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Verfügungspatents benutzt wird.
70
Vorliegend sind die Ärzte mit Arzneimitteln, die den Wirkstoff Nilotinib enthalten, bereits seit langem vertraut. Der arzneiliche Wirkstoff Nilotinib in dem Arzneimittel Tasigna war bis zum Tag des Ablaufs am 04.07.2023 durch das europäische Patent 1 532 138 geschützt. Entsprechend lange ist der hier relevanten Ärzteschaft die Verwendung des Wirkstoffs zur Behandlung von CML bekannt.
71
CML behandelnde Ärzte kennen nicht nur dem Wirkstoff Nilotinib, sondern auch dessen Verabreichung aufgrund der jahrlangen Praxis gut. Die informierte Ärzteschaft weiß z.B. aufgrund der Fachinformationen des Originalprodukts, dass Nilotinib mit Apfelmus eingenommen werden darf. Ärzten, die einen an CML leidenden Patienten behandeln, der Probleme mit dem Schlucken von Hartkapseln hat, ist daher die Verabreichung von Nilotinib mit Apfelmus bekannt. Dies gehört zu ihrem Erfahrungswissen. Dieses bzw. diese Form der Verabreichungsmöglichkeit ist jedoch allein das Verdienst der Verfügungsklägerin. Entsprechend hat sie ein Patent auf die Verwendung von Nilotinib zur Behandlung von CML mit Apfelmuss in Form des Verfügungspatents erhalten.
72
Dass der betreffende Arzt dennoch seinem CML-Patienten mit Schluckbeschweren einzig das vom Verfügungspatent geschützte Originalpräparat verschreibt, indem er das aut-idem-Kreuz auf dem Rezept setzt, ist nicht plausibel, erscheint praxisfern und widerspricht den Erfahrungen der Kammermitglieder bei der Verordnung anderer Medikamente.
73
Aufgrund der aufgezeigten Mechanismen ist vielmehr konkret damit zu rechnen, dass Ärzte gegenüber CML-Patienten mit Schluckbeschwerden das ihnen bekannte, aber mittlerweile patentfreie Nilotinib verschreiben und ihre Patienten anweisen, es mit Apfelmus einzunehmen. Es besteht für sie gar kein Anlass und auch kein Anreiz, ihr Budget dadurch zu belasten, ein patentgeschütztes Arzneimittel zu verschreiben. Einen finanziellen Vorteil haben sie hierdurch nicht. Einen therapeutischen Unterschied gibt es ebenfalls nicht. Dem Arzt ist bewusst, dass ein herkömmliches Generikum wie die angegriffene Ausführungsform im Gegensatz zu einem Biosimiliar die absolut identischen Eigenschaften wie das Referenzarzneimittel aufweisen muss, da es andernfalls nicht auf die arzneimittelrechtlich erforderlichen Unterlagen des Referenzarzneimittels zurückgreifen kann und dann arzneimittelrechtlich nicht genehmigungsfähig ist. Wie das Zulassungsverfahren für die angegriffene Ausführungsform gezeigt hat, wird die Bioverfügbarkeit von Nilotinib durch die Vermischung mit Apfelmus nicht beeinträchtigt und es bestehen keine Risiken im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Kristallform im Testprodukt im Vergleich zum Referenzprodukt. Auch das ist der Ärzteschaft jedenfalls abstrakt bekannt.
74
Medizinisch ist es nicht indiziert, das aut-idem-Kreuz zu setzen. Die angegriffenen Produkte stimmen mit dem Originalpräparat überein. Sie sind zu diesem nicht nur hinsichtlich des Wirkstoffs, sondern auch sonst (wegen der unterschiedlichen Kristallform) nahezu identisch. Sie unterscheiden sich nicht in den Indikationen. Aufgrund dieser Übereinstimmung von Original und Generikum braucht der CML behandelnde Arzt bei der Verordnung von Nilotinib nicht mit Besonderheiten des Generikums zu rechnen, sondern wird zutreffend annehmen, dass dieses eine 1:1-Kopie des Originalpräparats ist, das er bereits kennt.
75
Wenn der Arzt die Informationen der Verfügungsbeklagten lesen würde, geben diese keine medizinischen Gründe an, warum das angegriffene Generikum in Abweichung zum Originalpräparat die Einnahme zusammen mit einem Teelöffel Apfelmus ausschließt. Da behandelnde Ärzte das Original kennen, wird sich angesichts der beschriebenen 1:1-Übreinstimmung aller Voraussicht nach nicht ein nicht unerheblicher Teil über die Vorgaben in den entsprechenden Informationen hinwegsetzen und die Einnahme von Nilotinib zusammen mit Apfelmus aufgrund der dargestellten ökonomischen Umstände trotzdem anordnen.
76
Auch rechtlich sind Ärzte nicht gehalten, das patentgeschützte Arzneimittel zu verordnen. Zum einen ist bereits fraglich, ob sie überhaupt um den Patentschutz wissen. Zum anderen erfüllt das Verschreiben eines Arzneimittels zusammen mit der Weisung der Einnahme keinen Tatbestand des § 9 PatG (vgl. hierzu Bühler, a.a.O., Rn. 421 ff.; Zorr, a.a.O., Rn. 139 ff., die jedoch ebenfalls auch auf die faktischen Schwierigkeiten einer patentrechtlichen Inanspruchnahme von Ärzten bei cross-label-use hinweist).
77
Dies alles gebietet es dem Arzt also, bei Verschreibung von Nilotinib an einen CML-Patienten mit Schluckbeschwerden das aut-idem-Kreuz nicht zu setzen und stattdessen die Anweisung zu erteilen, das Nilotinib-Generikum – entgegen der Gebrauchsinformation – mit Apfelmus einzunehmen. Das betrifft besonders, aber nicht abschließend, die Fälle, in denen der Patient zuvor bereits mit Tasigna behandelt worden ist und seine Therapie nun fortgesetzt werden soll. Der Arzt ist hierzu geradezu herausgefordert (zur Herausforderung vgl. auch OLG Düsseldorf GRUR 2019, 279 Rn. 44 – Fulvestrant).
78
c) Die Verfügungsbeklagte hat durch das Listen ihrer angegriffenen Ausführungsform in der Lauer-Taxe eine ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr der Verletzung des Verfügungspatents geschaffen. Denn wenn die angegriffene Ausführungsform mit Apfelmus verabreicht werden wird, verwirklicht sie alle Merkmale des Verfügungspatents. Dass die angegriffene Ausführungsform derzeit nicht erhältlich ist, ist unschädlich. So ist etwa im Markenrecht im Regelfall zu vermuten, dass auf Grund der Anmeldung eines Zeichens als Marke eine Benutzung des Zeichens für die eingetragenen Waren oder Dienstleistungen in naher Zukunft bevorsteht, wenn keine konkreten Umstände vorliegen, die gegen eine solche Benutzungsabsicht sprechen (BGH 2004, 600, 601 – d-cfix/CD-FIX). Die drohende Benutzung für die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen kann dann die drohende Gefahr der Verletzung eines mit der Marke identischen oder ihr ähnlichen Kennzeichens nach §§ 14 Abs. 1 und 2, 15 Abs. 2 MarkenG begründen. Nichts anders kann im vorliegenden Fall gelten. Dies auch insbesondere deswegen, weil die Verfügungsbeklagte bereits Rabattverträge mit Krankenkassen hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform geschlossen hat und nicht zu vermuten steht, dass sie diese nicht erfüllen wird.
79
Diese ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr ist wegen des aufgezeigten sozialrechtlichen Substitutionsmechanismus (vgl. oben a) und der Umstände des hiesigen Einzelfalls (vgl. oben b) auch spezifisch. Da zudem damit zu rechnen ist, dass die Verfügungsbeklagte jederzeit ihre angegriffene Ausführungsform nicht nur über die Lauer-Taxe anbietet, sondern auch tatsächlich ausliefert, ist die Patentverletzungsgefahr zudem unmittelbar bevorstehend. Bei natürlicher Betrachtung der Umstände kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Gefahr der verfügungspatentgemäßen Verwendung lediglich abstrakt ist. Es ist vielmehr konkret zu erwarten, dass die angegriffene Ausführungsform vorliegend patentverletzend verwendet wird. Damit besteht Erstbegehungsgefahr.
80
d) Die hiergegen vorgebrachten Argumente der Verfügungsbeklagten verfangen nicht.
81
aa) Die Verfügungsbeklagte meint, anders als bei herkömmlichen Fällen des sogenannten cross-label-use werde dieser gerade ausdrücklich in den Fach- und Gebrauchsinformationen ausgeschlossen. Die klassischen Fälle des cross-label-use zeichneten sich dadurch aus, dass für das generische Präparat eine patentrechtlich geschützte Indikation aus der Fach- und Gebrauchsinformation gestrichen werde (sogenannter Carveout), das Präparat aber gleichwohl für diese Indikation verschrieben und verwendet werde. Der hiesige Fall unterscheide sich von diesen Fällen dadurch, dass hier keine patentgeschützte Indikation vorliege, sondern eine patentgeschützte Art der Verabreichung.
82
Unabhängig davon, lägen die Voraussetzungen für eine Haftung wegen cross-label-use nicht vor. Bei einem klassischen cross-label-use werde die patentgeschützte Indikation beim generischen Präparat aus der Fach- und Gebrauchsinformation ersatzlos gestrichen. Eine Auseinandersetzung mit der patentgeschützten Indikation finde sich in der Fach- und Gebrauchsinformation nicht. Hierdurch werde regelmäßig ein cross-label-use provoziert, wenn das Generikaunternehmen die Verschreibungspraxis kenne und erwarte. Stehe die Fach- und Gebrauchsinformation der bisherigen Verschreibungspraxis nicht entgegen, könne grundsätzlich angenommen werden, dass Ärzte weiterhin so handelten, wie sie es gewohnt seien.
83
Im hiesigen Fall verhielten sich die Fach- und Gebrauchsinformation der angegriffenen Ausführungsform jedoch ausdrücklich zum konkreten Anwendungsfall der patentgeschützten Verabreichung mit Apfelmus. Für diesen Fall werde darauf hingewiesen, dass das Arzneimittel überhaupt nicht angewendet werden solle. Auch werde explizit betont, dass keinerlei Nahrungsmittel, also auch nicht Apfelmus, mit dem Arzneimittel eingenommen werden sollten.
84
Aufgrund der eindeutigen Hinweise in der Fach- und Gebrauchsinformation sei davon auszugehen, dass diesen Folge geleistet werde. Das OLG Düsseldorf habe in einem vergleichbaren Fall entschieden, dass nach der Lebenserfahrung feststehe, dass der Arzt das betreffende Arzneimittel nur nach Maßgabe der jeweiligen konkreten Fachinformation verordnen werde. Für Streichungen von Indikationen oder Dosierungen in der Fach- und Gebrauchsinformation des Generikums im Vergleich zum Referenzarzneimittel schlussfolgere das Gericht, der Arzt werde das Generikum nicht für gestrichene bzw. nicht enthaltene Indikationen verordnen (OLG Düsseldorf GRUR 2019, 279). Dementsprechend sei – erst recht – anzunehmen, dass der Arzt dem Patienten keine den Fach- und Gebrauchsinformationen abweichenden Anweisungen geben werde.
85
bb)  Dem vermag die Kammer nicht beizutreten:
86
Dass kein klassischer Fall des cross-label-use vorliegt, ist per se kein Argument gegen die Annahme einer Erstbegehungsgefahr (vgl. zum crosslabel-use Zorr, a.a.O., Rn. 86 ff.). Die Kammer stützt ihr Urteil – anders als die Düsseldorfer Rechtsprechung – auch nicht auf Wiederholungsgefahr. Deswegen können tatrichterliche Feststellungen zu bereits erfolgten patentgemäßen Verwendungen unterbleiben.
87
Anders als die Verfügungsbeklagte meint, steht die Düsseldorfer Rechtsprechung zum cross-label-use der Annahme einer Erstbegehungsgefahr im vorliegenden Fall nicht entgegen. Der Verweis des OLG Düsseldorf in seiner von der Verfügungsbeklagten zitierten Entscheidung „Fulvestrant“ (GRUR 2019, 279) auf die Beachtung der Fachinformation durch den Arzt widerspricht der Annahme der Erstbegehungsgefahr hier nicht.
88
Insofern zutreffend führt das OLG Düsseldorf darin aus, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass Ärzte ihren Patienten Arzneimittel nur entsprechend der betreffenden Fachinformation verschreiben. Gleichzeitig erkennt das Gericht aber, dass es davon abweichend zu einem cross-label-use kommen kann. Zwar weist es die Klage der Patentinhaberin ab. Dies geschieht aber nicht deswegen, weil Ärzte stets die Fachinformationen beachten und deswegen ein cross-label-use grundsätzlich nicht existiert. Das OLG Düsseldorf verneint den Unterlassungsanspruch der Patentinhaberin, weil angesichts der von der Klägerin aufgezeigten Zahlen die zur Erfindungsbenutzung führende Verschreibungspraxis vereinzelt und keinesfalls in einem Umfang geschieht, dass er der Beklagten hätte auffallen müssen (a.a.O., Rn. 49). Damit stellt es aber gleichzeitig fest, dass es zu einer – wenn auch geringfügigen – Verschreibung cross-label und damit entgegen der Fachinformation durch die Ärzteschaft gekommen ist. Dass Fachinformationen nur geringen Einfluss auf das ärztliche Verordnungsverhalten haben, bestätigt auch Bühler, a.a.O., Rn. 382 mit zahlreichen Nachweisen.
89
Dass die Fach- und Gebrauchsinformation der angegriffenen Ausführungsform ausdrücklich die Einnahme mit Nahrungsmitteln ausschließen und Patienten mit Schluckbeschwerden empfehlen, ein anderes Nilotinib-Präparat zu wählen, hindert das Bestehen einer Erstbegehungsgefahr nicht. Denn es – wie bereits aufgezeigt – ist dem informierten Arzt aufgrund der Forschungen der Verfügungsklägerin bekannt, dass Nilotinib sehr wohl mit Apfelmus eingenommen werden kann. Dass er dieses Wissen nutzt und gleichzeitig ohne weiteren Anlass das patentgeschützte Produkt der Verfügungsklägerin durch Setzen des aut-idem-Kreuzes verschreibt, ist lebensfremd.
90
Im Unterschied zu anderen Fällen des cross-label-use verschreibt der Arzt im hiesigen Fall auch kein Arzneimittel für eine zwar arzneimittelrechtlich zugelassene Indikation des Originalprodukts, die für das verschriebene Produkt aber ausgeklammert wurde (carve-out). Er bleibt mit der Verschreibung des Generikums der Verfügungsbeklagten innerhalb der erteilten Indikation und ergänzt diese nur um eine – wenn auch patentgeschützte – Art der Verabreichung. Dies spricht nicht gegen, sondern im besonderen Maße für die ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr einer entsprechenden Verschreibungspraxis.
91
Soweit die Verfügungsbeklagte weiter kritisiert, die Verfügungsklägerin habe ihre Behauptung der fachinformationswidrigen Verschreibung nicht glaubhaft gemacht, kann dies ebenfalls nicht verfangen. Zum einen hat die Verfügungsbeklagte angegeben, ihre Produkte seien derzeit nicht lieferbar. Demnach kann die Verfügungsklägerin keine Fälle der fachinformationswidrigen Verschreibung beibringen. Zum anderen ist dies für die Annahme einer Erstbegehungsgefahr im Gegensatz zur Wiederholungsgefahr nicht erforderlich. Die Feststellung von Tatsachen, die die ernsthafte Besorgnis künftiger Verletzungshandlungen rechtfertigen, ist zur Annahme einer Erstbegehungsgefahr ausreichend.
92
Schließlich bestätigen die Vorgänge im Zulassungsverfahren, dass die Annahme der Kammer zutrifft, das Generikum werde ebenso wie das Original bei Patienten mit Schluckbeschwerden verabreicht (Anlagen FBD15/15a/16/16a). Zwar dient das Zulassungsverfahren anderen Zwecken, nämlich vornehmlich der Sicherheit des Medikaments. Es bestätigt aber die Grundannahme, auch das angegriffene Generikum wird zur Unterstützung des Schluckens mit Apfelmus gemischt verabreicht werden.
93
4. Die Verfügungsbeklagte hat die drohende Patentbenutzung zu verantworten (a) und sie hat bisher keine ausreichenden Maßnahmen zu deren Beseitigung ergriffen (b).
94
a)  Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat für eine Patentverletzung auch derjenige einzustehen, der eine Benutzung des geschützten Gegenstands durch einen Dritten durch eigenes pflichtwidriges Verhalten ermöglicht. Dies gilt nicht nur im Falle einer vorsätzlichen Beteiligung an Verletzungshandlungen Dritter, sondern auch dann, wenn solche Verletzungshandlungen durch eine fahrlässige Pflichtverletzung ermöglicht oder gefördert werden (GRUR 2009, 1142 – MP3-Player-Import). Die Zurechnung eines Mitverursachungsbeitrags bedarf bei nicht vorsätzlichem Handeln allerdings einer zusätzlichen Rechtfertigung. Sie besteht in der Regel in der Verletzung einer Rechtspflicht, die jedenfalls auch dem Schutz des verletzten absoluten Rechts dient und bei deren Beachtung der Mitverursachungsbeitrag entfallen oder jedenfalls als verbotener und daher zu unterlassender Beitrag des Handelnden zu der rechtswidrigen Handlung eines Dritten erkennbar gewesen wäre (ebd.).
95
Ansprüche aus §§ 139 ff. PatG können somit schon dann bestehen, wenn durch pflichtwidrige und schuldhafte Beihilfehandlungen die Erstbegehungsgefahr für eine fremde Patentverletzung geschaffen wird (BGH GRUR 2017, 785 Rn. 78 – Abdichtsystem mVw auf BGH GRUR 1964, 496, 497 – Formsand II).
96
Gemäß der zutreffenden Rechtsprechung des OLG Düsseldorf kommt eine Haftung wegen cross-label-use in Betracht, wenn das Generikaunternehmen sicheres Wissen darum hat, dass es mit dem vertriebenen Arzneimittel tatsächlich zu der patentgerechten Verordnung und Verwendung kommen wird. Dem ist das Verschließen vor dieser Erkenntnis gleichzustellen. Derjenige, der in dem besagten Wissen agiert, muss sich hinsichtlich der Konsequenzen so behandeln lassen, als hätte er den für sich geschäftlich ausgenutzten herrichtungsfreien Zustand selbst durch eine entsprechende Herrichtungsmaßnahme herbeigeführt (OLG Düsseldorf, GRUR 2019, 279 Rn. 44 – Fulvestrant).
97
Das steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach derjenige haftet, der die Verwirklichung eines Benutzungstatbestands durch einen Dritten ermöglicht oder fördert, wenn er sich mit zumutbarem Aufwand Kenntnis vom rechtsverletzenden Charakter der von ihm unterstützten Handlung verschaffen kann (BGH GRUR 2009, 1142 – MP3Player-Import). Der Bundesgerichtshof hat zudem eine Haftung wegen Patentverletzung in Fällen für möglich erachtet, in denen einem im Ausland ansässigen Lieferanten eines im Inland patentgeschützten Erzeugnisses, der einen ebenfalls im Ausland ansässigen Abnehmer beliefert, konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es als naheliegend erscheinen lassen, dass seine Abnehmer die gelieferte Ware ins Inland patentverletzend weiterliefern oder dort anbieten (BGH GRUR 2017, 785 – Abdichtsystem).
98
Nach diesen Grundsätzen ist eine Haftung der Verfügungsbeklagten für das Auslösen einer Erstbegehungsgefahr zu bejahen. Der Verfügungsbeklagten als pharmazeutischen Unternehmen sind die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen, unter denen Ärzte ihre Patienten behandeln bekannt. Sie weiß um den Substitutionsmechanismus, den ärztlichen Budgetdruck und die Anreize für Ärzte, das aut-idem-Kreuz nicht zu setzen. Ihr ist gleichfalls bekannt, dass das Verfügungspatent durch die bloße Anweisung des Arztes an seinen CML-Patienten mit Schluckbeschwerden, das Generikum mit Apfelmus einzunehmen, leicht umgangen werden kann. Dass die Bioverfügbarkeit des von ihr in Verkehr gebrachten Nilotinib durch die Vermischung mit Apfelmus nicht beeinträchtigt wird und dass keine Risiken im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Kristallform im Testprodukt im Vergleich zum Referenzprodukt bestehen, weiß die Verfügungsbeklagte aus dem Zulassungsverfahren.
99
Dass mithin eine ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr der Verfügungspatentverletzung durch ihr Präparat gegeben ist, kann der Verfügungsbeklagten nicht verborgen geblieben sein. Hiergegen hat sie nicht die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen – wie tenoriert – ergriffen, obwohl sie hierzu verpflichtet gewesen wäre und diese zumutbar sind.
100
b) Ein vorbeugender Unterlassungsanspruch erlischt, wenn die Begehungsgefahr wegfällt. Dabei sind an die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr grundsätzlich weniger strenge Anforderungen zu stellen als an den Fortfall der durch eine Verletzungshandlung begründeten Gefahr der Wiederholung des Verhaltens in der Zukunft (BGH GRUR 2010, 838 Rn. 27 – DDRLogo). Anders als für die durch eine Verletzungshandlung begründete Wiederholungsgefahr besteht für den Fortbestand der Erstbegehungsgefahr keine Vermutung (BGH GRUR 1989, 432, 434 – Kachelofenbauer I). Sie kann daher durch das Setzen eines actus contrarius beseitigt werden (Goldmann in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Auflage 2021, § 8 Rn. 147). Die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ist in der Regel nicht erforderlich (OLG München GRUR-RS 2019, 46182).
101
aa) Zwar hat die Verfügungsbeklagte bereits in ihren Fach- und Gebrauchsinformationen Maßnahmen ergriffen, um eine verfügungspatentgemäße Verwendung ihres Präparates zu verhindern. Die Verfügungsbeklagte meint, angesichts der klaren Handlungsanweisungen könne von einem „Ausnutzen der Verschreibungspraxis“ im Sinne der Rechtsprechung keine Rede sein. Dies gelte auch für den Hinweis auf Seite 2 der Gebrauchsinformation, wonach die Anweisungen des Arztes befolgt werden sollen, auch wenn sie von den Informationen in der Packungsbeilage abweichen. Denn dieser befinde sich in der Gebrauchsinformation eines jeden Arzneimittels.
102
bb)Die getroffenen Maßnahmen erweisen sich aber als unzureichend, um die durch das Anbieten ihres Generikums in der Lauer-Taxe, den sozialrechtlichen Substitutionsmechanismus und das ärztliche Wissen um die Verabreichung mit Apfelmus begründete Erstbegehungsgefahr zu beseitigen.
103
Dass die Fach- und Gebrauchsinformationen den Hinweis enthalten, Nilotinib dürfe nicht zusammen mit Nahrungsmitteln eingenommen werden, ist in der vorliegenden Konstellation unzureichend. Vom Empfängerhorizont eines informierten, auf die Behandlung von CML-Patienten spezialisierten Arztes ist der Hinweis nicht geeignet, ihn von einer Verschreibung des Generikums in Fällen abzuhalten, wenn eine Einnahme mit Apfelmus medizinisch indiziert ist (siehe oben Rn. 74).
104
Das gleiche gilt für den Hinweis, bei Patienten mit Schluckbeschwerden, einschließlich pädiatrischer Patienten, die nicht in der Lage sind, die Hartkapseln zu schlucken, sollten andere Arzneimittel mit Nilotinib anstelle der angegriffenen Ausführungsform angewendet werden. Mit anderen Worten, wenn der Patient Nilotinib mit Apfelmus einnehmen muss, solle ein anderes Arzneimittel verschrieben werden. Dass aus patentrechtlichen Gründen in diesen Fällen das Originalprodukt zu verschreiben ist, ergibt sich aus diesem Hinweis nicht. Dies auch deswegen nicht, weil nicht positiv angegeben wird, welches Produkt stattdessen zu verwenden ist. Der Hinweis ist zudem eingeschränkt, indem ein anderes Produkt mit Nilotinib verschrieben werden sollte. Dies bedeutet für den Arzt, dass kein Zwang besteht, bei einer notwendigen Verabreichung mit Apfelmus das hiesige Arzneimittel und damit „aut-idem“ auszuschließen. Aus der Sicht eines informierten, auf die Behandlung von CML-Patienten spezialisierten Arztes ist der Hinweis daher ungeeignet, eine verfügungspatentgemäße Verschreibungspraxis zu verhindern.
105
Die an die Patienten gerichteten Gebrauchsinformationen enthalten auf Seite 3 den Hinweis, dass stets die Anweisungen des Arztes zu befolgen sind, auch wenn sie von den Informationen in der Packungsbeilage abweichen. Der Patient, der zuvor vom Arzt die Anweisung enthalten hat, das Generikum mit Apfelmus einzunehmen, wird sich daher entweder direkt an diese Anweisung halten oder nach nochmaliger Versicherung bei seinem Arzt. Daher schließen auch die Gebrauchsinformationen weder allein noch zusammen mit den Fachinformationen die Erstbegehungsgefahr aus.
106
5. Demzufolge steht der Verfügungsklägerin ein Verfügungs-Unterlassungsanspruch gegen die Verfügungsbeklagte gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 9 Satz 2 Nr. 1, 139 Abs. 1 Satz 1 PatG, § 938 Abs. 1 ZPO zu, soweit und solange die tenorierten weiteren Maßnahmen zum Ausschluss der Erstbegehungsgefahr nicht implementiert wurden.
107
Die tenorierten Maßnahmen sind geeignet, erforderlich und für die Verfügungsbeklagte zumutbar.
108
Mit der in Ziffer I.1 tenorierten Maßnahme wird verhindert, dass der verpflichtende Substitutionsmechanismus eingreift, der den Apotheker zwingt, im Falle eines bestehenden Rabattvertrages stets das rabattierte Arzneimittel abzugeben. Das ist der Verfügungsbeklagten zumutbar. Insbesondere stellt es keinen unzumutbaren Aufwand dar, sich nicht an OpenHouse- und Rabattverträgen zu beteiligen, bei denen nicht sichergestellt ist, dass die Arzneimittel nicht in der geschützten Verabreichungsform verwendet werden. Auch das Kündigen bereits geschlossener Verträge ist ihr zumutbar, da sie umgekehrt Verträge, die das Verfügungspatent beachten, abschließen darf. Insoweit ist der Tenor weiter so zu verstehen, dass auch die Kündigung einzelner Klauseln in geschlossenen Verträgen erfasst wird. Demnach ist keine Kündigung des gesamten Vertrages erforderlich, wenn eine einzelne Klausel gestrichen und durch eine das Verfügungspatent schützende ersetzt bzw. ergänzt wird. Zudem hatte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 22.08.2024 gebeten, keinen Rabattvertrag abzuschließen, der die Verabreichungsbeschränkung nicht berücksichtige (Anlage FBD10).
109
Die Maßnahmen gemäß Ziffern I.2 bis I.4 haben Hinweischarakter. Sie dienen der Wissensvermittlung bezüglich der Gefahr einer Patentverletzung gegenüber verschiedenen Beteiligten des Gesundheitssystems. Durch die jeweiligen Einzelmaßnahmen soll sichergestellt werden, dass die das Arzneimittel liefernden Großhändler, die verschreibenden Ärzte und die Apotheker so umfassend über die Beschränkung der Verwendung der angegriffenen Ausführungsform und ihre Hintergründe aufgeklärt werden, dass eine patentverletzende Verwendung der angegriffenen Ausführungsform weitestmöglich verhindert wird.
110
Anders als die Fach- und Gebrauchsinformation, deren Inhalt durch gesetzliche Vorgaben bestimmt wird (vgl. hierzu Bühler, a.a.O., Rn. 352), adressieren die Hinweise gemäß den Ziffern I.2 bis I.4 explizit das Problem einer möglichen Patentverletzung. Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten, die meint, der Mehrwert der tenorierten Hinweise gehe nicht über den Informationsgehalt der Fach- und Gebrauchsinformation hinaus, haben die Hinweise eine andere Qualität und Zielrichtung. Entsprechend zielgenauer ist ihr Informationsgehalt gegenüber den betreffenden Kreisen hinsichtlich der Patentproblematik.
111
Die in Ziffer I.2 genannten Datenbanken sind für Apotheker und Ärzte die Hauptinformationsquelle über die verfügbaren Arzneimittel und ihre Eigenschaften. Sie sind daher besonders geeignet, die notwendigen Informationen an die betreffenden Kreise zu verbreiten.
112
Die vertragliche Verpflichtung der Großhändler durch die Verfügungsbeklagte gemäß Ziffer I.3 des Tenors soll gewährleisten, dass der angegriffenen Ausführungsform ein Warnhinweis beigefügt ist. Es ist der Verfügungsbeklagten angesichts der drohenden Verletzung des Verfügungspatents zumutbar, die Großhändler vertraglich zu verpflichten, ihren Präparaten Warnhinweise beizufügen. Der Aufwand hierfür mag nicht marginal sein. Dass er unverhältnismäßig wäre, hat die Verfügungsbeklagte nicht vorgetragen.
113
Das in Ziffer I.4 vorgesehene Informationsschreiben ist ebenfalls geeignet, erforderlich und zumutbar, da es sich an die verschreibenden Ärzte unmittelbar richtet. Diese sind von der Verfügungsbeklagten über die patentrechtliche Sachlage sowie darüber aufzuklären, dass die Verabreichung des Generikums in der patentgeschützten Verabreichungsform unzulässig ist. Es ist in periodisch wiederkehrenden Abständen erneut zu versenden, um diese Information bei den Ärzten präsent zu halten. Anders als die rein arzneimittelrechtlich bedingte Fachinformation werden die Ärzte hierdurch konkret über die patentrechtlichen Verhältnisse aufgeklärt. Auch wenn diese konkrete Information manche Ärzte dennoch nicht von einer das Verfügungspatent verletzenden Verabreichung des Generikums abhält, hat die Verfügungsbeklagte damit jedenfalls alles ihr Mögliche zu unternehmen, um die Verletzung auszuschließen. Das tut sie mit einem Schreiben gemäß Ziffer I.4 des Tenors.
114
Die Maßnahmen gemäß den Ziffern I.2 bis I.4 lösen zusammen mit der Pflicht, die Verfügungsklägerin in geeigneter Form schriftlich über die Implementierung zu informieren, keine unverhältnismäßig hohen Kosten aus. Die Verfügungsbeklagte hat hierzu auch keine konkreten Zahlen angeführt.
115
Die in Ziffer I.5 beantragte Maßnahme erscheint vor dem Hintergrund der ausgeurteilten Maßnahmen kostenträchtiger, aber nicht wirkungsvoller. Die Kammer hat sie daher nicht herangezogen.
116
Da die Verfügungsklägerin die Anträge ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, braucht der Antrag insofern nicht im Übrigen zurückgewiesen zu werden. Die tenorierten Maßnahmen bedeuten kein Minus zum Antragsbegehren. Darüber hinaus hat die Kammer im Vergleich zur Antragsfassung sprachlich erforderliche Umformulierungen vorgenommen (in Ziffer I.2. von „…and Mediatixx…“ zu „… und Medatixx …“). Ferner hat sie den nach Ziffer I.4. beantragten Text gekürzt, um die erforderliche Information der Fachärzte noch deutlicher auf den relevanten Punkt zuzuschneiden. Hierzu ist die Kammer gemäß § 938 Abs. 1 ZPO ermächtigt und befugt.
117
6. Der Unterlassungsanspruch ist zudem nicht kartellrechtswidrig. Die Verfügungsbeklagte hat keine Gründe dargetan, die über das Wesen des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs hinausgehende, vom Kartellrecht sanktionierte Beeinträchtigungen erkennen lassen.
118
Ein gleichzeitiges Vorgehen im Wege des Drittwiderspruchs gegen die Gestaltung der Fach- und Gebrauchsinformationen und im Wege des hiesigen patentrechtlichen Verfügungsverfahrens begründet weder eine Kartellrechtswidrigkeit noch ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es sich um unterschiedliche Streitgegenstände in unterschiedlichen Rechtswegen handelt. Zudem begehrt die Verfügungsklägerin mit dem einstweiligen Verfügungsverfahren eine nur einstweilige Regelung, während der Drittwiderspruch auf eine dauerhafte Regelung abzielt. Ein (kartell- oder rechtswidriges) Ausnutzen von Marktmacht kann darin nicht erkannt werden.
B.
119
Ein Verfügungsgrund ist gleichfalls gegeben. Die Verfügungsklägerin hat das Vorliegen einer Dringlichkeit für die ersuchte gerichtliche Entscheidung glaubhaft gemacht.
120
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt gemäß §§ 935, 940 ZPO eine objektiv begründete Gefahr voraus, dass die Rechtsverwirklichung des Antragstellers/Verfügungsklägers mittels eines erst in einem Hauptsacheprozess erlangten Urteils unzumutbar vereitelt oder erschwert werden könnte. Dies bedingt zum einen eine für die Eilmaßnahme sprechende rein zeitliche Dringlichkeit (I.). Zum anderen ist eine Interessenabwägung zwischen den dem Patentinhaber ohne den Erlass der beantragten Verfügung drohenden Nachteile und den Interessen des als Verletzer im Wege einer vorläufigen Eilmaßnahme in Anspruch genommenen Antragsgegners vorzunehmen (II.). In Patentverletzungsverfahren kommt dabei dem Rechtsbestand des Verfügungspatents (II. 1) neben der Interessenabwägung (II. 2) eine besondere Bedeutung zu.
121
I. Die zeitliche Dringlichkeit ist gegeben, da die Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht hat, dass sie die im OLG-Bezirk München geltende Monatsfrist ab Kenntnis von Tat und Täter eingehalten hat.
122
Ihr Antrag ist innerhalb der Monatsfrist bei Gericht eingegangen. Die angegriffene Ausführungsform wurde erstmals am ... 2024 in der LauerTaxe gelistet. Hiergegen wendet sich die Verfügungsklägerin mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 22.11.2024, eingegangen bei Gericht an diesem Tag.
123
II. Auch die Interessenabwägung fällt zugunsten der Verfügungsklägerin aus, wobei insbesondere der Rechtsbestand des Verfügungspatents von Bedeutung ist (nachfolgend 1.). Im Rahmen der Interessenabwägung sind die Folgen des Erlasses einer einstweiligen Verfügung für die Verfügungsbeklagte bzw. des Nichterlasses für die Verfügungsklägerin festzustellen und gegeneinander abzuwägen (nachfolgend 2.).
124
1. Der Rechtsbestand ist vorliegend aufgrund der positiven Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentsamts vom 25.11.2022 als gesichert anzusehen (Anlage FBD13).
125
Da die Verfügungsbeklagte den Rechtsbestand des Verfügungspatents nicht mit einer Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht angegriffen oder diesen Angriff zumindest angekündigt hat, kann ihr Vorbringen, das Verfügungspatent sei entgegen der Auffassung der Technischen Beschwerdekammer nicht rechtsbeständig, nicht in der Vernichtung des Verfügungspatents münden und ist daher unbehelflich.
126
Die Verfügungsbeklagte kann sich nicht darauf berufen, dies sei in Kürze des Verfügungsverfahrens unmöglich gewesen. Aufgrund des Lizenzangebots der Verfügungsklägerin gegenüber dem Mutterkonzern der Verfügungsbeklagten im Jahr 2021 hätte letztere jedenfalls Kenntnis vom Verfügungspatent haben können und müssen. Spätestens mit dem Schreiben der Verfügungsklägerin vom 22.08.2024 an die Verfügungsbeklagte, worin sie ihre Sorgen hinsichtlich einer möglichen Verletzung des Verfügungspatents mitteilte (Anlage FBD 10), hätte die Verfügungsbeklagte eine Nichtigkeitsklage erheben können. Ein clearing the path hat die Verfügungsbeklagte somit erkennbar nicht betrieben, weswegen ihr Einwand des fehlenden Rechtsbestands erfolglos ist.
127
2.Auch die neben der Beurteilung des Rechtsbestands durchzuführende Interessenabwägung fällt zugunsten der Verfügungsklägerin aus.
128
a) Insbesondere in einstweiligen Verfügungsverfahren zwischen Originatoren und Generika-Anbietern kommt einer Interessenabwägung der sich aus dem Erlass oder Nichterlass einer einstweiligen Verfügung ergebenden Folgen eine besondere Bedeutung zu. Der – sich nachträglich als unberechtigt herausstellende – Markteintritt der Nachahmermedikamente hat dabei große Relevanz. Die forschenden Arzneimittelhersteller wenden in aller Regel hohe Summen auf, um einen Wirkstoffkandidaten zum zugelassenen Arzneimittel mit Patentschutz zu entwickeln. Viele Ansätze erweisen sich im Verlauf der durchzuführenden Studien als ungeeignet mit der Folge hoher frustrierter Aufwendungen. Daneben besteht das bereits in Ansätzen aufgezeigte komplexe Geflecht sozialrechtlicher Regelungen, um die Preise für Arzneimittel zu regulieren und die Kosten für die Krankenkassen zu dämpfen (vgl. Bühler, a.a.O., Rn. 78 ff.), was zusätzlichen Druck auf die Margen der forschenden Arzneimittelhersteller erzeugt.
129
Da die Anmeldung zum Patent weit vor der Zulassung zum Arzneimittel erfolgt, ist im Zeitpunkt der Patenterteilung bereits ein nicht unerheblicher Zeitraum der Patentlaufzeit verstrichen. Den Patentinhabern ist es daher ein besonderes Anliegen, in dem zur Verfügung stehenden Zeitraum ihr Patent zu verwerten. Die mit der Verwertung generierten Einnahmen sollen auch dazu verwendet werden, neue Forschungen mit dem Ziel neuer Medikamente zum Wohle der Patienten anzustrengen.
130
Die von den Originatoren getragenen Forschungs- und Entwicklungskosten fallen bei den Generika-Herstellern nicht an. Die wesentlichen Kosten eines Medikaments sind die Forschungs- und Entwicklungskosten. Die Herstellungskosten sind demgegenüber marginal. Da die Nachahmer aufgrund der offen gelegten Patentschrift die Zusammensetzung des patentierten Arzneimittels kennen, ist es für sie ohne großen Kostenaufwand möglich, gleichwertige Medikamente herzustellen und zuzulassen, da sie auch insoweit auf die Unterlagen des Originals zurückgreifen können. Sie sind daher in der Lage, die von den Originatoren aufgerufenen Preise für ihre Medikamente deutlich zu unterbieten. Da die Wirksamkeit der Medikamente in der Regel gleich ist, können die Patentinhaber auch nicht – wie bei anderen Produkten etwa in der (Unterhaltungs-)Elektronik – auf die besondere Qualität oder Verlässlichkeit ihrer Produkte im Gegensatz zu denen der Nachahmer verweisen. Eine Preisdurchsetzung aufgrund des Rufs der Marke oder des besonderen Designs des Produkts ist in der Pharmabranche ebenfalls unüblich.
131
Wird demnach den Nachahmerunternehmen der Marktzutritt für ein patentgeschütztes Medikament erlaubt, kann dies einen unwiederbringlichen finanziellen Schaden für den Patentinhaber bedeuten (OLG Düsseldorf GRUR-RS 2023, 24939 Rn. 21 – RRMS-Therapie; GRUR-RR 2013, 236, 239 f. – Flurpitin-Maleat; 2008, 328, 331 f. – Olanzapin). Dies ist bei der gerichtlichen Interessenabwägung stets zu berücksichtigen.
132
b) Nicht außer Acht zu lassen ist ferner, dass das Verfügungspatent eine Erfindung schützt, die für eine eher kleine, aber deswegen nicht unerhebliche Patientengruppe die Therapie mit Nilotinib ermöglicht. War vorher die Einnahme nur mit Wasser medizinisch zwingend, ist es aufgrund der Forschungsleistung der Verfügungsklägerin für Patienten mit Problemen bei der Einnahme von Hartkapseln möglich geworden, diese zu öffnen und den Inhalt zusammen mit Apfelmus einzunehmen, ohne vom negativen foodeffect betroffen zu sein. Die Bereitstellung dieses Wissens mag objektiv vielleicht nur einen kleinen technischen Beitrag leisten. Auch profitiert nur eine kleine Gruppe von Patienten davon. Für diese ist der damit einhergehende Vorteil aber von großer Wichtigkeit und leistet für sie einen zentralen Beitrag zur Behandlung ihrer lebensbedrohlichen Krankheit.
133
Werden die von der Verfügungsklägerin aufgewendeten Kosten durch das faktische bzw. vom Sozialrecht intendierte Leerlaufen des Patentschutzes frustriert, steht zu befürchten, dass forschende Pharmaunternehmen künftig keine Ressourcen mehr für die Entwicklung entsprechender Arzneimittel bereitstellen werden. Der kurzfristigen Kostenersparnis der Krankenkassen steht somit der längerfristig zu erwartende Mangel an Arzneimitteln für bestimmte, insbesondere kleine Patientengruppen gegenüber (vgl. hierzu auch LG München I GRUR-RS 2024, 31059).
134
c) Zudem hat die Verfügungsklägerin dem Mutterkonzern der Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 06.07.2021 eine nicht exklusive Lizenz an dem Verfügungspatent angeboten, was diese nicht angenommen hat. Dass zu diesem Zeitpunkt das Einspruchsverfahren vor dem EPA noch nicht abgeschlossen war, rechtfertigt die Nichtannahme des Lizenzangebots jedenfalls nicht. Denn die Rechtsfolgen eines Wegfalls des Patents hätte man darin regeln können.
135
d)  Die Kammer ist sich bewusst, dass die Anordnung der Unterlassung bis zur Implementierung der tenorierten Maßnahmen bedeutet, dass die angegriffene Ausführungsform nicht vertrieben werden kann. Damit wird dem Verfügungspatent rein faktisch ein weiterer Schutzbereich zugestanden, als er ihm erteilungsgemäß zustünde. Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ist die Kammer jedoch davon überzeugt, dass dieses Ergebnis ausnahmsweise gerechtfertigt ist.
136
Zunächst besteht das Vertriebsverbot für die Verfügungsbeklagte derzeit nur theoretisch, da ihr Präparat nach ihren eigenen Angaben zurzeit nicht lieferbar ist. Eine tatsächliche Beeinträchtigung liegt daher bis zum Eintreten der Lieferbarkeit nicht vor.
137
Wie bereits erwähnt wurde dem Mutterkonzern der Verfügungsbeklagten eine Lizenz am Verfügungspatent 2021 erfolglos angeboten. Die Verfügungsbeklagte wurde von dem hiesigen Verfügungsverfahren auch nicht überrascht, da sie schon im Sommer dieses Jahres von der Verfügungsklägerin wegen deren Sorge bezüglich einer drohenden Verletzung ihres Verfügungspatents mehrmals schriftlich kontaktiert wurde. Die Verfügungsbeklagte hat sich indes unbeirrbar gezeigt und an ihrer Rechtsposition festgehalten. Dazu hat sie es unterlassen, das Verfügungspatent mit einem Nichtigkeitsverfahren anzugreifen. Der Rechtsgedanke des § 254 BGB, wonach die (grobe) Verletzung von Sorgfaltsobliegenheiten zum Verlust der eigenen Rechtsposition führen kann, ist auf die Verfügungsbeklagte anwendbar (vgl. dazu Schacht GRUR 2021, 440, 442).
138
Während die Verfügungsklägerin vorgerichtlich zahlreiche Versuche unternommen hat, eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden, hat die Verfügungsbeklagte nichts dergleichen getan. Das ist zwar ihr gutes Recht. Andererseits kann sie sich dann im Rahmen der Interessenabwägung nicht darauf berufen, ihre Rechtsposition würde unverhältnismäßig beeinträchtigt. Aufgrund der dargestellten Umstände ist der Verfügungsbeklagten der Unverhältnismäßigkeitseinwand gemäß § 139 Abs. 1 Satz 3 PatG bzw. gemäß § 242 BGB zu versagen. Wenn dem so ist, kann zum Schutze der Einheit der Rechtsordnung die Interessenabwägung im einstweiligen Verfügungsverfahren kein anderes Ergebnis zeitigen.
139
Weiterhin hat es die Verfügungsbeklagte selbst in der Hand, durch eine schnelle Implementierung der tenorierten Maßnahmen ihr Produkt unbeeinträchtigt vom Verfügungspatent vertreiben zu dürfen. Insoweit ist das faktisch absolute Unterlassungsgebot zeitlich beschränkt und vom Verhalten der Verfügungsbeklagten abhängig. Dass es sich bei den tenorierten Maßnahmen selbst nicht um unverhältnismäßige Maßnahmen handelt, wurde bereits unter A.II.5. erläutert.
140
e) Im Ergebnis hat die Verfügungsbeklagte daher keine Gründe aufgezeigt, die dem Erlass einer einstweiligen Verfügung entgegenstehen.
141
f) Eine Sicherheitsleistung für die Vollziehung der einstweiligen Verfügung ist ebenfalls nicht anzuordnen. Anlass zur Anordnung einer Sicherheitsleistung besteht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes i.d.R. nur, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht realisiert werden kann (OLG München BeckRS 2013 – Hydrogentartrat; LG München I GRUR-RS 2016, 11707). Solche Anhaltspunkte sind weder vorgetragen noch für die Kammer erkennbar.
C.
142
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Soweit die Verurteilung hinter dem Antrag der Verfügungsklägerin zurückgeblieben ist, hat sie vor dem Hintergrund des § 938 Abs. 1 ZPO keine Bedeutung.