Titel:
Gesundheitsbezogene Werbeaussagen für ein Haarwuchsmittel
Normenketten:
UKIaG § 2 Abs. 1 S. 1, § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1
HCVO Art. 2 Abs. 2 Nr. 5, Art. 10
UWG § 3, § 3a
Leitsatz:
Bei den Werbeaussagen: „Damit dünner werdendes und kraftloses Haar nicht zur Sorge wird: … unterstützt die Grundversorgung der Haarwurzel und somit das gesunde Haarwachstum von innen heraus“ und/oder „11% mehr Haare in nur 16 Wochen" handelt es sich um gesundheitsbezogene Werbeaussagen iSv Art. 2 II Nr. 5, 10 Health-Claims-Verordnung. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Health-Claims-Verordnung
Fundstellen:
MD 2024, 710
LSK 2024, 18709
GRUR-RS 2024, 18709
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, diese zu vollstrecken an dem Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen für das Produkt „…" mit folgender Produktbezeichnung zu werben bzw. werben zu lassen:
a. „Damit dünner werdendes und kraftloses Haar nicht zur Sorge wird: … unterstützt die Grundversorgung der Haarwurzel und somit das gesunde Haarwachstum von innen heraus“
b. „11% mehr Haare in nur 16 Wochen"
wenn dies geschieht wie nachfolgend abgebildet:
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Aufwendungsersatz in Höhe von € 260,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.04.2023 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert wird auf 25.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Zulässigkeit einer von der Beklagten verwendeten Werbung.
2
Der Kläger ist der bundesweit tätige Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen der Bundesländer und weiterer 27 verbraucher- und sozialorientierter Organisationen in Deutschland. Zu seinen satzungsgemäßen Aufgaben gehören die Wahrnehmung der Verbraucherinteressen und die Förderung des Verbraucherschutzes. Der Kläger ist in die bei dem Bundesamt für Justiz geführte Liste qualifizierter Einrichtungen i.S.d. § 4 UKlaG a.F. eingetragen.
3
Die Beklagte ist ein in Bamberg ansässiges Pharmaunternehmen, das u.a. rezeptfreie Arzneimittel und Körperpflegemittel produziert und vermarktet, unter anderem das Produkt ….
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In einer Anzeige in der Zeitschrift „…“, Ausgabe XX/2022, Seite XX, bewarb die Beklagte dieses Produkt. Betreffend die Einzelheiten der Werbung in Bezug auf Inhalt und Gestaltung wird auf die Wiedergabe der klägerischen Anträge im Urteil (Blatt 5 dieses Urteils) verwiesen.
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Mit Schreiben vom 16.03.2023 und 20.03.2023 mahnte der Kläger die Beklagte ab mit der Begründung, dass Teile des Werbetextes unzulässige gesundheitsbezogene Angaben nach den Vorgaben in der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (im Folgenden: HCVO) und der Lebensmittelinformationsverordnung (EG) Nr. 1169/2011 (im Folgenden: LMIV) enthielten. Die Beklagte wurde unter Fristsetzung bis zum 30.03.2023 aufgefordert, eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abzugeben und innerhalb von 2 Wochen ab Unterzeichnung der Unterlassungserklärung einen Aufwendungsersatz in Höhe von € 260,00 (brutto) an den Kläger zu zahlen.
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Mit Schreiben vom 06.04.2023 lehnte die Beklagte die Unterzeichnung der von Klägerseite vorformulierten Unterlassungserklärung ab und bot ihrerseits an, ohne Präjudiz und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, eine angepasste Unterlassungserklärung abzugeben. Mit Schreiben vom 09.05.2023 bot die Beklagte außerdem an, diese Unterlassungserklärung unter eine Strafbewehrung zu stellen.
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Die Angebote der Beklagten wurden von Klägerseite nicht angenommen. Im Ergebnis konnten sich die Parteien vorgerichtlich nicht auf einen Unterlassungsvertrag einigen. Ebensowenig erfolgte eine Zahlung des von Klägerseite geforderten Aufwendungsersatzes.
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Der Kläger behauptet, dass die Beklagte in ihrer Werbung nicht sämtlichen Vorgaben der HCVO und der LMVI entspreche. Die angegriffene Werbung enthalte Werbeaussagen, welche als gesundheitsbezogene Angaben einzustufen seien, jedoch nicht mit den nach der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 zugelassenen Angaben übereinstimmten. Nachdem die Beklagte keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben habe, sei der Klage stattzugeben. Außerdem habe der Kläger Anspruch auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Auslagen nebst Zinsen.
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Der Kläger beantragt daher:
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, diese zu vollstrecken an dem Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen für das Produkt „…“ mit folgender Produktbezeichnung zu werben bzw. werben zu lassen:
a. „Damit dünner werdendes und kraftloses Haar nicht zur Sorge wird: … unterstützt die Grundversorgung der Haarwurzel und somit das gesunde Haarwachstum von innen heraus“
b. „11% mehr Haare in nur 16 Wochen“
wenn dies geschieht wie nachfolgend abgebildet:
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Aufwendungsersatz in Höhe von € 260,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.04.2023 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt
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Nach Ansicht der Beklagten liegen bereits keine gesundheitsbezogenen Angaben vor. Die Werbeaussagen nähmen lediglich auf die Optik des Haares Bezug und seien mangels Körperfunktionsbezug nicht gesundheitsbezogen. Der für die Bejahung des nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO erforderlichen Zusammenhangs zwischen dem Lebensmittel/der Lebensmittelzutat und der Körperfunktion fehle. Im Ergebnis gingen die getätigten Werbeaussagen nicht über zulässige Beauty Claims hinaus. Auch sei hinreichend deutlich erkennbar, auf welche Inhaltsstoffe des Produkts sich die Werbung beziehe. Krankheitsbezogene Werbeangaben würden ebenfalls nicht vorliegen. Die Angabe, dass in nur 16 Wochen 11% mehr Haare möglich seien, sei nicht irreführend. Insgesamt sei die von Beklagtenseite geschaltete Werbung nicht zu beanstanden. Daher bestehe auch kein Anspruch auf Aufwendungsersatz, wobei hinzukomme, dass die klägerische Abmahnung nicht den Anforderungen an Klarheit und Verständlichkeit entspreche. Im Übrigen sei die Klage aufgrund der teilweisen Unterlassungserklärung vom 06.04.2023 unbegründet, da der Unterlassungsanspruch insofern bereits erloschen sei.
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Betreffend die weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlage sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
14
1. Das Landgericht Bamberg ist gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 UKlaG a.F. zuständig.
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2. Die Klageanträge entsprechen dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
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Inhalt und Umfang der geforderten Unterlassung müssen im Antrag hinreichend konkretisiert und das zu unterlassende Verhalten hinreichend deutlich eingegrenzt werden (Zöller/Greger, ZPO, § 253 Rn 13b). Eine gewisse Auslegungsbedürftigkeit zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ist dabei hinzunehmen (BGH, Urteil vom 30.04.2015 – I ZR 196/13, Rn. 10 juris).
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Nach diesen Grundsätzen sind die Klageanträge hinreichend bestimmt gefasst. Sie lassen erkennen, welches konkrete Verhalten die Beklagte künftig unterlassen soll, nämlich die im Klageantrag zu 1. genannten Werbeaussagen wie in der Zeitschrift „…“ abgebildet. Namentlich sollen die beanstandeten Angaben zu dem Produkt … mit den Formulierungen wie im Klageantrag wiedergegeben und in der im Klageantrag erfolgten Konkretisierung durch Bezugnahme auf eine bestimmte Form der Werbung („wenn dies geschieht wie nachfolgend abgebildet“) jede für sich verboten werden. Ein Verbot der Werbung für das Produkt an sich, wird dagegen nicht gefordert.
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Die Zulässigkeit des Klageantrags zu 2. steht außer Zweifel.
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3. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, da von Beklagtenseite die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung in der von Klägerseite geforderten Form im Ergebnis abgelehnt wurde.
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1. Der Kläger ist gemäß Art. §§ 4 Abs. 1, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKIaG a.F. aktivlegitimiert.
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2. Die von Klägerseite geltend gemachten Ansprüche sind auch begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Werbeäußerungen gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 UKIaG a.F. i.V.m. Art. 10 Abs. 1 HCVO bzw. Art. 7 Abs. 1a) und Abs. 3 LMIV.
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2.1. Art. 7 Abs. 1a) und Abs. 3 LMIV sowie Art. 10 Abs. 1 HCVO sind Verbraucherschutzgesetze i.S.d. § 2 Abs. 1, S. 1 UKIaG a.F. (vgl. BGH, Urteil vom 19.09.2019 – I ZR 81/15).
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2.2. Die Beklagte verstößt mit der streitgegenständlichen Werbung gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO.
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Gemäß Art. 10 Abs. 1 HCVO sind gesundheitsbezogene Angaben verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II und den speziellen Anforderungen im vorliegenden Kapitel entsprechen, gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Artikeln 13 und 14 aufgenommen sind.
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2.2.1. Bei den streitgegenständlichen Angaben handelt es sich um gesundheitsbezogene Angaben i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO.
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„Gesundheitsbezogen“ ist eine Angabe, wenn mit ihr erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Entscheidend ist, wie der normal informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher die Angabe versteht (Erwägungsgrund 16 S. 3 der HCVO; BGH, Urteil vom 24.07.2014 – I ZR 221/12, Rn. 24 juris). Der Begriff Zusammenhang ist dabei weit zu verstehen (EuGH, Urteil vom 06.09.2012 – C-544/10, Rn. 32 juris; BGH, Urteil vom 07.04.2015 – I ZR 81/15, Rn. 19 juris). Der Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“ erfasst daher jeden Zusammenhang, der die Verbesserung eines Gesundheitszustandes dank des Verzehrs eines Lebensmittels impliziert (EuGH, Urteil vom 06.09.2021 – C-544/10, Rn. 35 juris; BGH, Urteil vom 07.04.2015 – I ZR 81/15, Rn. 19 juris). Die Frage, ob eine Aussage auf das gesundheitliche Wohlbefinden abzielt, ist anhand der in Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 der HCVO aufgeführten Fallgruppen zu beurteilen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, Rn. 21 juris).
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Bei der Prüfung der Frage, ob eine Werbeaussage aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers eine Angabe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 der HCVO darstellt und ob der Verbraucher eine solche Angabe als gesundheitsbezogen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 dieser Verordnung ansieht, sind die Gesamtaufmachung und Präsentation des betreffenden Lebensmittels sowie Vorkenntnisse und Erwartungen des Verbrauchers zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 10.12.2015 – I ZR 222/13).
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Beauty Claims beziehen sich demgegenüber auf das bloße optische Erscheinungsbild von Haut oder Haaren, unabhängig von den gesundheitlichen Körperfunktionen i.S. von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO und damit unabhängig von einem Zusammenhang zwischen dem beworbenen Wirkstoff und etwaigen körperlichen Funktionen (BGH, Urteil vom 14.05.2020 – I ZR 142/19; Holle/Hüttebräuker, HCVO, 2018, Art. 2 Rn. 137).
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Unter Beachtung dieser Definitionen sind die streitgegenständlichen Angaben in der Werbung der Beklagten als gesundheitsbezogene Angaben einzuordnen, da ein Zusammenhang zwischen dem Lebensmittel einerseits und gesundheitlichem Zustand andererseits erklärt wird. So heißt es insbesondere:
- „Damit dünner werdendes und kraftloses Haar nicht zur Sorge wird: … unterstützt die Grundversorgung der Haarwurzel und somit das gesunde Haarwachstum von innen heraus.“
- „11% mehr Haare in nur 16 Wochen“
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Bei diesen Aussagen handelt es sich nicht bloß um rein kosmetische Wirkaussagen ohne spezifischen Einfluss auf die Körperfunktionen. Für einen Gesundheitsbezug der streitgegenständlichen Werbeaussagen spricht bereits der Umstand, dass Aussagen zur Bedeutung einzelner Substanzen für den Zustand der Haare in die von der EU festgelegte Liste der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben aufgenommen wurden, die sich im Anhang der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 befindet (BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, Rn. 21 juris). Im Übrigen sind die Aussagen allesamt so zu verstehen sind, dass bei Einnahme des von der Beklagten beworbenen Produkts die Struktur der Haare durch Einwirkung auf deren Wurzeln und deren Wachstum insgesamt verbessert wird. Insofern wird durch die Werbung ein kausaler Zusammenhang zwischen der Einnahme des Produkts und dem daraus folgenden gesunden Haarwachstum aufgrund der Unterstützung der Grundversorgung der Haarwurzeln durch den menschlichen Körper behauptet. Der damit insgesamt beworbene Einfluss auf das Haarwachstum betrifft somit die Förderung einer Körperfunktion i.S.d. Art. 13 Abs. 1 lit. a HCVO. Hierunter sind alle physiologisch erfassbaren Prozesse des menschlichen Körpers zu verstehen, auf die positiv eingewirkt werden kann (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 02.07.2019 – 4 U 142/18; OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.03.2019 – 6 U 90/17; OLG Bamberg, Beschluss vom 20.10.2017 – 3 U 117/17), mithin auch das Haarwachstum durch gezielte Einwirkung auf die Grundstruktur der Haarwurzeln als eines Teils des menschlichen Körpers.
31
Der Ansatz der Beklagten, insofern ausschließlich auf die fehlende organische Funktion der Haare abzustellen, überzeugt vor diesem Hintergrund nicht. Stellt man auf den Gesamtzusammenhang der Werbeaussagen ab, erwartet der durchschnittliche Endverbraucher, dass die Wirkstoffe von … auf seinen Stoffwechsel einwirken, wodurch sich die Grundstruktur seiner Haarwurzeln verbessert und es dadurch im Ergebnis zu einer Steigerung des Haarwuchses und damit der Haarmenge und -fülle kommt. Dies suggerieren schon die Worte „von innen heraus“ (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 04.11.2021 – 2 U 49/2). Die Herstellung dieses konkreten Zusammenhangs zwischen dem beworbenen Produkt und der Steigerung des Haarwachstums geht damit weit über einen bloßen Verweis auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile für die Gesundheit im Allgemeinen hinaus (Art. 10 Abs. 3 HCVO).
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Ob dünner werdendes oder kraftloses Haar eine Folge von gesundheitlichen Schäden am Haar oder der Haarwurzel oder aber eine altersbedingte oder hormonelle Erscheinung ist, kann dahinstehen. Denn auch die angegriffene Werbung unterscheidet insofern nicht. Vielmehr wird ein grundsätzlicher Wirkungsprozess beworben, nämlich die Stärkung und Förderung von gesundem Haarwuchs durch die Einnahme der beworbenen Kapseln.
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2.2.2. Die streitgegenständlichen Werbeaussagen sind nach Art. 10 Abs. 1 HCVO verboten, weil die darin enthaltenen Angaben inhaltlich nicht mit den nach der Anlage zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 zugelassenen Angaben übereinstimmen.
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Für die auf der Verpackung von … genannten Inhaltsstoffe sind in dieser Liste der zugelassenen Angaben folgende gesundheitsbezogene Angaben in Bezug auf Haare entweder ausdrücklich zugelassen oder lässt sich zumindest ein gewisser Zusammenhang dazu herstellen:
Biotin:
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„Trägt zur Erhaltung normaler Haare bei“
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Zink:
|
„Trägt zur Erhaltung normaler Haare bei“
|
Selen:
|
„Trägt zur Erhaltung normaler Haare bei“
|
Kupfer:
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„Trägt zu einer normalen Haarpigmentierung bei“ und „trägt zu einem normalen Energiestoffwechsel bei“
|
Eisen:
|
„Hat eine Funktion bei der Zellteilung“
|
Pantothensäure:
|
„Trägt zu einem normalen Energiestoffwechsel bei, trägt zu einer normalen Synthese bei“
|
35
Die Stoffe L-Lystein und Hirseextrakt sind in der Verordnung überhaupt nicht genannt.
36
Insofern sind die von der Beklagten verwendeten Werbeaussagen – sofern die Stoffe überhaupt gelistet sind – nicht wortgleich. Sie sind aber auch nicht inhaltsgleich mit den Angaben in der Liste. Inhaltsgleichheit würde genügen (vgl. BGH, Urteil vom 10.12.2015 – I ZR 222/12; Erwägungsgrund 9 Satz 3 der VO (EU) Nr. 432/2012). Danach soll in den Fällen, in denen der Wortlaut einer Angabe aus Verbrauchersicht gleichbedeutend mit demjenigen einer zugelassenen gesundheitsbezogenen Angabe ist, weil damit auf den gleichen Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem Lebensmittelbestandteil und einer bestimmten Wirkung auf die Gesundheit hingewiesen wird, diese Angabe auch den Verwendungsbedingungen für die zugelassene gesundheitsbezogene Angabe unterliegen. Bei der Prüfung, ob eine verwendete gesundheitsbezogene Angabe mit einer zugelassenen gesundheitsbezogenen Angabe gleichbedeutend ist, ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. auch: BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, Rn. 30 juris).
37
Diesen Anforderungen wird die streitgegenständliche Werbung nicht gerecht. Lediglich bei den Stoffen Biotin, Zink und Selen findet sich überhaupt ein ausdrücklicher Bezug zur Entwicklung des Haarwachstums, nämlich der Vermerk „Trägt zur Erhaltung normaler Haare bei“. Insofern gehen die in der angegriffenen Werbung behaupteten Wirkungen jedoch darüber hinaus. In der Liste ist nämlich nicht davon die Rede, dass die Stoffe Einfluss auf die Grundversorgung der Haarwurzeln hätten und das gesunde Haarwachstum von innen heraus fördern würden. Insbesondere erlauben die Angaben in der Liste gerade keine Angabe einer bestimmten Wirkweise. Erst recht fehlt es an einer Grundlage für die Angabe einer konkreten Wachstumsrate von 11% binnen 16 Wochen. Bei den übrigen Stoffen – sofern sie überhaupt gelistet sind – fehlt es bereits an jeglichem Hinweis einer konkreten Einwirkung auf das Haarwachstum.
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Im Übrigen lassen die beanstandeten Werbeaussagen nicht erkennen, auf welchen der in der Liste der zugelassenen Angaben aufgeführten Stoffe sich die behaupteten Wirkungen konkret beziehen, zumal sich auch Stoffe, denen eine entsprechende Wirkung auf Haare laut Liste nicht zugeschrieben werden darf, unter den angegebenen Inhaltsstoffen befinden (BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, Rn. 36 f. juris).
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2.2.3. An eine hiervon abweichende Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (kurz: EFSA) ist das Gericht nicht gebunden (OLG Hamm, Urteil vom 02.07.2019 – 4 U 142/18; OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.03.2019 – 6 U 90/17). Unabhängig davon stehen die von Beklagtenseite angeführten Erwägungen der EFSA der Einstufung der Werbung der Beklagten als unzulässige gesundheitsbezogene Angaben nicht entgegen. Denn der optische Effekt von voluminöserem Haar wird als Folge einer Steigerung von körperlichen Funktionen durch Einwirkung auf die Grundversorgung der Haarwurzel beschrieben (OLG Stuttgart, Urteil vom 04.11.2021 – 2 U 49/21, Rn. 51 juris). Die streitgegenständliche Werbung stellt einen solchen Zusammenhang nämlich gerade her durch die Behauptung, das beworbene Produkt wirke „von innen heraus“.
40
2.3. Die Beklagte verstößt mit der streitgegenständlichen Werbung zugleich gegen Art. 7 Abs. 1a und Abs. 3 LMIV.
41
Demnach dürfen Informationen über ein Lebensmittel nicht irreführend sein und diesem keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen.
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Gerade dies ist jedoch der Fall. Der durchschnittliche Verbraucher versteht die streitgegenständliche Werbung dahingehend, dass allein durch die Einnahme der beworbenen Kapseln sein Haarwachstum und sein Haarvolumen in kürzester Zeit erheblich zunehmen werden, nämlich 11% in nur 16 Wochen. Dies wird bekräftigt durch den Hinweis, dass es sich um nachgewiesene Vorteile eines kürzlich entwickelten Nahrungsergänzungsmittels für Haarwachstum und Nagelqualität bei Frauen handle. Hierdurch wird der Eindruck der Zulässigkeit der streitgegenständlichen Aussagen nach wissenschaftlichen Standards vermittelt. Tatsächlich ist eine entsprechende Zunahme des Haarvolumens jedoch nicht gewährleistet.
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2.4. Der Anspruch des Klägers auf gerichtliche Geltendmachung seines Unterlassungsanspruch ist auch nicht entfallen, weil die Beklagte vorgerichtlich mit anwaltlichem Schreiben vom 06.04.2023 eine eingeschränkte Unterlassungserklärung angeboten hat. Die Beklagte hat die mit Abmahnschreiben vom 16.03.2023 übermittelte Unterlassungserklärung erheblich modifiziert, so dass es der Beklagten auch weiterhin möglich wäre, die unter Berücksichtigung obiger Ausführungen unzulässigen Werbeaussagen zu tätigen.
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2.5. Die Wiederholungsgefahr wird durch den Verstoß indiziert. In diesem Fall entfällt eine Wiederholungsgefahr grundsätzlich nur dann, wenn der Schuldner eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgibt, ein rechtskräftiger Unterlassungstitel in der Hauptsache ergangen ist oder nach Erlass eines Verbotstitels im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Abschlusserklärung erfolgt, da nur dann die Gefahr für eine Wiederaufnahme ähnlicher Tätigkeiten beseitigt ist (BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 – 1 ZR 226/13). Im Übrigen zeigt auch die Verteidigung der Beklagtenseite, dass sie an ihrer Rechtsauffassung festhält und damit eine Wiederholungsgefahr gegeben ist.
45
3. Neben dem Unterlassungsanspruch steht dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung der erforderlichen Aufwendungen gemäß § 5 UKIaG a.F. i.V.m. § 13 Abs. 3 UWG in Höhe von € 260,00 (brutto) zu. Der Betrag ist gemäß §§ 286, 288 BGB ab dem 14.04.2023 zu verzinsen.
46
Nach den Vorgaben des BGH reicht es aus, wenn in der Abmahnung der Sachverhalt, der den Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens begründen soll, genau angegeben und der darin erblickte Verstoß so klar und eindeutig bezeichnet wird, dass der Abgemahnte die gebotenen Folgerungen ziehen kann (BGH, Urteil vom 28.07.2022 – I ZR 205/20, Rn. 41 juris). Dafür muss der Abgemahnte nachvollziehen können, welchen konkreten Sachverhalt die abmahnende Person als Verletzungshandlung begreift und auf welche Normen sich das Unterlassungsbegehren stützt. (BeckOK UWG/Scholz, 21. Ed. 1.7.2023, UWG § 13 Rn. 70).
47
Das Abmahnschreiben des Klägers vom 16.03.2023 war gemäß § 13 Abs. 3 UWG berechtigt und entsprach – ebenso wie die Klageanträge – dem Gebot der Klarheit und Verständlichkeit von Abmahnungen nach § 13 Abs. 2 UWG. In dem streitgegenständlichen Abmahnschreiben wird die monierte Werbeanzeige abgedruckt und dargelegt, mit welchen Aussagen in der Anzeige kein Einverständnis besteht.
III. Kosten, Vollstreckbarkeit, Streitwert
48
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1 ZPO.
49
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 3 ZPO, § 51 GKG, ausgehend vom angegebenen Streitwert der Klagepartei (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 12 Rn 4.3a ff.). Anhaltspunkte dafür, dass dieses Interesse auf Beklagtenseite geringer zu bewerten ist, liegen nicht vor.