Titel:
Erfolgloser Zwangslizenzeinwand bei fehlender Lizenzwilligkeit
Normenketten:
EPÜ Art. 64 Abs. 1, Abs. 3
AEUV Art. 102
PatG § 139 Abs. 1, Abs. 2, § 140a Abs. 1, Abs. 3, § 140b Abs. 1, Abs. 3
Leitsätze:
1. Ein auf den Patentverletzer zugeschnittener AverageSalesPrice (ASP) ist grundsätzlich FRAND-konform, setzt aber voraus, dass sich der Patentverletzer vor dem Marktzutritt um eine Lizenz bemüht, etwa in Form eines aufgebotsähnlichen Verfahrens.
2. Wer den Markt gleichwohl in patentverletzender Weise ohne Lizenz mit Produkten betritt, deren Endverkaufspreis unter dem industrieweiten ASP liegt bzw. bei dem es wahrscheinlich ist, dass er unter diesem liegen wird, setzt sich selbst dem Risiko aus, bei einer Lizenzierungspraxis gemäß des grundsätzlich FRAND-gemäßen industrieweiten ASP schlechter gestellt zu sein als seine Wettbewerber.
Schlagworte:
Klagepatent, DRX-Modus, Zykluslänge, Timer, Wechsel, Verwirklichung, 4G-Standard, kartellrechtlicher Zwangslizenzeinwand, marktbeherrschende Stellung, Lizenzbereitschaft, FRAND-Bedingungen, Unverhältnismäßigkeitseinwand, Aussetzung des Verfahrens, Kostenentscheidung
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 50507
Tenor
I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. es bei Meldung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihren gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist,
Drahtlos-Sende- und -Empfangseinheiten (Wireless Transmit/Receive Units, WTRU) (110), gekennzeichnet durch einen Prozessor (215), der für Folgendes konfiguriert ist:
Empfangen von Diskontinuierlichen-Empfangs (DRX)- Konfigurationsparametern von einem eNode B (eNB) (1020), wobei die DRX-Konfigurationsparameter Folgendes umfassen: eine erste DRX-Zykluslänge, eine zweite DRX-Zykluslänge, und einen Wert für einen zweiten WTRU-Timer, der zum impliziten Wechseln der WTRU zwischen DRX-Zykluslängen verwendet wird;
Betreiben (502) der WTRU bei der ersten DRX-Zykluslänge;
Verwenden eines ersten WTRU-Timers zum Auslösen eines Übergangs zu der zweiten DRX-Zykluslänge;
Betreiben (508) der WTRU bei der zweiten DRX-Zykluslänge, wobei die erste DRX-Zykluslänge ein Vielfaches der zweiten DRX-Zykluslänge ist;
Einstellen des zweiten WTRU-Timers am Beginn des Betriebes auf die zweite DRX-Zykluslänge;
Bestimmen, dass der zweite WTRU-Timer abgelaufen ist; und
in Reaktion auf das Bestimmen, dass der zweite WTRU-Timer abgelaufen ist, Wechseln (512) der WTRU zu der ersten DRX-Zykluslänge ohne Empfangen einer expliziten Zeichengabe von dem eNB.
- unmittelbare Verletzung von Anspruch 9 -
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
nämlich LTE- und/oder 5G-fähige Geräte.
2. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihren gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist,
Drahtlos-Sende- und Empfangseinheiten, (Wireless Transmit/Receive Units, WTRU) (110),
die dazu geeignet und bestimmt sind, verwendet zu werden in
einem Verfahren (500) zum Steuern eines diskontinuierlichen Empfangs (DRX) in einer Drahtlos-Sende- und – Empfangseinheit (Wireless Transmit/Receive Unit, WTRU) (110), wobei das Verfahren dadurch gekennzeichnet ist, dass es Folgendes umfasst:
Empfangen von DRX-Konfigurationsparametern von einem eNodeB (eNB) (120), wobei die DRX-Konfigurationsparameter Folgendes umfassen:
eine erste DRX-Zykluslänge, eine zweite DRX-Zykluslänge, und einen Wert für einen zweiten WTRU-Timer, der zum impliziten Wechseln der WTRU zwischen DRX-Zykluslängen verwendet wird;
Betreiben (502) der WTRU bei der ersten DRX-Zykluslänge;
Verwenden eines ersten WTRU-Timers zum Auslösen eines Übergangs zu der zweiten DRX-Zykluslänge;
Betreiben (508) der WTRU bei der zweiten DRX-Zykluslänge, wobei die erste DRX-Zykluslänge ein Vielfaches der zweiten DRX-Zykluslänge ist;
Einstellen des zweiten WTRU-Timers am Beginn des Betriebes auf die zweite DRX-Zykluslänge; Bestimmen, dass der zweite WTRU-Timer abgelaufen ist; und
in Reaktion auf das Bestimmen, dass der zweite WTRU-Timer abgelaufen ist, Wechseln (512) zu der ersten DRX-Zykluslänge ohne Empfangen einer expliziten Zeichengabe von dem eNB.
- mittelbare Verletzung von Anspruch 1 -
Abnehmern in der Bundesrepublik Deutschland zur Verwendung im Inland anzubieten und/oder zu liefern;
nämlich LTE- und/oder 5G-fähige Geräte.
3. der Klägerin schriftlich und elektronisch darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die jeweilige Beklagte) seit dem 22. Juli 2015 die unter Ziffern 1.1. und I.2. bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren;
c) der Mengen der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden; wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
Hinsichtlich der Beklagten zu 10) gilt dies erst ab 14.08.2021.
4. der Klägerin in einer geordneten Aufstellung schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die jeweilige Beklagte) die unter Ziffern 1.1 und I.2. bezeichneten Handlungen seit dem 22. August 2015 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer;
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnung sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger;
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet;
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die jeweilige Beklagten dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist; wobei die gesamten Rechnungslegungsdaten zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren elektronischen Form zu übermitteln sind.
Hinsichtlich der Beklagten zu 10) gilt dies erst ab 14.08.2021.
5. die unter Ziffer 1.1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts München I vom 21.12.2023, Az. 7 O 17302/21) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
III. Die Beklagten zu 1), zu 3), zu 4), zu 5), zu 7) und zu 8) werden verurteilt, die in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter Ziffer 1.1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der jeweiligen Beklagten – Kosten herauszugeben.
IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin alle Schäden zu ersetzen, die ihr durch die unter Ziffern 1.1. und I.2. bezeichneten, seit dem 22. August 2015 begangenen Handlungen entstanden sind und noch entstehen werden. Dabei haften die Beklagten zu 1) bis 3) gesamtschuldnerisch, die Beklagten zu 4) bis 6) gesamtschuldnerisch und die Beklagten zu 7) bis 11) gesamtschuldnerisch. Hinsichtlich der Beklagten zu 10) gilt dies erst ab 14.08.2021.
V. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
VI. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits gesamtschuldnerisch.
VI. Das Urteil ist in den Ziffern I.1., I.2., I.5 und IV. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.320.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar, hinsichtlich den Ziffern I.3. und I.4. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 55.000,00 EUR und in Ziffer VI. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen behaupteter Verletzung des deutschen Teils des EP 2 127 420 B1 in Anspruch.
2
Die Klägerin ist gemeinsam mit ihren verbundenen Unternehmen ein weltweit agierendes Unternehmen für Telekommunikationsdienstleistungen mit Sitz in … Sie ist Inhaberin zahlreicher Schutzrechte, unter anderem auf dem Gebiet der Mobilfunktelekommunikation der zweiten (GSM), dritten (UMTS), vierten (LTE) und fünften (NR) Generation, die sie an Dritte lizenziert.
3
Die Klägerin ist Inhaberin des am 30.01.2008 unter Inanspruchnahme der Prioritäten vom 30.01.2007 angemeldeten Europäischen Patents 2 127 420 B1. Der Erteilungshinweis wurde am 22.07.2015 veröffentlicht. Das Patent ist für die Bundesrepublik Deutschland validiert und steht in Kraft (im Folgenden: Klagepatent; Anlage AR 09, AR 10). Das Klagepatent betrifft implizite DRX-Zykluslängenanpassungssteuerung in einen LTE-Aktivmodus.
4
Gegen das Klagepatent ist ein Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht unter dem Az. 4 Ni 54/22 anhängig. Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15.09.2023 hat das Bundespatentgericht das Klagepatent in dessen Ansprüchen 1 und 9 eingeschränkt aufrechterhalten und die Nichtigkeitsklage im Übrigen abgewiesen (Anlage AR 61).
5
Die beiden auch hier maßgeblichen Ansprüche 1 und 9 lauten in der vom Bundespatentgericht eingeschränkt aufrechterhaltenen Fassung:
„A method (500) for controlling discontinuous reception, DRX, in a wireless transmit/receive unit, WTRU, (110) the method characterized by comprising: receiving DRX configuration parameters from an eNodeB, eNB, (120), wherein the DRX configuration parameters comprise a first DRX cycle length, a second DRX cycle length, and a value for a second WTRU timer used for implicitly transitioning the WTRU between DRX cycle lengths; operating (502) the WTRU at the first DRX cycle length; using a first WTRU timer to trigger a transition to the second DRX cycle length; operating (508) the WTRU at the second DRX cycle length, wherein the first DRX cycle length is a multiple of the second DRX cycle length; setting the second WTRU timer upon beginning operation at the second DRX cycle length; determining that the second WTRU timer has expired; and responsive to determining that the second WTRU timer has expired, transitioning (512) to the first DRX cycle length without receiving explicit signaling from the eNB.“
„A wireless transmit receive unit, WTRU, (110), characterized by a processor (215) being configured to: receive discontinuous reception, DRX, configuration parameters from an eNodeB, eNB, (120), wherein the DRX configuration parameters comprise a first DRX cycle length, a second DRX cycle length, and a value for a second WTRU timer used for implicitly transitioning the WTRU between DRX cycle lengths; and operate (502) the WTRU at the first DRX cycle length; use a first WTRU timer to trigger a transition to the second DRX cycle length; operate (508) the WTRU at the second DRX cycle length, wherein the first DRX cycle length is a multiple of the second DRX cycle length; set the second WTRU timer upon beginning operation at the second DRX cycle length; determine that the second WTRU timer has expired; and responsive to determining that the second WTRU timer has expired, transition (512) the WTRU to the first DRX cycle length without receiving explicit signaling from the eNB (120).“
6
Die Beklagte zu 1) – handelnd unter dem Namen … – ist eine in … ansässige Herstellerin von Unterhaltungselektronik. Sie stellt her und vertreibt insbesondere Smartphones, die nach den aktuell gängigen 2G, 3G, 4G und 5G-Mobilfunkstandards operieren. Die Beklagte zu 2) ist eine deutsche Tochtergesellschaft der Beklagten zu 1). Die Beklagte zu 3) ist ebenfalls eine deutsche Tochtergesellschaft der Beklagen zu 1) und insbesondere für den Import von Waren der Beklagten zu 1) nach Deutschland zuständig.
7
Die Beklagte zu 4) – handelnd unter dem Namen … – ist ein … … ansässiges Unternehmen im Bereich Unterhaltungselektronik. Sie stellt her und vertreibt insbesondere Smartphones, die nach den aktuell gängigen 2G, 3G, 4G und 5G-Mobilfunkstandards operieren. Die Beklagten zu 5) und 6) unterstützen die Beklagte zu 4) unter anderem in Deutschland beim Vertrieb und dem Kundenservice für die Mobiltelefone der Marke … Insbesondere importieren die Beklagten zu 5) und 6) angegriffene Ausführungsformen nach Deutschland.
8
Die Beklagte zu 7) – handelnd unter dem Namen … – ist eine in … ansässige Herstellerin von Unterhaltungselektronik. Sie stellt her und vertreibt insbesondere Smartphones, die nach den aktuell gängigen 2G, 3G, 4G und 5G-Mobilfunkstandards operieren. Die Beklagte zu 8) ist insbesondere für den Verkauf bzw. den Import von Waren der Beklagten zu 7) nach Deutschland zuständig. Die Beklagte zu 9) ist die Repräsentantin der Beklagten zu 7) in der EU. Die Beklagte zu 10) unterstützt die Beklagte zu 7). Die Beklagte zu 11) ist der Beklagten zu 7) im Konzern übergeordnet und hält 100 % der Anteile der Beklagten zu 7).
9
Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen alle Geräte der Beklagten, die von der Lehre des Klagepatents Gebrauch machen, insbesondere Geräte, die den LTE-Standard (4G) und/oder den NR-Standard (5G), einschließlich der hier relevanten Funktionen umsetzen und von den Beklagten in Deutschland importiert, exportiert, angeboten oder verkauft werden.
10
Die Klägerin und der … Konzern stehen seit 2014 in Kontakt hinsichtlich einer Lizensierung des Patentportfolios der Klägerin für die angegriffenen Ausführungsformen. Die Klägerin trat erstmals mit Schreiben vom 27.10.2014 (Anlage AR 6) an die Beklagte zu 1) heran. Ein Lizenzvertrag ist zwischen den Parteien nicht zustanden gekommen.
11
Am … übersandte die Klägerin an die Beklagte zu 1) Claim Charts, die das Klagepatent enthielten (Anlage KAR-AR 13). Mit Schreiben vom 18.08.2016 2016 (Anlage AR 6) wies die Klägerin darauf hin, zahlreiche Lizenzverträge mit namentlich genannten Unternehmen abgeschlossen zu haben. Ein erstes Angebot der Klägerin zum Abschluss eines Lizenzvertrages erfolgte am … (Anlage AR-KAR 15). Weitere Angebote erfolgten am … (vgl. Aufstellung in Anlage B-KAR 02). Auf ihrer Website weist die Klägerin mehrere Unternehmen als Lizenznehmer (Stand: Oktober 2019) aus (Auszug Anlage AR-KAR 31). Die Vorlage von Lizenzverträgen hat die Klägerin trotz zahlreicher Gesuche der Beklagten abgelehnt. Auf ihrer Webseite hat die Klägerin Lizenzsätze veröffentlicht, die ab dem 01.01.2020 einheitlich für alle Lizenznehmer verwendet werden sollen (vgl. Anlage AR-KAR 31). Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin acht Vertragsangebote vorgelegt, das letzte am … (Anlage KAR-AR 58).
12
Die Beklagten haben durch die Beklagte zu 1) mit E-Mails vom 09.01.2017 und vom 22.05.2017 erklärt, sie seien zu Verhandlungen gemäß FRAND-Bedingungen bereit. Ein erstes Gegenangebot ist am … erfolgt (Anlage AR-KAR 35). Dieses hat die Klägerin am … abgelehnt. Das zweite Gegenangebot ist am … vorgelegt worden. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung haben die Beklagten sechs Gegenangebote vorgelegt. Das letzte datiert vom … (Anlage B-KAR 16). … Die Klägerin hat sämtliche Gegenangebote zurückgewiesen.
13
Die Klägerin trägt vor, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten sowohl bei Implementierung des 4G-Standards als auch des 5G-Standards die Ansprüche 1 und 9 des Klagepatents wortsinngemäß. Dies gelte auch in der vom Bundespatentgericht eingeschränkten Fassung, nach dessen Entscheidung keine Zweifel mehr an seiner Rechtsbeständigkeit bestünden. Die Verwirklichung einzelner Merkmale der Klageansprüche werde auch durch die vorgelegten Konformitätstests bewiesen (Anlage AR 47 für den 4G-Standard, Anlage AR 48 für den 5G-Standard).
14
Die Beklagten seien allesamt passivlegitimiert. Die Beklagte zu 1) bietet sämtliche angegriffenen Ausführungsformen der Marke … im Sinne des § 9 PatG auf ihrer deutschsprachigen Webseite … an. Der Betrieb des Ladens in Hamburg sei daher nebensächlich. Soweit einige Beklagten vortrügen, sie begingen ihnen vorgeworfene Handlungen jedenfalls „nicht mehr“ entfalle dadurch nicht die Wiederholungsgefahr.
15
Die Beklagte zu 9) hafte jedenfalls als Gehilfin, weil sie die Beklagten zu 7., 8., 10. und 11. bei dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen dadurch unterstütze, dass sie unstreitig als – vorgeschriebener – Ansprechpartner betreffend die CE-Kennzeichnung der angegriffenen Ausführungsformen fungiert. Die Beklagte zu 9) werde auf der Produktverpackung der angegriffenen Ausführungsformen genannt (Anlage AR 29 S. 3 und 11). Ohne CE-Kennzeichnung und entsprechenden Ansprechpartner könnten die Beklagten zu 7., 8., 10. und 11. die angegriffenen Ausführungsformen in Deutschland nicht legal vertreiben. Die Beklagte zu 9) leiste damit einen maßgeblichen Beitrag für die Verletzungshandlungen in Deutschland und haftet für diese Beihilfehandlung.
16
Im Hinblick auf die Beklagte zu 10) bestehe angesichts des im Gesellschaftsvertrag formulierten Unternehmensgegenstands jedenfalls eine Erstbegehungsgefahr mit Blick auf Angebote der angegriffenen Ausführungsformen in Deutschland. Dass sie noch keine Geschäftstätigkeit aufgenommen habe, werde bestritten.
17
Weder der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand noch der patentrechtliche Verhältnismäßigkeitseinwand stehe ihren geltend gemachten Ansprüchen entgegen. Die Klägerin haben sich stets lizenzbereit gegenüber den Beklagten gezeigt und den Abschluss einer Lizenzvereinbarung ernsthaft und zielstrebig gefördert sowie entsprechend FRAND-gemäße Angebote unterbreitet. Die Beklagten verfolgten hingegen eine Verzögerungstaktik und seien nicht lizenzbereit.
18
Die Klägerin beantragt zuletzt:
I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihren gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist,
Drahtlos-Sende- und -Empfangseinheiten (Wireless Transmit/Receive Units, WTRU) (110), gekennzeichnet durch einen Prozessor (215), der für Folgendes konfiguriert ist:
Empfangen von Diskontinuierlichen-Empfangs (DRX)- Konfigurationsparametern von einem eNode B (eNB) (1020), wobei die DRX-Konfigurationsparameter Folgendes umfassen: eine erste DRX-Zykluslänge, eine zweite DRX-Zykluslänge, und einen Wert für einen zweiten WTRU-Timer, der zum impliziten Wechseln der WTRU zwischen DRX-Zykluslängen verwendet wird;
Betreiben (502) der WTRU bei der ersten DRX-Zykluslänge;
Verwenden eines ersten WTRU-Timers zum Auslösen eines Übergangs zu der zweiten DRX-Zykluslänge;
Betreiben (508) der WTRU bei der zweiten DRX-Zykluslänge, wobei die erste DRX-Zykluslänge ein Vielfaches der zweiten DRX-Zykluslänge ist;
Einstellen des zweiten WTRU-Timers am Beginn des Betriebes auf die zweite DRX-Zykluslänge;
Bestimmen, dass der zweite WTRU-Timer abgelaufen ist; und
in Reaktion auf das Bestimmen, dass der zweite WTRU-Timer abgelaufen ist, Wechseln (512) der WTRU zu der ersten DRX-Zykluslänge ohne Empfangen einer expliziten Zeichengabe von dem eNB.
- unmittelbare Verletzung von Anspruch 9 -
Drahtlos-Sende- und -Empfangseinheiten (Wireless Transmit/Receive Units, WTRU) (110), gekennzeichnet durch einen Prozessor (215), der für Folgendes konfiguriert ist:
Empfangen von Diskontinuierlichen-Empfangs (DRX)- Konfigurationsparametern von einem eNode B (eNB) (1020), wobei die DRX-Konfigurationsparameter Folgendes umfassen: eine erste DRX-Zykluslänge, eine zweite DRX-Zykluslänge, und einen Wert für einen WTRU-Timer, der zum impliziten Wechseln der WTRU zwischen DRX-Zykluslängen verwendet wird;
Betreiben (502) der WTRU bei der ersten DRX-Zykluslänge;
Betreiben (508) der WTRU bei der zweiten DRX-Zykluslänge, wobei die erste DRX-Zykluslänge ein Vielfaches der zweiten DRX-Zykluslänge ist;
Einstellen des WTRU-Timers am Beginn des Betriebes auf die zweite DRX-Zykluslänge; Bestimmen, dass der WTRU-Timer abgelaufen ist; und
in Reaktion auf das Bestimmen, dass der WTRU-Timer abgelaufen ist, Wechseln (512) der WTRU zu der ersten DRX-Zykluslänge ohne Empfangen einer expliziten Zeichengabe von dem eNB.
- unmittelbare Verletzung von Anspruch 9 wie erteilt -
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
nämlich LTE- und/oder 5G-fähige Geräte,
insbesondere die folgenden Modelle für die Beklagtengruppe zu A):
… und insbesondere die folgenden Modelle für die Beklagtengruppe zu B):
…und insbesondere die folgenden Modelle für die Beklagtengruppe zu C):
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihren gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist,
Drahtlos-Sende- und Empfangseinheiten, (Wireless Transmit/Receive Units, WTRU) (110),
die dazu geeignet und bestimmt sind, verwendet zu werden in
einem Verfahren (500) zum Steuern eines diskontinuierlichen Empfangs (DRX) in einer Drahtlos-Sende- und – Empfangseinheit (Wireless Transmit/Receive Unit, WTRU) (110), wobei das Verfahren dadurch gekennzeichnet ist, dass es Folgendes umfasst:
Empfangen von DRX-Konfigurationsparametern von einem eNodeB (eNB) (120), wobei die DRX-Konfigurationsparameter Folgendes umfassen:
eine erste DRX-Zykluslänge, eine zweite DRX-Zykluslänge, und einen Wert für einen zweiten WTRU-Timer, der zum impliziten Wechseln der WTRU zwischen DRX-Zykluslängen verwendet wird;
Betreiben (502) der WTRU bei der ersten DRX-Zykluslänge;
Verwenden eines ersten WTRU-Timers zum Auslösen eines Übergangs zu der zweiten DRX-Zykluslänge;
Betreiben (508) der WTRU bei der zweiten DRX-Zykluslänge, wobei die erste DRX-Zykluslänge ein Vielfaches der zweiten DRX-Zykluslänge ist;
Einstellen des zweiten WTRU-Timers am Beginn des Betriebes auf die zweite DRX-Zykluslänge; Bestimmen, dass der zweite WTRU-Timer abgelaufen ist; und
in Reaktion auf das Bestimmen, dass der zweite WTRU-Timer abgelaufen ist, Wechseln (512) zu der ersten DRX-Zykluslänge ohne Empfangen einer expliziten Zeichengabe von dem eNB.
- mittelbare Verletzung von Anspruch 1 -
Drahtlos-Sende- und Empfangseinheiten, (Wireless Transmit/Receive Units, WTRU) (110), die dazu geeignet und bestimmt sind, verwendet zu werden in einem Verfahren (500) zum Steuern eines diskontinuierlichen Empfangs (DRX) in einer Drahtlos-Sende- und – Empfangseinheit (Wireless Transmit/Receive Unit, WTRU) (110), wobei das Verfahren dadurch gekennzeichnet ist, dass es Folgendes umfasst: Empfangen von DRX-Konfigurationsparametern von einem eNodeB (eNB) (120), wobei die DRX-Konfigurationsparameter Folgendes umfassen: eine erste DRX-Zykluslänge, eine zweite DRX-Zykluslänge, und einen Wert für einen WTRU-Timer, der zum impliziten Wechseln der WTRU zwischen DRXZykluslängen verwendet wird; Betreiben (502) der WTRU bei der ersten DRX-Zykluslänge; Betreiben (508) der WTRU bei der zweiten DRX-Zykluslänge, wobei die erste DRX-Zykluslänge ein Vielfaches der zweiten DRX-Zykluslänge ist; Einstellen des WTRU-Timers am Beginn des Betriebes auf die zweite DRX-Zykluslänge; Bestimmen, dass der WTRU-Timer abgelaufen ist; und in Reaktion auf das Bestimmen, dass der WTRU-Timer abgelaufen ist, Wechseln (512) zu der ersten DRX-Zykluslänge ohne Empfangen einer expliziten Zeichengabe von dem eNB.
- mittelbare Verletzung von Anspruch 1 wie erteilt -
Abnehmern in der Bundesrepublik Deutschland zur Verwendung im Inland anzubieten und/oder zu liefern;
nämlich LTE- und/oder 5G-fähige Geräte,
insbesondere die folgenden Modelle für die Beklagtengruppe zu A):
… und insbesondere die folgenden Modelle für die Beklagtengruppe zu B):
… und insbesondere die folgenden Modelle für die Beklagtengruppe zu C):
der Klägerin schriftlich und elektronisch darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die jeweilige Beklagte) seit dem 22. Juli 2015 die unter Ziffern 1.1. und I.2. bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe
- a)
-
der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;
- b)
-
der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren;
- c)
-
der Mengen der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden; wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
4. der Klägerin in einer geordneten Aufstellung schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die jeweilige Beklagte) die unter Ziffern 1.1 und I.2. bezeichneten Handlungen seit dem 22. August 2015 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a)
-
der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, – preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer;
- b)
-
der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnung sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger;
- c)
-
der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet;
- d)
-
der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die jeweilige Beklagten dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist; wobei die gesamten Rechnungslegungsdaten zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren elektronischen Form zu übermitteln sind;
5. die unter Ziffer 1.1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des … vom …) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
II. Die Beklagten werden weiter verurteilt, die in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter Ziffer 1.1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der jeweiligen Beklagten – Kosten herauszugeben.
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagten der Beklagtengruppen zu A), zu B) und zu C) jeweils als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle Schäden zu ersetzen, die ihr durch die unter Ziffern 1.1. und I.2. bezeichneten, seit dem 22. August 2015 begangenen Handlungen ihrer jeweiligen Beklagtengruppe entstanden sind und noch entstehen werden.
19
Die Beklagten beantragen,
Aussetzung des Verfahrens.
20
Die Beklagten tragen vor, die von ihnen vertriebenen Geräte verletzten keinen Anspruch des Klagepatents. Dies gelte auch und erst recht in Bezug auf die vom Bundespatentgericht aufrechterhaltende Fassung der Klagepatentansprüche.
21
Die Beklagte zu 1) habe untersucht, ob ein Testgerät die angegriffene DRX-Funktionalität wie vom Standard vorgesehen unterstütze. Sie habe das Testgerät dazu in das öffentliche … Netzwerk eingebucht und anschließend das im Gerätespeicher abgelegte Log ausgelesen, das die Kommunikation mit dem Netzwerk sowie zugehörige geräteinterne Ereignisse protokolliert (Anlage B 2, B 3). Im Log tauche der von der Klägerin bezeichnete „Timer“ als protokolliertes Ergebnis auf. Ein Timer, der den Beginn und das Ende des kurzen Zyklus messe und mit dessen Ablauf dann ein Wechsel vom kurzen in den langen Zyklus erfolge, sei somit nicht ersichtlich und fehle ersatzlos.
22
Die von der Klägerin vorgeworfenen Verletzungshandlungen durch die Beklagten basierten zu großen Teilen auf Vermutungen. Die Beklagte zu 1) sei nicht Betreiberin des … Dieser werde von der Beklagten zu 3) betrieben.
23
Ein Import der angegriffenen Ausführungsformen durch die Beklagte zu 2) in die EU/ nach Deutschland erfolge jedenfalls nicht mehr. Eine Zusammenarbeit des … Konzerns mit mit der Beklagten zu 6) bestehe ebenfalls jedenfalls nicht mehr. Demnach sei die Beklagte zu 6) auch entgegen der Behauptung der Klägerin nicht (mehr) Importeurin der angegriffenen Ausführungsformen.
24
Die von der Klägerin erwähnte „lokale Repräsentanz“ der Beklagten zu 9) sei einzig und allein den Anforderungen einer CE-Zertifizierung geschuldet. Insoweit agiere die Beklagte zu 9) lediglich als Ansprechpartner für die entsprechend zuständigen EU-Institutionen. Für die Annahme einer behaupteten Beihilfe nach § 830 Abs. 2 BGB bedürfe es neben der objektiven Tatförderung eines doppelten Vorsatzes: Vorsatz des Haupttäters zur Begehung einer Patentverletzung sowie Vorsatz des Gehilfen zur Förderung dieser Patentverletzung. Ein solcher Vorsatz liegt bei der Beklagten zu 9) nicht vor. Eine Haftung als Mittäter oder Teilnehmer der angeblichen Verletzungshandlungen der Beklagten zu 7), 8), 10) oder 11) vermöge dies nicht zu begründen. Auch bei den übrigen Beklagten fehle es am doppelten Gehilfenvorsatz.
25
Die Beklagte zu 10) habe entgegen der pauschalen Behauptung der Klägerin weder angebliche Werbe- noch andere Verletzungshandlungen begangen. Es fehle substantiierter Klagevortrag, auf den substantiiert erwidert werden könnte. Tatsächlich sei die Beklagte zu 10) erst mit Gesellschaftsvertrag vom 17. Februar 2021 gegründet und am 13. August 2021 ins Handelsregister eingetragen worden. Entsprechend habe die Beklagte zu 10) noch nicht einmal eine irgendwie geartete Geschäftstätigkeit aufgenommen.
26
Zudem könnten die Beklagten dem Unterlassungs-, Rückruf- und Vernichtungsanspruch den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand erfolgreich entgegenhalten, weil sie gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs der europäischen Union lizenzwillig seien und ein FRAND-gemäßes Gegenangebot unterbreitet hätten, die Klägerin hingegen ihren Obliegenheiten nicht nachgekommen sei. Hierzu verweisen sie insbesondere auf die Entscheidung des High Court of Justice vom 16.03.2023, [2023] EWHC 539 (Pat). Das Urteil aus England zeige zum einen, dass die den Beklagten angebotenen Lizenzsätze evident überhöht seien und zum anderen, dass die Weigerung der Klägerin, Vergleichslizenzverträge vorzulegen, ein nicht FRAND-gemäßes Verhalten darstelle. Die Weigerung der Klägerin, Vergleichslizenzverträge in den Patentverletzungsprozessen in Deutschland vorzulegen führe zu einer die Vertragsverhandlungen erschwerenden und nicht nachvollziehbaren Intransparenz der in den verschiedenen Jurisdiktionen eingenommenen Positionen. Im Vereinigten Königreich habe die Klägerin in dem Verfahren gegen … hingegen Vergleichslizenzverträge vorgelegt. Sollte ein solches Verhalten durch außerordentliche Umstände begründet sein, so wäre es am Lizenzgeber, diese in nachvollziehbarer Weise darzulegen. Die Vorlage der Verträge sei unabdingbar, da es den Beklagten unmöglich sei, anhand der bisher zur Verfügung gestellten Informationen zu erkennen, wie die in den Angeboten der Klägerin enthaltenen Bedingungen zu bewerten seien. Um die Vergleichsverhandlungen sinnvoll und konstruktiv fortführen zu können, müssten die Vergleichslizenzen zum Gegenstand der Verhandlungen gemacht werden. In Unkenntnis des Inhalts der Vergleichsverträge hätten die Beklagten in weit überobligatorischer Weise selbst Berechnungen anhand öffentlich verfügbarer Quellen durchgeführt, um auf dieser Grundlage die von ihnen unterbreiteten weiteren Gegenangebote substantiiert und nachvollziehbar zu begründen. Die Klägerin setze sich mit dessen Annahmen und den auf dieser Grundlage vorgenommenen Berechnungen nicht auseinander, sondern kritisiere lediglich pauschal die Vorgehensweise. Dies sei erstaunlich, da die Klägerin auf Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Vergleichsverträge ohne Weiteres in substantiierter Weise Annahmen der Beklagten widerlegen könne, wenn diese denn tatsächlich unbegründet sein sollten.
27
Auch die für die Berechnung der klägerischen Angebote angesetzten durchschnittlichen Verkaufspreise seien überhöht. Während die Klägerin als Obergrenze für 4G-Geräte und 5G-Geräte einen durchschnittlichen Verkaufspreis von … annehme, lägen die tatsächlichen Verkaufspreise der Beklagten bei einer historischen Betrachtung durchschnittlich bei …
28
Unabhängig davon greife zu ihren Gunsten der patentrechtliche Unverhältnismäßigkeitseinwand.
29
Vor der mündlichen Verhandlung am 02.03.2023 hat das Gericht mit Beschluss vom 14.11.2022 unter anderem folgenden Hinweis mit Fragen an die Parteien adressiert:
„III. Vergleichslizenzverträge
Ein Schwerpunkt der FRAND-Diskussion scheint zu sein, dass die Klägerin sich zur Begründetheit der FRAND-Gemäßheit ihrer Angebote gegenüber den Beklagten auf von ihr bereits mit Dritten abgeschlossene Lizenzverträge beruft, diese allerdings bisher nicht vorlegt.
Die Beklagten bezweifeln, dass die ihnen unterbreiteten Lizenzangebote der Klägerin FRAND sind. Sie begründen das insbesondere anhand von Vortrag zu Vergleichslizenzverträgen. Deren Inhalt entnehmen die Beklagten aus ihnen zugänglichen Daten. Demnach sind die Konditionen in einigen Vergleichslizenzverträgen deutlich besser als in den Angeboten der Klägerin gegenüber den Beklagten.
Die Beklagten bemängeln ferner, dass die Klägerin – anders als in Verfahren im Ausland – bisher keine Lizenzverträge mit Dritten vorgelegt hat, anhand derer sie beurteilen könnten, ob die ihnen angebotenen Konditionen FRAND sind.
Hierzu stellen sich folgende Fragen:
1. Wurde in den Verfahren im Ausland (UK + Indien) die Vorlage der Vergleichslizenzverträge vom Gericht angeordnet oder erfolgte sie seitens der Klägerin ohne eine solche Anordnung?
2. Falls die Vergleichslizenzverträge in den Verfahren im Ausland ohne gerichtliche Anordnung vorgelegt wurden, was ist der Grund dafür, dass dies im hiesigen Verfahren seitens der Klägerin nicht geschieht?
3. Das Gericht hat in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass sich Beklagte selbst bei Vorlage von Vergleichslizenzverträgen darauf berufen, dass diese kein geeigneter Maßstab für die Beurteilung der FRAND-Bedingungen gegenüber der jeweiligen Beklagten seien, da eine Vergleichbarkeit etwa mit … unangemessen sei.
Ist aus dem hiesigen Verlangen der Beklagten nach Vorlage der Lizenzverträge der Unternehmen von … (vgl. Duplik-FRAND, S. 10) zu schließen, dass die Beklagten damit anerkennen, dass sie (1.) mit den genannten Unternehmen vergleichbar sind und dass (2.) die dort festgeschriebenen Lizenzbedingungen auf sie übertragbar sind?
4. Erkennen die Beklagten an, dass der von ihnen darüber hinaus explizit verlangte Lizenzvertrag der Klägerin mit … aus dem Jahr 2022 (vgl. Duplik-FRAND, S. 12) ein für sie maßgebender Lizenzvertrag ist? Würden die Beklagten diesen mit denselben Konditionen unterschreiben, wenn er ihnen angeboten würde?
5. Werden die Beklagten bei Vorlage des … -Lizenzvertrages 2022 auf die gängigen Argumente verzichten, die gegenüber … -Lizenzen als Vergleichsmaßstab geltend gemacht werden, nämlich, dass … Produkte wegen der höheren Verkaufspreise nicht vergleichbar sind mit denen der Beklagtenseite, dass ein Top-Down-Approach unangemessen ist und dass ein industrieweiter ASP die Hersteller von Mobilfunkgeräten im Niedrigpreissegment diskriminiert?
Könnte ein solcher Verzicht ggf. in Widerspruch stehen zum Vortrag der Beklagten auf S. 40 ihrer FRAND-Duplik, wonach ihre historischen Durchschnittspreise … pro Mobilfunkgerät betragen?
6. Wenn die Beklagten die in Ziffer 5. genannten Argumente auch nach Vorlage des bzw. der Verträge geltend machen wollen, welchen Zweck sollte die Vorlage der Lizenzverträge haben? Aus dem vorgelegten Gutachten der Beklagten ergibt sich eine solche Notwendigkeit nicht.
7. Warum verlangen die Beklagten die Vorlage der Vergleichslizenzverträge von … obwohl sie auf den Rn. 34 ff. der KE-FRAND anhand der ihnen zugänglichen Daten die Lizenzsätze für diese Verträge berechnen können?
8. Widerspricht die Klägerin den in den Rn. 36 bzw. 40 von den Beklagten dargestellten Lizenzsätzen?
9. Verpflichten sich die Beklagten, für den Fall, dass sich die von der Klägerin dargestellten Lizenzsätze (RP-FRAND, S. 24-30 bzw. K 53) – ggf. nach Vorlage von zwei oder drei Vergleichslizenzverträgen – als zutreffend erweisen, den von der Klägerin angebotenen und um die vergangenen Verkaufszahlen der Beklagten bereinigten Lizenzvertrag (vgl. oben II.) abzuschließen?
10. Inwiefern meinen die Beklagten, dass die Vorlage der Lizenzverträge von … für die gegenwärtigen Lizenzverhandlungen zwischen den Parteien eine Rolle spielen. Die in den Jahren 2013, 2016 und 2017 vereinbarten Lizenzbedingungen könnten heute (2022) nicht mehr maßgebend sein. Warum verlangen die Beklagten dennoch deren Offenlegung?
Soweit die Beklagten in Rn. 37 der KE-FRAND meinen, die Verträge aus der (fernen) Vergangenheit müssten maßgeblich für aktuelle Verträge sein, kann dem nicht gefolgt werden. Sofern die Beklagten in der Vergangenheit nicht ausreichend lizenzwillig gewesen sein sollten, insbesondere in den Jahren 2016 bis 2018, könnte es treuwidrig erscheinen, sich bei Abschluss eines Lizenzvertrages im Jahr 2022 auf Vertragsbedingungen Dritter aus einer Zeit zu berufen, in der man selbst lizenzunwillig war.“
30
Die Parteien haben hierauf binnen angemessener Frist geantwortet.
31
Die Entscheidungsgründe des Bundespatentgerichts lagen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vor und sind dem Gericht nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung zugeleitet worden (Anlage B 11).
32
Im Übrigen wird auf den umfänglichen Sach- und Tatsachenvortrag der Parteien in ihren Schriftsätzen nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.03.2023 sowie vom 17.11.2023 verwiesen.
Entscheidungsgründe
33
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Die Auslegung der zwischen den Parteien streitigen Merkmale der vom Bundespatentgericht aufrechterhaltenen Klagepatentansprüche (A. I., II.) ergibt, dass Geräte der Beklagten, die den 4G- und den 5G-Standard implementieren, von der Lehre das Klagepatents hinsichtlich aller Merkmale wortsinngemäß Gebrauch machen (A. III.). Daraus ergeben sich die tenorierten Rechtsfolgen gegenüber den Beklagten, soweit sie zuzusprechen waren (A. IV.). Der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand steht der Verurteilung ebenso wenig entgegen (B. I.), wie der patentrechtliche Unverhältnismäßigkeitseinwand (B. II.). Wegen des nicht offensichtlich fehlerhaften Urteils des Bundespatentgerichts war das Verfahren nicht gemäß § 148 ZPO auszusetzen (C.). Die Nebenentscheidungen waren entsprechend zu treffen (D.).
34
Das Klagepatent betrifft den Betrieb eines Netzwerkteilnehmers in einem 4G-Netzwerk mit diskontinuierlichem Empfang (engl. discontinuous reception, DRX); vgl. Abs. [0003].
35
1. Die Klagepatentschrift führt zum vorbekannten Stand der Technik aus, der Betrieb eines Endgeräts (auch WTRU genannt) im DRX-Modus ermögliche einen reduzierten Batterieverbrauch, weil das Endgerät in einem Wach-/Schlaf Rhythmus sei; Abs. [0003]. Aufgrund des „Schlafmodus“ werde weniger Energie verbraucht. Der Wechsel zwischen einer aktiven und einer inaktiven Zeit könne sich zyklisch wiederholen. Dies wird als DRX-Zyklus bezeichnet. Die geeignete Länge des Wach-/Schlaf-Zyklus hänge von einer Vielzahl von Faktoren ab. Da sich die Bedingungen fortwährend änderten, müsse auch die Länge des Wach-/Schlaf-Zyklus regelmäßig angepasst werden. Die dafür erforderliche Signalisierung von der Basisstation (auch eNodeB genannt) an das Endgerät zum Zweck ihrer Synchronisierung belaste das Netzwerk; Abs. [0004]. Wenn Basisstation und Endgerät im DRX-Modus nicht synchronisiert seien bestehe die Gefahr, dass erstere Daten übertrage, während letztere sich im Schlafmodus befinde und daher nicht empfangsbereit sei. Daher verwende der Stand der Technik implizite Regeln zum Anpassen der Zykluslänge; Abs. [0005].
36
2. Hieraus definiert das Klagepatent die Aufgabe, eine Verbesserung der bekannten Regeln zum impliziten Ändern einer DRX-Zykluslänge bereitzustellen; Abs. [0007].
37
3. Als Lösung stellt das Klagepatent den hier geltend gemachten Verfahrensanspruch 1 sowie den Vorrichtungsanspruch 9 vor, die sich mit der im Nichtigkeitsverfahren durch das Bundespatentgericht hinzugefügten Beschränkung wie folgt gliedern lassen:
„1.
|
Verfahren (500) zum Steuern eines diskontinuierlichen Empfangs (DRX) in einer Drahtlos-Sende- und -Empfangseinheit (Wireless Transmit/Receive Unit, WTRU) (110), wobei das Verfahren dadurch gekennzeichnet ist, dass es Folgendes umfasst:
|
1.1
|
Empfangen von DRX-Konfigurationsparametern von einem eNodeB (eNB) (120), wobei die DRX-Konfigurationsparameter Folgendes umfassen:
|
|
1.1.1
|
eine erste DRX-Zykluslänge,
|
|
1.1.2
|
eine zweite DRX-Zykluslänge, und
|
|
1.1.3
|
einen Wert für einen zweiten WTRU-Timer, der zum implizi-
|
|
|
ten Wechseln der WTRU zwischen DRX-Zykluslängen verwendet wird;
|
1.2
|
Betreiben (502) der WTRU bei der ersten DRX-Zykluslänge;
|
1.3
|
Verwenden eines ersten WTRU-Timers zum Auslösen eines Übergangs zu der zweiten DRX-Zykluslänge; “
|
1.4
|
Betreiben (508) der WTRU bei der zweiten DRX-Zykluslänge, wobei die erste DRX-Zykluslänge ein Vielfaches der zweiten DRX-Zykluslänge ist;
|
1.5
|
Einstellen des zweiten WTRU-Timers am Beginn des Betriebes auf die zweite DRX-Zykluslänge;
|
1.6
|
Bestimmen, dass der zweite WTRU-Timer abgelaufen ist; und
|
1.7
|
in Reaktion auf das Bestimmen, dass der zweite WTRU-Timer abgelaufen ist, Wechseln (512) zu der ersten DRX-Zykluslänge ohne Empfangen einer expliziten Zeichengabe von dem eNB.“
|
„9.
|
Drahtlos-Sende- und -Empfangseinheit (Wireless Transmit/Receive Unit, WTRU) (110), gekennzeichnet durch einen Prozessor (215), der für Folgendes konfiguriert ist:
|
9.1
|
Empfangen von Diskontinuierlichen-Empfangs (DRX)- Konfigurationsparametern von einem eNode B (eNB) (120), wobei die DRX-Konfigurationsparameter Folgendes umfassen:
|
|
9.1.1
|
eine erste DRX-Zykluslänge,
|
|
9.1.2
|
eine zweite DRX-Zykluslänge, und
|
|
9.1.3
|
einen Wert für einen zweiten WTRU-Timer, der zum impliziten Wechseln der WTRU zwischen DRX-Zykluslängen verwendet wird;
|
9.2
|
Betreiben (502) der WTRU bei der ersten DRX-Zykluslänge;
|
9.3
|
Verwenden eines ersten WTRU-Timers zum Auslösen eines Übergangs zu der zweiten DRX-Zykluslänge;
|
9.4
|
Betreiben (508) der WTRU bei der zweiten DRX-Zykluslänge, wobei die erste DRX-Zykluslänge ein Vielfaches der zweiten DRX-Zykluslänge ist;
|
9.5
|
Einstellen des zweiten WTRU-Timers am Beginn des Betriebes auf die zweite DRX-Zykluslänge;
|
9.6
|
Bestimmen, dass der zweite WTRU-Timer abgelaufen ist; und
|
9.7
|
in Reaktion auf das Bestimmen, dass der zweite WTRU-Timer abgelaufen ist, Wechseln (512) der WTRU zu der ersten DRX-Zykluslänge ohne Empfangen einer expliziten Zeichengabe von dem eNB.“
|
38
Das Klagepatent sieht demnach ein Verfahren sowie eine Vorrichtung vor, die verschiedene DRX-Modi bzw. DRX-Zyklus-Längen anwenden, zwischen denen nach bestimmten Kriterien gewechselt werden kann und bei denen zum Auslösen des Wechsels Timer verwendet werden, vgl. Abs. [0010].
39
Im Hinblick auf die zwischen den Parteien geführte Diskussion zur Auslegung des Klagepatents sind folgende Ausführungen veranlasst, die anhand des Vorrichtungsanspruchs 9 dargelegt werden, die für den Verfahrensanspruch sinngemäß ebenfalls gelten:
40
1. Zusammengefasst muss die anspruchsgemäße Vorrichtung einen Prozessor aufweisen, der dafür konfiguriert ist, im DRX-Modus zwischen zwei unterschiedlich langen Zykluslängen zu wechseln. Der Wechsel von der ersten, längeren Zykluslänge zur zweiten, kürzeren Zykluslänge erfolgt implizit durch Verwendung eines ersten Timers zum Auslösen des Wechsels. Für das Auslösen des Wechsels von der kurzen Zykluslänge zur ersten, längeren Zykluslänge wird ein zweiter Timer verwendet. Eine explizite Signalisierung des Wechsels wird dabei vermieden.
41
2. Zwischen den Parteien ist streitig, was unter dem zweiten WRTU-Timer gemäß Merkmal 9.1.3 zu verstehen ist.
42
a) Die Beklagten führen unter Verweis auf Absatz [0026] aus, bei einem anspruchsgemäßen WTRU-Timer handele es sich um einen Auslöser (engl. „trigger“), der den Wechsel von einer DRX-Zykluslänge zu einer anderen bewirke. Er operiere unabhängig von der gewählten Zeiteinheit auf Basis der Feststellung des Ablaufs einer bestimmten Zeitperiode. Nur ein solches Verständnis von WTRU-Timer sei mit dem eindeutigen Wortlaut des Merkmals 9.7 vereinbar, der einen Wechsel der DRX-Zykluslänge in Reaktion auf die Bestimmung vorsehe, dass der WTRU-Timer abgelaufen sei. Auch die Beschreibung lasse keine andere Auslegung zu. Den in der Beschreibung offenbarten Timern sei gemein, dass sie sich auf den Ablauf einer bestimmten Zeitperiode bezögen – unabhängig davon, ob die zur Definition der Zeitperiode herangezogenen Einheiten absolute Zeiteinheiten seien oder aber andere Einheiten, die in absolute Zeiteinheiten umgerechnet werden könnten. So entspreche ein LTE-Frame 10 ms und ein LTE-TTI 1 ms. Ob der Ablauf einer 80 ms entsprechenden Zeitperiode durch den Ablauf von 80 ms, 8 LTE-Rahmen oder 80 TTIs festgestellt werde, sei für die Annahme eines anspruchsgemäßen WTRU-Timers irrelevant. Letztlich entscheidend sei die Feststellung des Ablaufs einer durch den Timer vorab festgelegten Zeitperiode. Alle im Klagepatent genannten Ausführungsbeispiele eines Timers bezögen sich auf eine solche Feststellung des Ablaufs einer bestimmten Zeitperiode.
43
Der ebenfalls in der Klagepatentbeschreibung offenbarte, aber nicht beanspruchter Counter beziehe sich auf sogenannte Auslöser-Ereignisse, deren Auftreten er bis zu einer vorbestimmten Anzahl zähle. Mithilfe der Counter-Werte werde also gerade nicht der Ablauf einer Zeitperiode X beschrieben. Stattdessen zähle der Counter den tatsächlichen Eintritt von Ereignissen – wie z.B. den ereignislosen Ablauf eines DRX-Zyklus – bis zu einer vordefinierten Anzahl, ohne dass es dabei auf die tatsächliche Dauer hierfür ankäme. Die Implementierung eines Übergangs-Auslösers als Counter unterscheide sich technisch von der Implementierung als WTRU-Timer. Während der WTRU-Timer autark den Ablauf einer bestimmten Zeitperiode X feststelle, blicke der Counter „nach außen“ und zähle den Eintritt bestimmter Ereignisse.
44
Für dieses Verständnis spreche auch die Erteilungshistorie.
45
b) Dem kann nicht gefolgt werden. Ein Timer ist ausgehend vom Wortlaut zunächst ein Zeitnehmer, etwas, was das Verstreichen von Zeitwerten erfasst. Diese Auslegung bestätigt Absatz [0034] der Klagepatentschrift. Der Zeitwert kann ausweislich des Absatzes [0034] aus absoluten Zeiteinheiten, „frames“, d.h. Rahmen des LTE-Standards oder Übertragungszeitintervallen („TTI“) bestehen. Die Funktion des Timers besteht darin, das Erreichen des beliebigen Zeitwerts zu erfassen, damit das Endgerät auf dieser Grundlage (gemäß Merkmal 9.6: dessen „Bestimmen“) einen Wechsel der Zykluslänge vornimmt (Merkmal 9.7), ohne eine explizite Signalisierung hierfür zu benötigen. Funktional ist der klagepatentgemäße Timer also ein Informationselement für das Endgerät bezogen auf das Erreichen eines bestimmten Zeitwerts.
46
Es ist dabei in das Belieben des Fachmanns gestellt, (1.) welchen Zeitwert der Timer annehmen soll und (2.) ob das Erreichen des Zeitwerts durch Hoch- oder Herunterzählen erfolgt.
47
3. Für den durch das Urteil des Bundespatentgerichts als Merkmal 9.3 neu hinzugekommenen ersten WRTU-Timer gelten die Ausführungen unter b) entsprechend.
48
a) Zusätzlich ist zwischen den Parteien streitig, ob der Timer selbst den Wechsel der Zykluslänge bewirken muss und wann er konkret in Gang zu setzen ist.
49
Die Beklagten meinen, aus den Absätzen [0025] und [0026] sowie der systematischen Zusammenschau mit Merkmal 9.2 folge, dass der erste Timer – wie der zweite Timer – zu Beginn des betreffenden Zyklus gesetzt werden müsse. Der Timer solle jeweils mit dem Beginn des Betriebs bei einer Zykluslänge beginnen und der Ablauf des Timers solle zugleich mit dem Ende des Betriebs der einen Zykluslänge zusammenfallen. Timer und Zykluslänge sollten mithin gleichlaufen und die Länge des betreffenden Zyklus festlegen. Laufe der erste Timer ab, während die WTRU weder bei der einen noch bei der anderen DRX-Zykluslänge betrieben werde, sei das nicht anspruchsgemäß.
50
Die Beklagten sind ferner der Ansicht, der Timer selbst müsse klagepatentgemäß darüber entscheiden, welche DRX-Zykluslänge zu verwenden ist. Ein Bestimmen, wann die nächste DRX-Schlafphase beginnt, nicht aber, welche Zykluslänge für diese gilt, sei nicht klagepatentgemäß.
51
b) Einen Gleichlauf von Zykluslänge und Timer verlangt Merkmal 9.3 hingegen nicht. Das Merkmal beansprucht lediglich, dass der Ablauf des Werts des Timers die Grundlage für die WTRU ist, in die zweite Zykluslänge zu wechseln. Anders als Merkmal 9.4. verlangt der Wortlaut von Merkmal 9.3 kein „Betreiben bei der Zykluslänge“, sondern nur ein Verwenden zum Auslösen eines Übergangs zu einer zweiten Zykluslänge. Wie der Timer insoweit genau implementiert wird, überlässt der Anspruch an dieser Stelle dem Fachmann. Das bedeutet gleichwohl nicht, dass der Fachmann daran gehindert ist und es sogar als zweckmäßig ansehen wird, den ersten Timer mit Beginn der ersten Zykluslänge zu starten. Klagepatentgemäß zwingend ist das jedoch nicht. Dem steht auch ein funktionales Verständnis des Anspruchs nicht entgegen. Denn Sinn und Zweck des Timers ist das Bereitstellen einer impliziten Regel für die Anpassung von DRX-Zykluslängen. Den Auslöser für den Lauf des Timers können dabei unterschiedliche Ereignisse darstellen, soweit sie geeignet sind, die gewünschte Synchronisation zwischen Basis- und Endgerät zu ermöglichen. Anders als die Beklagten meinen, ergibt sich aus den Absätzen [0025] und [0026] der Klagepatentbeschreibung kein Erfordernis des automatisch zeitgleichen Beginns von Zykluslänge und Timer. Beide Absätzen führen nur aus, dass der Timer genutzt werden soll, um einen Wechsel der Zykluslänge zu initiieren. Wann der Timer dafür gesetzt werden soll, lassen auch diese Beschreibungsstellen offen.
52
Zuzustimmen ist den Beklagten – obgleich nicht streitig –, dass der Timer klagepatentgemäß Teil des DRX-Zyklus sein muss. Denn nach seinem systematischen Zusammenhang bezieht er sich auf den Betrieb während eines DRX-Zyklus (vgl. Merkmal 9.2.).
53
Merkmal 9.3 verlangt gleichfalls nicht, dass der Timer selbst und unmittelbar zum Wechsel der Zykluslänge führt. Der Wortlaut besagt, dass der Timer zum Auslösen eines Übergangs zu der zweiten DRX-Zykluslänge verwendet wird. Dass dies ausschließlich durch den Timer geschieht, legt der Wortlaut nicht nahe. Auch Abs. [0034] offenbart, dass der Timer zum Auslösen genutzt wird („is used to“). Hätte der Patentanmelder allein ein unmittelbares Auslösen durch den Timer für anspruchsgemäß erachtet, hätte er eine andere Formulierung gewählt („timer triggers directly“).
54
Dem Timer ist weiter immanent, dass er nur die Bedingungen mittteilt, unter denen ein Wechsel zu einer zweiten Zykluslänge erfolgt. Er ist eine implizite Regel für einen Wechsel, bestimmt aber – anders als die Beklagten zu meinen scheinen – nicht zu was gewechselt werden soll. Er zeigt den Zeitpunkt des Wechsels an, bestimmt aber nicht dessen Inhalt.
55
4. Zwischen den Parteien herrscht ferner Uneinigkeit hinsichtlich des Merkmals 9.5, wonach der zweite WTRU-Timer am Beginn des Betriebes auf die zweite DRX-Zykluslänge eingestellt wird.
56
a) Die Beklagten vertreten die Ansicht, unter Zugrundelegung des gemäß Art. 15 Abs. 3 EPÜ maßgeblichen englischen Wortlauts dieses Merkmals sowie dessen exakter Übersetzung in das Deutsche laute das Merkmal:
„setting the WTRU-Timer upon beginning operation at the second DRX cycle length;“
„Einstellen des WTRU-Timers bei Beginn des Betriebes mit der zweiten DRX-Zykluslänge“.
57
Unter Zugrundelegung des maßgeblichen englischen Wortlauts sei klar, dass der Anspruch eine zeitliche Abhängigkeit des Starts des WTRU-Timers vom Start der Operation bei zweiten DRX-Zykluslänge und damit eine Gleichzeitigkeit beider Vorgänge vorschreibe.
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b) Die Gleichzeitigkeit und Anhängigkeit von Einstellen des Timers und dem Beginn des Betriebes der zweiten Zykluslänge ist zwar gegeben. Sie bezieht sich aber allein auf den Betrieb der zweiten Zykluslänge und ist unabhängig von deren konkreten Phase.
59
Unter Verweis auf den Wortlaut sowie das Ausführungsbeispiel 4 interpretieren die Beklagten ferner das Merkmal 9.7 dahingehend, der Wechsel der DRX-Zykluslänge müsse in Reaktion auf die Bestimmung des Ablaufs des WTRU-Timers erfolgen, wobei das sowohl notwendige als auch hinreichende Bedingung für den Wechsel zur ersten DRX-Zykluslänge sei. Daher reiche das Einfließen des WTRU-Timers in eine übergeordnete, komplexere Entscheidungslogik, die über den WTRU-Timer hinaus noch weitere Faktoren in die Entscheidung über einen Wechsel zu der ersten DRX-Zykluslänge einfließen lasse, nicht aus. Ansonsten würde der Zykluslängenwechsel nicht mehr in Reaktion auf das Bestimmen des Ablaufs des WTRU-Timers erfolgen – sondern in Reaktion auf das Ergebnis einer komplexeren Entscheidungslogik.
60
b) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Wortlaut unspezifisch in Bezug auf die Voraussetzungen für den Wechsel zur ersten DRX-Zykluslänge. Anspruchsgemäß ist notwendige Bedingung der Ablauf des zweiten WRTU-Timers. Ob bzw. welche Faktoren zusätzlich gegeben sein müssen, lässt der Anspruchswortlaut offen. Dies darf nicht durch eine einengende Auslegung mittels der Patentbeschreibung revidiert werden (vgl. BGH GRUR 2007, 309 Rn. 17 – Schussfädentransport). Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte erkennbar, dass das Klagepatent den insoweit offenen Wortlaut auf das von den Beklagten genannte Ausführungsbeispiel 4 reduzieren will. Auch technisch-funktional ergeben sich keine zwingenden Gründe für die einengende Auslegung der Beklagten. Eine Einschränkung liegt lediglich bereits aufgrund des Wortlauts sowie des Sinns und Zwecks des Klagepatents insoweit vor, als dass die nicht ausgeschlossenen weiteren Faktoren keine expliziten Zeichenangaben sein dürfen.
61
Dem Merkmal 9.7 ist demnach ausgehend von seinem Wortlaut ein technischer Sinngehalt dahingehend beizumessen, dass der Ablauf des zweiten WRTU-Timers notwendige, aber nicht exklusive Bedingung des Wechsels zur ersten DRX-Zykluslänge ist.
62
Unter Zugrundelegung der dargestellten Auslegung ist eine Verwirklichung der in den Klagepatentansprüchen 1 und 9 enthaltenen technischen Lehre durch die angegriffenen Ausführungsformen, die den 4G-Standard (1.) und den 5G-Standard (2.) implementieren, zu bejahen.
63
1. Sämtliche Merkmale von Anspruch 9 sind durch den LTE-Standard mit dessen Dokumenten ETSI TS 136 321 in der Version 8.12.0 (2012-03) mit dem Titel „LTE; Evolved Universal Terrestrial Radio Access (E-UTRA); Medium Access Control (MAC) protocol specification (3GPP TS 36.321 version 8.12.0 Release 8)“ nachfolgend „TS 36.321“ sowie ETSI TS 136 331 in der Version 8.16.0 (2012-01) mit dem Titel „LTE; Evolved Universal Terrestrial Radio Access (E-UTRA), Radio Resource Control (RRC); Protocol specification (3GPP TS 36.331 version 8.16.0 Release 8)“ nachfolgend kurz „TS 136 331“ verwirklicht.
64
Die nachfolgenden Ausführungen geltend für Anspruch 1 sinngemäß ebenfalls.
65
Der Anwendungsbereich der TS 136 321 (Anlage AR 38) umfasst die Spezifikation des sog. MAC-Protokolls, mit dessen Hilfe die Datenübertragungen zwischen Basisstationen und Mobilstationen konfiguriert und reguliert werden. Abschnitt 5.7 befasst sich mit der Konfiguration von DRX. Der Anwendungsbereich der TS 136 331 (Anlage AR 39) umfasst die Spezifikation des sog. RRC-Protokolls (Radio Resource Control). Mittels des RRC-Protokolls werden die darunter liegenden Protokollschichten – insbesondere die vorgenannte MAC-Kontrollschicht – kontrolliert und konfiguriert. Abschnitt 6.3 befasst sich mit dem Inhalt von Informationselementen, die in einer RRC-Nachricht enthalten sind. Unterabschnitt 6.3.2 beschreibt das Informationselement „MAC-MainConfig“, das zur Konfiguration von Parametern mit Bezug zu DRX verwendet wird.
66
Abschnitt 5.7 der TS 136 321 befasst sich explizit mit DRX. Auf Seite 27 wird ausgeführt, dass bei Anwendung des DRX-Modus das Endgerät den PDCCH nur periodisch, andernfalls ständig überwacht.
67
a) Die angegriffenen Ausführungsformen sind WRTUSs und dafür konfiguriert, DRX-Konfigurationsparameter von einer eNodeB zu empfangen (vgl. Abschnitt 5.7 der TS -136 321). Die Merkmale 9. und 9.1 sind verwirklicht.
68
Die DRX-Funktionalität, die über das RRC-Protokoll konfiguriert wird, umfasst eine erste DRX-Zykluslänge (Merkmal 9.1.1), eine zweite DRX-Zykluslänge (Merkmal 9.1.2). Die Merkmale 9.1.1 und 9.1.2 ergeben sich ebenfalls aus Abschnitt 5.7 der TS 136 321. Der longDRX-Cycle entspricht der ersten DRX-Zykluslänge gemäß Merkmal 9.1.1., der shortDRX-Cycle entspricht der zweiten DRX-Zykluslänge gemäß Merkmal 9.1.2.
69
b) Das IE (Informationslemenet) „drxShortCycleTimer“ ist der klagepatentgemäße zweite WTRU-Timer, der zum impliziten Wechsel der WTRU zwischen DRX-Zykluslängen verwendet wird, Merkmal 9.1.3.
70
aa) Die Beklagten behaupten, das WTRU werde mittels drxShortCycleTimer so konfiguriert, dass es nach einer 1-16-fachen Wiederholung des kurzen DRX-Zyklus einen impliziten Wechsel zum langen DRX-Zyklus vorsieht. Sie verweisen hierzu auf die TS 136.331, S. 117 f. Daraus folgern sie, drxShortCycleTimer operiere nicht im Sinne einer herunterlaufenden Uhr (unabhängig von der Einheit, mit welcher diese Uhr Zeitabläufe bestimmt), mit deren Ablauf eine Aktion ausgelöst werden solle. Stattdessen zähle drx-ShortCycleTimer die 1-16-fache Wiederholung eines kurzen DRX-Zyklus und nur der ereignislose Ablauf dieser 1-16 Wiederholungen (bestimmt mit Hilfe des drxShortCycleTimer) könne zum Wechsel der DRX-Zykluslänge führen. Damit handele es sich nicht um einen anspruchsgemäßen WTRU-Timer.
71
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Formulierung in der TS 136.321 zum drxShortCycleTimer. Die TS 136.321 beschreibe, was der Parameter ausdrücke und wie er funktioniere. Die TS 136.331 gebe in Ergänzung dessen an, welche Werte der Parameter annehmen dürfe, welche Werte „gültig“ vergeben werden könnten. Damit dringen sie nicht durch.
72
bb) Der Standard verweist zur Definition des Begriffs „drxShortCycleTimer“ in der TS 136 331, Seite 119, auf die TS 136 321. Dort heißt es auf S. 7:
drxShortCycleTimer: Specifies the number of consecutive subframe(s) the UE shall follow the Short DRX cycle.
73
Demzufolge spezifiziert drxShortCycleTimer die Anzahl konsekutiver LTE-Subframes. Der verwendete Zeitwert besteht mithin aus „LTE-Subframes“, wie auch von Absatz [0034] der Klagepatentschrift beschrieben. Entsprechend des Zeitwerts aus Subframes soll das Endgerät dem ShortCycle folgen.
74
Der drxShortCycleTimer des Standards ist ferner darauf ausgerichtet, das Erreichen des Zeitwerts festzustellen. Das macht er, indem er ausläuft. Abschnitt 5.7 der TS 136 321 besagt auf Seite 28:
- if drxShortCycleTimer expires in this subframe:
75
Folge des Ablaufens des Timers – und damit Erreichen des Zeitwerts – ist der implizite Wechsel des Endgeräts in den Long DRX clycle.
- if drxShortCycleTimer expires in this subframe:
- use the Long DRX cycle.
76
Diese Vorgehensweise entspricht zwar nicht dem einer herunterlaufenden Uhr bei deren Ablauf eine Aktion ausgelöst wird. Ein solches Verständnis des klagepatentgemäßen zweiten Timers ist jedoch – wie oben dargestellt – verfehlt.
77
c) Das neu hinzugekommene Merkmal 9.3 ist ebenfalls verwirklicht.
78
aa) Der erste Timer im Sinne dieses Merkmals ist im 4G-Standard der drx-Inactivity-Timer. Abschnitt 6.3.2 der TS 136 331 (Anlage AR 39) bestimmt:
79
Läuft dieser ab, wechselt das Endgerät von einer ersten in eine zweite Zykluslänge. Abschnitt 5.7 der TS 136 321, Seite 28, bestimmt für den Fall des Ablaufs des drx-Inactivity-Timers das Nutzen des shortDRX-Cycle; das ist die anspruchsgemäß zweite, kürzere Zykluslänge:
- if drx-InactivityTimer expires or a DRX Command MAC control clement is rcceived in this subframe:
- if the Short DRX cycicle is configured:
- start or restart drxShortCycleTimer,
- use the Short DRX. Cycle.
80
Wie aus der Standard-Passage ersichtlich, ist der Ablauf des drx-Inactivity-Timers auch der Anlass für das Endgerät in die zweite Zykluslänge zu wechseln.
81
bb) Die dagegen vorgebrachten Argumente der Beklagten verfangen nicht.
82
(1.) Die Beklagten meinen, das Merkmal 9.3 sie nicht verwirklicht, weil der drx-Inactivity-Timer nicht mit Beginn des vorangehenden Long DRX clycle einsetze.
83
Dies steht der Verwirklichung nicht entgegen, weil einen gleichzeitigen Beginn das Merkmal 9.3 nicht verlangt.
84
(2.) Ferner tragen die Beklagten vor, der drx-Inactivity-Timer sei kein klagepatentgemäßer Timer, weil er nicht darüber entscheide, welche DRX-Zykluslänge zu verwenden ist. Vielmehr stehe dies bereits vor dem Setzen und erst recht vor dem Ablauf des drx-InactivityTimers unveränderlich fest. Der drx-InactivityTimer bestimme lediglich, wann die nächste DRX-Schlafphase beginne, nicht aber, welche Zykluslänge für diese gelte. Da der drx-InactivityTimer nur gesetzt werde, nachdem das Endgerät während der „Active Time“ Daten auf dem PDCCH empfangen habe, sei bereits mit dem Empfang der Daten auf dem PDCCH festgelegt, dass der im Anschluss an die „Active Time“ beginnende DRX-Zyklus ein kurzer DRX-Zyklus sein müsse. Der drx-InactivityTimer lege dies somit nicht fest.
85
Das steht der Merkmalsverwirklichung nicht entgegen, da der klagepatentgemäße erste Timer zum Wechsel zu einer zweite (kurzen) Zykluslänge verwendet werden soll. Nicht beansprucht ist – wie ausgeführt – dass er auch bestimmt, zu welcher Zykluslänge zu wechseln ist.
86
(3.) Außerdem sind die Beklagten der Ansicht, das Ablaufen des drx-InactivityTimers erfolge während der sogenannten „Active Time“ und damit außerhalb eines DRX-Zyklus. Die ActiveTime bezeichne das Zeitintervall, während dessen die UE den PDCCH überwache und umfasse die Periode „On Duration“, gehe bei Empfang von Daten und entsprechendem Setzen des drx-InactivityTimers jedoch auch über diese hinaus. Diese über die „On Duration“ hinausgehende Zeit sei aber nicht mehr Teil eines DRX-Zyklus. Damit befinde sich der Standard außerhalb des Merkmals 9.3 des Klagepatents, das ein Ablaufen des drx-InactivityTimers mit einer (der ersten) DRX-Zykluslänge verlange. Die Beklagten tragen demnach vor, die Zeit zwischen dem Ablauf der „on duration“ und dem Ablauf des drx-InactivityTimers sei standardgemäß kein bzw. außerhalb eines DRX-Zyklus.
87
Dem steht bereits die vorerwähnte Einleitung des Abschnitts 5.7 auf Seite 27 der der TS 136 321 entgegen. Dort ist festgelegt, dass die RRC (Radio Ressource Control) den Ablauf von DRX unter anderem mittels des drx-InactivityTimers steuert:
„RRC controls DRX operation by configuring the timers onDurationTimer, drx-InactivityTimer (…).“
88
Auf Seite der 28 heißt es weiter:
„When a DRX cycle is configured, the Active Time includes the time while: – onDuration Timer or drx-InactivityTimer or drx-Retransmission Timer or mac-ContentionResolutionTimer (as described in subclause 5.1.5) is running;“
89
Daraus ergibt sich zur Überzeugung der Kammer, dass der drx-InactivityTimer Teil eines DRX-Zyklus ist. Anders lässt sich der Passus „When a DRX cycle is configured, the Active Time includes the time while: (…) drx-InactivityTimer (…) is running;“ aus Sicht der Kammer nicht verstehen. Der Standard wäre in sich widersprüchlich, wenn er dennoch mit den Beklagten das außerhalb der onDuration liegende Ablaufen des drx-InactivityTimers auch als außerhalb eines DRX-Zyklus stehend ansähe. Die sich daran anschließende und von den Beklagten nicht beantwortete Folgefrage wäre zudem, welcher Modus standardgemäß angewendet wird, wenn kein DRX-Zyklus verwendet wird.
90
Hinzukommt, wie von der Klägerin zurecht hervorgehoben, dass der Standard einen DRX-Zyklus ausweislich der Figur 3.1.1 auf Seite 7 der TS 136 321 folgendermaßen darstellt:
DRX Cycle: Specifies the periodic repetition of the On Duration followed by a possible period of inactivity (sec figure 3.1-1 below).
91
Daraus ist zu erkennen, dass der standardgemäße DRX-Zyklus in zwei Intervalle unterteilt wird, nämlich den bereits erwähnten „On Duration“-Intervall, in welchem Daten auf dem PDCCH empfangen werden können und den „Opportunity for DRX“-Intervall, in welchem das Endgerät gegebenenfalls keine Daten empfangen können muss. Einen von drx-InactivityTimer definierten „Zwischenzeitraum“, wie ihn die Beklagten definieren wollen, der gemäß Definition auf Seite 28 aber trotzdem Teil der ActiveTime des DRX-Zyklus ist, sieht diese Festlegung nicht vor. Auch das spricht dafür, dass der drx-InactivityTimer standardgemäß Teil des entsprechenden DRX-Zyklus ist.
92
d) Merkmal 9.5 ist wortsinngemäß verwirklicht, weil der zweite Timer (drxShortCycleTimer) ausweislich der TS 136 321, dort Seite 28, bei Beginn der zweiten drx-Zykluslänge gestartet wird:
- if drx-InactivityTimer expires or a DRX Command MAC control element is received in this subfame:
- if the Short DRX cycle is configured
- start or restart drxShortCycleTimer
- use the Short DRX Cycle.
93
aa) Die Beklagten verneinen eine Verwirklichung des Merkmals mit der Begründung, der drxShortCycleTimer werde nicht am Beginn des Betriebs des drxShort-Cycles eingestellt, sondern vor dessen tatsächlichem Beginn, nämlich unmittelbar mit Ablauf des drx-InactivityTimers oder dem Empfang eines DRX Command MAC CEs. Dabei unterstellen sie, dass der Beginn des Betriebs der Zykluslänge deren Wachphase ist. Sie setzen mithin „tatsächlichen Beginn“ der Zykluslänge mit deren Wachphase gleich und gründen hierauf ihr Nichtverletzungsargument. Damit können sie nicht durchdringen.
94
bb) Die Klägerin hat substanziiert vorgetragen, dass der LTE-Standard den short DRX cycle mit einer „Schlafphase“ beginnen und gleichzeitig den drxShortCycleTimer starten lassen kann (vgl. Anlagen AR 54, 55, 56). Dem sind die Beklagten nicht entgegengetreten. Demnach ist zugestanden, dass der LTE-Standard entsprechend der oben dargestellten Stelle auf Seite 28 der TS 136 321 einen klagepatentgemäßen zweiten Timer am Beginn des Betriebes auf die zweite DRX-Zykluslänge einstellt. Unerheblich ist, dass sich der DRX-Zyklus zu diesem Zeitpunkt in der Schlafphase befindet.
95
e) Das Merkmal 9.7 ist gleichfalls erfüllt.
96
aa) Gemäß der Seite 28 des Standarddokuments TS 136 321 ist für den Wechsel von der zweiten (kurzen) DRX-Zykluslänge zur ersten (langen) DRX-Zykluslänge folgendes vorgesehen:
- if drxShortCycleTimer cxpires in this subframe:
- use the Long DRX cycle.
97
Folge der Bestimmung des Ablaufs des zweiten WTRU-Timer ist mithin der Wechsel der WTRU zu der ersten DRX-Zykluslänge, ohne dass es einer expliziten Signalisierung bedarf.
98
bb) Die Beklagten stellen die Verwirklichung mit dem Argument in Abrede, das Endgerättreffe die Wechselentscheidung hin zur ersten Zyklusläng basierend auf einer komplexeren Logik, in welche ein Ablaufen des drxShortCycleTimer lediglich als einer von einer Mehrzahl von Parametern einfließe. Der Ablauf des drxShortCycleTimer allein bewirke keinen Wechsel der DRX-Zykluslänge.
99
Dies ist unschädlich, da klagepatentgemäß nicht gefordert wird, dass einzig und allein ein Ablaufen des zweiten Timers den Wechsel auslösen muss.
100
f) Soweit die Beklagten im Übrigen eine Anspruchsverwirklichung unter Verweis auf den vorgelegten Log-Bericht (Anlage B 2) in Abrede stellen, bleibt auch das im Ergebnis erfolglos.
101
Dies bereits deshalb, weil die Beklagten vortragen, der anspruchsgemäße „timer“ sei ein „counter“ und als solcher nicht im Log-Bericht erkennbar. Wie bereits gezeigt, ist ein anspruchsgemäßer „timer“ kein „counter“, so dass das Argument ins Leere geht. Ferner zeigt auch der Log-Bericht, dass ein drxShortCycleTimer standardgemäß konfiguriert und mit dem Wert „1“ gesetzt ist.
102
Im Übrigen ergibt sich aus dem von der Klägerin als Anlage AR 47 vorgelegten Konformitätstest („User Equipment (UE) conformance specification“), dass ein drx-ShortCycleTimer verwendet wird und das Endgerät feststellt, dass dieser abgelaufen ist (Abschnitt 7.1.6.3):
103
2. Die Verwirklichung der Merkmale von Anspruch 1 und Anspruch 9 des Klagepatents durch den 5G-Standard ergibt sich aus den Standard-Dokumenten ETSI TS 138 306 v. 15.12.0 (2021-01), nachfolgend „TS 138 306“, ETSI TS 138 321 v. 15.9.0 (2020-07), nachfolgend „TS 138 321“ und TS 138 331 v. 15.10.0 (2020-07), nachfolgend „TS 138 331“ (Anlagen AR 40-42). Das wird nachfolgend an den Merkmalen des Vorrichtungsanspruchs 9 dargelegt, gilt sinngemäß aber auch für den Verfahrensanspruch 1.
104
a) Die TS 138 306 (Anlage AR 42) führt in Abschnitt 4.2.1 aus, dass zwingende Funktionalitäten in den Tabellen, die die UE-Fähigkeitsparameter angeben, in der Spalte „M“ (für Mandatory) mit „Yes“ gekennzeichnet sind. In der Tabelle gemäß Abschnitt 4.2.6, die die Fähigkeitsparameter der Mobilstation für das MAC-Protokoll angibt, ist DRX als zwingend gekennzeichnet. Ferner erläutert Abschnitt 5.7 der TS 138 321 (Anlage AR 40), dass die Mobilstation über eine RRC-Nachricht von der Basisstation mittels Parametern mit einer DRX-Funktionalität konfiguriert wird.
105
Abschnitt 5.7 der TS 138 321 trifft folgende Zuordnung hinsichtlich der DRX-Konfigurationsparameter:
- Der drx-LongCycleStartOffset umfasst den Long DRX cycle, der der ersten DRX-Zykluslänge entspricht, Merkmal 9.1.1.
- Der drx-ShortCycle (Short DRX cycle) entspricht der zweiten DRX-Zykluslänge, Merkmal 9.1.2.
- Der Parameter drx-ShortCycleTimer ist der zweite WTRU-Timer, der zum impliziten Wechsel der WTRU zwischen DRX-Zykluslängen verwendet wird, Merkmal 9.1.3.
106
Aus Abschnitt 6.3.2 der TS 138 331 (Anlage AR 41) ergeben sich die jeweils korrespondierenden, möglichen Werte der DRX-Zykluslängen und des WTRU-Timers in Millisekunden (ms).
107
Abschnitt 5.7 der TS 138 321 beschreibt, dass die Mobilstation – entsprechend Merkmal 9.2 – den Long DRX cycle, also den langen DRX-Zyklus anwendet, wenn sie einen entsprechenden Befehl erhält:
108
Das neu eingefügte Merkmal 9.3 ist gleichfalls verwirklicht. Denn Abschnitt 5.7 der TS 138 321 (Anlage AR 40, Seite 39) gibt vor, dass die WTRU vom Long DRX Cycle zur Verwendung des Short DRX cycle übergeht, wenn in einem subframe der drx-InactivityTimer abläuft:
109
Der drx-InactivityTimer ist ein erster Timer im Sinne von Merkmal 9.3.
110
In Bezug auf das Merkmal 9.4 gibt der 5G-Standard in Abschnitt 5.7 der TS 138 321 (Anlage AR 40, Seite 39) vor:
111
Dabei ist ausweislich des Abschnitts 6.3.2 der TS 138 331 der Wert des Long DRX cycle (erste DRX-Zykluslänge) ein Vielfaches des Werts des Short DRX cycle (zweite DRX-Zykluslänge).
112
Das Merkmal 9.5 ist verwirklicht, weil ebenfalls gemäß der Seite 39 in Abschnitt 5.7 der TS 138 321 der drx-ShortCycleTimer nach Erhalt des Befehls zum Betreiben des Short DRX cycle gestartet und der Short DRX cycle verwendet wird:
113
Im 5G-Standard ist ferner festgelegt, dass wenn der WTRU-Timer, d.h. der drx-ShortCycleTimer abgelaufen ist, in Reaktion auf dieses Bestimmen zur ersten DRX-Zykluslänge (Long DRX cycle) ohne eine explizite Zeichengabe gewechselt wird:
(Abschnitt TS 138 321, Seite 39)
114
Das stellt die Verwirklichung der Merkmale 9.6 und 9.7 dar.
115
b) Den dagegen insbesondere erst in der Duplik vorgebrachten Angriffen der Beklagten bleibt der Erfolg versagt. Die Beklagten stellen auch beim 5G-Standard die Verwirklichung der Merkmals 9.1.3, 9.3 sowie 9.5, 9.6 und 9.7 in Abrede.
116
aa) Der drx-ShortCycleTimer ist – wie im 4G-Standard – ein merkmalsgemäßer zweiter Timer im Sinne von Merkmal 9.3.1. Es kann auf die Ausführungen zum 4G-Standard verwiesen werden.
117
bb) Gleiches gilt hinsichtlich des drx-InactivityTimers im Sinne von Merkmal 9.3 (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 15.11.2023, Rn. 42).
118
cc) Der zweite Timer wird entgegen den Behauptungen der Beklagten auch bei Beginn des Betriebs des zweiten, kürzeren DRX-Zyklus gestartet; Merkmal 9.5.
119
Die Beklagten tragen wie zum 4G-Standard vor, der drx-ShortCycleTimer werde bei Ablauf des drx-InactivityTimers oder dem Erhalt eines sogenannten DRX Command MAC CEs unmittelbar gestartet – und sei damit nicht abhängig von und zeitgleich mit einem Wechsel des Betriebs einer DRX-Zykluslänge. Auch der 5G-Standard unterscheide sprachlich zwischen der (zeitversetzten) Nutzung des kurzen DRX-Zyklus sowie dem Start des drx-ShortCycleTimer. Der drx-ShortCycleTimer werde demnach nicht zeitgleich mit dem Start des Betriebs mit dem kurzen DRX-Zyklus eingestellt, sondern regelmäßig vor dessen Beginn. Dabei setzen sie – wie beim 4G-Standard – den Beginn des kurzen DRX-Zyklus mit dessen On-Duration-Phase (Wachphase) gleich (vgl. Duplik, Technik, Rn. 128).
120
Das Klagepatent stellt indes nicht auf die Wachphase, sondern den Beginn des Betriebs des kurzen DRX-Zyklus ab. Der Vortrag der Beklagten führt daher bei zutreffender Auslegung des Klagepatents nicht aus der Verletzung heraus.
121
dd) Bezüglich Merkmal 9.6 kann aufgrund der Gleichartigkeit der Argumentation gleichfalls auf die Ausführungen zum 4G-Standard verwiesen werden.
122
ee) Im Hinblick auf die Argumente der Beklagten zur Nichtverwirklichung von Merkmal 9.7 kann auf die Ausführungen zum 4G-Standard verwiesen werden, weil auch hier die Beklagten einen Wechsel exklusiv und unmittelbar infolge des Ablaufs des zweiten Timers postulieren.
123
Aufgrund der wortsinngemäßen Verwirklichung der Klagepatentansprüche 1 und 9 in der vom Bundespatentgericht aufrechterhaltenen Fassung waren sämtliche Beklagten wie tenoriert zu verurteilen. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
124
1. Die Rechtsfolgen ergeben sich aus Art. 64 Abs. 1, Abs. 3 EPÜ, §§ 139 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 140a Abs. 1, Abs. 2, 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259, 830 Abs. 1, Abs. 2 BGB, § 256 ZPO zu verurteilen.
125
2. Die angegriffenen Mobilgeräte stellen Mittel dar, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung im Sinne von § 10 Abs. 1 PatG, hier das Verfahren gemäß Klagepatentanspruch 1, beziehen. Dass die Geräte auch in einer nicht patentverletzenden Weise verwendet werden können, haben die Beklagten nicht vorgetragen.
126
3. Es sind ferner sämtliche Beklagten passivlegitimiert.
127
a) Die Passivlegitimation der Beklagten zu 1) ergibt sich aus dem von ihr nicht bestrittenen Anbieten patentverletzender Produkte auf ihrer von Deutschland aus abrufbaren Internetseite …
128
b) Die Beklagten zu 2) und zu 6) haben die ihnen von der Klägerin vorgeworfenen Verletzungshandlungen nicht substantiiert bestritten, sondern darauf verwiesen, dass sie diese „jedenfalls nicht mehr“ begingen. Das reicht zur Ausräumung der durch die als zugestandenen anzusehenden Verletzungshandlungen begründeten Wiederholungsgefahr nicht aus.
129
c) Die Beklagte zu 9) haftet gleichfalls als Gehilfin. Die Beklagte zu 9) erbringt unstreitig Dienstleistungen für den Vertrieb der patentverletzenden Geräte der Beklagten zu 7) und 8), in dem sie für diese als verantwortliche Gesellschaft für die CE-Kennzeichnung auftritt (vgl. Anlage AR 29). Ohne gültige CE-Kennzeichnung ist der legale Vertrieb der Geräte unmöglich. Die Beklagte zu 9) leistet damit einen juristisch unabdingbaren Dienst für den Vertrieb der Geräte durch andere Beklagte.
130
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat für eine Patentverletzung auch derjenige einzustehen, der eine Benutzung des geschützten Gegenstands durch einen Dritten durch eigenes pflichtwidriges Verhalten ermöglicht. Dies gilt nicht nur im Falle einer vorsätzlichen Beteiligung an Verletzungshandlungen Dritter, sondern auch dann, wenn solche Verletzungshandlungen durch eine fahrlässige Pflichtverletzung ermöglicht oder gefördert werden (BGH GRUR 2009, 1142 – MP3-Player-Import). Die Zurechnung eines Mitverursachungsbeitrags bedarf bei nicht vorsätzlichem Handeln allerdings einer zusätzlichen Rechtfertigung. Sie besteht in der Regel in der Verletzung einer Rechtspflicht, die jedenfalls auch dem Schutz des verletzten absoluten Rechts dient und bei deren Beachtung der Mitverursachungsbeitrag entfallen oder jedenfalls als verbotener und daher zu unterlassender Beitrag des Handelnden zu der rechtswidrigen Handlung eines Dritten erkennbar gewesen wäre (BGH GRUR 2009, 1142 – MP3-Player-Import). Ob und in welchem Umfang eine Rechtspflicht zur Verhinderung eines schutzrechtsverletzenden Erfolgs besteht, richtet sich im Einzelfall nach der Abwägung aller betroffenen Interessen und relevanten rechtlichen Wertungen. Von entscheidender Bedeutung ist, ob und inwieweit dem in Anspruch Genommenen nach den Umständen des Falls ein Tätigwerden zuzumuten ist. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen der Schutzbedürftigkeit des Verletzten und der Zumutbarkeit von Prüfungs- und Handlungspflichten, die von Dritten zu beachten sind: Je schutzwürdiger der Verletzte, desto mehr Rücksicht auf seine Interessen kann dem Dritten zugemutet werden (BGH, a.a.O.). Dies gilt auch für im Ausland befindliche Gehilfen (BGH GRUR 2017, 785 Rn. 55 – Abdichtsystem).
131
Vorliegend hatte die Beklagte zu 9) spätestens mit Klagezustellung entsprechende Prüfungs- und Handlungspflichten.
132
Auch ein doppelter Gehilfenvorsatz liegt vor. Der Beklagten zu 9) ist als in Europa ansässigem Unternehmen bewusst, dass ohne die nach Europarecht erforderliche CE-Kennzeichnung ein Vertrieb von Mobilfunkgeräten nicht legal ist. Die Beklagten zu 9) ist sich darüber hinaus im Klaren – jedenfalls in form des dolus eventualis –, dass bei Unterstützungshandlungen zum Verkauf mobiler Endgeräte Patente zu beachten sind. Dass die Geräte, für die die Beklagte zu 9) die CE-Kennzeichnung erwirkt hat, Patente der Klägerin verletzen, war ihr womöglich zwar nicht unmittelbar bewusst. Nach der Rechtsprechung ist ein Gehilfenvorsatz gleichwohl gegeben, wenn das vom Hilfeleistenden erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten derart hoch ist, dass er sich mit seiner Hilfeleistung „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein“ lässt (BGH NStZ 2000, 34, 34).
133
Zur Überzeugung der Kammer ist beim Vertrieb mobiler Endgeräte die Gefahr einer rechtswidrigen und damit gemäß § 142 Abs. 1, Abs. 2 PatG auch strafbaren Benutzung fremder Patente stets so hoch, dass das von der Rechtsprechung geforderte erhöhte Risiko gegeben ist. Spätestens mit der Klagezustellung war das erhöhte Risiko einer Hilfeleistung zu rechtsverletzenden Handlungen greifbar.
134
d) Auch die Beklagte zu 10) war zu verurteilen. Die Klägerin hat unter Verweis auf den in ihrem Gesellschaftsvertrag niedergelegten Geschäftszweck der Beklagten zu 10) eine Erstbegehungsgefahr hinsichtlich Verletzungshandlungen behauptet (vgl. Anlage AR 35). Der Geschäftszweck lautet gemäß § 3 „Gegenstand“ wie folgt:
„Erbringung von Werbe- und Marketing- und Brand-Promotion-Dienstleistungen sowie Beratung in den Bereichen von Werbeleistung und Marketing; die Erbringung von IT- und Internet-Support sowie Beratung im Bereich des Handels von Smartphones und IT; (…)“
135
Zwar haben die Beklagten in der Klageerwiderung eine Aufnahme der Geschäftstätigkeit der Beklagten zu 10) in Abrede gestellt. Auf das darauf folgende Bestreiten der Klägerin in der Replik haben sie in der Duplik und auch später nicht mehr vorgetragen. Die Kammer geht daher davon aus, dass die Beklagte zu 10) mittlerweile entsprechend ihrem Geschäftsgegenstand „IT- und Internet-Support sowie Beratung im Bereich des Handels von Smartphones“ für patentverletzende Mobilfunkgeräte der übrigen Beklagten ausübt. Es gelten insoweit die Ausführungen zur Beklagten zu 9) entsprechend.
136
Allerdings waren die Ansprüche erst ab Eintragung in das Handelsregister zum 13.08.2021, mithin ab dem 14.08.2021 zuzusprechen. Im Übrigen war die Klage insoweit abzuweisen.
137
4. Der Rückrufanspruch gemäß § 140a Abs. 3 PatG steht selbständig neben dem Unterlassungs- und Vernichtungsanspruch. Er besteht auch gegenüber einem im Ausland ansässigen Lieferanten und ist unabhängig von Eigentum oder Besitz (vgl. Grabinski/Zülch/Tochtermann, in: Benkard, Patentgesetz: PatG, 12. Auflage 2023, § 140a Rn. 13). Er ist daher gegen alle Beklagten durchsetzbar.
138
5. Der Vernichtungsanspruch gemäß § 140a Abs. 1, Abs. 2 PatG verlangt hingegen Eigentum oder Besitz an rechtsverletzenden Erzeugnissen. Dabei kann der Besitz auch mittelbar sein.
139
Hinsichtlich der Beklagten 2), der Beklagten zu 6), der Beklagten zu 9), der Beklagten zu 10) und der Beklagten zu 11) ist zur Überzeugung der Kammer aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit keinerlei Eigentum oder Besitz an rechtsverletzenden Erzeugnissen, vorliegend Mobilfunkgeräten, ersichtlich. Insoweit war die Klage ebenfalls abzuweisen.
140
6. Der Schadensersatzfeststellungsanspruch und der Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch waren zuzusprechen, weil die Voraussetzungen gemäß Art. 64 Abs. 1, Abs. 3 EPÜ, §§ 139 Abs. 2, 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB, § 256 ZPO vorliegen.
141
7. Über die „insbesondere“-Anträge der Klägerin war nicht zu entscheiden, weil diese als Hilfsanträge zu verstehen sind und insoweit, nämlich in Bezug auf den Unterlassungsantrag, bereits der Hauptantrag zugesprochen wurde. Gleiches gilt für die hilfsweise gestellten Unterlassungsansprüche.
142
Weder der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand (I.) noch der patentrechtliche Unverhältnismäßigkeitseinwand (II.) greifen vorliegend zu Gunsten der Beklagten ein.
143
Der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand der Beklagten ist aufgrund einer markbeherrschenden Stellung der Klägerin (1.) zwar eröffnet. Er bleibt im Ergebnis aber ohne Erfolg und steht einer antragsgemäßen Verurteilung nicht entgegen. Die Klageerhebung war nicht missbräuchlich und ist auch nicht durch ein nachträgliches Verhalten der Klägerin während des Verlaufs des Rechtsstreits missbräuchlich geworden. Im Gegenteil haben die Beklagten sich nicht lizenzwillig verhalten (2.).
144
1. Unbestritten ist der Anwendungsbereich von Art. 102 AEUV eröffnet, da der Klägerin bezüglich des standardessenziellen Klagepatents eine beherrschende Stellung auf dem Lizenzmarkt zukommt.
145
Diese Stellung folgt daraus, dass die Benutzung der patentgeschützten Lehre für die Umsetzung des von den jeweiligen Standardisierungsorganisation normierten Standards notwendig ist und es technisch unmöglich ist, die dem Klagepatent zugrunde liegende technische Erfindung durch eine andere zu ersetzen. Anhaltspunkt dafür, dass die technische Lehre des Klagepatents durch eine andere – gleichwertige – Gestaltung substituierbar ist, liegen nicht vor.
146
Die Klägerin hat die ihr zukommende marktbeherrschende Stellung zu keinem Zeitpunkt missbraucht. Die zwischen den Parteien geführten Verhandlungen und ausgetauschten Angebote zum Abschluss eines Lizenzvertrages zeigen vielmehr, dass gemessen an den von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (GRUR 2015, 764 – Huawei / ZTE) sowie des Bundesgerichtshofs (BGH GRUR 2020, 961 – FRAND-Einwand I; 2021, 585 – FRAND-Einwand II) aufgestellten Grundsätzen für ein FRAND-gemäßes Verhalten der Parteien, die Beklagten ein solches haben vermissen lassen. Weder sind die Beklagten lizenzwillig (2.), noch haben sie gegenüber dem nicht offensichtlich FRAND-widrigen Angebot der Klägerin vom … gemäß der Anlage KAR-AR 58 (3.) ein FRAND-gemäßes Gegenangebot abgegeben (4.).
147
2. Die Klageerhebung war nicht missbräuchlich, da die Beklagten trotz Verletzungshinweises der Klägerin (a) keine (ausreichende) Lizenzbereitschaft haben erkennen lassen (b).
148
a) Die Klägerin hat der Beklagte zu 1) am … und somit vor der Einreichung der hiesigen Klage im Jahr 2021 Claim Charts übersandt, die auch das Klagepatent enthielten (Anlage KAR-AR 13). Das ist für einen Verletzungshinweis nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausreichend (BGH GRUR 2020, 961 Rn. 85 – FRAND-Einwand I).
149
Eine echte Verhandlungs- und Lizenzbereitschaft der Beklagten lässt sich demgegenüber unter Berücksichtigung der gesamten Verhandlungsgeschichte bis dato nicht feststellen.
150
b) Die Lizenzbereitschaft des Patentverletzers muss zum einen tatsächlich und nicht nur formal bestehen. Sie muss zum anderen fortdauernd sein. Denn der Missbrauch von Marktmacht durch den Inhaber standardessentieller Patente folgt aus der Weigerung, einem Unternehmen der Marktgegenseite den rechtmäßigen Zugang zu der Erfindung zu gewähren und hierzu eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu erteilen (BGH GRUR 2021, 585 Rn. 66 – FRAND-Einwand II mVw auf EuGH GRUR 2015, 764 Rn. 53 – Huawei/ZTE). Eine missbräuchliche Verweigerung durch den marktbeherrschenden Patentinhaber setzt daher zwingend voraus, dass der Verletzer stets nach einer solchen Lizenz verlangt und sich aktiv um eine solche bemüht (BGH ebd.).
151
Hinzukommt, dass sich bei gegenläufigen beiderseitigen Interessen, wie sie nachvollziehbarerweise zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer bestehen, ein ausbalancierendes, angemessenes Ergebnis in der Regel erst als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses erreichen lässt. Das setzt voraus, dass beide Parteien ihre Interessen artikulieren und diskutieren, um auf diese Weise zu einem beiderseits gewünschten fairen und angemessenen Interessenausgleich zu gelangen. Die Anforderungen an das Verhalten des Patentinhabers und an das Verhalten des Nutzers der Erfindung bedingen sich dabei wechselseitig (BGH a.a.O., Rn. 59).
152
Vor diesem Hintergrund kann es für eine Lizenzbereitschaft regelmäßig nicht ausreichen, wenn der Verletzer sich auf den Verletzungshinweis lediglich bereit zeigt, den Abschluss eines Lizenzvertrags zu erwägen oder in Verhandlungen darüber einzutreten, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Vertragsschluss für ihn in Betracht komme. Vielmehr muss sich der Verletzer seinerseits klar und eindeutig bereit erklären, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen abzuschließen, und muss auch in der Folge zielgerichtet an den Lizenzverhandlungen mitwirken (BGH a.a.O., mVw auf BGH GRUR 2020, 961 Rn. 83 – FRAND-Einwand).
153
Der Maßstab für die Prüfung der in diesem Sinne verstandenen Lizenzbereitschaft ist dabei dasjenige, was eine vernünftige Partei, die an dem erfolgreichen, beiderseits interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, zur Förderung dieses Ziels in einem bestimmten Verhandlungsstadium jeweils tun würde, wobei stets die Besonderheiten des Einzelfalles im Blick zu behalten sind (BGH a.a.O., Rn. 59).
154
aa) Zwar haben die Beklagten mit E-Mails vom 09.01.2017 und vom 22.05.2017 schriftlich erklärt, lizenzbereit zu sein. Tatsächlich ist ein lizenzwilliges Verhalten der Beklagten im Anschluss an die beiden Emails nicht erkennbar.
155
Auf das erste Angebot der Klägerin zum Abschluss eines Lizenzvertrages vom … (Anlage AR-KAR 15) haben die Beklagten mit einem ersten Gegenangebot am … reagiert (Anlage AR-KAR 35).
156
Zwischen erstem Angebot und erstem Gegenangebot sind demnach … vergangen. Selbst unterstellt, die Beklagten hätten mangels ausreichender Informationen der Klägerin Schwierigkeiten in der Einordnung des klägerischen Angebots gehabt, rechtfertigt das den langen Zeitraum bis zur Abgabe eines Gegenangebots nicht. Denn gemäß der Rechtsprechung haben die Parteien zügig und zielgerichtet zu verhandeln, worunter auch das zeitige Abgeben eines Gegenangebots fällt.
157
Das gilt auch dann, wenn man mit den Beklagten davon ausginge, die von der Klägerin unterbreiteten Angebote vom … keine Angebote im Sinne der FRAND-Rechtsprechung darstellten. Die Beklagten meinen, ein echte Angebot könne erst im sechsten Angebot vom … gesehen werden. Dieser Verlauf zeigt jedoch sehr deutlich das Bemühen der Klägerin, sich durch die Übersendung von Angeboten – im unterstellt untechnischen Sinn – einer Verhandlungslösung mit den Beklagten anzunähern.
158
Wenn sich die Beklagten demgegenüber darauf zurückziehen, das Lizenzangebot des Patentinhabers müsse eine hinreichende Regelungsdichte aufweisen und zu jedem Aspekt eine Bestimmung enthalten, dessen Behandlung in Lizenzverträgen üblich sei, so dass die ersten fünf von der Klägerin vorgelegten Angebote bereits aus formellen Gründen zurückzuweisen seien, weswegen für sie bis zum 6. Angebot am … keine Verpflichtung bestanden habe, ihrerseits detailliertere oder umfassendere Vertragswerke vorzulegen (vgl. Klageerwiderung-FRAND, Rn. 26 ff.), kann dem nicht beigetreten werden.
159
Zwar muss der Patentverletzer kein Gegenangebot auf ein Angebot abgeben, das offensichtlich FRAND-Bedingungen widerspricht und sich bei objektiver Wertung als nicht ernst gemeint und damit als Weigerung darstellt, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen (BGH GRUR 2021, 585 Rn. 71 – FRAND-Einwand II). Eine fehlende Ernsthaftigkeit sowie eine Weigerung, den Beklagten einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu gewähren, kann in den Angeboten vom … nicht erkannt werden.
160
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der unberechtigte Patentnutzer sich mit Vertragsangeboten des Patentinhabers in einer Weise auseinandersetzen muss, die erkennen lässt, dass er das Ziel verfolgt, alsbald zu einem beiderseits interessengerechten Ergebnis zu gelangen. Dafür kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit der Inhalt des Vertragsangebots des Patentinhabers bereits in jeder Hinsicht den Anforderungen des abzuschließenden Vertrags an faire, angemessene und nicht-diskriminierende Bedingungen der Nutzung der Vertragsschutzrechte entspricht. Denn wäre der Patentinhaber verpflichtet, stets sogleich ein Angebot vorzulegen, das das angemessene und beiderseits interessengerechte Ergebnis von Lizenzvertragsverhandlungen antizipiert, bedürfte es keiner Verhandlungen und auch keines Gegenangebots des Nutzers mehr, der das Angebot des Patentinhabers nicht annehmen will (BGH GRUR 2021, 585 Rn. 72 – FRAND-Einwand II).
161
Das fehlende bzw. zeitlich weit verzögerte Reagieren der Beklagten auf Angebote der Klägerin zeigt, dass die Beklagten nicht wirklich willig waren, gemäß Treu und Glauben an Lizenzverhandlungen mitzuwirken. Dies gilt umso mehr, als das erste Gegenangebot der Beklagten vom … seinerseits genau diejenigen Mängel aufweist, die die Beklagten an den Angeboten der Klägerin kritisieren, nämlich die fehlende eingehende Erläuterung der angebotenen Lizenzbedingungen (vgl. Anlage AR-KAR 35). Dass die Beklagten mit diesem wenig informativen Gegenangebot bis zum … gebraucht bzw.gewartet haben, unterstreicht ihre fehlende Lizenzwilligkeit. Sie messen mit zweierlei Maß.
162
Zudem widersprechen sich die Beklagten selbst, wenn sie behaupten, erst das sechste Angebot vom … sei erwiderungsfähig, sie aber bereits am … ein erstes Gegenangebot abgegeben haben.
163
Ferner erfolgte auf die zügige Ablehnung des Gegenangebots der Beklagten vom … seitens der Klägerin am … das zweite Gegenangebot wiederum erst mit deutlich zeitlichem Verzug am … und damit wiederum dilatorisch.
bb) Ferner rügen die Beklagten erstmals im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens (Schriftsatz v. 05.06.2022, Rz. 31), dass die Lizenzangebote der Klägerin keine Anpassungsklausel hätten. Dabei haben sie das vorgerichtlich nicht moniert. Auch dieses Verhalten belegt das allein taktisch motivierte Verhalten der Beklagten ohne echten Lizenzwillen.
164
cc) Die Kammer hat die Beklagten ferner in der mündlichen Verhandlung vom 02.03.2023 darauf hingewiesen, dass nach derzeitiger Einschätzung der Sach- und Rechtslage der FRAND-Einwand nicht erfolgreich ist und hat diese Einschätzung eingehend begründet. Gleichwohl haben die Beklagten in der Folge kein weiteres, verbessertes Gegenangebot gemacht. Auch das ist ein Beweis für ihre fehlende Lizenzwilligkeit.
165
Stattdessen beharren die Beklagten weiter auf ihrer Rechtsposition und führen zusätzlich zur Begründung ihrer Haltung das Urteil des High Court of Justice vom 16.03.2023, [2023] EWHC 539 (Pat), im Rechtsstreit zwischen … und … an. Das ist zwar nicht unzulässig. Die Beklagten übersehen dabei aber, dass das Urteil (1.) nicht rechtskräftig ist und (2.) der dort als maßgebliche erachtete LG-Vergleichslizenzvertrag auf Mobilfunk-SEPs beschränkt ist, bereits 2020 abgelaufen ist und kein 5G umfasst, während zwischen den hiesigen Parteien eine … verhandelt wird. Nicht unbeachtlich im vorliegenden Rechtsstreit ist auch (3.), dass das Urteil keinerlei Auseinandersetzung mit der deutschen FRAND-Rechtsprechung, insbesondere den beiden Urteilen des Bundesgerichtshofs (FRAND-Einwand I und FRAND-Einwand II) enthält. Auch das ist per se nicht schädlich. Die Aussagekraft bzw. Indizwirkung eines nicht rechtskräftigen Urteils eines Gerichts, das an Art. 102 AEUV nicht (mehr) gebunden ist, einen nicht unmittelbar vergleichbaren Lizenzvertrag zum Maßstab nimmt und sich auch nicht zur höchstgerichtlichen deutschen FRAND-Rechtsprechung verhält, dürfte jedoch in einem deutschen Patentverletzungsprozess nicht allzu hoch sein.
166
dd) Dabei haben die Beklagten im hiesigen Prozess eindrücklich vor Augen geführt, wie Patentverletzer durch das fortwährende Verlangen von Vergleichslizenzverträgen praktisch einen hold-out betreiben und gleichzeitig versuchen, damit ihre fehlende Lizenzbereitschaft zu verschleiern.
167
So haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 03.02.2023 auf die Fragen 9 und 10 der Kammer im Beschluss vom 14.11.2022 wie folgt geantwortet:
„Zu Ziff. 9 gilt, dass diese erst nach der Vorlage entsprechender Verträge durch die Klägerin abschließend beantwortet werden können. Die im gegen … vor dem UK High Court geführten Parallelverfahren besonderes in den Fokus genommen Verträge basieren nicht auf der fortlaufenden Zahlung von Lizenzgebühren, sondern es wurden die fälligen Lizenzgebühren durch eine Pauschalzahlung abgegolten („lump sum“). Da hierbei unterschiedliche Annahmen bezüglich der dem Lizenzvertrag zu Grunde liegenden Parameter möglich sind, ist eine Analyse dieser Lizenzverträge unerlässlich. Auf dieser Grundlage sollte es den Parteien möglich sein, in einen offenen und fairen Dialog über die angemessenen Lizenzgebühren einzutreten. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass ein solcher Dialog faktenbasiert stattfinden könnte, d.h. an die Stelle der derzeit in den Raum gestellten Annahmen würde sodann eine Diskussion über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des vorliegenden Lebenssachverhalts und der den Vergleichslizenzen zu Grunde liegenden Lebenssachverhalte treten. Bei einer einheitlichen Bewertung der Vergleichslizenzen wäre eine Einigung auf vergleichbare Konditionen ohne Weiteres möglich.
Zu Ziff. 10 verweisen wir abermals darauf, dass es zunächst Sache der Klägerin ist, einen bestimmten Lizenzvertrag mit einem Dritten als vergleichbar einzuordnen oder die mangelnde Relevanz für das hiesige Verfahren zu begründen. Denn allein die Klägerin kennt die in diesen Verträgen vereinbarten Lizenzbedingungen und verfügt damit zumindest über eine Grundlage für die entsprechende Einordnung eines bestimmten Vertrags. Die Beklagten stimmen mit der Kammer darin überein, dass die Aussagekraft eines aktuelleren Lizenzvertrags für die Bestimmung vergleichbarer Lizenzbedingungen voraussichtlich höher ist, als ein vor vielen Jahren abgeschlossener Lizenzvertrag. Gleichwohl haben die Beklagten die Vorlage sämtlicher Verträge gefordert, um sich nicht dem Vorwurf eines „Rosinenpickens“ auszusetzen, sondern vielmehr – in Übereinklang mit der Position der Klägerin in anderen Jurisdiktionen – eine Vielzahl von Vergleichsverträgen zur Ermittlung der Wettbewerbern eingeräumten Bedingungen zu analysieren.“
168
Daraus ergibt sich in Verbindung mit dem übrigen Verhalten der Beklagten zur Überzeugung der Kammer, dass das Einfordern von Vergleichslizenzverträgen nicht Ausdruck redlicher Verhandlungsbereitschaft ist, sondern lediglich Instrument zur Dilatation des Verhandlungsprozesses. Einerseits wird die Offenlegung aller – auch der offensichtlich nicht relevanten – Verträge gefordert:
„Gleichwohl haben die Beklagten die Vorlage sämtlicher Verträge gefordert, um sich nicht dem Vorwurf eines „Rosinenpickens“ auszusetzen, sondern vielmehr – in Übereinklang mit der Position der Klägerin in anderen Jurisdiktionen – eine Vielzahl von Vergleichsverträgen zur Ermittlung der Wettbewerbern eingeräumten Bedingungen zu analysieren“.
169
Andererseits ist selbst die Vorlage aller Verträge keine Gewähr für den Patentinhaber, dass der Patentverletzer sodann einen Lizenzvertrag auf Basis eben dieser Vergleichsverträge unmittelbar schließt. Denn Voraussetzung hierfür ist nach Auffassung der Beklagten eine „einheitliche Bewertung der Vergleichslizenzen“. Nur dann „wäre eine Einigung auf vergleichbare Konditionen ohne Weiteres möglich“. Doch selbst dann ist ein Vertragsschluss nicht sicher, wie die Verwendung des Konjunktivs zeigt.
170
Eine Verzögerungstaktik liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, typischerweise darin, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen nicht schlichtweg abzulehnen, sondern ihn vorgeblich anzustreben, aber die Findung einer angemessenen Lösung im Einzelnen zu hintertreiben oder zumindest so lange wie möglich hinauszuschieben (BGH GRUR 2021, 585 Rn. 67 – FRAND-Einwand II).
171
Nicht anders ist das Vorgehen der Beklagten zu verstehen, die sogar auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts, ob sie bereit sind, einen Lizenzvertrag zu Bedingungen abzuschließen, wie sie in Vergleichsverträgen niedergelegt sind, dies verneinen. Stattdessen beabsichtigen sie, nach Vorlage einer möglichst großen Anzahl von Vergleichsausverträgen – auch solchen, die sie für nicht relevant halten – mit der Patentinhaberin in Diskussionen, euphemistisch: „Verhandlungen“, einzutreten, ob die von ihnen zuvor vehement geforderten Vergleichslizenzverträge mit ihnen überhaupt vergleichbar sind. Dabei sind den Beklagten die Vertragspartner der meisten Vergleichslizenzverträge bekannt (vgl. Email vom 18.08.2026, Anlage KAR-AR 6). Sie können also bereits ohne deren Vorlage beurteilen, ob sie mit ihnen vergleichbar sind oder nicht. Dennoch wird schlicht „die Vorlage sämtlicher Verträge gefordert“. Dass sie dennoch nach deren Vorlage „Rosinenpicken“ betreiben wollen, sagen sie selbst, weil sie nur bei einer „einheitlichen Bewertung der Vergleichslizenzen“ „eine Einigung auf vergleichbare Konditionen ohne Weiteres“ für möglich halten.
172
ee) Die Lizenzunwilligkeit ergibt sich weiterhin daraus, dass die Beklagten auf einem auf sie abgestimmten Average Sales Price (ASP) beharren (vgl. Duplik-FRAND Rn. 91 ff.).
173
Nach der Rechtsprechung der Kammer ist eine Berechnung der Lizenzrate nach einem eigenen ASP des Patentverletzers zwar grundsätzlich zulässig. Das setzt allerdings voraus, dass sich der Patentverletzer frühzeitig und auf eigene Initiative – etwa durch eine aufgebotsähnliches Verfahren – um eine Lizenz bemüht. Das Berufen auf einen eigenen ASP nachdem man ohne entsprechende Lizensierungsbemühungen auf den Markt getreten ist, kann hingegen Ausdruck einer Lizenzunwilligkeit sein. Denn die Berechnung des Lizenzsatzes anhand des industrieweiten ASP ist eine anerkannte Methode, gerade auch bei Lizenzverträgen für standardessenzielle Patente. Wer den Markt gleichwohl in patentverletzender Weise ohne Lizenz mit Produkten betritt, deren Endverkaufspreis unter dem industrieweiten ASP liegt bzw. bei dem es wahrscheinlich ist, dass er unter diesem liegen wird, setzt sich selbst dem Risiko aus, bei einer Lizenzierungspraxis gemäß des grundsätzlich FRAND-gemäßen industrieweiten ASP schlechter gestellt zu sein als Wettbewerber (vgl. ausführlich LG München I GRUR-RS 2022, 34108 Rn. 123 ff.).
174
Zusammen mit dem übrigen bereits dargestellten Verhalten der Beklagten ist das Beharren auf einen eigenen ASP ebenfalls Ausdruck der Lizenzunwilligkeit.
175
ff) Demzufolge war auch den Vorlageanträgen der Beklagten nicht nachzukommen.
176
3. Jedenfalls das achte Angebot der Klägerin vom … entspricht zur Überzeugung der Kammer FRAND-Bedingungen und ist jedenfalls nicht offensichtlich un-FRAND. Es ist auch infolge des gerichtlich umfangreich gewechselten Schriftverkehrs (vgl. insbesondere die FRAND-Replik vom 22.07.2022, Rn. 24 ff. sowie Schriftsatz vom 03.02.2023, Rn. 25) hinreichend detailliert begründet und geht von objektiv nachvollziehbaren Kriterien aus. Im Ergebnis stellen die Bedingungen daher ein faires Angebot zum Zugang zum relevanten Mobilfunkmarkt für die Beklagten dar und gerade keine Verweigerung dessen. Dass einzelne Bedingungen auch durch andere, für die Beklagten günstigere Konditionen ersetzt werden könnten (etwa ein spezieller ASP), ficht ihre FRAND-Gemäßheit nicht an. Entscheidend ist, dass die Beklagten durch dieses Angebot die Möglichkeit haben, ihre rechtswidrige Patentbenutzung durch Abschluss eines an objektiven Kriterien orientierten Vertrages zu beenden und dadurch Zugang zum Mobilfunkmarkt erhalten.
177
4. Demgegenüber erweisen sich die Gegenangebote als un-FRAND. Die Beklagten bieten deutlich weniger als andere Wettbewerber, insbesondere auch solche, die wie sie im Niedrigpreissegment angesiedelt sind und eine vergleichbare regionale Gewichtung aufweisen (vgl. Schriftsatz vom 03.02.2023, Rn. 25 – 1. Bulletpoint). Das Nichteinhalten des FRAND-Maßstabes ergibt sich aber auch allein daraus, dass das letzte Gegenangebot vom … (Anlage B-KAR 16), das eine Modifikation des … (Anlage B-KAR 07) darstellt, … …
178
Unter Berücksichtigung, dass die Parteien seit 2014 in Verhandlungen sind und die Beklagten bisher ein zögerlich-unwilliges Verhandlungsverhalten gezeigt haben, ist es nicht als FRAND-konform anzusehen, wenn das Gegenangebot im Jahr … zum einen auf … Ein redlicher Lizenznehmer, der sich bewusst ist, dass er seit Jahren eine Lizenz benötigt um seine patentverletzenden Handlungen zu legitimieren, würde im Jahr …, spätestens nach der mündlichen Verhandlung vor der hiesigen Kammer im Jahr 2023, auf mindestens eine der vorgenannten Vertragsbedingungen verzichten. Alles andere ist unFRAND.
179
Der patentrechtliche Unverhältnismäßigkeitseinwand gemäß § 139 Abs. 1 Satz 3PatG greift nicht durch.
180
Nach der Rechtsprechung der Patentkammern des Landgerichts München I scheidet der allgemeine, mittlerweile in § 139 Abs. 1 Satz 3 PatG in Gesetzesform gegossene Unverhältnismäßigkeitseinwand in der Regel, das heißt bei Fehlen außergewöhnlicher Umstände aus, wenn gleichzeitig eine Situation gegeben ist, in der ein kartellrechtlicher Zwangslizenzeinwand dem Grunde nach erfolgreich erhoben werden kann (vgl. LG München I GRUR-RS 2022, 26267 Rn. 97; 7 O 4396/21, Urt. v. 21.07.2022, Seite 35 f.; 7 O 782/23, Urt. v. 26.10.2023, Rn. 109). Ein Patentverletzer handelt seinerseits treuwidrig, wenn er seinerseits lizenzunwillig ist und andererseits sich auf den Unverhältnismäßigkeitseinwand nach § 139 Abs. 1 Satz 3 PatG beruft.
181
Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO kommt im Hinblick auf die das Klagepatent eingeschränkt aufrechterhaltende Endentscheidung des Bundespatentgerichts vom 15.09.2023 das Klagepatent nicht näher in Betracht. Die Beklagten haben keine Gründe vorgetragen, warum die Entscheidung des Bundespatentgerichts offensichtlich unrichtig sein sollte.
182
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO. § 712 ZPO ist nicht anzuwenden, weil die Beklagtenseite einen über die üblichen Nachteile einer Vollstreckung hinausgehenden, nicht zu ersetzenden Nachteil durch die Vollstreckung nicht dargetan hat. Mangels substantiiertem Sachvortrag zum drohenden Vollstreckungsschaden, war für die Vollstreckungssicherheit auf den Streitwert abzustellen.