Inhalt

OLG Nürnberg, Endurteil v. 29.10.2024 – 3 U 881/24
Titel:

Keine Erweiterung des räumlichen Anwendungsbereichs der Erschöpfung durch Assoziationsvereinbarungen mit der Türkei

Normenketten:
UMV Art. 9 Abs. 2 lit. b, Abs. 3, Art. 15 Abs. 1, Art. 18, Art. 58 Abs. 1 lit. a, Art. 127 Abs. 3, Art. 129 Abs. 2, Art. 130 Abs. 1
MarkenG § 14 Abs. 6, § 19, § 24 Abs. 1, § 119 Nr. 2
AEUV Art. 34, Art. 36
EWGTRAssZusProt Art. 21, Art. 22 Abs. 1, Art. 29
Leitsatz:
Ein Inverkehrbringen von Produkten in der Türkei bewirkt im Verhältnis zum Inhaber einer deutschen Marke oder einer Unionsmarke auch unter Berücksichtigung der Regelungen im „Zusatzprotokoll zum Abkommen vom 12.09.1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation“ keine markenrechtliche Erschöpfung.
Schlagworte:
Markenrecht, Verwechslungsgefahr, Erschöpfung, Zusatzprotokoll, Assoziationsabkommen, Stillhalteklausel, Schadensersatz
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 21.03.2024 – 19 O 7323/22
Fundstelle:
GRUR-RS 2024, 30069

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21.03.2024, Az. 19 O 7323/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte ist berechtigt, die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 140.000,00 € abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen. Zuständig ist der Bundesgerichtshof.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 125.000,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

A.
1
I. Die in der Türkei ansässige Klägerin vertreibt türkischen Kaffee. Sie ist Inhaberin der u.a. für die Ware „Kaffee“ registrierten internationalen Wort-Bildmarke (Klagemarke):
2
Am 01.03.2010 erfolgte die Schutzrechtserstreckung auf die EU.
3
Die Klägerin ist ferner Inhaberin der ebenfalls u.a. für die Ware „Kaffee“ registrierten deutschen Wort-Bildmarke, auf die sie ihre Ansprüche hilfsweise stützt:
4
Die in Deutschland ansässige Beklagte ist Lebensmittelgroßhändlerin. Sie importiert u.a. Kaffee, welcher von der Klägerin hergestellt und in der Türkei in den Verkehr gebracht wurde, nach Deutschland und liefert diese Produkte – insbesondere folgende Kaffeedosen – an verschiedene Einzelhändler:
5
II. Das Landgericht verurteilte die Beklagte mit Endurteil vom 21.03.2024 in Ziffer 1., es zu unterlassen ohne Zustimmung der Klägerin im geschäftlichen Verkehr in Deutschland Kaffee unter der Bezeichnung „Kurukahveci Mehment Efendi“ mit der nachfolgenden Kennzeichnung anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu den genannten Zwecken zu besitzen oder nach Deutschland einzuführen:
insbesondere, wenn dies wie folgt geschieht:
6
Außerdem stellte das Landgericht die Pflicht zum Ersatz des Schadens, der durch Handlungen der Beklagten gemäß Ziffer 1. seit 01.01.2013 entstanden ist und noch entstehen wird, fest und verurteilte die Beklagte zur Erteilung von Auskünften über Herkunft und Vertriebsweg der Waren seit 01.01.2013 sowie über Art und Umfang der in Ziffer 1. beschriebenen Handlungen seit 01.01.2013. Schließlich verurteilte das Landgericht die Beklagte zur Zahlung von 1.095,75 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 01.02.2023.
7
Zur Begründung führte das Landgericht insbesondere aus, dass zwischen der Klagemarke und dem Verletzungszeichen Verwechslungsgefahr und die Voraussetzungen für die geltend gemachten Ansprüche gegeben seien. Markenrechtliche Erschöpfung sei nicht eingetreten. Insbesondere folge weder aus Art. 21 noch aus Art. 22 des Zusatzprotokolls zum Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (im Folgenden: EWGTRAssZusProt), dass infolge Inverkehrbringens von Waren in der Türkei Markenrechte in Deutschland erschöpft seien. Der Anspruch sei auch nicht wegen der erhobenen Nichtbenutzungseinrede ausgeschlossen. Das Gericht sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin die Marke zumindest seit 2018 in Deutschland aber auch in weiteren EU-Ländern in großem Umfang benutzt habe.
8
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte in ihrer Berufung. Sie beantragt die Klage unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21.03.2024 abzuweisen.
9
Vor dem Hintergrund der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme stellt die Beklagte die Umsatzzahlen in der Berufungsinstanz unstreitig und hält an der Nichtbenutzungseinrede nicht weiter fest. Die Klage sei aber unbegründet, weil die Stillhalteklausel des Art. 22 Abs. 1 EWGTRAssZusProt mit der Konsequenz Anwendung finde, dass im Verhältnis der Parteien durch das Inverkehrbringen der streitgegenständlichen Produkte in der Türkei markenrechtliche Erschöpfung eingetreten sei.
10
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
B.
11
Die zulässige Berufung der Beklagten ist vollumfänglich unbegründet. Der Klägerin stehen gegenüber der Beklagten die geltend gemachten Ansprüche wegen Verletzung ihrer Klagemarke zu. Insbesondere sind die Rechte der Klägerin aus der Klagemarke nicht erschöpft.
12
I. Die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt aus Art. 123, Art. 124 lit. a, Art. 125 Abs. 1, Art. 122 Abs. 1 UMV i.V.m. Art. 63 Abs. 1 EuGVVO, da der Sitz der Beklagten in Deutschland liegt. Darüber hinaus hat sich die Beklagte rügelos eingelassen, weshalb die internationale Zuständigkeit auch aus Art. 123, 124 lit. a, 125 Abs. 4 lit. b UMV i.V.m. Art. 26 EuGVVO folgt.
13
II. Einwände gegen die zutreffende Einschätzung des Landgerichts, wonach die beanstandete Zeichenverwendung die Klagemarke nach Art. 9 Abs. 2 lit. b UMV verletze, der Anspruch nicht wegen Nichtbenutzung gemäß Art. 127 Abs. 3, Art. 58 Abs. 1 lit. a, Art. 18 UMV ausgeschlossen sei, und die Voraussetzungen für die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung nach Art. 9 Abs. 3, Art. 130 Abs. 1 UMV, Schadensersatzfeststellung nach Art. 129 Abs. 2 UMV i.V.m. § 119 Nr. 2, § 14 Abs. 6 MarkenG, Auskunft über Herkunft und Vertriebsweg der Waren nach Art. 129 Abs. 2 UMV i.V.m. § 119 Nr. 2, § 19 MarkenG, Auskunft und Rechnungslegung nach Art. 129 Abs. 2 UMV i.V.m. §§ 119 Nr. 2 MarkenG, §§ 242, 259, 260 BGB und Erstattung der Abmahnkosten nach Art. 129 Abs. 2 UMV i.V.m. § 119 Nr. 2 MarkenG, §§ 670, 677, 683 BGB grundsätzlich bestehen würden, bringt die Berufung nicht vor. Sie sind auch nicht ersichtlich.
14
III. Durch das Inverkehrbringen der streitgegenständlichen Produkte in der Türkei durch die Klägerin ist im Verhältnis zur Beklagten hinsichtlich der streitgegenständlichen Kaffeeprodukte keine markenrechtliche Erschöpfung eingetreten.
15
1. Die Erschöpfungswirkung nach Art. 15 Abs. 1 UMV (wie auch nach dem seit dem 01.01.1995 geltenden § 24 Abs. 1 MarkenG) kann nach dem klaren Wortlaut der Vorschriften nicht durch ein Inverkehrbringen in Ländern außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) – wie im Streitfall in der Türkei – eintreten.
16
Eine über den Wortlaut dieser Vorschriften hinausgehende internationale Erschöpfung der Rechte aus der Unionsmarke für in dritten Ländern in den Verkehr gebrachte Waren lehnt der EuGH wegen der sich daraus ergebenden Behinderungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs ab (vgl. EuGH GRUR-Int 1998, 695, 696 Rn. 26- 31 – SILHOUETTE; EuGH GRUR 2010, 723 Rn. 30 – COTY PRESTIGE/SIMEX TRADING). Der EuGH hat klargestellt, dass in den Erschöpfungsvorschriften eine abschließende Regelung liegt (EuGH a.a.O. – Silhouette International) und eine Ausweitung der Erschöpfung durch eine weite Auslegung des Zustimmungsbegriffs unionsrechtswidrig sei (EuGH GRUR Int 1999, 870 Rn. 19 – Sebago).
17
Vor diesem Hintergrund wäre die „alte“ deutsche Rechtsprechung der sogenannten internationalen Erschöpfung – bei der wegen der Herleitung der Erschöpfung als markenrechtsimmanenter Schranke der Ort des Inverkehrbringens nicht bedeutsam war (vgl. BGH GRUR 1964, 372 (374) – Maja) – europarechtswidrig (Thiering, in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 14. Aufl. 2024, § 24 Rn. 52). Darauf kommt es jedoch nicht an, weil auch der Bundesgerichtshof dem Grundsatz der internationalen Erschöpfung eine Absage erteilt hat (BGH GRUR 1996, 271 (273) – Gefärbte Jeans).
18
Durch die Klarstellung, dass das Inverkehrbringen außerhalb des EWR nicht das Recht des Inhabers erschöpft, sich der Einfuhr dieser Waren in den EWR ohne seine Zustimmung zu widersetzen, ist es dem Markeninhaber somit gestattet, das erste Inverkehrbringen der mit der Marke versehenen Waren im EWR zu kontrollieren und somit Parallelimporte aus Nicht-EWR-Staaten – wie der Türkei – in den EWR hinein zu unterbinden (vgl. EuGH GRUR 2002, 156 Rn. 33 – DAVIDOFF; EuGH EuZW 1999, 474 Rn. 21 – SEBAGO UND MAISON DUBOIS). Demnach kann die Klägerin als Markeninhaberin nach dem Rechtsgefüge der Unionsmarkenverordnung und des Markengesetzes Parallelimporten der Beklagten aus dem Nicht-EWR-Staat Türkei uneingeschränkt entgegentreten (vgl. EuGH GRUR 2018, 917 Rn. 31 – Mitsubishi u.a./Duma u.a.). An solcher Ware besteht noch das Erstvertriebsrecht des Markeninhabers (vgl. Hildebrandt/Sosnitza/Lubberger, 1. Aufl. 2021, UMV Art. 15 Rn. 45).
19
Für die EWR-Mitgliedstaaten hatte es der EFTA-Gerichtshof (GRUR Int. 1998, 309 – Maglite) zunächst für zulässig gehalten, dass die EWR-Staaten an der internationalen Erschöpfung festhalten, diese Entscheidung aber später revidiert (EFTA-Gerichtshof GRUR Int. 2008, 1032 Rn. 36 – REDKEN), womit die Übereinstimmung mit der Rechtslage in der Europäischen Union hergestellt ist.
20
2. Eine andere Beurteilung ist im Streitfall auch nicht vor dem Hintergrund der Regelungen von Art. 21 und Art. 22 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.09.1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (EWGTRAssZusProt) veranlasst (vgl. zum Patentrecht Benkard PatG/Scharen, 12. Aufl. 2023, PatG § 9 Rn. 22). Dieses Zusatzprotokoll wurde am 23.11.1970 unterzeichnet; Deutschland stimmte diesem mit Gesetz vom 19.05.1972 zu (BGBl. 1972 II S. 385); mit Art. 1 der EG-Verordnung vom 19.12.1972 wurde es im Namen der Gemeinschaft beschlossen, gebilligt und bestätigt (ABl. EG vom 29.12.1972, Nr. L 293/1).
21
a) Nach Art. 21 EWGTRAssZusProt sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen zwischen den Vertragsparteien verboten. Außerdem haben sich die Vertragsparteien in dem Abkommen verpflichtet, untereinander weder neue mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen noch Maßnahmen gleicher Wirkung einzuführen (Art. 22 Abs. 1 EWGTRAssZusProt).
22
b) Zwar haben diese Vorschriften – wie die Parallelregelung des Art. 41 Abs. 1 EWGTRAssZusProt, wonach die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen werden – in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung, so dass sich die daraus Berechtigten vor den nationalen Gerichten auf die Rechte, die ihnen damit verliehen werden, berufen können, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des innerstaatlichen Rechts auszuschließen. Sie enthalten nämlich eine klare, präzise und nicht an Bedingungen geknüpfte, eindeutige Stillhalteklausel, die eine Verpflichtung der Vertragsparteien begründet (vgl. EuGH NVwZ 2009, 513 Rn. 45 – Soysal und Savatli/Bundesrepublik Deutschland). Der Gerichtshof hat insbesondere festgestellt, dass Art. 41 Abs. 1 EWGTRAssZusProt von dem Zeitpunkt an, zu dem der Rechtsakt, dessen Bestandteil diese Bestimmung ist, in dem Aufnahmemitgliedstaat in Kraft getreten ist, neuen Beschränkungen der Ausübung der Niederlassungsfreiheit oder der Dienstleistungsfreiheit einschließlich solchen entgegensteht, die die materiell- und/oder verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die erstmalige Aufnahme türkischer Staatsangehöriger im Hoheitsgebiet des fraglichen Mitgliedstaats betreffen, die dort von diesen wirtschaftlichen Freiheiten Gebrauch machen wollen (EuGH NVwZ 2008, 61 Rn. 61 ff.). Diese Überlegungen gelten im Grundsatz auch auf die Parallelregelungen der Art. 21 und Art. 22 Abs. 1 EWGTRAssZusProt.
23
Auch kann – insbesondere vor dem Hintergrund des im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls in der Bundesrepublik Deutschland herrschenden Grundsatzes der internationalen Erschöpfung – die Anwendung einer Erschöpfungsregelung wie in Art. 15 Abs. 1 UMV, § 24 Abs. 1 MarkenG, die eine Erschöpfung im Verhältnis zu der Türkei nicht vorsehen, grundsätzlich als eine mengenmäßige Beschränkung oder Maßnahme gleicher Wirkung angesehen werden, die gegen die Stillhalteverpflichung in Art. 22 EWGTRAssZusProt verstoßen könnte.
24
Schließlich schließt sich der Senat der Rechtsauffassung der Beklagten insoweit an, dass völkerrechtliche Abkommen wie das Zusatzprotokoll als primäres Assoziationsrecht grundsätzlich Anwendungsvorrang sowohl gegenüber nationalem als auch gegenüber sekundärem Unionsrecht haben. Dies folgt aus der völkerrechtlichen Verpflichtung der Union gegenüber den Vertragspartnern, die nur durch die Nichtanwendung entgegenstehenden innerstaatlichen und innerunionsrechtlichen Rechts gesichert werden kann und deren Beachtung für die Union als Rechtsgemeinschaft einen Wert an sich darstellt (Grabitz/Hilf/Nettesheim/Vöneky/Beylage-Haarmann, 82. EL Mai 2024, AEUV Art. 217 Rn. 57).
25
c) Anders als Art. 41 Abs. 1 EWGTRAssZusProt enthalten Art. 21, 22 Abs. 1 EWGTRAssZusProt jedoch keine schrankenlose Stillstandklausel. Denn nach Art. 29 EWGTRAssZusProt stehen die Art. 21 ff. den Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegen, die unter anderem aus Gründen des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind, solange diese Verbote oder Beschränkungen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Vertragsparteien darstellen. Eine solche Ausnahme vom Verbot von mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen der Art. 21, 22 Abs. 1 EWGTRAssZusProt stellt die Beschränkung des Erschöpfungsgrundsatzes in Art. 15 UMV bzw. § 24 MarkenG dar.
26
aa) Zwar ist grundsätzlich die Ausübung eines Markenrechts durch den Inhaber, um die Einfuhr eines Erzeugnisses zu verhindern, welches von diesem oder mit dessen Zustimmung rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurde, eine verbotene Maßnahme gleicher Wirkung i.S.v. Art. 34 AEUV, die nicht zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums im Sinne von Art. 36 AEUV gerechtfertigt sein kann (vgl. EuGH GRUR Int 1982, 372 Rn. 7 – Polydor/Harlequin). Diese zu Art. 36 EWG-Vertrag als Vorgängernorm des Art. 36 AEUV ergangene Rechtsprechung des EuGH ist jedoch – wie sich aus der EuGH-Entscheidung „Polydor/Harlequin“ ergibt – für den Streitfall nicht maßgeblich. Denn wie im nachfolgenden Absatz dargestellt, sind die Überlegungen des EuGH zu Art. 36 AEUV auf ein Übereinkommen wie dem streitgegenständlichen nicht übertragbar.
27
In dem Urteil „Polydor/Harlequin“ hebt der Gerichtshof hervor, dass die Berechtigung einer Einfuhrbeschränkung im Sinne des Art. 36 AEUV (bzw. der damals geltenden Vorgängerregelung) unter Berücksichtigung des Hauptzieles des EWG-Vertrages, nämlich der Zusammenfügung der einzelstaatlichen Märkte zu einem einheitlichen Markt, festzustellen sei. Dort, wo diese Zielsetzung fehle, wie etwa beim Abkommen über den freien Handelsverkehr zwischen der EWG und Portugal, müsse ein Einfuhrverbot, das innerhalb der Gemeinschaft als rechtswidrig zu betrachten wäre, noch keineswegs scheitern. So könne die Ausübung eines Schutzrechtes zum Zwecke der Verhinderung einer Einfuhr von Schallplatten nach Großbritannien, die mit Einwilligung des Schutzrechtsinhabers in Portugal hergestellt und vertrieben werden, als berechtigt im Sinne des Art. 23 des Abkommens zwischen der EWG und Portugal angesehen werden.
28
Die Rechtsgrundsätze dieser Entscheidung zur Nichtübertragbarkeit können für den Streitfall herangezogen werden. Entscheidend ist, dass die Tragweite der Rechtsprechung zu Art. 36 EWG-Vertrag aus der Sicht der Ziele und der Tätigkeit der Europäischen Gemeinschaft, wie sie in den Art. 2 und 3 EWG-Vertrag (jetzt AEUV) definiert waren, zu beurteilen sind. Der EWG-Vertrag zielte mit der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und der schrittweisen Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten auf den Zusammenschluss der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt ab, der die Merkmale eines Binnenmarktes – also eines Raums ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist – aufweist (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 15 f. – Polydor/Harlequin). Ziel des Assoziationsabkommens war und ist demgegenüber die Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien durch Errichtung einer Zollunion, Art. 2 Abs. 1 und 2 EWGTRAssZusProt. Bei der Errichtung eines Binnenmarkts tritt aber eine umfassendere Liberalisierung als bei einer Assoziierung ein. Wenngleich ein späterer Beitritt der Türkei zur Europäischen Gemeinschaft durch die Vertragsparteien in den Blick genommen wurde, sollte dieser weitere Schritt durch den Abschluss des Assoziationsabkommens erst vorbereitet, nicht aber umgesetzt oder unmittelbar eingeleitet werden; nach Art. 28 EWGTRAssZusProt sollte bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen lediglich die Möglichkeit eines Beitritts der Türkei zur Gemeinschaft geprüft werden. Das Assoziationsabkommen sieht auch nicht die gleichen Instrumente wie der EWG-Vertrag vor, um innerhalb eines gemeinsamen Marktes zur einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts und zur schrittweisen Abschaffung der Unterschiede in den Rechtsvorschriften zu gelangen. Es mangelt bereits an den insoweit maßgeblichen eigenen gemeinschaftsrechtlichen Organen wie sie das Gemeinschaftsrecht vorsah (und vorsieht).
29
Aus den vorangegangenen Erwägungen folgt, dass es wegen der Übertragbarkeit der Argumente ohne Entscheidungsrelevanz ist, dass Gegenstand des „Polydor“-Urteils ein Freihandelsabkommen und kein Assoziationsabkommen war, zumal die Grenzen der einzelnen Abkommenstypen nicht nur in wirtschaftlich-politischer Hinsicht fließend erscheinen (vgl. Groeben, von der/Schwarze/Marc Bungenberg, 7. Aufl. 2015, AEUV Art. 217 Rn. 94). Ein anderes Ergebnis folgt hier auch nicht aus dem Umstand, dass der EuGH sich in der Entscheidung „Polydor“ nicht mit einer Stillhalteklausel (wie Art. 22 EWGTRAssZusProt) befasste, sondern mit einer Art. 21 EWGTRAssZusProt entsprechenden Regelung über die Warenverkehrsfreiheit. Denn die der Entscheidung zugrunde liegende Überlegung, dass das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung im Verhältnis der EU-Staaten untereinander einerseits und im Verhältnis von EU-Staaten zu „Assoziationsstaaten“ andererseits nicht gleich zu bewerten sind, greift auch in Bezug auf die Stillhalteklausel des Art. 22 EWGTRAssZusProt.
30
bb) Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist der Senat durchaus befugt, die Entscheidung der Einschränkung des Erschöpfungsgrundsatzes auch in Anbetracht des Art. 22 EWGTRAssZusProt zu treffen und hierbei den von Art. 29 EWGTRAssZusProt eröffneten Beurteilungsspielraum zu betätigen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts „Treaty Override“ (NJW 2016, 1295). Denn dieser Beschluss befasste sich mit der Frage, inwieweit vor dem Hintergrund des Grundsatzes der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des einfachen Rechts (nur) der parlamentarische Gesetzgeber mit innerstaatlicher Wirkung das Völkerrecht durchbrechen dürfe. Vorliegend geht es jedoch nicht um die Frage einer befugten Durchbrechung von Völkerrecht. Maßgeblich ist vielmehr, ob mit § 24 MarkenG, Art. 15 UMV in zulässiger Weise von einer durch Art. 29 EWGTRAssZusProt ausdrücklich zugelassenen Ausnahme Gebrauch gemacht wurde.
31
cc) Ohne Relevanz ist in diesem Zusammenhang der von der Beklagten vorgebrachte Einwand, wonach den Gesetzgebungsmaterialien zu § 24 MarkenG keine Anhaltspunkte dafür entnommen werden könnten, dass der Gesetzgeber mit der Einengung des Erschöpfungsgrundsatzes auf das Gebiet des EWR willensgetragen eine Abweichung von der Stillhalteklausel des Art. 22 Abs. 1 EWGTRAssZusProt vornehmen wollte. Zum einen ist es nicht erforderlich, dass der Gesetzgeber im Rahmen eines Gesetzgebungsvorhabens für jeden möglichen Einzelfall im Hinblick auf alle denkbaren Gesichtspunkte und Auswirkungen ein Regelungsbewusstsein im Sinne einer bewussten und willenhaften Betätigung einer politischen Einschätzungsprärogative hat und dies in der Gesetzesbegründung dokumentiert. Zum anderen erfolgte der Erlass des Markengesetzes zur Umsetzung der Ersten Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken vom 21.12.1988 (89/104/EWG, im Folgenden: Markenrichtlinie), in dessen Art. 7 eine vergleichbare Regelung enthalten ist. Und bereits vor Erlass der Ersten Markenrichtlinie war die Erschöpfung nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH – da er die markenrechtliche Erschöpfung aus dem Grundsatz des freien Warenverkehrs folgerte – seit jeher auf das Territorium der EWG (später EG, nunmehr EWR) beschränkt (ständige Rechtsprechung seit EuGH 192/73, GRUR Int 1974, 338 – HAG I). Gesetzgeberischer Spielraum, dessen Ausübung dokumentiert hätte werden können und müssen, bestand somit für den nationalen Gesetzgeber von vornherein nicht.
32
dd) Die in Art. 15 UMV, § 24 MarkenG enthaltene Beschränkung der Erschöpfungswirkung unterfällt der Regelung des Art. 29 EWGTRAssZusProt und ist verhältnismäßig.
33
Der Schutz des gewerblichen Eigentums und damit des Markenrechts (vgl. EuGH GRUR Int 1974, 456 – NEGRAM III) stellt nach Art. 29 EWGTRAssZusProt ein ausdrücklich genanntes legitimes Ziel dar.
34
Die Regelungen in Art. 15 UMV, § 24 MarkenG waren zur Erreichung dieses Ziels geeignet, da sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wurden, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. EuGH GRUR-Int. 2012, 1032 Rn. 22 – HIT hoteli). Die Einführung einer unionsweit geltenden Erschöpfungsregelung in allen Mitgliedstaaten und damit die Abschaffung der unterschiedlichen Reichweiten der Erschöpfung in den einzelnen Mitgliedstaaten war ein brauchbares Mittel zur Förderung des Schutzes des gewerblichen Eigentums. Zum einen wird durch eine Angleichung von Vorschriften im Rahmen eines Binnenmarktes Rechtssicherheit geschaffen, was auch den Schutzrechtsinhabern zugutekommt. Zum anderen wird durch eine Begrenzung des Erschöpfungsgebiets auf den EWR das Markenrecht gestärkt, weil sich aufgrund einer Beschränkung der Schrankenbestimmung der Art. 15 UMV, § 24 MarkenG das Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers erweitert. Denn um den Schutz der von der Marke gewährten Rechte sicherzustellen, ist entscheidend, dass der Inhaber einer in einem oder mehreren Mitgliedstaaten eingetragenen Marke das erste Inverkehrbringen der mit dieser Marke versehenen Waren im EWR kontrollieren kann (EuGH GRUR 2018, 917 Rn. 32 – Mitsubishi u.a./Duma u.a.).
35
Schließlich ist auch die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Regelungen zu bejahen. Zwar war eine unionsweite Rechtsangleichung um den Preis der Aufgabe der vorher bestehenden jeweiligen mitgliedstaatlichen Rechtslage für die Türkei teilweise ungünstiger, da einige Mitgliedstaaten – wie beispielsweise Deutschland – den Grundsatz der internationalen Erschöpfung kannten. Der von den Regelungen in Art. 15 UMV, § 24 MarkenG verfolgte Zweck, zur Errichtung und zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes eine Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten – deren Rechtsordnungen hinsichtlich des Markenrechts Unterschiede aufwies – vorzunehmen, durch die der freie Warenverkehr und der freie Dienstleistungsverkehr behindert wurde, überwiegt jedoch. Sowohl die EWG als auch die Türkei konnten eine Erschwerung dieser Vereinheitlichung offensichtlich nicht gewollt haben, als das Zusatzprotokoll abgeschlossen wurde.
36
Die Beschränkung stellt weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Vertragsparteien dar (Art. 29 S. 2 EWGTRAssZusProt). Zum einen misst der EuGH der Parallelvorschrift des Art. 36 S. 2 AEUV regelmäßig keine eigenständige Bedeutung neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei (Calliess/ Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 36 Rn. 104). Zum anderen führen – im Gegenteil – divergierenden Erschöpfungsregelungen innerhalb der EWG zu Behinderungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs (vgl. EuGH GRUR Int 2007, 237 Rn. 26 – Laserdisken) und können die einvernehmlichen Vertragsregelungen und damit einhergehenden Beschränkungen im Verhältnis zur Türkei weder als willkürliche Diskriminierung noch als verschleierte Handelsbeschränkung angesehen werden.
37
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass, wenn – der Argumentation der Beklagten folgend – der im Zeitpunkt des Zusatzprotokolls von 1970 bestehende Rechtszustand zur geografischen Reichweite der Erschöpfung „festgezurrt“ wäre, die Türkei im Verhältnis zu den einzelnen EU-Mitgliedstaaten unterschiedlichen Regelungen gegenüberstünde. Denn bereits damals folgten einige Mitgliedstaaten – anders als Deutschland – nicht dem Prinzip der internationalen Erschöpfung.
38
ee) Diese Überlegungen gelten nicht nur für das Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen nach Art. 21 EWGTRAssZusProt, sondern auch für die Stillhalteklausel des Art. 22 Abs. 1 EWGTRAssZusProt. Denn auch das in Art. 22 Abs. 1 EWGTRAssZusProt enthaltene Einfuhrverbot steht ausdrücklich unter dem Ausnahmevorbehalt des Art. 29 EWGTRAssZusProt.
39
d) Darüber hinaus hat der Assoziationsrat klargestellt, dass eine Erschöpfung der Rechte an geistigem, gewerblichem und kommerziellem Eigentum nicht vorgesehen ist (vgl. Art. 10 Abs. 2 des Anhangs 8 zum Beschluss Nr. 1/95).
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aa) Die Assoziation zwischen der EWG und der Türkei umfasst gemäß Art. 2 Abs. 3 des Abkommens vom 12.09.1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei (Assoziierungsabkommen) drei Phasen: eine Vorbereitungsphase, eine Übergangsphase und eine Endphase. Durch das EWGTRAssZusProt wurden die Einzelheiten für die Verwirklichung der Übergangsphase i.S.d. Art. 2 Abs. 3 lit. b), Art. 4 Assoziierungsabkommen festgelegt, vgl. Art. 1 EWGTRAssZusProt.
41
Mit „Beschluss Nr. 1/95 des Assoziationsrates EG-Türkei vom 22.12.1995 über die Durchführung der Endphase der Zollunion“ (Beschluss Nr. 1/95) wurden Vorschriften für die Durchführung der Endphase der Zollunion festgelegt, vgl. Artikel 1 des Beschlusses Nr. 1/95. Dadurch sollen die Modalitäten für das effektive Funktionieren der Zollunion im Rahmen des Assoziationsabkommens und des Zusatzprotokolls ausgearbeitet werden (vgl. Präambel des Beschlusses Nr. 1/95). Er kommt nach seinem Art. 1 „unbeschadet“ des Zusatzprotokolls – also daneben – zur Anwendung.
42
Der Beschluss Nr. 1/95 enthält analog zu Art. 21 des EWGTRAssZusProt in Art. 5 ein Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung und erlaubt analog zu Art. 29 EWGTRAssZusProt in Art. 7 Ausnahmen von diesem Verbot, die u.a. aus Gründen des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Nach Art. 31 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/95 bekräftigen die Vertragsparteien zudem die Bedeutung, die sie der Gewährleistung eines angemessenen und wirksamen Schutzes und der Durchsetzung der Rechte an geistigem, gewerblichen und kommerziellen Eigentum beimessen. In Art. 31 Abs. 2 S. 2 des Beschlusses verpflichten sie sich insbesondere die in Anhang 8 aufgeführten Verpflichtungen zu erfüllen. Der „Anhang 8 über den Schutz des geistigen und kommerziellen Eigentums“ führt in Art. 10 Abs. 2 aus, dass der Beschluss Nr. 1/95 eine Erschöpfung der Rechte an geistigem, gewerblichem und kommerziellem Eigentum in den Handelsbeziehungen zwischen den beiden Vertragsparteien im Rahmen dieses Beschlusses nicht vorsieht.
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bb) Der Beschluss Nr. 1/95 kann zur Auslegung des Zusatzprotokolls herangezogen werden. Zwar wurde der Beschluss Nr. 1/95 – anders als das Assoziationsabkommen sowie das Zusatzprotokoll – nicht von den Vertragsparteien selbst verfasst, sondern vom Assoziationsrat. Es liegen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Assoziationsrat außerhalb der Interessen der Vertragsparteien gehandelt oder nicht deren Willen und Verständnis wiedergegeben habe. Die Vertragsparteien treten vielmehr gemäß Art. 6 EWGTRAssZusProt in dem Assoziationsrat zusammen, um die Anwendung und schrittweise Entwicklung der Assoziationsregelungen sicherzustellen. Der Assoziationsrat besteht aus Mitgliedern der Regierungen der Mitgliedstaaten, des Rates und der Kommission der Gemeinschaft einerseits und Mitgliedern der türkischen Regierung andererseits, Art. 23 EWGTRAssZusProt. Er ist gemäß Art. 22 Abs. 1 EWGTRAssZusProt befugt zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens und in den dafür vorgesehenen Fällen Beschlüsse zu fassen. Mit Beginn der Übergangsphase ist der Assoziationsrat dabei auch dann berufen, Beschlüsse zu fassen, wenn die hierfür erforderlichen Befugnisse in dem Abkommen nicht vorgesehen sind, Art. 22 Abs. 3 EWGTRAssZusProt. Bei Streitigkeiten über die Anwendung oder Auslegung des Abkommens ist nach Art. 25 Abs. 1 des Assoziierungsabkommens der Assoziationsrat berufen. Hieraus ergibt sich eine erhebliche Kompetenz, Zweifelsfragen oder offen gebliebene Aspekte verbindlich zu regeln.
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cc) Aus Art. 10 Abs. 2 des Anhangs 8 des Beschlusses Nr. 1/95 folgt nicht nur, dass – dem Wortlaut der Regelung entsprechend – der Beschluss selbst keine Erschöpfung von Rechten an geistigem, gewerblichem und kommerziellem Eigentum vorsieht, sondern auch, dass die Vertragsparteien des Assoziationsabkommens der Türkei im Vergleich zu anderen Nichtmitgliedern der Europäischen Gemeinschaften keine Sonderstellung hinsichtlich der Erschöpfung zubilligen wollten, auch wenn der Beschluss Nr. 1/95 selbst keine Stillhalteklausel wir Art. 22 EWGTRAssZusProt enthält.
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Zunächst ist zu beachten, dass die Regelungen in Art. 5 und 7 des Beschlusses Nr. 1/95 im Wesentlichen den Art. 21 und 29 EWGTRAssZusProt entsprechen. Auch der Beschluss regelt daher Ausnahmen von mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung, die zum Schutze des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Wie bereits ausgeführt, können darunter auch Regelungen zur Beschränkung des Erschöpfungsgebiets fallen.
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Art. 10 Abs. 2 des Anhangs 8 des Beschlusses Nr. 1/95 würde vor diesem Hintergrund keinen Sinn ergeben, wenn er einen punktuellen Rückgriff für das isolierte Thema der Erschöpfung auf das Zusatzprotokoll darstellen würde. Denn zum einen regelt das Zusatzprotokoll die Erschöpfung nicht (ausdrücklich). Zum anderen hätte der Assoziationsrat dann, wenn er eine Weiterführung der von der Beklagten behaupteten Erschöpfungsregelung im Zusatzprotokoll gewollt hätte, dieses ausdrücklich und positiv formulieren können; er hätte dann nicht festgehalten, dass der Beschluss eine Erschöpfung nicht vorsieht. Denn im Zeitpunkt des Beschlusses Nr. 1/95 am 22.12.1995 war die Thematik der geografischen Reichweite der Erschöpfung durchaus virulent, weil beispielsweise die Vorschrift des § 24 Abs. 1 MarkenG am 01.01.1995 in Kraft trat und daher in Deutschland der Grundsatz der internationalen Erschöpfung nicht mehr haltbar war. Dass die Vertragsparteien in Kenntnis dieser geänderten Rechtslage mit den Art. 5 und 7 des Beschlusses Nr. 1/95 die Vorschriften der Art. 21 und 29 EWGTRAssZusProt bekräftigten und zusätzlich ausführten, dass in dem Beschluss keine Erschöpfungsregelung vorgesehen sei, kann nur dahingehend verstanden werden, dass der Beschluss Nr. 1/95 einer Schrankenbestimmung wie § 24 Abs. 1 MarkenG, Art. 15 UMV nicht entgegensteht und die Vertragsparteien insgesamt keine Sonderregelungen zur markenrechtlichen Erschöpfung im Verhältnis zwischen der (heutigen) Europäischen Union und der Türkei beabsichtigt haben.
C.
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Der Streitwert wurde in Anwendung der Grundsätze der § 3 ZPO, §§ 47, 48, 51 GKG bestimmt und entspricht der erstinstanzlichen Festsetzung, gegen die sich die Parteien nicht gewandt haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 709, § 711 ZPO.
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Die Revision der Beklagten zum Bundesgerichtshof (§ 7 EGZPO, § 8 Abs. 2 EGGVG) ist nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Die Anwendung des Erschöpfungsgrundsatzes im Verhältnis zur Türkei wirft entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen auf, die sich über den Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen können und deshalb für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind.