Titel:
Angabe von zusammengesetzten Zutaten bei Lebensmitteln
Normenketten:
UWG § 3a
VO (EU) 1169/2011 Art. 18 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, Abs. 4, Art. 22 Abs. 1 lit. b, Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Nutzung des Begriffs "Mandelerzeugnis" für eine zusammengesetzte Zutat im Rahmen eines Zutatenverzeichnisses eines Lebensmittels ist unzulässig. (Rn. 26 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von dem Begriff der verkehrsüblichen Bezeichnung für eine zusammengesetzte Zutat eines Lebensmittels ist nur die Bezeichnung umfasst, die verkürzt – ohne weitere Erläuterung – vom Verbraucher bereits verstanden wird. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei Kombinationspackungen, die unterschiedliche Lebensmittel enthalten, ist der gewichtsprozentuale Anteil einer Zutat nicht in Bezug auf die Gesamtmenge aller in der Verkaufseinheit enthaltenen Lebensmittel anzugeben. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zur Interessenabwägung bei der Frage, ob eine Aufbrauchfrist zu gewähren ist. (Rn. 49 – 55) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterlassungsanspruch, Zutatenverzeichnis, Mandelerzeugnis, Verkehrsüblichkeit, QUID-Angabe, Aufbrauchsfrist
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 21.12.2021 – 33 O 3572/21
Fundstellen:
ZLR 2024, 442
GRUR-RS 2024, 16090
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 21.12.2021, Az. 33 O 3572/21, wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffer I. des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von € 30.000,00 sowie im Übrigen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe bzw. in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Unterlassungsansprüche in Bezug auf die LebensmittelinformationsVerordnung (LMIV).
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Der Kläger ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. Die Beklagte ist eine im Allgäu ansässige Lebensmittelherstellerin (Anlage K 1).
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Die Beklagte bietet unter der Bezeichnung „S.V“ unter anderem die in den Tenor des landgerichtlichen Urteils eingelichteten veganen Lebensmittel (Anlagen K 6, K 7, K 8, K 9 und K 10) an, die entweder mit der Angabe „mit Mandeln“ versehen sind oder die Abbildung einer Mandel tragen.
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Das Zutatenverzeichnis der Lebensmittel weist jeweils an erster Stelle als Zutat ein sogenanntes „Mandelerzeugnis“ mit jeweils unterschiedlichen vorangestellten Prozentangaben aus, wobei in einem Klammerzusatz „Wasser“ bzw. „Trinkwasser“ und „Mandeln“ als Bestandteile genannt sind und den Mandeln wiederum unterschiedliche Prozentangaben vorangestellt werden.
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Der Kläger mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 14.01.2021 (Anlage K 2) wegen Verstößen gegen die LMIV ab.
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Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte verstoße durch die Verwendung des Kunstbegriffs „Mandelerzeugnis“ gegen die LMIV, nach der das Zutatenverzeichnis eines verpackten Lebensmittels aus einer Aufzählung sämtlicher Zutaten des Lebensmittels in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils zum Zeitpunkt ihrer Verwendung bei der Herstellung des Lebensmittels bestehen müsse. Das sei wegen des verwendeten Begriffs „Mandelerzeugnis“ nicht der Fall, weil hierdurch verschleiert werde, dass die gewichtsmäßig bedeutendste Zutat tatsächlich „Wasser“ sei, das eigentlich an erster Stelle stehen müsse.
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Eine zusammengesetzte Zutat dürfe unter ihrer Bezeichnung im Zutatenverzeichnis ausnahmsweise nur dann deklariert werden, wenn sie in einer Rechtsvorschrift festgelegt oder üblich sei. Der Begriff „Mandelerzeugnis“ finde sich indes in keiner Rechtsvorschrift. Auch sei er keineswegs üblich, sondern nur ein von der Beklagten erdachter Phantasiebegriff. Da folglich die Ausnahme für zusammengesetzte Zutaten nicht einschlägig sei, hätte die Beklagte in ihrem Zutatenverzeichnis richtigerweise die Einzelzutaten in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils anführen und folglich das „Wasser“ voranstellen müssen.
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Ein weiterer Verstoß der Beklagten gegen die LMIV liege darin, dass sie „Mandeln“ in Wort und Bild schon auf der Schauseite der Lebensmittel herausgehoben auslobe, aber nicht deklariere, in welcher Menge diese herausgehobene Zutat bei der Herstellung oder Zubereitung des Lebensmittels in Relation zu allen anderen Zutaten verwendet werde.
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Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
I. Der Beklagten wird verboten,
a) vorverpackte vegane Lebensmittel anzubieten oder zu vertreiben, wenn in deren Zutatenverzeichnis der Begriff „Mandelerzeugnis“ als Zutat angegeben wird, wie geschehen in den nachstehend eingeblendeten Zutatenverzeichnissen der Produkte aa),,S.V Kräuter Vegane Genießerscheiben“
und/ oder und/ oder cc),,S.V Burger Scheiben“ und/ oder dd),,S.V Reibegenuss“ und/ oder ee),,S.V FRISCHE GENUSS"
und/ oder b) die Menge der bei Herstellung oder Zubereitung der angebotenen vorverpackten veganen Lebensmittel verwendeten Zutat,,Mandeln“ (in Verhältnis gesetzt zu allen anderen Zutaten) nicht anzugeben, wenn auf,,Mandeln“ durch Worte und/ oder Abbildungen gesondert hingewiesen wird, wie auf den folgenden Produktverpackungen der Fall:
aa) Vorder- und Rückseite und/ oder
bb) Vorder- und Rückseite
cc) Vorder- und Rückseite und/ oder
dd) Oberseite- und Seitenaufdruck,,S.V Frische Genuss“
II. Der Beklagten wird für jeden Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtungen gemäß Ziffer l. ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren (Haft zu vollziehen am jeweiligen Geschäftsführer) angedroht.
III. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 374,50 EUR zzgl. 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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Die Beklagte ist der Auffassung, der die Bezeichnung „Mandelerzeugnis“ betreffende Unterlassungsantrag sei bereits unzulässig, weil er nicht erkennen lasse, für welche zusammengesetzten Zutaten das begehrte Verbot gelten solle. Es bleibe offen, ob es der Beklagten auch untersagt sein solle, eine Zusammensetzung anderer Zutaten als „Mandelerzeugnis“ zu bezeichnen.
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Die Kennzeichnung ihrer Produkte genüge im Übrigen den maßgeblichen Regelungen der LMIV.
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Die Bezeichnung „Mandelerzeugnis“ sei als verkehrsüblich anzusehen, weil der angesprochene Verbraucher davon ausgehe, dass dieses als geschmacks- und wertgebende Zutat Mandeln enthalte, was tatsächlich auch der Fall sei, weil das Erzeugnis ansonsten nur noch aus Wasser bestehe. Eine Vorstellung über die konkrete Menge der Mandeln oder darüber, dass das Erzeugnis im Wesentlichen aus Mandeln bestehe, entwickle der angesprochene Verkehr nicht. Auch bei anderen veganen Produkten sei die Bezeichnung einer zusammengesetzten Zutat als „-erzeugnis“ unabhängig von dem Anteil der proteingebenden Zutat typisch. Die auf der unternehmenseigenen F.-Seite durchgeführte Verbraucherumfrage mit 1.779 Teilnehmern (Anlage B 2) bestätige, dass die überwiegende Mehrheit der Verbraucher die Bezeichnung der Produkte der Beklagten als verständlich einstufte. Auch die Leitsätze für vegane und vegetarische Lebensmittel der Lebensmittelbuchkommission (Anlage B 3) stellten wie die Beklagte auf die Art der zu ersetzenden Zutat, nicht auf deren Menge ab.
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Dass die Mengenangabe der Mandeln in Relation zum Mandelerzeugnis erfolge, entspreche den Anforderungen der LMIV, die an keiner Stelle verlange, dass die Menge einer in einer zusammengesetzten Zutat enthaltenen Einzelzutat in Bezug auf das Gesamtgewicht des Endproduktes angegeben werden müsse. Wozu die Mengenangabe in Bezug zu setzen sei, überlasse die LMIV dem Lebensmittelunternehmer. Es könne dem Informationsbedürfnis des Verbrauchers besser entsprechen, die Einzelzutat mengenmäßig auf die zusammengesetzte Zutat zu beziehen, wie das beispielsweise auch bei einem Stollen mit einer „Marzipanfüllung mit 40% Marzipan“ der Fall sei.
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Der Beklagten sei jedenfalls die mit dem Hilfsantrag begehrte Aufbrauchsfrist zu gewähren. Durch ein sofortiges Verbot entstünden der Beklagten unverhältnismäßige Nachteile. Die Belange der Klägerin oder der Allgemeinheit seien demgegenüber durch eine befristete Fortsetzung nicht unzumutbar beeinträchtigt.
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Mit Endurteil vom 21.12.2021 (Bl. 65/97 d.A.), auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben.
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Die Beklagte greift das Urteil mit ihrer Berufung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ebenfalls in vollem Umfang an.
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Die Beklagte beantragt,
I. Das Urteil des Landgerichts München I vom 21.12.2021 – Az.: 33 O 3572/21 – wird aufgehoben.
II.Die Klage wird abgewiesen.
Der Berufungsklägerin wird eine Aufbrauchsfrist für noch vorhandenes Verpackungsmaterial gewährt, nach der sie bereits produzierte Packungen mit der angegriffenen Kennzeichnung bis einschließlich 31.12.2023 in den Verkehr bringen darf und diese Produkte nicht zurückrufen muss.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
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Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung seines Vortrags aus erster Instanz.
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Zur Ergänzung wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.05.2023 Bezug genommen.
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
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1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte im Hinblick auf den Klageantrag gemäß Ziffer I. a) ein Anspruch auf Unterlassung aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2; 3 Abs. 1; 3a UWG i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 4 VO (EU) Nr. 1169/2011 (nachfolgend: LMIV) und Anhang VII Teil E Nr. 1 zur LMIV zu.
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a) Der Klageantrag gemäß Ziffer I. a) ist zulässig und insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil er auf die konkrete Verletzungsform in Gestalt der eingeblendeten Zutatenverzeichnisse der ebenfalls eingeblendeten konkreten Produkte Bezug nimmt und einen geeigneten Vorspann in Form einer abstrakten Beschreibung des angegriffenen Verhaltens enthält („vorverpackte vegane Lebensmittel anzubieten oder zu vertreiben, wenn in deren Zutatenverzeichnis der Begriff „Mandelerzeugnis“ als Zutat angegeben wird“), die die Prüfung kerngleicher Verstöße ermöglicht (vgl. BGH GRUR 1977, 114, 115 – VUS; WRP 2011, 873 Rn. 17 – Leistungspakete im Preisvergleich; GRUR 2006, 164 Rn. 14 – Aktivierungskosten II; GRUR 2010, 749 Rn. 36 – Erinnerungswerbung im Internet; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 12, Rn. 1.43).
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Soweit die Beklagte meint, dass damit auch abweichende Verhaltensweisen wie z.B. die Kennzeichnung einer Zusammensetzung von anderen Zutaten als Mandeln und Wasser als „Mandelerzeugnis“ erfasst würden, handelt es sich hierbei um keine Frage der Bestimmtheit des Antrags und damit der Zulässigkeit der Klage. Soweit die Beklagte wegen dieser von ihr hinzugedachten Umstände einen zu weiten Umfang des Verbotstenors erkennen möchte, ist darauf zu verweisen, dass diese Umstände nicht Gegenstand des vorliegenden Erkenntnisverfahrens sind, so dass es an einer Kerngleichheit entsprechender Verstöße fehlen dürfte.
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b) Die Klage ist – wie das Landgericht zu Recht angenommen hat – im Hinblick auf den Antrag gemäß Ziffer I. a) auch begründet, da die Bezeichnung „Mandelerzeugnis“ für eine zusammengesetzte Zutat im Zutatenverzeichnis weder in einer Rechtsvorschrift festgelegt noch üblich im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 4 LMIV und Anhang VII Teil E Nr. 1 zur LMIV ist.
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aa) Dass eine Rechtsvorschrift existiere, in der die Bezeichnung „Mandelerzeugnis“ festgelegt sei, behauptet nicht einmal die Beklagte selbst.
28
bb) Die Bezeichnung ist aber auch nicht im Sinne von Anhang VII Teil E Nr. 1 zur LMIV für eine zusammengesetzte Zutat üblich.
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(1) Zusammengesetzte Zutaten sind Zutaten, die selbst aus mehreren Zutaten bestehen. Die Mischung oder Zusammenfügung kann auch auf einer früheren Herstellungsstufe vorgenommen worden sein, muss also nicht erst bei der Herstellung des Enderzeugnisses erfolgen (Verwendung einer zugekauften Marzipanfüllung in einem Backbetrieb). Die Mehrheit aller Lebensmittel enthält eine oder mehrere zusammengesetzte Zutaten (z. B. Mayonnaise in Feinkostsalaten, Salami auf Pizza). Eine zusammengesetzte Zutat kann im Zutatenverzeichnis unter einer Bezeichnung für die Zusammensetzung angegeben werden, sofern diese in einer Rechtsvorschrift festgelegt oder verkehrsüblich ist (Voit/Grube/Grube, LMIV, 2. Aufl., Art. 18, Rn. 83).
30
Maßstab für die Ermittlung der verkehrsüblichen Bezeichnung ist, ob fiktive Durchschnittsverbraucher den als verkehrsübliche Bezeichnung verwendeten Begriff ohne Erläuterung so verstehen und akzeptieren, dass sie das betreffende Erzeugnis hinreichend identifizieren können. Die Verwendung der verkehrsüblichen Bezeichnung liegt im Wahlrecht des Verantwortlichen, da es dem Verantwortlichen auch freisteht, stattdessen eine sogenannte „beschreibende Bezeichnung“ zu verwenden. Von dem Begriff der verkehrsüblichen Bezeichnung ist folglich nur diejenige Bezeichnung umfasst, die verkürzt – nämlich ohne weitere Erläuterung – vom Verbraucher bereits verstanden wird (Sosnitza/Meisterernst/Meisterernst, LebensmittelR, 184. EL Juli 2022, LMIV, Art. 2, Rn. 114, 115).
31
(2) Nach diesen Grundsätzen ist die Bezeichnung „Mandelerzeugnis“ nicht als verkehrsüblich anzusehen, da sie vom fiktiven Durchschnittsverbraucher nicht ohne weitere Erläuterung verstanden wird.
32
Der Senat kann aufgrund eigener Sachkunde beurteilen, wie der fiktive Durchschnittsverbraucher die angegriffenen Bezeichnung versteht, da er ständig mit Wettbewerbssachen befasst ist (BGH GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; GRUR 2014, 682 Rn. 29 – Nordjob-Messe) und zum angesprochenen Verkehr gehört.
33
Aus Sicht des fiktiven Durchschnittsverbrauchers ist der Begriff „Mandelerzeugnis“ als Bezeichnung einer zusammengesetzten Zutat im Zutatenverzeichnis eines verpackten Lebensmittels nicht als üblich anzusehen, weil er nicht an die Kombination des Begriffs „Erzeugnis“ mit „Mandel“ gewöhnt ist. Dass es an einer Üblichkeit fehlt, lässt sich daraus ersehen, dass der angemessen aufmerksame Verbraucher aufgrund der Bezeichnung keine Vorstellung über die Zusammensetzung des Erzeugnisses bilden kann, sondern bei ihm allenfalls Assoziationen entstehen, die völlig losgelöst von den hiesigen Einzelzutaten Mandeln und Wasser sind und gedanklich eher in die Richtung von Süßwaren wie Marzipan oder Weihnachtsplätzchen gehen, ohne jedoch zur sicheren Inhaltsbestimmung beizutragen. Ohne weitere Erläuterung versteht der fiktive Durchschnittsverbraucher angesichts dieses allenfalls assoziationsauslösenden Bedeutungsgehalts nicht, was sich hinter einem „Mandelerzeugnis“ verbirgt.
34
(3) Entgegen der Auffassung der Beklagten wird mit dieser Betrachtungsweise an die Bezeichnung von zusammengesetzten Zutaten im Sinne von Anhang VII Teil E Nr. 1 zur LMIV kein unzulässigerweise strengerer Maßstab angelegt als an die Bezeichnung eines Lebensmittels an sich, da es auf die Bezeichnung von Lebensmitteln insgesamt nicht ankommt, sondern lediglich auf die Verkehrsüblichkeit der Bezeichnung einer zusammengesetzten Zutat in einem verpackten Lebensmittel. Überdies lässt sich schon nicht erkennen, dass Lebensmittel insgesamt als „Mandelerzeugnis“ in Verkehr gebracht und als solche vom Durchschnittsverbraucher verstanden werden.
35
Auch die vermeintliche Verkehrsüblichkeit von pflanzlichen Alternativen zu Milch spielt vorliegend keine Rolle, da die Beklagte ihr „Mandelerzeugnis“ – schon aufgrund rechtlicher Vorgaben – gar nicht als Milch bezeichnet und ein gedanklicher Zwischenschritt des fiktiven Durchschnittsverbrauchers von einem „Mandelerzeugnis“ hin zu einer – nicht zulässigerweise so bezeichenbaren – „Mandelmilch“ und von dort aus weiter zu einem Inhalt bestehend ausschließlich aus Mandeln und Wasser vor dem Hintergrund des allenfalls assoziationsauslösenden Charakters der Bezeichnung „Mandelerzeugnis“ konstruiert erscheint, zumal schon der erste gedankliche Schritt vom „-erzeugnis“ zur „-milch“ für den fiktiven Durchschnittsverbraucher nicht vorgezeichnet ist.
36
Auch die Frage der bloßen Akzeptanz, ob also der Verbraucher bereit ist, die Bezeichnung „Mandelerzeugnis“ ohne weitere Erläuterung hinzunehmen, spielt – losgelöst von der Betrachtung seines Verständnisses – für die Verkehrsüblichkeit im Rahmen von Anhang VII Teil E Nr. 1 zur LMIV keine Rolle, da die Bezeichnung von zusammengesetzten Zutaten ansonsten ausschließlich von der Marktmacht des Lebensmittelunternehmers abhinge, der sich der fiktive Durchschnittsverbraucher unterzuordnen hätte.
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Auf den Inhalt sogenannter „beschreibender Bezeichnungen“ und deren Genauigkeit kommt es ebenfalls nicht an, da nach dem oben Gesagten der Maßstab für die Verkehrsüblichkeit darin besteht, ob der fiktive Durchschnittsverbraucher die Bezeichnung der zusammengesetzten Zutat ohne weitere Beschreibung versteht.
38
Soweit die Beklagte auf Ziffer 1.2 der „Leitsätze für vegane und vegetarische Lebensmittel“ der deutschen Lebensmittelbuchkommission abstellten möchte, geht dies schon rechtssystematisch fehl, da europäisches Sekundärrecht, hier in Form der LMIV, grundsätzlich autonom und nicht anhand von Gremienäußerungen aus einzelnen Mitgliedstaaten auszulegen ist.
39
2. Dem Kläger steht gegen die Beklagte auch der mit Klageantrag gemäß Ziffer I. b) geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2; 3 Abs. 1; 3a UWG i.V.m. Art. 22 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 LMIV i.V.m. Anhang VIII Nr. 3 a) zur LMIV zu.
40
a) Da auf der Kennzeichnung der streitgegenständlichen Lebensmittel die Zutat „Mandeln“ durch Worte und/oder Bilder hervorgehoben ist (sog. QUID-Auslöser), bedarf es nach Art. 22 Abs. 1 lit. b) LMIV der Angabe der Menge der bei der Herstellung oder Zubereitung des Lebensmittels verwendeten Zutat.
41
Nach Anhang VIII Nr. 3 a) zur LMIV, auf den Art. 22 Abs. 2 LMIV verweist, hat die Angabe der Menge einer Zutat als Prozentsatz der Menge der Zutat bzw. der Zutaten zum Zeitpunkt ihrer Verwendung zu erfolgen (sog. QUID-Angabe).
42
aa) Das Gewicht der Zutat(en) ist zum Zeitpunkt der Verwendung bei der Herstellung und bezogen auf das „Lebensmittel“ anzugeben, für das die Zutaten verwendet werden. Da zu diesem Zeitpunkt noch nicht das endgültige Gewicht des „Lebensmittels“ bestimmbar sein muss, auf das sich die gewichtsprozentuale Angabe (als Verhältniszahl) beziehen muss, können Berechnungsprobleme auftreten, die sich einmal aus dem Umstand ergeben können, dass zwischen dem Zeitpunkt der Verwendung der Zutat(en) und der Fertigstellung des Endlebensmittels noch eine Reihe von Verfahrensschritten liegen, die das Gewicht der Zutat und/oder des (End-)Lebensmittels beeinflussen können, wie dies insbesondere bei Erhitzungs- und Trocknungsvorgängen der Fall ist. Dementsprechend bleiben Gewichtsveränderungen der Zutat(en), die nach dem Zeitpunkt der Verwendung auftreten, unberücksichtigt (Voit/Grube/Grube, LMIV, 2. Aufl., Art. 22, Rn. 37, 38).
43
Bezugsgröße für die Prozentangabe ist das Gewicht des „Lebensmittels“. Darunter wird in aller Regel das Enderzeugnis zu verstehen sein, obwohl der Begriff nicht ausdrücklich verwendet wird. Das ist unproblematisch, wenn die Verkaufseinheit nur aus einem homogenen Lebensmittel besteht. Enthält eine Verkaufseinheit als Kombinationspackung mehrere verschiedene Lebensmittel (z.B. bei dem Erzeugnis „Spaghetti P.“ die getrennten Packungen für Spaghetti, Tomatenmark, Käse und eine Kräutermischung oder bei einem Fertigmenü getrennte Packungen für Fleisch, Gemüse, Reis und eine Soße; sog. „heterogene Erzeugnisse“), wird es unter Informationsaspekten nicht zweckmäßig sein, die Teilmengenangaben für QUID-Zutaten auf die Gesamtmenge aller in der Verkaufseinheit enthaltenen Lebensmittel zu beziehen. Lautet bei einem Fertigmenü die Hervorhebung etwa „Béchamelsauce mit Sahne verfeinert“, so würde eine auf das Gesamterzeugnis bezogene gewichtsprozentuale Angabe des Sahneanteils in keiner Weise die Qualität der verfeinerten Sauce verdeutlichen, sondern der Prozentsatz ausschließlich von dem zufälligen Gewicht aller anderen Zutaten abhängig sein (Voit/Grube/Grube, a.a.O., Rn.40).
44
Dies kann auch dann gelten, wenn sich eine QUID-Angabe nur auf die Menge einer zusammengesetzten Zutat bezieht, wenn z.B. ein als „Stollen mit Marzipanfüllung“ bezeichnetes Erzeugnis eine Marzipanfüllung enthält, die ihrerseits neben Marzipan noch weitere Zutaten enthält, so dass in Ergänzung der auf das Gewicht des Stollens bezogenen QUID-Angabe für die Marzipanfüllung die ergänzende Angabe „Marzipanfüllung mit 40% Marzipan“ dem Informationsbedürfnis besser entspricht. In diesem Fall kann eine zusammengesetzte Zutat ein „Lebensmittel“ im Sinne von Art. 22 Abs. 1 lit. b) LMIV darstellen (Voit/Grube/Grube, a.a.O., Rn. 41).
45
bb) Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend als Lebensmittel im Sinne von Art. 22 Abs. 1 lit. b) LMIV entsprechend dem Regelfall jeweils das Gesamtprodukt, nicht die von der Beklagten verwendete nach dem oben unter 1. Gesagten unzulässig bezeichnete zusammengesetzte Zutat „Mandelerzeugnis“ anzusehen.
46
Es handelt sich bei den streitgegenständlichen Produkten weder um heterogene Erzeugnisse mit einzelnen Teilprodukten („M.“) noch geht es vorliegend um die Verwendung einer zusammengesetzten Zutat, bei der es das Informationsbedürfnis und die Vermeidung von Irreführung erfordern, diese selbst als „Lebensmittel“ im Sinne von Art. 22 Abs. 1 lit. b) LMIV anzusehen und die Mengenangabe darauf zu beziehen. Wenn nach dem oben Gesagten, die Bezeichnung der zusammengesetzten Zutat „Mandelerzeugnis“ nicht der Verkehrsüblichkeit entspricht, weil sie vom fiktiven Durchschnittsverbraucher ohne weitere beschreibende Angaben nicht verstanden wird, können es sein Informationsbedürfnis und die gebotene Transparenz zur Vorbeugung von Irreführungen auch nicht erfordern, Mengenangaben auf diese ihrerseits unverständliche Bezugsgröße zu beziehen. Überdies hat der Verbraucher bei einem veganen Lebensmittel ein nachvollziehbares Bedürfnis, die proteingebende pflanzliche Zutat in Bezug auf das Gesamtprodukt einschätzen zu können, da er gerade geneigt ist, die Zufuhr tierischer Proteine hierdurch zu substituieren.
47
cc) Soweit die Beklagte darauf abhebt, dass Art. 22 Abs. 1 lit. b) LMIV den Begriff des „Lebensmittels“ und damit die Bezugsgröße nicht regle, lässt sich hieraus nicht ableiten, dass es dem Lebensmittelunternehmer völlig freistehe, diese zu wählen, da nach den oben genannten Grundsätzen in den Ausnahmefällen der heterogenen Erzeugnisse und zusammengesetzten Zutaten die Gesichtspunkte des Informationsbedürfnisses und der Vorbeugung von Irreführung zu beachten sind.
48
Soweit die Beklagte erneut Überlegungen zu einer „Pflanzenmilch“ ins Spiel bringt, sind diese auch im Kontext des Art. 22 Abs. 1 lit. b) LMIV nicht zielführend, da der fiktive Durchschnittsverbraucher nach dem oben Gesagten bereits keinen Anlass hat, den ersten gedanklichen Zwischenschritt von einem „Mandelerzeugnis“ zu einer nirgendwo bezeichneten „Mandelmilch“ zu gehen, so dass für den Streitfall auch der Mandelgehalt eines entsprechenden fiktiven Getränks ohne Belang ist.
49
3. Die mit dem Hilfsantrag von der Beklagten begehrte Aufbrauchsfrist bis 31.12.2023 ist nicht zu gewähren.
50
a) Sofern das Unterlassungsgebot den Schuldner – wenn es sofort mit Zustellung des Titels uneingeschränkt zu beachten ist – unverhältnismäßig hart trifft, weil er in gutem Glauben Dispositionen getroffen hat, kann ihm unter Abwägung der gegenseitigen Interessen im Rahmen von § 242 BGB eine Aufbrauchs- oder Umstellungsfrist bewilligt werden. Das setzt voraus, dass dem Schuldner durch ein unbefristetes Verbot unverhältnismäßige Nachteile entstünden und die Belange sowohl des Gläubigers als auch der Allgemeinheit durch eine befristete Fortsetzung der Wettbewerbswidrigkeit nicht unzumutbar beeinträchtigt werden (BGH GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus; GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen; GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz).
51
Im Kern der Prüfung steht eine Abwägung der Interessen des Schuldners auf der einen sowie derjenigen des Gläubigers und der Allgemeinheit auf der anderen Seite.
52
Auf der Seite des Schuldners ist zunächst von Bedeutung, wie schwer sein Verschulden wiegt. Liegt ihm – was im Wettbewerbsrecht im Hinblick auf die großzügige Bejahung eines schuldhaften Rechtsirrtum freilich nur selten vorkommt – überhaupt kein oder nur ein geringes Verschulden zur Last, stellt dies sein Interesse an der Aufbrauchsfrist in ein günstiges Licht. Umgekehrt kann ein Schuldner kaum den Schutz seiner Interessen beanspruchen, wenn er den zugrundeliegenden Verstoß vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen hat. In erster Linie muss der Schuldner darlegen können, dass er durch den sofortigen Vollzug des Verbots schwere Nachteile erleiden würde. Daneben ist der Zeitfaktor von entscheidender Bedeutung.
53
Auf der Gegenseite ist zunächst zu fragen, in welcher Weise der Gläubiger durch den Verstoß betroffen ist. Wird der Unterlassungsanspruch von einem Verband geltend gemacht, ist – je nach Schutzrichtung der verletzten Norm – auf die Interessen der Mitbewerber oder der Marktgegenseite abzustellen. Es ist zu fragen, ob die geschützten Interessen der Mitbewerber und der Marktgegenseite, insbesondere der Verbraucher, durch die Gewährung der Aufbrauchsfrist erheblich beeinträchtigt werden. In Fällen der Irreführung kann nicht etwa stets von einer solchen Beeinträchtigung ausgegangen werden. Vielmehr gibt es durchaus Fälle, in denen ein kurzer Aufschub bei der Durchsetzung des Verbots die Mitbewerber- und Verbraucherinteressen nur marginal berührt. Mit dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit kann zuweilen auch das Interesse an der Verfügbarkeit des Produkts verquickt sein (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm, UWG, 41. Aufl., § 8, Rn. 1.91-1.95).
54
b) Nach diesen Grundsätzen kommt bei Abwägung der widerstreitenden Interessen die Gewährung einer Aufbrauchsfrist nicht in Betracht, auch wenn man – vor Gewährung rechtlichen Gehörs an den Kläger – die Behauptung der Beklagten zugrunde legt, sie verfüge noch über gekennzeichnetes Verpackungsmaterial im Wert von rund € 286.000,00. Diesbezüglich lässt sich die Frage, ob sie durch ein sofort zu beachtendes Unterlassungsgebot eine unverhältnismäßige Härte treffen würde, schon deshalb nicht beurteilen, weil sie diesen Betrag nicht in einen konkreten Bezug zu von ihr erzielten Umsätzen und/oder Gewinnen setzt. Weiter ist zu beachten, dass jedenfalls im Hinblick auf den Unterlassungsantrag gemäß Ziffer I. a) zweifelhaft erscheint, ob die Beklagte in gutem Glauben oder nur leicht fahrlässig gehandelt hat oder ob sie sich nicht – fachanwaltlich umfassend beraten – dazu entschieden hat, die Grenzen des rechtlich Zulässigen bewusst auszutesten, um die Vermarktung ihrer zum Teil einen relativ geringen Mandelanteil enthaltenden Produkte mit der eher schmeichelhaften Erzeugnisangabe fortsetzen zu können. Zudem spricht der Zeitfaktor gegen eine Aufbrauchsfrist, weil die Beklagte diese erst in zweiter Instanz beantragt hat und zwischen dem sorgfältig und fundiert begründeten landgerichtlichen Urteil, das zudem auf zwei Unterlassungsaussprüche gestützt war, und dem Termin zur mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz nahezu eineinhalb Jahre lagen, in denen sie sich auf eine Unterlassungspflicht hätte einrichten können.
55
Auf der Gegenseite sprechen ebenfalls gewichtige Gründe gegen eine Aufbrauchsfrist, da es den Interessen der Verbraucher entspricht, die teilweise geringe Mandel- und Proteingehalte kaschierende Angabe der Beklagten nicht mehr bis Jahresende hinnehmen zu müssen und auch die Verfügbarkeit von veganen Ersatzprodukten auf dem als eher groß einzuschätzenden Markt durch die Unterlassungspflicht einer einzelnen Unternehmerin nicht übermäßig gefährdet erscheint.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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5. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor.