Inhalt

LG Amberg, Endurteil v. 30.04.2024 – 13 O 432/23
Titel:

Erfolglose Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches wegen Weitergabe personenbezogener Daten zu Werbezwecken

Normenketten:
DSGVO Art. 6, Art. 15, Art. 17, Art. 82
BGB § 823, § 1004
Leitsatz:
Der geltend gemachte Schaden muss gerade durch die vermeintlichen Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung verursacht worden sein; bezüglich der Kausalität ist die Klagepartei nach allgemeinen Grundsätzen darlegungs- und beweispflichtig (Bestätigung von OLG Stuttgart BeckRS 2021, 6282). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klageantrag hinreichend bestimmt, Kausalität, Anspruch auf weitergehende Auskunft, Unterlassungsanspruch, Kostenentscheidung
Fundstelle:
GRUR-RS 2024, 11667

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Schadensersatz, Feststellung, Unterlassung und Auskunft aus behaupteten Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung.
2
Die Klägerin nutzt die Social-Media-Plattform facebook.com und instagram.
3
Die Beklagte ist Anbieterin dieser Plattformen auf dem Gebiet der Europäischen Union.
4
Die Dienste der Beklagten ermöglichen es den Nutzern, persönliche Profile für sich zu erstellen und diese mit Freunden zu teilen. Auf diesen persönlichen Profilen können die Nutzer Angaben zu verschiedenen Daten zu ihrer Person machen und im von der Beklagten vorgegebenen Rahmen darüber entscheiden, welche anderen Gruppen von Nutzern auf ihre Daten zugreifen können.
5
Mit vorgerichtlichem Schreiben vom 30.03.2023 wurde die Beklagte unter Darlegung der Sach- und Rechtslage zur Zahlung von 1.500,00 EUR Schadensersatz nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO und zur Unterlassung zukünftiger Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Klägerseite zu Zwecken zielgerichteter Werbung („targeted advertising“) sowie zur Auskunft entsprechend dem Klageantrag aufgefordert.
6
Mit Schreiben vom 10.05.2023 ging die Beklagte auf das außergerichtliche Schreiben der Klägerseite ein. Darin wurden alle Ansprüche abgelehnt. Es wurde behauptet, dass keine personenbezogenen Daten an Werbetreibende weitergegeben worden seien, da Werbeplätze mit einer Anonymisierung versehen wurden, sodass Art. 15 Abs. 1 lit. c) DSGVO keine Anwendung finde.
7
Die Klagepartei meint, die Beklagte habe gegen die DSGVO verstoßen, u. a. da sie personenbezogene Daten ohne Rechtsgrundlage verarbeite sowie diese unbefugten Dritten zugänglich gemacht habe.
8
Die Klägerin beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 EUR, ersatzweise an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft, oder einer an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, personenbezogene Daten der Gläubigerseite wie beispielsweise Telefonnummer, FacebookID, Familiennamen, Vornamen, Geschlecht, Bundesland, Land, Stadt, Beziehungsstatus und Nutzungsverhalten ohne Einholung einer Einwilligung der Gläubigerseite oder Erfüllung der gesetzlichen Erlaubnistatbestände zu Werbezwecken zu verarbeiten.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerseite Auskunft über die die Klägerseite betreffenden personenbezogenen Daten zu erteilen, die die Beklagte in Zusammenhang mit der individualisierten Werbung verarbeitet, namentlich:
a) Welche die Klägerseite betreffenden personenbezogenen Daten werden zu Werbezwecken verarbeitet?
b) Wie oft wurden die oben genannten Daten jeweils verarbeitet?
c) Welche die Klägerseite betreffenden personenbezogenen Daten werden zu Werbezwecken an Dritte weitergeleitet oder auf welche andere Weise werden der Klägerseite nach ihren Daten spezifizierte Werbeanzeigen zugspielt?
d) Im Falle der Weiterleitung von Daten an Dritte: Wann – zu welchem Zeitpunkt oder in welchem Zeitraum – sind diese die Klägerseite betreffenden personenbezogenen Daten weitergeleitet worden?
e) Im Falle der Weiterleitung von Daten an Dritte: Wie oft wurden diese die Klägerseite betreffenden, personenbezogenen Daten an Dritte weitergeleitet?
f) Im Falle der Weiterleitung von Daten an Dritte: Wurden personenbezogene Daten zu Werbezwecken in ein Drittland übermittelt und welche geeigneten Garantien gemäß Artikel 46 DSGVO bestanden dafür?
g) Im Falle keiner Weiterleitung an Dritte, sondern eigener Verarbeitung zu Werbezwecken: Wie, also nach welchem (technischen) Verfahren, werden die personenbezogen Daten der Klägerseite zu Werbezwecken ausgewertet?
h) Welche Daten werden zu zielgerichteten Werbezwecken (targeted advertising) bei der Benutzung von WhatsApp gesammelt? Abhängig von der erteilten Auskunft, wird im Wege der Stufenklage beantragt werden:
3. Die Beklagte hat die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben an Eides Statt zu versichern.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite als Ausgleich für Datenschutzverstöße einen immateriellen Schadensersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von 1.500 EUR aber nicht unterschreiten sollte – wobei die genaue Höhe erst nach Erteilung der Auskunft bestimmt werden kann – nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
9
Ferner wird beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, die Klägerseite von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 713,67 EUR zuzüglich Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gegenüber den Prozessbevollmächtigten der Klägerseite freizustellen.
10
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
11
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 12.03.2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
A.
13
Die Klage ist zulässig.
14
Der Klageantrag ist hinreichend bestimmt gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
15
Grundsätzlich ist ein Klageantrag hinreichend bestimmt, wenn er den erhobenen Anspruch durch Bezifferung oder gegenständliche Beschreibung so konkret bezeichnet, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308) klar abgegrenzt ist, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322) erkennbar sind, das Risiko des (eventuellen teilweisen) Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abgewälzt und eine etwaige Zwangsvollstreckung nicht mit einer Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren belastet wird. Der Klageantrag ist der Auslegung zugänglich, wobei dafür auch die Klagebegründung heranzuziehen ist (vgl. Zöller ZPO, 33. Auflage, § 253 Rn. 13).
B.
16
Die Klage ist jedoch vollumfänglich unbegründet.
I.
17
Es besteht kein Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines immateriellen Schadensersatzes gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO.
18
Nach dem klägerischen Vortrag liegt schon kein kausaler Schaden vor.
19
Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 DSGVO muss ein Schaden tatsächlich „entstanden“ sein. Zwar ist der Schadensbegriff der DSGVO nach dem Erwägungsgrund 146 S. 3 DSGVO weit auszulegen. Schadenersatzforderungen sollen abschrecken und weitere Verstöße unattraktiv machen (Bergt: in Kühling/Buchner, DS-GVO/BDSG, 3. Aufl., Art. 82 Rdn. 17.; Schaffland, Holthaus in: Schaffland/Wiltfang, Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)/Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), Artikel 82 Haftung und Recht auf Schadenersatz Rn. 10 b). Darüber hinaus soll gewährleistet werden, dass die tatsächlich Betroffenen wirksamen Ersatz erlangen.
20
Ein bloßer Verstoß gegen die Vorschriften der DSGVO alleine reicht jedoch nicht aus, um einen Anspruch auf Schadensersatz zu begründen. Erforderlich ist vielmehr die konkrete Darlegung eines individuellen Schadens. Nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 04.05.2023, Az.: C-300/21) ist der Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO an drei kumulative Voraussetzungen geknüpft, nämlich an einen Verstoß gegen die DSGVO, das Vorliegen eines materiellen oder immateriellen Schadens und einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Schaden und Verstoß.
21
Daran fehlt es vorliegend.
22
Es fehlt an der Kausalität. Der geltend gemachte Schaden muss gerade durch die vermeintlichen Verstöße gegen die DSGVO verursacht worden sein. Bezüglich der Kausalität ist die Klagepartei nach allgemeinen Grundsätzen darlegungs- und beweispflichtig (OLG Stuttgart, Urteil vom 31. März 2021, Az. 9 U 34/21, BeckRS 2021, 6282, Rn. 60 f.).
23
Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den „Scraping-Fällen“ deutlich.
24
Eine Verbindung zum Datenleck erscheint vorliegend eher unwahrscheinlich, sodass hinsichtlich der geltend gemachten Schäden ein kausaler Zusammenhang zu einem Handeln und/oder Unterlassen der Bekalgtenseite nicht sicher angenommen werden kann.
25
Aufgrund der vorgenannten Ausführungen kam es auf die Frage, ob und inwieweit die Beklagte gegen die DSGVO verstoßen hat, nicht an.
II.
26
Auch besteht kein Anspruch der Klägerin auf immateriellen Schadensersatz für die Nichterteilung einer der gesetzlichen Anforderungen entsprechenden außergerichtlichen Datenauskunft.
27
Dieser Anspruch scheitert bereits daran, dass Art. 15 DSGVO, auf den die Klagepartei ihren vermeintlichen Anspruch stützt, nicht vom Anwendungsbereich des Art. 82 DSGVO erfasst ist. Jedenfalls aber besteht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO deshalb nicht, weil ein Verstoß gegen Art. 15 DSGVO hier nicht vorliegt.
III.
28
Die Klagepartei hat auch keinen Anspruch auf weitergehende Auskunft aus Art. 15 DSGVO.
29
Art. 15 Abs. 1 DSGVO verpflichtet den Verantwortlichen lediglich zur Auskunft in Bezug auf die eigene Verarbeitungstätigkeit.
V.
30
Es bestehen auch kein Unterlassungsanspruch der Klagepartei gegen die Beklagte gemäß dem Antrag in Ziffer 4 aus § 1004 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 6 Abs. 1 DSGVO, Art. 17 DSGVO oder sonstigem Rechtsgrund.
31
Konkrete Umstände aus denen sich eine Wiederholungsgefahr nach dem relevanten Vorfall ergeben könnte sind nicht ersichtlich.
VI.
32
Mangels begründeter Hauptforderungen sind auch die Nebenforderungen unbegründet.
C.
33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
D.
34
Die Entscheidung über die vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.