Titel:
F. – Scraping – immaterieller Schaden – Datenschutzgrundverordnung – Darlegungslast – Beweislast – innere Tatsache – Indizien – Beweiswürdigung
Kein Schadensersatzanspruch im Scraping-Fall
Normenketten:
DSGVO Art. 82 Abs. 1
ZPO § 286 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein Anspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO auf Ersatz des immateriellen Schadens setzt tatbestandlich das Vorliegen eines Verstoßes gegen Vorschriften der DSGVO, einen immateriellen Schaden, einen Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß und dem Schaden sowie Verschulden des Verantwortlichen voraus (Anschluss an EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21, NJW 2023, 1930; Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-340/21, NJW 2024, 1091; Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166; Urteil vom 21. Dezember 2023 – C-667/21, EuZW 2024, 270; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278; Urteil vom 11. April 2024 – C-741/21, NZA 2024, 607).
2. Die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Anspruchsvoraussetzungen mit Ausnahme des Verschuldens des Verantwortlichen, das vermutet wird, trifft den Anspruchsteller. Er muss den Verstoß gegen Bestimmungen der DSGVO, das Entstehen eines immateriellen Schadens und die Ursächlichkeit des Verstoßes für den entstandenen Schaden nachweisen (Anschluss an EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166 Rn. 22 und 23; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 66; Urteil vom 11. April 2024 – C-741/21, NZA 2024, 607 Rn. 35 und 36).
3. Ob eine betroffene Person einen „immateriellen Schaden“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO erlitten hat, kann nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls festgestellt werden. Dies setzt konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Sachvortrag der Klagepartei dazu voraus, dass und aufgrund welcher Umstände sie einen immateriellen Schaden erlitten hat.
4. Die Ausgestaltung des Klageverfahrens richtet sich in Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften nach der Zivilprozessordnung, wobei die unions-rechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität zu beachten sind. Soweit es sich bei dem behaupteten immateriellen Schaden um innere Tatsachen handelt, können diese daher nur aus äußeren Tatsachen gefolgert werden und sind regelmäßig nur durch Indizien dem Beweis zugänglich. Die Beweislast für auf innere Tatsachen bezogene Voraussetzungen einer Rechtsfolge wird nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen der Partei auferlegt, die da-raus eine ihr günstige Rechtsfolge herleitet. Der Tatrichter ist grundsätzlich darin frei (§ 286 Abs. 1 ZPO), welche Beweiskraft er den Indizien im Einzelnen und in einer Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst, solange er alle Umstände vollständig berücksichtigt und bei der Würdigung nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstößt.
Schlagworte:
F., Scraping, immaterieller Schaden, Datenschutzgrundverordnung, Darlegungslast, Beweislast, innere Tatsache, Indizien, Beweiswürdigung, Datenschutzverstoß
Vorinstanz:
LG Hof, Urteil vom 02.10.2023 – 33 O 99/22
Fundstellen:
CR 2024, 723
FDRVG 2024, 017679
ZD 2025, 107
GRUR-RS 2024, 17679
LSK 2024, 17679
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hof vom 02.10.2023, Aktenzeichen 33 O 99/22, abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen hat die Klägerin zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
(abgekürzt – ohne Tatbestand – nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO)
1
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in vollem Umfang Erfolg und führt unter Abänderung des angegriffenen Ersturteils zur vollständigen Klageabweisung.
2
1. Das Landgericht hat der Klägerin zu Unrecht einen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO zugebilligt (Klageantrag zu 1). Es hat insoweit in mehrfacher Hinsicht die Rechtslage und die Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) verkannt. Richtigerweise ist bereits kein „immaterieller Schaden“, den die Klägerin erlitten hätte, feststellbar. Daher kann der Senat dahinstehen lassen, ob die Beklagte schuldhaft gegen Vorschriften der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der RL 95/46/EG (im Folgenden: DSGVO) verstoßen hat.
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a) Der Senat folgt hinsichtlich der Auslegung von Art. 82 DSGVO der Rechtsprechung des EuGH, denn die DSGVO verweist für den Sinn und die Tragweite der in Art. 82 DSGVO enthaltenen Begriffe, insbesondere in Bezug auf die Begriffe „materieller oder immaterieller Schaden“ und „Schadenersatz“, nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten. Daraus folgt, dass diese Begriffe für die Anwendung der DSGVO als autonome Begriffe des Unionsrechts anzusehen sind, die in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen sind (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21, NJW 2023, 1930 Rn. 30; Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166 Rn. 15; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 64).
4
b) Unterstellt es wäre – wie nicht – ein von der Klägerin erlittener „immaterieller Schaden“ im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO feststellbar, hätte das Landgericht diesen jedenfalls der Höhe nach rechtsfehlerhaft bemessen, sodass das angegriffene Ersturteil schon aus diesem Grund keinen Bestand haben könnte. Um den Betrag der als Ausgleich geschuldeten finanziellen Entschädigung festzulegen, ist allein der von der betroffenen Person konkret erlittene Schaden zu berücksichtigen (EuGH, Urteil vom 11. April 2024 – C-741/21, NZA 2024, 607 Rn. 64). Art. 82 DSGVO hat entgegen der Ansicht des Landgerichts keine abschreckende Funktion oder gar Straffunktion, sondern nur eine Ausgleichsfunktion (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2023 – C-667/21, EuZW 2024, 270 Rn. 85; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 47). Die Vorschrift soll lediglich ermöglichen, den konkret aufgrund des Verstoßes gegen die DSGVO erlittenen Schaden vollständig auszugleichen (EuGH, Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 50). Auch der Umstand, dass der Verantwortliche mehrere Verstöße gegenüber derselben betroffenen Person begangen hat, ist – anders als das Landgericht meint – kein relevantes Kriterium für die Bemessung des zu gewährenden Schadenersatzes (EuGH, Urteil vom 11. April 2024 – C-741/21, NZA 2024, 607 Rn. 64).
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c) Allerdings ist bereits die Annahme des Landgerichts, die Klägerin habe einen von ihr erlittenen „immateriellen Schaden“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO nachgewiesen, unrichtig.
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aa) Der Senat legt seiner Entscheidung dabei die nachfolgenden rechtlichen Maßstäbe zugrunde.
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(1) Schon aus dem Wortlaut von Art. 82 DSGVO geht klar hervor, dass das Vorliegen eines „Schadens“ nur eine von drei kumulativen Voraussetzungen für den in dieser Bestimmung vorgesehenen Schadenersatzanspruch darstellt, ebenso wie das Vorliegen eines Verstoßes gegen die DSGVO und eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Schaden und dem Verstoß. Daher eröffnet nicht bereits jeder „Verstoß“ gegen die Bestimmungen der DSGVO für sich genommen den Schadenersatzanspruch der betroffenen Person (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21, NJW 2023, 1930 Rn. 32 ff.; Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-340/21, NJW 2024, 1091 Rn. 77; Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166 Rn. 14; Urteil vom 21. Dezember 2023 – C-667/21, EuZW 2024, 270 Rn. 82; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 58; Urteil vom 11. April 2024 – C-741/21, NZA 2024, 607 Rn. 34). Selbst wenn die verletzte Bestimmung der DSGVO natürlichen Personen Rechte gewähren sollte, kann ein solcher Verstoß für sich genommen keinen „immateriellen Schaden“ im Sinne dieser Verordnung darstellen (EuGH, Urteil vom 11. April 2024 – C-741/21, NZA 2024, 607 Rn. 37). Die Haftung des Verantwortlichen hängt weiter vom Vorliegen eines ihm anzulastenden Verschuldens ab, das vermutet wird, wenn er nicht nachweist, dass die Handlung, die den Schaden verursacht hat, ihm nicht zurechenbar ist (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2023 – C-667/21, EuZW 2024, 270 Rn. 103; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 52; Urteil vom 11. April 2024 – C-741/21, NZA 2024, 607 Rn. 47).
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(2) Der Begriff „immaterieller Schaden“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO ist weit zu verstehen (EuGH, Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 65). Für die Annahme eines Schadens ist deshalb nicht erforderlich, dass dieser eine wie auch immer geartete Erheblichkeitsschwelle, einen bestimmten Grad an Erheblichkeit oder einen gewissen Schweregrad erreicht (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21, NJW 2023, 1930 Rn. 51; Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-340/21, NJW 2024, 1091 Rn. 78; Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166 Rn. 16; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 59; Urteil vom 11. April 2024 – C-741/21, NZA 2024, 607 Rn. 36). Die Haftung nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO darf daher nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Nachteil spürbar oder die Beeinträchtigung objektiv sein muss (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166 Rn. 17).
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(3) Allerdings bedeutet der Verzicht auf eine Erheblichkeitsschwelle nicht, dass eine Person, die von einem Verstoß gegen die DSGVO betroffen ist, der für sie negative Folgen gehabt hat, vom Nachweis befreit wäre, dass diese Folgen einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 DSGVO darstellen (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21, NJW 2023, 1930 Rn. 50; Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-340/21, NJW 2024, 1091 Rn. 84; Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166 Rn. 21; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 60), denn der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen dieser Verordnung reicht nicht aus, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166 Rn. 21; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 60). Die Person, die auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO den Ersatz eines immateriellen Schadens verlangt, muss deshalb nicht nur den Verstoß gegen Bestimmungen dieser Verordnung nachweisen (EuGH, Urteil vom 11. April 2024 – C-741/21, NZA 2024, 607 Rn. 35), sondern auch, dass ihr durch diesen Verstoß tatsächlich ein materieller oder „immaterieller Schaden“ entstanden ist, so geringfügig er auch sein mag (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166 Rn. 22; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 66; Urteil vom 11. April 2024 – C-741/21, NZA 2024, 607 Rn. 36). Es bedarf „eindeutiger und präziser Beweise“ dafür, dass die betroffene Person einen solchen Schaden erlitten hat (Schlussanträge des Generalanwalts … vom 26. Oktober 2023 in den verbundenen Rechtssachen C-182/22 und C-189/22, juris Rn. 24). Die betroffene Person muss schließlich den Nachweis erbringen, dass die Folgen des Verstoßes ursächlich für den ihr entstandenen Schaden waren (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166 Rn. 23).
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(4) Da die DSGVO keine Bestimmung enthält, die sich den Regeln für die Bemessung des Schadenersatzanspruchs nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO widmet, sind die Ausgestaltung von Klageverfahren und insbesondere die Festlegung der Kriterien für die Ermittlung des Umfangs des in diesem Rahmen geschuldeten Schadenersatzes in Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften Aufgabe des Rechts des einzelnen Mitgliedstaats (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21, NJW 2023, 1930 Rn. 54; Urteil vom 21. Dezember 2023 – C-667/21, EuZW 2024, 270 Rn. 83). Folglich sind bei der Feststellung und Festsetzung der Höhe des Schadenersatzes die innerstaatlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten anzuwenden, sofern dabei die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachtet werden (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21, NJW 2023, 1930 Rn. 58; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 53; Urteil vom 11. April 2024 – C-741/21, NZA 2024, 607 Rn. 58), die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte also nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21, NJW 2023, 1930 Rn. 56).
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Soweit es sich bei dem behaupteten „immateriellen Schaden“ um innere Tatsachen handelt, können diese nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen nur aus äußeren Tatsachen gefolgert werden (BGH, Beschluss vom 28. März 2006 – VIII ZB 100/04, NJW 2006, 1808 Rn. 16; Urteil vom 12. Januar 2012 – I ZR 214/10, NJW-RR 2012, 364 Rn. 27; Beschluss vom 21. Februar 2013 – V ZB 15/12, MDR 2013, 701 Rn. 17; Urteil vom 8. Januar 2015 – IX ZR 198/13, NJW-RR 2015, 567 Rn. 9), sind also regelmäßig nur durch Indizien dem Beweis zugänglich (BGH, Urteil vom 17. Juni 1994 – V ZR 204/92, NJW 1994, 2947 Rn. 35). Die Beweislast für auf innere Tatsachen bezogene Voraussetzungen einer Rechtsfolge wird nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen der Partei auferlegt, die daraus eine ihr günstige Rechtsfolge herleitet (BGH, Urteil vom 18. Mai 2005 – VIII ZR 368/03, NJW 2005, 2395 Rn. 21 m.w.N.). Der Tatrichter ist grundsätzlich darin frei (§ 286 ZPO), welche Beweiskraft er den Indizien im Einzelnen und in einer Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst, solange er alle Umstände vollständig berücksichtigt und bei der Würdigung nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 5. Februar 1974 – VI ZR 52/72, NJW 1974, 948 Rn. 15; Urteil vom 17. Juni 1994 – V ZR 204/92, NJW 1994, 2947 Rn. 35).
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bb) Dies zugrunde gelegt hat die Klägerin einen von ihr erlittenen „immateriellen Schaden“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO nicht nachgewiesen.
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(1) Nach Auffassung des Senats kann die Frage, ob eine betroffene Person einen „immateriellen Schaden“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO erlitten hat, nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls festgestellt werden. Dies wiederum setzt konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Sachvortrag dazu voraus, dass und aufgrund welcher Umstände die Klagepartei einen „immateriellen Schaden“ erlitten hat.
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Diesen Voraussetzungen wird das schriftsätzliche Vorbringen der Klägerin nicht gerecht. Dieses besteht gerichtsbekannt aus Textbausteinen, welche die Prozessbevollmächtigten der Klägerin in einer Vielzahl von anhängigen Verfahren in identischer Form verwendet haben, und das sich in pauschalen, nicht auf die konkrete Person der Klägerin bezogenen Behauptungen erschöpft (OLG Köln, Urteil vom 7. Dezember 2023 – I-15 U 108/23, juris Rn. 47; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. November 2023 – 4 U 20/23, juris Rn. 316). Der Senat vermag seiner Entscheidung daher nur den Vortrag der Klägerin in ihrer informatorischen Anhörung vor dem Landgericht, den diese zur Konkretisierung des unzureichenden schriftsätzlichen Vorbringens gehalten hat, sowie die Angaben des nach § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO bevollmächtigten Klägervertreters im Senatstermin zugrunde zu legen.
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(2) Danach steht noch nicht einmal fest, dass die von der Klägerin vor dem Landgericht dargestellten negativen Gefühle bei ihr fortbestehen. Die Klägerin, deren persönliches Erscheinen der Senat zur Wahrung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur weiteren Sachverhaltsaufklärung angeordnet hat, ist zum Senatstermin unentschuldigt nicht erschienen. Sie hat sich trotz mehrfachen Hinweises des Senats auf die Bedeutung ihres Erscheinens damit begnügt, ihren Prozessbevollmächtigten eine Vollmacht nach § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO zu erteilen. Allerdings konnte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Fragen des Senats überwiegend gar nicht oder nur unter Hinweis auf seine „Erfahrungen“ aus Parallelverfahren beantworten. Insbesondere zu der Frage, ob die von der Klägerin beschriebenen negativen Gefühle fortbestehen, konnte der Prozessbevollmächtigte nur spekulieren, dass, wenn dem nicht so wäre, die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hätte. Aktuelle Informationen von der Klägerin hatte er hierzu allerdings nicht erhalten und diese Frage auch mit der Klägerin nicht persönlich erörtert. Daher ist nach der Überzeugung des Senats noch nicht einmal nachgewiesen, dass im Zeitpunkt des Senatstermins die negativen Gefühle der Klägerin fortbestehen, sodass schon aus diesem Grund kein „immaterieller Schaden“ festzustellen ist.
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(3) Allerdings würden, anders als das Landgericht meint, auch die in erster Instanz von der Klägerin gemachten Angaben nicht die Annahme eines „immateriellen Schadens“ rechtfertigen. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung zunächst angegeben, sie habe ab Ende 2019 „komische SMS’en“ und „Phishing-SMS“ erhalten, was sich durch 2020 durchgezogen habe. Zudem habe sie „Werbeanrufe“ erhalten (Bl. 399). Dies habe sich, wie der Klägervertreter im Senatstermin unter Bezugnahme auf die Anlage K 4 klargestellt hat, vereinzelt auch noch in den Jahren 2022 und 2023 ereignet. Weiter hat die Klägerin dargelegt, aus diesen „merkwürdigen SMS’en und Anrufen“ haben sie ihre „Betroffenheit mitbekommen“ (Bl. 400). Weiteres wurde in diesem Zusammenhang nicht geschildert.
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Nach der Rechtsprechung des EuGH reicht allerdings der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen dieser Verordnung nicht aus, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166 Rn. 21; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 60), ebenso genügt nicht, dass dieser Verstoß „negative Folgen“ für die betroffene Person gehabt hat (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21, NJW 2023, 1930 Rn. 50; Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-340/21, NJW 2024, 1091 Rn. 84; Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166 Rn. 21; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 60). Die betroffene Person muss vielmehr darüber hinaus auch nachweisen, dass diese „negativen Folgen“ einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 DSGVO darstellen (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21, NJW 2023, 1930 Rn. 50; Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-340/21, NJW 2024, 1091 Rn. 84; Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166 Rn. 21; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 60). Im Rahmen ihrer Anhörung hat die Klägerin jedoch lediglich geschildert, sie habe aufgrund der unerwünschten Kontaktaufnahme auf ihre „Betroffenheit“ geschlossen. Damit und mit diesen ungewollten SMS und Anrufen hat sie die für sie entstandenen „negativen Folgen“ des – unterstellten – Verstoßes der Beklagten gegen die Vorschriften der DSGVO nachgewiesen. Sie hat jedoch weder dargelegt noch nachgewiesen, dass sie durch diese „negative Folge“ des – unterstellten – Verstoßes einen weitergehenden „Schaden“ erlitten hätte. Somit hat die Klägerin nur die Folgen des DSGVO-Verstoßes, nicht aber die weitere Tatbestandsvoraussetzung eines erlittenen Schadens dargelegt.
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Deshalb ist es auch unerheblich, dass nach der Darstellung der Klägerin einzelne Anrufe dem gescrapten Datensatz zugeordnet werden können (vgl. Bl. 399).
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(4) Die Klägerin hat weiter angegeben, sie sei „bedrückt, dass die Daten jetzt im Darknet verfügbar“ seien. Die „Tatsache des Vorhandenseins der Daten im Darknet“ beunruhige sie (Bl. 399), denn Sicherheit sei ihr „wichtig“ (Bl. 400). Daher hinterlasse das „Ganze ein sehr bitteres Gefühl“ bei ihr (Bl. 400). Der Senat versteht diese Einlassung der Klägerin so, dass diese damit sinngemäß den Verlust der Kontrolle über ihre Daten beklagte. Unbeschadet davon, dass – wie dargelegt – bereits nicht nachgewiesen ist, dass diese Sorge überhaupt fortbesteht, wäre sie im zur Entscheidung gestellten Fall nicht geeignet, einen „immateriellen Schaden“ zu begründen.
20
Auch wenn der Senat im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH den bloßen „Verlust der Kontrolle“ über die eigenen Daten infolge eines Verstoßes gegen die DSGVO (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-340/21, NJW 2024, 1091 Rn. 83; Urteil vom 11. April 2024 – C-741/21, NZA 2024, 607 Rn. 42) als möglichen „immateriellen Schaden“ grundsätzlich genügen lässt, ist gleichwohl aufgrund der tatsächlichen Besonderheiten des Streitfalls ein „immaterieller Schaden“ nicht dargetan.
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Vom „Scraping“ betroffen sind die Handynummer der Klägerin, ihre F.ID, ihr Geschlecht und das von ihr verwendete Pseudonym „…“. Die Feststellung des Landgerichts, es sei der „Name“ der Klägerin betroffen, erweist sich insoweit auf Grundlage des unstreitigen Parteivorbringens als unzutreffend.
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Das Pseudonym und das Geschlecht der Klägerin waren mit Anmeldung der Klägerin im sozialen Netzwerk der Beklagten im Jahr 2008 „stets öffentlich“, wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat (Bl. 398). Damit hat die Klägerin die Kontrolle über diese Daten bereits seit langer Zeit freiwillig aus der Hand gegeben.
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Zudem ist die Klägerin nach eigenen Angaben als selbständige Yogalehrerin tätig, wobei sie ihre Handynummer auch zur Kontaktaufnahme mit Kunden, also gewerblich, nutzt (vgl. Bl. 399). Die Klägerin hat weiter ihre selbständige Tätigkeit bewusst und gezielt ins Internet verlagert, sodass sie „viele Daten aufgrund ihrer selbständigen Tätigkeit im Internet“ habe (vgl. Bl. 399). Tatsächlich hat die Klägerin – wie der Klägervertreter im Senatstermin ausdrücklich bestätigt hat – im Rahmen ihrer selbständigen Tätigkeit ihren bürgerlichen Namen, ihre E-Mailadresse und ihre Handynummer freiwillig im Internet, unter anderem auf einer von ihr unter ihrem Namen betriebenen Internetseite veröffentlicht (vgl. Bl. 400).
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Auch nutzt die Klägerin zahlreiche weitere soziale Netzwerke und Internetdienste wie X, I.und P., bei denen sie ebenfalls ihre Handynummer angegeben hat (Bl. 400). Nachfragen des Senats in diesem Zusammenhang konnte der Klägervertreter in Ermangelung konkreter Information durch die Klägerin überwiegend nicht beantworten.
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Soweit die Klägerin insbesondere befürchtet, Opfer von sog. „Deepfakes“ zu werden, ist dies entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht ausreichend, um einen „immateriellen Schaden“ zu begründet. Die Klägerin sorgt sich vor allem, man könne ihr Gesicht und ihre Stimme nachbilden. Diese Daten sind jedoch bereits nicht „gescrapt“, sondern von der Klägerin selbst veröffentlicht worden. Die Klägerin postet – auch bei F. – bewusst Fotos und Beiträge öffentlich, um „Reichweite“ zu erreichen (Bl. 399). Zudem bewirbt sie, wie der Klägervertreter im Senatstermin ausdrücklich bestätigt hat, im Internet ihre selbständige Tätigkeit, indem sie Videos von sich herstellen lässt und veröffentlicht. Schließlich ist zu bedenken, dass die Klägerin bei „F.“ nur unter einem Pseudonym registriert ist und nur dieses „gescrapt“ wurde. Die Handynummer der Klägerin kann also – jedenfalls aufgrund der „gescrapten“ Daten – nur mit dem Pseudonym, nicht aber mit dem bürgerlichen Namen der Klägerin verknüpft werden.
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(5) Aus denselben Erwägungen wäre jedenfalls der der Klägerin obliegende (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-456/22, EuZW 2024, 166 Rn. 23) Nachweis, dass die Folgen des Verstoßes ursächlich für den „Kontrollverlust“ waren, nicht erbracht. Tatsächlich hat die Klägerin insbesondere durch die freiwillige Veröffentlichung ihrer Mobilfunknummer im Internet selbst die Ursache für den Verlust der Kontrolle über dieses Datum gesetzt. Nachfragen des Senats dazu, wann die Klägerin ihre Mobilfunknummer erstmals freiwillig im Internet veröffentlicht hat, konnte der Klägerverteter nicht beantworten.
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2. Die mit dem Klageantrag zu 2 verfolgte Feststellungsklage ist entgegen der Ansicht des Landgerichts bereits unzulässig, weil es insoweit am notwendigen Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO fehlt (OLG Hamm, Urteil vom 15. August 2023 – I-7 U 19/23, GRUR 2023, 1791 Rn. 207 ff.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 4. Dezember 2023 – 13 U 43/23, juris Rn. 17; OLG Dresden, Urteil vom 5. Dezember 2023 – 4 U 1094/23, MDR 2024, 168 Rn. 51; OLG Köln, Urteil vom 7. Dezember 2023 – I-15 U 108/23, juris Rn. 59 ff.).
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a) Bei der Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB reicht für die Annahme des Feststellungsinteresses nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Möglichkeit weiterer materieller oder immaterieller Schäden aus. Dies gilt auch bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als einem absolut geschützten Rechtsgut. Der Senat legt diesen Maßstab unter dem Gesichtspunkt von Äquivalenz und Effektivität (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21, NJW 2023, 1930 Rn. 58; Urteil vom 25. Januar 2024 – C-687/21, EuZW 2024, 278 Rn. 53; Urteil vom 11. April 2024 – C-741/21, NZA 2024, 607 Rn. 58) auch dem Fall der behaupteten Verletzung des Art. 82 DSGVO als den für die Klägerin günstigsten, also mit den geringsten Voraussetzungen einhergehenden Maßstab, zugrunde. Ein Feststellungsinteresse ist daher nur zu verneinen, wenn aus Sicht der betroffenen Person bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines (weiteren) Schadens wenigstens zu rechnen (ebenso OLG Stuttgart, Urteil vom 22. November 2023 – 4 U 20/23, juris Rn. 236).
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b) Eine solche Möglichkeit des Schadenseintritts ist vorliegend nicht ersichtlich. Die Klägerin hat in der Vergangenheit zwar wiederholt „Phishing-SMS“ erhalten, nach eigenen Angaben ist ihr allerdings „der Hintergrund von Phishing“ bekannt (Bl. 399). Angesichts dessen und der Tatsache, dass ihr nach eigenen Angaben bis heute kein materieller Schaden aus dem Vorfall erwachsen ist (Bl. 399), ein „immaterieller Schaden“ ebenfalls nicht feststellbar ist und die Klägerin zudem selbst keine Veranlassung gesehen hat, ihre Telefonnummer zu wechseln, ist nach Überzeugung des Senats vor diesem Hintergrund und mit Blick auf den nicht unerheblichen Zeitablauf seit dem „Scraping-Vorfall“ auch zukünftig nicht damit zu rechnen, dass ein Schaden noch eintritt.
30
Ein Anlass, das Verfahren auszusetzen oder ein Vorabentscheidungsersuchen einzuleiten, besteht nicht. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt. Keine der Parteien zeigt entscheidungserhebliche, ungeklärte unionsrechtliche Rechtsfragen auf. Im Übrigen kommt es auf Tatsachenfragen an, über die der EuGH nicht entscheiden kann und darf.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.
32
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 713 ZPO.
33
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO), liegen nicht vor. Die Entscheidung stellt eine Einzelfallentscheidung dar und steht nicht im Widerspruch zu Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte, insbesondere nicht im Hinblick auf das Vorliegen eines Schadens und der notwendigen Kausalität eines etwaigen Verstoßes gegen die DSGVO. Auch erfordert die Rechtsprechung des OLG Stuttgart (vgl. etwa Urteil vom 22.11.2023, Az.: 4 U 20/23, GRUR-RS 2023, 32883) bezüglich des Klageantrags zu 2 keine Revisionszulassung wegen Divergenz, da es sich bei übereinstimmender Wertung der Rechtslage lediglich um eine unterschiedliche Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls handelt (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.02.2024, Az.: 13 U 43/23, GRUR-RS 2024, 2789, Rn. 11; OLG Oldenburg, Urteil vom 30.04.2024, Az.: 13 U 89/23).