Inhalt

LG Schweinfurt, Endurteil v. 02.10.2023 – 21 O 575/23 eV
Titel:

Erfolgloser Verfügungsantrag gegen Online-Rezension

Normenketten:
ZPO § 935, § 940
BGB § 823, § 1004
Leitsatz:
Wurde eine Kundenrezension im Internet vom Kunden wieder gelöscht, ist dem betroffenen Unternehmen ein Zuwarten mit der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen bis zu einer Entscheidung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren zumutbar; eine Eilbedürftigkeit kann insoweit nicht angenommen werden, denn es ist nicht erkennbar, welche Nachteile durch eine nicht veröffentlichte Rezension entstehen sollen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfügungsgrund, Verfügungsanspruch, Wiederholungsgefahr, Dringlichkeit, Interessenabwägung, Eilbedürftigkeit, Kostenentscheidung
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 13.02.2024 – 6 U 42/23 e
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 46265

Tenor

1. Der Antrag der Verfügungsklägerin vom 08.09.2023 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird abgewiesen.
2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Verfahrens über den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin kann die Vollstreckung des Verfügungsbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um den Erlass einer einstweiligen Verfügung hinsichtlich Unterlassungsansprüchen im Zusammenhang mit der Abgabe einer online-Rezension.
2
Die Verfügungsklägerin treibt über ihren Webshop … weltweit Handel mit Speichermodulen für EDV-Geräte nahezu aller bekannten Hersteller. Der Verfügungsbeklagte kaufte bei der Verfügungsklägerin am 15.01.2020 zwei Stück „2 GB RAM DDR2 passend für Gigabyte GA 8i945 PE“.
3
Am 29.12.2021 reklamierte der Verfügungsbeklagte erstmals gegenüber der Verfügungsklägerin die Ware. Es kam daraufhin zu E-Mailverkehr zwischen den Parteien.
4
Der Verfügungsbeklagte verfasste und veröffentliche als sog. „Local guide“ auf der Website www.g..com unter dem Pseudonym „….“ eine Bewertung zur Verfügungsklägerin mit folgendem Inhalt:
5
Diese Rezension veröffentlichte der Verfügungskläger erstmals im Februar 2022. Aufgrund nicht geklärter Vorgänge bei der Firma G. wurde sie im Juni 2023 nicht mehr öffentlich angezeigt und erst auf Einspruch des Verfügungsbeklagten im Juli 2023 mit neuem Datum wieder veröffentlicht.
6
Die Verfügungsklägerin mahnte den Verfügungsbeklagten mit Schriftsatz vom 21.08.2023 (Anlage Ast 1) ab, der Verfügungsbeklagte antwortete mit E-Mail vom 23.08.2023 (Anlage Ast 2).
7
Nach der Abmahnung löschte der Verfügungsbeklagte die Rezension sowie alle weiteren jemals von ihm getätigten Beiträge auf g..com, sein G.-Konto und beendete seine Teilnahme am „Local Guide“-Programm.
8
Die Verfügungsklägerin trägt im Wesentlichen vor, der Verfügungsbeklagte stelle in seiner Rezension unwahre Tatsachenbehauptungen auf und übe Schmähkritik. Bei den Marken der Verfügungsklägerin handle es sich nicht um inhaltsleere und bedeutungslose Marken, die lediglich zum Zweck des Umlabelns verwendet werden würden. Die Behauptung des Verfügungsbeklagten sei auch insofern unwahr, als auf dem Typenaufkleber Angaben zur Speichergröße fehlten. Die Speichermodule seien nicht minderwertig. Es handle sich um Speichermodule namhafter Hersteller. Die Preise der Verfügungsklägerin seien nicht überteuert.
9
Der Appell des Verfügungsbeklagten, dass man die Finger weg lassen und nichts kaufen solle, sei unzulässig, da er mit den nachfolgend in der Rezension wiedergebenen unzutreffenden Erfahrugnen begründet werde.
10
Die Äußerung über die Inkompatibilität des Speichers stelle eine unwahre Tatsachenbehauptung dar, da es vielfältige andere Fehlerursachen für das von ihm beobachtete Phänomen gebe.
11
Die Behauptung des Verfügungsbeklagten, dass für die Verfügungsklägerin unangenehme E-Mail-Anfragen nicht beantwortet und ignoriert worden seien, sei ebenfalls unwahr. Bei den Aussagen, dass minderwertige Speicher zu völlig überteuerten Preisen verkauft werden und, dass man bei einem renommierten Händler wirklich kompatible Markenware kaufe, sei als Schmähkritik bzw. als Fomalbeleidigung zu werten.
12
Die Verfügungsklägerin meint, sie habe ein Recht auf Unterlassung der in den Anträgen zitierten Äußerungen aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 StGB, Art. 1 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG. Es liege auch ein Verfügungsgrund vor. Der Geschäftsführer der Verfügungsklägerin habe von der streitgegenständlichen Rezension zunächst im Rahmen routinemäßiger Überprüfungen Kenntnis erlangt und dann versucht anhand seiner Geschäftsvorfälle einen Bezug zu einer Transaktion zu finden, die zum Inhalt der Rezension passen könnte. Am 15.08.2023 habe er dann vermutet, dass es sich um den Verfügungsbeklagten gehandelt haben könnte. Aufgrund der Tätigkeit des Verfügungsbeklagten als „Local Guide“ stehe zu befürchten, dass geschäftsschädigende Äußerungen in der Gestalt der oben erwähnten Rezension erneut veröffentlicht werden. Hinzu komme, dass der lange Zeitablauf zwischen Kauf und Beanstandung der Speichermodule und zwischen Mängelrüge und Veröffentlichung der Rezension die Gefahr erhöhe, dass der Verfügungsbeklagten erneut nach langer Zeit seine geschäftsschädigenden Äußerungen wiederhole. Darüber hinaus bestünden konkrete Anhaltspunkte auf eine bevorstehende Wiederholung, da der Verfügungsbeklagte angegeben habe, dass nicht alle seine Rezensionen gelöscht worden seien und somit die Gefahr bestehe, dass die unrechtmäßigen Rezensionen nach wie vor an einer der Verfügungsklägerin unbekannten Stelle abrufbar seien.
13
Die Verfügungsklägerin beantragt:
Der Antragsgegner hat es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, sich wie nachstehend wiedergegeben zu äußern und/oder äußern zu lassen:
1) „Achtung, hier die Finger weg lassen und nichts kaufen
[…]
Erstens: Es werden minderwertige Speicher zu völlig überteuerten Preisen verkauft. Auf dem Typenaufkleber ist neben der Speichergröße keinerlei Hinweis auf Marke und Hersteller.
[…]
2) Zweitens: Die Speicher waren in meinem Fall nicht kompatibel, wie auf der Website von PHS eigentlich zugesichert.
[…]
3) für den Verkäufer unangenehme E-Mail-Anfragen wurden nicht beantwortet und ignoriert.
[…]
4) Für das Geld bei einem renommierten Händler wirklich kompatible Markenware kaufen
[…]“
wie in den Rezensionen der G. Suchmaschine zum Eintrag „…“ abrufbar unter
https://www.g..com/search?g… am 18.08.2023 wie nachfolgend abgebildet geschehen:
[…]
14
Der Verfügungsbeklagte beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
15
Der Verfügungsbeklagte trägt im Kern vor, dass er nicht beabsichtige, die Bewertung wieder online zu stellen oder die dortigen Aussagen nochmals zu veröffentlichen. Er habe lediglich Bedenken, dass nicht sichergestellt sei, dass G. die Bewertung nicht doch aufgrund eines Fehlers oder ähnliches ohne sein Zutun oder Einfluss wieder online stelle. Daher habe er keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.
16
Der Verfügungsbeklagte behauptet, dass es ein längeres Zuwarten der Verfügungsklägerin zwischen Kenntnis von der Bewertung und Recherche im Mailverkehr gegeben haben könnte, welche das zügige Betreiben seitens der Verfügungsklägerin und damit die Dringlichkeit ausschließe. Dies vor dem Hintergrund, dass die Verfügungsklägerin nicht mitteilte, wann sie erstmalig Kenntnis von der Bewertung erlangt habe. Zudem hätte die Verfügungsklägerin seit der Erstveröffentlichung im Februar 2022 Kenntnis von der Rezension erlangen können und müssen, so dass keine Dringlichkeit vorliege.
17
Der Verfügungsbeklagte meint des Weiteren, dass die Äußerungen im Einzelnen zulässig seien. Die Äußerungen unter 1), 2) und 4) stellten zulässige Meinungsäußerungen dar, die Äußerung unter 3) sei eine wahre Tatsachenbehauptung.
18
Im Übrigen und ergänzend wird wegen des Parteivorbringens Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze einschließlich aller Anlagen. Das Gericht hat die Verfügungsklägerin und den Verfügungsbeklagten persönlich angehört. Wegen der Einzelheiten des mündlichen Vorbringens wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.09.2023.

Entscheidungsgründe

A.
19
Der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Verfügungsbeklagten ist zulässig, aber nicht begründet.
20
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zurückzuweisen, da die Antragstellerin keinen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht hat.
21
Ein Verfügungsgrund gemäß §§ 935, 940 ZPO besteht in der objektiv begründeten Besorgnis, durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes werde die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert, so dass er aufgrund einer besonderen Dringlichkeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache einer einstweiligen Sicherung seines Anspruchs bedarf (OLG Köln, Urteil vom 08. März 2012 – I-15 U 193/11, Rn. 8). Dabei darf man die Wiederholungsgefahr als Voraussetzung des Verfügungsanspruchs nicht mit dem Verfügungsgrund, also der Dringlichkeit wegen drohender Nachteile, gleichsetzen (OLG Dresden, NJW 2005, 1871).
22
Ein Verfügungsgrund ist festzustellen, wenn das Begehren des Verfügungsklägers dringlich ist und ihm nicht zugemutet werden kann, den Weg des Hauptsacheverfahrens einzuschlagen und in diesem auf den Erlass eines Vollstreckungstitels zu warten. Im Rahmen der Interessenabwägung ist eine Folgenabschätzung vorzunehmen. Das Interesse des Verfügungsklägers muss den Nachteilen eines Zuwartens bis zur Hauptsacheentscheidung so überwiegen, dass der Eingriff in die Sphäre des Verfügungsbeklagten auf Grund eines bloß summarischen Verfahrens gerechtfertigt ist. Dabei ist insbesondere zu fragen, welche Folgen beim Antragsteller aus der Rechtsverletzung bis zum Erlass einer Entscheidung in der Hauptsache erwachsen, ob diese Nachteile nachträglich angemessen kompensiert werden können und wann mit einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu rechnen ist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.06.2018, 3 W 1013/18, BeckRS 2018, 32140 m.w.N.).
23
Dies zugrundegelegt, hat die Verfügungsklägerin einen Verfügungsgrund, welcher von der Wiederholungsgefahr als Voraussetzung des Verfügungsanspruchs zu unterscheiden ist, nicht hinreichend dargelegt.
24
Der Verfügungsbeklagte hat die Rezension nach der Abmahnung gelöscht. Der Geschäftsführer der Verfügungsklägerin hat in seiner eidesstattlichen Versicherung selbst erklärt, dass der Verfügungsbeklagte angegeben habe, die Bewertung bzw. alle seine Bewertungen gelöscht zu haben. Da ihm dies nach seiner eigenen Aussage jedoch nicht vollständig gelungen sei, wisse die Verfügungsklägerin daher nicht, ob die Bewertung noch an anderer Stelle abrufbar sei. Sofern sich die Verfügungsklägerin hier auf das Schreiben des Verfügungsbeklagten vom 23.08.2023 (Anlage Ast 2) beruft, ist anzumerken, dass dieser dort mitteilt, dass er alle – also auch zu anderen Betroffenen – getätigte Rezensionen gelöscht habe und von diesen (Stand: 23.08.2023) noch nicht alle als gelöscht gekennzeichnet seien. Von einer Veröffentlichung der streitgegenständlichen Rezension an anderer Stelle – also nicht auf www.g..com – ist hier keine Rede. In der mündlichen Verhandlung vom 25.09.2023 erklärte der Geschäftsführer der Verfügungsklägerin, dass er die Rezension bislang nicht wiedergefunden habe.
25
Aufgrund dessen, dass die Rezension durch die mittlerweile durchgeführte Löschung im Internet derzeit nicht zu finden ist, ist nicht ersichtlich, warum der Verfügungsklägerin ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren nicht zumutbar sein soll. Eine Eilbedürftigkeit kann insoweit nicht angenommen werden. Es ist nicht erkennbar und wurde von Seiten der Verfügungsklägerin weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, welche Nachteile ihr durch eine nicht veröffentlichte Rezension entstehen sollen. Allein die hypothetische Möglichkeit – deren Wahrscheinlichkeitsgrad bzw. die hierfür vorliegenden Voraussetzungen von der Verfügungsklägerin nicht dargelegt oder glaubhaft gemacht wurde –, dass eine gelöschte Rezension an gleicher oder anderer Stelle irgendwann wieder auftauchen könnte, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
26
II. Da es an einem Verfügungsgrund fehlt, kann es dahinstehen, ob ein Verfügungsanspruch vorliegt.
B.
27
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.