Titel:
Missbrauch der Marktmacht
Normenketten:
AEUV Art. 102
PatG § 139 Abs. 1, Abs. 3, § 140a Abs. 1, Abs. 3, § 140b Abs. 1, Abs. 3
BGB § 242
Leitsätze:
1. Das Einreichen der Klage auf Schadensersatz und Auskunft sowie Rechnungslegung ist eine hinreichende Verletzungsanzeige. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Obliegenheit des Patentinhabers zur Unterbreitung eines Angebots entfällt zunächst, wenn der Benutzer auf die Verletzungsanzeige binnen einer angemessenen Frist nicht reagiert oder durch sein Verhalten zum Ausdruck gebracht hat, dass er an einer (FRAND-)Lizenz nicht interessiert ist. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Macht der Patentinhaber dem Benutzer trotz unzureichender Lizenzbereitschaftserklärung ein Angebot und treten die Parteien daraufhin in Verhandlungen ein, kann sich der Patentinhaber später nicht darauf berufen, der FRAND-Einwand greife deshalb nicht durch, weil der Benutzer vor einem solchen Angebot seine Lizenzbereitschaft nicht bekundet habe. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Unterbreitung eines nicht FRAND-gemäßen ersten Angebots belegt noch keinen Marktmissbrauch, sondern kann Ausgangspunkt von Verhandlungen sein, in deren Verlauf ein FRAND-gemäßes Angebot des Patentinhabers entwickelt werden kann (Anschluss an BGHZ 227, 305 = GRUR 2021, 585 - FRAND-Einwand II). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
5. Eine angemessene Sicherheit muss sich der Höhe nach zunächst nach dem zu prüfenden Angebot des Patentinhabers richten und dient der Absicherung der Lizenzgebühr, die der Kläger im Fall des Abschlusses eines Lizenzvertrags zu FRAND-Bedingungen verlangen kann. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Schadensersatz
Vorinstanzen:
LG München I vom -- – 7 O 14091/1
LG München I, Endurteil vom 25.05.2022 – 7 O 14091/19
Fundstellen:
WuW 2025, 51
GRUR-RS 2024, 30064
LSK 2024, 30064
NZKart 2024, 710
Tenor
I. Der Senat hält es für angezeigt, die Parteien wie auch die an der Sitzung als amicus curiae teilnehmende Kommission vorab über die derzeitige, vorläufige Rechtsauffassung des Senats hinsichtlich der vorzunehmenden Prüfung des FRAND-Einwands der Beklagten zu informieren. (Fussnote:Anmerkung: Der erste Satz wurde zum Zwecke der Veröffentlichung sprachlich korrigiert.) Bereits an dieser Stelle ist zu betonen, dass die Übersendung dieses Hinweises allein dazu dienen soll, den Parteien die Sichtweise des Senats bereits vor der Sitzung zu erläutern. Der Hinweis dient indes nicht dazu, den Parteien etwaige einzuräumende Schriftsatznachlässe zu verweigern, soweit diese geboten sind. Es wird insoweit der gleiche Maßstab anzusetzen sein, der für den Fall eines erst in der mündlichen Verhandlung selbst erteilten Hinweises zu beachten ist. Der Senat ist sich bewusst, dass die Übersendung dieses Hinweises sehr knapp vor dem Termin erfolgt; angesichts der Komplexität des Falles und der intensiven Beratungen war eine frühere Übersendung jedoch nicht möglich.
II. Der Senat ist der Auffassung, dass der Umstand, dass der BGH den FRAND-Einwand des Beklagten als Anker ansieht, um dem klagenden Patentinhaber eines standardessenziellen Patents einen mit der klageweisen Durchsetzung eines Unterlassungsanspruchs einhergehenden Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung entgegenzuhalten (vgl. BGH, GRUR 2021, 585, Rn. 53 ff. – FRAND-Einwand II), nicht dazu führt, dass eine (unterstellt) missbräuchliche Klage wegen Rechtsmissbrauchs und damit als unzulässig abzuweisen wäre. Vielmehr stellt sich die – nur auf Einrede des Beklagten zu prüfende – Frage des Missbrauchs der Marktmacht durch die Klägerin im Rahmen der Begründetheit, da der FRAND-Einwand letztlich die Einrede des Beklagten beinhaltet, einen Anspruch gegen den Kläger auf Erteilung einer Lizenz (die als FRAND anzusehen ist) zu haben (vgl. BGH, GRUR 2021, 585, Rn. 83 – FRAND-Einwand II), so dass es sich in der Sache um einen dolo-agit-Einwand (§ 242 BGB) handelt (vgl. Kühnen, Hdb.Patentverletzung, 16. Aufl., Kap. E Rn. 265).
III. Der Senat ist ferner der Auffassung, dass – weil der Kläger durch die Bewertung seines zur Beurteilung stehenden Verhaltens als un-FRAND nicht daran gehindert ist, dem Beklagten ein neues Angebot zu unterbreiten, welches FRAND-Bedingungen entspricht – ein erfolgreicher FRAND-Einwand „nur“ zur Abweisung der Klage als derzeit unbegründet führen kann. Folglich dürfte zunächst stets zu prüfen sein, ob die angegriffene(n) Ausführungsform(en) das jeweilige Klagepatent verletzen.
IV. Im Streitfall tendiert der Senat nach der Vorberatung dazu, mit dem Landgericht von einer Verletzung des Klagepatents auszugehen. Auch dürfte die Aktivlegitimation zu bejahen sein und eine Aussetzung des Rechtsstreits nicht angezeigt sein. Die Einzelheiten hierzu werden im Rahmen der mündlichen Verhandlung erörtert werden. Mithin dürfte vorliegend streitentscheidend sein, ob der FRAND-Einwand der Beklagten – wie das Landgericht im Ergebnis sinngemäß meint – bereits aufgrund ihres Verhaltens während der Verhandlungen nicht trägt und – wenn doch – welche konkreten Schritte zur weiteren Prüfung des FRAND-Einwands vorzunehmen sind.
V. Der Senat orientiert sich bei der Prüfung dieser Fragen an den Grundsätzen der EuGH- und BGH-Rechtsprechung und ist darin bestrebt, diese – soweit erforderlich – weiter zu konkretisieren. Ausgangspunkt der Prüfung sind die von der EuGH-Rechtsprechung aufgezeigten Schritte, die ersichtlich dazu dienen sollen, dass Lizenzvereinbarungen nicht erstritten, sondern ausgehandelt werden sollen.
Gründe
1. Schritt: Verletzungsanzeige durch die Klägerin
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Sowohl nach EuGH (GRUR 2015, 746, Rn. 61, 62 – Huawei Technologies/ZTE) als auch BGH (GRUR 2021, 585, Rn. 55 – FRAND-Einwand II) ist zunächst eine Verletzungsanzeige erforderlich.
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Offen ist allerdings, welche Konsequenzen sich an eine unterbliebene Verletzungsanzeige knüpfen. Der Auffassung, dass eine unterbliebene Verletzungsanzeige vor Klageerhebung dazu führen soll, dass die Klage als (derzeit) unbegründet abzuweisen wäre, könnte entgegenstehen, dass der FRAND-Einwand nach den obigen Ausführungen grds. als dolo agitEinwand anzusehen ist. Allerdings könnte erwogen werden, ob die Einleitung eines gerichtlichen Unterlassungsverfahrens ohne vorherige Verletzungsanzeige im Einzelfall als unzulässig wegen allgemeinen Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB anzusehen ist. Dies dürfte im Streitfall jedoch nicht relevant sein.
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Vorliegend kann ungeachtet dessen dahinstehen, ob eine Verletzungsanzeige in den Schreiben der Klägerin vom 21.08.2019 bzw. 16.09.2019, mit welchen die Klägerin die Beklagte (bzw. deren Muttergesellschaft) „eingeladen“ hat, mehr über die Lizenzierungsmöglichkeiten bzgl. ihres für den EVS-Standard essenziellen Patentportfolios zu erfahren, gesehen werden kann, wie vom Landgericht angenommen (aA insoweit LG Mannheim; offengelassen von OLG Karlsruhe).
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Denn jedenfalls dürfte eine hinreichende Verletzungsanzeige in der Einreichung der Klage auf Schadensersatz und Auskunft/Rechnungslegung im vorliegenden Verfahren zu sehen sein (Eingang: 11.10.2019; Zustellung: 27.11.2019).
2. Schritt: Bekundung der Lizenzwilligkeit durch die Beklagte
5
Die Parteien streiten darüber, ob in der Antwort der Beklagten vom 26.11.2019 (auf das von der Klägerin bereits am 25.10.2019 unaufgefordert übersandte Lizenzangebot) eine Bekundung der Lizenzwilligkeit durch die Beklagte gesehen werden kann.
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Das Landgericht hat dies inhaltlich verneint, da es sich um eine unzureichende bedingte Lizenzbereitschaftserklärung iSd BGH-Entscheidung FRAND-Einwand II (dort Rn. 94, 95) gehandelt habe, weil die Beklagte ihre Lizenzbereitschaft auf Patente beschränkt habe, die „valid, actually essential and enforceable“ seien (aA LG Mannheim).
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Nach derzeitiger Auffassung des Senats darf dieser „2. Schritt“ allerdings wohl nicht dahingehend verstanden werden, dass der FRAND-Einwand des Beklagten bereits aufgrund einer zunächst fehlenden Erklärung der beschriebenen Art automatisch und ausnahmslos nicht trägt.
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So erwähnt der EuGH diesen Schritt in Rn. 63 der Huawei-Entscheidung nur am Rande in einem Nebensatz:
„Zum anderen obliegt es dem Patentinhaber, dem angeblichen Verletzer, nachdem dieser seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, gemäß seiner gegenüber der Standardisierungsorganisation übernommenen Verpflichtung ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen zu unterbreiten und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung anzugeben.“
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Dem entnimmt der Senat die Aussage, dass eine Obliegenheit des Patentinhabers zur Unterbreitung eines Angebots (zunächst) entfällt, wenn der Benutzer auf die Verletzungsanzeige binnen einer angemessenen Frist nicht reagiert oder dieser erklärt oder durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dass er an einer (FRAND-)Lizenz überhaupt nicht interessiert ist.
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Macht der Patentinhaber dem Benutzer jedoch trotz fehlender oder unzureichender Lizenzbereitschaftserklärung gleichwohl ein Angebot und treten die Parteien daraufhin in Verhandlungen ein (wie hier der Fall), kann sich der Patentinhaber später nach Auffassung des Senats nicht darauf berufen, der FRAND-Einwand greife bereits deshalb nicht durch, weil der Benutzer vor einem solchen Angebot seine Lizenzbereitschaft nicht bekundet habe (aA Kühnen, Hdb.Patentverletzung, 16. Aufl., Kap E Rn. 476).
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Diese Auffassung dürfte auch nicht im Widerspruch zur BGH-Rspr. stehen, der zwar an die Lizenzbereitschaftserklärung grds. strenge Anforderungen stellt, FRAND-Einwand II Rn. 57:
„Dafür genügt es regelmäßig nicht, wenn der Verletzer sich auf den Verletzungshinweis lediglich bereit zeigt, den Abschluss eines Lizenzvertrags zu erwägen oder in Verhandlungen darüber einzutreten, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Vertragsschluss für ihn in Betracht komme. Vielmehr muss sich der Verletzer seinerseits klar und eindeutig bereit erklären, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen abzuschließen, und muss auch in der Folge zielgerichtet an den Lizenzverhandlungen mitwirken (BGH GRUR 2020, 961 Rn. 83 = WRP 2020, 1194 – FRAND-Einwand).“
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Dies kann jedoch jedenfalls nicht in der (vom BGH bislang nicht entschiedenen) Konstellation gelten, dass der Patentinhaber dem Nutzer unaufgefordert ein Angebot übersendet, bevor er diesen hinreichend auf die Verletzung hingewiesen hatte bzw. dieser angemessen Zeit hatte, auf den Hinweis zu reagieren. Eine solche Konstellation läge hier vor, wenn man die „Einladungen“ vom 21.8.2019 und 16.9.2019 noch nicht als ausreichenden Verletzungshinweis ansähe (sondern erst die Klage auf Schadensersatz/Auskunft).
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Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich bei den vorgenannten Schreiben um Verletzungsanzeigen („1. Schritt“) gehandelt hat, auf die die Beklagte nicht rechtzeitig reagiert hat, dürfte die fehlende ausdrückliche Lizenzierungsbitte („2. Schritt“) jedenfalls dann entbehrlich sein, wenn der Patentinhaber – wie hier die Klägerin am 25.10.2019 – tatsächlich ein Angebot übersendet. So geht auch der BGH grds. davon aus, dass Versäumnisse durch nachträgliche höhere Anstrengungen nachgeholt werden können und der Nutzer den FRAND-Einwand durch ein einmaliges Versäumnis nicht dauerhaft verliert (vgl. FRAND-Einwand II, Rn. 60, vgl. auch Rn. 79 ff., insbes. Rn. 83).
3. Schritt: (erstes) Angebot durch den Patentinhaber
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Vorliegend hat die Klägerin der Beklagten, wie bereits dargelegt, am 25.10.2019 ein erstes Angebot übermittelt.
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Fraglich ist, ob dieses – erste – Angebot der Klägerin FRAND sein musste (und dies im gerichtlichen Verfahren zwingend – vorab – auf Einrede des Beklagten zu prüfen ist).
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Die Rechtsfolgen wären jedenfalls klar, wenn bereits das erste Angebot FRANDgemäß war. Dann wäre die einzige zulässige Reaktion des Benutzers hierauf nämlich gewesen, dass er das Angebot angenommen hätte. Auch wenn es eine Bandbreite an FRANDgemäßen Lösungen gibt (vgl. BGH, FRAND-Einwand II, Rn. 70), muss der Benutzer ein Angebot des Patentinhabers, das sich innerhalb dieser Bandbreite bewegt, annehmen, weil der Patentinhaber in diesem Fall (auch wenn das Angebot nur „gerade noch FRAND“ gewesen sein sollte) seine marktbeherrschende Stellung mit seiner Unterlassungsklage nicht missbraucht und der Beklagte keinen Anspruch auf Konditionen am für ihn günstigeren Ende der Bandbreite hat. Es muss angesichts dessen unerheblich sein, wie der Beklagte (wenn der das Angebot nicht angenommen hat) auf dieses reagiert hat, sprich, ob er z.B. gar nicht reagiert, sich offen lizenzunwillig gezeigt hat, das Angebot mit einem begründeten Gegenangebot abgelehnt hat und/oder Sicherheit geleistet hat oder nicht etc. Denn der FRAND-Einwand kann in diesem Fall nicht durchgreifen.
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Ob mithin auf den FRAND-Einwand des Beklagten zwingend das erste Angebot des Patentinhabers zu prüfen ist, hängt von den Konsequenzen ab, die sich daran anknüpfen, wenn dieses erste Angebot des Patentinhabers nicht FRANDgemäß war.
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Kühnen (Hdb.Patentverletzung, 16. Aufl. Kap E Rn. 477) – und auch die Stellungnahme der Kommission versteht der Senat in diesem Sinne – vertritt wohl die Auffassung, dass dann der FRAND-Einwand stets durchgreifen müsse (die Klage also als derzeit unbegründet abzuweisen wäre). Darauf, ob und wie der Benutzer auf das Angebot reagiert hat und ob es ggf. weitere (nachgebesserte) Angebote des Patentinhabers gegeben hat, soll es nach dieser Ansicht wohl nicht ankommen. Folge wäre, dass der Patentinhaber nur einen Versuch hätte.
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Für das gerichtliche Verfahren würde dies bedeuten, dass stets das erste Angebot auf seine FRAND-Gemäßheit hin zu prüfen wäre und letztlich die allein entscheidende Weichenstellung dafür wäre, ob der FRAND-Einwand durchgreift oder nicht. Auf alles andere, was zeitlich danach geschehen ist, würde es danach nie ankommen, denn wenn das erste Angebot FRAND war, hätte es der Nutzer zwingend annehmen müssen (vgl. oben), wenn nicht, hat nach dieser Ansicht stets der Patentinhaber „das Nachsehen“ (so Kühnen aaO).
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Der BGH hat dieser Ansicht nach Lesart des Senats eine sehr klare Absage erteilt, vgl. insbes. Rn. 54, 70 ff. der FRAND-Einwand II-Entscheidung. Wie daraus hervorgeht, liegt nach Auffassung des BGH ein Marktmissbrauch noch nicht in der Unterbreitung eines nicht FRANDgemäßen ersten Angebots. Dieses stelle vielmehr nur den Ausgangspunkt der Verhandlungen dar, in deren Verlauf ein FRANDgemäßes Angebot des Patentinhabers entwickelt werden soll. Nur wenn der Patentinhaber „auch am Ende von Verhandlungen nicht [von unangemessenen Lizenzbedingungen] abzurücken bereit ist“ (vgl. Rn. 54), liege ein missbräuchliches Verhalten vor.
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Auch die EuGH-Rspr. kann nach Auffassung des Senats nicht dahingehend verstanden werden, dass nach dem 3. Schritt „Schluss“ ist, wenn das Angebot des Patentinhabers FRAND-Bedingungen nicht entsprach.
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Zwar heißt es in der Huawei-Entscheidung in Rn. 63 (vgl. bereits oben):
„Zum anderen obliegt es dem Patentinhaber, dem angeblichen Verletzer, nachdem dieser seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, gemäß seiner gegenüber der Standardisierungsorganisation übernommenen Verpflichtung ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen zu unterbreiten und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung anzugeben.“
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Allerdings verlangt der EuGH unter Rn. 65, 66 der Entscheidung eine Gegenreaktion des Benutzers, insbesondere ein Gegenangebot:
„Dem angeblichen Verletzer obliegt es hingegen, auf dieses Angebot mit Sorgfalt, gemäß den in dem Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, zu reagieren, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und unter anderem impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird.
Nimmt der angebliche Verletzer das ihm unterbreitete Angebot nicht an, kann er sich auf den missbräuchlichen Charakter einer Unterlassungs- oder Rückrufklage nur berufen, wenn er dem Inhaber des betreffenden SEP innerhalb einer kurzen Frist schriftlich ein konkretes Gegenangebot macht, das den FRAND-Bedingungen entspricht.“
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Ein (FRANDgemäßes) Gegenangebot des Benutzers dürfte indes nur in dem Fall überhaupt Sinn ergeben, dass das Angebot des Patentinhabers nicht FRANDgemäß war (denn ansonsten gibt es für den Benutzer nur die Möglichkeit, das – FRANDgemäße – Angebot des Patentinhabers anzunehmen, vgl. bereits oben: der Benutzer hat keinen Anspruch auf den Abschluss eines Lizenzvertrags zu „seinen“ Bedingungen, auch wenn diese ebenfalls FRAND sein mögen).
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Daraus folgt, dass ein nicht FRANDgemäßes (erstes) Angebot des Patentinhabers noch nicht ohne Weiteres dazu führen dürfte, dass der FRAND-Einwand durchgreift. Denn wäre dies der Fall, bedürfte es keiner Verhandlungen und auch keines Gegenangebots (wie vom EuGH gefordert) mehr (so zutreffend auch BGH in Rn. 73 der FRAND-Einwand II-Entscheidung). Dieses Verständnis trägt wiederum auch dem Umstand Rechnung, dass der FRAND-Einwand als dolo agit-Einrede zu verstehen ist, die dann nicht (mehr) greifen kann, wenn dem Beklagten von der Klägerin ein Angebot unterbreitet wurde, welches FRAND ist.
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Im Ergebnis ist an dieser Stelle („3. Schritt“) damit lediglich festzuhalten, dass die Klägerin im Streitfall der Beklagten unter dem 25.10.2019 ein (erstes) Lizenzangebot unterbreitet hat, ohne dass es (jedenfalls zunächst) darauf ankäme, ob dieses FRANDgemäß war.
4. Schritt: Gegenangebot des Benutzers
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Wie bereits dargelegt, verlangt der EuGH, dass der Patentnutzer auf das Angebot des Patentinhabers mit einem Gegenangebot (das FRAND-Bedingungen entspricht), reagiert. Auch der BGH geht hiervon grds. aus (wobei es bei einem offensichtlich FRANDwidrigen Angebot u.U. sogar genügen soll, dass der Benutzer kein eigenes Gegenangebot unterbreitet, sondern lediglich darlegt, weshalb das Angebot des Patentinhabers offensichtlich nicht FRAND sei, vgl. FRAND-Einwand II, Rn. 71 aE).
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Fraglich ist, ob dieser Schritt stets zwingend notwendig ist, oder ob der Benutzer diesen „überspringen“ und sogleich zu „Schritt 5“ übergehen darf und eine angemessene Sicherheit leisten kann und dadurch erzwingen kann, dass das (erste) klägerische Angebot auf seine FRAND-Gemäßheit hin zu überprüfen ist. Dies erscheint indes zweifelhaft, da das erste Angebot laut BGH noch kein missbräuchliches Verhalten begründen können soll, sondern nur Ausgangspunkt der – auch vom Nutzer „geschuldeten“ – Verhandlungen sein soll und der Patentinhaber die Möglichkeit haben soll/muss, sein erstes Angebot unter Berücksichtigung des Gegenangebots (bzw. der Darlegungen des Nutzers) nachzubessern.
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Dies kann im Streitfall aber dahinstehen, da die Beklagte am 17.3.2020 ein Gegenangebot (und in der Folge noch weitere) unterbreitet hat.
5. Schritt: Sicherheitsleistung
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Da die Klägerin das Gegenangebot der Beklagten vom 17.3.2020 (und auch die weiteren Gegenangebote) nicht angenommen hat, sind jedenfalls die Voraussetzungen für den „5. Schritt“ – Pflicht zur Leistung einer angemessenen Sicherheit – gemäß der Rspr. des EuGH im Streitfall erfüllt. So heißt es in Huawei, Rn. 67:
„Darüber hinaus hat der angebliche Verletzer, wenn er das SEP benutzt, bevor ein Lizenzvertrag geschlossen wurde, ab dem Zeitpunkt, zu dem sein Gegenangebot abgelehnt wurde, eine angemessene Sicherheit gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten zu leisten, zB, indem er eine Bankgarantie beibringt oder die erforderlichen Beträge hinterlegt. Die Berechnung dieser Sicherheit muss unter anderem die Zahl der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das SEP umfassen, für die der angebliche Verletzer eine Abrechnung vorlegen können muss.“
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Vorliegend hat die Beklagte … (Fussnote:Anmerkung: Zum Zwecke der Veröffentlichung unkenntlich gemacht.) Euro beim Landgericht Mannheim als Sicherheit hinterlegt, da sie eine solche nur für die Benutzung des einen Klagepatents und für Benutzungshandlungen in Deutschland zu leisten habe.
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Dies erscheint aus Sicht des Senats nicht ausreichend: Sowohl bei dem Erfordernis eines Gegenangebots („4. Schritt“) als auch der Sicherheitsleistung („5. Schritt“) handelt es sich nach Auffassung des Senats um vom EuGH vorgegebene Konkretisierungen der vom BGH geforderten „fortdauernden Lizenzbereitschaft“ (= Lizenzwilligkeit) des Patentnutzers. Jedenfalls in der Regel bedeutet dies, dass der Benutzer/Beklagte seine Lizenzwilligkeit in dieser Phase des „Huawei-Programms“ grds. nur (noch) durch diese konkreten Handlungen, insbesondere eine „angemessene Sicherheit“ (dazu, was darunter zu verstehen ist, sogleich), nach außen hin kundtun und belegen kann. Umgekehrt bedeutet dies, dass der Benutzer/Beklagte, der diese Anforderungen erfüllt (insbesondere eine Sicherheit im nachfolgend genannten Sinne leistet), in aller Regel (jedenfalls, wenn er zuvor gemäß „Schritt 4“ ein Gegenangebot unterbreitet hat) als lizenzwillig zu gelten hat, und zwar unabhängig davon, ob er durch sein übriges vorangegangenes Verhalten Anlass gegeben hat, an seiner Lizenzwilligkeit zu zweifeln.
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Auf etwaige Verzögerungen etc. dürfte es daher grds. nicht ankommen, wenn der Beklagte durch Leistung der Sicherheit seine Lizenzbereitschaft dokumentiert hat; eine etwaige vorher anzunehmende Lizenzunwilligkeit, etwa aufgrund einer Verzögerungstaktik, dürfte dadurch „geheilt“ sein.
34
Eine angemessene Sicherheit muss sich nach Auffassung des Senats der Höhe nach zunächst grds. nach dem zu prüfenden Angebot des Patentinhabers/Klägers richten. Nach den obigen Ausführungen ist dieses nicht zwingend das erste, sondern grds. das seitens der Klägerin erbrachte letzte Angebot. Beinhaltet dieses eine (weltweite) Portfoliolizenz, muss die Sicherheit die dafür anfallende Lizenzgebühr abdecken und darf nicht auf das Klagepatent isoliert und das Gebiet der Bundesrepublik „heruntergerechnet“ werden. Denn die Sicherheit dient nicht der Absicherung des Schadensersatzanspruchs (der sich nur auf das Klagepatent und das Gebiet der Bundesrepublik erstrecken mag). Vielmehr dient diese Sicherheit im vorliegenden Zusammenhang der Absicherung der Lizenzgebühr, die der Kläger im Fall des (vom Beklagten verlangten und vom Kläger geschuldeten) Abschlusses eines Lizenzvertrags zu FRAND-Bedingungen verlangen kann. Grds. kann aber das Anbieten (allein) einer weltweiten Portfoliolizenz FRAND sein (vgl. BGH, GRUR 2020, 961 Rn. 77 f. – FRAND-Einwand I). Steht aufgrund des klägerischen Angebots eine solche weltweite Portfoliolizenz im Raum, muss sich folglich auch die Sicherheit hierauf beziehen. Ebenso ist auch für die betragsmäßige Höhe (zB Lizenzsatz bzw. pauschale Einmalzahlung) grds. das Angebot des Klägers (und nicht ein etwaiges Gegenangebot des Beklagten) für die Bemessung der Sicherheit maßgeblich. Denn der Beklagte beruft sich darauf, dass das Angebot des Klägers nicht FRAND-Bedingungen entspricht (und allein auf dieses Angebot kann es für den Missbrauch auch ankommen, vgl. oben), und er begehrt eine gerichtliche Überprüfung dieses Angebots.
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Dies ergibt sich schließlich auch daraus, dass es sich bei der Sicherheitsleistung – wie dargelegt – um eine Konkretisierung der Lizenzwilligkeit handelt: Der Beklagte, der behauptet, zu einem Vertragsabschluss zu FRAND-Bedingungen („whatever terms are in fact FRAND“) bereit zu sein, muss konsequenterweise bereit sein, das zur Überprüfung stehende Angebot des Klägers am Ende zu akzeptieren und anzunehmen, wenn sich dieses im weiteren Verlauf (insbesondere nach gerichtlicher, ggf. sachverständiger Prüfung) als FRANDgemäß herausstellen sollte. Einen entsprechenden Lizenzwillen kann er deshalb grds. (nur) dadurch belegen, dass er eben in dieser Höhe Sicherheit leistet.
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Daraus folgt zugleich, dass ferner durch eine verbindliche Erklärung des Benutzers/Beklagten sichergestellt werden muss, dass der Patentinhaber/Kläger die Sicherheit erhält, wenn sich sein Angebot am Ende als FRANDgemäß erweist und auch die mit der Unterlassungsklage geltend gemachte Patentverletzung rechtskräftig bejaht wird. Zwar lässt sich dieses Erfordernis dem EuGH-Urteil nicht unmittelbar entnehmen, es folgt jedoch aus dem Erfordernis einer „angemessenen Sicherheit“. Diese muss daher geeignet sein, gerade den Anspruch auf eine FRAND-Lizenzgebühr abzusichern. Dieser Zweck wäre aber verfehlt bzw. der Kläger insoweit gerade nicht „gesichert“, wenn der Beklagte, der – im Gegensatz zum Kläger – zum Abschluss eines Lizenzvertrags grds. nicht verpflichtet ist, es sich nach der FRAND-Prüfung durch das Gericht (ggf. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen) doch „anders überlegen“ könnte (etwa, wenn sich abzeichnet, dass das klägerische Angebot tatsächlich FRAND war) und er das Angebot ablehnen, auf den FRAND-Einwand verzichten und sich stattdessen zur Unterlassung verurteilen lassen könnte – und die Sicherheit zurückerhalten würde (jedenfalls, soweit diese den – uU deutlich niedrigeren – Schadensersatzanspruch übersteigt). Denn damit hätte der Beklagte ggf. genau das erreicht, was durch die Sicherheit verhindert werden soll, nämlich dass der Beklagte eine reine Verzögerungstaktik fährt, er das Patent weiterhin ohne Lizenz genutzt hat und der Patentinhaber am Ende nur auf den (schwachen) Schadensersatzanspruch verwiesen wird.
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Leistet der Benutzer/Beklagte keine Sicherheit im vorgenannten Sinne, fehlt es an einer Voraussetzung gemäß EuGH Huawei bzw. ist der Beklagte im Regelfall als lizenzunwillig anzusehen. Leistet der Benutzer/Beklagte Sicherheit im vorgenannten Sinne (z.B. durch Hinterlegung/Bankbürgschaft und Verpflichtungserklärung oder durch den Abschluss eines aufschiebend bedingten Lizenzvertrags entsprechend dem letzten Angebot des Klägers o.ä.), ist der Weg für die eigentliche FRAND-Prüfung des klägerischen Angebots eröffnet.
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Im Streitfall hat der Beklagte bislang noch keine diesen Anforderungen entsprechende Sicherheit geleistet. Dadurch ist er indes seines FRAND-Einwands (noch) nicht verlustig. Vielmehr wird ihm Gelegenheit zu geben sein, eine derartige Sicherheit binnen einer noch zu bestimmenden Frist zu leisten. Da die Klägerin zuletzt nach Aktenlage unter dem 06.05.2020 und unter dem 30.06.2021 zwei alternative Angebote unterbreitet hat, steht es der Beklagten frei, in Bezug auf welches der beiden Angebote Sicherheit geleistet werden soll. Der Senat würde dann dieses Angebot auf seine FRAND-Gemäßheit prüfen.