Titel:
Bestätigung einer Beschlussverfügung wegen Patentverletzung
Normenketten:
PatG § 9, § 139, § 140a
EPÜ Art. 64
ZPO § 920, § 935, § 936, § 940
Leitsätze:
1. Einen Nebenanspruch zur Auslegung des Hauptanspruchs heranzuziehen, erscheint der Kammer grundsätzlich bedenklich, denn beim Gegenstand eines Nebenanspruchs handelt es sich in aller Regel um eine eigenständige (nebengeordnete) Erfindung, so dass allenfalls in besonderen Situationen der Nebenanspruch für die Auslegung des Hauptanspruchs herangezogen werden und insofern fruchtbar gemacht werden dürfte. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Verfügungspatent, welches eine Patrone für eine Stereolithographiemaschine betrifft, wird durch die angegriffenen Ausführungsformen „Capsule Print“ und „UltraCraft ChairSide“ unmittelbar wortsinngemäß verletzt. (Rn. 43 – 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfügungsanspruch, Verfügungsgrund, Zulässigkeit, Zuständigkeit, Patentverletzung, Auslegung, Dringlichkeit
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 50890
Tenor
I. Die zu diesem Aktenzeichen ergangene einstweilige Verfügung vom 14.03.2023 wird bestätigt.
II. Die Antragsgegnerin und Verfügungsbeklagte trägt die weiteren Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Die Verfügungsklägerin ist Inhaberin des nationalen deutschen Teils des europäischen Patents (Anlage ASt1, nachfolgend: Verfügungspatent) und nimmt die Verfügungsbeklagte wegen unmittelbarer Patentverletzung des Anspruchs 1 im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes in Anspruch.
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Das Verfügungspatent nimmt eine Priorität vom 27.07.2012 in Anspruch und wurde am 25.01.2013 angemeldet. Das Verfügungspatent wurde am 07.06.2017 erteilt.
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Anspruch 1 des Verfügungspatents lautet in der maßgeblichen englischen Fassung wie folgt:
„Cartridge (2; 2’; 2“) for a stereolithography machine (1), comprising:
- a container (3) provided with an access opening (4);
- a reservoir (5) containing a base material (6), liquid or pasty, suited to be solidified through exposure to a predefined radiation (7), said reservoir (5) being permanently associated with said container (3);
- feeding means (8) suited to feed said base material (6) from said reservoir (5) towards said container (3), wherein the bottom (9) of said container (3) is at least partially transparent to said predefined radiation (7) and is situated opposite said access opening (4)
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Die Verfügungsbeklagte beabsichtigte, auf der Messe IDS 2023 in K. (H.) vom 14. bis 18.03.2023 Patronen für eine Stereolithographiemaschine, insbesondere des Typs „...“, und Patronen für eine Stereolithograhiemaschine als Teil einer Gesamtvorrichtung, insbesondere zusammen mit einem 3D-Drucker des Typs „...“, auszustellen und anzubieten. Zudem wurden die Patronen im Internet auf der Website der Verfügungsbeklagten „, „Model “ und „ die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, dass die angegriffenen Ausführungsformen das Verfügungspatent in Anspruch 1 unmittelbar verletzen.“
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Die Kammer hat die beantragte einstweilige Verfügung mit Beschluss vom 14.03.2023 ohne vorherige Anhörung der Verfügungsbeklagten erlassen. Diese ist der Verfügungsbeklagten am 16.03.2023 auf der IDS 2023 in K. zugestellt worden (Schriftsatz der Verfügungsklägerin vom 14.04.2023), wo sie die angegriffenen Ausführungsformen wie beabsichtigt ausgestellt hat. Die Verfügungsbeklagte hat mit Schriftsatz vom 03.07.2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Widerspruch erhoben und diesen begründet.
6
Die Verfügungsklägerin beantragt, die einstweilige Verfügung des Landgerichts München I vom 14.03.2023, Az. 21 O 3173/23, aufrechtzuerhalten.
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Die Verfügungsbeklagte beantragt, die einstweilige Verfügung des Landgerichts München I vom 14.03.2023 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 13.03.2023 zurückzuweisen.
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Die Verfügungsbeklagte behauptet, dass sich bei den angegriffenen Ausführungsformen Behälter und Reservoir ohne Aufwand schnell voneinander lösen lassen. Sie ist der Ansicht, dass die angegriffenen Ausführungsformen das Verfügungspatent nicht verletzen.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlungen vom 29.09.2023 sowie auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die einstweilige Verfügung ist aufrechtzuerhalten. Der auf ihren Erlass gerichtete Antrag ist zulässig (unter A.) und begründet (unter B). Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund sind gegeben.
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Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht München I zuständig (§ 143 PatG, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, § 32 ZPO i.V.m. § 38 Nr. 1 BayGZVJu).
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Der Antrag ist begründet. Verfügungsanspruch (unter Ziffer I.) und Verfügungsgrund (unter Ziffer II.) bestehen.
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I. Der geltend gemachte Verfügungsanspruch besteht.
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1. Das Verfügungspatent betrifft eine austauschbare Patrone („cartridge“) für einen 3D Drucker, bei dem mittels Stereolithographie dreidimensionale Objekte hergestellt werden, indem zahlreiche Schichten eines flüssigen oder pastösen Basismaterials, das mittels Strahlung verfestigt wird, übereinandergelegt werden.
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Aus dem Stand der Technik sind Patronen für 3D-Drucker bekannt, bei denen die Herstellung der Objekte in einem Behälter stattfindet, der entweder von Zeit zu Zeit von Hand mit Basismaterial aufgefüllt werden muss oder bei dem das Basismaterial automatisch zugeführt wird.
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Das Verfügungspatent kritisiert am Stand der Technik, dass die erste Variante den Nachteil hat, dass der Benutzer mit dem möglicherweise toxischen Basismaterial in Berührung komme ([0007]). Die zweite Variante erfordere einen Zuführmechanismus, der Kosten verursache und gewartet werden müsse ([0008]). Bei beiden Varianten bestehe zudem der Nachteil, dass das nicht verwendete Basismaterial Licht und Luft ausgesetzt werde, so dass es unbrauchbar werde und der Behälter gereinigt werden müsse, bevor neues Basismaterial eingefüllt werde ([0009] und [0010]). Schließlich müsse der Behälter von Zeit zu Zeit ausgetauscht werden.
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Vor diesem Hintergrund stellt sich das Verfügungspatent die Aufgabe, einen verbesserten 3D-Drucker mit Patronen bereitzustellen, bei denen sich die genannten Nachteile nicht ergeben.
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Anspruch 1 gliedert die Kammer geringfügig abweichend von den Parteien wie folgt:
„1. Patrone für eine Stereolithographiemaschine umfassend:
1.1.1 mit einer Zugangsöffnung
1.1.2.1 der Boden ist gegenüber der Zugangsöffnung positioniert
1.1.2.2 der Boden ist wenigstens teilweise für die vorbestimmte Strahlung transparent;
1.2.1 mit einem flüssigen oder pastösen Basismaterial, das dazu geeignet ist, sich durch Einwirkung einer vorbestimmten Strahlung zu verfestigen
1.2.2 das Reservoir ist permanent mit dem Behälter verbunden;
1.3 Zufuhrmittel, das dazu geeignet ist, das Basismaterial aus dem Reservoir zu dem besagten Behälter zu leiten.“
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Die von der Verfügungsklägerin farbig gestaltete Figur 1 des Verfügungspatents zeigt eine erfindungsgemäße Patrone in Seitenansicht, [0024].
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Die von der Verfügungsklägerin farbig gestaltete Figur 2 des Verfügungspatents zeigt eine erfindungsgemäße Patrone während der Verwendung in einer Stereolithographiemaschine, [0024].
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2. Die durch das Verfügungspatent unter Schutz gestellte technische Lehre ist nach dem Verständnis der angesprochenen Fachperson, die die vom Gegenstand des Verfügungspatents angesprochene Fachwelt repräsentiert, zu ermitteln.
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Die Fachperson verfügt über einen Universitätsabschluss (Diplom oder Master) eines Ingenieursstudiums sowie über mehrjährige Berufserfahrung in der Entwicklung von 3DDruckgeräten und Kartuschen für hochwertige Druckerzeugnisse, insbesondere im Dentalbereich.
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3. Folgende Merkmale bedürfen näherer Erläuterung.
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a) Nach Merkmal 1.1 umfasst die Patrone einen Behälter. Ein Behälter ist ein zumindest nach unten sowie seitlich umgrenzter Raum, der zum Halten des vorgesehenen Materials geeignet ist. Dieser muss so gestaltet sein, dass aufgrund einer Seitenbegrenzung eine bestimmungsgemäß zu haltende Substanz nicht abfließen kann.
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Merkmale eines Patentanspruchs sind grundsätzlich funktional auszulegen, soweit die Patentschrift kein räumlich-körperliches Verständnis gebietet (vgl. BGH GRUR 2016, 921 Rn. 29 ff. mwN – Pemetrexed; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 15. Auflage, 2023, Kap. A Rn. 71; Busse/Keukenschrijver/Werner, PatG, 9. Auflage, 2020, § 14 Rn. 16).
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Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten (Widerspruch Rn. 16) muss der Behälter nicht von sich heraus in der Lage sein, eine Verschlechterung des Basismaterials durch Einflüsse der Umgebung zu verhindern ist, so dass keine bestimmte Höhe der seitlichen Umgrenzung vorausgesetzt wird. Aus der Gesamtoffenbarung des Verfügungspatents ergibt sich nicht, dass gerade durch den Behälter die von dem Patent gestellte Aufgabe verwirklicht werden muss. Für einen Behälter ist ausreichend, dass überhaupt eine seitliche Begrenzung besteht, ohne, dass der Behälter von sich aus in der Lage sein muss, das Basismaterial umfassend vor äußeren Einflüssen zu schützen. In [0003] verweist das Verfügungspatent auf Behälter, die aus dem Stand der Technik bekannt sind, ohne sich hiervon abzugrenzen. Der Behälter ist von der aus dem Stand der Technik bekannten Plattform abzugrenzen. Eine Plattform ist ein ebenes Gebilde ohne seitliche Begrenzung.
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b) Laut Merkmal 1.1.1 enthält der Behälter eine Zugangsöffnung.
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aa) Unter Zugangsöffnung ist jede Öffnung zu verstehen, die es ermöglicht, dass die Modellierplattform in die Kartusche eingeführt wird. Dies umfasst auch eine Ausgestaltung, in der der Behälter nach oben hin insgesamt geöffnet ist. Denn eine bestimmte Größe der Zugangsöffnung wird nicht vorgegeben. Insbesondere setzt der Begriff Zugangsöffnung entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten (Widerspruch, Rn. 17 ff.) nicht voraus, dass der Behälter weitgehend verschlossen ist und die Zugangsöffnung nur klein ist. Ein solches Verständnis wird weder durch den Wortlaut des Anspruchs noch durch dessen Sinn und Zweck gelehrt.
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Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten folgt ein enges Verständnis gleichfalls nicht aus den Figuren 1 und 2. Auch wenn in diesen die Zugangsöffnung der Behälter nicht insgesamt nach oben hin offen ist, so handelt es sich hierbei lediglich um Ausführungsbeispiele, durch die der Patentanspruch nicht beschränkt wird (vgl. BGH GRUR 2004, 1023, 1024 – bodenseitige Vereinzelungsanordnung).
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bb) Auch aus Anspruch 15 ergibt sich keine andere Auslegung dieses Merkmals.
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Dieser nebengeordnete Anspruch 15 lehrt ein Verfahren zur Herstellung einer Patrone, u.a. durch ein Abdichten von Reservoir und Behälter. Anspruch 15 hat eine vom Gegenstand des Anspruchs 1 unabhängige Erfindung zum Inhalt.
32
Ob ein Nebenanspruch zur Auslegung des Hauptanspruchs heranzuzuziehen ist, erscheint der Kammer grundsätzlich bedenklich. Denn beim Gegenstand eines Nebenanspruchs handelt es sich in aller Regel um eine eigenständige (nebengeordnete) Erfindung, so dass allenfalls in besonderen Situationen der Nebenanspruch für die Auslegung des Hauptanspruchs herangezogen werden und insofern fruchtbar gemacht werden dürfte (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR 2022, 1510 – Abdeckungsentfernungsvorrichtung).
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Letztlich kann die Beantwortung dieser Rechtsfrage aber dahinstehen, weil bei Berücksichtigung des Gegenstands von Anspruch 15 allenfalls ein Umkehrschluss zum hiesigen Hauptanspruch gezogen werden kann. Denn der Gegenstand des Anspruchs 15 ist in Bezug auf das Abdichten des Behälters und Reservoirs konkreter als der Gegenstand des Anspruchs 1. Es ist davon auszugehen, dass mittels des Abdichtens gemäß Anspruch 15 eine Gefährdung des Benutzers durch das Austreten eines toxischen Basismaterials erfindungsgemäß vermieden werden soll. Da jedoch Anspruch 1 ein entsprechendes Merkmal nicht enthält, lässt Anspruch 1 diesen Aspekt bewusst offen und macht insofern keine Vorgaben, wie die Zugangsöffnung beschaffen sein muss.
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cc) Ein anderes Verständnis folgt auch nicht vor dem Hintergrund der Druckschrift JP H0215333.
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Die Verfügungsbeklagte hat insoweit in der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2023 vertreten, dass der Fachmann den Begriff Zugangsöffnung im Verfügungspatent eng auslege, um sich von dem aus der Druckschrift JP H0215333 bekannten Stand der Technik abzugrenzen. Diese Druckschrift lehre nach dem Verständnis der Verfügungsbeklagten bereits einen Behälter, der die Form eines Würfels aufweise, dessen obere Seite offen sei. Die Fachperson werde – so die Annahme der Verfügungsbeklagten – das Verfügungspatent daher so verstehen, dass sich dieses von der Druckschrift abgrenze. Dieses Verständnis ergebe auch funktional Sinn, weil es Aufgabe des Verfügungspatents sei, das ggf. toxische Basismaterial möglichst zu umschließen und so zu verhindern, dass der Benutzer damit in Berührung komme.
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Dem ist entgegenzuhalten, dass sich diese Abgrenzung gegenüber diesem Stand der Technik nicht aus dem Verfügungspatent ergibt. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Auslegung eines Patentanspruchs die Patentschrift in ihrer Gesamtheit einschließlich Beschreibung und Zeichnungen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen, heranzuziehen (BGH GRUR 2012, 1124, 1126 Rn. 27 mwN – Polymerschaum). Demgegenüber ist nicht danach auszulegen, was gegenüber dem Stand der Technik neu und damit patentfähig wäre. Soweit die Abgrenzung zum Stand der Technik bei der Auslegung herangezogen wird, muss sich diese Abgrenzung aus der Patentschrift selbst ergeben. Nur wenn in der Beschreibung eines Patents ein bekannter Stand der Technik als nachteilhaft bezeichnet und ein im Patentanspruch vorgesehenes Merkmal als Mittel hervorgehoben wird, um diesen Nachteil zu überwinden, ist diesem Merkmal im Zweifel kein Verständnis beizumessen, demzufolge es sich in demjenigen Stand der Technik wiederfindet, von dem es sich gerade unterscheiden soll (vgl. BGH GRUR 2021, 945 – Schnellwechseldorn).
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Nach diesen Grundsätzen ist für eine Auslegung, wie sie die Verfügungsbeklagte vornimmt, kein Raum. Die Beschreibung der Verfügungspatentschrift kritisiert zwar am Stand der Technik, dass der Nutzer mit dem möglicherweise toxischen Basismaterial in Berührung kommen könnte [0007], und zitiert die Druckschrift JP H0215333. An keiner Stelle ergibt sich aber aus dem Verfügungspatent, dass eine Abgrenzung konkret im Hinblick auf die Größe der Zugangsöffnung gewollt ist oder dass die Aufgabe des Patents gerade durch eine möglichst kleine Zugangsöffnung erreicht werden soll.
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c) Merkmal 1.2.2 lehrt eine permanente Verbindung von Reservoir und Behälter.
39
Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten (Widerspruch Rn. 21 ff.) ist hierbei nicht vorausgesetzt, dass es sich bei Reservoir und Behälter um einen einheitlichen Gegenstand („single body“) handelt und Reservoir und Behälter untrennbar verbunden sind. Ausreichend ist vielmehr, dass sich Reservoir und Behälter ohne Eingriff des Nutzers, insbesondere beim Gebrauch, nicht lösen lassen.
40
Bereits der Wortlaut spricht für dieses Verständnis, weil permanent nicht mit untrennbar gleichzusetzen ist. Hierfür streitet auch ein funktionales Verständnis, weil für die technische Lehre des Verfügungspatents eine Verbindung ausreicht, die sicherstellt, dass das Basismaterial in den Behälter geleitet werden kann und Behälter und Reservoir zusammen eingesetzt und entfernt werden können. Hierfür ist eine unauflösliche Verbindung nicht erforderlich. Zudem zeigen das Ausführungsbeispiel [0029], in dem ein „single body“ als eine bloße Möglichkeit der Umsetzung genannt ist, sowie [0030], in dem eine „single containment structure“ ausdrücklich nur als vorzugswürdig („preferably“) beschrieben wird, dass eine unauflösliche Verbindung von Reservoir und Behälter gerade nicht zwingend ist. Schließlich erfordern auch der Sinn und Zweck es nicht, von einer „single body“-Struktur auszugehen. Es sind auch andere Ausführungen denkbar, mit denen das patentgemäße Ziel erreicht werden kann, ohne dass ein einheitlicher Körper vorliegen muss. Anspruch 1 des Patents ist hierauf nicht beschränkt.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf eine Abgrenzung zu dem aus der Druckschrift JP H0215333 bekannten Stand der Technik. Nach den unter I.3.b) genannten Grundsätzen grenzt sich das Verfügungspatent auch insoweit nicht von der Druckschrift ab. Aus dem Verfügungspatent ergibt sich nicht, dass gerade eine permanente Verbindung in Abgrenzung zur Druckschrift erforderlich sein soll. Insbesondere ergibt sich schon aus der Druckschrift, dass Behälter und Reservoir („storage tank“) dauerhaft verbunden sind („permanently connected“, s. Anl. 01 S. 2). Zwar verwendet das Verfügungspatent in Merkmal 1.2.1 in der maßgeblichen englischen Fassung den Begriff „permanently associated“. Dass der Begriff „associated“ eine weitergehende Bedeutung haben soll als „connected“ und eine untrennbare Verbindung bezeichnet, ergibt sich aus dem Gesamtoffenbarungsgehalt des Patents jedoch nicht.
42
d) Die Auslegung der übrigen Merkmale ist zwischen den Parteien nicht umstritten.
43
4. Die Verfügungsbeklagte verletzt das Verfügungspatent in der geltend gemachten Fassung von Anspruch 1 mit den angegriffenen Ausführungsformen „Capsule Print“ und „UltraCraft ChairSide“ unmittelbar wortsinngemäß, § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG, weil sie diese in der Bundesrepublik Deutschland anbietet und vertreibt. Die angegriffenen Ausführungsformen machen von dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Verfügungspatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht vor allem die zwischen den Parteien umstrittenen Merkmale 1.1, 1.1.1 und 1.2.2. Die Benutzung der weiteren Merkmale ist zwischen den Parteien zu Recht nicht streitig.
44
a) Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsformen ist zwischen den Parteien im Wesentlichen unstreitig. Sofern die Parteien darüber streiten, welchen Aufwand es erfordert, entsprechend der folgenden Darstellung die Multifunktions-Druckplatte (1) von dem Reservoir (4) zu trennen, kann dies dahinstehen, weil dies nach der Auslegung des Merkmals 1.2.2 durch die Kammer unerheblich ist.
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b) Eine Verletzung des Merkmals 1.1 liegt vor, weil die beiden angegriffenen Ausführungsformen einen Behälter in Form der Multifunktionsdruckplatte enthalten. Die Multifunktions-Druckplatte besteht aus einer durch Seitenwände begrenzte Fläche, die dazu geeignet ist, das flüssige oder feste Basismaterial zu umschließen und ein Auslaufen zu verhindern.
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c) Auch Merkmal 1.1.1 wird durch die angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht.
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Die Multifunktionsdruckplatte ist nach oben hin geöffnet, so dass eine Modellierplattform eingeführt werden kann. Dies ist nach der Auslegung der Kammer für die Verwirklichung von Merkmal 1.1.1 ausreichend.
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d) Schließlich verwirklichen die angegriffenen Ausführungsformen Merkmal 1.2.2.
49
Unstrittig ist, dass Behälter und Reservoir während des Druckvorgangs und während des Einsetzens und Herausnehmens aus dem Drucker bestimmungsgemäß miteinander verbunden bleiben. Dies ist nach der Auslegung der Kammer für eine Verwirklichung des Merkmals ausreichend. Ob Behälter und Reservoir, wie von der Verfügungsbeklagten vorgetragen, ohne größeren Aufwand getrennt werden können, oder ob dies, wie von der Verfügungsklägerin behauptet, einiges an Zeit und Aufwand erfordert, kann dahinstehen.
50
Demgegenüber ist unerheblich, ob die angegriffene Ausführungsform es tatsächlich vermag, den Nutzer vor dem Kontakt mit dem Basismaterial zu schützen. Dies wird zwar als eine der Aufgaben des Verfügungspatents beschrieben, hat aber keine Entsprechung im Anspruch gefunden, so dass der Patentanspruch keine Mindestanforderungen an die Qualität oder den Umfang des Schutzes vorgibt (vgl. Busse/Keukenschrijver/Werner, PatG, 9. Auflage 2020, § 14 Rn. 70). Die Tatsache, dass die angegriffenen Ausführungsformen die durch das Verfügungspatent gestellte Aufgabe möglicherweise nicht vollständig erfüllen können, schließt eine Verletzung nicht aus, weil allein maßgeblich ist, dass die angegriffene Ausführungsform von sämtlichen Merkmalen des Patentanspruchs Gebrauch macht.
51
5. Damit stehen der Verfügungsklägerin gegen die Verfügungsbeklagte die geltend gemachten Ansprüche im tenorierten Umfang zu.
52
a) Der Anspruch auf Unterlassung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG.
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Die Wiederholungsgefahr wird durch die festgestellten rechtswidrigen Benutzungshandlungen indiziert. Die Verfügungsbeklagte hat die angegriffenen Ausführungsformen auf ihrem Stand der Messe IDS 2023 ausgestellt.
54
b) Der Anspruch auf Herausgabe an einen Gerichtsvollzieher zur Verwahrung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140a Abs. 1 PatG.
55
Der Anspruch auf Herausgabe an einen Gerichtsvollzieher zur Verwahrung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Vernichtungsanspruch oder eine einvernehmliche Regelung zwischen den Parteien ist als Minus im Vernichtungsanspruch gemäß § 140a Abs. 1 PatG enthalten und entspricht dem Verbot der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Verfügungsverfahren.
56
II. Auch ein Verfügungsgrund i. S. von §§ 935, 940 ZPO ist glaubhaft gemacht.
57
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt gemäß §§ 935, 940 ZPO eine objektiv begründete Gefahr voraus, dass die Rechtsverwirklichung des Verfügungsklägers mittels eines erst im Hauptsacheprozess erlangten Urteils vereitelt oder erschwert werden könnte. Dies verlangt zum einen eine für die Eilmaßnahme sprechende rein zeitliche Dringlichkeit und daneben eine Abwägung der widerstreitenden Interessen zwischen den dem Schutzrechtsinhaber ohne den Erlass der beantragten Verfügung drohenden Nachteilen, welche gegen die Interessen des als Verletzer in Anspruch genommenen Verfügungsbeklagten abgewogen werden müssen. Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ist gemäß §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO seitens des Verfügungsklägers darzulegen und glaubhaft zu machen (OLG München GRUR-RS 2021, 12272 Rn. 47 – Cinacalcet; LG München I GRUR 2022, 1808 Rn. 62 – Fingolimod; vgl. Voß in: Cepl/Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 3. Aufl. 2022, § 940 Rn. 64 f.).
58
1. Die zeitliche Dringlichkeit liegt vor.
59
a) Die erforderliche zeitliche Dringlichkeit ist grundsätzlich zu verneinen, wenn der Antragsteller/Verfügungskläger mit der Rechtsverfolgung ohne sachlichen Grund zu lange zögert, weil er in diesen Fällen selbst zu erkennen gibt, dass er nicht derart eilig auf das begehrte Verbot angewiesen ist, dass es ihm nicht zugemutet werden könnte, sein Rechtsschutzziel in einem Hauptsacheverfahren durchzusetzen. Die dabei nach ständiger Rechtsprechung im Bezirk des Oberlandesgerichts München im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes zu wahrende einmonatige Dringlichkeitsfrist wird in Lauf gesetzt, wenn der Antragsteller/Verfügungskläger Kenntnis von der fraglichen Verletzungshandlung und dem hierfür Verantwortlichen hat und er alle Informationen und Glaubhaftmachungsmittel besitzt, um mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen zu können (vgl. OLG München GRUR 2020, 385 Rn. 60 – Elektrische Anschlussklemme; GRURRS 2021, 12272 Rn. 49 – Cinacalcet). Die erforderlichen Glaubhaftmachungsmittel muss sich der Antragsteller/Verfügungskläger zuvor mit der gebotenen Eile beschaffen (vgl. OLG München GRUR-RS 2021, 12272 Rn. 49 – Cinacalcet). Sobald der Patentinhaber das mutmaßlich patentverletzende Erzeugnis in den Händen hat, trifft ihn die Obliegenheit, den betreffenden Gegenstand zügig und umfassend auf das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung zu untersuchen, also die notwendigen Untersuchungen alsbald in die Wege zu leiten, diese zielstrebig zum Abschluss zu bringen und, sofern sich ein positiver Befund ergibt, anschließend ohne übermäßiges Zögern die sich daraus ergebenden Verbietungsansprüche zu verfolgen (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 14. Aufl. 2022, Kap. G Rn. 153). Generell darf er dabei den sicheren Weg gehen und alle Glaubhaftmachungsmittel beschaffen, die bei einem denkbaren Verteidigungsverhalten des Gegners erforderlich werden können (Kühnen a.a.O., Kap. G Rn. 153; OLG München GRUR- RS 2021, 12272 Rn. 49 – Cinacalcet; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2013, 236, 238 – FlupirtinMaleat). Maßgeblich ist stets, ob der Antragsteller/Verfügungskläger das Seinige getan hat, um seine Verbietungsrechte zügig durchzusetzen, also ob er seine Rechtsverfolgung in einer Weise vorantreibt, die die Ernsthaftigkeit seines Bemühens erkennen lässt und es deswegen objektiv rechtfertigt, ihm Zugang zum einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu gewähren.
60
b) Nach diesen Maßstäben hat die Verfügungsklägerin durch Einreichung ihres Verfügungsantrags vom 13.03.2023, bei Gericht eingegangen am selben Tag, die Dringlichkeitsfrist gewahrt.
61
Die Verfügungsklägerin wurde auf den konkreten Verletzungstatbestand erstmals aufmerksam durch ihren Mitarbeiter Herr, der am 13.03.2023 den D-Drucker „“ (vgl. Verletzungsgegenstand 2) am Stand der Verfügungsbeklagten auf der IDS 2023 entdeckte. Die Verfügungsklägerin hat noch am selben Tag den Erlass der einstweiligen Verfügung bei Gericht beantragt.
62
2. Die bei der Prüfung des Verfügungsgrundes vorzunehmende umfassende Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Verfügungsklägerin aus.
63
Abzuwägen sind hierbei die dem Schutzrechtsinhaber ohne den Erlass der beantragten Verfügung drohenden Nachteile und die Interessen der als Verletzer in Anspruch genommenen Verfügungsbeklagten. Der Verfügungsbeklagten droht hierbei bei Bestätigung der einstweiligen Verfügung vorläufig der Ausschluss aus dem deutschen Markt. Demgegenüber muss die Verfügungsklägerin ohne Erlass der Verfügung drohende Umsatzeinbußen sowie einen Preisverfall bei ihren Produkten befürchten. Auch wenn die Verfügungsklägerin zu einem späteren Zeitpunkt der Hauptsache obsiegen sollte, ist zu erwarten, dass ohne Erlass der einstweiligen Verfügung bereits ein unwiderruflicher Preisverfall eingetreten ist und die Verfügungsklägerin ihre Preise auf dem Markt nicht mehr durchsetzen kann.
64
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 ZPO. Da die Verfügungsklägerin voll obsiegt, trägt die Verfügungsbeklagte die (weiteren) Kosten des Verfahrens.