Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 11.12.2024 – 3 W 2333/24
Titel:

Herabwürdigende Kritik an einer Tageszeitung und deren Journalisten in einer satirisch geprägten Glosse

Herabwürdigende Kritik an Tageszeitung und deren Journalisten in satirisch geprägten Glosse

Normenketten:
BGB §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 1
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, Art. 19 Abs. 3
Leitsätze:
1. Ein Meinungsartikel einer Zeitschrift mit Kritik an der Qualität einer anderen Tageszeitung kann derart durch satirische Verfremdung und Übertreibungen geprägt sein, dass er in einem ersten Schritt von seiner satirischen Einkleidung zu befreien und der Aussagekern für sich betrachtet daraufhin zu überprüfen ist, ob er eine Kundgabe der Missachtung der betroffenen Person enthält, und in einem zweiten Schritt die satirische Einkleidung einer gesonderten und weniger strengen rechtlichen Beurteilung zu unterziehen ist.
2. Es besteht keine Wiederholungsgefahr in Bezug auf die isolierte Verwendung von bestimmten Aussagen aus einem Meinungsartikel, wenn sich die Zulässigkeit der – für sich genommen grundsätzlich persönlichkeitsrechtsverletzenden Passagen – gerade aus der Gesamtschau des vollständigen Beitrags als satirischer Abriss ergibt. Eine Wiederholungsgefahr kann in diesem Fall auch nicht nach den Grundsätzen zur sogenannten „Kerntheorie“ angenommen werden.
Schlagwort:
Persönlichkeitsrecht
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 22.11.2024 – 11 O 6623/24
Fundstellen:
AfP 2025, 141
MDR 2025, 592
LSK 2024, 35478
GRUR-RS 2024, 35478
ZUM-RD 2025, 124

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22.11.2024, Az. 11 O 6623/24, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin verlegt u.a. die Tageszeitung „N.“. Der in dem streitbefangenen Artikel (Anlage ASt 1) benannte „Herr H.“ ist Chefredakteur der „N “, „Herr J.“ Mitglied der Chefredaktion der „N.“ [Tageszeitung].
2
Die Antragsgegnerin verlegt u.a. die Zeitung „T.“ und verantwortet das Internetportal „[…].de“.
3
Am 6.11.2024 erschien in dem Internetportal „[…].de“ der von Herrn R. verfasste Artikel „Die hoch geschaukelte Spirale“ (Anlage ASt 1).
4
Mit Schreiben vom 11.11.2024 wurde die Antragsgegnerin abgemahnt (Anlage ASt 2). Mit Mail vom 15.11.2024 teilte die Antragsgegnerin mit, dass keine weiteren Texte über „N.“ [Tageszeitung] durch Herrn R. in Planung seien (Anlage ASt 3).
5
Mit Schriftsatz vom 18.11.2024 begehrte die Antragstellerin die folgende einstweilige Verfügung:
6
Der Antragsgegnerin wird es […] untersagt,
1.
den Artikel „Die hoch geschaukelte Spirale“ zu verbreiten/verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen/öffentlich zugänglich machen zu lassen, wie dies geschehen ist am 6.11.2024 auf „[…].de“ (Anlage AS 1),
2.
hilfsweise die Äußerungen:
„Neues von den ‚N.‘ [Tageszeitung] und ihren von allen guten Sprachgeistern verlassenen Phrasenkönigen im Reich der Buchstabenbrühe“ und/oder
„Die ‚N.‘ [Tageszeitung] lassen sich nur mit einem bereitgestellten Speikübel lesen (Brecht)" und/oder
„Schade, dass unsere Hofscheune vor vielen Jahren abgerissen wurde. Im Plumpsklo an der Vorderseite fand das Monopolblatt aus dem Dürerhauptquartier (Philipp Moll), das ein Trupp von Pfeifen und Ganztageskonformisten im ehemaligen Gauhaus des Herrn J. S. zusammenstammelt, als Scheißhauspapier immerhin sinnvolle Verwendung“ und/oder
„Man langt in die Buchstabenbrühe, die J. praktisch täglich aufs Papier kübelt, blindlings hinein und 'fischt Waffen, die im übrigen' – im übrigen – 'nicht an sich' – an sich – 'schuldig sind', heraus. Im selben Text schwimmt ein 'verheerendes Massaker' herum (im Gegensatz zu einem segensreichen Massaker) und tummeln sich Geiseln, die 'als (leider oft nicht lange lebende) Schutzschilde … Missbraucht' werden. Für die Obszönität der Formulierungen in Klammern möge man ihn in Israel vor den Kade bugsieren, auch dafür, dass er ein paar Sätze später die dem Tode geweihten als 'Spielmaterial' verhöhnt“ und/oder
„Ein Hauch von Hirnjauche weht dich aus alledem an“ und/oder
„Der SPD-Pressesprecher (Der neue Kurs stimmt, bejubelt J. den Kanzler) aus des Führers Lieblingsstadt hat in jüngster Zeit allerdings seinen Meister in einem Chefredakteur namens H. gefunden, der sich in noch dümmeren Phrasen geradezu suhlt“ und/oder
„Gleichwohl fragen wir uns, ob ein Duo beschränkter Gockel die vierte Gewalt (H.) unbedingt derart in den Dreck reiten muss, dass auf die gedruckte Zeitung demnächst tatsächlich endgültig geschissen sein wird“
zu verbreiten/verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen/öffentlich zugänglich machen zu lassen, wie dies geschehen ist am 6.11.2024 auf „taz.de“ (Anlage AS 1).
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Das Landgericht Nürnberg-Fürth wies mit Beschluss vom 22.11.2024 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 18.11.2024 zurück. Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass weder der Artikel insgesamt noch die hilfsweise einzeln angegriffenen Passagen daraus als unzulässige Schmähkritik einzuordnen seien. Die Gesamtabwägung zwischen der Schwere der Beeinträchtigung der Unternehmenspersönlichkeit der Antragstellerin einerseits und der Einbuße an Meinungs- und Pressefreiheit durch eine Untersagung des Artikels bzw. der hilfsweise angegriffenen Äußerungen anderseits führe zu dem Ergebnis, dass der mit der Veröffentlichung des Artikels verbundene Eingriff nicht rechtswidrig sei.
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Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie ihre erstinstanzlichen Unterlassungsansprüche weiterverfolgt. Zur Begründung führt die Antragstellerin insbesondere aus, dass es für die Leser keine konkreten Anknüpfungspunkte für die stets pauschal herabwürdigenden Äußerungen gebe, was ein maßgebliches Indiz für das Vorliegen einer Herabwürdigung/Schmähung sei. In dem Artikel ginge es nicht um eine sachbezogene Auseinandersetzung mit Beiträgen aus den „N“ [Tageszeitung]. Es gehe darum, ob die „N“ [Tageszeitung] als eine Zeitung diffamiert werden dürfe. Antragsteller seien nicht die angegriffenen Redakteure, sondern der Verlag N. verlange gerichtlichen Schutz gegen die Verbreitung von nicht mehr tolerierbaren Attacken gegen sein Flaggschiff „N“ [Tageszeitung] als einem weithin anerkannten Vermittler von Qualitätsjournalismus. Die Grenze zur Schmähung sei massiv überschritten.
II.
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Der Antragstellerin steht trotz gegebener nicht unerheblicher Eingriffe in ihr Persönlichkeitsrecht (nachfolgend unter 1.) weder ein Anspruch auf Unterlassung des Gesamtartikels „Die hoch geschaukelte Spirale“ (nachfolgend unter 2.) noch ein Anspruch auf Unterlassung der einzelnen Äußerungen des Hilfsantrags (nachfolgend unter 3.) aus § 1004 Abs. 1 S. 2, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zu. Ein Anspruch besteht auch nicht nach Lauterkeitsrecht (nachfolgend unter 4.).
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1. Vorab ist festzustellen, dass der auf „[…].de“ veröffentlichte Beitrag „Die hoch geschaukelte Spirale“ mehrere Passagen enthält, die schon wegen der gewählten Begriffe nicht nur geschmacklos und unpassend sind, sondern auch von den betroffenen Personen – also sowohl von der Antragstellerin als Zeitungsverlegerin als auch von den in dem Artikel namentlich benannten Redakteuren – aufgrund der teilweise sehr ausfälligen Sprache nachvollziehbar als herabwürdigend und verletzend empfunden wurden und bei diesen berechtigterweise erhebliche Verärgerung auslösten.
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Vor diesem Hintergrund steht es außer Frage, dass sowohl die im Hilfsantrag beanstandeten Äußerungen als auch der Artikel in seiner Gesamtheit einen Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Antragstellerin darstellen. Das Unternehmenspersönlichkeitsrecht schützt als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts den durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG gewährleisteten sozialen Geltungsanspruch von Kapitalgesellschaften als Wirtschaftsunternehmen (BGH GRUR 2021, 1207 Rn. 53 – Vorsicht Falle). Hierzu gehört der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der (juristischen) Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken (BVerfG NJW 2012, 1643 Rn. 30; BVerfG NJW 2014, 764 Rn. 14). Ein derartiger Eingriff ist im Streitfall unproblematisch aufgrund der in dem Artikel verwendeten ehrenrührigen Sprachbilder unter mehrfacher namentlicher Nennung der Antragstellerin zu bejahen.
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2. Der Antragstellerin steht der in Ziffer 1. ihres Antrags geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung des gesamten Artikels „Die hoch geschaukelte Spirale“ gleichwohl nicht zu, da die Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange vor dem Hintergrund der Eigenart des Textes als in eine satirische Darstellung gekleidete Meinungsäußerung ergibt, dass der mit der Veröffentlichung des Artikels verbundene Eingriff nicht rechtswidrig ist.
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a) Liegt – wie im Streitfall – ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor, führt dies nicht ohne weiteres zur Annahme eines rechtswidrigen Eingriffs mit der Folge eines Unterlassungsanspruchs, da wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechtes seine Reichweite nicht absolut feststeht, sondern erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden muss, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist aufgrund dessen nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH GRUR-RR 2016, 476 Rn. 14 – Nerzquäler; BGH GRUR 2016, 855 Rn. 30 – www.jameda.de).
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b) Für die vorzunehmende Güter- und Interessenabwägung ist im vorliegenden Fall entscheidend, dass es sich bei dem Artikel „Die hoch geschaukelte Spirale“ nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums um einen satirisch geprägten Beitrag handelt.
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aa) Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut – der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann – und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH GRUR 2017, 308 Rn. 13 – Die Anstalt).
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Der in dem Internetportal „[…].de“ erschienene Artikel wendet sich an ein politisch interessiertes, breites öffentliches Publikum. Die Mitglieder des Senats gehören als Leser von Tageszeitungen und für Fragen der Politik aufgeschlossene Bürger zu den angesprochenen Verkehrskreisen und können die Interpretation der Äußerung in diesem Beitrag aus eigener Sachkunde vornehmen.
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bb) Der Beitrag „Die hoch geschaukelte Spirale“ ist in offensichtlicher Weise durch satirische Verfremdung und Übertreibungen geprägt.
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Bereits der Wortlaut der Überschriften „Die Wahrheit. Die hoch geschaukelte Spirale. Neues von den 'N.' [Tageszeitung] und ihren von allen guten Sprachgeistern verlassenen Phrasenkönigen im Reich der Buchstabenbrühe“ deutet auf einen satirisch geprägten Beitrag hin. Dies beginnt bei dem ersten Teil des Titels „Die Wahrheit“, obwohl es sich bei dem Beitrag um einen reinen Meinungsartikel handelt und sich im Text keine einzige Tatsachenbehauptung – obwohl nur solche dem Wahrheitsbeweis zugänglich wären – findet. Auch die verwendeten Neologismen „von allen guten Sprachgeistern verlassen“, „Phrasenkönig“ oder „Buchstabenbrühe“ zeigen, dass der Autor durch Überspitzung zum Schmunzeln anregende Kritik äußern möchte.
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Der satirische Charakter wird verstärkt durch die unter der Überschrift befindliche Abbildung einer rot-grün verlaufenden, ineinandergreifenden Spirale, die einen dreidimensionalen Eindruck vermittelt und mit der Bildunterschrift „Endlich ein Bild der berühmten Spirale der Gewalt“ versehen ist. Dies vermittelt dem Durchschnittsleser insbesondere durch die Verwendung der Wörter „endlich“ und „berühmt“ – als habe es der Autor geschafft, eine schon seit langen erwartete Visualisierung der allseits bekannten Gewaltspirale zu schaffen, obwohl auf dem Bild lediglich eine rot-grüne Schnecke zu sehen ist – einen parodierenden Eindruck.
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Auch im Text selbst wird durch die Ausdrucksweise in Ich-Form sowie die verwendeten Metaphern und karikaturesken Bildspracheelemente deutlich, dass sich der Artikel aus einem subjektiven Blickwinkel im Stil einer Glosse in polemischer und sarkastisch-satirischer Weise sowie in teilweise sehr derber Sprache plakativ-kritisch mit den „N.“ [Tageszeitung] auseinandersetzt. Die Verwendung der im Hilfsantrag aufgeführten Äußerungen zeigt, dass die bewusste Übertreibung – teilweise sogar ins Irrwitzige übersteigert – ein essenzielles Stilmittel des Beitrags ist. All dies sind der Satire wesenseigene Ausdrucksformen der Verfremdung, Verzerrung und Übertreibung, mit denen in erster Linie Überzeugungen, nicht aber so sehr Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen transportiert werden sollen (vgl. BeckOGK/T. Hermann, 1.11.2024, BGB § 823 Rn. 1347). Darüber hinaus enthält der Beitrag eine Vielzahl an humoristischen Wortspielen – wie beispielsweise der mit „Bleilettern in den Beinen“ zurückgelegte frühmorgendliche „Gang zum Kasten für gepeinigte Zellulosefasern“, „Chefkaspar der ‚N.‘ [Tageszeitung]“ „Dürerhauptquartier“, „wurstsemmelegal“, „Er frisst pro Tag drei pleonastische Aktuell-Längst-Russen“, „Dann soll sich Scholzo die K-Frage stochastisch schönsaufen“ oder „Das Komma hält H. offenbar für eine eklige Sexualpraktik“ – wodurch der satirisch-augenzwinkernde Charakter des Beitrags ebenfalls verdeutlicht wird.
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Am Ende des Artikels wird – wiederum in sprachlich völlig überspitzter und verspottender Form – der Niedergang der gedruckten Zeitung an sich mit der im Artikel kritisierten Qualität in Zusammenhang gebracht, indem es heißt: „Gleichwohl fragen wir uns, ob ein Duo beschränkter Gockel die 'vierte Gewalt“ (H.) unbedingt derart in den Dreck reiten muss, dass auf die gedruckte Zeitung demnächst tatsächlich endgültig geschissen sein wird“. Dies stellt eine hyperbolische Zusammenfassung der Meinungsglosse dar, deren satirischer Gehalt dem Durchschnittsleser sofort ins Auge springt.
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Schließlich ist zu beachten, dass der Autor des Beitrags – Herr R. – ein Publizist ist, der laut Wikipedia regelmäßig kulturkritische und politische Beiträge veröffentlicht, und dessen Schwerpunkt der schriftstellerischen Tätigkeit u.a. in der Satire liegt (https://de.wikipedia.org/[…]). Diese Tatsache ist damit offenkundig im Sinn von § 291 ZPO, da es sich bei Wikipedia um eine allgemein einfach zugängliche, zuverlässige Quelle handelt (OLG München NJW-RR 2019, 248 Rn. 19). Dass die Tatsache selbst nicht vorgetragen wurde, steht – da sie nicht in Widerspruch zu Tatsachenvortrag einer Partei steht – einer Zugrundelegung nicht entgegen (BAG NZA 1998, 661 (663)). Dies muss insbesondere im einseitig geführten Verfügungsverfahren gelten.
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c) Seine satirischen Elemente heben den Artikel zwar nicht in den Rang eines durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützten Kunstwerks. Die Abwägung zwischen dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK der Antragstellerin und der Meinungsfreiheit unter Berücksichtigung des spezifischen Charakters der Meinungskundgabe, insbesondere der Besonderheiten bei satirisch überzeichneten Darstellungen, ergibt jedoch, dass die Antragstellerin die mit dem Artikel einhergehenden Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigungen hinnehmen muss.
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aa) In rechtlicher Hinsicht geht der Senat von folgenden Grundsätzen aus:
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Der satirische Charakter der einzelnen Meinungskundgabe muss bei der Anwendung der Grundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG berücksichtigt werden. Den satirischen oder glossierenden Meinungsäußerungen darf kein Inhalt unterschoben werden, den ihnen ihr Urheber erkennbar nicht beilegen wollte (BVerfG GRUR 1992, 471 – „geb. Mörder“). Satirische Darstellungen sind daher einer dreistufigen Prüfung zu unterziehen (BVerfG GRUR 2005, 500 (501) – Satirische Fotomontage; BGH a.a.O. Rn. 14 – Die Anstalt; OLG München ZUM-RD 2009, 551 (552)):
· Zunächst ist die beanstandete Äußerung zur Ermittlung ihres eigentlichen Aussagegehalts von ihrer satirischen Einkleidung, der die Verfremdung wesenseigen ist, zu befreien und der Aussagekern für sich betrachtet daraufhin zu überprüfen, ob er eine Kundgabe der Missachtung der betroffenen Person enthält.
· Sodann ist die satirische Einkleidung einer gesonderten rechtlichen Beurteilung zu unterziehen, wobei der Maßstab für die Beurteilung, ob die Einkleidung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzt, anders und weniger streng ist als der für die Bewertung des Aussagekerns, da aus der Perspektive des Durchschnittsbetrachters Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen der Satire wesenseigen sind.
· Schließlich ist zu ermitteln, ob die satirische Einkleidung isolierbare Teilelemente enthält, d.h. solche Äußerungen, die nicht als Teil- oder Nebenaussage hinter der Gesamtdarstellung zurücktreten, sondern einen davon ablösbaren, eigenständigen Aussagegehalt haben. Ist dies der Fall, sind diese isolierbaren Elemente ihrerseits auf ihre Vereinbarkeit mit dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu überprüfen.
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bb) Der von seiner satirischen Einkleidung befreite Aussagekern des streitgegenständlichen Artikels stellt eine zulässige Meinungsäußerung dar. Es liegt weder eine Schmähkritik vor noch enthält er unwahre Tatsachenbehauptungen.
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Der maßgebliche verständige und unvoreingenommene Leser versteht die Kernaussage der 13 Absätze umfassenden Glosse dahingehend, dass das Niveau der von der Antragstellerin herausgegebenen „N.“ [Tageszeitung], insbesondere in sprachlicher Hinsicht, kritisiert werden soll. Dabei möchte der Autor vor allem seine negative Einschätzung der sprachlichen Qualität der „N.“ [Tageszeitung] und des aus seiner Sicht kritikwürdigen Schreibstils, insbesondere der Verwendung von „Phrasen“, zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus enthält der Artikel kritische Anspielungen auf politische Tendenzen der namentlich genannten Redakteure J. und H.
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Es handelt sich dabei um eine zulässige Meinungsäußerung über eine Tageszeitung und deren Journalisten, die selbst an die Öffentlichkeit treten und sich bewusst der politischen Debatte stellen. Dass sich die Stilkritik nicht auf einen konkreten Artikel der Tageszeitung oder einen sonst konkret erkennbaren Zusammenhang bezieht, führt nicht zur Unzulässigkeit der Meinungsäußerung. Denn die Äußerung von Kritik hat nicht zur Voraussetzung, dass zugleich die Hintergründe und Umstände aufgedeckt werden müssen, die zu der Meinungsbildung geführt haben. Zum Recht der freien Meinungsäußerung gehört auch, seine Meinung aussprechen zu können, ohne diese erklären zu müssen.
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Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass der satirische Beitrag unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält. Vielmehr bringt die Glosse mit der ausfälligen Kritik der Qualität von Beiträgen in den „N.“ [Tageszeitung] lediglich eine subjektive Einschätzung des Autors zum Ausdruck, die sich einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises entzieht, sondern sich ausschließlich durch Elemente der Stellungnahme auszeichnet. Soweit die im Artikel konkret zitierten Ausdrücke und Inhalte insoweit einen Tatsachenbezug aufweisen, als behauptet wird, sie seien jeweils in Beiträgen der „N.“ [Tageszeitung] verwendet worden, wird die Unwahrheit dieses Tatsachenbestandteils nicht behauptet. Darüber hinaus ist dieser Tatsachenanteil bei einer Gesamtbetrachtung des Artikels insgesamt derart substanzarm, dass sie die Abwägung nicht beeinflussen (vgl. BGH NJW 2008, 2110 Rn. 14), zumal die zitierten Ausdrücke weitgehend ohne den sachlichen Zusammenhang wiedergegeben werden, in dem sie in den Beiträgen der „N.“ [Tageszeitung] gefallen sein sollen.
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cc) Die Einkleidung dieser Kernaussage in eine satirische Glosse mit teilweise übertrieben polemisch-herabsetzenden Ausdrücken stellt – vor dem Hintergrund, dass die Maßstäbe für die Beurteilung insoweit weniger streng sind, weil der gewählten Darstellungsart die Übertreibung und Verfremdung gerade wesenseigen ist – ebenfalls keine Persönlichkeitsrechtsverletzung dar.
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(1) Bei der Meinungsäußerung in dem streitgegenständlichen Beitrag wird die Grenze zur reinen Schmähkritik nicht überschritten.
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(a) Auch die in Form einer Satire geäußerte Meinung und Kritik am Verhalten anderer Personen findet ihre Grenze dort, wo es sich um reine Schmähkritik oder eine Formalbeleidigung handelt. Dabei ist schon vom Ansatz her der Begriff „Schmähkritik” wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng auszulegen. Von einer Schmähkritik kann deshalb nur dann die Rede sein, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik persönlich herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll (BGH NJW 2000, 1036 (1038); BVerfG GRUR 2013, 193 Rn. 30 – „Rechtsextremer” Anwalt). Die – strengen Maßstäben unterliegende – Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik und der damit begründete Verzicht auf eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehre erfordern regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung (BVerfG NJW 2019, 2600 Rn. 18).
33
(b) Im vorliegenden Fall stimmt der Senat der Antragstellerin zwar zu, dass für sich genommen mehrere in dem Artikel verwendete Formulierungen – wie beispielsweise, dass man sie „nur mit einem bereitgestellten Speikübel lesen“ könne, sie „als Scheißhauspapier immerhin sinnvolle Verwendung“ finden könne oder „ein Hauch von Hirnjauche“ aus der Zeitung wehe – geeignet sind, die Antragstellerin zu diffamieren.
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Im Rahmen der Gesamtwürdigung darf jedoch zum einen das redaktionelle Umfeld der Glosse nicht unberücksichtigt bleiben. Wie die Mitglieder des Senats wissen, handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Artikel um eine Folge der regelmäßig erscheinenden und im Internet veröffentlichten Kolumne unter dem Titel „Die Wahrheit“ von Herrn R., mit der unterschiedlichste Institutionen einer scharfen und polemisierenden Kritik – in einem vergleichbaren Stil wie im Beitrag „Die hoch geschaukelte Spirale“ – unterzogen werden (vgl. https://[…]). Auch der Leser, dem dies nicht geläufig ist, wird schnell eine entsprechende Vermutung anstellen und zu diesem Ergebnis gelangen.
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Zum anderen ist zu beachten, dass die persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigenden Formulierungen in der Kolumne gerade die satirische Einkleidung des Beitrags darstellen. Vor dem Hintergrund, dass es der Satire wesenseigen ist, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten, und sie von daher durch eine erkennbar unernste, durch Wortwitz bis hin zu Albernheiten geprägte Sprache gekennzeichnet ist (BGH NJW 2000, 1036 (1039)), können die beanstandeten Formulierungen nicht als unzulässige Schmähung der Antragstellerin gedeutet werden. Denn viele der von der Antragstellerin als verletzend gerügten Aussagen sind so gewählt, dass sie den Leser auf Kosten der Antragstellerin und der namentlich benannten Journalisten zum Lachen reizen sollen, ohne dass es dabei um eine Prangerwirkung an sich geht. Vielmehr werden sie vom unvoreingenommenen und verständigen Publikum nicht wörtlich genommen, zumal die verwendeten Metaphern und sonstigen Ausdrucksweisen nicht nur unsachlich, sondern – wie bereits ausgeführt – teilweise derart übertrieben und manchmal sogar ins Irrwitzige übersteigert sind, dass sie vom angesprochenen Durchschnittsleser nicht mehr ernsthaft als Herabwürdigung, sondern sich selbst ad absurdum führend nur noch als Karikatur einer solchen wirken und damit überwiegend ihren Schmähgehalt verlieren. Nicht außer Acht gelassen werden darf in diesem Zusammenhang, dass bei einer Wortsatire die Grenzen des guten Geschmacks und des einwandfreien Sprachgebrauchs überschritten werden dürfen, weil eine Niveaukontrolle nicht stattfinden darf (OLG München ZUM-RD 2009, 551 (552)).
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Schließlich ist in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, dass nicht die Herabsetzung der Antragstellerin bzw. ihrer Redakteure als Personen im Vordergrund stehen, sondern die Auseinandersetzung mit der Verwendung der Sprache in den Beiträgen der „N.“ [Tageszeitung]. Aus dem streitgegenständlichen Artikel geht klar hervor, dass sich die Ausführungen und die beispielhaft angeführten Phrasen bzw. Satzteile jeweils auf Texte beziehen sollen, die in den „N.“ [Tageszeitung] veröffentlicht wurden. Mit diesen setzt sich der Beitrag in sarkastischer Weise kritisch auseinander. Damit greift der Artikel die Tageszeitung der Antragstellerin nicht ohne jeglichen sachlichen Bezug an, sondern nimmt neben kritischen Anspielungen auf politische Tendenzen der angesprochenen Redakteure in erster Linie Anstoß an der sprachlichen Qualität von deren Beiträgen.
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(2) Erweist sich die Glosse mithin nicht unter dem Blickpunkt der Schmähkritik als unzulässig, sondern fällt sie vielmehr in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, so bedarf es einer Abwägung mit dem gleichfalls grundrechtlich geschützten Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Schwere der Beeinträchtigung. Diese Abwägung führt zum Ergebnis, dass das Verbreiten und Öffentlichzugänglichmachen des Artikels nicht rechtswidrig ist.
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Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin als Herausgeberin einer Tageszeitung in ihrer Geschäftstätigkeit am Markt von der öffentlichen Meinung abhängig und deswegen in besonderen Maße auf einen guten Ruf angewiesen ist. Dies gilt vor allem, wenn die Verlässlichkeit der Nachrichtenberichterstattung und die inhaltliche Überzeugungskraft von Kommentaren betroffen sind. Auch benutzt die im Artikel geäußerte eine drastische, derbe und teilweise ausfällige Sprache, deren Einsatz ein besonders ehrverletzendes Potential entfaltet.
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Andererseits ist zu beachten, dass sich die satirische Veröffentlichung nach ihrem Aussagekern weitgehend nicht direkt gegen die Antragstellerin selbst richtet und auch die satirische Einkleidung sich im zulässigen Rahmen bewegt. Denn die im Artikel angebrachte Kritik bezieht sich im Wesentlichen auf die Verwendung von Sprache, wenn auch in besonderem Maße auf deren Gebrauch durch die genannten Redakteure. Auch haben die in dem Artikel namentlich benannten Redakteure aufgrund ihrer Position erheblichen Einfluss auf den Inhalt der Zeitung der Antragstellerin und damit auf die öffentliche Willensbildung. Sie treten damit bewusst an die Öffentlichkeit und stellen sich so der politischen Debatte. Schließlich leisten beide Parteien als Tageszeitung einen Beitrag zum öffentlichen Diskurs. Die Meinungsbildung durch die Veröffentlichung von Kommentaren und Glossen ist ein wesentlicher Teil davon.
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dd) Es fehlt auch nicht der Zusammenhang zwischen der beabsichtigten kritischen Aussage und der Einkleidung. Vielmehr treten alle Äußerungen als Teil- oder Nebenaussage hinter der Gesamtdarstellung zurück.
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3. Es besteht (ausnahmsweise) weder eine Wiederholungs- noch eine Erstbegehungsgefahr hinsichtlich einer isolierten Verwendung der mit dem Hilfsantrag angegriffenen Äußerungen.
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a) Eine Wiederholungsgefahr in Bezug auf die isolierte Verwendung der im Hilfsantrag beanstandeten Aussagen ist vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Streitfalls nicht dargetan.
43
aa) Nach ständiger Rechtsprechung begründet ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen in der Regel eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der Wiederholungsgefahr (BGH GRUR 2019, 431 Rn. 9 – Heimliches romantisches Treffen). Dabei besteht die Wiederholungsgefahr grundsätzlich unabhängig davon, ob damit zu rechnen ist, dass die Gesamtdarstellung erneut verbreitet wird. Es genügt die Gefahr, dass die streitige Behauptung für sich allein wiederholt wird (Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap. 12 Rn. 13). Dies ergibt sich daraus, dass im Äußerungsrecht in der Regel keine ganzen Artikel verboten werden können, sondern immer nur die konkreten Äußerungen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (BGH GRUR 2016, 104 Rn. 17). In der Regel ist eine Löschung des gesamten Artikels zum Schutze des geschäftlichen Ansehens der Klagepartei vor der Fortwirkung einer etwaigen rechtswidrigen Beeinträchtigung nicht erforderlich.
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bb) Im vorliegenden Fall ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die im Hilfsantrag beanstandeten Passagen aus dem Beitrag „Die hoch geschaukelte Spirale“ von der Antragsgegnerin isoliert verwendet wurden. Eine darauf gerichtete konkrete Verletzungshandlung, die eine tatsächliche Vermutung für die Gefahr einer Wiederholung der einzelnen Textaussagen begründen würde, ist daher nicht gegeben.
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Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb veranlasst, weil – wie dargetan – im Äußerungsrecht sich die Vermutung der Wiederholungsgefahr in der Regel nicht auf die Gesamtdarstellung, sondern auf die konkreten persönlichkeitsrechtsverletzenden Äußerungen bezieht. Denn im Streitfall besteht die Besonderheit, dass sich die Zulässigkeit der – für sich genommen grundsätzlich persönlichkeitsrechtsverletzenden Passagen aus dem Hilfsantrag – gerade aus der Gesamtschau des vollständigen Beitrags als satirischer Abriss ergibt. In diesem Fall würde das Zusprechen des Hilfsantrags über den Hauptantrag hinausgehen. Außerdem sind die beanstandeten Teile für die Gesamtkonzeption des Beitrags bzw. für das Verständnis des mit ihm verfolgten Anliegens von Bedeutung. Wenn Äußerungen, die für sich genommen rechtswidrig wären, offensichtlich bewusst so gehäuft in einem einheitlichen Artikel erscheinen, dass gerade dadurch eine satirische Wirkung erzielt wird und sich daraus eine Rechtfertigung ergibt, kann die auf der Lebenserfahrung beruhende Vermutung, der Verfasser werde die Äußerungen auch isoliert tätigen, nicht angestellt werden. Vielmehr muss zu seinen Gunsten unterstellt werden, dass er sich der Problematik und des Umstands, dass die Äußerungen für sich genommen eigentlich verboten sind, bewusst ist.
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b) Eine sich (lediglich) auf die konkret im Hilfsantrag beanstandeten Äußerungen beziehende Wiederholungsgefahr besteht auch nicht vor dem Hintergrund der Grundsätze zur sogenannten „Kerntheorie“.
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aa) Es ist bereits zweifelhaft, ob diese im Lauterkeitsrecht entwickelten Grundsätze zur Bestimmung des sachlichen Umfangs des Unterlassungsanspruchs (vgl. BVerfG GRUR 2020, 1119 Rn. 20 ff. – Zahnabdruckset) im Streitfall überhaupt Anwendung finden.
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Der Bundesgerichtshof wendet für den Bereich der Bildberichterstattung die Grundsätze der Kerntheorie nicht an, weil „die Prüfung der Zulässigkeit einer Bildveröffentlichung ohne Einwilligung des Abgebildeten in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre (erfordert), wobei die begleitende Wortberichterstattung eine wesentliche Rolle spielen kann“ (BGH GRUR 2008, 446 Rn. 13). Ob und in welchem Umfang die „Kerntheorie“ auf das Recht der Wortberichterstattung übertragbar ist, hat der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden (vgl. BGH GRUR 2019, 431 Rn. 19 – Heimliches romantisches Treffen).
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Der Senat tendiert dazu, die Überlegungen des Bundesgerichtshofs zur Bildberichtserstattung grundsätzlich auf angeblich persönlichkeitsrechtsverletzende Meinungsäußerungen in Wortberichterstattungen zu übertragen, da bei diesen die Rechtsverletzung ebenfalls gerade aus der konkreten Formulierung resultiert. Darüber hinaus setzt ein Verbot der angegriffenen Äußerungen eine Abwägung zwischen dem Recht des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit und dem Recht der Äußernden auf Meinungs- und Medienfreiheit unter Berücksichtigung des Kontextes der Äußerungen voraus, weshalb ein Verbot ohne Bezugnahme auf den Kontext grundsätzlich zu weit geht (BGH GRUR 2013, 312 Rn. 32 – IM „Christoph“). Vor dem Hintergrund der vielgestaltigen Möglichkeiten einer zukünftigen Veröffentlichung ist eine vorweggenommene Abwägung, die sich mehr oder weniger nur auf Vermutungen stützen könnte und die im konkreten Verletzungsfall im Vollstreckungsverfahren nachgeholt werden müsste, im Hinblick auf die Bedeutung der betroffenen Grundrechte schwer vorstellbar.
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bb) Der Senat kann die Frage der Übertragbarkeit dahinstehen lassen, da selbst bei Anwendung der Kerntheorie auf den Streitfall die Verwendung der konkret beanstandeten Passagen keine kerngleiche Verletzungshandlung zur Veröffentlichung des (vollständigen) Artikels wäre.
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Nach der sogenannten Kerntheorie erstreckt sich die durch eine Verletzungshandlung begründete Wiederholungsgefahr auch auf alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen (BGH GRUR 2002, 248 (250) – SPIEGEL-CD-ROM). Entscheidend ist dabei, dass das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt (BGH GRUR 2000, 337 (338) – Preisknaller).
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Aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls besteht (ausnahmsweise) keine Kerngleichheit zwischen der Veröffentlichung des Gesamtartikels „Die hoch geschaukelte Spirale“ und der Verwendung der in den Hilfsanträgen genannten Aussagen aus diesem Artikel. Der beanstandete Artikel wird – wie ausgeführt – dadurch geprägt, dass er trotz einzelner, persönlichkeitsrechtsverletzender Aussagen in der Gesamtwürdigung als (gerade noch) zulässige Meinungsäußerung angesehen werden kann. Das Charakteristische des Gesamtbeitrags kommt damit in den einzelnen Formulierungen aus dem Hilfsantrag nicht zum Ausdruck.
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c) Es sind auch keine Anhaltspunkte für das Bestehen von Erstbegehungsgefahr für die isolierte Verwendung der im Hilfsantrag beanstandeten Aussagen ersichtlich. Im Gegenteil führte die Antragsgegnerin vorgerichtlich aus, dass weitere Artikel nicht geplant seien.
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4. Es bestehen auch keine lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsansprüche gemäß § 8 Abs. 1, § 4 Nr. 1 UWG, obwohl die Parteien Mitbewerber nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG sind. Da es sich bei dem Artikel um einen redaktionellen Beitrag handelt, der der Information und Meinungsbildung seiner Adressaten dient und nicht im objektiven Zusammenhang mit der Förderung des Absatzes eines fremden Unternehmens steht, fehlt es an der den Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts eröffnenden geschäftlichen Handlung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG (vgl. BGH GRUR 2012, 74 Rn. 15 – Coaching-Newsletter). Der beanstandete Beitrag und die darin enthaltenen Aussagen sind damit nicht an dem – grundsätzlich strengere Maßstäbe aufstellenden – Herabsetzungstatbestand des § 4 Nr. 1 UWG zu messen.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren entspricht der erstinstanzlichen Festsetzung, gegen die sich die Antragstellerin nicht gewandt hat.