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LG Amberg, Endurteil v. 29.01.2024 – 41 HK O 279/23
Titel:

Irreführende Bewerbung eines Milchmischgetränks als „klimaneutral“

Normenkette:
UWG § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz:
Die Werbung mit dem Begriff "klimaneutral" ist gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG irreführend, wenn tatsächlich lediglich Waldschutzprojekte unterstützt werden, die zur Kompensation im Sinne einer Klimaneutralität ungeeignet sind. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterlassungsanspruch, Irreführende geschäftliche Handlung, Klimaneutralität, Verkehrskreis, Waldschutzprojekte, Wiederholungsgefahr, Abmahnkosten
Fundstelle:
GRUR-RS 2024, 1200

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – Ordnungshaft auch für den Fall, dass Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, zu vollziehen am Vorstandsvorsitzenden der die KG vertretenden Komplementärin – wegen jeder Zuwiderhandlung, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr gegenüber Verbrauchern ein Produkt durch den Aufdruck „Klimaneutral. Produkt. ClimatePartner.com/[…]“ als klimaneutral zu verkaufen, wenn tatsächlich lediglich Waldschutzprojekte unterstützt werden, die zur Kompensation im Sinne einer Klimaneutralität ungeeignet sind.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 280,78 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 26.04.2023 zu bezahlen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, hinsichtlich Ziffer 1 des Tenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000 €, im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 30.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Unterlassungsansprüche im Zusammenhang mit dem Verkauf eines Milchmischgetränks als „klimaneutral“ geltend.
2
Der Kläger ist ein Umwelt- und Verbraucherschutzverband, der nach seiner Satzung unter anderem den Zweck verfolgt, die aufklärende Verbraucherberatung und -aufklärung in der Bundesrepublik Deutschland zu fördern.
3
Die Beklagte betreibt mit Filialen bundesweit den Einzelhandel mit Lebensmitteln.
4
Die Beklagte verkauft das Produkt „Cafèt Latte Cappuccino“ mit dem Symbol „Klimaneutral. Produkt. ClimatePartner.com/12805-2103-1003“. Die versprochene Klimaneutralität soll durch die ClimatePartner GmbH mithilfe von Waldschutzprojekten erreicht werden. Der angegebene Link führt zur Webseite der ClimatePartner GmbH, wo sich Angaben finden, wie die Klimaneutralität erreicht wird und wo sich die Waldschutzprojekte befinden.
5
Der Kläger behauptet, dass das Versprechen „Klimaneutralität“ nicht eingehalten werde. Die Waldschutzprojekte würden an sich schon ungeeignet sein, Klimaneutralität für ein Produkt zu erreichen und hätten darüber hinaus eine zu kurze Laufzeit, als dass diese CO2 dauerhaft binden und das Produkt somit langfristig nicht klimaneutral sei.
6
Darüber hinaus behauptet der Kläger, dass die auf der Webseite angegebenen Informationen nicht ausreichen würden, dass sich der Verbraucher ein ausreichendes Bild machen kann, wie die Klimaneutralität erreicht werden soll, etwa welche Standards zugrunde liegen, die noch dazu nicht reguliert und unabhängig entwickelt worden wären.
7
Der Kläger meint, bei der Bezeichnung des gegenständlichen Produkts als „klimaneutral“ handele es sich um eine unwahre Tatsache und damit als eine Irreführung der Verbraucher nach § 5 UWG.
8
Des Weiteren ist der Kläger der Meinung, dass die fehlenden weiterführenden Informationen als wesentliche Informationen i.S.d. § 5a UWG einzuschätzen sind und diese dem Verbraucher vorenthalten werden.
9
Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 30.03.2023 sowie dessen folgenden Repliken wurde daher folgendes beantragt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an den jeweils verantwortlichen Geschäftsführern der Beklagten, zu unterlassen, das Produkt „Cafét Latte Cappuccino“ (250 ml, Preis: 0,65 EUR, Hersteller: Molkerei Gropper GmbH & Co. KG) als klimaneutral mit dem Produktaufdruck „Klimaneutral Produkt ClimatePartner.com/12805-2103-1003“ und dem privaten Siegel der ClimatePartner GmbH zu bewerben.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 280,78 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
10
Die Beklagte beantragte mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 13.06.2023 und weiteren Repliken folgendes:

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

11
Die Beklagte bestreitet den durch den Kläger vorgetragenen Sachverhalt insofern als sie behauptet, dass die Klimaneutralität durch die Waldschutzprojekte erreicht werde.
12
Die Beklagte meint, dass keine Irreführung der Verbraucher vorliegt, da das Produkt tatsächlich klimaneutral sei.
13
Die Beklagte ist des Weiteren der Meinung, dass die geforderten Informationen nicht wesentlich i.S.d. § 5 a UWG sind und auch nicht rechtlich gefordert werden.
14
Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
15
Der Termin zur mündlichen Verhandlung fand am 22.01.2023 statt.
16
Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden allein ohne Handelsrichter einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

17
Die Klage ist zulässig und in der Sache begründet.
18
Der Kläger ist seit Oktober 2004 in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes eingetragen und somit aktivlegitimiert.
19
Dem Kläger steht der gegen die Beklagte geltend gemachte Unterlassungsanspruch gem. §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG zu, da die Werbung geeignet ist, durch Versprechen einer tatsächlich nicht gewährleisteten Klimaneutralität den Verbraucher über ein wesentliches Merkmal des Produkts irrezuführen.
I.
20
Unlautere geschäftliche Handlungen sind nach § 3 Abs. 1 UWG unzulässig. Wer eine solche unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Nach § 5 Abs. 1 UWG handelt unlauter, „wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte“.
21
Der Abdruck des Etiketts „Klimaneutral. Produkt. ClimatePartner.com/12805-2103-1003“ auf dem Produkt „Cafèt Latte Cappuccino“ mit dem Aufdruck stellt eine „geschäftliche Handlung“ i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 UWG und damit i.S.d. § 5 Abs. 1 UWG dar.
22
Diese gegenständliche Produktkennzeichnung ist gem. § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG irreführend, da sie mit unwahren, inhaltlich nachprüfbaren Angaben beworben wird. Bei der Etikettierung mit dem Symbol „[…] Klimaneutral […]“ handelt es sich anders als bei Begriffen wie „klimafreundlich“ um die nachprüfbare Aussage, dass etwas in der Summe CO2-neutral ist.
23
Allerdings ist die Angabe, das streitgegenständliche Produkt sei klimaneutral, unwahr und damit geeignet, den Verbraucher zu täuschen.
24
Der Verkehrskreis der gegenständlichen geschäftlichen Handlung besteht aus Verbrauchern, die vor der Entscheidung stehen, ein Milchmischgetränk zum Verkaufspreis von 0,65 EUR zu erwerben.
25
Das Verständnis des Verkehrskreises des Begriffs „klimaneutral“ stimmt mit der Realität überein. Die Beklagte täuscht nicht durch Verwendung des Begriffs „klimaneutral“ an sich, wenn diese statt von vornherein durch Vermeidung von CO2-Ausstoß ein klimaneutrales Produkt verkauft, sondern durch spätere Kompensation.
26
Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zufolge ist Werbung mit Umweltschutzbegriffen und -zeichen ähnlich wie die Gesundheitswerbung aufgrund der besonderen Geeignetheit, eine emotionale Kaufentscheidung hervorzurufen, grundsätzlich nach strengen Maßstäben zu beurteilen, weshalb ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis des Verkehrskreises besteht (NJW 1989, 711, 712). Wie bereits oben dargestellt, enthält der Begriff „klimaneutral“ anders als unscharfe Begriffe wie „umweltfreundlich“ die überprüfbare Aussage, dass ein Produkt CO2-neutral sei. Dem klägerseites zitierten Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig vom 30.06.2022 zufolge, versteht der durchschnittliche Verbraucher den Begriff „klimaneutral“ als ein Versprechen, dass ein Produkt unter ausgeglichener CO2-Bilanz produziert wurde, dem Verbraucher dabei aber bewusst ist, dass dies auch CO2-Neutralität durch spätere Kompensation bedeuten könnte.
27
Es besteht folglich keine Diskrepanz zwischen dem Verständnis des angesprochenen Verkehrskreises und der Aussage, ein Produkt sei klimaneutral.
28
Die Klimaneutralität kann im vorliegenden Fall nicht durch die Waldschutzprojekte gewährleistet werden. Wie im Tatbestand ausgeführt, ist zwischen den Parteien streitig, ob die Waldschutzprojekte mit begrenzter Laufzeit für eine tatsächliche Klimaneutralität des Produkts geeignet sind. Die Beklagte führt an, dass es sich bei den Waldschutzprojekten um nach internationalen Standards zertifizierte „REDD+“-Klimaschutzprojekte handelt. Es kann jedoch nicht dargelegt werden, inwiefern sichergestellt werden kann, wie zum einen die mindestens erforderliche Menge an CO2 die für das Produkt ausgestoßen wurde, gebunden wird, und zum anderen, dass das CO2 auch dauerhaft gebunden wird, demzufolge die Beklagte ihrer Beweislast nicht nachgekommen ist.
29
Die Irreführung weist auch geschäftliche Relevanz auf, da durch den Aufdruck „klimaneutral“ sich aufgrund des größer werdenden Umweltbewusstseins Verbraucher bei ähnlichem Preis wohl eher für das vermeintlich klimaneutrale und damit umweltfreundlichere Produkt entscheiden.
30
Zwar wurde die Bezeichnung „Klimaneutral“ inzwischen zu „ClimatePartner zertifiziert“ geändert, allerdings wurde der Aufdruck vor Änderung weiterhin verwendet. Die Wiederholungsgefahr ist damit gegeben.
31
Die Beklagte hat daher die beanstandete Vorgehensweise zu unterlassen.
II.
32
Abschließend sei noch angemerkt, dass eine Irreführung durch ein Vorenthalten wesentlicher Informationen i.S.d. § 5 a UWG dagegen nicht vorliegt. Zwar ist eine geschäftliche Handlung irreführend in diesem Sinne, wenn dem Verbraucher eine unter Berücksichtigung aller Umstände wesentliche Information vorenthalten wird, die er benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
33
Die Fragen nach den Standards der Zertifizierung als „klimaneutral“ sowie nach weiterführenden Informationen auf Webseiten sind aber nicht i.S.d. § 5a UWG vorenthalten worden.
34
Denn die geforderten tiefergehenden Informationen sind im vorliegenden Fall zur Überzeugung der Kammer gar nicht notwendig.
35
Der Verbraucher hat durch den direkt in der Aussage angegebenen Link auf eine Webseite die Möglichkeit, sich über Einzelheiten der Zertifizierung als klimaneutral zu informieren. Es wird auf der Webseite beschrieben, dass die Klimaneutralität durch Kompensation mithilfe verschiedener Waldprojekte erreicht wird, wo sich diese Projekte befinden und welche Laufzeit diese haben.
36
Auch das vom Kläger zitierte Urteil des OLG Schleswig kommt zum Ergebnis, dass „Angaben dazu, wie die beworbene Klimaneutralität erreicht wird, […] auch nicht aufgrund einer Abwägung der Interessen von Unternehmer und Verbraucher als wesentliche Information anzusehen“ sind.
37
Zudem liest sich die große Mehrheit der Verbraucher sich vor einem Kauf eines Produktes für 0,65 EUR nicht die einzelnen Bewertungsgrundlagen und Standards für die Zertifizierung als klimaneutral durch. Der Aufdruck enthält einen einfach einzutippenden Link, durch den sich ein interessierter Verbraucher über die verschiedenen Projekte und verwendeten Standards informieren kann.
III.
38
Begründet ist die Klage schließlich auch hinsichtlich der Abmahnkosten gemäß § 13 Abs. 3 UWG; diese erscheinen zumindest moderat und nicht übersetzt.
39
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.