Inhalt

OLG München, Urteil v. 25.07.2024 – 29 U 3362/23 e
Titel:

Dringlichkeitsverlust durch Antrag zur Verlängerung der Stellungnahmefrist bei ungesicherter Terminierung

Normenkette:
UWG § 12 Abs. 1
Leitsatz:
Der mit Schriftsatz vom 09.06.2023 gestellte Antrag der Verfügungsklägerin, die an diesem Tag, einem Freitag, ablaufende Frist zur Stellungnahme bis Montag, den 12.06.2023, zu verlängern, weil wegen des Feiertages in Bayern und Nordrhein-Westfalen am vorangegangen Donnerstag eine Freigabe der Antragstellerin zum Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten noch ausgestanden habe, kann dringlichkeitsschädlich sein, wenn das Gericht lediglich eine Terminierung auf den 26. 06. 2023 in Aussicht gestellt hatte, aber noch nicht feststand, ob dieser Termin stattfinden und wann der nächstmögliche freie Verhandlungstermin möglich sein würde. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dringlichkeitsvermutung, Verfügungsgrund, Fristverlängerungsantrag, Verfahrensverzögerung, Selbstwiderlegung, Kostenentscheidung, Revisionszulassung
Vorinstanz:
LG München I, Teilanerkenntnis- und Endurteil vom 03.07.2023 – 4 HK O 5375/23
Fundstelle:
GRUR-RS 2024, 24168

Tenor

I. Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Teilanerkenntnis- und Endurteil des Landgerichts München I vom 03.07.2023, Az. 4 HK O 5375/23, berichtigt durch Beschluss vom 14.07.2023, in dessen Ziffern 1. c) und 2. abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. c) Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Antragstellerin 2/3, die Antragsgegnerin 1/3.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Tatbestand

I.
1
Die Parteien streiten im Rahmen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung um lauterkeitsrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit den Vorgaben der europäischen Kosmetikverordnung (VO (EG) Nr. 1223/2009) für Nagellack.
2
Die Antragstellerin hat erstinstanzlich zunächst beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung, die der besonderen Dringlichkeit wegen ohne vorausgehende mündliche Verhandlung und durch den Vorsitzenden allein anstelle des Prozessgerichts angeordnet werden soll, aufzugeben, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr in der Bundesrepublik Deutschland
a) folgende UV-Nagellackprodukte der Reihe NEONAIL
-
NEONAIL Soft Base
-
NEONAIL Soft Top
-
NEONAIL Color Coat – Friday Heels 7774-7
-
NEONAIL Color Coat – Miss Power 9391-7
-
NEONAIL Color Coat – Moonlight Flower 7107-7
unter Verwendung der Aussage

„HEMA free“

zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, wenn dies geschieht wie nachstehend wiedergegeben
wenn die Produkte den Inhaltsstoff
2-Hydroxyethyl Methacrylat (HEMA)
und/oder den Inhaltsstoff

Di-HEMA-Trimethylhexyldicarbamat (Di-HEMA-TMHDC)

beinhalten

und/oder

b) UV-Nagellackprodukte generell als „HEMA free“ und/oder „HEMA-frei“ zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, selbst wenn die beworbenen Nagellacke an sich kein HEMA enthalten, jedoch nur in Kombination mit einer HEMA-haltigen Grundierung (sog. Base) und/oder einer HEMA-haltigen Versiegelung (sog. Top) verwendet werden können

und/oder

c) die Nagellackprodukte „Soft Base“ und „Soft Top“ ohne unverwischbare, leicht lesbare und deutlich sichtbare Liste der Bestandteile auf dem Behältnis oder der Verpackung auf dem Markt bereitzustellen, wenn dies geschieht wie nachfolgend wiedergegeben
3
Das Landgericht hat nach Rücknahme des Antrags 1. b) durch die Antragstellerin sowie nach einem Anerkenntnis des Antrags 1. a) durch die Antragsgegnerin die Anträge 1. a) und 1. c) durch Teilanerkenntnis- und Endurteil vom 03.07.2023, Az. 4 HK O 5375/23, berichtigt durch Beschluss vom 14.07.2023, auf deren tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, wie beantragt zugesprochen.
4
Die Antragsgegnerin greift das Urteil mit ihrer Berufung im Hinblick auf den streitig gebliebenen Antrag 1. c) an.
5
Die Antragsgegnerin beantragt:
Unter teilweiser Aufhebung des Urteils des LG München I vom 03.07.2023, Az. 4 HK O 5375/23, wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hinsichtlich des Antrages zu 1 c) zurückgewiesen.
6
Die Antragstellerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
7
Im Übrigen wird von einem Tatbestand nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

II.
8
Die Berufung der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet.
9
1. Die Berufung ist begründet, weil es an dem für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Verfügungsgrund fehlt, da die Antragstellerin durch ihr Verhalten zu erkennen gegeben hat, dass sie nicht derart dringlich auf die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz angewiesen ist, dass es ihr nicht zuzumuten wäre, auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen zu werden. Infolgedessen ist die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG als entkräftet anzusehen.
10
a) Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG kann auch noch während des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung widerlegt werden. Dringlichkeitsschädliche Auswirkungen auf den Verfügungsgrund entfalten nämlich nicht nur Verhaltensweisen vor Antragstellung, sondern auch solche während des bereits anhängigen Verfahrens (vgl. BVerfG BeckRS 1998, 14710 Rn. 4). So wirkt sich das zögerliche Betreiben des Verfahrens nachteilig auf den Verfügungsgrund aus (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 12, Rn. 2.16; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Retzer, UWG, 5. Aufl., § 12, Rn. 86 ff.).
11
Im Regelfall widerlegen Fristverlängerungs- oder Terminsverlegungsanträge auch eine gesetzliche Dringlichkeitsvermutung, wenn sie vom noch ungesicherten Antragsteller gestellt werden (vgl. OLG Hamm GRUR 2021, 1106 Rn. 23 – mehrmalige Terminverlegungsanträge; GRUR-RS 2021, 31137 Rn. 18 – CO2-reduziert; OLG Stuttgart GRUR-RS 2017, 139897 Rn. 46 – Merchandising-Artikel; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, a.a.O.). Mit gerichtlichen Entscheidungen, die derartigen Anträgen stattgeben, geht nämlich in aller Regel eine Verfahrensverlängerung einher, mit der sich der den Fristverlängerungs- oder Terminsverlegungsantrag anbringende Antragsteller zumindest konkludent einverstanden erklärt und damit zum Ausdruck bringt, dass ihm die Sache nicht derart eilig ist, dass sie eine Eilentscheidung rechtfertigen würde. Weil sich ein solches dringlichkeitsschädliches Verhalten mithin aus dem Antrag selbst ergibt, ist ein Verfügungsgrund selbst dann zu verneinen, wenn einem derartigen Antrag seitens des Gerichts nicht entsprochen wird oder sich eine Stattgabe des Antrags im Ergebnis nicht auf die Verfahrensdauer auswirkt (vgl. KG GRUR 2023, 1565 Rn. 10 – Streitwert-Taktik; Senat, GRUR-RS 2021, 29384 – Hinweis auf Dringlichkeitsverlust).
12
Das Gericht braucht den Antragsteller bei Verlängerung einer Frist nicht darauf hinzuweisen, dass diese zum Wegfall der Dringlichkeit führen kann (OLG Nürnberg GRUR-RS 2023, 18858 Rn. 18 – Arbeitsüberlastung; BeckRS 2017, 153630, Rn. 15 – Selbstwiderlegung der Eilbedürftigkeit im einstweiligen Rechtsschutz; OLG München GRUR-RR 2016, 499 Rn. 79 – Verkaufsaktion für Brillenfassungen; OLG Düsseldorf BeckRS 2002, 17342 Rn. 8 ff. – Taxi Duisburg).
13
Etwaige Prozessbevollmächtigte – und damit erst recht die eigenen Mitarbeiter des Antragstellers – haben die Verfügungssache vorrangig zu erledigen und können sich grundsätzlich nicht auf eine starke berufliche Beanspruchung berufen (Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl., Rn. 203; Senat, NJW-RR 2019, 1258 Rn. 16 ff. – Dringlichkeitsschädliche Sachbehandlung durch Anwalt; OLG Hamm NJW-RR 1994, 48 – Widerlegung der Dringlichkeit des Verfügungsbegehrens).
14
Bei der Beurteilung der Frage, wann der Antragsteller durch sein Verhalten zum Ausdruck gebracht hat, dass ihm die Sicherung seines vermeintlichen Anspruches doch nicht so dringlich ist und es ihm deshalb zumutbar erscheint, auf das Hauptsacheverfahren verwiesen zu werden, ist maßgeblich auf die Vorhersehbarkeit und damit die Rechtssicherheit Bedacht zu nehmen. Würde nicht auf starre Fristen und klare Regeln abgehoben, bei deren Nichtbeachtung die Dringlichkeit als widerlegt anzusehen ist, mag das zwar ermöglichen, besondere Umstände des Einzelfalls abzubilden, es birgt aber das nicht hinnehmbare Risiko, dass das Ergebnis in den ohnehin mit praktischen Unsicherheiten behafteten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr prognostizierbar ist (vgl. Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Retzer, UWG, 5. Aufl., § 12, Rn. 71 m.w.N.).
15
b) Gemessen an diesen Maßstäben hat sich die Antragstellerin vorliegend dringlichkeitsschädlich verhalten, indem sie mit Schriftsatz vom 09.06.2023 (Bl. 56 d.A.) den Antrag gestellt hat, die an diesem Tag, einem Freitag, ablaufende Frist zur Stellungnahme bis Montag, den 12.06.2023, zu verlängern, weil wegen des Feiertages in Bayern und Nordrhein-Westfalen am vorangegangen Donnerstag eine Freigabe der Antragstellerin zum Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten noch ausgestanden habe.
16
Nach dem oben Gesagten kommt es vorliegend nicht darauf an, ob durch die Fristverlängerung eine Verzögerung des Verfahrens zu befürchten war oder tatsächlich eintrat. Ebenso wenig entlastet es die Antragstellerin, dass das Landgericht in einer vorangegangenen Verfügung vom 28.04.2023 (Bl. 30 d.A.) eine Terminierung auf den 26.06.2023 in Aussicht gestellt hatte. Auf den – streitigen – Inhalt des Telefonats mit der Kammervorsitzenden, das der Antragstellervertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25.07.2024 geschildert hat, kommt es ebenfalls nicht an.
17
Maßgeblich für die Entkräftung der Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG ist das eigene Verhalten des Antragstellers im Hinblick darauf, ob diesem eine Selbstwiderlegung dahingehend zu entnehmen ist, dass er nicht so dringlich auf eine Eilrechtsentscheidung angewiesen ist, dass ihm der Verweis auf das Hauptsacheverfahren nicht zuzumuten wäre. Im Mittelpunkt der Betrachtung hat folglich die Frage zu stehen, welcher Erklärungsgehalt dem prozessualen Verhalten des Antragstellers zu entnehmen ist und ob dieser Erklärungsgehalt im Widerspruch zu der mit dem Beschreiten des einstweiligen Verfügungsverfahrens konkludent abgegebenen Erklärung liegt, auf Eilrechtsschutz angewiesen zu sein.
18
Zum Zeitpunkt, als die Antragstellerin vorliegend den Fristverlängerungsantrag vom 09.06.2023 gestellt hat, hatte sie keine Kenntnis davon, ob der avisierte Termin am 26.06.2023 würde stattfinden können oder wann ein anderer Termin zur Verfügung stehen würde. Folglich handelte es sich um einen herkömmlichen Fristverlängerungsantrag, dem mangels besonderer Umstände der Erklärungsgehalt beizumessen ist, dass es der Antragstellerin mit ihrer Rechtsdurchsetzung nicht so eilig ist, dass sie nicht auch auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden könnte.
19
Auf die Besonderheit, dass der Fristverlängerungsantrag nur einen Tag und ein dazwischen liegendes Wochenende betraf, kommt es nicht an. Selbst wenn sich die Stattgabe des Antrags im Ergebnis ausnahmsweise nicht auf die Verfahrensdauer auswirkt, entfällt nach den oben dargestellten Grundsätzen die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG, weil es dabei um eine Frage der Selbstwiderlegung durch ein Verhalten des Antragstellers, nicht wie beispielsweise bei § 296 ZPO um eine Verzögerung des Verfahrens bzw. dessen Beschleunigung durch die Präklusion verspäteten Vorbringens geht. Überdies steht im hiesigen Verfahren – entgegen der Behauptung des Antragstellervertreters auf Seite 10 des Schriftsatzes vom 15.09.2023 (Bl. 21 d. Berufungsakte), letzter Absatz – gerade nicht fest, dass der Antrag nicht zu einer Verfahrensverzögerung geführt hat, zumal der Termin in erster Instanz jedenfalls nicht wie avisiert am 26.06.2023, sondern erst am 03.07.2023 stattgefunden hat.
20
Es kommt auch nicht darauf an, ob der Grund für den Fristverlängerungsantrag in der Sphäre des Prozessbevollmächtigten oder – wofür der Hinweis auf eine ausstehende Freigabe eines Schriftsatzes spricht – in derjenigen der Antragstellerin selbst lag, da nach dem oben Gesagten auch die Mitarbeiter der Antragstellerin die Verfügungssache vorrangig – gerade im Hinblick auf einen nahenden Feiertag an ihrem Sitz in Nordrhein-Westfalen am 08.06.2023 – zu bearbeiten hatten.
21
Im Hinblick auf die Argumentation des Antragstellervertreters im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25.07.2024 ist anzumerken, dass weder seine Ankündigung, die hiesige Entscheidung zu veröffentlichen, noch diejenige, künftig andere Gerichtsstände in der Bundesrepublik zu wählen, von rechtlicher Relevanz ist.
22
2. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Revisionszulassung unterbleibt wegen § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO.