Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 21.03.2024 – 19 O 7323/22
Titel:

Kein Erschöpfungseintritt durch erstmaliges Inverkehrbringen in der Türkei

Normenketten:
UMV Art. 9 Abs. 2 lit. b, Art. 15, Art. 17, Art. 18, Art. 58 Abs. 1 lit. a, Art. 122 Abs. 1, Art. 123, Art. 124 lit. a, Art. 125 Abs. 1, Abs. 4 lit. b, Art. 127 Abs. 3, Art. 129 Abs. 2, Abs. 3, Art. 130 Abs. 1
MarkenG § 14 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 6, § 19, § 24, § 119 Nr. 2, § 140 Abs. 1, Abs. 2 S. 1
BGB § 242, § 259, § 260, § 276 Abs. 2, § 670, § 677, § 683
EuGVVO Art. 26, Art. 32 Abs. 1 lit. a, Art. 63 Abs. 1
AA EWR/TR Art. 2 Abs. 3 lit. b, lit. c, Art. 4, Art. 6, Art. 22 Abs. 1, Abs. 3, Art. 23, Art. 25
ZP-AA EWR/TR Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 21, Art. 22, Art. 28, Art. 29, Art. 41
EGV Art. 30, Art. 36
ZPO § 4 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 308 Abs. 1, § 709 S. 1, S. 2, § 890
RVG § 2 Abs. 1, § 23 Abs. 1 S. 3
GKG § 39 Abs. 1, § 48 Abs. S. 1, § 51 Abs. 1
Leitsätze:
1. Art. 15 Abs. 1 UMV sieht eine Erschöpfungswirkung lediglich dann vor, wenn Waren im Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht wurden. Eine entsprechende Regelung enthält das deutsche Markenrecht in § 24 Abs. 1 MarkenG, wonach lediglich ein Inverkehrbringen im Inland, in einem der übrigen Mitgliedstaaten der EU oder in einem anderen EWR-Mitgliedstaat die Erschöpfungswirkung auslöst. Eine über den EWR hinausgehende internationale Erschöpfung sieht weder Art. 15 Abs. 1 UMV noch § 24 Abs. 1 MarkenG vor. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus Art. 21, 22 Abs. 1 ZP-AA EWR/TR folgt nicht, dass im Hinblick auf eine mögliche Erschöpfung der Markenrechte der Rechtsstand zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ZP-AA EWR/TR anzuwenden ist. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Recht eines Markeninhabers, sich vor der Verwendung seiner Marke und dem damit verbundenen Missbrauch der aufgrund der Marke erworbenen Stellung und Kreditwürdigkeit zu schützen, rechtfertigt eine Ausnahme von den Verboten der Art. 21, 22 Abs. 1 ZP-AA EWR/TR. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterlassungsanspruch, Markenverletzung, Schadensersatz, Auskunftsanspruch, Rechnungslegung, Internationale Zuständigkeit, Verwechslungsgefahr
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 29.10.2024 – 3 U 881/24
BGH Karlsruhe vom -- – I ZR 226/24
Fundstelle:
GRUR-RS 2024, 30070

Tenor

1. Der Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle bis zu 2 Jahren, für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung verboten,
ohne Zustimmung der Klägerin im geschäftlichen Verkehr in Deutschland Kaffee unter der Bezeichnung „Kurukahveci Mehment Efendi“ mit der nachfolgenden Kennzeichnung anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu den genannten Zwecken zu besitzen oder nach Deutschland einzuführen:
Insbesondere, wenn dies wie folgt geschieht:
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden Schaden zu ersetzen, der dieser durch Handlungen der Beklagten gemäß Ziffer 1. seit 01.01.2013 entstanden ist und noch entstehen wird.
3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft über Herkunft und Vertriebsweg der Waren gemäß Ziffer 1. seit 01.01.2013 zu erteilen, insbesondere Angaben zu machen über Namen und Anschriften der Lieferanten und anderen Vorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für welche die Waren bestimmt waren, über die Menge der ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Waren sowie über die Preise, die für die Waren bezahlt wurden.
4. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen und Rechnung zulegen über Art und Umfang der in Ziffer 1. beschriebenen Handlungen seit 01.01.2013 unter Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer/Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d) sowie der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns.
5. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin EUR 1.095,75 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 01.02.2023 zu bezahlen.
6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
7. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
8. Hinsichtlich der Ziffer 1. des Tenors ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar.
Hinsichtlich der Ziffern 3. und 4. des Tenors ist das Urteil jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,00 EUR vorläufig vollstreckbar.
Hinsichtlich der Ziffer 5. des Tenors ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 125.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei macht gegenüber der Beklagtenpartei Ansprüche wegen der Verletzung einer Unionsmarke geltend. Hilfsweise stützt sich die Klagepartei auf eine Verletzung einer deutschen Marke.
2
Die in der Türkei ansässige Klägerin vertreibt türkischen Kaffee. Sie ist Inhaberin der internationalen Wort-Bildmarke
mit der Registrierungsnummer … (vgl. Registerauszug vorgelegt als Anlage RSH 1). Die Marke ist in der Nizza-Klasse 30 u.a. für die Ware „Kaffee“ registriert. Am 01.03.2010 erfolgte die Schutzrechtserstreckung auf die EU.
3
Die Klägerin ist ferner Inhaberin der deutschen Wort-Bildmarke
mit der Registierungsnummer …. Auch diese Marke ist in der Nizza-Klasse 30 u.a. für die Ware „Kaffee“ registriert.
4
Der Kaffee wird von der Tochtergesellschaft „… der Klägerin hergestellt und verpackt.
5
Die Klägerin vertreibt türkischen Kaffee in verschiedenen Verpackungen und Packungsgrößen. Für den Vertrieb in der Türkei verwendet sie dabei andere Verpackungen als für Exportprodukte. Einige der für den türkischen Markt bestimmten Verpackungen lassen sich der Anlage RSH3 entnehmen, auf welche Bezug genommen wird. Einige der für Exportprodukte verwendeten Packungen lassen sich der Anlage RSH4 entnehmen, auf welche Bezug genommen wird. Neben weiteren Unterschieden finden sich auf den Verpackungen für den türkischen Markt die Bezeichnungen „Türk Kahvesi“ auf der Vorderseite und „Turkish Coffee“ auf der Rückseite, auf den Exportverpackungen finden sich an den entsprechenden Stellen entweder die Bezeichnungen „Türkischer Kaffee“ und „Café Turc“ oder zweimal die Bezeichnung „Turkish Coffee“. Zur Veranschaulichung folgende Gegenüberstellung:

Verpackungen für den türkischen Markt

Verpackungen für Exportprodukte

6
Die Klägerin steht seit mindestens 2012 in geschäftlicher Beziehung zur … welche Kaffee von der Klägerin erwirbt und EU-weit und darüber hinaus weiterveräußert. Die … ist Distributorin des von der Klägerin vertriebenen Kaffees für die EU.
7
Die in Deutschland ansässige Beklagte ist Lebensmittelgroßhändler. Sie importiert u.a. Kaffee, welcher von der Klägerin hergestellt und in der Türkei in den Verkehr gebracht wurde nach Deutschland. Sie liefert diese Produkte an verschiedene Einzelhändler in Deutschland. Es handelt sich hierbei insbesondere um Kaffeedosen wie sie in der Anlage RSH5 abgebildet sind, auf welche Bezug genommen wird.
8
Mit Anwaltsschreiben vom 16.09.2022 (Anlage RSH6) mahnte die Klägerin die Beklagte ab.
9
Vor dem EUIPO ist derzeit ein Verfahren wegen eines Antrags auf Erklärung des Verfalls der Klagemarke bzw. deren Schutzrechtserstreckung auf die EU anhängig.
10
Die Klägerin behauptet, sie nutze die Klagemarke seit weit über 10 Jahren in Deutschland und der EU für Kaffee in Dosen mit 500 g und 250 g und Beuteln zu 100 g. Die entsprechenden Verpackungen seien auf der Anlage RSH 9.5, auf welche Bezug genommen wird, abgebildet.
11
Der Umsatz der Klägerin mit der … betrage seit dem Jahr 2014 allein für Deutschland für die drei Packungsgrößen 100 g, 250 g und 500 g jeweils über 100.000,00 EUR pro Jahr. Im Jahr 2021 habe der Umsatz pro Verpackungsgröße sogar 300.000,00 EUR betragen. Der Kaffee sei von der … u.a. an die … veräußert worden.
12
Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stünden wegen Verletzung der Klagemarke Ansprüche gegen die Beklagte zu. Sie habe die Klagemarke rechtserhaltend benutzt. Durch das Inverkehrbringen der Waren in der Türkei sei keine Erschöpfung nach Art. 15 UMV (bzw. § 24 MarkenG) eingetreten.
13
Die Klägerin beantragt:
I.
14
Der Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle bis zu 2 Jahren, für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung verboten,
im geschäftlichen Verkehr in Deutschland Kaffee unter der Bezeichnung „Kurukahveci Mehment Efendi“ mit der nachfolgenden Kennzeichnung anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu den genannten Zwecken zu besitzen oder nach Deutschland einzuführen:
15
Insbesondere, wenn dies wie folgt geschieht:
II.
16
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden Schaden zu ersetzen, der dieser durch Handlungen der Beklagten gemäß Ziffer I. seit 01.01.2013 entstanden ist und noch entstehen wird.
III.
17
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft über Herkunft und Vertriebsweg der Waren gemäß Ziffer I. seit 01.01.2013 zu erteilen, insbesondere Angaben zu machen über Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für welche die Waren bestimmt waren, über die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Waren sowie über die Preise, die für die Waren bezahlt wurden.
IV.
18
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu leisten und Rechnung zu legen über Art und Umfang der in Antrag I. beschriebenen Handlungen seit 01.01.2013 unter Angabe
a)
der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
b)
der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
c)
der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d)
sowie der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtete, in Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
V.
19
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin EUR 1.095,75 nebst Zinsen von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu bezahlen.
20
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
21
Die Beklagte ist der Ansicht, die Klagemarke sei nicht rechtserhaltend benutzt worden. Die von der Klägerin dargelegten Benutzungshandlungen zeigten auch nicht das durch die Klagemarke geschützte, sondern ein anderes Zeichen.
22
Ferner sei durch das In-den-Verkehr-Bringen der verfahrensgegenständlichen Kaffeeprodukte in der Türkei im Verhältnis zu Deutschland markenrechtliche Erschöpfung eingetreten. Dies sei Folge der in Art. 22 des Zusatzprotokolls zum Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (im Folgenden: ZP-AA EWG/TR) enthaltenen Stillhalteklausel. Zum Standstill-Stichtag, dem 01.01.1972 als dem Tag des Inkrafttretens des ZP-AA EWG/TR, habe im deutschen Warenzeichengesetz die weltweite Erschöpfung gegolten. Erst mit Inkrafttreten der Gemeinschaftsmarkenverordnung im Jahr 1994 bzw. dem MarkenG im Jahr 1995 und dem in § 24 MarkenG geregelten Erschöpfungsgrundsatz sei geregelt worden, dass Erschöpfung nur eintrete, wenn die Waren in der EG/EU oder im EWG in Verkehr gebracht worden sind. Dies stelle eine Verschlechterung der wirtschaftlichen und rechtlichen Lage für Importeure im Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei dar, welche Art. 22 ZP-AA EWG/TR verhindern wolle. Die Stillhalteklausel führe dazu, dass sich Markteilnehmer bei Warenimporten aus der Türkei nach Deutschland auf das für sie günstigere ursprünglich in Deutschland geltende Recht mit dem weltweiten Erschöpfungsgrundsatz berufen dürfe. Aus dem Beschluss des Assoziationsrates Nr. 1/95 folge nichts anderes. Der Beschluss stelle bloß sekundäres Assoziationsrecht dar, dass primäres Assoziationsrecht nicht einzuschränken vermöge. Auch stelle Art. 10 Abs. 2 des Anhangs 8 zum Beschluss Nr. 1/95 klar, dass sich nur aus dem Beschluss selber keine Erschöpfungsregelung ergebe. § 24 MarkenG bzw. Art. 15 Abs. 1 UMV seien aufgrund des Grundsatzes der völkerrechtsfreundlichen Auslegung dahingehend auszulegen, dass keine Abweichung von Art. 22 ZP-AA EWR/TR gewünscht gewesen sei, weil sich die Gesetzgeber nicht bewusst gewesen seien, überhaupt eine abweichende Regelung i.S.d. Art. 29 ZP-AA EWR/TR zu treffen.
23
Im Hinblick auf die geltend gemachte Erschöpfung ist die Klagepartei der Ansicht, dass das ZP-AA EWG/TR bereits in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar sei, da es nur für die Übergangsphase zur Errichtung einer Zollunion, nicht aber die Endphase gelte. Auch werde Art. 21, 22 ZP-AA EWG/TR durch Art. 29 ZP-AA EWG/TR eingeschränkt. Ferner werde aus Artikel 25 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/95 des Assoziationsrates sowie Anhang 8, Artikel 10 Abs. 2 zum Beschluss Nr. 1/95 deutlich, dass das Zusatzprotokoll keine Erschöpfungsregelung beinhalten sollte. Auch seien Art. 22, 29 ZP-AA EWG/TR nicht mit Art. 30, 36 EWG vergleichbar, weshalb die Rechtsprechung des EuGH hierzu nicht anwendbar sei.
24
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle vom 05.10.2023 und 01.02.2024 Bezug genommen.
25
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen … Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 01.02.2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

26
Die zulässige Klage ist im Wesentlichen begründet.
A.
27
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Nürnberg-Fürth international, örtlich und sachlich zuständig.
28
I. Die internationale Zuständigkeit folgt aus Art. 123, 124 lit. a), 125 Abs. 1, Art. 122 Abs. 1 UMV i.V.m. Art. 63 Abs. 1 EuGVVO, da der Sitz der Beklagten in Deutschland liegt.
29
Im Übrigen hat sich die Beklagte rügelos eingelassen, weshalb die internationale Zuständigkeit auch aus Art. 123, 124 lit. a), 125 Abs. 4 lit. b) UMV i.V.m. Art. 26 EuGVVO folgt. Das Vorliegen einer Einlassung ist aufgrund autonomer Auslegung zu bestimmten und umfasst jedes Verteidigungsvorbringen, dass unmittelbar auf die Abweisung der Klage zielt (Gaier in: BeckOK/ZPO, 49. Edition, Stand: 01.07.2023, Art. 26 Brüssel Ia-VO, Rn. 11 und 12). Entsprechendes Vorbringen ergibt sich vorliegend aus der Klageerwiderung vom 14.03.2023, mit welcher die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts insgesamt nicht moniert wird.
30
II. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO umfasst neben der internationalen Zuständigkeit auch die örtliche Zuständigkeit (Gaier in: BeckOK/ZPO, 49. Edition, Stand: 01.07.2023, Art. 26 Brüssel Ia-VO, Rn. 17). Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist nach § 140 Abs. 2 Satz 1 MarkenG i.V.m. § 43 Nr. 2 GZVJu für die Landgerichtsbezirke der Oberlandesgerichte Nürnberg und Bamberg funktional zuständig.
31
III. Die sachliche Zuständigkeit folgt aus Art. 129 Abs. 3 UMV i.V.m. § 140 Abs. 1 MarkenG.
B.
32
Die Klage ist im Wesentlichen begründet.
I. Klageantrag Ziffer 1. – Unterlassungsklage gemäß Art. 17, 9 Abs. 2 lit. b) (Verwechslungsgefahr), 130 Abs. 1 UMV wegen Markengebrauchs
33
Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch nach Art. 17, 9 Abs. 2 lit. b), 130 Abs. 1 UMV wegen Verletzung ihrer Unionsmarke zu.
34
1. Die Rechte der Klägerin aus der Klagemarke sind nicht gemäß Art. 15 Abs. 1 UMV (bzw. § 24 MarkenG im Hinblick auf die nur hilfsweise geltend gemachte deutsche Marke) erschöpft. Weder aus Art. 21 noch 22 ZP-AssAbk folgt, dass infolge Inverkehrbringens von Waren in der Türkei Markenrechte in Deutschland erschöpft sind.
35
a. Art. 15 Abs. 1 UMV sieht eine Erschöpfungswirkung lediglich dann vor, wenn Waren im Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht wurden. Eine entsprechende Regelung enthält das deutsche Markenrecht in § 24 Abs. 1 MarkenG, wonach lediglich ein Inverkehrbringen im Inland, in einem der übrigen Mitgliedstaaten der EU oder in einem anderen EWR-Mitgliedstaat die Erschöpfungswirkung auslöst. Eine über den EWR hinausgehende internationale Erschöpfung sieht weder Art. 15 Abs. 1 UMW noch § 24 Abs. 1 MarkenG vor.
36
b. Entgegen der Auffassung der Beklagtenpartei, folgt aus Art. 21, 22 Abs. 1 ZP-AA EWR/TR nicht, dass im Hinblick auf eine mögliche Erschöpfung der Markenrechte der Klagepartei der Rechtsstand zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ZP-AA EWR/TR anzuwenden ist. Anders als Art. 41 Abs. 1 ZP-AA EWR/TR (zu diesem vgl. EuGH, NVwZ 2009, 1551, Ziffer 64, EuGH NVwZ 2008, 61, 63, Ziffer 61 ff.) enthält Art. 22 Abs. 1 ZP-AA EWR/TR keine schrankenlose Stillstandklausel. Zwar ist der Wortlaut der vorgenannten Normen im Wesentlichen deckungsgleich, anders als bei Art. 41 ZP-AA EWR/TR lässt Art. 29 ZP-AA EWR/TR jedoch (künftige) Ausnahmen vom Verbot von mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen der Art. 21, 22 Abs. 1 ZP-AA EWR/TR zu. Eine solche Ausnahme stellt die Beschränkung des Erschöpfungsgrundsatzes in Art. 15 UMV bzw. § 24 MarkenG dar.
37
aa. Grundsätzlich stellt die Ausübung eines gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechts durch den Inhaber, um die Einfuhr eines Erzeugnisses zu verhindern, welches von diesem oder mit dessen Zustimmung rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurde, eine Maßnahme gleicher Wirkung dar (für Art. 30 EWG-Vertrag vgl. EuGH, NJW 1982), welche nach Art. 21 ZP-AA EWR/TR dem Grunde nach verboten ist.
38
bb. Die Artikel 21-27 ZP-AA EWR/TR stehen jedoch den Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischen Wert oder des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind, Art. 29 Satz 1 ZP-AA EWR/TR.
39
(1). Das Recht eines Markeninhabers, sich vor der Verwendung seiner Marke und dem damit verbundenen Missbrauch der aufgrund der Marke erworbenen Stellung und Kreditwürdigkeit zu schützen, rechtfertigt eine Ausnahme von den Verboten des Art. 21, 22 Abs. 1 ZP-AA EWR/TR.
40
(2). Die Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der Art. 30, 36 EWG-Vertrag ist auf den hiesigen Fall nicht übertragbar. Der EuGH hat Art. 30 und 36 EWG-Vertrag dahin ausgelegt, dass der territoriale Schutz, der sich aus nationalen Rechtsvorschriften über das gewerbliche und kommerzielle Eigentum ergibt, nicht dazu führen darf, die Isolierung der nationalen Märkte zu vertiefen und eine künstliche Abschottung der Märkte zu schaffen, und dass sich der Inhaber eines gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechts, das nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats geschützt ist, daher nicht auf diese Vorschriften berufen kann, um sich der Einfuhr eines Erzeugnisses zu widersetzen, das auf dem Markt eines anderen Mitgliedstaats von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden ist. Diese Rechtsprechung rechtfertigt sich auf Grund der besonderen Zielsetzung des EWG-Vertrages zur Schaffung eines einheitlichen Marktes, dessen Bedingungen denjenigen eines Binnenmarktes möglichst nahekommen sollen (EuGH, NJW 1982, 1208, 1209 – Polydor).
41
Das Assoziationsabkommen hat nicht die gleiche Zielsetzung wie der EWG-Vertrag. Ziel des Assoziationsabkommens ist die Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien durch Errichtung einer Zollunion, Art. 2 Abs. 1 und 2 ZP-AA EWR/TR. Wenngleich ein späterer Beitritt der Türkei zur Europäischen Gemeinschaft durch die Vertragsparteien in den Blick genommen wurde, sollte dieser weitere Schritt durch den Abschluss des Assoziationsabkommens erst vorbereitet, nicht aber umgesetzt werden. Art. 28 ZP-AA EWR/TR sieht insoweit vor, dass sobald das Funktionieren des Abkommens es in Aussicht zu nehmen gestattet, dass die Türkei die Verpflichtungen aus dem Vertrag zur Gründung der Gemeinschaft vollständig übernimmt, die Möglichkeiten eines Beitritts der Türkei geprüft werden. Das Assoziationsabkommen sieht nicht im Ansatz die gleichen Instrumente wie der EGV vor, um innerhalb eines gemeinsamen Marktes zur einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts und zur schrittweisen Abschaffung der Unterschiede in den Rechtsvorschriften zu gelangen (vgl. zu dieser Erwägung EuGH, NJW 1982, 1208, 1209 – Polydor). Es mangelt bereits an den insoweit maßgeblichen eigenen gemeinschaftsrechtlichen Organen wie sie das Gemeinschaftsrecht vorsah (und vorsieht).
42
(3). Auch im Übrigen bestehen an der Verhältnismäßigkeit der in Art. 15 Abs. 1 UMW und § 24 Abs. 1 MarkenG vorgesehenen nur beschränkten Erschöpfung keine Bedenken. Zutreffend weist die Klagepartei darauf hin, dass sich unterschiedliche nationale Rechtsvorschriften über die Erschöpfung – wie sie bestünden, wenn der Rechtsauffassung der Beklagtenpartei folgend, durch das Zusatzprotokoll der Rechtsstand zum jeweiligen Unterzeichnerstaat eingefroren würde – auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes auswirken könnten (vgl. EuGH, GRUR Int 2007, 237, 240, Rn. 56). Es liegt auf der Hand, dass der freie Warenverkehr innerhalb der EU erheblich beeinträchtigt würde, wenn das Inverkehrbringen von Waren in der Türkei nur in bestimmten aber nicht allen Mitgliedstaaten der EU zur Erschöpfung der Markenrechte führen würde.
43
cc. Bei den Regelungen des Art. 15 UMV bzw. § 24 MarkenG, welche keine Erschöpfung bei Inverkehrbringen von Waren in der Türkei vorsehen, handelt es sich mithin um Regelungen, welche durch Art. 29 ZP-AA EWR/TR ausdrücklich zugelassen werden.
44
dd. Soweit die Beklagtenpartei einwendet, § 24 MarkenG bzw. Art. 15 Abs. 1 UMV seien aufgrund des Grundsatzes der völkerrechtsfreundlichen Auslegung dahingehend auszulegen, dass keine Abweichung von Art. 22 ZP-AA EWR/TR gewünscht war, weil sich die Gesetzgeber nicht bewusst gewesen seien, überhaupt eine abweichende Regelung i.S.d. Art. 29 ZP-AA EWR/TR zu treffen (vgl. Schriftsatz der Beklagtenpartei vom 24.01.2024) verfängt diese Argumentation nicht. Der eindeutige Wortlaut der Erschöpfungsregelungen in § 24 MarkenG bzw. Art. 15 Abs. 3 UMV lässt die von der Beklagten begehrte Auslegung nicht zu.
45
c. Im Übrigen hat der Assoziationsrat ausdrücklich klargestellt, dass eine Erschöpfung der Rechte an geistigem, gewerblichem und kommerziellem Eigentum nicht vorgesehen ist (Artikel 10 Abs. 2 des Anhangs 8 zum Beschluss Nr. 1/95).
46
aa. Die Assoziation zwischen der EWG und der Türkei umfasst gemäß Art. 2 Abs. 3 AA EWR/TR drei Phasen, eine Vorbereitungsphase, eine Übergangsphase und eine Endphase. Durch das ZP-AA EWR/TR wurden die Einzelheiten für die Verwirklichung der Übergangsphase i.S.d. Art. 2 Abs. 3 lit. b), 4 AA EWR/TR festgelegt, vgl. Art. 1 ZP-AA EWR/TR. Mit Beschluss Nr. 1/95 des Assoziationsrates vom 22.12.1995 wurde die Durchführung der Endphase i.S.d. Art. 2 Abs. 3 lit. c) AA EWR/TR. beschlossen. Mit dem Beschluss Nr. 1/95 hat der Assoziationsrat unbeschadet des AA EWR/TR sowie der zugehörigen Zusatz- und Ergänzungsprotokolle Vorschriften für die Durchführung der Endphase der Zollunion festgelegt, vgl. Artikel 1 des Beschlusses Nr. 1/95.
47
bb. Durch den Beschluss sollen die Modalitäten für das effektive Funktionieren der Zollunion im Rahmen des Assoziationsabkommens und dem Zusatzprotokoll ausgearbeitet werden (vgl. Präambel des Beschlusses). Der Beschluss enthält in seinen Artikeln 2 ff. diverse Regelungen zum freien Warenverkehr, welche den Regelungen im Zusatzprotokoll weitgehend entsprechend. Die Artikel 4, 6 und 7 des Beschlusses entsprechen dabei im Wesentlichen den Regelungen des Art. 21 und 29 ZP-AA EWR/TR. Nach Artikel 31 Abs. 1 des Beschlusses bekräftigen die Vertragsparteien die Bedeutung, die sie der Gewährleistung eines angemessenen und wirksamen Schutzes und der Durchsetzung der Rechte an geistigem, gewerblichen und kommerziellen Eigentum beimessen. In Art. 31 Abs. 2 Satz 2 des Beschlusses verpflichten sie sich insbesondere die in Anhang 8 aufgeführten Verpflichtungen zu erfüllen. Art. 10 Abs. 2 des Anhangs 8 stellt dabei klar, dass der Beschluss Nr. 1/95 eine Erschöpfung der Rechte an geistigem, gewerblichem und kommerziellem Eigentum in den Handelsbeziehungen zwischen den beiden Vertragsparteien im Rahmen dieses Beschlusses nicht vorsieht.
48
d. Aus Artikel 10 Abs. 2 des Anhangs 8 des Beschlusses Nr. 1/95 folgt dabei nicht nur, dass – dem Wortlaut der Regelung entsprechend – der Beschluss selbst keine Erschöpfung von Rechten an geistigem, gewerblichem und kommerziellem Eigentum vorsieht, sondern auch, dass die Vertragsparteien des Assoziationsabkommens insgesamt keine Erschöpfung beabsichtigt haben.
49
aa. Zunächst ist festzustellen, dass die Regelung des Art. 10 Abs. 2 des Anhangs 8 des Beschlusses Nr. 1/95 obsolet wäre, wenn nach dem Willen der Vertragsparteien bereits aus Artikel 21 ZP-AA EWR/TR eine Erschöpfung folgen sollte.
50
bb. Zwar wurde der Beschluss – anders als dass Assoziationsabkommen sowie das Zusatzprotokoll – nicht von den Vertragsparteien selbst verfasst, sondern vom Assoziationsrat, es liegen allerdings keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Assoziationsrat außerhalb der Interessen der Vertragsparteien gehandelt hat. Die Vertragsparteien treten vielmehr gemäß Art. 6 AA EWR/TR in dem Assoziationsrat zusammen, um die Anwendung und schrittweise Entwicklung der Assoziationsregelungen sicherzustellen. Der Assoziationsrat besteht aus Mitgliedern der Regierungen der Mitgliedstaaten, des Rates und der Kommission der Gemeinschaft einerseits und Mitgliedern der türkischen Regierung andererseits, Art. 23 AA EWR/TR. Der Assoziationsrat ist gemäß Art. 22 Abs. 1 AA EWRITR befugt zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens und in den dafür vorgesehenen Fällen Beschlüsse zu fassen. Mit Beginn der Übergangsphase ist der Assoziationsrat dabei auch dann berufen Beschlüsse zu fassen, wenn die hierfür erforderlichen Befugnisse in dem Abkommen nicht vorgesehen sind, Art. 22 Abs. 3 AA EWR/TR. Bei Streitigkeiten über die Anwendung oder Auslegung des Abkommens ist nach Art. 25 AA EWR/TR der Assoziationsrat berufen.
51
cc. Wollte der Assoziationsrat durch den Beschluss Nr. 1/95 den Erschöpfungsgrundsatz nicht installieren und soll die Regelung des Art. 10 Abs. 2 des Anhangs 8 des Beschlusses Nr. 1/95 nicht dadurch leerlaufen, dass der Erschöpfungsgrundsatz ohnehin bereits aus Art. 21 ZP-AA EWR/TR folgt, muss daraus der Schluss gezogen werden, dass ein Erschöpfungsgrundsatz insgesamt nicht implementiert werden sollte.
52
2. Ein Anspruch der Klagepartei ist nicht wegen Nichtbenutzung gemäß Art. 127 Abs. 3, 58 Abs. 1 lit. a), 18 UMV ausgeschlossen. Danach kann der Beklagte im Wege des Einwands den Verfall der Unionsmarke wegen mangelnder ernsthafter Benutzung geltend machen. Nach dem in Bezug genommenen Art. 58 Abs. 1 lit. a) UMV wird die Unionsmarke für verfallen erklärt, wenn diese innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren in der Union für die Waren und Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, nicht ernsthaft benutzt worden ist und keine berechtigten Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen.
53
a. Es kommt darauf an, ob die Marke innerhalb des Zeitraums von fünf Jahren bis zur Klageerhebung rechtserhaltend i.S.d. Art. 18 UMV benutzt worden ist (OLG Nürnberg, Urteil vom 08.06.2021 – 3 U 2202/20 = GRUR-RS 2021, 16188, Rn. 187). Der Zeitpunkt der Erhebung der Verletzungsklage bestimmt sich nach Art. 32 EuGVVO (Grüger in BeckOK/Markenrecht, 34. Edition, Stand: 01.07.2023, Art. 127 UMV Rn. 12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.05.2017 – 20 W 31/17 = BeckRS 2017, 114519, Rn. 9). Das Gericht gilt nach Art. 32 Abs. 1 lit. a) EuGVVO als angerufen, zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist. Vorliegend ist die Klage am 23.12.2022 dem Gericht zugegangen. Für die Frage der Benutzung bzw. Nichtbenutzung ist mithin der Zeitraum von Dezember 2017 bis Dezember 2022 maßgeblich.
54
b. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin die Marke zumindest seit 2018 in Deutschland aber auch in weiteren EU-Ländern in großem Umfang benutzt hat.
55
aa. Gemäß Art. 18 UMV unterliegen eingetragene Unionsmarken dem sogenannten Benutzungszwang. Bezüglich des Umfangs der Benutzung sind insbesondere das Handelsvolumen, der Benutzungszeitraum oder die Häufigkeit der nachgewiesenen Benutzung relevant. Entscheidend ist, dass die Marken tatsächlich, stetig und mit stabilem Erscheinungsbild auf dem Markt präsent gewesen sind. Zwar kann selbst eine geringfügige Benutzung als ernsthaft anzusehen sein, wenn sie mit Blick auf die Gewinnung oder Erhaltung von Marktanteilen wirtschaftlich gerechtfertigt ist. Die Benutzung der Marke braucht nicht immer umfangreich zu sein, um als „ernsthaft“ eingestuft zu werden, da eine solche Einstufung von den Merkmalen der betreffenden Ware oder Dienstleistung auf dem entsprechenden Markt abhängt. Entscheidend ist jedoch, dass die Marke entsprechend ihrer Hauptfunktion – die Ursprungsidentität der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, zu garantieren – benutzt wird, um für diese Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern. Auch schließt der Verkauf von Waren an nur einen einzigen Abnehmer nicht von vornherein die Ernsthaftigkeit der Benutzung aus. Für die Ernsthaftigkeit der Benutzung ist entscheidend, dass der Vorgang für den Markeninhaber wirklich geschäftlich gerechtfertigt ist (OLG Nürnberg, Urteil vom 08.06.2021 – 3 U 2202/20 = GRUR-RS 2021, 16188, Rn. 198 ff.)
56
Nach Art. 18 Abs. 2 lit. a) UMV gilt als Benutzung auch die Benutzung der Unionsmarke in einer Form, die von der Eintragung nur in Bestandteilen abweicht, ohne dass dadurch die Unterscheidungskraft der Marke beeinflusst wird, unabhängig davon, ob die Marke in der benutzen Form auch auf den Namen des Inhabers eingetragen ist.
57
Im Hinblick auf das Territorium der Benutzung gilt, dass von einer ernsthaften Benutzung einer Unionsmarke auch dann auszugehen ist, wenn ihre Benutzung auf das Hoheitsgebiet eines einzelnen Mitgliedstaates beschränkt ist. Mithin würde auch die Benutzung einer Unionsmarke ausschließlich in Deutschland eine ausreichende ernsthafte Benutzung darstellen (OLG Hamburg, GRUR-RR 2023, 253, Rn. 57).
58
Dem Markeninhaber wird nach Art. 18 Abs. 2 UMV auch die Benutzung durch Dritte (hier der Floret Trading B.V.) zugerechnet, wenn er dieser Drittnutzung zugestimmt hat (OLG Hamburg, GRUR-RR 2023, 253, Rn. 58).
59
bb. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Maßstäbe hat die Klägerin die Klagemarke rechtserhaltend benutzt.
60
(1). Nach den glaubhaften Angaben Zeugen … handele es sich bei der … um den Distributor der Klägerin insbesondere für Deutschland und noch weitere EU-Staaten. Die … beziehe von der Klägerin türkischen Kaffee. Der Zeuge brachte zu seiner Vernehmung unterschiedliche Exemplare von Kaffeeprodukten mit, welche die Kammer in Augenschein genommen hat. Die Exemplare entsprechen den in Anlage RSH 9.5. abgebildeten Verpackungen. Hierzu gab der Zeuge an, dass von der Klägerin hauptsächlich Kaffee in diesen Verpackungen bezogen werde. Ca. 95 % des Umsatzes mit der Klägerin entfalle auf diese Produkte. Der Zeuge brachte ferner zwei Aufstellungen mit, welche die Umsatzzahlen im Zeitraum von 2018 bis 2023 zwischen Klägerin und … und … und ihren Kunden zeigen sollen. Hierzu erläuterte der Zeuge, dass er die Zahlen selbst aus dem Buchhaltungssystem der … gezogen habe. Der Zeuge machte seine Angaben ruhig und sachlich, sie waren inhaltlich detailreich und nachvollziehbar. Er konnte auf Nachfrage schlüssig darlegen, wie er die Aufstellungen erstellt und welche Daten er hierzu verwendet hat. Auch auf Vorhalt seiner als Anlage RSH 9.3. vorgelegten eidesstattlichen Versicherung konnte er hierzu detailliert berichten, insbesondere dass es sich bei dem auf Seite 4 der Anlage RSH 9.3. abgebildeten Lichtbild um ein Foto handelt, dass er selbst in den Lagerräumen der … gefertigt hat. Zu dem auf der Palette ersichtlichen Aufkleber konnte er angeben, dass die … sie gebeten habe, auf jede Palette diejenige Filiale zu notieren, an welche die Palette geliefert werden solle. Das Gericht hat keinen Anlass an den Angaben des Zeugen zu Zweifeln.
61
(2). Die vom Zeugen … dargelegten Umsatzzahlen zeigen, dass die Klägerin mit den verfahrensgegenständlichen Kaffeeprodukten einen sehr großen und stetig wachsenden Umsatz erzielt hat. Gegen die Ernsthaftigkeit der Nutzung i.S.d. Art. 18 Abs. 1 UMV bestehen keine Bedenken.
62
(3). Die Nutzungshandlungen bezogen sich auch auf die Klagemarke. Das auf den Kaffeepackungen abgedruckte Zeichen weicht von dem eingetragenen Zeichen zwar insoweit ab, als das eingetragene Zeichen um weitere Elemente ergänzt wird. Hierbei handelt es sich aber um solche Abweichungen, die die Unterscheidungskraft der Marke i.S.d. Art. 18 Abs. 2 lit. a) UMV nicht beeinflussen.
63
Auf den Kaffee-Verpackungen zu 250 g und 500 g wird das eingetragene Zeichen lediglich nach unten hin um einen rechteckigen Kasten ergänzt, in welchem sich der Schriftzug „Türkischer Kaffee“ bzw. „Café Turc“ oder Turkish Coffee“ befindet. Der Schriftzug hat dabei lediglich beschreibenden Charakter. Der ergänzte Kasten spielt optisch nur eine untergeordnete Rolle. Die prägenden Elemente der Klagemarke, mithin der stilisierte menschliche Kopf sowie der zentral angebrachte Schriftzug „KURUKAHVECI MEHMET EFENDI“ werden identisch übernommen. Entsprechendes gilt für die Kaffee-Verpackungen zu 100 g, welche zwar auch farblich von der eingetragenen Marke abweichen aber im Übrigen das gleiche Zeichen wie die 250 g und 500 g Verpackungen tragen. Die farbliche Abweichung lässt den Gesamteindruck des Zeichens jedoch unberührt, da der Farbunterschied ersichtlich durch die insgesamt anders gestaltete gold-glänzende Beutelverpackung bedingt ist.
64
3. Die Antragsgegnerin hat den Verletzungstatbestand des Art. 9 Abs. 1 lit. b) UMV verwirklicht.
65
Nach Art. 9 Abs. 1 UMV erwirbt der Inhaber mit der Eintragung einer Unionsmarke ein ausschließliches Recht an ihr. Der Inhaber der Unionsmarke hat nach Art. 9 Abs. 2 lit. b) UMV das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn das Zeichen mit der Unionsmarke identisch oder ihr ähnlich ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die die Unionsmarke eingetragen ist, und für das Publikum die Gefahr einer Verwechslung besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird (Grundmann in: BeckOK/Markenrecht, 33. Edition, Stand: 01.01.2023, Art. 9 UMV Rn. 32).
66
Verwechslungsgefahr ist daher gegeben, wenn die angesprochenen Kreise annehmen können, die mit dem angegriffenen Zeichen versehenen Waren oder Dienstleistungen stammten aus demselben oder jedenfalls aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen (Grundmann in: BeckOK/Markenrecht, 33. Edition, Stand: 01.01.2023, Art. 9 UMV Rn. 32). Dies ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen (Grundmann in: BeckOK/Markenrecht, 33. Edition, Stand: 01.01.2023, Art. 9 UMV Rn. 34). Zu berücksichtigen sind hierbei der Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, der Grad der Ähnlichkeit der Vergleichszeichen sowie die Kennzeichnungskraft der älteren Marke. Diese Faktoren sind dabei voneinander unabhängig zu beurteilen, stehen aber in einem Verhältnis der Wechselwirkung, so dass ein geringerer Grad eines Faktors durch einen höheren Grad eines anderen Faktors ausgeglichen werden kann (Grundmann in: BeckOK/Markenrecht, 33. Edition, Stand: 01.01.2023, Art. 9 UMV Rn. 35).
67
Auch der Vertrieb von noch nicht erschöpfter Originalware ohne Zustimmung des Markeninhabers kann eine Verletzung des vom Markenrecht bezweckten Identitätsschutzes darstellen.
68
a. Eine Zustimmung der Klägerin hat die Beklagte unstreitig nicht eingeholt. Auch sind die Markenrechte der Klägerin nicht erschöpft (s.o.).
69
b. Die Benutzungshandlung der Beklagten erfolgte im geschäftlichen Verkehr.
70
c. Es besteht Verwechslungsgefahr i.S.d. Art. 9 Abs. 1 lit. b) UMV.
71
aa. Zwischen den von der Beklagten importierten und vertriebenen Waren und den Waren, für welche die Unionsmarke eingetragen ist, besteht Warenidentität.
72
bb. Das auf den Kaffee-Verpackungen abgedruckte Zeichen und das durch die Klagemarke geschützte Zeichen weisen hochgradige Ähnlichkeit auf. Auf die Ausführungen unter Ziffer B.I.2.b.bb.(3). wird Bezug genommen. Ob ggf. sogar ein Fall der Zeichenidentität i.S.d. Art. 9 Abs. 1 lit. a) UMV vorliegt, bedarf keiner Entscheidung.
73
cc. Die Klagemarke hat jedenfalls durchschnittliche Kennzeichnungskraft.
74
Die Kennzeichnungskraft wird bestimmt durch die Eignung der Marke, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (BGH, GRUR 2020, 870, 874). Dabei ist auf die Eigenart der Marke in Klang, Bild und Bedeutung abzustellen. Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die für eine hohe oder geringe Kennzeichnungskraft sprechen, ist von normaler oder – was dem entspricht – durchschnittlicher Kennzeichnungskraft auszugehen (BGH, GRUR 2020, 870, 874).
75
dd. Im Rahmen der Gesamtabwägung ist unter Berücksichtigung der Warenidentität, hochgradigen Zeichenähnlichkeit und jedenfalls durchschnittlichen Kennzeichnungskraft Verwechslungsgefahr festzustellen.
76
4. Durch die bereits erfolgte Rechtsverletzung ist die Wiederholungsgefahr – in der Regel für das ganze Gebiet der EU – indiziert (vgl. OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2017, 98, Rn. 4).
77
5. Nach Art. 130 Abs. 1 Satz 1 UMV ist für den Fall der Verletzung einer Unionsmarke der Beklagte zur Unterlassung zu verurteilen. Die territoriale Reichweite des auszusprechenden Verbots bestimmt sich nach der territorialen Zuständigkeit des Unionsmarkengerichts und der territorialen Reichweite des ausschließlichen Rechts des Inhabers der Unionsmarke, welches sich grundsätzlich auf das gesamte Gebiet der Union erstreckt (Grüger in: BeckOK/Markenrecht, 31. Edition, Stand 01.10.2022, Art. 130 UMV Rn. 4). Die Klagepartei hat Unterlassung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beantragt, § 308 Abs. 1 ZPO.
78
Die Androhung der Ordnungsmittel folgt aus Art. 130 Abs. 1 Satz 2 UMV i.V.m. § 890 ZPO (Grüger in: BeckOK/Markenrecht, 31. Edition, Stand 01.10.2022, Art. 130 UMV Rn. 12).
II. Klageantrag Ziffer II. Feststellung Schadensersatzanspruch nach Art. 9 Abs. 1 und 2, 17, 129 Abs. 2 UMV i.V.m. §§ 119 Nr. 2, 14 Abs. 6 MarkenG
79
Die begehrte Schadensersatzverpflichtung war festzustellen, da sich die Beklagte nach § 14 Abs. 6 MarkenG schadensersatzpflichtig gemacht hat.
80
1. Für den Schadensersatzanspruch ist deutsches Sachrecht anzuwenden. Nach Art. 129 Abs. 2 UMV wendet das Unionsmarkengericht für nicht in der UMV geregelte materielle Markenfragen das geltende nationale Recht an. Art. 129 Abs. 2 UMV enthält nicht nur einen Verweis auf das Sachrecht des jeweiligen Mitgliedstaates, sondern einen Gesamtverweis auch auf dessen Kollisionsrecht (Grüger in: BeckOK/Markenrecht, 31. Edition, Stand: 01.10.2022, Art. 129 UMV Rn. 14).
81
2. Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 6 MarkenG liegen vor.
82
a. Die Klägerin ist als Markeninhaberin aktivlegitimiert. Die Beklagte als Verletzerin passivlegitimiert.
83
b. Die Beklagte hat den Verletzungstatbestand des § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG verwirklicht. Die Ausführungen zu Art. 9 Abs. 1 lit. b) UMV gelten entsprechend.
84
c. Die Beklagte handelte jedenfalls fahrlässig. Fahrlässig handelt nach § 276 Abs. 2 BGB wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. An die Sorgfaltspflicht ist im gewerblichen Rechtsschutz ein strenger Maßstab anzulegen (Goldmann in: BeckOK/Markenrecht, 36. Edition, Stand: 01.01.2024, § 14 Rn. 718). Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verlangt von demjenigen, der ein Zeichen im geschäftlichen Verkehr benutzen will, zuvor alle möglichen und zumutbaren Nachforschungen anzustellen und zu prüfen, ob es geeignet ist, fremde Kennzeichenrechte zu verletzen (Goldmann in: BeckOK/Markenrecht, 36. Edition, Stand: 01.01.2024, § 14 Rn. 719). Bei Originalware müssen gewerbliche Einkäufer sicherstellen, dass Erschöpfung eingetreten ist, wenn diese Ware außerhalb des vom Markeninhaber organisierten und lizensierten Vertriebsweges beschafft wurde (Goldmann in: BeckOK/Markenrecht, 36. Edition, Stand: 01.01.2024, § 14 Rn. 728). Anhaltspunkte für einen unvermeidbaren Rechtsirrtum wurden nicht vorgetragen.
85
3. Gegen die zeitliche Erstreckung der festzustellenden Schadensersatzverpflichtung auf den Zeitraum seit 01.01.2013 hat die Beklagtenpartei keine Einwände erhoben.
III. Klageantrag Ziffer III. Anspruch auf Auskunft über Herkunft und Vertriebsweg der Waren Art. 9 Abs. 2 lit. b), 17, 129 Abs. 2 UMV i.V.m. §§ 119 Nr. 2, 19 MarkenG
86
Der Klägerin steht – mit geringfügigen Einschränkungen – auch der geltend gemachte Auskunftsanspruch gemäß Art. 9 Abs. 2 lit. b), 17, 129 Abs. 2 UMV i.V.m. §§ 119 Nr. 2, 19 MarkenG zu. Soweit die Klägerin Auskunft über Namen und Anschriften der Hersteller und die Menge der hergestellten Waren begehrte, war die Klage jedoch abzuweisen, da sie selbst bzw. ihr Tochterunternehmen Herstellerin ist.
87
Da die Klägerin Auskunft nur zeitlich begrenzt auf den Zeitraum ab 01.01.2013 begehrte, war die Beklagte entsprechend zu verurteilen, § 308 Abs. 1 ZPO, auch wenn der Auskunftsanspruch grundsätzlich nicht zeitlich beschränkt ist (vgl. BGH, GRUR 2007, 877 Rn. 25).
IV. Klageantrag Ziffer IV. Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung Art. 9 Abs. 2 lit. b), 17, 129 Abs. 2 UMV i.V.m. §§ 119 Nr. 2 MarkenG i.V.m. §§ 242, 259, 260 BGB
88
Die Klägerin kann von der Beklagten auch die in Ziffer IV. der Klageanträge begehrte Auskunft und Rechnungslegung verlangen. Der Auskunftsanspruch folgt im Umfang der rechtsverletzenden Nutzung der Klagemarke aus der allgemeinen Regelung des § 242 BGB. Die Klägerin kann gestützt auf § 242 BGB einen sog. akzessorischen Auskunftsanspruch bzw. gestützt auf §§ 259, 260 BGB Rechnungslegungsanspruch geltend machen.
89
1. Der Verletzer schuldet Auskunft, wenn und soweit diese erforderlich ist, um dem Verletzten die Prüfung zu ermöglichen, ob und in welcher Höhe ein Ersatzanspruch besteht, es sei denn die Auskunfterteilung ist ausnahmsweise unzumutbar (Wirtz in: Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 4. Auflage 2023, § 19 Rn. 66). Die geschuldete Auskunft umfasst nur diejenigen Angaben, die zur Prüfung und Berechnung des Schadensersatzanspruchs erforderlich sind (Wirtz in: Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 4. Auflage 2023, § 19 Rn. 73). Der Hilfsanspruch setzt dabei voraus, dass – wie hier – die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs dem Grunde nach gegeben sind und ein ersatzfähiger Schaden zumindest wahrscheinlich ist (Wirtz in: Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 4. Auflage 2023, § 19 Rn. 67). Vorliegend ist die Auskunft erforderlich, da die Inhaberin der Klagemarke über die verlangten Informationen nicht verfügt und sich diese auch nicht ohne besonderen Aufwand selbst aus allgemein zugänglichen, verlässlichen Quellen besorgen kann.
90
2. Die begehrte Auskunft ist ihrem Umfang nach gerechtfertigt.
91
a. Die mit Klageantrag Ziffer IV. lit. a) begehrten Informationen kann die Beklagte verlangen, was sich bereits aus der Wertung des § 19 Abs. 3 Nr. 1 und 2 MarkenG ergibt.
92
b. Die mit Klageantrag Ziffer IV. lit. b) begehrten Informationen kann die Beklagte verlangen, da Informationen zu Art und Umfang der Verletzungshandlungen zur Prüfung eines Schadensersatzanspruchs erforderlich sind (vgl. auch Thiering in: Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 13. Auflage 2021, § 14 Rn. 764).
93
c. Die mit Klageantrag Ziffer IV. lit. b) begehrten Informationen kann die Beklagte verlangen, da die Auskunft über Art und Umfang der getätigten Werbung zur Berechnung eines Marktverwirrungsschadens erforderlich ist (Wirtz in: Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 4. Auflage 2023, § 19 Rn. 75).
94
d. Die mit Klageantrag Ziffer IV. lit. b) begehrten Informationen über die Gestehungskosten und den Gewinn sind ebenfalls vom Auskunftsanspruch umfasst (Thiering in: Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 13. Auflage 2021, § 14 Rn. 776 f.).
95
3. Dem von der Klagepartei selbst beantragten Wirtschaftsprüfervorbehalt (vgl. hierzu BGH, GRUR 1980, 227, 233; BGH, GRUR 2002, 709, 713) war nicht zu entsprechen, da er sich auf Auskünfte über nichtgewerbliche Abnehmer und Angebotsempfänger bezieht, welche vom Auskunftanspruch nicht erfasst sind (vgl. Fezer/Tochtermann in: Fezer, Markenrecht, 5. Auflage 2023, § 19 MarkenG Rn. 53).
V. Klageantrag Ziffer V. Zahlungsanspruch nach Art. 9 Abs. 2 lit. b), 17, 129 Abs. 2 UMV i.V.m. §§ 119 Nr. 2 MarkenG i.V.m. §§ 670. 677, 683 BGB
96
Die Klägerin kann die ihr für die Abmahnung vom 16.09.2022 (Anlage RSH6) entstandenen Kosten über das Rechtsinstitut der GoA ersetzt verlangen (Goldmann in: BeckOK/Markenrecht, 36. Edition, Stand: 01.01.2024, § 14 Rn. 884).
97
Die von der Klagepartei angesetzte 1,3 Regelgebühr Nr. 2300 VV RVG (mit bereits vorgenommener Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG) sowie die Auslagenpauschale sind erstattungsfähig (Goldmann in: BeckOK/Markenrecht, 36. Edition, Stand: 01.01.2024, § 14 Rn. 910). Der Gegenstandswert der Abmahnung richtet sich nach §§ 23 Abs. 1 Satz 3, 2 Abs. 1 RVG i.V.m. § 51 Abs. 1 GKG und ist der Höhe nach nicht zu beanstanden (dazu sogleich).
C.
98
I. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
99
II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 bzw. Satz 2 ZPO. Können aus einem Urteil mehrere Leistungen vollstreckt werden, kann für jede Leistung eine eigenständige Sicherheitsleistung beziffert werden (Ulrici in: BeckOK/ZPO, 45. Edition, Stand 01.07.2022, § 709 Rn. 4). Hinsichtlich des Feststellungsausspruchs liegt kein vollstreckungsfähiger Inhalt vor (vgl. auch Götz in: MüKo/ZPO, 6. Auflage 2020, § 704 Rn. 6).
D.
100
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 39 Abs. 1, 48 Abs. 1 Satz 1, 51 Abs. 1 GKG.
101
Das Gericht ist von folgenden Streitwerten ausgegangen:

Klageantrag Ziffer I.: Unterlassung

100.000,00 EUR

Klageantrag Ziffer II. Feststellung

20.000,00 EUR

Klageantrag Ziffer III.: Auskunft

2.500,00 EUR

Klageantrag Ziffer IV.: Auskunft

2.500,00 EUR

Klageantrag Ziffer V.: Zahlung

0,00 EUR, § 4 Abs. 1, 2. HS ZPO

Gesamt

125.000,00 EUR

102
Insgesamt beträgt der Streitwert damit gemäß § 39 Abs. 1 GKG 125.000,00 EUR.
I. Zum Klageantrag Ziffer I.
103
Maßgeblich für die Streitwertbemessung ist das wirtschaftliche Interesse der Klagepartei (Bröcker in: Ingerl/Rohnke/Nordemann, Markengesetz, 4. Auflage 2023, § 142 Rn. 4). Das wirtschaftliche Interesse an der Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen bestimmt sich nach dem Interesse des Anspruchstellers an der Unterbindung gleichartiger Verstöße, mithin maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere dessen Gefährlichkeit und Schädlichkeit für den Rechtsinhaber. Dabei wird die Gefährdung der Interessen des Rechtsinhabers durch zwei Faktoren bestimmt, nämlich erstens durch den wirtschaftlichen Wert des verletzten Rechts und zweitens durch das Ausmaß und die Gefährlichkeit der Verletzung, den sog. Angriffsfaktor (Bröcker in: Ingerl/Rohnke/Nordemann, Markengesetz, 4. Auflage 2023, § 142 Rn. 6). Selbst bei unbenutzten Marken ist ein Streitwert von 50.000,00-75.000,00 EUR anzusetzen (Bröcker in: Ingerl/Rohnke/Nordemann, Markengesetz, 4. Auflage 2023, § 142 Rn. 10). Angesichts des hohen Umsatzes, den die Klägerin mit ihren Kaffeeprodukten erzielt aber auch des Umstandes, dass die Beklagte Originalware und keine Plagiate vertreibt, ist ein Streitwert von 100.000,00 EUR anzusetzen.
II. Zum Klageantrag Ziffer II.
104
Das Gericht setzt den Streitwert für die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung mit 1/5 des Streitwertes für den Unterlassungsanspruch an (KG, Beschluss vom 13.07.2010 – 5 W 123/09 = BeckRS 2010, 145014 Rn. 24).
105
III. Zu den Klageanträgen Ziffer III. und IV.
106
Der Streitwert der Auskunftsansprüche richtet sich nach dem Angreiferinteresse des Klägers, das einen Teilwert des durch die Auskunft durchzusetzenden Hauptsacheanspruchs ausmacht (Herget in: Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, § 3 Rn. 16.28). Die Kammer bewertet dieses mit jeweils 2.500,00 EUR.