Inhalt

LG München I, Endurteil v. 30.04.2024 – 1 HK O 5527/23
Titel:

Verschleierung des individuellen Sponsorings für wissenschaftliche Erklärvideos auf You Tube

Normenketten:
UWG § 3a
TMG § 2 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5, § 6 Abs. 1 Nr. 1
MStV § 22
Leitsatz:
Wenn in einem von der Beklagten veröffentlichten wissenschaftlichen Erklärvideo, dessen Produktion sich teilweise über sog. individuelles Sponsoring finanziert lediglich im Vorspann für wenige Sekunden der Hinweis "Enthält bezahlte Werbung" befindet, so verstößt dies gegen das medienrechtliche Erkennbarkeits- und Trennungsgebot, sofern der werbliche Charakter der Sendung für den angesprochenen Verkehr nicht erkennbar gemacht wird. (Rn. 55 – 62) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
kommerzielle Kommunikation
Fundstellen:
WRP 2024, 1013
GRUR-RS 2024, 17449
LSK 2024, 17449
MMR 2024, 980

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu € 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, jeweils zu vollstrecken am Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, geschäftlich handelnd
a) mit einem Erklärvideo im Internet zu werben und/oder werben zu lassen, wenn dies geschieht wie aus der in der Anlage K 1 ersichtlichen Bildabfolge und
b) mit einem Erklärvideo im Internet zu werben und/oder werben zu lassen, wenn dies geschieht wie aus der in der Anlage K 18 ersichtlichen Bildabfolge und Transkription;
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 374,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.06.2023 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist für den Kläger wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar, im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,00 €.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 50.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt Unterlassung der Veröffentlichung eines Erklärvideos sowie Zahlung einer Abmahnpauschale.
2
Der Kläger ist ein großer Wirtschaftsverband mit etwa 2.000 Mitgliedern und nach § 8b UWG in die Liste der qualifizierten Verbände eingetragen.
3
Die Beklagte betreibt seit 2013 unter dem Namen „... ein Filmstudio, das animierte „Erklärvideos“ produziert, die sie auf ihrem Y.-Kanal https://www.....com/ veröffentlicht. Die Videos haben – nach dem Verständnis der Beklagten – zum Ziel, komplexe wissenschaftliche Inhalte leicht verständlich und ansprechend aufzubereiten, um den Zuschauern den Zugang zu diesen Themen zu erleichtern. Der Kanal der Beklagten hat mittlerweile über 20 Millionen Abonnenten. Die Videos werden in mehreren Sprachen veröffentlicht.
4
Die Beklagte erzielt Einnahmen, indem sie Y. erlaubt, Werbung (vor und in den Videos) zu schalten, durch die Vergabe von Lizenzen und über die Crowdfunding-Plattform „P.“. Zudem stellt sie Merchandising-Artikel her, die sie über ihren Online-Shop unter https://... vertreibt.
5
Zuletzt bezieht die Beklagten Sponsoreneinnahmen. Neben dem institutionellen Sponsoring/Förderung/Bezuschussung gibt es dabei auch ein „individuelles Sponsoring“, d.h. die Beklagte bietet an, gegen finanzielle Unterstützung bestimmte Ideen des Sponsors oder von ihm vorgeschlagene Themen in Videos umzusetzen. Das individuelle Sponsoring durch Privatpersonen, Organisationen und Firmen macht etwa 20% der Einnahmen der Beklagten aus Die Beklagte veröffentlichte im Frühjahr 2022 ein auch für den Abruf in Deutschland bestimmtes englischsprachiges unstreitig gesponsortes Video (https://www.....com/), mit dem Titel „...“.
6
Dem Video ist ein Werbeblock von Y. mit Werbespots vorgeschaltet (sog. „Pre-Roll-Add“). Während des Abspielens des Werbeblocks wird rechtsseitig ein Feld eingeblendet: „Video wird im Anschluss an die Anzeigen wiedergegeben“.
7
Auch im Verlauf wird das Video mehrfach durch Werbeblocks von Y. unterbrochen.
8
Das Video selbst dauert 11:32 Minuten.
9
Zu Beginn des Videos wird beim Abspielen des Videos im linken oberen Bildschirmbereich für etwa 10 Sekunden ein Kästchen eingeblendet, das angezeigt: „Enthält bezahlte Werbung“.
10
Unterhalb des Videos befindet sich je nach Konfiguration des Benutzungsgeräts ein Kurztextfeld wie folgt:
11
Auf mobilen Endgeräten erscheint das Kurztextfeld nicht, bei geringer Bildschirmgröße erscheint es als Feld an der Seite und zeigt lediglich die ersten Worte der ersten Zeile an.
12
Ab Minute 9:45 werden im Video ..., Philosophie-Professor und Leiter der Projekts ..., und das vor kurzem von ihm veröffentlichtes Buch ... vorgestellt wie folgt:
We made this video together with ..., a Professor of Philosophy at O. and  one of the founders of the effective altruism movement, which is about doing the most good you can with your time and money.
Will just published a new book called What We Owe The Future, which is about how YOU can positively impact the long-term future of our world. If you like Kurzgesagt videos, the chances are high you will like it!
The book has some pretty counter intuitive arguments, like that risks from new technology, such as AI and synthetic biology, are at least as grave as those from climate change. Or that the world doesn’t contain too many people, but too few. And especially that everyday actions like recycling or refusing to fly just aren’t that big a deal compared to where you donate, or what career you pursue.
Most importantly, it argues that, by acting wisely, YOU can help make tomorrow better than today. And how WE together can build a flourishing world for the thousands or millions of generations that will come after us.
Many things we at talk about regularly are discussed here, in much greater detail.
Check out What We Owe The Future wherever you get your books or audiobooks.
13
Was – zwischen den Parteien unstreitig – wie folgt übersetzt werden kann:
Wir haben dieses Video zusammen mit ... gedreht, einem Professor für Philosophie in O. und einem der Gründer der Bewegung für effektiven Altruismus, bei der es darum geht, so viel Gutes zu tun wie mit der eigene Zeit und dem eigenen Geld möglich ist.
... hat gerade ein neues Buch mit dem Titel ... veröffentlicht, in dem es darum geht, wie DU die langfristige Zukunft unserer Welt positiv beeinflussen können. Wenn dir ... Videos gefallen, stehen die Chancen gut, dass es dir gefallen wird!
Das Buch enthält einige ziemlich kontraintuitive Thesen, wie zum Beispiel, dass die Risiken durch neue Technologien wie KI und synthetische Biologie mindestens so gravierend sind wie die durch den Klimawandel. Oder dass es auf der Welt nicht zu viele Menschen gibt, sondern zu wenige. Und vor allem, dass alltägliche Aktionen wie Recycling oder Flugverweigerung im Vergleich dazu, wo man spendet oder welchen Beruf man verfolgt, einfach keine so große Rolle spielen.
Am wichtigsten ist, dass DU durch kluges Handeln dazu beitragen kannst, dass morgen besser als heute wird. Und wie WIR gemeinsam eine blühende Welt für Tausende oder Millionen von Generationen aufbauen können, die nach uns kommen werden.
Viele Dinge, über die wir bei Kurzgesagt regelmäßig sprechen, werden hier ausführlicher besprochen.
Sieh dir What We Owe The Future an, wo immer du deine Bücher oder Hörbücher kaufst.
14
Der Autor und das Buch werden dabei im Video visualisiert (auszugsweise wie folgt):
15
Für die Einzelheiten wird auf das Transkript des Videos wie Anlage K1 und das Video selbst wie Anlage K9 verwiesen.
16
Das streitgegenständliche Video ist zur Sendung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk freigegeben.
17
Das Video ist deshalb bei „...“ abrufbar, allerdings nur bis zu dem (d.h. ohne den) Teil, in dem ... und sein Buch vorgestellt werden.
18
Mit Schreiben vom 09.11.2022 wie Anlage K11 mahnte der Kläger die Beklagte wegen des Videos ab. Er forderte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und die Zahlung einer Abmahnpauschale von 374,50 €. Die Beklagte lehnte die ab.
19
Mit Schriftsatz vom 02.05.2023, der Beklagten am 23.06.2023 zugestellt, hat der Kläger Klage erhoben und verfolgt sein Begehren nun gerichtlich weiter. Er hält das Video für wettbewerbswidrig. Die Beklagte mache den kommerziellen Zweck des Videos nicht ausreichend deutlich. Das Video verstoße deshalb gegen § 5a Abs. 4 UWG, gegen § 3 Abs. 3 UWG i.V. m. Nr. 11 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG, gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 3 TMG i. V. m. § 5a Abs. 1 i.V. m. 5b Abs. 4 UWG und gegen § 3a UWG i.V. m. § 22 Medienstaatsvertrag.
20
Mit Schriftsatz vom 02.01.2024 hat der Kläger die Klage um einen zweiten Unterlassungsantrag (Ziff. 1.b.) erweitert (Bl.105 d.A.)
21
Er macht insoweit geltend, die Beklagte habe die Kennzeichnung des Videos geändert. Ursprünglich sei bei Vorschau des Videos das Kästchen mit dem Hinweis „Enthält bezahlte Werbung“ nicht eingeblendet worden. Der Kläger verweist auf die Anlage K9. Nunmehr erscheine es bei der Vorschau beim sog. Mouse-Over (soweit der möglich sei, d.h. es sich nicht um Geräte mit Touchscreen wie z.B. mobile Endgeräte handele). Das beseitige die Unzulässigkeit der Darstellung aber nicht.
22
Mit seinem neuen Antrag greift der Kläger die Fassung der Videodarstellung mit diesem Zusatz, wie im Transkript wie Anlage K18 und im Video wie Anlage K19 zu sehen, an.
23
Der Kläger beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu € 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, jeweils zu vollstrecken am Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, geschäftlich handelnd
a) mit einem Erklärvideo im Internet zu werben und/oder werben zu lassen, wenn dies geschieht wie aus der in der Anlage K 1 ersichtlichen Bildabfolge und Transkription; und/oder
b) mit einem Erklärvideo im Internet zu werben und/oder werben zu lassen, wenn dies geschieht wie aus der in der Anlage K 18 ersichtlichen Bildabfolge und Transkription;
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 374,50 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
24
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
25
Die Beklagte bringt vor, sie habe das Video nicht geändert. Das Video habe von Anfang an den Mouse-Over-Effekt gehabt. Es gehe auch um kerngleiche Verstöße. Insoweit bestehe bezüglich des zweiten Antrags jedenfalls anderweitige Rechtshängigkeit.
26
Die Anträge seien aber auch unbegründet.
27
Aufgrund des wissenschafts-journalistischen Inhalts, der auch mit allen Mitteln der journalistischen Sorgfalt erstellt worden sei, handele es sich schon nicht um eine geschäftliche Handlung nach UWG. Außerdem seien die medienrechtlichen Vorschriften Spezialvorschriften, die eine Anwendung der UWG-Vorschriften ausschlössen. Ein Verstoß gegen Wettbewerbsrecht scheide schon deshalb aus.
28
Die medienrechtlichen Vorgaben seien ohne Weiteres erfüllt. Das Video beinhalte zwar ab 9:45 min einen werblichen Teil, dieser sei aber klar vom redaktionellen Teil getrennt. Das etwas Neues komme, zeige sich für den Betrachter schon am signifikanten Wechsel der Hintergrundmusik. Aber auch die grafischen Gestaltungselemente sorgten für eine klare Trennung. Dass das Produkt eines Sponsors präsentiert werde, sei im Übrigen ein einmaliger Sonderfall, wobei Sponsor nicht  ... persönlich, sondern die Effective Ventures Foundation Charity (UK) (früher: ...), eine in England und Wales eingetragene gemeinnützige Organisation sei. ... sei bis Herbst 2023 Trustee dieser Organisation gewesen und sei bis heute Leiter eines der Projekte, nämlich des Projekts „ ... “.
29
Die Beiträge auf ihrem Kanal seien auch keine Auftragsproduktionen, wie der Kläger suggeriere. Es handele sich um unabhängig erstellte redaktionelle Beiträge. Die redaktionelle Hoheit über die Inhalte der Beiträge liege bei der Beklagten, Sponsoren hätten keinerlei (bestimmenden) Einfluss auf Inhalte. Das werde auch vertraglich ausdrücklich so festgehalten.
30
Sie arbeite mit externen Wissenschaftlern zusammen, um eine hohe fachliche Qualität zu gewährleisten, und beschäftige ein im Vergleich mit anderen Wissenschaftskanälen (zB ...-X) sehr großes Fakten-Checker-Team, das die Videos in einem aufwändigen Prüfungsprozess nach dem 6-Augen-Prinzip auf Richtigkeit prüfe und ein öffentlich abrufbares Quellenverzeichnis erstelle. Ihre Videos dienten nicht der Förderung eines fremden Geschäftszwecks, sondern der Aufklärung über wissenschaftliches Themen. Sponsoring spiele auch insgesamt nur eine untergeordnete Rolle bei der Finanzierung ihres Geschäftsmodells.
31
Das gelte auch für das streitgegenständliche Video. Das Video nehme zwar seinen Ausgangspunkt in den Ausführungen des Buches, insbesondere im Kapitel Collapse. Die Beklagte habe sich aber mit den Thesen intensiv kritisch auseinandergesetzt, in erheblichem Umfang eigene Recherchen angestellt und den Beitrag um diese angereichert. Insgesamt seien für das Video 260 Stunden für Recherche, Quellenprüfung und Skripterstellung aufgewendet worden. Sie habe 40 verschiedene Quellen geprüft. Das Quellendokument für das Video umfasse 24 Seiten. Die Beklagte verweist auf Anlage B6. Der Umfang der von ihr geleisteten Arbeit zeige sich auch bei Gegenüberstellung der Aussagen des Videos mit den Aussagen des Buches. Die Beklagte verweist auf die Übersicht wie Anlage B8.
32
Die medienrechtlichen Anforderungen an die Trennung und Kennzeichnung von werblichen und kommerziellen Inhalten seien durch die Einblendung „Enthält bezahlte Werbung“ zu Beginn und den deutlichen Wechsel zum Beginn der Werbesequenz erfüllt. Insgesamt seien die verschiedenen Phasen des Streams klar zu unterscheiden (Pre-Roll, Inhalt, Buch-Besprechung, Post-Roll).
33
Der Kläger erwidert, dass aus seiner Sicht sämtliche Kernaussagen des Videos auf Zitaten des beworbenen Buches beruhten, oft nur wörtlich oder geringfügig umgestellt. Der Kläger verweist auf seine Übersicht wie Anlage K17. Die Thesen des Buches würden lediglich in aufbereiteter und zugespitzter Form in dem Video wiedergegeben. Das Video fasse die Thesen des Buches zusammen und bebildere diese, ohne dass deutlich werde, dass es sich um die Thesen eines Dritten handele. Es finde keine kritische Auseinandersetzung mit den Thesen des Buches statt. Diese würden als Wahrheit präsentiert und nicht als die diskutablen Ideen eines Autors, über die man streiten könnte. Deshalb sei der Vortrag der Beklagten zum Zustandekommen ihrer Videos allgemein, aber auch zum Zustandekommen des streitgenständlichen Videos zu bestreiten.
34
Im Übrigen ändere sich an der Unzulässigkeit des Videos aber auch nichts, wenn man den Vortrag der Beklagten als richtig unterstelle. Auch die Beklagte gehe davon aus, dass sie medienrechtlich Werbung und redaktionelle Inhalte klar trennen müsse. Als maßgeblicher Umstand stehe insoweit nur in Streit, ob die Beklagte das in dem Video im Hinblick auf den unstreitig werbenden Abschnitt mit der Buchvorstellung auch tue. Und das sei nicht der Fall. Die Buchvorstellung am Ende des Videos sei in derselben Art und Weise gestaltet, wie der restliche, redaktionell anmutende Teil des Videos. Der Zuschauer könne optisch keinen Bruch oder eine gewollte Trennung zwischen einem redaktionellen und einem werblichen Inhalt erkennen.
35
Da ein Verstoß gegen die medienrechtlichen Vorgaben vorliege, stünden diese auch einer Anwendung von § 5a Abs. 4 UWG nicht entgegen. Nachdem auch eine geschäftliche Handlung vorliege, liege auch ein Verstoß gegen diese Vorschrift vor.

Entscheidungsgründe

A)
36
Der Klage war stattzugeben. Sie ist zulässig und begründet. Dies gilt sowohl für die Unterlassungsanträge 1.a und 1.b, als auch den Antrag 2 auf Zahlung der Abmahnpauschale.
I. Zum Antrag 1a
37
1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist er auch hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 ZPO.
38
Macht ein Kläger mehrere Streitgegenstände geltend, muss er dem Gericht und dem Gegner gegenüber klarstellen, in welcher Reihenfolge die Streitgegenstände geltend gemacht werden, sonst verstößt sein Klagebegehren gegen das Gebot aus § 253 Abs. 2 Nr.2 ZPO, den Klagegrund bestimmt bezeichnen. Eine alternative Klagenhäufung ist unzulässig (vgl. BGH GRUR 2011, 1043)
39
Das hat der Kläger hier beachtet. Der Kläger greift zwar das Video der Beklagtenseite mit verschiedenen Argumenten und gestützt auf verschieden Vorschriften an. Auch insoweit als hier deshalb mehrere Streitgegenstände in Betracht kommen, hat der Kläger aber klargestellt, dass als „maßgeblicher Umstand nur im Streit (steht), ob die Bewerbung des Buches „W.“ als Teil des redaktionellen Beitrags erscheint oder aus sich heraus als bezahlte Werbung erkennbar ist“ (Bl.118 d.A.) und damit sein primäres Begehren hinreichend präzisiert.
40
2. Der Antrag ist auch begründet.
41
Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 UWG zu.
42
Nach § 8 Abs. 1 Alt.2 kann bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer eine unlautere Handlung nach §§ 3ff UWG begeht. Die Beklagte hat hier jedenfalls eine unlauter Handlung nach § 22 MStV bzw. § Abs. 1 Nr.1 TMG i.V.m. § 3a UWG begangen. Wiederholungsgefahr wird aufgrund des Verstoßes vermutet.
43
§ 6 Abs. 1 Nr. 1 TMG und § 22 MStV sind nach der obergerichtlichen Rechtsprechung bereichsspezifische Spezialvorschriften dar, die für den Bereich der Telemedien die Anforderungen an die Erkennbarkeit der kommerziellen Kommunikation bzw. Werbung festlegen. Da auch diese Vorschriften als Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 3a UWG lauterkeitsrechtlich zur Wirkung kommen, dürfen die in ihnen zum Ausdruck kommenden spezifischen medienrechtlichen Wertungen nicht durch die Anwendung der allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Vorschrift des § 5a Abs. 6 UWG unterlaufen werden. (vgl. BGH GRUR 2021, 1414 Rn. 60, 71 – Influencer II; einen Vorrang ablehnend jedenfalls für die neue Gesetzesfassung dagegen Glöckner, NJW 2021, 3427)
44
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 TMG haben Diensteanbieter bei kommerziellen Kommunikationen, die Telemedien oder Bestandteile von Telemedien sind, zu beachten, dass die kommerziellen Kommunikationen klar als solche zu erkennen sein müssen.
45
Eine klare Erkennbarkeit bedeutet gemäß der Begründung des Gesetzgebers, dass Werbung und sonstige kommerzielle Kommunikation in ihrem Charakter als kommerzielle Kommunikation von anderen Inhalten bzw. Informationen abgehoben sein müssen (vgl. Begr. RegE BT-Drs. 14/6098, 22). Dies wird durch ein Trennungsgebot, nach dem kommerzielle Kommunikation stets vom restlichen Inhalt getrennt werden muss, und ein Kennzeichnungsgebot, nach dem kommerzielle Kommunikation auch als solche zu kennzeichnen ist, realisiert (vgl. BeckOK InfoMedienR/Pries, 42. Ed. 1.11.2023, TMG § 6 Rn. 4)
46
Nach § 2 S. 1 Nr. 1 TMG ist Diensteanbieter, wer eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt. Der Begriff des Diensteanbieters ist funktionell zu bestimmen. Er muss durch seine Weisungen oder seine Herrschaftsmacht über Rechner und Kommunikationskanäle die Verbreitung oder das Speichern von Informationen ermöglichen und nach außen als Erbringer von Diensten auftreten. Neben dem Inhaber einer Internetseite sind bei Internetportalen wie insbesondere sozialen Medien, bei denen Nutzer Unterseiten mit einer kommunikationsbezogenen Eigenständigkeit unterhalten, daher auch diese Nutzer Diensteanbieter.
47
Kommerzielle Kommunikation ist gem. § 2 S. 1 Nr. 5 TMG jede Form der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren, Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens, einer sonstigen Organisation oder einer natürlichen Person dient, die eine Tätigkeit im Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen freien Beruf ausübt, außer es handelt sich um Angaben, die unabhängig und insbesondere ohne finanzielle Gegenleistung gemacht werden (vgl. Ziff.b). Die Ausnahmeregelung, dass eine Gegenleistung erforderlich ist, soll nach dem BGH aber nur in Fällen der Fremdwerbung, nicht in Fällen der Eigenwerbung geltend (vgl. BGH GRUR 2021, 1414, Rn.76)
48
Nach dem Medienstaatsvertrag (MStV) muss Werbung im Rundfunk (§ 8 Abs. 3 MStV) und in Telemedien (§ 22 Abs. 1 S.1 MStV) als solche leicht und klar erkennbar und vom übrigen, d.h. redaktionellen Inhalt der Angebote unterscheidbar und eindeutig getrennt sein (Kennzeichnungs- und Trennungsgebot).
49
Der Begriff der Werbung ist in § 2 Abs. 2 Nr. 7 MStV als Äußerung definiert, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, oder des Erscheinungsbilds natürlicher oder juristischer Personen, die einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, dient und gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung im Rundfunk oder in einem Telemedium aufgenommen ist. Werbung ist insbesondere Rundfunkwerbung, Sponsoring, Teleshopping und Produktplatzierung.
50
Zum Verhältnis von § § 6 Abs. 1 Nr. 1 TMG und § 22 MStV hat sich die obergerichtliche Rechtsprechung bisher nicht ausdrücklich geäußert. Sie hat die Vorschriften ohne Weiteres nebeneinander geprüft.
51
Allerdings soll mit dem MStV die Richtlinie über audiovisuelle Medieninhalte (AVMD-RL) umgesetzt werden. Mit § 6 TMG wiederum werden Vorgaben der E-Commerce-RL 2000/31/EG (EC-RL) umgesetzt. Nach Art.4 Abs. 8 AVMD-RL beansprucht die AVDM-RL im Kollisionsfall Vorrang vor der EC-RL (vgl. Ohly/Sosnitza/Sosnitza, 8. Aufl. 2023, UWG § 5a Rn. 33; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Feddersen, 42. Aufl. 2024, UWG § 5a Rn. 4.18)
52
Letztlich lässt der BGH das Verhältnis der Vorschriften zueinander aber zu Recht offen. Der Begriff der Werbung im MStV ist nämlich mit dem in § 2 S. 1 Nr. 5 TMG verwendeten Begriff der kommerziellen Kommunikation bedeutungsgleich, und auch die Anforderungen zum Trennungs- und Kennzeichnungsgebot sind identisch (vgl. BeckOK IT-Recht/Sesing-Wagenpfeil, 12. Ed. 1.7.2023, MStV § 22 Rn. 2). Die Vorschriften laufen damit parallel.
53
Danach liegt hier ein Verstoß gegen § 6 TMG Abs. 1 Nr.1 TMG und § 22 Abs. 1 MStV vor.
54
Dass der Abschnitt des streitgegenständlichen Videos ab Minute 9:45 kommerzielle Kommunikation bzw. Werbung darstellt, ist zwischen den Parteien nicht im Streit.
55
Zutreffend macht der Kläger aber auch geltend, dass diese also solche nicht ausreichend erkennbar ist und deshalb gegen des Trennungs- und Kennzeichnungsgebot verstößt.
56
Maßstab für die Erkennbarkeit ist dabei der durchschnittlich informierte, situationsadäquat aufmerksame und verständige Durchschnittsempfänger des jeweiligen konkreten Angebots. Dieser muss ohne weiteres und zweifelfrei erkennen können, dass es sich um der Verkaufsförderung dienende Werbung und nicht um einen redaktionellen Beitrag handelt (vgl. BeckOK InfoMedienR/Fiedler, 42. Ed. 1.11.2023, MStV § 22 Rn. 7).
57
Das kann er vorliegend nicht. Der Buchvorstellung und der vorangehende Teil des Erklärvideos sind völlig identisch gestaltet. Die Aufmachung ist in Bild und Ton die gleiche. Es handelt sich um animierte und dabei im Stil gleichermaßen animierte Videos. Es spricht ein und derselbe Sprecher, der im Hintergrund von Musik bzw. Geräuschen begleitet wird. Ein Bruch in der Darstellung ist nicht erkennbar. Dass die klangliche Hintergrundkulisse für einen kurzen Moment abfällt, fällt bei normalem Hören nicht auf.
58
Auch aus den weiteren Umständen ergibt sich für den Durchschnittsbetrachter zudem nicht, dass die Buchvorstellung Werbung darstellt.
59
Es ist nicht davon auszugehen, dass der Betrachter den Hinweis „Enthält bezahlte Werbung“ zu Beginn des Videos auf die Buchvorstellung bezieht. Dies schon deshalb, weil das Video mehrfach durch Werbeblöcke von Y. unterbrochen wird. Es liegt nahe, den Hinweis auf diese Werbeblöcke zu beziehen.
60
Dass das mit Antrag 1a angegriffene und in Anlage K1 transkribierte Video wie Anlage K9 den Hinweis „Enthält bezahlte Werbung“ schon als Mouse-Over-Effekt vor dem Abspielen gibt, konnte nicht festgestellt werden. Die Inaugenscheinnahme von Anlage K9 und K19 hat gezeigt, dass es, wie vom Kläger geltend gemacht, zwei Versionen gibt, eine mit und eine ohne diesen Effekt. Anlage K9 respektive K1 enthält den Hinweis nicht. Wie es zu der Änderung kam bzw. wer die Änderung vorgenommen hat, mag dabei dahinstehen. Das spielt keine Rolle.
61
Der Erklärungskurztext unterhalb des Videos mit dem Hinweis auf Sponsoring bewirkt ebenfalls keine Klarstellung. Er reicht schon inhaltlich nicht. Die Buchvorstellung geht über einen gesponsorten Inhalt hinaus. Aber auch formal ist der Hinweis unzureichend. Da er nur bei bestimmten Darstellungsformen von Y. erscheint, insbesondere nicht bei Nutzung durch ein mobiles Endgerät, wird er einem Großteil der Konsumenten gar nicht gegeben. Soweit er gegeben wird, muss gesehen werden, dass die Gefahr, ihn zu übersehen, erheblich ist. Die meisten Konsumenten dürften dem Feld kaum Beachtung schenken, sondern auf das eigentliche Video bzw. das Videofeld konzentriert sein. Zuletzt erscheint sehr fraglich, ob der Videobetrachter überhaupt einen Zusammenhang des Hinweises mit einem Videoabschnitt herstellt, der nach fast 10 Minuten abgespielt wird.
62
Auch aus dem Inhalt des Videos ergibt sich für den Betrachter nicht, dass die Buchvorstellung Werbung ist. Im Gegenteil, er verstärkt sogar den Eindruck, dass es sich auch bei diesem Abschnitt um eine redaktionelle Darstellung handelt, und fördert damit den falschen Eindruck eines einheitlichen (wissenschafts-)Videos.
63
Zwar kann sich die Erkennbarkeit der Werbeeigenschaft daraus ergeben, dass das beworbene Produkt präsentiert wird (vgl. KG, MMR 2012, 316). Ein solches Vorgehen ist dem Durchschnittsverbraucher als werbetypisch bekannt. Bei der streitgegenständlichen Buchvorstellung gilt das aber nicht. Hier wird – jedenfalls dem Anschein nach – (weiterhin) eine kritische, an wissenschaftlichen Maßstäben ausgerichtete Haltung vorgegeben, die den Betrachter im Gesamtkontext eher auf eine Buchempfehlung aus Überzeugung, denn auf bezahlte Werbung schließen lässt. So wird z.B. darauf verwiesen, dass das Buch „counterintuitive arguments“ enthalte. Es wird eine geistige Nähe zum Produkt betont: „if you like our videos, you will probably like the book“. Hinzu kommt, dass der Autor Begründer eines „Effective Altruism Movement“ sein soll. Und letztlich unterstreicht auch die die Buchvorstellung einleitende Äußerung „we did this Video together“ die (auf Überzeugung beruhende) Verbundenheit mit dem Buchautor und kann insoweit keine Klarstellung bewirken. Sie mag als trennendes Element wirken können, macht aber dem Betrachter gerade nicht klar, dass es (nunmehr) um Werbung geht.
64
Bei § 6 Abs. 1 Nr.1 TMG und § 22 MStV handelt es sich nach dem BGH auch um Marktverhaltensregeln im Sinne von § 3a UWG (vgl. BGH aaO).
65
Ob die streitgegenständliche Werbung der Beklagten auch noch gegen weitere Vorschriften verstößt (§ 10 MStV; § 3 Abs. 3 UWG iVm Nr. 11 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG; § 5 Abs. 6 UWG) mag nach dem Gesagten offen bleiben; ebenso, ob die weiteren Vorwürfe des Klägers gegen das Video berechtigt sind. Darauf kommt es nicht mehr an.
II. Zum Antrag 1b
66
Auch der Antrag 1b ist zulässig und begründet.
67
1. Der Antrat ist zulässig. Eine anderweitige Rechtshängigkeit besteht nicht. Die Inaugenscheinnahme der Videos hat, wie bereits oben ausgeführt, ergeben, dass es zwei unterschiedliche Versionen des Videos gibt.
68
2. Der Antrag ist auch begründet.
69
Dass die mit Antrag 1b angegriffene und in Anlage K18 transkribierte Video wie Anlage K19 den Hinweis „Enthält bezahlte Werbung“ schon als Mouse-Over-Effekt auch vor dem Abspielen bereits erteilt, ändert am oben zu Antrag 1a festgestellten Ergebnis nichts. Deswegen ist für den Betrachter nicht klargestellt, dass die Buchvorstellung ab Minute 9:45 Werbung ist. Wie bereits zum Hinweis „Enthält bezahlte Werbung“ zu Beginn ausgeführt, dürfte im Hinblick auf die im Video enthaltenen Werbeblöcke von Y. jedenfalls ein Großteil der Betrachter den Hinweis nicht auf die Buchvorstellung beziehen, sondern auf diese Werbeblöcke. Hinzu kommt, dass der Mouse-Over-Effekt (wie der Erklärungkurztext) nicht in allen Darstellungsformen existiert und leicht übersehen werden kann.
III. Zum Antrag 2
70
Auch der Antrag zu 2 ist begründet. Der Kläger kann Zahlung von 374,50 € nebst Rechtshängigkeitszinsen verlangen.
71
Nach § 13 Abs. 3 UWG kann der Abmahner vom Abgemahnten die erforderlichen Aufwendungen für die Abmahnung verlangen, wenn die Abmahnung berechtigt war. Das ist hier der Fall. Dass die geltend gemachten 374,50 € den erforderlichen Aufwand darstellen, hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt. Nach §§ 288, 291 BGB ist die Forderung zu verzinsen.
B)
72
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 S.1, S.2 ZPO.