Inhalt

VG München, Beschluss v. 14.03.2023 – M 10 E 22.6192
Titel:

Presserechtlicher Auskunftsanspruch auf Herausgabe eines anonymisierten Strafbefehls durch Amtsgericht

Normenketten:
VwGO § 123
BayPrG Art. 4
GG Art. 5 Abs. 1 S. 2
GG Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein Wechsel des Klägers bzw. des Antragstellers ist zulässig, wenn der bisherige Kläger bzw. Antragsteller zustimmt; dies kann auch konkludent dadurch geschehen, dass die Bevollmächtigten der ursprünglichen Antragspartei auch die Bevollmächtigten der nunmehrigen Antragspartei sind. (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soweit im Hinblick auf Gerichtsentscheidungen nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Publikationspflicht besteht, gilt diese auch dann, wenn diese ohne Hauptverhandlung/mündliche Verhandlung ergehen; die Publikation derartiger Entscheidungen ist, sofern sie veröffentlichungswürdig sind, wegen des Rechtsstaatsprinzips, des Demokratiegebots und des Grundsatzes der Gewaltenteilung ebenso grundsätzlich gerechtfertigt. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. Vorliegend besteht eine Publikationspflicht der Behörde, da es im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Strafbefehl um ein etwaiges Versagen des Umweltamtes und die Verwendung von Steuergeldern geht; damit besteht ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein Gegenwartsbezug hinsichtlich der beantragten Übermittlung des anonymisierten Strafbefehls. (Rn. 31 und 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Herausgabe des anonymisierten Strafbefehls stellt keinen strafbaren Geheimnisverrat dar. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Presserechtlicher Auskunftsanspruch, Dringlichkeit, Anspruch eines Redakteurs auf Herausgabe eines anonymisierten rechtskräftigen Strafbefehls (bejaht), Vorwegnahme der Hauptsache
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 15.05.2023 – 7 CE 23.666
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 4575

Tenor

I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine Woche nach Rechtskraft dieses Beschlusses Auskunft über den gegen den Beigeladenen gerichteten Strafbefehl des Amtsgerichts Erding vom 4. November 2022 durch Übersendung einer anonymisierten und im Hinblick auf etwaige persönliche Angaben geschwärzten Kopie des Strafbefehls zu erteilen.
II. Der Antragsgegner und der Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Erteilung einer presserechtlichen Auskunft von dem Antragsgegner.
2
Der Antragsteller ist Redakteur bei der … GmbH. Mit E-Mail vom 18. November 2022 erbat er bei dem Amtsgericht … (im Folgenden: Antragsgegner) die Erteilung einer presserechtlichen Auskunft durch Übersendung des gegen den Beigeladenen gerichteten anonymisierten Strafbefehls vom 4. November 2022. Dieses Begehren lehnte der Antragsgegner ab. Auf daraufhin vom Antragsteller konkret zum Strafbefehl formulierte Fragen teilte der Antragsgegner mit E-Mail vom 2. Dezember 2022 nur mit, dass der gegen den Beigeladenen am 4. November 2022 erlassene Strafbefehl seit dem 24. November 2022 rechtskräftig sei. Der Beigeladene sei wegen unerlaubten Betreibens von Anlagen in 10 tatmehrheitlichen Fällen, in einem Fall hiervon in Tateinheit mit unerlaubtem Umgang mit Abfällen in Tatmehrheit mit wettbewerbsbeschränkender Absprache bei Ausschreibungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt worden. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe sei zur Bewährung ausgesetzt und eine Bewährungszeit von 3 Jahren sowie die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 500.000 EUR angeordnet worden. Bei der Auskunftserteilung sei das Interesse der Öffentlichkeit an der Berichterstattung gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen. Aufgrund des Umstands, dass der Beigeladene in besonderer Weise im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehe, habe diese das Recht, den Ausgang des Verfahrens zu erfahren, was durch die erteilte Auskunft geschehen sei. Darüber hinaus könnten (die weiteren erfragten) Einzelheiten aus dem Verfahren nicht mitgeteilt werden, da es sich um ein nicht öffentliches Strafbefehlsverfahren handle.
3
Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2022, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, haben die Bevollmächtigten der Antragspartei zunächst für die … GmbH im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die Verpflichtung des Antragsgegners zur Herausgabe einer anonymisierten Kopie des Strafbefehls beantragt. Auf gerichtlichen Hinweis vom 23. Januar 2023, dass die … GmbH nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Bayerisches Pressegesetz (BayPrG) nicht auskunftsberechtigt sein dürfte, baten die Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 25. Januar 2023 darum, nunmehr den Antragsteller als Antragspartei zu führen. Sie beantragen zuletzt sinngemäß,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Auskunft über den Strafbefehl gegen den Beigeladenen vom 4. November 2022, rechtskräftig seit dem 24. November 2022, durch Übersendung einer Kopie eines anonymisierten Strafbefehls zu erteilen.
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Zur Begründung wird in tatsächlicher Hinsicht im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beigeladene zum Tatzeitpunkt Mitglied der Geschäftsführung der … … GmbH, einem Fachbetrieb für Umweltschutz, Entsorgung und Wiederverwertung, gewesen sei. Der Betrieb erwirtschafte seine Umsätze mutmaßlich zu einem Großteil aus Aufträgen und Geschäftsbeziehungen mit der öffentlichen Hand. Die Landkreise …, …, …, … … …, …, … sowie die Gemeinde … hätten gegenüber der Antragspartei bestätigt, dass sie entweder durch die Firma … Müll abholen oder andere Tätigkeiten, wie Landschaftsbau, durchführen ließen. Das Unternehmen werde daher zum Großteil durch den Steuerzahler finanziert. Hintergrund des Begehrens des Antragstellers sei, dass der gesamte Strafbefehl unverzichtbare Erkenntnisse für weitere Recherchen liefere. Laut Auskunft des Landratsamts … bzw. des zuständigen Umweltamts gegenüber dem Antragsteller habe das Umweltamt die … … GmbH in den vergangenen 5 Jahren 15-mal auf immissionsschutzrechtliche Belange hin kontrolliert. Ein Bußgeld sei nie verhängt worden. Nunmehr sei mit dem streitgegenständlichen Strafbefehl eine nicht unerhebliche Freiheitsstrafe verhängt worden. Gegenständlich sei ein Sachverhalt gewesen, den u.a. das Umweltamt hätte prüfen müssen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seien wegen des Hinweises eines Whistleblowers aufgenommen worden. Die … … GmbH stehe auch durch Parteispenden aus dem Jahr 2014 in Bezug zur CSU. Weitere Recherchen zu den Hintergründen der Tat, einem etwaigen Fehlverhalten des Umweltamts sowie einer möglichen Verschleierung durch die CSU auf kommunaler Ebene seien daher von großem öffentlichen Interesse. Im Übrigen habe die … … GmbH in ihrem Konzernabschluss zum Geschäftsjahr 2020 mitgeteilt, dass die Vorwürfe, die Gegenstand des Strafbefehls sein, hätten entkräftet werden können, aber dennoch mit einer Geldstrafe zu rechnen sei. Als Mittel der Glaubhaftmachung dieses Sachvortrags wird eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom 13. Dezember 2022 vorgelegt.
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In rechtlicher Hinsicht wird im Wesentlichen vorgetragen, der Antragsteller habe einen Auskunftsanspruch aus Art. 4 Abs. 1 BayPrG. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung könne der Presse ein Anspruch auf Übersendung eines anonymisierten rechtskräftigen Urteils in Kopie im Rahmen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs zustehen (Verweis auf BVerfG, B.v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15 – juris). Nichts Anderes gelte im vorliegenden Fall eines Strafbefehls. Nach § 410 Abs. 3 Strafprozessordnung (StPO) stehe ein rechtskräftiger Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleich. Es sei zwar richtig, dass das Gericht im Strafbefehlsverfahren keine tatsächlichen Feststellungen treffe, sondern die Feststellungen der Staatsanwaltschaft übernehme. Zudem ergehe ein Strafbefehl ohne öffentliche Hauptverhandlung. Dabei liege es aber in der Hand des Angeklagten, ob er einen Strafbefehl gegen sich in Rechtskraft erwachsen lasse. Verzichte der Angeklagte auf einen Einspruch, erwachse der Strafbefehl in Rechtskraft. Der Strafbefehl sei kein „Urteil zweiter Klasse“. Ferner stehe eine Veröffentlichung des Strafbefehls vorliegend nicht im Raum. Der Antragsteller begehre die Übersendung des Strafbefehls zwecks Informationsgewinnung zur weitergehenden Recherche. Im Rahmen der Recherche müsse es Journalisten grundsätzlich möglich sein, sich Material zu beschaffen, auch wenn sie dieses nicht unverändert für ihre Berichterstattung verwenden dürften. Da das Strafverfahren bereits beendet sei, könne die Übersendung des Strafbefehls auch keinerlei negative Auswirkungen auf das Strafverfahren haben. Der Antragsteller benötige umfassende Kenntnis von den Hintergründen der Tat, die sich insbesondere aus den Feststellungen des Strafbefehls ergäben. Die seitens des Antragsgegners auf die konkreten Fragen hin erteilte bloße Auskunft über den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch sowie das Datum des Strafbefehls genüge hierfür nicht. Hieraus ergäben sich keinerlei weitere Rechercheansätze. Ein Verweigerungsgrund nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG sei nicht gegeben. Auch widerstreitende Grundrechtspositionen etwa des Beigeladenen seien nicht ersichtlich. Vielmehr sei der Beigeladene eine Person des öffentlichen Interesses. Von öffentlichem Interesse seien auch die Umstände, die zu seiner Verurteilung geführt hätten. Die erforderliche Eilbedürftigkeit bestehe ebenfalls. Zwar werde durch die Übersendung des Strafbefehls die Hauptsache vorweggenommen. Dies sei jedoch ausnahmsweise zulässig, da es dem Antragsteller nicht zuzumuten sei, das Hauptsacheverfahren abzuwarten. Der Auskunftsanspruch würde in diesem Fall faktisch ins Leere laufen, da das Informationsinteresse der Öffentlichkeit maßgeblich von der Aktualität der Berichterstattung abhänge, weshalb die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf eine zeitnahe Informationsbeschaffung angewiesen sei. Das Bundesverfassungsgericht habe in presserechtlichen Eilverfahren ein gesteigertes öffentliches Interesse und einen starken Gegenwartsbezug der Berichterstattung ausreichen lassen. Ein Abwarten der Hauptsache würde die Aktualität der Berichterstattung vorliegend erheblich gefährden. Der Fall sei für die Öffentlichkeit von besonderem bundesweiten öffentlichen Interesse, da die … … GmbH zu einem Großteil durch die öffentliche Hand finanziert werde. Da im Strafbefehl eine Wertersatzeinziehung angeordnet worden sei, sei auch davon auszugehen, dass sich die Straftaten in erheblichem Umfang gegen die öffentliche Hand gerichtet hätten. Zudem solle die Übermittlung des Strafbefehls der weiteren Recherche im Hinblick auf ein Fehlverhalten des Umweltamts und eine etwaige Beteiligung der CSU dienen. Der starke Gegenwartsbezug ergebe sich aus der erst kürzlich eingetretenen Rechtskraft des Strafbefehls.
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Auf den gerichtlichen Hinweis vom 14. Dezember 2022 teilte der Antragsgegner mit Schreiben vom 29. Dezember 2022 mit, nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage werde nunmehr grundsätzlich beabsichtigt, eine anonymisierte Strafbefehlskopie an den Antragsteller herauszugeben. Dies könne jedoch erst nach Anhörung des Beigeladenen geschehen.
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Daraufhin beantragte der Beigeladene am 20. Januar 2023 beim Verwaltungsgericht München, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, es zu unterlassen, den anonymisierten Strafbefehl herauszugeben (M 10 E 23.330). Gemäß einem Schreiben des Antragsgegners vom 18. Januar 2023 sei die Herausgabe innerhalb der nächsten Tage beabsichtigt. Ferner erhob der Beigeladene am 24. Januar 2023 eine entsprechende Unterlassungsklage (M 10 K 23.366).
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Aufgrund des erhobenen Eilantrags im Verfahren M 10 E 23.330 beantragt der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 24. Januar 2023 sinngemäß,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird auf die Argumentation des Beigeladenen im Schriftsatz vom 16. Januar 2023, auf den Bezug genommen wird, verwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2023 beantragen die Bevollmächtigten des Beigeladenen sinngemäß:
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Der Antrag wird abgelehnt.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, es bestehe kein Anordnungsgrund. Der Antragsteller beabsichtige schon nach seinen eigenen Darlegungen keine aktuelle Berichterstattung. Anlass für den Antrag sei lediglich, dass der Strafbefehl Erkenntnisse für weitere Recherchen liefere. Ein aktueller Anlass für eine Berichterstattung werde nicht behauptet. Die … GmbH habe über die gesamte Thematik zu keinem Zeitpunkt berichtet. Im Übrigen bestehe kein Anordnungsanspruch. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Herausgabe des anonymisierten Strafbefehls. Die Rechtsprechung von Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgericht zur Herausgabe von Urteilen sei nicht entsprechend auf Strafbefehle anwendbar. In den Entscheidungen sei es ausschließlich um die Herausgabe von Urteilen, die aus besonderen Gründen gestattet worden sei, gegangen. Die Publikation von Urteilen sei aufgrund der Öffentlichkeit der gerichtlichen Verhandlung legitimiert. Es gehe überdies darum, zu einem Rechtsdiskurs, einer Rechtsentwicklung und der Rechtssicherheit beizutragen. Diese Aufgaben könne der Strafbefehl nicht erfüllen; er ergehe auch nicht aufgrund einer öffentlichen Hauptverhandlung. § 410 Abs. 3 StPO sei auch kein Argument für eine Gleichstellung des Strafbefehls mit einem Strafurteil. Denn die Vorschrift sei zur Klarstellung, dass bei einem rechtskräftigen Strafbefehl ebenso wie bei einem Strafurteil Strafklageverbrauch eintrete, eingeführt worden. Auch der Bundesgerichtshof habe festgestellt, dass ein rechtskräftiges Urteil einem rechtskräftigen Strafbefehl nicht gleichstehe. Insoweit werde auf § 118 Abs. 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) Bezug genommen. Die mangelnde Vergleichbarkeit des Strafurteils mit einem Strafbefehl gelte erst recht, wenn der Strafbefehl – wie hier – Gegenstand einer zwischen dem Beschuldigten und der Staatsanwaltschaft getroffenen Abrede im Sinne von § 160b StPO sei. Der Erlass des Strafbefehls und dessen einspruchslose Hinnahme seien hier das Ergebnis der zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Beigeladenen geführten Gespräche. Der Strafbefehl ergehe zudem im Bürowege; die Staatsanwaltschaft habe erhebliche Freiheiten in der Formulierung. Eine Abrede nach § 160b StPO diene weder dem Rechtsdiskurs, der Rechtsfortbildung noch ganz allgemein der Rechtssicherheit. Eine Abrede verliere für den Beschuldigten erheblich an Attraktivität, wenn der Beschuldigte gleichermaßen wie durch die Durchführung einer Hauptverhandlung eine Stigmatisierung in der Medienöffentlichkeit befürchten müsse. Im Übrigen stelle die Herausgabe des Strafbefehls einen strafbaren Geheimnisverrat nach §§ 203 Abs. 2, 353b Strafgesetzbuch (StGB) dar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 24. Januar 2023 Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 31. Januar 2023 haben die Bevollmächtigten des Beigeladenen ergänzend zum Wechsel der Antragspartei und zum Anordnungsgrund Stellung genommen. Eine Eilbedürftigkeit scheide bereits deswegen aus, da der Antrag zunächst durch die nicht antragsberechtigte … GmbH und nunmehr, erst 6 Wochen später, ein neuer Antrag für einen neuen Antragsteller eingereicht worden sei.
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Hierauf hat die Antragspartei mit Schriftsatz vom 8. Februar 2023, auf den Bezug genommen wird, im Wesentlichen erwidert, dass das Auskunftsersuchen im Rahmen einer journalistisch-redaktionellen Recherche stattfinde. Der Beigeladene begehre lediglich eine vorbeugende Unterlassung, ohne dass greifbare Anhaltspunkte für eine drohende Rechtsverletzung bestünden. Der aktuelle Anlass für eine Berichterstattung sei durch den rechtskräftigen Strafbefehl dokumentiert. Sofern die Berichterstattung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beigeladenen eingreifen würde, stünden dem Antragsteller die allgemeinen Ansprüche, etwa auf Gegendarstellung oder Unterlassung, zu. Es sei nicht ersichtlich, warum der Antragsteller bereits im Vorfeld an einer Recherche für einen künftigen Bericht gehindert werden solle. Auch etwaige Anzeichen für die Rechtswidrigkeit einer künftigen Berichterstattung würden nicht vorgetragen. Im Übrigen sei es unzutreffend, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung ihre Entscheidungen ausschließlich und ausdrücklich auf die Herausgabe von Urteilen beschränkt habe. Wenn man Strafbefehle generell einer presserechtlichen Auskunft entziehen würde, würde dies jegliche Diskussion über Strafbefehle in der Öffentlichkeit verhindern. Dies würde zu einer Art „in camera“-Verfahren führen. Dies wäre insbesondere in Fällen, in denen eine Absprache getroffen worden sei, rechtsstaatlich äußerst problematisch. Ein strafbarer Geheimnisverrat liege nicht vor, da es um die Herausgabe eines anonymisierten Strafbefehls gehe.
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Da der Antragsgegner dem Gericht telefonisch mitgeteilt hat, dass aufgrund eines Telefonats des Antragstellers mit der Staatsanwaltschaft bekannt geworden sei, dass der Antragsteller den (streitgegenständlichen) Strafbefehl bereits habe, hat das Gericht mit Schreiben vom 7. Februar 2023 darauf hingewiesen, dass sich hierdurch das Auskunftsverlangen des Antragstellers erledigt haben dürfte. Hierauf hat die Antragspartei mit Schriftsatz vom 10. Februar 2023 unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers vom gleichen Tag angegeben, dass der Antragsteller nicht über den Strafbefehl verfüge. Der Antragsteller habe in einem Telefonat mit einem Staatsanwalt lediglich aus den Schriftsätzen des Beigeladenen zitiert. Dies sei vom Staatsanwalt möglicherweise so verstanden worden, dass der Strafbefehl dem Antragsteller bereits vorliege. Unter dem 22. Februar 2023 hat der Antragsgegner hierzu mitgeteilt, dass die eidesstattliche Versicherung vom 10. Februar 2023 zur Kenntnis genommen werde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten, auch in den Verfahren M 10 E 23.330 und M 10 K 23.366, verwiesen.
II.
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Der zuletzt gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO hat Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden.
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1. Der zuletzt gestellte Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist zulässig.
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a) Insbesondere ist der Wechsel der Antragspartei mit Schriftsatz vom 25. Januar 2023 zulässig.
23
Ein Wechsel des Klägers bzw. des Antragstellers setzt voraus, dass der bisherige Kläger bzw. Antragsteller zustimmt. Die Einwilligung der übrigen Beteiligten ist verzichtbar, wenn die Kläger- bzw. Antragstelleränderung sachdienlich ist, § 91 Abs. 1 VwGO (vgl. Wöckel in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 91 Rn. 21).
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Dies ist vorliegend der Fall. Eine Zustimmung der bisherigen Antragstellerin ist jedenfalls konkludent anzunehmen, da die Bevollmächtigten der ursprünglichen Antragspartei auch die Bevollmächtigten der nunmehrigen Antragpartei sind und diese den Parteiwechsel erklärt haben. Unabhängig von der Zustimmung der übrigen Beteiligten ist im konkreten Fall der Wechsel der Antragspartei jedenfalls sachdienlich, da der Prozessstoff der gleiche bleibt und ein neuer Prozess vermieden wird.
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b) Durch die Angabe der Anschrift der … GmbH, bei der der Antragsteller gemäß seiner eidesstattlichen Versicherung vom 13. Dezember 2022 als Redakteur beschäftigt ist, wird der Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1, § 122 VwGO zur Angabe einer ladungsfähigen Anschrift des Antragstellers Genüge getan (vgl. ausführlich: BayVGH, B.v. 10.8.2022 – 7 CE 22.1099 – juris Rn. 8 ff.).
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c) Auch ist das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers nicht entfallen, da nach summarischer Bewertung nicht von einer Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache auszugehen ist. Der Antragsteller hat unter dem 10. Februar 2023 eidesstattlich versichert, dass er den streitgegenständlichen Strafbefehl nicht habe. Die Versicherung an Eides statt ist grundsätzlich ein zulässiges Mittel der Glaubhaftmachung mit erhöhtem Beweiswert (vgl. BVerwG, B.v. 1.10.2018 – 3 B 20/17 – juris Rn. 10). Ihr Beweiswert ist vorliegend auch nicht in Anbetracht der Gesamtumstände des Falles entkräftet worden, da der Antragsgegner zum einen die Information, dass der Antragsteller den Strafbefehl bereits habe, lediglich von einer dritten Person, also „vom Hörensagen“, erhalten hat. Zum anderen ist der Antragsgegner der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers inhaltlich nicht entgegengetreten.
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2. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO in seiner abgeänderten Form ist auch begründet, da der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch auf Herausgabe des anonymisierten Strafbefehls glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung) sowie die Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegen. Wegen der Vorwegnahme der Hauptsache sind erhöhte Anforderungen an die Darlegung sowohl des geltend gemachten Anordnungsgrunds als auch des Anordnungsanspruchs zu stellen (stRspr., vgl. nur: BayVGH, B.v. 19.8.2020 – 7 CE 20.1822 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 24.1.2017 – 7 CE 16.2056 – juris Rn. 9).
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a) Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund, nämlich eine Dringlichkeit, ausreichend glaubhaft gemacht.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur: BVerfG, B.v. 8.9.2014 – 1 BvR 23/14 – juris Rn. 29 f. m.w.N.) ist die Aufgabe der Presse vornehmlich die Information der Bevölkerung als Grundlage der öffentlichen Meinungsbildung. Grundsätzlich entscheidet die Presse in den Grenzen des Rechts selbst, ob und wie sie über ein bestimmtes Thema berichtet. Das „Ob“ und „Wie“ der Berichterstattung ist Teil des Selbstbestimmungsrechts der Presse, das auch die Art und Weise ihrer hierauf gerichteten Informationsbeschaffungen grundrechtlich schützt. Unter das Selbstbestimmungsrecht in zeitlicher Hinsicht fällt auch die Freiheit der Presse, zu entscheiden, ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll. Grundsätzlich genügt es, wenn Eilrechtsschutz nur gewährt wird, wo ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen. Dies kann jedoch nicht deshalb verneint werden, weil die Berichterstattung nicht auf unaufschiebbare Berichte ziele und sie auch später möglich bleibe. Denn dies ist angesichts der Fähigkeit der Presse, selbst Themen zu setzen, immer denkbar. Vielmehr kann die Presse ihre Kontroll- und Vermittlungsfunktion nur wahrnehmen, wenn an den Eilrechtsschutz in Auskunftsverfahren auch hinsichtlich der Aktualität einer Berichterstattung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (vgl. hierzu auch: BVerwG, B.v. 23.3.2021 – 6 VR 1/21 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 24.1.2017 – 7 CE 16.2056 – juris Rn. 10).
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Dabei ist zu berücksichtigen, dass es Sache der Presse ist, zu beurteilen, welche Informationen für sie vonnöten sind, um ein bestimmtes Thema zum Zweck einer möglichen Berichterstattung im Recherchewege aufzubereiten. Die Bedeutung einer Information kann vielfach im Stadium vor ihrer Erhebung und zuweilen selbst im unmittelbaren Anschluss hieran noch nicht abschließend bewertet werden. Es liegt im Wesen der journalistischen Recherche, dass sie teilweise von unbewiesenen Hypothesen ausgeht und sich so ihr Zweck auch in der Falsifizierung bzw. darin erfüllen kann, dass von einer Publikation Abstand genommen wird. Hieraus ergibt sich bei Auskunftsanträgen die Notwendigkeit journalistischer Freiräume insbesondere bei der Beurteilung der sachlichen Notwendigkeit angefragter Informationen. Der Komplexität und möglichen Zweckfülle von Rechercheprozessen wird es nicht gerecht, wenn das Gewicht eines geltend gemachten Auskunftsinteresses von einer journalistischen Relevanzprüfung abhängig gemacht würde (vgl. BVerwG, B.v. 23.3.2021, a.a.O., Rn. 13).
31
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist vorliegend ein Anordnungsgrund ausreichend glaubhaft gemacht. Zwar begehrt der Antragsteller die presserechtliche Auskunft nicht deswegen, weil er aktuell eine Berichterstattung beabsichtigen würde. Vielmehr soll die Herausgabe des anonymisierten Strafbefehls der Recherche im Hinblick auf ein etwaiges Versagen des Umweltamts bei seinen immissionsschutzrechtlichen Kontrollen der … … GmbH, die Verwendung von Steuergeldern und eine mögliche Verwicklung der CSU dienen. Jedenfalls im Hinblick auf ein etwaiges Versagen des Umweltamts und die Verwendung von Steuergeldern sind aber ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug gegeben. Eine Recherche zu einem bestimmten Verdacht kann ein gesteigertes Öffentlichkeitsinteresse begründen, wenn es sich bei dem Rechercheansatz nicht um eine reine Spekulation handelt (vgl. hierzu: BVerwG, B.v. 23.3.2021, a.a.O., Rn. 14). Vorliegend geht es bei der beabsichtigten Recherche wegen eines etwaigen behördlichen Versagens und der Verwendung von Steuergeldern um eine Thematik von gesteigertem öffentlichen Interesse. Der Rechercheansatz ist auch nicht rein spekulativ. Es erscheint nachvollziehbar, dass die fehlenden Beanstandungen der Behörde im Rahmen zahlreicher immissionsschutzrechtlicher Kontrollen der … … GmbH vor dem Hintergrund der nunmehrigen Verurteilung eines der Geschäftsführer der … … GmbH, dem Beigeladenen, wegen Taten, die auch Gegenstand der behördlichen Kontrollen hätten sein müssen, Fragen aufwerfen. Diese Recherche hat aufgrund der gerade erfolgten Verurteilung auch einen ausreichend starken Gegenwartsbezug. Die Presse darf im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts selbst entscheiden, welche Recherchen sie anstellt. Wenn im konkreten Fall die aus Sicht des Antragstellers notwendige Recherche hinausgezögert würde, würde die diesbezügliche spätere Berichterstattung den Gegenwartsbezug verlieren.
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Im Hinblick auf eine mögliche Verwicklung der CSU ist ein gesteigertes öffentliches Interesse weder glaubhaft gemacht noch erkennbar. Die Zusammenhänge zwischen der Verurteilung des Beigeladenen und einer etwaigen Verwicklung der CSU sind nicht hinreichend nachvollziehbar dargelegt. Insbesondere erschließt sich dem Gericht nicht, inwieweit sich aus Parteispenden der … … GmbH im Jahr 2014 eine aktuelle Verwicklung der CSU ergeben soll.
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b) Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht, da er einen presserechtlichen Anspruch auf Herausgabe des anonymisierten Strafbefehls aus Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayPrG hat.
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Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayPrG hat die Presse gegenüber Behörden ein Recht auf Auskunft. Sie kann es nur durch Redakteure oder andere von ihnen genügend ausgewiesene Mitarbeiter von Zeitungen oder Zeitschriften ausüben (Art. 4 Abs. 1 Satz 2 BayPrG). Das Recht auf Auskunft kann nur gegenüber dem Behördenleiter und den von ihm Beauftragten geltend gemacht werden (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BayPrG). Die Auskunft darf nur verweigert werden, soweit aufgrund beamtenrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Vorschriften eine Verschwiegenheitspflicht besteht (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG).
35
aa) Jedenfalls nach dem Wechsel der Antragspartei ist der Antragsteller als Redakteur aktivlegitimiert im Hinblick auf den presserechtlichen Auskunftsanspruch, § 4 Abs. 1 Satz 2 BayPrG.
36
bb) Der Antragsteller hat den presserechtlichen Auskunftsanspruch jedenfalls auch gegenüber der Direktorin des Amtsgerichts Erding und damit der Behördenleitung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BayPrG geltend gemacht. Die Frage der Veröffentlichung und Herausgabe einer Entscheidung ist Verwaltungsaufgabe, insoweit handelt das Gericht als Behörde (vgl.: OVG NRW, B.v. 11.1.2023 – 15 E 599/22 – juris Rn. 7 f.).
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cc) Der Antragsteller hat auch einen Anspruch auf Auskunft in der gewünschten Form, nämlich durch Übermittlung einer anonymisierten Kopie des gegen den Beigeladenen gerichteten Strafbefehls vom 4. November 2022.
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Der presserechtliche Auskunftsanspruch richtet sich grundsätzlich nur auf die Beantwortung konkreter Fragen. Hingegen gewährt der Auskunftsanspruch kein Recht auf Informationszugang oder Akteneinsicht, wenn nicht im Einzelfall nur diese Form der Informationsgewährung zur Anspruchserfüllung geeignet ist. Die Form der Auskunftserteilung steht im Auswahlermessen der Behörde, das sich nur ausnahmsweise zu einem Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht bzw. Zurverfügungstellung von Kopien reduziert (vgl. zum Ganzen: Söder in Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, 38. Ed. 1.11.2022, Art. 4 BayPrG Rn. 13 ff. m.w.N.).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15 – juris Rn. 16 ff.), die auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 26.2.1997 – 6 C 3/96 – juris) Bezug nimmt, ist eine Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen allgemein anerkannt. Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zu Informationen versetzt die Presse in den Stand, die ihr in der freiheitlichen Demokratie zukommenden Funktionen wirksam wahrzunehmen. Der Presse kommt neben einer Informationsinsbesondere eine Kontrollfunktion zu. Beide Funktionen sind berührt, wenn ein Pressevertreter zum Zwecke der Berichterstattung über ein gerichtliches Strafverfahren recherchiert. Die grundsätzliche Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen folgt aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Diese Veröffentlichungspflicht erstreckt sich nicht nur auf rechtskräftige Entscheidungen, sondern kann bereits vor Rechtskraft greifen. Sie bezieht sich auf die Entscheidungen als solche in ihrem amtlichen Wortlaut. Hiermit korrespondiert ein presserechtlicher Auskunftsanspruch von Medienvertretern.
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Für die Frage der Veröffentlichungswürdigkeit ist gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 26.2.1997, a.a.O., Rn. 27, 29) insbesondere das tatsächliche oder mutmaßliche Interesse der Öffentlichkeit und das Interesse derjenigen, die in entsprechenden Angelegenheiten um Rechtsschutz nachsuchen wollen, maßgeblich. Ein öffentliches Interesse besteht in der Regel bei entsprechenden Anfragen aus der Öffentlichkeit.
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Nach Auffassung der Kammer ist der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts gerade keine Beschränkung der Publikationspflicht auf Urteile zu entnehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf die Publikationspflicht, mit der ein presserechtlicher Auskunftsanspruch von Medienvertretern korrespondiert, terminologisch gerade allgemein auf Gerichtsentscheidungen abgestellt, obwohl es im konkret entschiedenen Fall um ein Strafurteil ging. Wenn das Bundesverfassungsgericht eine Publikationspflicht nur für Urteile hätte statuieren wollen, hätte es dies so formuliert und nicht den Oberbegriff „Entscheidungen“ gewählt. Das Bundesverwaltungsgericht hat ebenso den allgemeineren Begriff „Gerichtsentscheidungen“ verwendet und nicht lediglich auf Urteile rekurriert. Auch nach Sinn und Zweck der Publikationspflicht lässt sich aus der zitierten Rechtsprechung keine Beschränkung auf Urteile folgern. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht eine Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen wegen des Rechtsstaatsprinzips, des Demokratiegebots und des Grundsatzes der Gewaltenteilung (BVerfG, B.v. 14.9.2015, a.a.O., Rn. 20). Diese Pflicht hat das Bundesverfassungsgericht „gerade“ in dem dort entschiedenen Fall – der Herausgabe einer anonymisierten Kopie eines Strafurteils – wegen des Öffentlichkeitsgrundsatzes des gerichtlichen Verfahrens angenommen (BVerfG, B.v. 14.9.2015, a.a.O., Rn. 25). Insoweit ist der Öffentlichkeitsgrundsatz des gerichtlichen Verfahrens jedoch als zusätzliches weiteres (und auch konkretisierendes) Argument für eine Publikationspflicht zu verstehen (so explizit: BVerwG, U.v. 26.2.1997, a.a.O., Rn. 26; VG Aachen, U.v. 11.2.2020 – 8 K 276/16 – juris Rn. 45). Dies bedeutet damit nicht, dass die Publikationspflicht bei Gerichtsentscheidungen, die ohne Hauptverhandlung/mündliche Verhandlung ergehen, nicht gilt. Sondern die Publikation derartiger Entscheidungen ist, sofern sie veröffentlichungswürdig sind, wegen des Rechtsstaatsprinzips, des Demokratiegebots und des Grundsatzes der Gewaltenteilung ebenso grundsätzlich gerechtfertigt (so zur Herausgabe eines Strafbefehls explizit unter Berufung auf diese Rechtsprechung: VG Aachen, U.v. 11.2.2020, a.a.O.; beanstandet (nur) im Hinblick auf die angewandte Anspruchsgrundlage durch OVG NRW, B.v. 11.1.2023 – 15 E 599/22 – juris: § 4 Abs. 1 IFG NRW stellt keine Anspruchsgrundlage für die Veröffentlichung einer anonymisierten Gerichtsentscheidung dar; s. auch LG München I, B.v. 19.1.2015 – 6 AR 5/15 – juris zum gegen das LG München I gerichteten presserechtlichen Auskunftsanspruch auf Herausgabe u.a. eines anonymisierten Bußgeldbescheids).
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Im konkreten Fall besteht eine Publikationspflicht des gegen den Beigeladenen gerichteten Strafbefehls vom 4. November 2022, mit der ein presserechtlicher Auskunftsanspruch des Antragstellers korrespondiert. Der Strafbefehl ist nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts veröffentlichungswürdig. Es besteht ein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung, wie bereits die vorliegende konkrete Presseanfrage zeigt (BVerwG, U.v. 26.2.1997, a.a.O., Rn. 29; vgl. auch: VG Aachen, U.v. 11.2.2020, a.a.O., Rn. 45, 59; VG Berlin, B.v. 27.2.2020 – 27 L 43/20 – juris Rn. 10, 13). Auch die Gedanken, dass durch eine Veröffentlichung des Strafbefehls der Rechtsfortbildung sowie der Transparenz der Rechtsprechung gedient und öffentliche Kritik ermöglicht werden kann, greifen grundsätzlich bei einem Strafbefehl. Ansonsten wären Strafbefehle generell dem öffentlichen Diskurs entzogen, was im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip bedenklich erscheint. Dies gilt gerade im konkreten Fall der dem Strafbefehl zugrundeliegenden Absprache. Ferner ist Sinn und Zweck des presserechtlichen Auskunftsanspruchs, der Presse Informationen über ein Strafverfahren zu gewähren, auch bei einem Strafbefehl einschlägig. Im Übrigen ist die Herausgabe eines anonymisierten (rechtskräftigen) Strafbefehls für den Verurteilten regelmäßig weniger belastend als die Herausgabe eines anonymisierten (rechtskräftigen) Strafurteils, da der Strafbefehl keine Angaben zu den persönlichen Verhältnissen des Verurteilten enthält. Hinzu kommt, dass es dem Angeklagten freisteht, gegen einen ihm gegenüber erlassenen Strafbefehl Einspruch einzulegen (§ 410 Abs. 1 Satz 1 StPO), wenn er mit dessen Inhalt nicht einverstanden ist. Für eine Publikationspflicht von Strafbefehlen streitet zudem, dass der Anklagesatz nach Angaben des Antragsgegners in ständiger Praxis an die Presse herausgegeben wird, wie sich auch aus Nr. 3.2.1 Presserichtlinie (Richtlinien für die Zusammenarbeit der bayerischen Justiz mit der Presse, Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 26. Mai 2014, Az. 1271 – X – 1/2014, JMBl. S. 67) ergibt. Der Inhalt des Anklagesatzes nach § 200 StPO entspricht aber mit Ausnahme des Rechtsfolgenausspruchs (und der Belehrungen) dem Inhalt des Strafbefehls nach § 409 Abs. 1 StPO (Maur in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 409 StPO Rn. 1).
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Nicht weiterführend in diesem Kontext ist der von den Parteien diskutierte § 410 Abs. 3 StPO, nach dem der Strafbefehl, soweit gegen diesen nicht rechtzeitig Einspruch erhoben worden ist, einem rechtskräftigen Urteil gleich steht. Denn Hintergrund der Einführung dieser Vorschrift war ein Streit um die Reichweite der Rechtskraft des Strafbefehls. Die Regelung soll der Klarstellung dienen, dass ein Strafbefehl ebenso wie ein Urteil in Rechtskraft erwächst (vgl. Eckstein in Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2019, § 410 StPO Rn. 31).
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Die Einwände des Beigeladenen gegen das Bestehen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs führen nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Insbesondere greift die Argumentation zu § 118 Abs. 3 BRAO und die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht durch. Im Rahmen des § 118 Abs. 3 BRAO geht es um die Frage der Verletzung von Berufspflichten, was zu einer unterschiedlichen Behandlung von Strafurteil und Strafbefehl führen mag. Der presserechtliche Auskunftsanspruch hat jedoch eine andere Zielsetzung, die – wie bereits dargestellt – eine Gleichstellung von Strafbefehl und Strafurteil zulässt. Das ferner vom Beigeladenen ins Feld geführte Argument, der Strafbefehl sei Gegenstand einer Abrede und die so erreichte Verhinderung einer Stigmatisierung durch eine öffentliche Hauptverhandlung werde durch die Stigmatisierung in der Medienöffentlichkeit konterkariert, schlägt ebenso nicht durch. Denn die im Strafbefehl im Wesentlichen enthaltenen Informationen (verurteilte Person, begangene Straftaten und verhängte Strafe) sind ohnehin bereits bekannt. Es geht hier auch gerade nicht um eine (möglicherweise stigmatisierende) Veröffentlichung des Strafbefehls, sondern der Strafbefehl soll Grundlage für weitere Recherchen sein. Im Übrigen ist ein Strafurteil, das auf einer Abrede beruht, nach der oben zitierten Rechtsprechung grundsätzlich ebenso herauszugeben. Der Publikation des Strafbefehls steht auch nicht entgegen, dass der Strafbefehl von der Staatsanwaltschaft formuliert wird und im Bürowege ergeht. Denn auch wenn der Strafbefehl auf Antrag der Staatsanwaltschaft ergeht, ist es das Strafgericht, das diesen nach eigener Prüfung gegebenenfalls erlässt. Nur sofern der Strafrichter keine Bedenken im Hinblick auf den Erlass des Strafbefehls hat, entspricht er dem Antrag der Staatsanwaltschaft (§ 408 Abs. 3 Satz 1 StPO).
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dd) Ein Recht zur Auskunftsverweigerung nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG, insbesondere eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht, besteht nicht. Die Herausgabe des anonymisierten Strafbefehls stellt keinen strafbaren Geheimnisverrat dar. Denn nach § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB ist lediglich das unbefugte Offenbaren eines Geheimnisses strafbar. Da es um die Herausgabe einer anonymisierten Kopie des Strafbefehls geht, dürfte es sich bereits nicht um ein Geheimnis handeln. Im Übrigen wäre die Herausgabe nicht unbefugt, weil nach dem bereits Dargestellten gerade ein presserechtlicher Anspruch auf Herausgabe besteht. Da es dem Antragsteller auch nicht um eine Veröffentlichung des Strafbefehls geht, steht auch eine Strafbarkeit nach § 353d Nr. 3 StGB wegen verbotener Mitteilung über Gerichtsverhandlungen nicht im Raum, zumal das Strafverfahren bereits abgeschlossen ist.
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Verschwiegenheitspflichten können jedoch nicht nur aus (generellen) „Geheimhaltungsvorschriften“ folgen, sondern Grenzen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs können sich auch ergeben, wenn die Beantwortung einer Anfrage Grundrechte Dritter, etwa das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz – GG), berührt. Stehen sich Grundrechtspositionen entgegen, sind sie in einen angemessenen Ausgleich zu bringen und es ist insbesondere abzuwägen, ob dem verfassungsrechtlich aufgrund der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) gewährleisteten Informationsinteresse oder dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteresse der Vorzug zu geben ist (stRspr. BayVGH, vgl. nur: BayVGH, B.v. 19.8.2020 – 7 CE 20.1822 – juris Rn. 15 f. m.w.N.).
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Vorliegend verdient unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles das Informationsinteresse des Antragstellers den Vorzug gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Beigeladenen. Der Beigeladene beruft sich bereits nicht substantiiert auf schutzwürdige Interessen. Er bezieht sich lediglich allgemein auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und wirtschaftliche Nachteile für das Unternehmen. Zwar ist das grundsätzlich schutzwürdige allgemeine Persönlichkeitsrecht hier im Ausgangspunkt betroffen. Aber da der Antragsteller nicht über den Strafbefehl berichten bzw. diesen veröffentlichen, sondern diesen lediglich für weitere Recherchen nutzen will, ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beigeladenen nicht erheblich beeinträchtigt. Zudem sind der Umstand der Verurteilung des Beigeladenen, die abgeurteilten Taten, das Strafmaß sowie die Rechtskraft des Strafbefehls bereits bekannt. Ferner wird lediglich die Herausgabe einer anonymisierten Kopie des Strafbefehls verlangt. Daher steht eine „Prangerwirkung“ durch die Herausgabe des anonymisierten Strafbefehls nicht zu befürchten, zumal der Strafbefehl – wie bereits ausgeführt – keine Angaben zu den persönlichen Verhältnissen enthält. Letztlich ist lediglich das Interesse des Beigeladenen betroffen, dass keine Einzelheiten zu den Umständen der abgeurteilten Straftaten in der Öffentlichkeit bekannt werden. Dieses ist nicht sehr gewichtig, zumal der Beigeladene eine Person von öffentlichem Interesse ist und keine nachteiligen Auswirkungen auf das (bereits rechtskräftig abgeschlossene) Strafverfahren mehr zu befürchten sind. Greifbare Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit einer künftigen Berichterstattung sind weder vorgetragen noch erkennbar. Im Falle der Rechtswidrigkeit der künftigen Berichterstattung hätte der Beigeladene im Übrigen ein Recht auf Gegendarstellung oder Unterlassung. Vor dem Hintergrund dieser nicht sehr gewichtigen Belange des Beigeladenen überwiegt das Informationsinteresse des Antragstellers.
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c) Dem Erlass einer einstweiligen Anordnung steht im konkreten Fall nicht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen.
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Das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache steht einer Anordnung nach § 123 VwGO dann nicht entgegen, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist, mithin dem Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile drohen, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 9.12 – juris Rn. 22; BVerwG, B.v. 8.9.2014 – 1 BvR 23/14 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 19.8.2020 – 7 CE 20.1822 – juris Rn. 12).
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Hier besteht ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist, vgl. die Ausführungen zum Anordnungsanspruch. Auch drohen dem Antragsteller schwere und irreparable Nachteile, wenn die Hauptsache nicht vorweggenommen würde. Ohne die Vorwegnahme der Hauptsache wäre die aus Sicht des Antragstellers notwendige Recherche zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich; sie wäre erst nach (rechtskräftigem) Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens möglich. Dies würde eine darauf aufbauende Berichterstattung angesichts der üblichen Dauer erstinstanzlicher verwaltungsgerichtlicher Hauptsacheverfahren von mindestens einem Jahr und sich etwaig anschließender Rechtsmittelverfahren erheblich verzögern und somit eine aktuelle Berichterstattung unmöglich machen. Die von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Aufgabe der Presse, die Bevölkerung aktuell zu informieren, um eine öffentliche Meinungsbildung zu ermöglichen, wäre dadurch irreparabel beeinträchtigt. Demgegenüber muss das nicht besonders gewichtige allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beigeladenen (s. hierzu bereits oben) zurückstehen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Dem Beigeladenen werden Kosten auferlegt, da er einen Antrag gestellt hat, § 154 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013. Da mit der Entscheidung eine Vorwegnahme der Hauptsache verbunden ist, wird der Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts angehoben.