Inhalt

OLG München, Beschluss v. 19.06.2023 – 18 W 555/23 Pre e
Titel:

Streitwert für Unterlassungansprüche gegen die Veröffentlichung von Bewertungen einer Zahnarztpraxis im Internet

Normenketten:
GKG § 48 Abs. 1 S. 1, § 63 Abs. 3, § 68 Abs. 1
ZPO § 3
Leitsätze:
1. Für die Streitwertbemessung kommt es im Regelfall nicht darauf an, unter wie vielen sonstigen (positiven) Bewertungen die Negativbewertungen gelistet sind und sich aus der Menge mehr oder weniger abheben. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Vielzahl der Streitfälle um Bewertungen in Online-Portalen bietet es sich an, die Streitwertbemessung an standardisierten Fallgruppen zu orientieren. Die reine Sternchen-Bewertung ohne Textbeitrag ist mit dem Regelstreitwert von 5.000 € angemessen und ausreichend berücksichtigt. Kommt ein Textbeitrag im üblichen Rahmen hinzu, erhöht sich der Streitwert im Regelfall auf 10.000 €. Hier sind Abweichungen nach oben möglich, z.B. bei besonders schwerwiegenden Bewertungen, oder wenn die Klagepartei einen durch die Bewertung verursachten konkreten Umsatzschaden belegt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwertbeschwerde, Vermögensrechtliche Streitigkeit, Bewertungsportal, Unterlassungsanspruch, Streitwertbemessung, Standardfall, Gesamtstreitwert
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 19.04.2023 – 26 O 15707/22
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 53209

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 19.04.2023, Az. 26 O 15707/22, in Ziffer 2. wie folgt abgeändert:
Der Streitwert des Verfahrens wird auf 25.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin begehrte die Unterlassung der Veröffentlichung dreier Bewertungen ihrer Zahnarztpraxis auf dem Portal www. .com der Beklagten. Zwei der streitgegenständlichen Bewertungen enthalten jeweils einen kurzen Textbeitrag sowie eine sogenannte Sterne – Bewertung mit jeweils einem Stern. Die dritte Bewertung ist eine einfache Sterne-Bewertung mit einem Stern ohne Textbeitrag.
2
Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, hat das Landgericht mit Beschluss vom 19.04.2023 (Bl. 41 f. d.A.) eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO getroffen, den Streitwert für die einzelnen Bewertungen mit jeweils 3.000 € bemessen und den Gesamtstreitwert auf 9.000 € festgesetzt.
3
Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 21.04.2023 (Bl. 45 ff. d.A.) Beschwerde eingelegt und beantragt, den Streitwert auf insgesamt 30.000 € festzusetzen. Auf die Begründung der Klägerin im Schriftsatz vom 21.04.2023 wird Bezug genommen.
4
Die Beklagte ist dem mit Schriftsatz vom 08.05.3034 (Bl. 49 f.) entgegengetreten und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
5
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 10.05.2023 (Bl.. 51 ff. d.A.) der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
6
Mit Schriftsatz vom 05.06.2023 (Bl. 4 ff. d. OLG-A.) hat die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme abgegeben.
II.
7
Die Streitwertbeschwerde der Klägerin hat in der Sache überwiegend Erfolg. Der Gesamtstreitwert des Verfahrens beträgt 25.000 €.
8
1. Die Streitwertbeschwerde der Klägerin ist zulässig. Die Statthaftigkeit der Beschwerde ergibt sich aus § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG. Die Beschwer der Beklagten übersteigt die maßgebliche Wertgrenze von 200 €. Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie innerhalb der Frist des § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG eingelegt worden.
9
2. Die Beschwerde ist auch überwiegend begründet.
10
a) Die Bemessung des Streitwerts richtet sich vorliegend nach § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Denn es handelt sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit.
11
Zwar sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Unterlassungsansprüche, welche den sozialen Geltungsanspruch des Betroffenen in der Öffentlichkeit schützen sollen, grundsätzlich nichtvermögensrechtlicher Natur, sofern sich nicht aus dem Klagevorbringen oder offenkundigen Umständen ergibt, dass das Rechtsschutzbegehren in wesentlicher Weise auch der Wahrung wirtschaftlicher Belange dienen soll (BGH, Beschluss vom 01.02.1983 – VI ZR 116/82, NJW 1983, 2572; Urteil vom 20.12.1983 – VI ZR 94/82, NJW 1984, 1104 jeweils m.w.N.). Letzteres ist aber im Streitfall zu bejahen. Im Mittelpunkt stehen negative Bewertungen der geschäftlichen Tätigkeit der Klägerin auf dem Bewertungsportal der Beklagten. Die Klage dient daher in erster Linie der Wahrung der wirtschaftlichen Belange der Klägerin.
12
b) Das bei der Bewertung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO auszuübende Festsetzungsermessen orientiert sich hinsichtlich der Durchsetzung eines Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruchs an der wirtschaftlichen Bedeutung für die Klägerin, womit deren Interesse an der Verhinderung künftiger Verletzungshandlungen oder fortdauernder Beeinträchtigung in den Blick zu nehmen ist. Zwar ist das Gericht an Angaben der klagenden Partei nicht gebunden. Diesen Angaben kommt nach ganz herrschender Meinung, wenn sie nicht offensichtlich unzutreffend sind, aber erhebliches Gewicht und eine „indizielle“ Bedeutung zu (st.Rspr., BGH, Beschluss vom 16.01.1991 – XII ZR 244/90, BeckRS 1991, 31061709; BayObLG, Beschluss vom 20.09.2021 – 101 ZBR 134/20, BeckRS 2021, 30792 Rn. 62; OLG München, Beschluss vom 05.02.2018 – 29 W 1855/17, NJW-RR 2018, 575 Rn. 15) – insbesondere, wenn sie im erstinstanzlichen Verfahren und damit zu einem Zeitpunkt, in dem die spätere Kostentragungspflicht noch offen ist, abgegeben werden. Eine Orientierung an dem gebührenrechtlichen Auffangwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG kommt bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten dagegen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in Betracht (Beschluss vom 07.07.2022 – V ZB 75/21, NZM 2022, 754).
13
Entgegen der Ansicht der Beklagten dürfte es im Regelfall nicht darauf ankommen, unter wievielen sonstigen (positiven) Bewertungen die streitgegenständlichen Negativbewertungen gelistet sind und sich aus der Menge mehr oder weniger abheben. Konkrete kausal durch einzelne Abwertungen herbeigeführte Umsatzeinbußen dürften selten dargelegt werden können und müssen dies auch nicht. Der Umsatz des betroffenen Unternehmens an sich ist auch keine geeignete Größe für die Streitwertbemessung. Denn negative Online-Bewertungen können für kleine oder neu am Markt tätige Unternehmen deutlich schwerer wiegen als für große, umsatzstarke Unternehmen. Es genügt für den Regelfall, dass die Art der Bewertung zu Umsatzeinbußen führen kann. Zu berücksichtigen ist ferner der große Verbreitungsgrad der Bewertungen im Portal der Beklagten und die wirtschaftliche Bedeutung für die Anbieter von Produkten oder Dienstleistungen, hier ärztlichen Leistungen, die den Verbrauchern Entscheidungshilfe bei der Auswahl geben sollen.
14
Bei der Vielzahl der Streitfälle um Bewertungen in Online-Portalen bietet es sich an, die Streitwertbemessung an standardisierten Fallgruppen zu orientieren. Die reine Sternchen-Bewertung ohne Textbeitrag ist vorliegend mit dem Regelstreitwert von 5.000 € angemessen und ausreichend berücksichtigt. Denn eine reine Sterne-Bewertung wirkt sich zwar auf die Gesamt – Sterne – Bewertung eines Anbieters aus, dürfte aber als solche weniger wahr genommen werden. Kommt ein Textbeitrag im üblichen Rahmen hinzu, erhöht sich der Streitwert im Regelfall auf 10.000 €. Hier sind Abweichungen nach oben möglich, z.B. bei besonders schwerwiegenden Bewertungen, oder wenn die Klagepartei einen durch die Bewertung verursachten konkreten Umsatzschaden belegt.
15
Der Beklagten ist zuzugeben, dass sich der Streitwert bei einer Vielzahl von Verstößen in der Regel nicht aus einer schlichten Addition der Einzelstreitwerte ergibt. Für einen „Mengenrabatt“ beim Streitwert, wie ihn die Beklagte unter Berufung auf eine Entscheidung des Landgerichts Stralsund (Beschluss vom 11.04.2023; Az. 4 O 185/22) im Schriftsatz vom 18.04.2023 S. 2 (Bl. 39 f. d.A.) und des Landgerichts Düsseldorf (bei 36 dort streitgegenständlichen Bewertungen; Urteil vom 25.04.2023; Az. 12 O 65/21) im Schriftsatz vom 05.06.2023, S.2 (Bl. 5 d. OLG-A.) auch hier fordert, sieht der Senat jedenfalls im vorliegenden Fall bei der gegenständlichen Größenordnung von drei Bewertungen keine Veranlassung.
16
c) Unter Zugrundelegung der vorgenannten Maßstäbe handelt es ich hier um drei Standardfälle: Die Einzelstreitwerte für die beiden Bewertungen mit Textbeitrag sind auf jeweils 10.000 € festzusetzen, der Beitrag mit nur einem Sternchen mit 5.000 €. Mithin ergibt sich der Gesamtstreitwert von 25.000 €. Der Streitwertbeschluss des Landgerichts vom 19.04.2023 war daher entsprechend abzuändern.
III.
17
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 68 Abs. 3 GKG.