Titel:
Erfolgreiche Patentverletzungsklage
Normenketten:
PatG § 9, § 14, § 139, § 143
ZPO § 32
EPÜ Art. 64
GeschGehG § 19
Leitsätze:
1. Mit Blick auf Vorgänge im Einspruchsverfahren gilt, dass sie grundsätzlich keine Auswirkung auf die Auslegung des Patentanspruchs bzw. die Bestimmung des Schutzbereichs haben (Bestätigung von BGH GRUR 2002, 511). (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 14 S. 2 PatG erfasst keine Einzelheiten des abgehandelten Stands der Technik, soweit sie, obwohl sie nicht zum allgemeinen Fachwissen gehören, in der Beschreibung oder den Zeichnungen des Patents unerwähnt geblieben sind. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
3. Mit den angegriffenen Produkten wird der Gegenstand des Klagepatents in der geltend gemachten Fassung von Anspruch 1 unmittelbar wortsinngemäß benutzt; die angegriffenen Ausführungsformen weisen sämtliche Merkmale des Klagepatents auf. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Weglassen eines in den ursprünglich angemeldeten Ansprüchen vorgesehenen Elements, das keinen erfindungswesentlichen technischen Beitrag zum Gegenstand der Erfindung leistet, führt nicht zu einer unzulässigen Erweiterung. (Rn. 115) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuständigkeit, Feststellungsinteresse, Patentverletzung, Stand der Technik, Bodenbearbeitungsgerät, Gelenkanordnung, Flüssigkeitszuführung, Anspruch auf Unterlassung, Schadensersatzanspruch, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung der Verletzungsformen, Rückruf der Verletzungsformen, Geheimhaltungsanträge
Fundstelle:
GRUR-RS 2024, 35932
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, bei der Beklagten zu vollziehen an den Geschäftsführern, zu unterlassen handgeführte Bodenbearbeitungsgeräte, aufweisend ein Bodenteil mit mindestens einem Werkzeug für die Bodenbearbeitung und einen Motor zum Antreiben des mindestens einen Werkzeugs und aufweisend ein Führungsteil mit einem Griffteil, wobei das Führungsteil über ein in Bearbeitungsrichtung verstellbares erstes Gelenk mit einer Gelenkachse (G1) quer zur Bearbeitungsrichtung mit dem Bodenteil verbunden ist, wobei das Bodenteil eine Flüssigkeitszuführung aufweist, wobei das Führungsteil am unteren Ende unterhalb der Mitte, aber oberhalb des Bodenteils (1) ein weiteres Gelenk (8) mit einer quer zur ersten Gelenkachse (G1) verlaufenden weiteren Gelenkachse aufweist, um welche das Führungsteil (2) quer zur Bearbeitungsrichtung (6) derart verstellbar ist, dass das Bodenteil (1) von einem Benutzer (P) aus parallel zur Bearbeitungsfläche (B) um eine Hochachse (A1) des Bodenteils (1) um mindestens +- 45° gedreht werden kann
Abnehmern in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen ode zu den genannten Zwecken einzuführen, wobei
das Werkzeug (31) für die Bodenbearbeitung aus mindestens zwei sich gegenläufig und im Wesentlichen horizontal drehenden Treibtellern (27) mit Bearbeitungsaufsätzen (32) besteht, wobei die Flüssigkeitszuführung (11) mittig durch die Treibteller (27) und die Bearbeitungsaufsätze (32) hindurch erfolgt.
(Anspruch 1 der EP 3 632 285 B1)
II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I. bezeichneten Handlungen seit dem 05.04.2023 begangen hat, und zwar unter Angabe
1. der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
2. der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer, sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
3. der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die in Ziffer I. bezeichneten Handlungen seit dem 05.04.2023 begangen hat, und zwar unter Angabe
1. der Herstellungsmengen und -zeiten,
2. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
3. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
4. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auf- lagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
5. sowie der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht- gewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn berechtigen und verpflichten, de Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerbliche Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist.
IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch die in Ziffer I. bezeichneten, seit dem 05.04.2023 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
V. Die Beklagte wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz ode ihrem Eigentum befindlichen Erzeugnisse gemäß vorstehender Ziffer I. an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.
VI. Die Beklagte wird verurteilt, die seit dem 05.04.2023 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gemäß vorstehender Ziffer I., gegenüber den gewerblichen Abnehmern schriftlich unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts München I vom 22.11.2024) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit de verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie die mit der Rückgabe verbundenen Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen, wobei der Klägerin ein Muster der Rückrufschreiben sowie eine Liste der Adressaten mit Namen und postalischer Anschrift oder – nach Wahl der Beklagten – eine Kopie sämtlicher Rückrufschreiben zu überlassen ist.
VII. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
VIII. Die folgenden Informationen werden als geheimhaltungsbedürftig im Sinne des § 145a PatG i.V. mit § 16 Abs. 1 GeschGehG eingestuft:
Finanz-, Einkaufs- und Verkaufsdaten der Beklagten, nämlich:
1. Auskunft über die Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und andere Vorbesitzer einschließlich der entsprechenden Belege – Ziffer II. Nr. 1;
2. Auskunft über die Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie de Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren einschließlich de entsprechenden Belege – Ziffer II. Nr. 2;
3. Auskunft über die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen ode bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden einschließlich der entsprechenden Belege – Ziffer II. Nr. 3;
4. Rechnungslegung über die Herstellungsmengen und -zeiten – Ziffer III. Nr. 1;
5. Rechnungslegung über die einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und 5 Anschriften der Abnehmer einschließlich der entsprechenden Belege – Ziffer III. Nr. 2
6. Rechnungslegung über die einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger einschließlich de entsprechenden Belege – Ziffer III. Nr. 3;
7. Rechnungslegung über die betriebene Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet – Ziffer III. Nr. 4;
8. Rechnungslegung über die nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns einschließlich der entsprechenden Belege – Ziffer III. Nr. 5.
IX. Die unter Ziffer VIII. bezeichneten Informationen sind von jedermann, der von ihnen aufgrund seiner Beteiligung an dem vorliegenden Rechtsstreit (als Partei, Streithelfer, Anwalt, Zeuge, Sachverständiger, Justizbediensteter oder sonst wie) Kenntnis erhält, streng vertraulich zu behandeln. Sie dürfen außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens nicht benutzt und nicht offengelegt werden. Dies gilt auch nach Abschluss des vorliegenden Verfahrens. Etwas anderes gilt nur und erst dann, wenn und soweit de Verpflichtete nachweislich außerhalb des vorliegenden Rechtsstreits (z.B. aus einem ausländischen Parallelverfahren) von den geheimhaltungsbedürftigen Informationen Kenntnis erlangt hat. Einer Geheimhaltung bedarf es ferner generell dann nicht mehr, wenn und sobald künftig rechtskräftig entschieden werden sollte, dass die als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen (vgl. Ziffer VIII.) kein Geschäftsgeheimnis sind oder wenn und sobald die als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen in den einschlägigen Kreisen bekannt oder für diese ohne weiteres zugänglich werden.
X. Wird der Vertraulichkeitspflicht schuldhaft zuwidergehandelt, kann das Gericht gegen den Verpflichteten für jeden Verstoß ein Ordnungsgeld bis zu EUR 100.000,- oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten verhängen und sofort vollstrecken.
XI. Die unter Ziffer VIII. aufgezählten Informationen dürfen nur den von der Klägerin innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist namentlich zu benennenden 6 zuverlässigen Personen von Seiten der Klägerin sowie ihren Prozessvertretern ode sonstigen Vertretern zur Kenntnis gebracht werden.
XII. Weitere Anordnungen nach § 145a PatG i.V. mit § 19 GeschGehG bleiben dem Zeitpunkt vorbehalten, zu dem die Klägerin die zugangsberechtigten Personen benannt haben wird.
XIII. Im Übrigen werden die Geheimhaltungsanträge der Beklagten zurückgewiesen.
XIV. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
XV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung wie folgt vorläufig vollstreckbar
− Ziffer I. (Unterlassung), Ziffer V. (Vernichtung) und Ziffer VI. (Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von einheitlich EUR 320.000,-
− Ziffer II. (Auskunft) und Ziffer III. (Rechnungslegung) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von einheitlich EUR 20.000,00,
− Ziffer XIV. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Tatbestand
1
Die Klägerin ist Inhaberin des nationalen deutschen Teils des europäischen Patents 3 632 285 (nachfolgend: Klagepatent). Sie nimmt die Beklagte wegen unmittelbarer Patentverletzung des Anspruchs 1 des Klagepatents in Anspruch.
2
Das Klagepatent ging als Teilanmeldung aus dem europäischen Patent 2 470 055 hervor. Es wurde am 25.08.2010 unter Inanspruchnahme der Priorität der …44 A1 vom 27.08.2009 angemeldet. Veröffentlichung und Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung erfolgten am 05.04.2023. Das Klagepatent wurde mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt.
3
Anspruch 1 des Klagepatents lautet in der maßgeblichen deutschen Fassung wie folgt:
„Handgeführtes Bodenbearbeitungsgerät, aufweisend
ein Bodenteil (1) mit mindestens einem Werkzeug (31) für die Bodenbearbeitung und einem Motor (26) zum Antreiben des mindestens einen Werkzeugs (31) und aufweisend
ein Führungsteil (2) mit einem Griffteil (3), wobei das Führungsteil (2) über ein in Bearbeitungsrichtung (6) verstellbares erstes Gelenk (4) mit einer Gelenkachse (G1) quer zur Bearbeitungsrichtung (6) mit dem Bodenteil (1) verbunden ist,
wobei das Bodenteil (1) eine Flüssigkeitszuführung (11) aufweist,
wobei das Führungsteil (2) am unteren Ende unterhalb der Mitte, aber oberhalb des Bodenteils (1) ein weiteres Gelenk (8) mit einer quer zur ersten Gelenkachse (G1) verlaufenden weiteren Gelenkachse (G2) aufweist, um welche das Führungsteil (2) quer zur Bearbeitungsrichtung (6) derart verstellbar ist, dass das Bodenteil (1) von einem Benutzer (P) aus parallel zur Bearbeitungsfläche (B) um eine Hochachse (A1) des Bodenteils (1) um mindestens ± 45° gedreht werden kann,
dadurch gekennzeichnet, dass das Werkzeug (31) für die Bodenbearbeitung aus mindestens zwei sich gegenläufig und im Wesentlichen horizontal drehenden Treibtellern (27) mit Bearbeitungsaufsätzen (32) besteht, wobei die Flüssigkeitszuführung (11) mittig durch die Treibteller (27) und die Bearbeitungsaufsätze (32) hindurch erfolgt.“
4
Die Beklagte ist eine deutsche Vertriebsgesellschaft für Bodenreinigungsgeräte und Tochterunternehmen der im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland ansässigen und weltweit operierenden ... . Ausweislich der Homepage der Beklagten unter https://www. ... vertrieb sie in Deutschland seit 2002 die von ihrem Mutterunternehmen herstellten Maschinen und Geräte, sowie Zubehör- und Ersatzteile. Über diesen Webauftritt bewarb die Beklagte u.a. Bodenreinigungsmaschinen mit den Typenbezeichnungen „...“ (Anlagen ... 6, ... 7 und ... 8, im Folgenden: angegriffene Ausführungsform I) sowie „...“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform II) und bot diese im Inland zum Kauf an. Dabei war sie laut Impressum für die deutschsprachige Homepage verantwortlich (Anlage ... 10). Ferner wurde auf der o.g. Homepage zur Tätigkeit der Beklagten ausgeführt: „Auch in Österreich, in der Schweiz und in Dänemark verantwortet ... Deutschland den Vertrieb als Hersteller und Full-Service-Dienstleister.“ Die Beklagte importierte u.a. die angegriffenen Ausführungsformen aus England, wo sie im Werk des Mutterunternehmens ... International Ltd. produziert wurden, nach Deutschland.
5
Die Klägerin meint, dass die angegriffenen Ausführungsformen I und II das Klagepatent in Anspruch 1 unmittelbar verletzten.
6
Die Klägerin stellt zuletzt die Klageanträge wie unter Ziffer I bis VI tenoriert, wobei sie den Antrag auf Rechnungslegung nach Ziffer III. bereits ab dem 08.05.2020 geltend macht, sowie einen Antrag auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die in Ziffer I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 08.05.2020 bis zum 05.04.2023 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen (Terminprotokoll vom 25.09.2024, Bl. 298 ff. d. A.).
7
Die Beklagte beantragt,
- 1.
-
Klageabweisung,
- 2.
-
hilfsweise die Aussetzung des Verfahrens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem gegen das Klagepatent anhängigen Einspruchsverfahren,
- 3.
-
ferner wie unter Ziff. VIII bis XII tenoriert.
8
Die Klägerin wendet sich gegen eine Aussetzung des Verfahrens.
9
Die Beklagte ist im Wesentlichen der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagepatent nicht. Jedenfalls sei das Verfahren im Hinblick auf die Einsprüche der ... Inc. vom 05.02.2023 (Anlagenkonvolut B6) und der Beklagten vom 11.12.2023 (Anlagenkonvolut B7) gegen das Klagepatent auszusetzen.
10
Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.09.2024 (Bl. 298 ff. d. A.) samt Protollberichtigung vom 15.10.2024 (Bl. 311 f. a. A.) ebenso wie auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
11
Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet.
12
Die Klage ist zulässig.
13
I. Das Landgericht München I ist zuständig (§ 143 PatG, § 32 ZPO i. V. mit § 38 Nr. 1 BayGZVJu, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO).
14
II. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, § 256 Abs. 1 ZPO. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist vor Erteilung der Auskunft noch nicht bezifferbar.
15
Die Patentverletzungsklage ist hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsformen I und II weit überwiegend begründet.
16
I. Das Klagepatent betrifft ein handgeführtes Bodenbearbeitungsgerät zur Bearbeitung von Böden durch Schrubben, Polieren oder Schleifen, [0001].
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1. Zum Stand der Technik erläutert das Klagepatent zunächst, dass aus der EP 0 978 249 (Anlage B1) eine Vorrichtung zur Behandlung von Oberflächen, insbesondere zum Reinigen und Polieren bekannt sei. Diese weise ein in mindestens zwei Richtungen bewegliches Gelenk zwischen einer Haltevorrichtung und dem Bodenteil auf. Dieses Gelenk ermögliche es, die Griffhöhe der persönlichen Größe des Benutzers anzugleichen und die Vorrichtung in Bearbeitungsrichtung vor- und zurückzubewegen, sowie seitliche Bewegungen mit der Vorrichtung auszuführen, [0002]. Da das Gelenk seitlich am Bodenteil angeordnet sei und das Bodenteil hervorstehende Teile aufweise, sei die seitliche Beweglichkeit allerdings eingeschränkt, [0003].
18
Als weiteren Stand der Technik behandelt das Klagepatent die DE 196 22 856 A1 (Anlage B2). Diese lehre ein von Hand geführtes Flächenschrubbgerät, das mindestens eine, vorzugsweise zwei Tellerbürsten, sowie mindestens eine Walzbürste aufweise, und das auf Rädern abgestützt bewegt werde. Weiterhin sei eine Absaugleiste vorgesehen, die vorzugsweise am hinteren Ende des Reinigungsgerätes angebracht und über einen Schlauch mit einem Aufnahmebehälter für Schmutzwasser verbunden sei. Ein Behälter für Reinigungsflüssigkeit sei ebenfalls an dem Flächenschrubbgerät angebracht, [0006]. Dabei identifiziert das Klagepatent als nachteilig, dass das Gewicht des Geräts durch die am Gerät selbst angebrachten Flüssigkeitsbehälter erhöht werde. Ferner ließen die Räder zwar ein leichtes Bewegen in linearer Richtung zu, ermöglichten aber keine wirkliche Beweglichkeit in seitlicher Richtung, [0007].
19
Mit Blick auf die US 4 499 624 A (Anlage B3) beschreibt das Klagepatent, dass diese ein handgeführtes Bodenbearbeitungsgerät als Poliergerät zum Polieren von Oberflächen zeige. Das bekannte Poliergerät weise ein Bodenteil mit einem Polierwerkzeug, ein Führungsteil mit einem Griffteil und eine Flüssigkeitszuführung auf, wobei das Führungsteil über ein Doppelgelenk mit orthogonal ausgerichteten Gelenkachsen mit dem Bodenteil verbunden sei. Das Polierwerkzeug weise gegenläufig drehende Walzen auf. Die Flüssigkeitszuführung sei in Form einer Sprühanordnung an dem Bodenteil angeordnet und erlaube es, einen Sprühnebel auf die Walzen aufzusprühen, [0009].
20
Darüber hinaus geht die Klagepatentschrift noch auf weiteren Stand der Technik in Form des EP 0 560 523 A2 sowie der DE 203 02 630 U1 ein. Die EP 0 560 523 A2 zeige eine auf eine bestimmte Weise ausgeformte Lippe für ein Wischgerät, [0008]. In der DE 203 02 630 U1 werde eine Dampfschrubbmaschine mit einem beweglichen Griffteil gelehrt, die über eine ebenfalls am Bodenteil angebrachte Staubsaugereinheit verfüge, [0004].
21
2. Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik stellt die Klagepatentschrift sich die – in [0010] auch subjektiv formulierte – Aufgabe, ein Bodenbearbeitungsgerät bereitzustellen, welches neben Polieren oder Schleifen auch das Nassreinigen ermöglicht und dabei leicht von Hand beweglich und bedienbar ist.
22
3. Gelöst werden soll diese Aufgabe zum Beispiel durch den Gegenstand des unabhängigen Vorrichtungsanspruchs 1.
23
Die Merkmale von Anspruch 1 gliedert die Kammer wie folgt:
„1. Handgeführtes Bodenbearbeitungsgerät aufweisend
1.1.1 mit mindestens einem Werkzeug (31) für die Bodenbearbeitung,
1.1.2 das Werkzeug (31) für die Bodenbearbeitung besteht aus mindestens zwei sich gegenläufig und im Wesentlichen horizontal drehenden Treibtellern (27) mit Bearbeitungsaufsätzen (32),
1.1.3 einem Motor (26) zum Antreiben des mindestens einen Werkzeugs (31)
1.1.4 wobei das Bodenteil (1) eine Flüssigkeitszuführung (11) aufweist,
1.1.4.1 und die Flüssigkeitszuführung (11) mittig durch die Treibteller (27) und die Bearbeitungsaufsätze (32) hindurch erfolgt
1.2 ein Führungsteil (2) mit einem Griffteil (3), wobei
1.2.1 das Führungsteil (2) über ein in Bearbeitungsrichtung (6) verstellbares erstes Gelenk (4) mit einer Gelenkachse (G1) quer zur Bearbeitungsrichtung (6) mit dem Bodenteil (1) verbunden ist,
1.2.2 das Führungsteil (2) am unteren Ende unterhalb der Mitte, aber oberhalb des Bodenteils (1) ein weiteres Gelenk (8) mit einer quer zur ersten Gelenkachse (G1) verlaufenden weiteren Gelenkachse (G2) aufweist
1.2.3 um welche das Führungsteil (2) quer zur Bearbeitungsrichtung (6) derart verstellbar ist, dass das Bodenteil (1) von einem Benutzer (P) aus parallel zur Bearbeitungsfläche (B) um eine Hochachse (A1) des Bodenteils (1) um mindestens ± 45° gedreht werden kann
24
5. Die Kammer definiert die angesprochene Fachperson als jemanden, der oder die ein Ingenieursstudium Maschinenbau an einer Fachhochschule absolviert hat und über mehrjährige Erfahrung mit der Konstruktion und Entwicklung von Bodenreinigungsgeräten verfügt.
25
6. Folgende Merkmale bedürfen näherer Erläuterung:
26
a) Nach Merkmal 1.1 weist die patentgemäße Vorrichtung ein Bodenteil auf. Weitere Vorgaben zu den Elementen dieses Bodenteils befinden sich in den Untermerkmalen 1.1.1 bis 1.1.4. Anders als die Beklagte meint (vgl. Klageerwiderung Rz. 22 ff.; Duplik Rz. 17 ff.), enthält das Klagepatent damit aber weder weitere zwingende Vorgaben zur Beschaffenheit des Bodenteils, insbesondere seiner seitlichen Beweglichkeit, noch verbietet es, dass auch weitere, nicht im Anspruch genannte, Elemente an dem Bodenteil vorhanden sein dürfen.
27
aa) Bereits der Wortlaut des Anspruchs macht keine entsprechende Vorgabe.
28
So lässt sich aus der Verwendung des Begriffs Bodenteil lediglich ableiten, dass es sich um ein Teil der Vorrichtung handeln muss, das sich bodenseitig befindet. Ebenso lassen die Merkmale 1.1.1 bis 1.4.1 nicht erkennen, dass sich dort gennannten Elemente des Bodenteils zwingend als abschließende Aufzählung zu verstehen sind.
29
bb) Eine solche einschränkende Auslegung ergibt sich auch nicht aus der Systematik der Merkmale, insbesondere der Gegenüberstellung der Merkmalsgruppen „Bodenteil“ und „Führungselement“.
30
So adressiert der Ausdruck „Führung“ in der Merkmalsgruppe 1.2 den Umstand, dass der Nutzer durch dieses Teil das Bodenteil drehen und lenken kann, vgl. Merkmal 1.2.3. Hieraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass das Bodenteil vollkommen kräfteneutral ausgestaltet sein muss, so dass die Lenkung der patentgemäßen Vorrichtung ausschließlich durch das Führungsteil erfolgt. Denn diese Vorgabe ist schon nicht im Wortlaut der Merkmalsgruppe 1.2 angelegt (zu Klageerwiderung Rz. 32; Duplik Rz. 18 ff.).
31
cc) Auch die Klagepatentbeschreibung macht insofern keine weiteren zwingenden Vorgaben zur Ausgestaltung des Bodenteils.
32
Insbesondere gibt sie nicht vor, dass es über eine volle seitliche Beweglichkeit in Form einer kontinuierlichen seitlichen Verschiebbarkeit verfügen und insofern im Betrieb kräfteneutral ausgestaltet sein muss. Eine solche Ausgestaltung mag sich zwar in der Beschreibungsstelle [0015] finden, nach der sich das Bodenteil ausschließlich auf dem Werkzeug für die Bodenbearbeitung abstützt, so dass seine Beweglichkeit nicht durch eine Stützvorrichtung eingeschränkt ist. Hierbei handelt es sich aber nur um eine bevorzugte Ausführungsform der klagepatentgemäßen Lehre, die den Patentanspruch insofern nicht zu beschränken vermag.
33
dd) Ein anderes Verständnis des Merkmals 1.1. ergibt sich auch nicht aus dem in der Patentschrift genannten Stand der Technik und den Ausführungen zu diesem.
34
Zwar lässt das Patent grundsätzlich erkennen, dass es ihm um eine Verbesserung der Beweglichkeit des Bodenteils geht. Es gibt aber nicht vor, wie dieses Ziel erreicht werden muss. Die angestrebte Beweglichkeit muss sich hierbei nicht zwangsläufig aus einer widerstandslosen seitlichen Verschiebbarkeit oder aus einer speziellen Ausgestaltung des Bodenteils ergeben, sondern die besondere Anordnung des ersten und des zweiten Gelenks, vgl. [0014], bewirkt dies. Dies steht auch mit dem in der Patentbeschreibung zitierten Stand der Technik in Einklang, von dem sich das Klagepatent abgrenzen möchte.
35
Grundsätzlich hat der Umstand, dass sich ein Patent von konkret beschriebenem Stand der Technik abgrenzt, nur dann Einfluss auf die Auslegung, wenn aus der Schrift hinreichend deutlich hervorgeht, auf welche konkrete Ausgestaltung sich die Abgrenzung bezieht und durch welches Merkmal sich das Patent von dieser Ausgestaltung abgrenzt (BGH GRUR 2024, 1093 Rz. 31 f. – Festhalteanordnung; GRUR 2019, 491 Rn. 19 f. – Scheinwerferbelüftungssystem; BGH GRUR 2022, 1129 Rn. 45 ff. – Verbundelement; BGH GRUR 2022, 1731 Rn. 22, 28 – Brenngutkühlung).
36
Nach diesen Maßstäben grenzt sich das Klagepatent im vorliegenden Fall von einem Stand der Technik ab, bei dem ein seitlich am Bodenteil angeordnetes Gelenk sowie hervorstehende Teile am Bodenteil die Beweglichkeit einschränken (vgl. [0003]) sowie von einer vorbekannten Lehre, bei dem konstruktionsbedingt gar keine wirkliche Beweglichkeit in seitlicher Richtung gegeben ist, vgl. [0007]. Dieser Stand der Technik ist aber nur allgemeiner Stand der Technik, von dem sich das Klagepatent generell abgrenzen möchte. Die Abgrenzung erfolgt aber nicht dadurch, dass diese konkreten Ausgestaltungen durch das klagepatentgemäße Merkmal 1.1. überwunden werden sollen.
37
ee) Etwas anderes lässt sich auch nicht aus den Äußerungen der Klägerin ableiten, die diese im Rahmen des Einspruchsverfahrens zum europäischen Patent 2 832 277 (im Folgenden: EP‘277) zur Auslegung der dem hiesigen Klagepatent zugrunde liegenden PCTAnmeldung WO2011/023169 und insbesondere deren Verhältnis zum in [0006] f. genannten Stand der Technik getätigt hat (vgl. Anlage B5, S. 11 ff.; zum Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung zum Merkmal 1.2.2 sowie in Klageerwiderung Rz. 28 ff.).
38
Denn unabhängig von der Frage, ob diese Äußerungen tatsächlich so zu verstehen sind, wie die Beklagte meint, betreffen sie schon nicht das Klagepatent und können sich daher auch nicht in dieser Patentschrift niedergeschlagen haben (vgl. Werner in: Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 9. Aufl. 2020, § 14 PatG Rn. 44). Im Übrigen gilt auch mit Blick auf Vorgänge im Einspruchsverfahren, dass sie grundsätzlich keine Auswirkung auf die Auslegung des Patentanspruchs bzw. die Bestimmung des Schutzbereichs haben (BGH GRUR 2002, 511, 512 f. – Kunststoffrohrteil m.w.N.). Sofern von diesem Prinzip Ausnahmen anerkannt sind (vgl. Werner, aaO, § 14 PatG Rn. 45 ff.), liegen diese hier nicht vor.
39
b) Das Merkmal 1.1.2 sieht vor, dass das Werkzeug für die Bodenbearbeitung aus mindestens zwei sich gegenläufig und im Wesentlichen horizontal drehenden Treibtellern mit Bearbeitungsaufsätzen besteht.
40
Insbesondere mit Blick auf die Treibteller gibt das Klagepatent damit eine bestimmte Anordnung grundsätzlich vor, nämlich dass die Teller im Wesentlichen horizontal angeordnet sein und sich gegenläufig bewegen müssen. Dieser Vorgabe lässt sich aber nicht entnehmen, dass die patentgemäße Vorrichtung so ausgestaltet sein muss, dass sie in einem kräfteneutralen Zustand operiert, durch den sich die patentgemäße Vorrichtung widerstandlos bewegen lässt (zum Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung sowie in Duplik Rz. 30 ff.; Quadruplik Rz. 1 ff.).
41
Eine solche Ausgestaltung ist im Wortlaut des Anspruchs nicht angelegt. Im Gegenteil lässt dieser sogar Gestaltungen zu, die nicht kräfteneutral ausgestaltet sind. So erfordert er, dass „mindestens“ zwei Drehteller vorhanden sind. Bei der damit ebenfalls patentgemäßen Ausgestaltung mit einer ungeraden Anzahl von Treibtellern wäre eine Kräfteneutralität aber nicht gegeben, vgl. [0017] der von einer gerade Anzahl an Treibtellern ausgeht.
42
Ebenso erfordert das Merkmal nur eine „im Wesentlichen“ horizontale Anordnung der Treibteller. In Zusammenschau mit den anderen Merkmalen adressiert dieser Aspekt nicht eine irgendwie geartete Kräfteneutralität, sondern eine Anordnung der Teller wenigstens so horizontal zum Boden, dass die beispielsweise von Merkmal 1.1.1 genannte Bodenbearbeitung überhaupt möglich ist.
43
Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Klagepatentbeschreibung. Die Kräfteneutralität wird hier nur im Rahmen der Darstellung einer bevorzugten Ausführungsform adressiert. Denn das in [0017] geschilderte System geht von dem Einzelfall aus, dass eine gerade Anzahl von Treibtellern zum Einsatz kommt, während das zuvor in [0016] wiedergegebene Merkmal 1.1.2 auch eine Gestaltung mit einer ungeraden Anzahl an Treibtellern erlaubt. Sodann macht [0017] deutlich, dass die (nur) in ihm beschriebene Kräfteneutralität vor allem dadurch erzeugt wird, dass eine gerade Anzahl von Treibtellern verwendet wird, diese symmetrisch um die Mitte des Bodenbearbeitungsgeräts angeordnet sind und sie sich gegenläufig bewegen. Der Aspekt der horizontalen Anordnung wird in [0017] dagegen gar nicht mehr erwähnt.
44
Ein abweichendes Verständnis der Fachperson der [0016], [0017] ergibt sich auch nicht aus Rückschlüssen aus dem in der Klagepatentschrift behandelten Stand der Technik, insbesondere der DE 196 22 856 A1 (Anlage B2), [0006] f (zum Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung). Zwar beschreibt diese, dass bereits eine leichte Neigung der Telleraufsätze zu einem Vortrieb führen kann, vgl. Anlage B2, Sp. 2, Z. 61 ff. Dieser Aspekt der DE 196 22 856 A1 hat aber keinen Niederschlag in der Klagepatentschrift gefunden und dient damit schon grundsätzlich nicht als taugliches Auslegungsmittel. Denn § 14 S. 2 PatG erfasst keine Einzelheiten des abgehandelten Stands der Technik, soweit sie, obwohl sie nicht zum allgemeinen Fachwissen gehören, in der Beschreibung oder den Zeichnungen des Patents unerwähnt geblieben sind (Scharen in: Benkard, PatG, 12. Aufl. 2023, § 14 PatG Rn. 61 m.w.N.; Werner in: Busse/Keukenschrijver, a.a.O., § 14 PatG Rn. 44).
45
Insofern kommt es auf eine abweichende Auslegung der Klägerin im Rahmen des parallelen Einspruchsverfahrens (vgl. Anlage B14, S. 4 zum dortigen Merkmal 1.7) nicht an (zum Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung sowie in Duplik Rz. 34; Quadruplik Rz. 15 ff.). Denn der hiesigen Prognoseentscheidung über den Rechtsbestand des Klagepatents ist auch die hiesige Auslegung zu Grunde zu legen.
46
Hinsichtlich des Einflusses der Äußerungen der Einspruchsabteilung im Rahmen der Zurückweisung des Einspruchs gegen das EP‘277 sowie der Entscheidung der technischen Beschwerdekammer (vgl. Anlagen B15, S. 5, Ziffer 11.2; B16 S. 7, Ziffer 3.2.2, 3.2.4) auf die hiesige Auslegung gilt grundsätzlich das oben zum Merkmal 1.1 Gesagte. Zwar sind solche Stellungnahmen – anders als die reine Äußerung der Klägerin in den Verfahren – grundsätzlich als fachkundige Äußerung zu werten. Diese beziehen sich aber zum einen nicht auf das vorliegende Verfahren. Zum anderen ist der Maßstab, unter dem die dem Klagepatent zu Grunde liegende PCT-Anmeldung im Einspruchsverfahren des EP‘277 zu betrachten ist, ein anderer als bei der hiesigen Auslegung der Anspruchsmerkmale. Denn als Entgegenhaltung ist die PCT-Anmeldung in der Gesamtheit ihres Offenbarungsgehalts zu betrachten, nicht aber ausgehend von ihren Ansprüchen auszulegen (zu Duplik Rz. 35 ff.; Quadruplik Rz. 17 ff.).
47
c) Die Merkmale 1.1.4 und 1.1.4.1 beschäftigen sich mit der Flüssigkeitszufuhr des Bodenbearbeitungsgeräts. Dabei sehen sie vor, dass das Bodenteil nach Merkmal 1.1 die Flüssigkeitszuführung aufweist und die Flüssigkeitszuführung mittig durch die Treibteller und die Bearbeitungsaufsätze hindurch erfolgt.
48
Nach der gebotenen funktionalen Auslegung erfordert das Merkmal damit nicht, dass die Flüssigkeitszufuhr als Bauteil durch den Treibteller bis zum Bearbeitungsaufsatz hindurchgeführt ist und entweder nach unten über Letzteren hinausragt oder mit ihm abschließt (zu Klageerwiderung Rz. 34 f.; Duplik Rz. 46 ff.). So lässt es der Wortlaut der Klagepatentschrift offen, wie genau die patentgemäße Flüssigkeitszuführung ausgestaltet sein muss. Es wird z.B. nicht vorgegeben, dass dies durch eine Leitung, etc. erfolgen muss. Die Flüssigkeit ist also auch dann bereits patentgemäß durch die Bearbeitungsaufsätze hindurch zugeführt, wenn sie in die Mitte der Bearbeitungsaufsätze und sodann durch diese hindurch gelangt.
49
Diese Auslegung wird auch durch die Klagepatentbeschreibung und die Zeichnungen gestützt. Denn dem Klagepatent kommt es vor allem auf die gleichmäßige flächige Verteilung der Flüssigkeit an, vgl. [0028]. Eine solche kann aber auch dadurch bewirkt werden, dass die Flüssigkeit in die Bearbeitungsaufsätze hineingegeben und dann durch die Zentrifugalkräfte der rotierenden Aufsätze verteilt wird.
50
Insofern ist es auch unerheblich, dass in Fig.3 eine Lösung gezeigt ist, bei der sich die Flüssigkeitszufuhr in Form einer Leitung über das untere Ende des Bearbeitungsaufsatzes hindurch erstreckt (zu Duplik Rz. 46 ff). Auch hierbei handelt es sich lediglich um die nicht beschränkende Darstellung eines Ausführungsbeispiels, vgl. [0041].
51
d) Das Merkmal 1.2.2 beansprucht die Beschaffenheit des weiteren Gelenks. Dieses muss sich ausweislich des Merkmals am Führungsteil befinden und an dessen unteren Ende unterhalb der Mitte des Führungsteils aber oberhalb des Bodenteils angeordnet sein. Ferner muss es eine weitere Gelenkachse aufweisen, die quer zur ersten Gelenkachse nach Merkmal 1.2.1 verläuft.
52
aa) Dadurch wird zunächst vorgegeben, dass sich das weitere Gelenk entlang des Führungsteils, über dem in Merkmal 1.2.1 beanspruchten ersten Gelenk befinden muss. Denn das erste Gelenk „verbindet“ das Führungsteil mit dem Bodenteil. Es muss sich mithin am unteren Ende des Führungsteils befinden, an dem dieses an das Bodenteil ansetzt. Das weitere Gelenk befindet sich dagegen am unteren Ende des Führungsteils, aber „oberhalb des Bodenteils“, mithin höher als das am Übergang von Führungsteil und Bodenteil vorgesehene, diese Elemente verbindende erste Gelenk.
53
bb) Andererseits erfordert die Vorgabe, dass das weitere Gelenk „oberhalb“ des Bodenteils angeordnet sein muss, nicht, dass es sich räumlich-körperlich oberhalb jedes Bauteils des Bodenteils befinden muss, so dass das Führungsteil in jede Richtung voll beweglich ist, ohne an das Bodenteil anzustoßen (zum Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung sowie in Klageerwiderung Rz. 40 ff.; Duplik Rz. 52 ff.). Vielmehr ist das Merkmal funktional zu verstehen. Es setzt voraus, dass das zweite Gelenk so in Bezug auf das Bodenteil am Führungsteil platziert ist, dass die im Zusammenwirken mit den Merkmalen 1.2.1 und 1.2.3 intendierte Funktion eintreten kann. Die Gelenke sollen zusammen ein Kardangelenk bilden, durch welches das Bodenteil um seine Hochachse um mindestens 45 Grad in beide Richtungen parallel zur Bearbeitungsfläche gedreht werden kann. Hiermit will das Klagepatent die intendierte bessere Beweglichkeit herstellen.
54
Dies erfordert aber lediglich, dass das zweite Gelenk nach Merkmal 1.2.2 nicht vollkommen seitlich oder von unten an das Bodenteil ansetzt. So lange diese Beweglichkeit sichergestellt ist, ist es entsprechend auch irrelevant, ob das Führungsteil bzw. das weitere Gelenk bei einer extremeren Neigung der Teile, als man sie für eine 45 Grad-Drehung benötigt, an Teile des Bodenteils anstoßen könnte.
55
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in der Klagepatentschrift zitierten Stand der Technik (zum Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung sowie in Klageerwiderung Rz. 42 ff.; Duplik Rz. 54 f.). Wie bereits zuvor mit Blick auf das Merkmal 1.1 dargestellt wurde, sind die Details der in [0002] bis [0009] des Klagepatents behandelten Druckschriften keine tauglichen Auslegungsmittel, soweit sie keinen Niederschlag in der Patentschrift gefunden haben. In Abgrenzung zu den Erläuterungen von [0002] bis [0009] erfordert das Klagepatent mithin keine „volle“ seitliche Bewegbarkeit in Form einer ungehinderten seitlichen Verschiebbarkeit der patentgemäßen Vorrichtung oder eine ungehinderte Beweglichkeit des Führungselements. Vielmehr geht es dem Klagepatent um eine Verbesserung der Beweglichkeit, ohne dass dabei genauer festgelegt wäre, wie diese genau ausgestaltet sein muss.
56
Mit Blick auf Äußerungen der Klägerin zur Auslegung des Klagepatents im parallelen Einspruchsverfahren (vgl. Anlage B14, S. 4, 11, 19; zu Duplik Rz. 56 f.) gilt das bereits oben unter B.I.6.b) Gesagte.
57
e) Die patentgemäße Auswirkung der in den Merkmalen 1.2.1 und 1.2.2 beanspruchten Gelenkanordnung wird in Merkmal 1.2.3 adressiert.
58
Hiernach muss die Gelenkanordnung so konstruiert sein, dass das Führungsteil um die Achse des zweiten Gelenks quer zur Bearbeitungsrichtung derart verstellbar ist, dass das Bodenteil von einem Benutzer aus parallel zur Bearbeitungsfläche um eine Hochachse des Bodenteils um mindestens ± 45° gedreht werden kann.
59
aa) Der Begriff der „Hochachse“ des Bodenteils ist dabei so zu verstehen, dass diese an beliebiger Stelle des Teils in vertikaler Richtung durch dieses hindurchgehen kann. Das Klagepatent ist nicht auf eine Lösung beschränkt, bei der die Hochachse mittig durch das Bodenteil verlaufen muss (zu Klageerwiderung Rz. 46 ff.; Duplik Rz. 62 ff.). Bereits der Wortlaut des Anspruchs enthält keine solche Beschränkung. Auch rein funktional ist für das Merkmal vor allem relevant, dass die Drehbarkeit des Bodenteils parallel zum Boden hergestellt ist. Dafür muss sich die im Merkmal genannte Hochachse aber nicht in der Mitte des Bodenteils befinden.
60
Auch aus der Beschreibung des Klagepatents und seinen Figuren ergeben sich keine Vorgaben hinsichtlich der Platzierung der Hochachse des Bodenteils. So zeigen die Fig.5a und 5b bereits keine Hochachse, die sich durch die Mitte des Bodenteils erstreckt. Vielmehr ist die mit dem Bezugszeichen A1 versehene Hochachse nach hinten versetzt, da sie sich durch die Mitte des oberen Bauteils erstreckt, welches aber leicht nach hinten versetzt auf das untere Bauteil des Bodenteils 1 aufgesetzt ist. Im Übrigen würde diese in den Figuren gezeigte Ausführungsform die insofern weitergehende Lehre der Patentansprüche auch nicht beschränken können.
61
Mit Blick auf die Äußerungen der Klägerin zur Auslegung des Merkmals im parallelen Einspruchsverfahren (vgl. Anlage B14, S.4) gilt das zuvor Gesagte (zu Duplik Rz. 66 f.).
62
bb) Darüber hinaus erfordert das Merkmal, dass das Bodenteil parallel zur Bearbeitungsfläche gedreht werden kann. Dabei erfordert das Merkmal keine Parallelität zwischen Bodenteil und Bearbeitungsfläche im Sinne einer geometrischen Vorgabe (zu Duplik Rz. 67). Vielmehr ist auch hier das Merkmal grundsätzlich nach seiner Funktion auszulegen. Diese besteht im Falle des Merkmals 1.2.3 darin, die Drehbarkeit des Bodenteils zu ermöglichen. Dafür gibt das Merkmal zum einen vor, dass das Bodenteil um seine Hochachse drehbar sein muss. Ferner muss es sich parallel zum Boden drehen. Entsprechend darf der Drehvorgang nicht z.B. dadurch erfolgen, dass das Bodenteil umgekippt wird. Es muss grundsätzlich weiter auf dem Boden aufliegen und dabei rotiert werden. Dies beinhaltet aber bereits nach dem Wortlaut des Merkmals nicht, dass das Bodenteil sich dabei zu jeder Zeit absolut geometrisch parallel zum Boden bewegt. Auch aus der Klagepatentbeschreibung und den Figuren ergibt sich keine entsprechende Vorgabe.
63
Auch hier gilt mit Blick auf die Äußerungen der Klägerin zur Auslegung des Merkmals im Rahmen des parallelen Einspruchsverfahrens (vgl. Anlage B14, S. 4) das zuvor unter B.I.6.b) Gesagte.
64
Die Beklagte benutzt mit den angegriffenen Produkten den Gegenstand des Klagepatents in der geltend gemachten Fassung von Anspruch 1 unmittelbar wortsinngemäß, § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG. Beide angegriffenen Ausführungsformen weisen insofern sämtliche Merkmale des Klagepatents auf.
65
1. Die Verwirklichung der Merkmale 1, 1.1.1, 1.1.3, 1.1.4, 1.2 und 1.2.1 ist zwischen den Parteien zu Recht nicht streitig. Auch die umstrittenen Merkmale 1.1, 1.1.4.1, 1.2.2 und 1.2.3 sowie im Falle der angegriffenen Ausführungsform II auch das Merkmal 1.1.2 werden verwirklicht.
66
a) Die angegriffene Ausführungsform I ist eine handgeführte BatterieScheuersaugmaschine mit der Serien-Bezeichnung „...“. Eine Gesamtansicht der Maschine ist nachfolgend eingeblendet (Anlage ...)
67
Am oberen Griffteil der Maschine befindet sich ein Bedienfeld mit einer Batteriestandanzeige und Bedienelementen, wie insbesondere Abzugsbügel und Startaste.
68
Nach unten hin schließt sich an das Bedienfeld eine Metallrahmenkonstruktion an.
69
Ferner weist die angegriffene Ausführungsform I das nachfolgend jeweils in einer Ansicht von hinten und unten eingeblendete Bodenelement auf, bestehend aus einem Fahrgestell und einem sog. „Deck“. Das Fahrgestell verfügt über drei Rollen, eine vordere und zwei hintere. Die beiden hinteren Rollen sind fest angebracht, die vordere Rolle ist einklappbar. Unten am Bodenelement befinden sich zwei Antriebsachsen, durch die eine Flüssigkeitszufuhr geleitet ist. An diesen Antriebsachsen können verschiedene Reinigungsaufsätze wie z.B. Tellerbürsten befestigt werden (Klageerwiderung Rz. 52 ff., Beschriftungen beklagtenseitig hinzugefügt):
70
Das Aufbringen der Flüssigkeit auf den Boden geschieht bei Benutzung der angegriffenen Ausführungsformen dadurch, dass die Flüssigkeit in der Mitte der Treibteller aus der Antriebsachse austritt. Durch die Zentrifugalkräfte der rotierenden Treibteller wird sie über diese verteilt (Anlage CBH8, S. 2):
71
Wenn sie nicht zum Reinigen verwendet wird, befindet sich die angegriffene Ausführungsform I in einer Transportposition. In dieser ist die vordere Rolle ausgeklappt, die Reinigungsaufsätze haben keinen Kontakt mit dem Boden. Wenn die angegriffene Ausführungsform I zum Reinigen eingesetzt werden soll, wird der am Bodenteil befindliche Absenkhebel betätigt. Hierdurch wird die vordere Rolle eingeklappt, so dass sie keinen Bodenkontakt mehr hat. Dadurch wird das Bodenelement abgesenkt und die Reinigungsaufsätze treten in Kontakt mit dem Boden. Die hinteren Rollen bleiben auch während der Reinigung in Bodenkontakt.
72
Die oben genannte Metallrahmenkonstruktion mit dem Bedienfeld am oberen Ende ist mit einem Gelenk an dem Bodenelement befestigt. Dieses Gelenk greift von hinten oben in das Bodenelement ein, wie in der nachfolgenden Profilansicht und Draufsicht des Bodenteils dargestellt ist (Klage, S. 28, Markierungen klägerseits hinzugefügt):
73
In der Transportposition ist die Metallrahmenkonstruktion senkrecht zur Oberfläche des Bodenelements arretiert. Durch Betätigung des oben an der Metallkonstruktion befindlichen Griffentriegelungshebels kann sie entriegelt werden und kann dadurch um eine quer zur Fahrtrichtung der Maschine verlaufende Achse nach hinten und in einem gewissen Umfang auch nach vorne verschwenkt werden (Anlage ...6, S. 1):
74
Ferner verfügt die Metallrahmenkonstruktion noch über ein zweites Gelenk. Dieses ist oberhalb des ersten, die Metallrahmenkonstruktion und das Bodenteil verbindenden Gelenks angeordnet. Das zweite Gelenk kann verschwenkt werden um eine Achse, die sich entlang der Fahrtrichtung der Maschine erstreckt (Klage, S. 30, Markierung klägerseits hinzugefügt):
75
Durch das Zusammenwirken der beiden Gelenke kann das Bodenelement in Benutzung parallel zum Boden um eine Hochachse des Bodenelements um einen Winkel von mindestens 45 Grad in beide Richtungen gedreht werden (Anlage ...8, S. 1):
76
b) Die angegriffene Ausführungsform II ist eine handgeführte BatterieScheuersaugmaschine mit der Serien-Bezeichnung „...“. Sie ist in den oben dargestellten für das hiesige Verfahren wesentlichen Elementen grundsätzlich baugleich mit der angegriffenen Ausführungsform I.
77
Anders als die angegriffene Ausführungsform I weist sie Bürstenhalterungen auf, die nicht vollständig parallel zum Boden, sondern leicht nach außen und nach hinten geneigt angeordnet sind. Zwischen den Parteien ist sowohl umstritten, ob hierdurch im Reinigungsbetrieb ein Vortrieb der angegriffenen Ausführungsform II entsteht als auch, ob die nach hinten gerichtete Neigung nur am Bodenteil vorhanden ist oder ob sie sich auch in die Bürstenaufsätze fortsetzt.
78
c) Eine Verwirklichung des Merkmals 1.1 liegt bei beiden angegriffenen Ausführungsformen vor. Beide weisen ein Bodenteil im Sinne des Merkmals auf.
79
Dafür ist es unerheblich, dass die angegriffenen Ausführungsformen unten hinten an ihrem Bodenelement zwei Rollen aufweisen, die insofern eine volle, unmittelbare seitliche Beweglichkeit des Bodenelements in Form einer widerstandslosen seitlichen Verschiebbarkeit bzw. einer kontinuierlichen seitlichen Bewegung verhindern (zu Klageerwiderung Rz. 63 ff.; Duplik Rz. 81 ff.).
80
Denn einer solchen bedarf es nach der Auslegung der Kammer zur Verwirklichung des Merkmals 1.1. gar nicht. Wie bereits oben unter B.I.6.a. ausgeführt, kommt es dem Klagepatent zwar grundsätzlich auf eine Verbesserung der Beweglichkeit an. Das Patent löst dies aber vor allem durch den Einsatz der in den Merkmalen 1.2.1 bis 1.2.3 beschriebenen Gelenkanordnung und die dadurch hervorgerufene Drehbarkeit des Bodenteils. Wie nachfolgend noch im Einzelnen dargestellt wird, weisen die angegriffenen Ausführungsformen beide ein solches auf.
81
Entsprechend wird das Bodenelement der angegriffenen Ausführungsformen durch das Vorhandensein der Rollen auch nicht zu einem Teil des patentgemäßen Führungsteils (zu Klageerwiderung Rz. 67; Duplik Rz. 81 ff). Das Klagepatent verbietet es gerade nicht, dass auch an dem Bodenteil Elemente vorhanden sind, die die ungehinderte Bewegung der Vorrichtung in einzelne Richtungen einschränken. Allein durch das Vorhandensein solcher Elemente wird das Bodenteil nicht zum Führungsteil i.S.d. Merkmalsgruppe 2. d) Ebenso verwirklichen beide angegriffenen Ausführungsformen das Merkmal 1.1.4.1. Die Flüssigkeitszuführung erfolgt nicht nur mittig durch die Treibteller, sondern auch durch die Bearbeitungsaufsätze hindurch.
82
Dafür genügt es, dass die Flüssigkeit in beiden angegriffenen Ausführungsformen in der Mitte der Treibteller aus der Antriebsachse austritt und sodann über die Zentrifugalkräfte der rotierenden Bürsten in diesen verteilt wird (zu Klageerwiderung Rz. 70; Duplik Rz. 91). Wie bereits zuvor unter B.I.6.c. dargestellt wurde, erfordert das Klagepatent es gerade nicht, dass die Flüssigkeitszuführung in einem einheitlichen Bauteil, z.B. in Form einer Leitung besteht, die sich bis in die Bearbeitungsaufsätze erstreckt. Vielmehr genügt es, wenn ein System vorhanden ist, mit dem die Flüssigkeit bis in die Bearbeitungsaufsätze hinein und durch diese hindurch auf den Boden geleitet wird. Eine solche Lösung sehen die angegriffenen Ausführungsformen vor.
83
e) Auch das Merkmal 1.2.2 wird von beiden angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht. Diese weisen beide an ihrem Führungsteil ein weiteres Gelenk auf, das sich am unteren Ende unterhalb der Mitte aber oberhalb des Bodenteils befindet und das eine quer zur ersten Gelenkachse verlaufende weitere Gelenkachse aufweist.
84
Die Position des das Merkmal verwirklichenden Gelenks der angegriffenen Ausführungsformen ist aus der nachfolgend eingeblendeten Abbildung erkennbar (Replik Rz. 58, grüne Markierungen klägerseits hinzugefügt):
85
Nach der Auslegung des Merkmals durch die Kammer (vgl. oben unter B.I.6.d) ist es dabei unschädlich, dass sich das Gelenk nicht vollständig über allen das Bodenelement bildenden Bauteilen der Reinigungsmaschine befindet und an deren hinteren Ende angebracht ist. Es genügt insofern, dass es in Bezug auf das Bodenteil so platziert ist, dass die im Merkmal 1.2.3 beschriebene Funktion, also die Drehbarkeit des Bodenteils parallel zum Boden um mindestens 45 Grad, erfüllt wird. Das ist in den angegriffenen Ausführungsformen unstreitig der Fall (vgl. für die angegriffene Ausführungsform I ... Anlage 14 und für die angegriffene Ausführungsform II die ... Anlage 19). Entsprechend ist es auch unerheblich, dass die Metallkonstruktion der angegriffenen Ausführungsformen durch die Platzierung der Gelenke nicht in alle Richtungen ohne Anstoßen voll beweglich ist. Das Klagepatent erfordert dies nicht (zu Klageerwiderung Rz. 71 ff.; Duplik Rz. 92 ff.).
86
f) Ebenso verwirklichen die angegriffenen Ausführungsformen das Merkmal 1.2.3. Insbesondere sind die Reinigungsmaschinen um eine Hochachse des Bodenteils i.S.d. Merkmals drehbar. Auch im Fall der angegriffenen Ausführungsform II erfolgt diese Drehung parallel zur Bearbeitungsfläche.
87
aa) Anders als die Beklagte meint, ist es insofern unschädlich, dass die Drehung der Bodenbearbeitungsgeräte aufgrund des Ansatzes der Metallkonstruktion im hinteren Bereich des Bodenelements um eine Achse erfolgt, die gegenüber der unmittelbaren Mitte des Bodenelements etwas nach hinten versetzt ist (zu Klageerwiderung Rz. 75 ff.; Duplik Rz. 99 ff.). Eine solche mittige Platzierung der Hochachse erfordert das Klagepatent nicht, vgl. oben unter B.I.6.e).
88
bb) Ebenso ist es unerheblich, ob die angegriffene Ausführungsform II eine Neigung der Bürstenaufsätze nach hinten aufweist (zum Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung sowie in Duplik Rz. 120). Wie bereits zuvor unter B.I.6.e) bb) erörtert, ist die von Merkmal 1.2.3 geforderte Parallelität nicht im Sinne einer vollständigen geometrischen Parallelität zu verstehen sondern vielmehr dahingehend, dass das Bodenteil nicht so gekippt werden darf, dass es nicht mehr mit seiner reinigenden Unterseite auf dem Boden aufliegt.
89
Diese Vorgabe hält die angegriffene Ausführungsform aber vorliegend ein (vgl. Anlage ... 19).
90
g) Außerdem streiten die Parteien darüber, ob die angegriffene Ausführungsform II das Merkmal 1.1.2 verwirklicht. Dies ist der Fall. Insbesondere sind die rotierenden Bürstenteller der Reinigungsmaschine so angeordnet, dass sie sich gegenläufig und im Wesentlichen horizontal bewegen.
91
Anders als die Beklagte meint (vgl. Duplik Rz. 1 f.; 69 ff., 102 ff.; Quadruplik Rz. 21 ff.) erfordert das Merkmal mit diesen Vorgaben nicht, dass die patentgemäße Vorrichtung im Betrieb kräfteneutral ausgestaltet sein muss (dazu bereits s.o. unter B.I.6.b). Es genügt vielmehr, dass die Bearbeitungsaufsätze so horizontal ausgerichtet sind, dass sie den Boden erreichen und bearbeiten können. Dies ist auch bei der angegriffenen Ausführungsform II unstreitig der Fall.
92
Entsprechend kommt es vorliegend nicht darauf an, ob durch die Schrägstellung der Treibteller ein Vortrieb der angegriffenen Ausführungsform II erzeugt wird (vgl. Anlagen B18 bis B20g).
93
Die Beklagte hat die von der Klägerin geltend gemachten Benutzungshandlungen des Anbietens, Inverkehrbringens und Einführens vorgenommen.
94
1. Die Beklagte bietet die patentverletzenden Produkte an und bringt sie im Inland in den Verkehr, indem sie sie auf ihrer Website www ... de nicht nur bewirbt, sondern auch zum Kauf anbietet. Die Benutzungshandlung des Einführens ergibt sich daraus, dass die Beklagte die Produkte unbestrittenermaßen aus England nach Deutschland einführt.
95
2. Auf das Vorliegen der Benutzungshandlung des Herstellens durch die Beklagte kommt es vorliegend nicht an, weil die Klägerin bereits keinen entsprechenden Antrag gestellt hat. Abgesehen davon ergibt sich allein aus der Formulierung auf der Website der Beklagten „Auch in Österreich, in der Schweiz und in Dänemark verantwortet ... Deutschland den Vertrieb als Hersteller und Full-Service-Dienstleister.“ entgegen der Meinung der Klägerin keine Herstellungshandlung der Beklagten (zu Klage S. 48 f.; Replik Rz. 69 f.). Die Aussage ist erkennbar bewerbend gemeint. Damit beschreibt sie weder das aktuell konkrete Vorgehen der Beklagten bei ihrer Tätigkeit noch begründet sie eine Erstbegehungsgefahr.
96
Die Beklagte ist auch passivlegitimiert. Ausweislich des dortigen Impressums (vgl. Anlage ... 10) betreibt sie die Website, über die die angegriffenen Ausführungsformen im Inland verfügbar sind. Ferner fungiert sie unstreitig als deren Importeurin.
97
Damit stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche wie tenoriert zu.
98
1. Der Anspruch auf Unterlassung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG. Die Wiederholungsgefahr wird durch die rechtswidrigen Benutzungshandlungen in der Vergangenheit indiziert. Sie ist vorliegend auch nicht wieder entfallen.
99
2. Der Entschädigungsanspruch ergibt sich vorliegend nicht aus Art. II § 1 IntPatÜG. Die Beklagte hatte zwar Kenntnis vom Klagepatent und dessen Anmeldung, sie benutzte aber nicht den Gegenstand der Anmeldung.
100
Was Gegenstand der Anmeldung ist, wird in erster Linie durch die (vorgeschlagenen) Patentansprüche definiert, die Bestandteil der offengelegten Anmeldungsunterlagen sind. Diese Ansprüche sind unter Heranziehung der Beschreibung und etwaiger Zeichnungen auszulegen, wie dies auch für die Ansprüche eines erteilten Patents gem. § 14 PatG gilt. Reicht der Anmelder geänderte Ansprüche ein, gilt für die Bestimmung des „Schutzbereichs“ der Anmeldung die jeweils engere Fassung (zum insofern identischen § 33 PatG: Schacht in: Benkard, a.a.O., § 33 PatG Rn. 14). Entsprechend kann der Entschädigungsanspruch nicht über den Schutzbereich der Patentansprüche der Offenlegungsschrift ausgedehnt werden. Darauf, ob das Patent mit weitergefassten Patentansprüchen erteilt wird als mit denen der Offenlegungsschrift, kommt es nicht an, weil letztere (engere) maßgeblich sind (Werner in: Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 9. Aufl. 2020, § 33 PatG Rn. 9).
101
Nach diesen Grundsätzen benutzten die Produkte der Beklagten nicht den Gegenstand der ursprünglich angemeldeten Ansprüche. Denn in den ursprünglich angemeldeten Ansprüchen des Klagepatents war vorgesehen, dass „das Führungsteil (2) mittels eines an dem Führungsteil (2) angebrachten Bügels (5), der das Bodenteil (1) zumindest abschnittsweise umgreift, über ein in Bearbeitungsrichtung (6) verstellbares erstes Gelenk (4) mit einer Gelenkachse (G 1) quer zur Bearbeitungsrichtung (6) mit dem Bodenteil (1) verbunden ist“ (vgl. Anlage B6, S. 48). Der Anspruch enthielt das zusätzliche Element der Ausgestaltung des ersten Gelenks als Bügel. Dieses Element weisen die Produkte der Beklagten aber unstreitig nicht auf. Entsprechend ist die Klage insofern abzuweisen.
102
3. Da die Beklagte die Verletzungshandlungen vorwerfbar begangen hat, ist sie dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, § 139 Abs. 2 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
103
Dabei ist der Schadensersatzanspruch vorliegend bereits ab Erteilung des Patents zu erteilen und nicht erst nach Ablauf einer 1-monatigen Karenzfrist (vgl. BGH GRUR 1986, 803, 806 – Formstein). Die Beklagte kannte das Klagepatent und dessen zu erteilende Fassung unbestrittenermaßen. Darüber hinaus handelt es sich vorliegend um keinen technisch komplizierten Sachverhalt. Entsprechend hatte die Beklagte unmittelbar ab Erteilung des Klagepatents positive Kenntnis von ihren Verletzungshandlung.
104
Eine für die Feststellung der Schadensersatzpflicht ausreichende gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens ist wegen des bereits eingetretenen Schadens aufgrund der geschehenen Patentbenutzungen begründet.
105
4. Der Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB.
106
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
107
Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Mangels Vorliegens eines Entschädigungsanspruchs war der Anspruch aber erst ab dem Entstehen des Schadensersatzanspruchs zu gewähren und die Klage im Übrigen abzuweisen.
108
4. Die Ansprüche gegen die Beklagte auf Vernichtung der Verletzungsformen und deren Rückruf ergeben sich im Umfang des Tenors aus § 140a Abs. 1 und 3 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
109
Eine Aussetzung nach § 148 ZPO mit Blick auf die anhängigen Einspruchsverfahren der ... Inc. vom 05.04.2023 (Anlagenkonvolut B6) und der Beklagten vom 11.12.2023 (Anlagenkonvolut B7) ist nicht veranlasst.
110
I. Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellen als solches keinen Grund dar, das Verfahren auszusetzen. Anderenfalls würde man dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beimessen, die ihm nach dem Gesetz gerade fremd ist (BGH GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug). Bei der gebotenen Interessenabwägung hat grundsätzlich das Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung des ihm erteilten Patents Vorrang (vgl. Cepl in: ders./Voß, a.a.O., § 148 ZPO Rn. 106 m.w.N). Denn das Patent bietet nur eine beschränkte Schutzdauer. Für die Dauer der Aussetzung ist das Schutzrecht mit Blick auf den Unterlassungsantrag, der einen wesentlichen Teil des Schutzrechts darstellt, noch zusätzlich praktisch aufgehoben. Daher kommt eine Aussetzung grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Vernichtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Cepl in: ders./Voß, a.a.O., § 148 ZPO Rn. 107 m.w.N.).
111
II. Nach diesen Maßstäben ist das Verfahren nicht auszusetzen.
112
Der Gegenstand des Klagepatents ist nach Auffassung der Kammer rechtsbeständig. Die von der Beklagten erhobenen Angriffe auf den Rechtsbestand des Klagepatents greifen nicht durch, jedenfalls nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit.
113
1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Klagepatents ist gegenüber der Anmeldung des Klagepatents nicht unzulässig erweitert. Dies gilt sowohl mit Blick auf die ursprüngliche Anmeldung des Klagepatents (Anlage B6, S. 42 ff.) als auch auf die Stammanmeldung zum europäischen Patent 2 470 055, aus der das Klagepatent abgezweigt worden ist (Anlage B8).
114
a) Anders als die Beklagte meint (vgl. Klageerwiderung Rz. 83 ff., Duplik Rz. 126 ff.), ist der Gegenstand des Klagepatents nicht unzulässig durch eine Zwischenverallgemeinerung erweitert worden, indem kein Bügel mehr vorgesehen ist, der das Bodenteil umgreift und mit dem das Führungsteil über das erste Gelenk i.S.d. Merkmals 1.2.1 an dem Bodenteil befestigt ist.
115
Ein solches Element ist zwar z.B. in den ursprünglich angemeldeten Ansprüchen des EP‘055 vorgesehen, vgl. der dortige Anspruch 29., sowie in den ursprünglich angemeldeten Ansprüchen des Klagepatents, vgl. Anlage B6, Anspruch 1. Es handelt sich auch dort aber jeweils um ein Element, das keinen erfindungswesentlichen technischen Beitrag zum Gegenstand der Erfindung leistet. Entsprechend führt sein Weglassen nicht zu einer unzulässigen Erweiterung (vgl. Technische Beschwerdekammer, EPA ABl. 1995, 379, 384 – Fotodiode/COLORADO; Schacht in: Benkard, a.a.O., § 38 PatG Rz. 71).
116
Entscheidend für die beabsichtigte leichtere Beweglichkeit des Bodenbearbeitungsgeräts ist bereits in der Stamm- und dann auch in der Ursprungsanmeldung allein die Kombination des ersten Gelenks und des weiteren Gelenks mit ihren quer zueinander verlaufenden Gelenkachsen (vgl. Anlage B6, [0011] und [0042]; Anlage B8, S. 12, Z. 12 ff., S. 14, Z. 7 ff.). Der Bügel stellt dagegen nur eine spezielle Ausformung des ersten Gelenks dar, ohne dass diese einen spezifischen technischen Beitrag zur Lösung des Klagepatents leisten würde.
117
b) Diese Einschätzung deckt sich auch mit der Einschätzung des Europäischen Patentamts in dem parallelen Rechtsbestandsverfahren zu einem Schutzrecht derselben Patentfamilie wie das Klagepatent, EP 3 508 106. Auch hier sah das Patentamt bislang keine unzulässige Erweiterung durch Weglassen des Bügels, vgl. Anlage ... 15, S. 5.
118
2. Daran anknüpfend ist der Gegenstand des Klagepatents auch neu gegenüber dem Gegenstand der …44 (Anlage B9, im Folgenden: Prioritätsschrift).
119
Anders als die Beklagte meint (Klageerwiderung Rz. 90 ff.; Duplik Rz. 137) nimmt das Klagepatent die Priorität wirksam gem. Art. 87 EPÜ in Anspruch, kann also durch die Prioritätsschrift nicht neuheitsschädlich getroffen werden. Auch hier führt das Weglassen des Bügels nicht dazu, dass das Klagepatent sich nicht mehr auf dieselbe Erfindung bezöge wie die Prioritätsschrift. Es gilt insofern das zuvor zum Nichtvorliegen der unzulässigen Erweiterung Ausgeführte.
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3. Der Gegenstand des Klagepatents ist außerdem erfinderisch gegenüber dem Gegenstand der japanische Anmeldung JP 2001-327442 (Anlagen B12/12a, im Folgenden: D10) in Kombination mit dem Gegenstand der Druckschriften JP 2007-175244 (Anlage B13/13a, im Folgenden: D11) bzw. US 2008/0148512 A1 (Anlage B7, S. 134, im Folgenden: D12).
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a) Die D10 zeigt ein Bodenreinigungsgerät 1 („floor-washing device“) mit einem Bodenteil 8 („brush head“) und einem Führungsteil 2 („operating handle“). Das Bodenreinigungsgerät 1 weist weiter eine Flüssigkeitszuführung 15 („water supply hose“), Bürstenwerkzeuge RA („left and right brushes“) und eine Flüssigkeitsaufnahme 10A, 10B („front and rear squeegee blades“) auf. Die Flüssigkeitszuführung 15, die Bürstenwerkzeuge RA und die Flüssigkeitsaufnahme 10A, 10B sind an dem Bodenteil angeordnet (vgl. z.B. Fig.7 der D10). Die Flüssigkeitszuführung 15 erlaubt das Zuführen von Flüssigkeit auf die zu reinigende Fläche. Die Bürstenwerkzeuge RA dienen einem Nassscheuern der (befeuchteten) Fläche. Die Flüssigkeitsaufnahme 10A, 10B dient der Aufnahme der zuvor zugeführten und mit Schmutz versetzten Flüssigkeit. Einen Überblick über das Bodenreinigungsgerät der D10 bietet dessen Fig.1 (nachfolgend aus der als Anlage B12a vorgelegten Maschinenübersetzung entnommen):
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Die Entgegenhaltung beschreibt ferner, dass das gezeigte Bodenreinigungsgerät 1 in unterschiedlichen Betriebsmodi betrieben werden könne. So ermögliche ein erster Modus ein gleichzeitiges Nassscheuern und Saugen (vgl. Fig.6, sowie [0027] “ the operations of supplying water, washing and suction can be performed simultaneously“). Im zweiten Betriebsmodus erfolge nur eine separate Flüssigkeitsaufnahme (vgl. Fig.7, sowie [0028] „dirty water can be sucked up from the floor“). Ein dritter Betriebsmodus ermögliche ein separates Nassscheuern (vgl. Fig.8, sowie [0029] „only washing is performed“). Ein Hin- und Herschalten zwischen den verschiedenen Modi erfolge in der D10 dadurch, dass der Nutzer das Führungsteil 2 durch eine Vor- bzw. Zurückbewegung in eine dem Modus zugeordnete Position bewege. Diese unterschiedlichen Positionen werden z.B. in den Fig.9-11 der D10 gezeigt.
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b) Wie zwischen den Parteien zu Recht unstreitig ist, offenbart die D10 damit nicht die Merkmale 1.2.2 und 1.2.3 des Klagepatents. Weder sieht sie ein weiteres Gelenk vor, dessen Gelenkachse quer zu dem Gelenk verläuft, um welches das Führungsteil 2 der D10 in Bearbeitungsrichtung vor- und zurückbewegt werden kann. Noch ist es in der D10 möglich, das Bodenteil 8 parallel zum Boden um seine Hochachse zu drehen. Vielmehr geht die D10 von einer bloßen Vorwärts- und Rückwärtsbewegung des Bodenreinigungsgeräts aus („operation is performed by moving the cleaner head backwards and forwards manually,“, [0004] der D10).
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c) Eine eventuelle Weiterentwicklung dieser Lösung hin zum Klagepatent durch Vorsehen eines weiteren Gelenks gemäß der Merkmale 1.2.2 und 1.2.3 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Für die Fachperson war es ausgehend von der D10 nicht naheliegend, die dort gezeigte Lösung mit einem Kardangelenk zu kombinieren.
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Die Beklagte hat insofern zwar geltend gemacht, dass eine Fachperson, die ausgehend von der D10 mit dem technischen Problem konfrontiert würde, eine größere Beweglichkeit des Bodenteils zu ermöglichen, sich der in der D11 und D12 gezeigten Lösung zugewandt hätte (vgl. den Vortrag in der mündlichen Verhandlung sowie in Klageerwiderung Rz. 127 f.). Allein die bloße Möglichkeit, eine Lösung aufzufinden, ist aber nicht ausreichend, um ein Naheliegen zu begründen. Die Beklagte hat nicht aufzeigen können, aus welcher Stelle der D10 sich die von ihr vorgetragene Motivation ergeben sollte. So dient die Auf- und Abbewegung des Führungsteils in der D10 schon grundsätzlich nicht dazu, irgendeine Drehung des Bodenteils zu ermöglichen, sondern primär lediglich dazu, zwischen den einzelnen Bedienmodi zu wechseln.
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4. Auch ausgehend von den weiteren seitens der Beklagten diskutierten Dokumenten und Kombinationen derselben war es für die Fachperson nicht nahegelegt, zur Lösung des Klagepatents zu gelangen. Hier mangelt es ebenfalls jedenfalls jeweils am Vortrag zum Anlass für eine Weiterentwicklung hin zur Lehre des Klagepatents.
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Die Geheimhaltungsanträge der Beklagten sind zulässig und in diesem konkreten Einzelfall im tenorierten Umfang begründet (vgl. LG München I, Urt. vom 20.09.2024, 21 O 9428/23). Sofern die Beklagte darüber hinaus Anordnungen betreffend weitere gerichtliche Anordnungen nach § 145a PatG i.V. mit § 19 GeschGehG geltend machen, ist der Antrag (derzeit) unbegründet.
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Diese Maßnahmen gehen zurzeit aufgrund Unbestimmtheit (noch) ins Leere. Für entsprechende Anordnungen nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GeschGehG sowie für die Androhung von Ordnungsmitteln bei Zuwiderhandlungen nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GeschGehG ist es zu früh. Denn diese Anordnungen sind noch von weiteren Umständen und Voraussetzungen abhängig, die jetzt noch nicht gegeben sind. Sie können aber zu gegebener Zeit, später, ggf. noch auf Antrag der Beklagten im Zwangsvollstreckungsverfahren getroffen werden, weil die Geheimhaltungsbedürftigkeit der betroffenen Informationen bereits festgestellt ist, vgl. § 19 Abs. 3 GeschGehG.
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I. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Zuvielforderung der Klägerin ist verhältnismäßig geringfügig und hat keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst.
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II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
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Die tenorierte Festsetzung von Teilsicherheiten entspricht gängiger Übung der Verletzungskammern am Landgericht München I und orientiert sich den Teilstreitwerten wie von der Klägerin angegeben.