Inhalt

LG München I, Endurteil v. 15.12.2023 – 21 O 15301/22
Titel:

Patentverletzungsklage bei standardessenziellem Patent

Normenketten:
PatG § 3, § 4, § 9, § 10, § 139, § 140, § 140a, § 140b
EPÜ Art. 64
BGB § 242, § 259, § 315
AEUV Art. 102
ZPO § 148, § 156, § 296a
Leitsätze:
1. Mobiltelefone, die mit dem EVS-Standard kompatibel sind, verletzen das Patent für eine Vorrichtung zum Schätzen der Tonalität eines Schallsignals.  (Rn. 55 und 74) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Umstand, dass ein Patentverwerter einen Unterlassungsanspruch geltend macht, ist für sich gesehen nicht geeignet, diesen als unverhältnismäßig einzustufen (Anschluss an LG München I GRUR-RS 2022, 34498 – keepawake-message). (Rn. 88) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Anspruch auf Rückruf besteht auch gegen eine im Ausland ansässige Verpflichtete (Anschluss an BGHZ 215, 89 = GRUR 2017, 785 – Abdichtsystem). (Rn. 100) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Inhaber eines standardessenziellen Patents missbraucht seine marktbeherrschende Stellung nicht durch eine Patentverletzungsklage, wenn er dem angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen unterbreitet hat und dieser das Patent weiter benutzt, ohne auf das Lizenzangebot mit Sorgfalt zu reagieren (Anschluss an EuGH EuGH GRUR 2015, 764 – Huawei Technologies/ZTE).     (Rn. 90 und 105) (redaktioneller Leitsatz)
5. Im Verletzungsprozess ist nicht der richtige Preis für eine Lizenz zu ermitteln (Fortführung von LG München I GRUR-RS 2023, 24247 - Tonalitätsschätzung).  (Rn. 120) (redaktioneller Leitsatz)
6. Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage sind als solche kein Grund, das Verfahren auszusetzen (Anschluss an BGH GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug).     (Rn. 160) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
bestimmende Schriftsätze, Mittelbare Patentverletzung, Prozeßbevollmächtigter, Kartellrechtlicher Zwangslizenzeinwand, Kartellrechtlicher Anspruch, Gesamtschuldner, Nichtigkeitsklage, Nicht nachgelassener Schriftsatz, Frist zur Klageerwiderung, Lizenzbereitschaft, Unterlassungsanspruch, Unverhältnismäßigkeit, Patentverletzungsprozeß, gewerblicher Rechtsschutz, Standardessenzielle Patente, Patentanspruch, Bundespatentgericht, Treu und Glauben, Lizenzverträge, Nichtigkeitsurteil
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 53240

Tenor

I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. es bei Meldung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgelds bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft am jeweiligen gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu vollstrecken ist,
zu unterlassen,
a) mobile Endgeräte mit einer Vorrichtung zum Schätzen einer Tonalität eines Schallsignals
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
wobei die Vorrichtungen jeweils umfassen:
-
einen Berechner zum Berechnen eines aktuellen Residualspektrums des Schallsignals durch Subtrahieren einer Spektrumsuntergrenze von einem Spektrum des Schallsignals in einem aktuellen Rahmen;
-
einen Detektor zum Erkennen von Spitzen im aktuellen Residualspektrum;
-
einen Berechner zum Berechnen einer Korrelationskarte zwischen dem aktuellen Residualspektrum und einem vorherigen Residualspektrum für jede erkannte Spitze; und
-
einen Berechner zum Berechnen einer Langzeit-Korrelationskarte basierend auf der berechneten Korrelationskarte, wobei die Langzeit-Korrelationskarte eine Tonalität im Schallsignal anzeigt;
(Anspruch 19 i.d.F. des Nichtigkeitsurteils vom 6.12.2021, unmittelbare Patentverletzung)
b) mobile Endgeräte,
welche dazu geeignet sind, ein Verfahren zum Schätzen der Tonalität eines Schallsignals durchzuführen,
Dritten, die zur Nutzung der Lehre des EP 2 162 880 nicht berechtigt sind, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,
wobei das Verfahren umfasst:
-
Berechnen eines aktuellen Residualspektrums des Schallsignals durch Subtrahieren einer Spektrumsuntergrenze von einem Spektrum des Schallsignals in einem aktuellen Rahmen;
-
Erkennen von Spitzen im aktuellen Residualspektrum;
-
Berechnen einer Korrelationskarte zwischen dem aktuellen Residualspektrum und einem vorherigen Residualspektrum für jede erkannte Spitze; und
-
Berechnen einer Langzeit-Korrelationskarte basierend auf der berechneten Korrelationskarte, wobei die Langzeit-Korrelationskarte eine Tonalität im Schallsignal anzeigt;
(Anspruch 1 i.d.F. des Nichtigkeitsurteils vom 6.12.2021, mittelbare Patentverletzung).
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 27. September 2019 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 27. September 2019 begangen haben, und zwar unter Angabe:
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet sowie bei Internetwerbung der Internetadressen, der Schaltungszeiträume und der Zugriffszahlen,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob eine bestimmte Lieferung oder ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
4. die vorstehend zu Ziffer I.1.a) bezeichneten, seit dem 27. September 2019 im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse zurückzurufen.
II. Die Beklagte zu 2 wird verurteilt, die in der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz bzw. Eigentum der Beklagten zu 2 befindlichen Erzeugnisse gemäß Ziffer I.1.a) zu vernichten, oder an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 27. September 2019 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
IV. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
V. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar wie folgt:
-
Ziffern I.1., I.4. und II. einheitlich in Höhe von 575.000,00 €,
-
Ziffern I.2. und I.3. einheitlich in Höhe von 50.000,00 €,
-
Ziffer IV. in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.

Tatbestand

1
Die Klägerin ist Inhaberin des nationalen deutschen Teils des europäischen Patents ... (Anlage WKS 4, nachfolgend: Klagepatent) und nimmt die Beklagten wegen unmittelbarer Patentverletzung des Anspruchs 19 und mittelbarer Patentverletzung des Anspruchs 1 des Klagepatents in Anspruch.
2
Das Klagepatent wurde am 20.06.2008 angemeldet. Die Veröffentlichung der Anmeldung fand am 17.03.2010 statt. Die Veröffentlichung und Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung erfolgten am 24.12.2014. Das Klagepatent wurde mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt.
3
Das Bundespatentgericht hat das Klagepatent in dem Verfahren 4 Ni 10/21 (EP) zwischen der hiesigen Klägerin als Nichtigkeitsbeklagten und einer dritten Partei als Nichtigkeitsklägerin mit Urteil vom 06.12.2021 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland eingeschränkt aufrechterhalten (Anlage WKS 3). Die Nichtigkeitsklägerin hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Die Klägerin macht die vorgenannten Ansprüche in der durch das Patentgericht eingeschränkten Fassung geltend.
4
In der durch das Bundespatentgericht eingeschränkt aufrecht erhaltenen Fassung lautet Anspruch 1 des Klagepatents in der maßgeblichen englischen Fassung wie folgt (Einschränkungen unterstrichen):
A method for estimating a tonality of a sound signal, the method comprising:
calculating a current residual spectrum of the sound signal by subtracting a spectral floor from a spectrum of the sound signal in a current frame; 
detecting peaks in the current residual spectrum;
calculating a correlation map between the current residual spectrum and a previous residual spectrum for each detected peak; and
calculating a long-term correlation map based on the calculated correlation map, the long-term correlation map being indicative of a tonality on the sound signal.
5
Patentanspruch 19 des Klagepatents lautet in der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache in der durch das Bundespatentgericht einschränkt aufrecht erhaltenen Fassung wie folgt (Einschränkungen unterstrichen):
A device for estimating a tonality of a sound signal, the device comprising:
a calculator for calculating a current residual spectrum of the sound signal by subtracting a spectral floor from a spectrum of the sound signal in a current frame; 
a detector for detecting peaks in the current residual spectrum;
a calculator for calculating a correlation map between the current residual spectrum and a previous residual spectrum for each detected peak; and
a calculator for calculating a long-term correlation map based on the calculated correlation map, the long-term correlation map being indicative of a tonality in the sound signal.
6
Die Beklagte zu 1 ist Herstellerin von u.a. LTE-fähigen Smartphones. Ihre Smartphones bewirbt und vertreibt sie weltweit unter der Bezeichnung .... Die Beklagte zu 2 gehört zum ... Konzern und fungiert für die Beklagte zu 1 u.a. als Importeurin, Verkäuferin und Kontaktadresse in der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte zu 2 ist u.a. verantwortlich für den Internetauftritt unter der Subdomain .... Dort bewirbt sie die Endgeräte der Beklagten zu 1 für den deutschen Markt und vertreibt diese in dem zugehörigen Online-Shop an Kunden in Deutschland. Diese Endgeräte implementieren zumindest in Deutschland einen Codierer für den Codec for Enhanced Voice Services („EVS-Coder“). Mobile Endgeräte, die einen EVS-Coder implementieren, müssen das Verfahren der ETSI-Spezifikation Universal Mobile Telecommunications System (UMTS); LTE; Codec for Enhanced Voice Services (EVS); Detailed algorithmic description (GPP TS 26.445) umsetzen (kurz „EVS-Standard“). Der LTE-Standard bezieht sich seit dem Release 12 auf den EVS Standard. Die Vorgaben des EVS-Standards sind seitdem hinsichtlich der streitgegenständlichen Funktionalität in den Folge-Releases (13, 14 und 15) unverändert geblieben. Die Netzbetreiber ... ... ermöglichen die Sprachcodierung mittels EVS in Deutschland bei Wi-Fi Calling (Mobiltelefonie über ein WLAN-Netzwerk) und bei Voice over LTE/VoLTE.
7
Vorgaben für den EVS-Codec im 4G LTE Advanced Pro-Standard sind in der 3GPP TS 26. 445 Version 14. 2. 0 Release 14 festgelegt. Die hier relevanten Passagen des Abschnitts 5.1.11.2.5 („Tonal stability“) des EVS-Standards umfassen normativ verbindliche Vorgaben und sind auszugsweise in der Anlage WKS 8 enthalten. Sie werden in den Entscheidungsgründen auszugsweise wiedergegeben.
8
Die Klägerin meint, dass die angegriffenen Ausführungsformen das Klagepatent in Anspruch 1 unmittelbar und in Anspruch 19 mittelbar verletzten. Der FRAND-Einwand der Beklagten habe keinen Erfolg, so dass der begehrte Unterlassungsanspruch auszusprechen sei.
9
Die Klägerin stellt zuletzt im Wesentlichen die Klageanträge wie tenoriert (Terminprotokoll vom 27.09.2023, Bl. 474 d. A.), zusätzlich dazu als Hilfsanträge zu verstehende „insbesondere“-Anträge bezogen auf die Unteransprüche 2, 5, 20 und 21 in der Fassung des Nichtigkeitsurteils vom 06.12.2021. Die Hilfsanträge sind hier nicht wiedergegeben.
10
Die Beklagte beantragt: 
1.
Klageabweisung,
2.
hilfsweise: das Verfahren wird bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die anhängige Nichtigkeitsklage gegen den deutschen Teil des EP 2 162 880 ausgesetzt.
11
Die Klägerin wendet sich gegen eine Aussetzung des Verfahrens.
12
Die Beklagten sind im Wesentlichen der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagepatent nicht. Jedenfalls sei das Verfahren im Hinblick auf die Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 2 vom ... (Anlage BT04) auszusetzen. Den Beklagten stünde gegen die Klägerin der FRAND-Einwand zu.
13
Das hiesige Verfahren ist durch Abtrennung der mit Klageerweiterung vom 12.12.2022 im Ursprungsverfahren Az. 21 O .../22 geltend gemachten Ansprüche entstanden (Beschluss vom 13.12.2022, Bl. 52 f. d.A.). Schriftsätze aus dem Ursprungsverfahren (21 O .../22) betreffend den kartellrechtlichen Einwand der Beklagten hat die Kammer ebenfalls berücksichtigt.
14
Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlungen vom 27.09.2023 ebenso wie auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen Bezug genommen.
15
Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung haben die Beklagten den nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14.12.2023 eingereicht.

Entscheidungsgründe

16
Die zulässige Klage ist begründet.
A.
17
Die Klage ist zulässig.
18
I. Das Landgericht München I ist zuständig (§ 143 PatG, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, § 32 ZPO i.V.m. § 38 Nr. 1 BayGZVJu).
19
II. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, § 256 Abs. 1 ZPO. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten ist vor Erteilung der Auskunft noch nicht bezifferbar.
B.
20
Die Patentverletzungsklage ist hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsformen begründet (II. und III.).
21
I.1. Das Klagepatent betrifft die Schallaktivitätserkennung, Schätzung von Hintergrundrauschen und die Schallsignalklassifizierung, wobei Schall („sound“) in diesem Zusammenhang als ein nützliches Signal verstanden wird. Die Erfindung bezieht sich auch auf eine entsprechende Vorrichtung zu Schallaktivitätserkennung, Schätzung von Hintergrundrauschen und Schallsignalklassifizierung, [0001].
22
Es befasst sich insbesondere mit der effizienten Codierung von Schallsignalen. Zu der Umwandlung eines analogen Schallsignals in ein digitales Signal erläutert [0004], dass ein Encoder („sound encoder“) ein Schallsignal (Sprache oder Audio) in einen digitalen Bitstrom umwandle. Der Bitstrom könne über einen Kommunikationskanal übertragen oder auf einem Speichermedium gespeichert werden. Das analoge Schallsignal werde hierbei im Codierer digitalisiert, d.h. es werde durch Abtastung in ein zeitdiskretes Signal überführt (Sampling) und quantisiert [d.h. in ein wertdiskretes Signal umgeformt, „quantized“], üblicherweise mit 16 Bits pro Sample. Aufgabe des Codierers sei es dabei, Abtastwerte mit einer geringeren Anzahl von Bits zu repräsentieren, dabei aber gleichzeitig eine subjektiv gute Schallqualität aufrechtzuerhalten. Der Decoder verarbeite den übertragenen oder abgespeicherten Bitstrom und wandle ihn in ein [analoges] Schallsignal zurück, [0004].
23
Die Klagepatentschrift erläutert in [0002] u.a., dass die patentgemäße Vorrichtung zur Schallsignalklassifizierung benutzt werde, um zwischen verschiedenen Sprachsignalklassen und Musik zu differenzieren, um eine effizientere Encodierung von Schallsignalen zu ermöglichen. Die Tonalitätsschätzung werde benutzt, um die Leistung der Schallaktivitätserkennung bei Musiksignalen zu verbessern, und um besser zwischen stimmlosen Tönen („unvoiced sounds“) und Musik unterscheiden zu können. Zum Beispiel könne die Tonalitätsschätzung in einem super-Weitband-Codec genutzt werden, um das Codiermodell zu bestimmen, um das Signal oberhalb von 7 kHz zu codieren, [0002].
24
Die Codierungstechnik CELP (Code-Excited Linear Prediction) sei eine der besten bekannten Techniken, um einen guten Kompromiss zwischen subjektiver Qualität und Bitrate zu erzielen, [0005]. Die Klagepatentschrift beschreibt die CELP-Technik in [0005] näher.
25
Die quellengesteuerte bitratenvariable Sprachcodierung (VBR, source-controlled variable bit rate) erhöhe die Systemkapazität signifikant. In Abhängigkeit von der Art des Eingangssignals (stimmhaft, stimmlos, Übergang, Hintergrundrauschen), nutze der Codec ein Signalklassifizierungsmodul und für jeden Sprachrahmen das zugehörige optimierte Codierermodell. Für jede Klasse könnten des Weiteren unterschiedliche Bitraten genutzt werden. Die bei VBR verwendeten Techniken Spracherkennungsdetektion (VAD, Voice Activity Detection), diskontinuierliche Übertragung (DTX, Discontinuous Transmission) und Komfortrauscherzeugung (CNG, Comfort Noise Generation) reduzierten die durchschnittliche Bitrate deutlich, [0006].
26
2. Die Klagepatentschrift kritisiert an dem im Stand der Technik bekannten, mit Sprachsignalen gut funktionierenden VAD-Algorithmus, dass er Probleme bereiten könne, wenn Musikabschnitte des Schallsignals versehentlich als stimmlose Signale oder als stabiles Hintergrundrauschen klassifiziert würden, [0006].
27
3. Die Klagepatentschrift beschreibt es vor diesem Hintergrund in [0006] als vorteilhaft, den VAD-Algorithmus so zu erweitern, dass er Musiksignale besser von anderen Signalen unterscheiden könne. Das Klagepatent bezeichnet diese Erweiterung als Schallsignalerkennungsalgorithmus (SAD, sound activity detection), wobei Schall („sound“) sowohl Sprache als auch Musik oder jedes andere nützliche Signal umfasse. Des Weiteren solle eine Methode für eine Tonalitätserkennung beschrieben werden, die genutzt werden könne, um die Leistung des SAD-Algorithmus hinsichtlich Musiksignalen zu verbessern.
28
Aus dieser subjektiven Aufgabenstellung lässt sich die objektive Aufgabe ableiten, den VAD-Algorithmus zu verbessern.
29
4. Gelöst werden soll diese Aufgabe zum Beispiel durch den Gegenstand des unabhängigen Verfahrensanspruchs 1 und des nebengeordneten Vorrichtungsanspruchs 19.
30
Anspruch 1 der geltend gemachten Fassung gliedert die Kammer in Übereinstimmung mit dem Patentgericht wie folgt:

1.1

Verfahren zum Schätzen der Tonalität eines Schallsignals, wobei das Verfahren umfasst:

1.2

Berechnen eines aktuellen Residualspektrums des Schallsignals;

2.2.3

durch Subtrahieren eines spektralen Untergrunds von einem Spektrum des Schallsignals in einem aktuellen Rahmen;

1.3

Erkennen von Spitzen im aktuellen Residualspektrum;

1.4

Berechnen einer Korrelationskarte zwischen dem aktuellen Residualspektrum und einem vorherigen Residualspektrum für jede erkannte Spitze; und

1.5

Berechnen einer Langzeit-Korrelationskarte basierend auf der berechneten Korrelationskarte, wobei die Langzeit-Korrelationskarte eine Tonalität im Schallsignal anzeigt.

31
Anspruch 19 der geltend gemachten Fassung gliedert die Kammer in Übereinstimmung mit dem Patentgericht wie folgt:

19.1

Vorrichtung zum Schätzen der Tonalität eines Schallsignals, wobei die Vorrichtung umfasst:

19.2

einen Berechner zum Berechnen eines aktuellen Residualspektrums des Schallsignals;

20.2.3

durch Subtrahieren eines spektralen Untergrunds von einem Spektrum des Schallsignals in einem aktuellen Rahmen;

19.3

einen Detektor zum Erkennen von Spitzen im aktuellen Residualspektrum;

19.4

einen Berechner zum Berechnen einer Korrelationskarte zwischen dem aktuellen Residualspektrum und einem vorherigen Residualspektrum für jede erkannte Spitze; und

19.5

einen Berechner zum Berechnen einer Langzeit-Korrelationskarte basierend auf der berechneten Korrelationskarte, wobei die Langzeit-Korrelationskarte eine Tonalität im Schallsignal anzeigt.

32
5. Figur 3 des Klagepatents zeigt das Prinzip der Berechnung der Spektrumsuntergrenze und das Residualspektrum anhand eines Ausführungsbeispiels (mit Kolorierungen und Anmerkungen durch das Patentgericht wiedergegeben, Anlage WKS 3, S. 18):
33
Gezeigt sind das originäre Energiespektrum, dessen Spektrumsuntergrenze, und das Residualspektrum. Anspruchsgemäß wird das Residualspektrum aus dem Energiespektrum berechnet (Merkmal 1.2), indem vom Spektrum des Schallsignals eine Spektrumsuntergrenze subtrahiert wird (Merkmal 2.2.3). Im aktuellen Residualspektrum werden nach Merkmal 1.3 Spitzen erkannt, für die nach Merkmal 1.4 jeweils Korrelationskarten berechnet werden. Basierend auf der berechneten Korrelationskarte wird nach Merkmal 1.5 eine Langzeit-Korrelationskarte berechnet, die eine Tonalität im Schallsignal anzeigt.
34
Die Berechnung einer Korrelationskarte für einen aktuellen Frame ist in Figur 4 gezeigt (mit Anmerkungen und Kolorierungen durch das Patentgericht wiedergegeben, Anlage WKS 3, S. 20):
35
Die nachfolgend eingeblendete Abbildung der Klagepatentschrift (Figur 5) ist ein Beispiel eines funktionellen Blockdiagramms eines Signalklassifizierungsalgorithmusses, [0014]. Die Figur zeigt die Einbettung des Verfahrens zum Schätzen der Tonalität in den Prozess der Signalklassifizierung bei der Unterscheidung zwischen stimmloser Sprache und Musik (mit Kommentierungen durch das Patentgericht, Anlage WKS 3, S. 14):
36
6. Angesprochene Fachperson ist nach der Definition des Patentgerichts, der die Kammer sich mit der Klägerin anschließt, eine Person mit einem universitären Abschluss (Master oder Diplom) eines Ingenieurstudiums der Elektro-, Nachrichten- oder Informationstechnik sowie mit mehreren Jahren Berufserfahrung auf dem Gebiet der Audiocodierung unter Berücksichtigung von Sprache und Musik in Schallsignalen als Ausdruck der Dauer einzelner Töne (Urteil des Patentgerichts, Anlage WKS 3, S. 15). Auch wenn die Beklagten an einer leicht abweichenden Bestimmung der Fachperson festhalten, schließt sich die Kammer (abgesehen von kleineren sprachlichen Unterschieden) in der Sache der Definition des Patentgerichts an und legt diese im Folgenden zugrunde.
37
7. Folgende Merkmale bedürfen näherer Erläuterung.
38
a) „Tonalität“ im Sinne der Merkmale 1.1, 1.5 und 19.1, 19.5 versteht die Fachperson als Synonym des Begriffs „tonale Stabilität“. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten (Klageerwiderung Rn. 29) beschränkt sich der Begriff der Tonalität dabei jedoch nicht auf die zeitliche Stabilität im Sinne eines einzelnen Frames, sondern bezieht sich auch auf die Betrachtung mehrerer aufeinanderfolgender Frames.
39
aa) Ausgangspunkt für das richtige Verständnis des Schutzbereichs eines Patents sind die Ansprüche des Patents, Art. 69 Abs. 1 EPÜ. Zur Bestimmung des Schutzbereichs bedürfen Patentansprüche der Auslegung. Patentschriften bilden dabei grundsätzlich ihr eigenes Lexikon (vgl. zu letzterem BGH GRUR 1999, 909, 912 – Spannschraube; z.B. BGH GRUR 2015, 972, 974, Rn. 22 m.w.N. – Kreuzgestänge). Maßgeblich ist, wie die Fachperson einen Begriff im Kontext der geltend gemachten Ansprüche nach Lektüre der Klagepatentschrift versteht.
40
(2) Die Fachperson erkennt, dass nach der Lehre des Klagepatents die „Tonalität“ genutzt werden soll, um besser zwischen Sprache und Musik unterscheiden zu können, und aufbauend hierauf eine bessere Codierung zu erzielen. Daher versteht sie, dass Gegenstand der Tonalität die Dauer oder Stabilität einzelner Töne ist. Der Begriff der Tonalität ist hierbei nicht auf ein einen einzelnen Rahmen beschränkt. Ein solches Verständnis ist im Wortlaut des Patentanspruchs nicht angelegt, da Merkmal 19.1, anders als Merkmal 20.2.3, eine solche Einschränkung nicht vorsieht. Dies widerspräche auch dem Funktionsgehalt des Patents, da dieses gerade die Ermittlung der zeitlichen Stabilität lehrt und somit über einen einzelnen Rahmen hinausgehend die sich ergebenden Spitzen vergleicht. Eine Beschränkung der Ermittlung auf die Tonalität innerhalb eines Rahmens würde diesem Zweck ersichtlich zuwiderlaufen, da gerade durch die Langzeitkorrelation (s. Merkmal 1.5) die Tonalität des Schallsignals bestimmt wird. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Lehre des Klagepatents auf nur einen Rahmen beschränkt sein sollte, wo es doch dem Klagepatent darum geht, die Entwicklung eines Schallsignals im zeitlichen Verlauf zu analysieren.
41
bb) Das erläuterte Verständnis steht im Einklang mit den in [0097] ff. einerseits und [0149] ff. andererseits erläuterten Ausführungsbeispielen. Die Fachperson versteht vor dem oben genannten Hintergrund, dass beide Ausführungsbeispiele des Klagepatents die anspruchsgemäße „Tonalität“ adressieren.
42
Werden in der Beschreibung mehrere Ausführungsbeispiele als erfindungsgemäß vorgestellt, sind die im Patentanspruch verwendeten Begriffe im Zweifel so zu verstehen, dass sämtliche Ausführungsbeispiele zu ihrer Ausfüllung herangezogen werden können (BGH GRUR 2015, 972, 974, Rn. 23 – Kreuzgestänge). Eine Situation, in der aufgrund der konkreten Anspruchsformulierung ein Verständnis ausscheidet, das alle Ausführungsbeispiele erfassen würde, ist seltenen Ausnahmefällen vorbehalten (vgl. BGH GRUR 2015, 159 Zugriffsrechte; BGH GRUR 2015, 868 Polymerschaum I; BGH GRUR 2015, 875 Rotorelemente; BGH GRUR 2015, 972 Kreuzgestänge).
43
Mit Blick auf die tonale Stabilität erläutert insbesondere [0097], dass sich die tonale Stabilität die tonale Natur von Musiksignalen zu eigen mache. Ein typisches Musiksignal umfasse Töne, die über mehrere, aufeinanderfolgende Rahmen stabil seien. Die tonale Natur wird mithin mit einer Stabilität über mehrere (aufeinanderfolgende) Rahmen gleichgesetzt. [0097] erläutert weiter, dass tonale Stabilität anhand einer Korrelation zwischen den spektralen Spitzen in dem aktuellen Rahmen und denen in einem vorhergehenden Rahmen erkannt werde, wie es Merkmal 1.5 des Anspruchs 1 adressiert. [0097] greift mithin einen Kerngedanken der patentgemäßen Erfindung auf und erklärt sie in den folgenden Absätzen weiter.
44
c) Merkmal 1.3 adressiert ein Erkennen von Spitzen im aktuellen Residualspektrum, Merkmal 19.3 entsprechend einen Detektor zum Erkennen von Spitzen im aktuellen Residualspektrum. Für die (gemäß Merkmal 1.3) erkannten Spitzen im Residualspektrum wird nach Merkmal 1.4 eine Korrelationskarte berechnet.
45
Maßgeblich ist nach Anspruch 1/Anspruch 19 das Erkennen von Spitzen „im aktuellen Residualspektrum“. Die erkannten Spitzen müssen demnach im aktuellen Residualspektrum vorliegen. Entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Duplik Rn. 14) adressiert der Anspruch nicht, wie diese Spitzen erkannt werden, d.h. anhand der Analyse welchen Spektrums der Schritt des Erkennens erfolgt. Weder nach Wortlaut noch nach Wortsinn ist dieses Erkennen auf eine Analyse des Residualspektrums beschränkt. Ausreichend ist vielmehr, dass die erkannten Spitzen im Residualspektrum liegen.
46
[0099] ff. erläutert, dass Minima im Schallsignalspektrum gefunden werden (Schritt 2 der Schätzung der tonalen Stabilität), um die Spektrumsuntergrenze zu bilden, [0101] (Schritt 2 der Schätzung der tonalen Stabilität). Das Erkennen von Spitzen im Residualspektrum erläutert die Beschreibung hier nicht explizit. Für die Fachperson ist damit offen, ob Spitzen im Residualspektrum anhand des Residualspektrums erkannt werden müssen, oder ob sie anhand des Signalspektrums erkannt werden dürfen. Die Ermittlung von Spitzen anhand des Residualspektrums (EdB, res) in [0156] beschränkt den Anspruch nicht.
47
c) Merkmal 1.4 sieht das Berechnen einer Korrelationskarte zwischen dem aktuellen Residualspektrum und einem vorherigen Residualspektrum für jede erkannte Spitze vor, Merkmal 19.4 einen entsprechenden Berechner. Die Korrelationskarte nach Merkmal 1.4 betrachtet, ob an der Position, an der sich im aktuellen Rahmen eine Spitze befindet, sich in einem Residualspektrum eines vorherigen Rahmens ebenfalls eine Spitze befindet. Beispielhaft wird dieser Vorgang in der ersten Abbildung der Figur 4 gezeigt. Die eigentliche Berechnung erfolgt anhand der Gleichung (33), [0105].
48
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dabei nicht zwingend erforderlich, dass für jede erkannte Spitze eine eigene Korrelationskarte ermittelt wird. Zwar ließe sich der Wortlaut von Merkmal 4 i.V. mit Merkmal 4.1 so verstehen („Berechnen einer Korrelationskarte [...] für jede erkannte Spitze“). Vor dem Hintergrund der Gesamtoffenbarung des Streitpatents ergibt sich jedoch, dass nicht etwa für jede erkannte Spitze eine eigene Korrelationskarte berechnet wird, sondern dass für jedes neue (aktuelle) Residualspektrum eine Korrelationskarte berechnet wird, die mindestens so viele Einträge (Werte) aufweist, wie Spitzen im aktuellen Residualspektrum erkannt wurden (ebenso Urteil des Patentgerichts, WKS 3, S. 18). Dies ergibt sich insbesondere auch aus [0105], dem zufolge für jede Spitze eine normalisierte Korrelation berechnet wird, sowie aus Figur 4. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, welchen Sinn es haben soll, für jede Spitze eine eigene Korrelationskarte zu berechnen. Anspruchsgemäß ist mithin, dass jede Spitze in der Korrelationskarte abgebildet wird, ohne dass hierfür jeweils eine eigene Korrelationskarte erforderlich wäre.
49
d) Merkmal 1.5 adressiert sodann das Berechnen einer Langzeit-Korrelationskarte basierend auf der nach Merkmal 1.4 berechneten Korrelationskarte, wobei die Langzeit-Korrelationskarte eine Tonalität im Schallsignal anzeigt. Merkmal 19.5 sieht wiederum einen entsprechenden Berechner vor. In Abgrenzung zu der in Merkmal 1.4/19.4 angesprochenen Korrelationskarte bezieht sich Merkmal 1.5/19.5 auf eine Korrelationskarte, die mehr als zwei [aufeinanderfolgende] Residualspektren berücksichtigt. Ziel ist es, die Dauer der Töne besser ermitteln zu können (ebenso Patentgericht, WKS 3, S. 20).
50
[0107] beschreibt die (rekursive) Berechnung der Langzeit-Korrelationskarte mit der Formel (34). Die Fachperson liest nach den Erwägungen des Bundespatentgerichts bei der Betrachtung der Gleichung mit, dass die Langzeit-Korrelationskarte mit jedem neu berechneten Residualspektrum oder jeder neu berechneten Korrelationskarte aktualisiert wird. Daher liest der Fachmann nach der Erläuterung des Patentgerichts mit, dass die Gleichung jeweils um einen Laufindex für die Rahmennummer zu ergänzen ist (Patentgericht WKS 3, S. 20, 21). Mit dieser Erläuterung nimmt das Patentgericht das fortlaufende Verfahren der Tonalitätsschätzung in den Blick, welches nicht mit einem einmaligen Schätzvorgang beendet ist, wie [0113] unterstreicht. Anspruchsgemäß genügt indes die einmalige Berechnung einer Langzeit-Korrelationskarte. [0107] erläutert diesen Vorgang für einen aktuellen Rahmen („current frame“); entsprechend bezieht sich die dort abgebildete Formel auf die einmalige Berechnung (ohne Laufindex).
51
In Merkmal 19.5 stellt das Teilmerkmal „zum Berechnen einer Langzeit-Korrelationskarte basierend auf der berechneten Korrelationskarte (...)“ im Übrigen lediglich eine Zweckangabe dar.
52
II. Die Beklagten verletzen das Klagepatent in der geltend gemachten Fassung von Anspruch 19 mit der angegriffenen Ausführungsform unmittelbar wortsinngemäß, § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG. Die Ausführungsform weist sämtliche Merkmale des Klagepatents auf.
53
1. Die Verwirklichung des Merkmals 19.2 ist zwischen den Parteien zu Recht nicht streitig. Die Merkmale 19.1, 20.2.3, 19.3, 19.4 und 19.5 sind ebenfalls verwirklicht.
54
a) Die Ausgestaltung der angegriffenen Vorrichtungen ist zwischen den Parteien insoweit unstreitig, als sie mit dem EVS-Standard kompatibel sind und den EVS-Standard bei der Codierung nutzen.
55
b) Eine Verletzung des Merkmals 19.1 liegt vor, weil der EVS-Standard eine Tonalitätsschätzung im Sinne des Merkmals 19.1 vornimmt. Mobiltelefone, die mit dem EVS-Standard kompatibel sind, sind mithin eine Vorrichtung zum Schätzen einer Tonalität eines Schallsignals im Sinne des Merkmals 19.1.
56
Dass der EVS-Standard eine entsprechende Tonalitätsschätzung vornimmt, folgt aus Abschnitt 5.1.11.2.5 des Standards:
57
Hier wird für einzelne Segmente (Rahmen) des Schallsignals ermittelt, ob sie einen starken oder einen schwachen tonalen Charakter haben, 5.1.11.2.5, S. 59, vorletzter Absatz.
58
Dass der EVS-Standard die Schätzung einer Tonalität nicht basierend auf einem einzelnen Frame, sondern basierend auf der Grundlage mehrerer aufeinanderfolgender Frames durchführt, ist für die Verletzungsfrage mit oben erläuterter Auslegung irrelevant (zu Klageerwiderung Rn. 60).
b) Ebenso wird, entgegen der Auffassung der Beklagten (Klageerwiderung Rn. 62 ff.), das Merkmal 20.2.3 verwirklicht.
59
Der EVS-Standard schreibt vor, dass ein aktuelles Residualspektrum EdB, res(j) gemäß Gleichung (132) – entspricht der Gleichung (32) der Klagepatentschrift Abs. [0103] – berechnet wird (EVS-Standard, Abschnitt 5.1.11.2.5, S. 57 unten):
60
Auch in Figur 9 des Standards ist zu erkennen, dass wie in der Gleichung (132) das Residualspektrum dadurch berechnet wird, dass eine geschätzte Spektrumsuntergrenze („spectral floor“) von dem originalen Spektrum („original log-energy spectrum“) abgezogen wird. Das Residualspektrum stellt also die Differenz zwischen dem originalen Spektrum und der geschätzten Spektrumsuntergrenze dar.
Figure 9: Spectral floor in the tonal stability
61
Dem steht auch nicht entgegen, dass laut dem Patentanspruch das Subtrahieren einer Spektrumsuntergrenze von einem Spektrum des Schallsignals in einem aktuellen Rahmen zu erfolgen hat. Die Klagepatentschrift bezeichnet in [0097] das Spektrum des Schallsignals als das durchschnittliche log-energy Spektrum, wie in Gleichung (4) definiert: „In the following disclosure, the term ‚spectrum‘ will refer to the average log-energy spectrum, as defined by Equation (4).“ Dies entspricht den Spezifikationen des EVS-Standards (Figure 9 sowie Abschnitt 5.1.11.2.5): „In the following text, the term ‚spectrum‘ will refer to the average logarithmic energy spectrum, as defined by the above equation“. Bei der genannten „above equation“ handelt es sich um die Gleichung (127) im EVS-Standard, die der Gleichung (4) in der Klagepatentschrift entspricht.
62
c) Merkmal 19.3  ist ebenfalls verwirklicht. Aus Abschnitt 5.1.11.2.5, S. 58, erster Absatz unter Fig. 9 folgt, dass Spitzen im aktuellen Residualspektrum erkannt werden:
Figur 9 des Standards (siehe oben) entspricht Figur 3 des Klagepatents.
63
Hiernach werden für die Erstellung der Korrelationsmappe (Merkmal 19.4) Spitzen verwendet. Eine standardgemäß funktionierende Vorrichtung muss mithin einen Detektor zum Erkennen von Spitzen im aktuellen Residualspektrum aufweisen.
64
Dass der Standard bei dem Erkennen von Spitzen das originale Energiespektrum EdB, und nicht das Residualspektrum verwendet, S. 57 des Standards, ist nach hiesiger Auslegung für die Verletzungsfrage unbeachtlich.
65
d) Merkmal 19.4 ist ebenfalls verwirklicht. Dies folgt aus Gleichung (133) des EVS-Standards, Abschnitt 5.1.11.2.5, S. 58, die der Gleichung (33) in [0105] des Klagepatents entspricht:
66
Die Korrelation des Residualspektrums des aktuellen Rahmens wird mit dem Residualspektrum des vorherigen Rahmens berechnet. Im EVS-Standard wird das aktuelle Residualspektrum, also das des aktuellen Rahmens, mit EdB, res (j) und das Residualspektrum des vorherigen Rahmens mit EdB, res[-1] (j) bezeichnet. Aus diesen beiden Größen wird gemäß Gleichung (133) die Korrelationskarte Mcor berechnet. Nach hiesiger Auslegung ist die Berechnung einer Korrelationskarte, die alle Spitzen umfasst, ausreichend.
67
e) Ebenso ist Merkmal 19.5 verwirklicht. Dies folgt aus Abschnitt 5.1.11.2.5, S. 59 des EVS-Standards:
68
Die für den aktuellen Rahmen berechnete Korrelationskarte Mcor wird danach genutzt, um den Langzeitwert zu aktualisieren. Die oben abgebildete Gleichung (134) entspricht der Gleichung (34) des Klagepatents. Somit setzt der EVS-Standard in den Geräten, die mit dem EVS-Standard kompatibel sind, einen Berechner zur Berechnung des Langzeitwerts Mcor voraus. Vorrichtungen, die mit dem EVS-Standard kompatibel sind, müssen einen entsprechenden Berechner aufweisen, folglich auch die angegriffenen Ausführungsformen.
69
Soweit die Beklagten anführen, im EVS-Standard würde entgegen dem Klagepatent keine Aktualisierung erfolgen, führt dies nach oben erläuterter Auslegung nicht aus der Verletzung heraus. Denn Merkmal 19.5 verlangt zwingend nur die Berechnung einer Langzeit-Korrelationskarte in einem aktuellen Frame und keine Aktualisierung oder wiederholte Berechnung einer Langzeitkorrelationskarte.
70
III. Von Anspruch 1 machen die angegriffenen Verletzungsformen mittelbar wortsinngemäß Gebrauch. Die angegriffenen Verletzungsgegenstände verletzen Anspruch 1 des Klagepatents, weil eine mittelbare Patentverletzung nach § 10 Abs. 1 PatG vorliegt.
71
1. Die Voraussetzungen der mittelbaren Patentverletzung sind gemäß § 10 Abs. 1 PatG erfüllt. Der Gefährdungstatbestand nach § 10 PatG wird objektiv und subjektiv verwirklicht.
72
a) Mittel sind die angegriffenen Verletzungsformen (EVS-fähige Mobiltelefone), weil sie Gegenstände sind, die selbst noch nicht die Lehre des Patentanspruchs 1 (wortsinngemäß oder äquivalent) verwirklichen, aber geeignet sind, zur unmittelbaren Benutzung der Erfindung (in wortsinngemäßer oder äquivalenter Form) verwendet zu werden.
73
b) Diese Mittel beziehen sich auf ein wesentliches Element der Erfindung. Die Geräte können das in Anspruch 1 beanspruchte Verfahren ausführen. Da die in Anspruch 1 enthaltenen Merkmale maßgeblich durch die angegriffenen Verletzungsformen verwirklicht werden, tragen sie damit zum erfindungsgemäßen Leistungsergebnis maßgeblich bei.
74
c) Die angegriffenen Verletzungsformen (EVS-fähige Mobiltelefone) sind objektiv zur unmittelbaren Patentbenutzung geeignet. Wenn eine angegriffene Verletzungsform bestimmungsgemäß von dritter Seite genutzt wird, sind die Voraussetzungen zur Anwendung des Verfahrens nach Anspruch 1 hergestellt. Die angegriffenen Mittel sind geeignet, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden. Nach der objektiven Beschaffenheit der angegriffenen Verletzungsformen und ihrer Einbindung in den EVS-Standard ist dies der Fall, weil eine unmittelbare wortsinngemäße Benutzung der geschützten Lehre mit allen ihren Merkmalen durch die Nutzer möglich ist. Diese Benutzung durch Nutzer ist bereits erfolgt. Insoweit wird auf die Darlegung der Verletzung unter II. verwiesen. Die dortigen Ausführungen gelten entsprechend für die Verwirklichung des Verfahrensanspruchs 1.
75
2. Das Angebot oder die Lieferung im Inland zur Benutzung der Erfindung im Inland ist erfolgt.
76
3. Der subjektive Tatbestand ist gegeben.
77
Die subjektive Bestimmung des Nutzers zur unmittelbaren patentverletzenden Verwendung ist offensichtlich. Die angegriffenen Verletzungsformen sehen die patentverletzende Funktionalität (EVS-Kompabilität) vor. Es ist evident, aber zumindest davon auszugehen, dass sie vom Nutzer der Vorrichtungen entsprechend ausgeführt wird. Die objektive Eignung und die Verwendungsbestimmung der Abnehmer sind für die Beklagten offensichtlich.
78
IV. Die Beklagten sind unstreitig passivlegitimiert.
79
V. Damit stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche wie tenoriert zu.
80
1. Der Anspruch auf Unterlassung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG. Die Wiederholungsgefahr wird durch die rechtswidrigen Benutzungshandlungen indiziert.
81
a) Ein Schlechthinverbot ist hinsichtlich Ziffer I.1.b) des Tenors gerechtfertigt. Die angegriffenen Verletzungsformen werden technisch und wirtschaftlich sinnvoll in patentverletzender Weise verwendet. Das hat die Beklagtenseite nicht in Zweifel gezogen.
82
b) Der Unterlassungsanspruch ist nicht unverhältnismäßig.
83
(1) Gemäß § 139 Abs. 1 S. 3 PatG ist der Unterlassungsanspruch ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde.
84
Der Unverhältnismäßigkeitseinwand des § 139 Abs. 1 S. 3 PatG ist auf besondere Ausnahmefälle begrenzt. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass der Unterlassungsanspruch die logische Folge des Ausschließlichkeitsrechts ist. Mit der Erteilung des Patents entstehen an der patentierten Erfindung absolute Rechte, die neben ihrem Zuweisungsgehalt einen Ausschlussgehalt besitzen, so dass der Inhaber des Rechts grundsätzlich jedermann von der Nutzung der patentierten Lehre ausschließen kann. So erlauben sie insbesondere – im Rahmen der übrigen gesetzlichen, insbesondere der patent- und kartellrechtlichen Vorgaben – den Ausschluss Dritter von der Nutzung der patentierten Lehre. Um sein Ausschließlichkeitsrecht durchzusetzen ist der Patentinhaber in aller Regel auf den Unterlassungsanspruch angewiesen.
85
Der Gesetzgeber hat in der Begründung des 2. PatModG klargestellt, dass eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Der Unterlassungsanspruch ist die regelmäßige Sanktion der Patentrechtsordnung bei einer Patentverletzung. Darlegungs- und beweisbelastet für eine Unverhältnismäßigkeit ist die Beklagtenseite. Eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs kommt nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht (BT-Drs. 19/25821, S. 53).
86
Wenn der Patentverletzer besondere Umstände darlegt, die im Einzelfall eine nicht gerechtfertigte Härte begründen können, kann es im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls und bei einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände unter Berücksichtigung des Gebotes von Treu und Glauben und der grundsätzlich vorrangigen Interessen des Verletzten an der Durchsetzung seines Unterlassungsanspruchs ausnahmsweise darauf ankommen, ob der Verletzte selbst Produkte oder Komponenten herstellt, die mit dem patentverletzenden Produkt in Wettbewerb stehen, oder ob primär eine Monetarisierung seiner Rechte das Ziel des Patentinhabers ist (BT-Drs. 19/25821, S. 53). Im Übrigen können wirtschaftliche Auswirkungen der Unterlassungsverfügung, die Komplexität von Produkten, subjektive Gesichtspunkte auf beiden Seiten und Drittinteressen zu berücksichtigen sein. So kann etwa zu Lasten des Verpflichteten eine fehlende Lizenzwilligkeit gesehen werden (BT-Drs. 19/25821, S. 54).
87
(2) Bei Anwendung dieser Maßstäbe greift der von den Beklagten erhobene Einwand der Unverhältnismäßigkeit nicht durch. Unter Berücksichtigung aller Umstände des zwischen den Parteien geführten Rechtsstreits und ihrer maßgeblichen Interessen hat die Beklagtenseite eine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs nicht dargetan.
88
Der Umstand, dass die Klägerin ihr EVS-Portfolio zum Zwecke der Monetarisierung erworben hat (Klageerwiderung (Technik) Rn. 298), begründet für sich gesehen keine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs. Nach der bisherigen Rechtslage (vgl. Werner in: Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Aufl. 2020, § 139 Rn. 92 m.w.N.), der die Gesetzesbegründung zustimmt (s.o.), ist der Umstand allein, dass ein Patentverwerter einen Unterlassungsanspruch geltend macht, für sich gesehen nicht geeignet, diesen als unverhältnismäßig einzustufen (st. Rspr. der Kammer, vgl. LG München I GRUR-RS 2022, 34498 – „keepawake-message“).
89
Dass die dem Klagepatent zugrunde liegende technische Funktion nur einen Teilaspekt des EVS-Standards adressiert, und die angegriffenen Ausführungsformen höchst komplexe Produkte sind, begründet für sich gesehen ebenfalls keine Unverhältnismäßigkeit.
90
Jedenfalls bei der Geltendmachung von standardessenziellen Patenten kommt eine Unverhältnismäßigkeit grundsätzlich nicht in Betracht. Denn der Nutzer eines SEPs hat grundsätzlich einen Anspruch auf Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen. Dass der Lizenzvertrag noch nicht abgeschlossen ist, ist – wie sogleich unter C. gezeigt wird – der Beklagtenseite anzulasten.
91
Wie oben erläutert, kann die Lizenzunwilligkeit bei einer Interessenabwägung zu berücksichtigen sein. Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus der Argumentation der Beklagten, dem Unverhältnismäßigkeitseinwand verbliebe neben dem FRAND-Einwand kein Anwendungsbereich. Der Umstand, dass die Unternehmensgruppe der Beklagten jedenfalls ein – nicht schlechterdings untragbares, s.u. – Angebot von der Klägerin erhalten und dieses nicht angenommen hat, weil sie lizenzunwillig gewesen ist (hierzu unter C.), vermag die Rechte der Klägerin wegen der Komplexität des Verletzerprodukts nicht zu beschränken. Denn die Unternehmensgruppe der Beklagten hatte und hat die Möglichkeit, ihr patentverletzendes Handeln zu legitimieren. Sie hat (bislang) von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch gemacht. Dass die Klägerin ihre Patentrechte gegen einen lizenzunwilligen Patentverletzer durchsetzen muss und hierzu auf ein gerichtliches Verfahren angewiesen ist, ist dann logische Folge. Dies begründet im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung keine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs.
92
Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der herrschenden Meinung in der rechtswissenschaftlichen Literatur: Kommt der Patentinhaber seinen FRAND-Verpflichtungen nach, so eröffnet § 139 Abs. 1 S. 3 PatG dem Patentverletzer bei Fehlen weiterer, die Unverhältnismäßigkeit begründender Umstände keine zusätzliche Verteidigungsmöglichkeit (vgl. Ohly, GRUR 2021, 1229, 1236).
93
Bei einer Gesamtbetrachtung der von der Beklagtenseite aufgeworfenen Aspekte kommt eine Unverhältnismäßigkeit ebenso wenig in Betracht.
94
2. Der Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140 b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB. Diese sind Hilfsansprüche zu den, dem Grunde nach gegebenen, Ansprüchen der Klägerin auf Entschädigung und Schadensersatz.
95
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus § 140 b Abs. 1 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140 b Abs. 3 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
96
Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern.
97
Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben der Beklagten angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagten werden durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Der Wirtschaftsprüfervorbehalt ist wie beantragt zu gewähren. Wegen der Akzessorietät zum Schadensersatzanspruch, der ein Verschulden voraussetzt, ist die (beantragte) Karenzzeit von einem Monat ab Patenterteilung zu berücksichtigen.
98
3. Da die Beklagten die Verletzungshandlungen zumindest fahrlässig begangen haben, sind sie dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, § 139 Abs. 2 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ. Die Beklagten haften nach § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner.
99
Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte im Geschäftsbetrieb der Beklagten spätestens einen Monat nach Veröffentlichung der Erteilung des Klagepatents erkannt werden können und müssen, dass dieses durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen verletzt wird. Eine für die Feststellung der Schadensersatzpflicht ausreichende gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens ist wegen des bereits eingetretenen Schadens aufgrund der geschehenen Patentbenutzungen begründet.
100
4. Die Ansprüche gegen die Beklagte zu 2 auf Vernichtung der Verletzungsformen und gegen die beiden Beklagten auf Rückruf ergeben sich im Umfang des Tenors aus § 140 a Abs. 1 und 3 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ. Der Anspruch auf Rückruf besteht auch gegen eine im Ausland ansässige Verpflichtete (BGH GRUR 2017, 785, 787, Rn. 33 – Abdichtsystem). Daher besteht der Anspruch auch hier gegen die Beklagte zu 1.
101
Der Anspruch ist auch nicht unverhältnismäßig, § 140 a Abs. 4 PatG. Auch der Unverhältnismäßigkeitseinwand nach § 140 a Abs. 4 PatG ist auf enge Ausnahmen beschränkt (zum Vernichtungsanspruch siehe Rinken, in: BeckOK PatR, PatG § 140 a Rn. 28, zum Rückrufanspruch Rinken, in: BeckOK PatR, PatG § 140 a Rn. 46). Hier gilt das unter V.1.b) Gesagte entsprechend.
C.
102
Der von den Beklagten erhobene kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand (sog. FRAND-Einwand) steht der Durchsetzbarkeit der klägerischen Ansprüche auf Unterlassung, Vernichtung, Rückruf und Entfernung nicht entgegen. Entgegen der Annahme der Beklagten liegt kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung durch die Klägerin vor. Der Einwand der Beklagten greift mangels Lizenzwilligkeit der Unternehmensgruppe der Beklagten nicht durch.
103
Es kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin eine marktbeherrschende Stellung besitzt, so dass sie Normadressatin des Art. 102 AEUV ist. Ebenso kann zugunsten der Beklagten angenommen werden, dass die FRAND-Erklärung der ursprünglichen Patentinhaberin die Klägerin bindet. Den sich aus dieser Stellung ergebenden Pflichten ist die Klägerseite hinreichend nachgekommen. Sie hat die Unternehmensgruppe der Beklagten insbesondere hinreichend auf die Verletzung hingewiesen.
104
I. Ein Patentinhaber, der sich gegenüber einer Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, Lizenzen an einem standardessenziellen Patent (SEP) zu FRAND-Bedingungen (also fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen) zu erteilen, kann seine durch das standardessenzielle Patent vermittelte marktbeherrschende Stellung durch die Erhebung einer Verletzungsklage missbrauchen, wenn und soweit diese geeignet ist zu verhindern, dass dem Standard entsprechende Produkte auf den Markt gelangen oder auf dem Markt erhältlich bleiben (vgl. EuGH GRUR 2015, 764 – Huawei Technologies/ZTE; BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 – FRAND-Einwand I). Als missbräuchlich können Klageanträge in Betracht kommen, die auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung von Produkten oder auf Vernichtung gerichtet sind (vgl. BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 – FRAND-Einwand I m.w.N.).
105
Der Unionsgerichtshof hat zur FRAND-Lizenz entschieden, dass der Inhaber eines von einer Standardisierungsorganisation normierten standardessenziellen Patents, der sich gegenüber dieser Organisation unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, seine marktbeherrschende Stellung nicht dadurch missbraucht, dass er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt, wenn er zum einen den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, hingewiesen hat und dabei das betreffende Patent bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll, und zum anderen, nachdem der angebliche Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, er dem Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat und dieser Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, reagiert, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und unter anderem impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird (vgl. EuGH a.a.O.). Weiter hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass es dem Inhaber eines standardessenziellen Patents mit FRAND-Erklärung grundsätzlich nicht verboten ist, gegen den Verletzer seines Patents eine Verletzungsklage auf Rechnungslegung bezüglich der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das Patent oder auf Schadensersatz wegen dieser Handlungen zu erheben (EuGH a.a.O.).
106
Die klageweise Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung sowie Vernichtung durch den Patentinhaber kann sich als missbräuchlich darstellen, wenn sich der Verletzer zwar (noch) nicht rechtsverbindlich zum Abschluss eines Lizenzvertrags zu bestimmten angemessenen Bedingungen bereiterklärt hat, dem Patentinhaber aber anzulasten ist, dass er sich seinerseits nicht hinreichend bemüht hat, der mit der marktbeherrschenden Stellung verbundenen besonderen Verantwortung gerecht zu werden und einem grundsätzlich lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzvertrags zu ermöglichen (BGH a.a.O. – FRAND-Einwand I). Der Missbrauch der Marktmacht folgt aus der Ablehnung eines nachgefragten Zugangs zu der Erfindung schlechthin oder aus unangemessenen Bedingungen für einen nachgefragten Zugang, von denen der Patentinhaber auch am Ende von Verhandlungen nicht abzurücken bereit ist, mithin der Weigerung, dem den Abschluss eines Vertrags zu FRAND-Bedingungen anstrebenden Lizenznehmer als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses diejenigen fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen anzubieten, die dieser beanspruchen kann und zu denen er seinerseits bereit ist, mit dem Patentinhaber abzuschließen (vgl. BGH GRUR 2021, 585 Rn. 59 – FRAND-Einwand II). Aus einem nicht FRAND-Bedingungen entsprechenden Angebot als solchem ergibt sich noch kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung des Patentinhabers: Ein Missbrauch liegt erst darin, dem Patentverletzer die Verhandlung und den Abschluss eines in Ansehung der im Verhandlungsprozess artikulierten Interessen interessengerechten FRAND-Lizenzvertrags zu verweigern oder unmöglich zu machen und stattdessen das Patent oder eines der zu lizenzierenden Patente klageweise durchzusetzen (BGH a.a.O. Rn. 78 – FRAND-Einwand II).
107
Derjenige, der das Patent benutzen will oder bereits benutzt und patentgemäße Produkte auf den Markt gebracht hat, obwohl er über keine Lizenz verfügt, muss bereit sein, eine Lizenz an diesem Patent zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen zu nehmen (BGH a.a.O. Rn. 70 – FRAND-Einwand I). Denn auch der marktmächtige Patentinhaber kann die Lizenznahme niemandem aufdrängen; zwar kann der potenzielle Lizenznehmer von ihm den Abschluss eines Lizenzvertrags verlangen, der Patentinhaber ist aber darauf angewiesen, Ansprüche wegen Patentverletzung gegen denjenigen durchzusetzen, der die patentgemäße Lehre benutzen, einen Lizenzvertrag hierüber aber nicht abschließen will (vgl. BGH a.a.O. Rn. 82 – FRAND-Einwand I). Der Verletzer muss sich daher klar und eindeutig bereiterklären, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen abzuschließen, und muss auch in der Folge zielgerichtet an den Lizenzvertragsverhandlungen mitwirken, weil „a willing licensee must be one willing to take a FRAND licence on whatever terms are in fact FRAND“ (BGH a.a.O. Rn. 83 – FRAND-Einwand I). Unter welchen Umständen eine fehlende Lizenzbereitschaft des Patentverletzers vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls (BGH a.a.O. Rn. 78 – FRAND-Einwand II).
108
Eine missbräuchliche Verweigerung durch den marktbeherrschenden Patentinhaber setzt zwingend ein fortdauerndes Verlangen des Verletzers nach Abschluss eines Vertrags zu FRAND-Bedingungen und dessen Bereitschaft zur Mitwirkung am Zustandekommen eines solchen Vertrags voraus, ohne die eine „Verweigerung“ des Patentinhabers ins Leere ginge (BGH a.a.O. Rn. 66 – FRAND-Einwand II). Die Lizenzbereitschaft ist unentbehrlich, weil sich ein die gegenläufigen beiderseitigen Interessen ausbalancierendes, angemessenes Ergebnis in der Regel erst als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses erfassen lässt, in dem diese Interessen artikuliert und diskutiert werden, um auf diese Weise zu einem beiderseits gewünschten fairen und angemessenen Interessenausgleich zu gelangen. Die Anforderungen an das Verhalten des Patentinhabers und an das Verhalten des Nutzers der Erfindung bedingen sich dabei wechselseitig. Maßstab der Prüfung ist dasjenige, was eine vernünftige Partei, die an dem erfolgreichen und dem beiderseits interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, zur Förderung dieses Ziels in einem bestimmten Verhandlungsstadium jeweils tun würde (BGH a.a.O. Rn. 59 – FRAND-Einwand II). Eine objektive Bereitschaft zum Abschluss eines FRAND-Lizenzvertrags zeigt sich regelmäßig in der an dem gemeinsamen Ziel eines erfolgreichen Abschlusses orientierten aktiven Förderung der Verhandlungen. Dabei bauen die Verhandlungsschritte von an einem Vertragsschluss interessierten Parteien aufeinander auf. Eine Förderpflicht besteht deshalb stets, wenn und insoweit nach den geschäftlichen Gepflogenheiten und den Grundsätzen von Treu und Glauben mit dem nächsten Verhandlungsschritt zu rechnen ist (BGH a.a.O. Rn. 68 – FRAND-Einwand II).
109
Hat es eine Seite zunächst an der gebotenen Mitwirkung am Zustandekommen eines Lizenzvertrags zu FRAND-Bedingungen fehlen lassen, geht dies grundsätzlich zu ihren Lasten. Je nach Sachlage kann sie gehalten sein, begangene Versäumnisse so weit wie möglich zu kompensieren. Dies entspricht den üblichen Gepflogenheiten von an einem Vertragsschluss interessierten Personen, welche bei einer verzögerten Reaktion auf ein entsprechendes Verhandlungsangebot normalerweise damit rechnen müssen, dass die Gegenseite kein Interesse an einem Vertragsschluss mehr hat (BGH a.a.O. Rn. 60 – FRAND-Einwand II).
110
Der Patentverletzer darf die Verhandlungen insbesondere nicht verzögern (EuGH a.a.O. Rn. 66, 71). Denn anders als bei Vertragsverhandlungen, die ein lizenzwilliges Unternehmen vor Benutzungsaufnahme anstrebt, kann das Interesse des Verletzers auch – allein oder jedenfalls in erster Linie – darauf gerichtet sein, den Patentinhaber möglichst bis zum Ablauf der Schutzdauer des Klagepatents hinzuhalten, weil ihm dann keine Verurteilung zur Unterlassung mehr droht (BGH a.a.O. Rn. 82 – FRAND-Einwand I). Eine Verzögerungstaktik besteht typischerweise darin, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen nicht schlichtweg abzulehnen, sondern ihn vorgeblich anzustreben, aber die Findung einer angemessenen Lösung im Einzelnen zu hintertreiben oder zumindest so lange wie möglich hinauszuschieben (BGH a.a.O. Rn. 67 – FRAND-Einwand II). Die auf Grundlage objektiver Gesichtspunkte vorzunehmende Beurteilung, ob eine Verzögerungstaktik verfolgt wird, soll auch das weitere Verhalten des Verletzers auf eine Verletzungsanzeige oder ein Angebot des Patentinhabers in den Blick nehmen (BGH a.a.O. Rn. 77 – FRAND-Einwand II).
111
Fehlt es an der Lizenzwilligkeit des Patentverletzers, kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs offengelassen werden, ob das Angebot des Patentinhabers (inhaltlich) FRAND-Bedingungen entspricht (BGH a.a.O. Rn. 82, 101). Gänzlich entbunden von Reaktionspflichten und daher ebenfalls von der Pflicht, alle Einwände zugleich zu benennen, ist der Lizenzsucher allein in dem Fall, dass ein Angebot in einem Ausmaß FRAND-widrig ist, dass es bei objektiver Wertung als schlechterdings untragbar erscheint, daher als nicht ernst gemeint zu bewerten ist und in der Sache nach dem objektiven Empfängerhorizont eine Weigerung darstellt, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 71 – FRAND-Einwand II).
112
Nach der Rechtsprechung des Landgerichts München I trägt der beklagte Patentnutzer nach den üblichen zivilprozessualen Maßstäben grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Begründetheit seines kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands. Der FRAND-Einwand ist eine Einwendung des Beklagten und er muss grundsätzlich die für ihn günstigen Umstände darlegen und ggf. beweisen. Das gilt sowohl für den Umstand, das Verhalten (Angebot) des Patentinhabers sei schlechterdings untragbar, als auch für die Rüge des Patentnutzers, durch die ihm angebotenen Vertragsbedingungen werde er gegenüber anderen Lizenznehmern des Patentinhabers diskriminiert (LG München I, Urteil vom 17.02.2023, 21 O 4140/21, GRUR-RS 2023, 11247 – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation). Zur Darlegung dieser Rüge gehört zumindest, dass der Patentnutzer hierfür plausible Anhaltspunkte vorträgt. Je nach Einzelfall kann dies dazu führen, dass dann der Lizenzgeber im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast wiederum hierzu näher vorzutragen hat (LG München I, a.a.O. – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
113
Ein lizenzwilliger Patentnutzer muss als Lizenzsucher zwar grundsätzlich über die wesentlichen Faktoren für die Bemessung der zu zahlenden Lizenzgebühr unterrichtet sein. Hierfür muss er in der Regel die ihm angebotene Lizenzgebühr anhand der wesentlichen Faktoren für den Preis erläutert bekommen. Wird eine Pauschallizenzgebühr für Nutzungen in der Vergangenheit und in der Zukunft vereinbart, kann entsprechend dem Sinn und Zweck der Pauschalzahlung ein niedrigerer Maßstab gelten. Je mehr Lizenzverträge abgeschlossen sind, desto eher kann sich die Erläuterung der Faktoren auf eine Gegenüberstellung der konkret angebotenen Gebühr mit den vereinbarten Lizenzgebühren in bereits abgeschlossenen Lizenzverträgen beschränken. Aus offengelegten Lizenzverträgen mit Dritten samt weiteren erläuternden Informationen des Patentinhabers, die er beispielsweise in einen elektronischen Datenraum eingestellt hat, ergibt sich aber grundsätzlich für einen lizenzwilligen Patentnutzer ein hinreichender Einblick in die Lizenzierungspraxis des Patentinhabers (LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals, zur Veröffentlichung vorgesehen).
114
Macht der Lizenzsucher als Diskriminierungsvorwurf geltend, der Patentinhaber lizenziere zu unterschiedlichen Preisen, muss der Lizenzsucher in der Regel anhand von Beispielen aus der Lizenzierungspraxis des Patentinhabers konkrete Anhaltspunkte darlegen, dass er konkret gegenüber wem und inwiefern diskriminiert wird. Hierbei gilt keine kleinteilige Betrachtungsweise. Entscheidend ist vielmehr, ob die bislang mit Dritten vereinbarten Lizenzgebühren und die dem Lizenzsucher angebotenen Lizenzbedingungen in einem den Schutzzwecken des Kartellrechts entsprechenden wettbewerbskonformen, die Errichtung, Gewährleistung und Absicherung des Binnenmarkts dienenden Gesamtgefüge stehen und ob die angebotene Pauschallizenz den Lizenzsucher beim Marktzugang diskriminiert (LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals).
115
Bei Verhandlungen über einen FRAND-Lizenzvertrag sind beide Parteien gehalten, in jeweils situationsangemessener Weise und nach den Geboten von Treu und Glauben beizutragen (EuGH, a.a.O.), einen vernünftigen, interessengerechten und angemessenen Ausgleich zu finden. Hierzu gehört insbesondere zügig, förderlich und konstruktiv zu verhandeln und hierbei seine Interessen zu artikulieren, um konkrete Fortschritte beim Verhandeln der Lizenzvertragsbedingungen zu erzielen (LG München I, a.a.O. – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
116
Verhandelt der Patentbenutzer die Lizenzbedingungen lediglich zögerlich, bringt er damit in aller Regel seine Lizenzunwilligkeit zum Ausdruck (Verzögerungstaktik). Verlangt ein Patentbenutzer vom Patentinhaber stetig weitere Informationen, ohne dass die ihm hierauf erteilten Auskünfte in Fortschritten bei der Verhandlung münden, kann dieses Verhalten die Lizenzunwilligkeit des Patentbenutzers belegen. Zwar kann ein Patentbenutzer grundsätzlich so viele Informationen verlangen und darf – in den Grenzen des Prozessrechts – prozessual so viel mit Nichtwissen bestreiten, wie er möchte. Nach mehrjährigem Verhandeln und nach mehrmaligem Wiederholen dieses Verhaltens ist das aber jedenfalls nicht mehr förderlich und konstruktiv (LG München I, a.a.O. – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
117
Macht ein Patentbenutzer geltend, die ihm angebotene Lizenz sei nicht FRAND, weil sie schlechter als die Vertragsbedingungen der Konkurrenz sei, muss er, um als lizenzwillig angesehen zu werden, bereit sein, jedenfalls zu diesen (angeblich vorteilhafteren) Bedingungen den Lizenzvertrag zu schließen, und diese Bereitschaft objektiv durch sein Verhalten zum Ausdruck bringen (LG München I, a.a.O. – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
118
Auch bei einer etwaigen Varianz in der bisherigen Preisbildung des Patentinhabers, die jedoch keine so erhebliche Ungleichbehandlung begründet, dass sie nicht im Verhandlungsweg zwischen zwei lizenzwilligen Partnern gelöst werden kann, würde eine vernünftige Partei, die an dem erfolgreichen und interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, diesen Umstand als Chance begreifen und versuchen, (trotzdem) zu einem vernünftigen, angemessenen und interessengerechten Vertragsschluss zu gelangen. Das gilt insbesondere hinsichtlich einzelner Finessen im Zahlenwerk, die sich erst beim Herunterrechnen der Pauschalgebühr ergeben (LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals).
119
Eine hohe Lizenzvorstellung macht das klägerische Angebot in der Regel nicht willkürlich oder kartellrechtswidrig. Es müssen grundsätzlich weitere pönale Aspekte hinzutreten, um das Verhalten des Patentinhabers als schlechterdings untragbar zu bewerten bzw. es als mit der Folge nicht ernst gemeint einzuordnen, dass es hierauf objektiv keiner Reaktion des Patentnutzers bedarf. Abgesehen davon ist es Aufgabe der Verhandlungen zwischen den Parteien, eine Lösung für die Preisfrage zu finden und eine ggf. unangemessen hohe Preisvorstellung des Patentinhabers auf ein objektiv vernünftiges, interessengerechtes und angemessenes Maß zu nivellieren. Das heißt, dass in aller Regel eine Reaktion des lizenzsuchenden Patentnutzers auf das Angebot des Patentinhabers erforderlich ist, um im Einzelfall die Faktoren für die zutreffende Preisbestimmung durch Verhandlungen zu klären (LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals).
120
In Fällen, in denen der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand gegen Ansprüche wegen Patentverletzung geltend gemacht wird, hat die Patentstreitkammer zu prüfen, ob insbesondere dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch ein kartellrechtlicher Anspruch des Patentbenutzers auf Unterlassung des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung entgegensteht. Hierbei kommt es maßgeblich auf die Abgrenzung zwischen Zugangsverweigerung und Preismissbrauch an. Der Patentverletzungsprozess, in dem der „FRAND-Einwand“ geltend gemacht wird, ist grundsätzlich nicht auf die Ermittlung des kartellrechtlich richtigen Preises gerichtet. Wegen der Dauer der Ermittlung des kartellrechtlich richtigen Preises, während derer der Patentnutzer die Erfindung faktisch frei nutzen kann, kann der Einwand des Preismissbrauchs im Verletzungsverfahren nur in krassen Ausnahmefällen zugelassen werden. Die Rechtsposition des Patentnutzers wird dadurch nicht unzumutbar beschränkt. Er hat insbesondere grundsätzlich die Möglichkeit, den kartellrechtlich richtigen Preis in einem gesonderten kartellrechtlichen Verfahren bestimmen zu lassen oder ein Gegenangebot nach § 315 BGB zu unterbreiten (LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals).
121
II. Nach diesen Maßstäben ist entgegen der Annahme der Beklagten das Verhalten der Klägerseite nicht schlechterdings untragbar (unter 1.). Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Beachtung des einschlägigen Gesamtverhaltens der Parteien ist die Unternehmensgruppe der Beklagten hingegen nicht hinreichend lizenzwillig gewesen (unter 2.).
122
1. Das Verhalten der Klägerseite ist nicht schlechterdings untragbar.
123
Entgegen der Annahme der Beklagten hat die Klägerseite die Unternehmensgruppe der Beklagten hinreichend auf die Patentverletzung hingewiesen und diese nicht ankündigungslos mit der Verletzungsklage überfallen (unter a). Außerdem ist das Verhalten der Klägerin bei den Verhandlungen weder rein willkürlich (unter b), noch ist es willkürlich und diskriminierend (unter c). Vielmehr hat sich die Klägerin hinreichend bemüht, der mit der marktbeherrschenden Stellung verbundenen besonderen Verantwortung gerecht zu werden, um einem lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzvertrags zu ermöglichen.
124
a) Besonders der zuerst im Verfahren erhobene Einwand der Beklagten (Klageerwiderung (FRAND), Rn. 9 ff.) gegen das Verhalten der Klägerin greift nicht durch. Er zielt im Wesentlichen darauf, die Klägerin der Unternehmensgruppe der Beklagten habe keinen Verletzungshinweis gegeben, sondern diese mit Klagen überfallen, um überraschend größtmöglichen prozessualen Druck auf die Unternehmensgruppe der Beklagten auszuüben, um sie zum Abschluss einer FRAND-widrigen Lizenz zu zwingen, und sich selbst Mitwirkungspflichten zu entziehen. Die Beklagten vertreten hier die Ansicht, dass vor Erhebung der Klagen kein einziges Schreiben einem geeigneten Adressaten bei der Unternehmensgruppe der Beklagten zugegangen sei.
125
Da die Muttergesellschaft der Klägerin den Beklagten jedoch mit am ... zugegangenem Schreiben vom ... einen hinreichenden Verletzungshinweis erteilt hat, verfängt dieser Einwand nicht und es kann offenbleiben, ob im vorliegenden Fall – wie die Klägerin meint – ein Verletzungshinweis vor Klageerhebung entbehrlich gewesen wäre.
126
aa) Zwischen den Parteien ist nicht umstritten, dass es mehrere erfolglose Versuche der Mutter der Klägerin gegeben hat, der Unternehmensgruppe der Beklagten einen Verletzungshinweis zu übermitteln.
127
bb) Der Beklagten zu 1 ist mit Schreiben vom ... am ... und damit über ein Jahr vor Klageerhebung ein Verletzungshinweis zugegangen.
128
(1) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass ein Mitarbeiter der Beklagten zu 1, Herr ..., das Schreiben ... des CEOs der Muttergesellschaft der Klägerin an den CEO der Beklagten zu 1 vom ... am ... (Anlage WKS KAR4) von dem mit der Übermittlung beauftragten ... Mitarbeiter erhalten und es in Empfang genommen hat. Weiterhin ist unstreitig, dass ... diesem Mitarbeiter die Zustellung des Schreibens zuvor telefonisch angekündigt hat. Aus der von den Beklagten vorgelegten „waybill“ von ... (Anlagenkonvolut BF3) ergibt sich, dass ursprünglich nicht die Telefonnummer des Adressaten, also des CEO der Beklagten zu 1, Herrn ..., eingetragen gewesen ist, sondern die Telefonnummer des Absenders, Herrn ... hat vor Zustellung Herrn ... kontaktiert. Dieser hat dann die Telefonnummer vom Herrn ... mitgeteilt.
129
Außerdem steht zwischen den Parteien nicht im Streit, dass Herr ... Mitarbeiter der Beklagten zu 1 in der Abteilung „...“ ist, die ... durchführt. ... Außerdem sind die Kontaktdaten von Herrn ... an verschiedenen Stellen veröffentlicht.
130
(2) Wenn die Beklagten geltend machen, bedingt durch die Tatsache, dass die Kontaktdaten Herrn ... öffentlich zugänglich sind, erhalte er eine Flut von Werbepost, die Angebote sehr diverser Art enthielten und auch häufig an den CEO der Beklagten zu 1 adressiert seien, wobei sie teilweise auch Angebote auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, wie zum Beispiel Markenanmeldungen, beträfen (Zusammenstellung von Herrn ..., Anlage BF8), ändert dies nichts daran, dass dieses Schreiben vom ... bei der Beklagten zu 1 zugegangen ist. Denn es ist in ihren Machtbereich gelangt, so dass die Beklagte zu 1 die Möglichkeit hatte, vom Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen.
131
Die Kenntnisnahme durch Herrn ... hat stattgefunden. Die Verteidigung der Beklagten, Herr ... habe dieses Schreiben für Werbung gehalten und es ebenso wie tägliche Werbepost im Müll entsorgt, ändert hieran nichts. Der Kammer erscheint es zwar wenig plausibel, dass ein an den CEO der Beklagten zu 1 adressiertes Schreiben, dessen Zustellung zuvor von ... telefonisch angekündigt worden ist, von dem Mitarbeiter, der es erhalten hat, nicht an den CEO bzw. dessen Vorzimmer weitergeleitet worden ist, sondern einfach in den Müll geworfen wurde. Aber selbst wenn die Kammer zugunsten der Beklagten unterstellt, dass sich dies so zugetragen hat, gilt das Schreiben vom ... der Beklagten zu 1 als zugegangen. Denn die Fehlannahmen des Mitarbeiters, Herr ..., stehen dem Zugang nicht entgegen, weil die Muttergesellschaft der Klägerin alles getan hat, um dieses Schreiben in den Machtbereich der Beklagten zu 1 zu bringen und es allein das Risiko dieser ist, wenn ihre Mitarbeiter per Post übermittelte Schreiben von CEOs anderer Unternehmen an den CEO des eigenen Unternehmens, deren Übergabe zuvor telefonisch angekündigt worden ist, entsorgen und nicht ordnungsgemäß weiterleiten. Entgegen der Auffassung der Beklagten braucht ein solches Schreiben auch nicht „so dramatisch und klar formuliert“ zu sein, dass der betreffende Mitarbeiter mit höchster Wahrscheinlichkeit das Schreiben an die Rechtsabteilung zu Prüfung weiterleiten wird, sondern eine Weiterleitung entspricht erfahrungsgemäß dem üblichen Ablauf im Geschäftsverkehr.
132
Dem Zugang steht nicht entgegen, dass Herr ... als Mitarbeiter der Beklagten zu 1 in einer ... Abteilung beschäftigt, mit Fragen der Sprachkodierung und des gewerblichen Rechtsschutzes nicht vertraut ist sowie dessen Aufgabe als ... darin besteht, ... (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 18.04.2022, Rn. 25). Denn unabhängig hiervon wäre ihm eine Weiterleitung des Schreibens an die zuständige Abteilung in seinem Unternehmen nach allgemeiner Lebenserfahrung möglich gewesen. Dass es sich bei diesem Schreiben nicht um die übliche Werbung gehandelt hat, hätte dem Mitarbeiter ... bereits aufgrund der Art und Weise der Zustellung auffallen müssen. Er hätte schon deshalb den „sicheren Weg“ wählen und dieses Schreiben an die zuständige Stelle im Haus weiterleiten müssen. Unabhängig hiervon hätte die Beklagte zu 1 ihren Geschäftsbetrieb so organisieren können und müssen, dass solche Schreiben von den Personen, die sie empfangen, als hinreichend wichtig eingestuft und anstatt sie im Müll zu entsorgen, an die richtige Stelle übergeben werden. An dieser und nicht an Herrn ... wäre es dann zu prüfen, ob es sich tatsächlich um Werbung handelt oder nicht.
133
(3) Weitere Gründe stehen einem Zugang dieses Schreibens ebenfalls nicht entgegen.
134
(4) Der Inhalt des klägerischen Schreibens vom ... erfüllt die an einen Verletzungshinweis zu stellenden Anforderungen.
135
cc) Unabhängig davon kann es dahinstehen, ob der Verletzungshinweis der Beklagten zu 1 tatsächlich zugegangen ist.
136
Im Ursprungsverfahren 21 O .../22 hat die Klägerin mit ihrer Replik (FRAND) vom ... die Übergabe des Verletzungshinweises an ... behauptet und den entsprechenden Hinweis als Anlage WKS KAR 1 beigefügt. Der Schriftsatz wurde am ... und damit ... der Geltendmachung von Ansprüchen im Hinblick auf das hiesige streitgegenständliche Patent, die erstmals mit der Klageerweiterung vom ... erfolgt ist, zugestellt. Der Hinweis enthielt auch einen Verweis auf die Website www.....com, auf der das hiesige streitgegenständliche Patent ausdrücklich als standardessenziell gelistet ist. Den Beklagten war daher spätestens aufgrund des Schriftsatzes vom ... bekannt, dass auch eine Inanspruchnahme wegen des Klagepatents droht.
137
c) Entgegen dem Vorwurf der Beklagten hat die Klägerin die angebotenen Lizenzbedingungen nicht willkürlich bestimmt.
138
Die Klägerseite hat zahlreiche Lizenzverträge mit Wettbewerbern der Unternehmensgruppe der Beklagten abgeschlossen. Die vorliegenden Lizenzvorstellungen der Klägerin bewegen sich verglichen mit diesen Verträgen in einem ähnlichen Rahmen. Der Streit der Parteien dreht sich jedoch (neben der Berechnung der Lizenz) im Wesentlichen um die Bewertung der zutreffenden Höhe einer Pauschallizenz angesichts der unterschiedlichen Auffassungen der Parteien, ob die Geräte der Beklagten in ... den EVS-Standard implementieren. So monieren die Beklagten, die angebotene Lizenzgebühr sei massiv überhöht und die Klägerin weigere sich, den Beklagten den Abschluss eines Lizenzvertrags zu den von ihr selbst entwickelten Grundsätzen zu ermöglichen, indem sie unter anderem die Parameter ... willkürlich ansetze (insbesondere ohne nachvollziehbare Begründung erhöhe oder senke) und willkürlich fiktive Zahlen für Geräteverkäufe vermeintlich EVS-fähiger Geräte in ... heranziehe, obwohl EVS in ... nicht implementiert sei.
139
Da nach den obigen Maßstäben eine hohe Lizenzvorstellung das klägerische Angebot in der Regel nicht willkürlich oder kartellrechtswidrig macht, sondern weitere pönale Aspekte hinzutreten müssen, um das Verhalten des Patentinhabers als schlechterdings untragbar zu bewerten bzw. es als mit der Folge nicht ernst gemeint einzuordnen, dass es hierauf objektiv keiner Reaktion des Patentnutzers bedarf, begründet das Vorbringen der Beklagten keine Willkür mit der Folge, dass die Beklagten auf die Angebote der Klägerin nicht zu reagieren brauchten. Abgesehen davon ist es Aufgabe der Verhandlungen zwischen den Parteien, eine Lösung für die Preisfrage zu finden und eine ggf. unangemessen hohe Preisvorstellung des Patentinhabers auf ein objektiv vernünftiges, interessengerechtes und angemessenes Maß zu nivellieren. Das heißt, dass in aller Regel eine Reaktion des lizenzsuchenden Patentnutzers auf das Angebot des Patentinhabers erforderlich ist, um im Einzelfall die Faktoren für die zutreffende Preisbestimmung durch Verhandlungen zu klären (vgl. LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals). Da die Parteien auch hier vor allem den Abschluss einer Pauschallizenz angestrebt haben, begründete auch eine Varianz in der Preisbildung des Patentinhabers kein so erhebliches Hindernis, dass nicht im Verhandlungsweg zwischen zwei lizenzwilligen Partnern beseitigt werden könnte und die Parteien trotzdem (wenn beide Seiten es wollen) zu einem vernünftigen, angemessenen und interessengerechten Vertragsschluss gelangen (vgl. LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals).
140
d) Ebenso wenig ergibt sich ein schlechterdings untragbares Verhalten der Klägerin daraus, dass die Beklagten vorbringen, die Klägerin diskriminiere sie deswegen, weil die Anwendung des ... zugunsten von ... wirke, aber die (kleinere) Unternehmensgruppe der Beklagten benachteilige.
141
Es mag zutreffen, wie es die Beklagten geltend machen, dass mit ... ein Parameter in den Lizenzberechnungen der Klägerin betroffen ist, der ... die effektive Lizenzgebühr bei ... im Vergleich mit der Unternehmensgruppe der Beklagten deutlich reduzieren würde.
142
Entgegen der Rechtsprechung des Landgerichts München I bringen die Beklagten jedoch durch ihr Verhalten objektiv nicht zum Ausdruck, jedenfalls zu diesen angeblich vorteilhafteren Bedingungen den Lizenzvertrag schließen zu wollen, sondern ziehen den Parameter ... lediglich dazu heran, die effektive Lizenzgebühr herabzusetzen. Dabei lassen die Beklagten außer Betracht, dass es beim Diskriminierungseinwand auf die effektive Lizenzgebühr als Parameter jedenfalls nicht maßgeblich ankommt, wenn nicht gezeigt wird, dass dies der relevante Parameter für die Preisbestimmung ist (vgl. LG München I, Urteil vom 17.02.2023, 21 O 4140/21, GRUR-RS 2023, 11247 – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
143
2. Die Lizenzunwilligkeit der Beklagten zeigt sich in ihrem nicht hinreichend konstruktiven Verhandeln der Lizenzbedingungen (unter b). Sie ergibt sich gleichfalls nicht daraus, dass die Klägerin – wie die Beklagten meinen – zögerlich verhandelt und auf ihren Positionen bestanden habe (unter c).
144
a) Die Lizenzverhandlungen der Parteien sind im Wesentlichen wie folgt abgelaufen:
...
145
Am ... ist ... in dem Ursprungsverfahren 21 O .../22 betreffend das ebenfalls von der Klägerin als standardessentiell bewertete Patent EP ... die Klageschrift, die auf denselben Tag datiert, bei Gericht eingegangen. Am ... ist sie ausweislich der jeweiligen Postzustellurkunden den Beklagten zugestellt worden.
146
Mit Schriftsatz vom 08.08.2022 haben die Beklagten im Ursprungsverfahren beantragt,
alle derzeitigen Fristen und Termine aufzuheben und die Frist zur Klageerwiderung bis jedenfalls zum 16.07.2023 zu verlängern sowie hieran anschließend weitere Schriftsatzfristen, insbesondere für Replik und Duplik unter Wahrung geeigneter Abstände zu der jeweils vorgehenden Schriftsatzfrist entsprechend neu zu bestimmen. Außerdem haben die Beklagten beantragt, die mündliche Verhandlung erstmalig für Februar 2024 oder später zu terminieren. Hierfür führen sie unter anderem aus, allein die Tatsache, dass die vorliegende Klage erhoben worden ist, stelle einen Kartellverstoß dar und das hiesige Gericht dürfe sich nicht zum „Gehilfen“ dieses derzeit andauernden Kartellverstoßes machen (Schriftsatz vom 08.08.2022, Rn. 4). Als Minimum müsse ein Zeitraum von 12 Monaten für vorprozessuale FRAND-Verhandlungen zur Verfügung gestellt werden, so dass erst nach Ablauf dieses Jahres, also frühestens ab dem 17.05.2023 den Beklagten ein weiterer Lauf der Schriftsatzfristen zugemutet werden könne, was für die Kammer bedeute, die Frist zur Klageerwiderung jedenfalls nicht auf einen Zeitpunkt vor dem 17.07.2023 zu bestimmen (Schriftsatz vom 08.08.2022, Rn. 69, 70 und 71).
147
Im ... haben die Parteien ein „Non Disclosure Agreement“ (im folgenden NDA) abgeschlossen, .... Die Beklagten haben zudem ihre Lizenzbereitschaft erklärt. ...
148
Mit Schriftsatz vom ... ist die Klägerin im Ursprungsverfahren den Anträgen der Beklagten vom ... entgegengetreten. Sie hat ausgeführt, die Beklagten strebten eine „kalte Aussetzung“ des Verfahrens an und begehrten im Ergebnis eine Vorabentscheidung der Kammer über einen Teilaspekt des von den Beklagten erhobenen FRAND-Einwands, nämlich, ob es sich bei diversen Schreiben der Klägerseite um Verletzungshinweise handele und diese den Beklagten zugegangen seien.
149
Im Anschluss an das erste NDA hat die Klägerin den Abschluss eines weiteren NDA zur Offenlegung von Drittlizenzverträgen angeboten. ...
150
... Am ... haben die Beklagten der Klägerin ein unterzeichnetes Exemplar übermittelt. Am ... hat die Klägerseite mitgeteilt, dass das NDA ebenfalls von ihr unterzeichnet worden sei. Nachdem die Beklagten auf Nachfrage von Herrn ... mitgeteilt hatten, welche Personen Zugang zu dem Datenraum mit den Informationen zu den Vergleichslizenzverträgen mit dritten Lizenznehmern erhalten sollten, hat die Klageseite sogleich diesen Zugang gewährt und der Unternehmensgruppe der Beklagten Informationen zu allen von der Klägerseite abgeschlossenen Lizenzverträgen nämlich mit:
...
zur Verfügung gestellt.
151
b) Die Unternehmensgruppe der Beklagte hat die Verhandlungen zum Abschluss des angeblich gewollten Lizenzvertrags nicht hinreichend zielführend geführt. Sie hat sich weder hinreichend zielstrebig noch hinreichend konstruktiv bei den Verhandlungen für den Abschluss des angeblich gewollten Lizenzvertrags eingesetzt. Vielmehr zeigt das Gesamtverhalten der Unternehmensgruppe der Beklagten, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie in zwei weiteren Verfahren wegen Verletzung von Patenten aus derselben Patentfamilie erstinstanzlich bereits verurteilt wurde, ihr fehlendes Interesse, mit der Klägerin zügig zum Abschluss des Lizenzvertrags zu gelangen. Die Unternehmensgruppe der Beklagten erscheint bereit, als Druckmittel eine möglichst lange Zeit das Klagepatent unberechtigt und ohne Bezahlung zu nutzen.
152
aa) Die Mitwirkungen der Beklagten am Verhandlungsprozess genügen nicht, um ihre Lizenzwilligkeit zu belegen. Die Unternehmensgruppe der Beklagten hat bei Gesamtschau der Verhandlungen betreffend das Patentportfolio nicht hinreichend förderlich und zielorientiert an einer Verhandlungslösung mitgewirkt und es an der gebotenen förderlichen und zielgerichteten Mitwirkung am Zustandekommen eines Lizenzvertrags zu FRAND-Bedingungen fehlen lassen.
153
(1) ... Die Klägerseite hat hierzu insbesondere entgegnet: In den Geräten der Unternehmensgruppe der Beklagten sei der EVS-Codec enthalten. ...
154
(2) Die Beklagte kann ihre Lizenzwilligkeit auch nicht ... belegen.
155
(3) ...
156
bb) ...
157
III. Auch aus den übrigen Einwänden und Rügen der Beklagten ergibt sich unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls keine Begründetheit des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands.
158
Insbesondere erweist sich das Beharren der Klägerin, eine Lösung für den Verkauf von EVS-fähigen Geräten in ... zu finden, sinnvoll und berechtigt.
D.
159
Eine Aussetzung nach § 148 ZPO mit Blick auf die Nichtigkeitsklage der Beklagtenseite vom ... (Anlage BT04) ist nicht geboten.
160
I. Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellen als solches keinen Grund dar, das Verfahren auszusetzen. Anderenfalls würde man dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beimessen, die ihm nach dem Gesetz gerade fremd ist (BGH GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug). Bei der gebotenen Interessenabwägung hat grundsätzlich das Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung des ihm erteilten Patents Vorrang (vgl. Cepl in: Cepl/Voß, Prozesskommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 3. Auflage 2022, § 148 ZPO Rn. 106 m.w.N.). Denn das Patent bietet nur eine beschränkte Schutzdauer. Für die Dauer der Aussetzung ist das Schutzrecht mit Blick auf den Unterlassungsantrag, der einen wesentlichen Teil des Schutzrechts darstellt, noch zusätzlich praktisch aufgehoben. Daher kommt eine Aussetzung grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Vernichtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Cepl in: Cepl/Voß, a.a.O., § 148 ZPO Rn. 107 m.w.N.).
161
Eine erstinstanzliche Entscheidung des zur Entscheidung über den Rechtsbestand berufenen (regelmäßig mit Fachpersonen besetzten) Organs ist grundsätzlich hinzunehmen, sofern die Entscheidung nicht offensichtlich fehlerhaft ist (Voß, in: BeckOK, PatR, PatG § 139 Vor §§ 139–142 b (Verletzungsprozess) Rn. 186 m.w.N.). Die durch die Entscheidung benachteiligte Partei muss darlegen, inwieweit die Entscheidung falsch ist (Diagnose) und warum das zur Entscheidung berufene Organ in zweiter Instanz anders entscheiden wird (Prognose).
162
II. Nach diesen Maßstäben ist das Verfahren nicht auszusetzen. Der Gegenstand des Klagepatents in der hier geltend gemachten, durch das Patentgericht eingeschränkt aufrecht erhaltenen Fassung ist nach Auffassung der Kammer rechtsbeständig. Die von den Beklagten erhobenen Angriffe auf den Rechtsbestand des Klagepatents greifen (jedenfalls nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit) durch.
163
1. Zweifel an der Neuheit der eingeschränkt aufrecht erhaltenen Ansprüche gegenüber der Anmeldeschrift US 2006053003 A1 „Acoustic interval detection method and device“, (im Folgenden „Suzuki“, Anlage BT7) bestehen nicht.
164
a) S... befasst sich mit einem Verfahren zur Schätzung einer Tonalität von Schallsignalen. In S... werden nach dem Vortrag der Beklagten ein Residualspektrum S(f) – Hmin(f) und eine Korrelationskarte xcorr gebildet (vgl. Klageerwiderung Rn. 93). Die Korrelationskarte xcorr umfasse Spitzen, welche durch die Bestimmung eines Maximum Peak Hold Value (H_min(f)) erkannt würden. Aus der Korrelationskarte xcorr werde eine Langzeitkorrelationskarte E1(j) gebildet. Diese Langzeitkorrelationskarte aggregiere aufeinanderfolgende Werte der Korrelationskarte xcorr über mehrere Frames.
165
b) S... offenbart nicht unmittelbar und eindeutig Merkmal 1.3 bzw. 19.3. Ob die weiteren Merkmale, insbesondere die Merkmale 1.4 und 1.5 bzw. 19.4 und 19.5. offenbart sind, was von der Klägerin bestritten wird (Replik, Rn. 74 ff.), kann damit dahinstehen. Daher kommt es auf die Ausführungen der Beklagten im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14.12.2023 nicht an. Insoweit ist insbesondere kein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung geboten, § 156 ZPO.
166
In S... berechnet die Harmonic Structure Extraction Unit 201 den Differenzwert zwischen dem maximalen Peak-Hold-Werts Hmax(f) und dem minimalen Peak-Hold-Wert Hmin(0), um die Peak-Fluktuation zu berechnen. Die Beklagte führt insoweit aus (Klageerwiderung Rn. 132 ff.), das Klagepatent verstehe unter einer „Spitze“ jedes Teilstück des Residualspektrums, welches zwischen zwei Minima liege (s. [0104]). Somit basiere die Berechnung des in S... beschriebenen minimalen Peak-Hold-Werts Hmin(f) auf den Positionen der Minima. Da die Position der Minima im Spektrum des Schallsignals und im Residualspektrum gleich sei, würden auch dadurch in S... Spitzen im Sinne des Merkmals 1.3 beziehungsweise 19.3 erkannt.
167
Das Differenzspektrum bei S... mag zwar Spitzen aufweisen diese werden jedoch nicht erkannt. Bei S... wird vielmehr die Differenz der Hüllkurven ermittelt, für die die Spitzen nur mittelbar relevant sind, wie sich aus Fig. 4(a) ergibt (Hervorhebungen durch Klägerin):
168
Die Ermittlung von Spitzen wird damit nicht neuheitsschädlich vorweggenommen, da diese nur mittelbar offenbart werden. Zwar enthält das in Fig. 4 (a) dargestellte Differenzspektrum Spitzen und Minima. Die Spitzen selbst sind anschließend für das von S... gelehrte Verfahren aber nicht von Bedeutung. Das Klagepatent basiert hingegen gerade auf zwei Schritten: 19.2 Berechnen des Residualspektrums (wo bereits Spitzen miteinfließen) und 19.3 Erkennen von Spitzen. Ein eigenständiges Erkennen der Spitzen ist für das Verfahren gemäß S... jedoch nicht erforderlich und entsprechend in S... auch nicht vorgesehen. S... selbst grenzt sich in Absatz 25 auch von Methoden ab, in denen Spitzen erkannt werden müssen:
„As described above, a speech segment is determined by evaluating the continuity of acoustic features. Unlike the conventional method of tracking local peaks, there is no need to consider the fluctuations of the input acoustic signal level resulting from appearance and disappearance of local peaks, therefore a speech segment can be determined with accuracy.“
169
S... sieht auch keine Operation vor, die für jede Spitze des Differenzspektrums durchgeführt werden müsste, insbesondere keine abschnittweise Verarbeitung des Differenzspektrums, wie diese im Klagepatent gelehrt wird. Dass es bei S... nicht auf die Spitzen ankommt, zeigt sich auch in Fig. 4. Durch das Multiplizieren des Differenzspektrums mit der Gewichtungsfunktion sollen gemäß S... nicht-harmonische Strukturkomponenten aus dem Spektrum entfernt werden („Remove non-harmonic structure components“, Schritt (f) in Fig. 4). Dies kann aber nach S... dazu führen, dass auch Spitzen, die in dem Differenzspektrum, also dem Residualspektrum, vorhanden waren, entfernt werden, wie in Fig. 4 (f) der Fall. Dass die Spitzen in bestimmten Fällen entfernt werden, zeigt aber, dass diese für Suzuki nicht von Bedeutung sind.
170
2. Der Gegenstand des Klagepatents ist auch neu gegenüber der Patentschrift US 5,712,953 „SYSTEM AND METHOD FOR CLASSIFICATION OF AUDIO OR AUDIO/VIDEO SIGNALS BASED ON MUSICAL CONTENT“ (im Folgenden Langs, Anlage BT8).
171
Langs offenbart ein automatisches System und ein Verfahren zur Klassifizierung von Audiosignalen oder Audio-/Videosignalen als Musik oder nicht- Musik.
172
a) Langs lehrt, die zeitliche Entwicklung einer ein Spektrum eines Schallsignals charakterisierenden Größe zu analysieren. Bei der das Spektrum charakterisierenden Größe handelt es sich um das erste Moment des Spektrums. Auf diese Weise entsteht eine Zeitreihe von ersten Momenten (Langs, Spalte 4, Zeilen 52–61). Diese Zeitreihe wird hinsichtlich ihrer Variabilität analysiert und mittels Mustererkennung werden in dem analysierten Signal Abschnitte mit Musik bzw. Abschnitte ohne Musik erkannt.
173
b) Durch Langs wird Merkmal 1.3 bzw. 19.3 nicht eindeutig und unmittelbar offenbart. Ob die weiteren Merkmale, insbesondere die Merkmale 1.2, 1.4 und 1.5 bzw. 19.2, 19.4 und 19.5. offenbart sind, was von der Klägerin bestritten wird, kann damit dahinstehen. Daher kommt es auf die Ausführungen der Beklagten im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14.12.2023 nicht an. Insoweit ist insbesondere kein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung geboten, § 156 ZPO.
174
Langs lehrt nicht unmittelbar und eindeutig das Erkennen von Spitzen, sondern stellt auf das erste Moment ab. Aus diesem lässt sich nur mittelbar als Ableitung auf Spitzen schließen, so dass das Erkennen von Spitzen nicht unmittelbar offenbart ist. Dies ergibt sich aus der folgenden Fig. 1 (a) – (d), (Hervorhebungen durch die Klägerin).
175
Spitzen spielen in der Lehre von Langs keine Rolle da ein Spektrum nur durch das erste Moment des Spektrums charakterisiert wird. Damit möchte Langs zwar die gleiche Eigenschaft von Musiklängen auswerten wie das Klagepatent, nämlich die Konstanz der Leistungsspektren. Hierfür lehrt Langs jedoch eine andere Methode, nämlich die Messung des ersten Moments des Spektrums. Langs bestimmt auch keine Minima, weder im Spektrum P noch im modifizierten Spektrum P.... Entsprechend werden auch keine Abschnitte eines Spektrums ermittelt, die zwischen zwei benachbarten Minima liegen und somit als Spitzen erkannt werden könnten. Auch im Rahmen der Berechnung des ersten Moments von P... werden keine Minima erkannt.
176
3. Der Gegenstand des Klagepatents wird gleichfalls nicht durch eine Kombination von S... mit der Druckschrift „Structure out of Sound“ von M... J... H..., 1993, im Folgenden „Hawley“ (Anlage BT9), nahegelegt.
177
Die Beklagten haben nicht hinreichend dargetan, dass S... einen Anlass bietet, das dort vorgeschlagene Verfahren überhaupt weiterzuentwickeln. S... lehrt die Ermittlung der Tonalität eines Schallsignals durch Verwendung der Einhüllenden und bietet damit ein in sich geschlossenes System. Die Schrift liefert der Fachperson daher keinen Anlass, eine andere Methode, insbesondere die Ermittlung von Spitzen, von der S... bewusst abweicht, in Betracht zu ziehen.
178
Das Vorbringen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2023, die Fachperson sei allgemein bestrebt, Verbesserungen aufzufinden entkräftet nicht die Tatsache, dass S... ein geschlossenes, funktionierendes System lehrt. Auch der Umstand, dass bei Anwendung der Lehre von S... nach dem Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung (vgl. Anlage BT19, S. 14) große Teile des Spektrums und wesentliche Teile der harmonischen Struktur (Obertöne) ungenutzt bleiben, führt zu keinem anderen Ergebnis. S... sieht die Ermittlung der Langzeitkorrelation durch die Ermittlung der Einhüllenden vor.
179
Hierbei bleiben große Teile des Spektrums ungenutzt, weil sie für die Ermittlung der Einhüllenden schlicht nicht benötigt werden. Es ist von den Beklagten nicht dargetan, weshalb die Fachperson versuchen sollte, die ungenutzten Teile des Spektrums in irgendeiner Form zu nutzen und somit die Lehre von S... zu verbessern. Insbesondere haben sie auch nicht vorgetragen, dass sich aus Suzuki selbst konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, von der Ermittlung der Einhüllenden, die gerade der Kern von S... Lehre ist, abzuweichen und nach einer besseren Methode zu suchen.
E.
180
Soweit der Schriftsatz der Beklagten vom 14.12.2023 neuen Tatsachenvortrag enthält, ist dieser nach § 296 a ZPO verspätet und daher zurückzuweisen. Der Inhalt gebietet ebenfalls keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung, § 156 ZPO, wie zuvor erläutert.
F.
181
I. Die Kostenfolge ergibt sich aus dem Verhältnis von Obsiegen zu Unterliegen. Die Klägerin obsiegt voll.
182
II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO. Die Festsetzung der Teilsicherheiten beruht auf den Angaben der Klägerin zu den Teilstreitwerten und entspricht gängiger Übung der Verletzungskammern am Landgericht München I.