Titel:
Enge Auslegung eines Unterlassungsvertrages nach dem gesetzlichen Unterlassungsanspruch
Normenketten:
UrhG § 15 Abs. 2 S. 1, S. 2 Nr. 2, § 19a, § 97 Abs. 1
BGB § 133, § 157, § 339 S. 2
ZPO § 1, § 12, § 17, § 91 Abs. 1, § 709 S. 1, S. 2, § 890
GVG § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1
BayGZVJu § 45 Abs. 2 Nr. 2
Leitsätze:
1. Der Unterlassungsvertrag im Wettbewerbs-, Immaterialgüter- und Persönlichkeitsschutzrecht soll typischerweise die bereits kraft Gesetzes gegebenen Pflichten so, wie sie (objektiv oder zumindest nach Auffassung der Parteien) bestehen, nachziehen und bekräftigen. Eine Erweiterung der Handlungssphäre des Gläubigers ist bei einem solchen Vertrag nicht erstrebt, sondern nur der Schutz der bestehenden Freiheiten gegen erneute Beeinträchtigungen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anzeige von Einsatzplänen/Kartenausschnitten nach Eingabe der genauen URL durch Nutzer in den Browser ihres Internetproviders genügt den Anforderungen an das Teilelement der öffentlichen Zugänglichmachung an „recht viele Personen“ ebenso wenig wie die Anzeige des Links zur Webseite der Beklagten mit dem entsprechenden Kartenausschnitt als oberstes Ergebnis bei Suchen von Internetnutzern über eine Suchmaschine unter Eingabe eines völlig ungewöhnlichen Suchbegriffs. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klagezulässigkeit, Klageunbegründetheit, Unterlassungsvertrag, öffentliche Zugänglichmachung, Verletzungshandlung, Wiederholungsgefahr, Vertragsstrafe
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 19.02.2024 – 3 U 2291/23
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 44298
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 15.600,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um urheberrechtliche Ansprüche auf Unterlassung sowie Zahlung zweier Vertragsstrafen aus einem möglicherweise im November 2021 zu Stande gekommenen Unterlassungsvertrag.
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Die Klägerin betreibt unter der Internetadresse „[…]“ einen Stadtplandienst. Umfangreiches Kartenmaterial wird dabei der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Internetnutzer können sich unter Eingabe einer Adresse kostenlos einen bestimmten Kartenausschnitt anzeigen lassen. Für eine weitergehende Nutzung wird das Kartenmaterial zur Lizenzierung angeboten. So hat die Klägerin in der Vergangenheit beispielsweise die Online-Nutzung des Kartenmaterials an zahlreiche Stadtportale lizenziert. Die Klägerin räumt auch einzelnen Gewerbetreibenden oder Privatpersonen Nutzungsrechte an dem Internet-Kartenmaterial ein. Diese können von der Klägerin insbesondere das Recht erwerben, einen oder mehrere Kartenausschnitte auf ihren Internetpräsenzen zu verwenden. Die Kartensubstanzen beinhalten sowohl Landkarten als auch hausnummergenaue Stadtpläne. Die Klägerin ist durch formwechselnde Umwandlung aus der gleichnamigen Aktiengesellschaft (AG) entstanden und firmiert nun als GmbH. Sie wird unverändert von der gleichen natürlichen Person (nunmehr als Geschäftsführer) vertreten. Bei dem streitgegenständlichen Kartenmaterial handelt es sich um Kartographiesubstanzen, die – insoweit unstreitig – auf der Grundlage des von dem Geschäftsführer der Klägerin geschaffenen Zeichenschlüssels geschaffen worden sind.
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Die Beklagte, eine bayerische Marktgemeinde, ist Betreiberin der Internetseite „[…]“. Im Rahmen ihres Internetauftritts hatte die Beklagte die streitgegenständlichen beiden Karten über einen mehrjährigen Zeitraum genutzt, um die Lage von Notfalltreffpunkten im Gemeindegebiet zu veranschaulichen. Die streitgegenständlichen Kartenausschnitte wurden für die Einsatzpläne „[…]“ bzw. „[…]“ genutzt. Insgesamt hatte die Beklagte 17 verschiedene Kartenausschnitte der Klägerin zur Darstellung ihrer Einsatzpläne genutzt.
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Mit dem aus Anlage K5 ersichtlichen Schreiben vom 07.05.2021 hatte die Klägerin die Beklagte auf Grund dieser 17 beanstandeten Kartenausschnitte abgemahnt und später vor dem Amtsgericht Berlin-Charlottenburg (Az. […]) auf Ersatz der hieraus nach Behauptung der Klägerin entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verklagt. Im Rahmen der dortigen mündlichen Verhandlung am 16.11.2021 kam es zum Abschluss eines zunächst beiderseits widerruflichen, im Fortgang aber nicht widerrufenen Vergleichs. Hinsichtlich dessen Inhalts wird auf Seite 2 des Terminsprotokolls in Anlage B1 Bezug genommen. Ob es darüber hinaus im zeitlichen Zusammenhang mit dieser mündlichen Verhandlung auch zum Abschluss eines Unterlassungsvertrages kam, insbesondere die entsprechende Willenserklärung der Beklagten (rechtzeitig) durch das Auftreten ihres Unterbevollmächtigten im Termin konkludent widerrufen wurde oder die Klägerin auf den ihr womöglich seinerzeit zustehenden Unterlassungsanspruch durch den Vergleichsabschluss verzichtet hat, ist streitig. Unstreitig haben die dortigen wie hiesigen Beklagtenvertreter am Terminstag 16.11.2021 die aus Anlage K6 ersichtliche Unterlassungserklärung zunächst per Fax an die Klägervertreter übersandt und mit Datum vom 18.11.2021 auch noch das Original auf dem Postweg nachgesandt, wie es der Klägervertreter mit E-Mail vom Terminstag 16.11.2021 um 12:01 Uhr (unstreitig nach Sitzungsende der Verhandlung vor dem AG Berlin-Charlottenburg), in der er überdies die Annahme der per Fax übersandten Unterlassungserklärung erklärte, verlangt hatte. Mit E-Mail vom 29.11.2021 (Anlage K8) hat der Klägervertreter den Beklagtenvertretern auch den Eingang des Originals der Unterlassungserklärung auf dem Postwege bestätigt.
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Die Klägerin behauptet, Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an dem skizzierten Kartenmaterial zu sein. Ferner behauptet sie, jeweils am 04.01.2022 bei Suchen einerseits über die M.-Suchmaschine B. unter Eingabe des Suchbegriffs „[…]“ (Anlage K10) und andererseits über die Suchmaschine von G. „[…]“ (Anlage K16) bzw. „[…]“ (Anlage K17) jeweils als oberstes Ergebnis den Link zur Webseite der Beklagten mit dem entsprechenden Kartenausschnitt angezeigt bekommen zu haben. Mit Schreiben vom gleichen Tag (Anlage K11) mahnte die Klägerin die Beklagte auf Grund dieses behaupteten Sachverhalts erneut ab und verlangte die Abgabe einer höher strafbewehrten bzw. mit einer Mindestvertragsstrafe versehenen Unterlassungserklärung sowie die Zahlung der (jetzt auch eingeklagten) Vertragsstrafe in 2,5-facher Lizenzgebühr für die Verwendung des Kartenausschnitts zur Beschreibung des Einsatzplans „[…]“. Mit Schreiben vom 14.01.2022 (Anlage K12) leiteten die Beklagtenvertreter die vom Ersten Bürgermeister der Beklagten am Vortag abgegebene Unterlassungserklärung an die Klägervertreter weiter. Die ausdrücklich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, gleichwohl rechtsverbindlich abgegebene Unterlassungserklärung war inhaltlich identisch zu derjenigen vom 16.11.2021 (Anlage K6), mithin auch erneut nach dem „H. Brauch“ formuliert.
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Mit ihrer vorrangig auf den nach ihrer Auffassung in der zweiten Novemberhälfte 2021 zu Stande gekommenen Unterlassungsvertrag, hilfsweise auf das Gesetz gestützten Klage beantragt die Klägerin nach Klageerweiterung in der Replik vom 29.03.2023 zuletzt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, den nachfolgend abgebildeten Kartenausschnitt der Öffentlichkeit über das Internet zugänglich zu machen, wie unter „[…]“ geschehen:
es folgt der Kartenausschnitt
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 4.050,00 zzgl. 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere € 4.050,00 zzgl. 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klageerweiterung vom 29.03.2023 zu zahlen.
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Die Beklagte bestreitet insbesondere, dass die beiden beanstandeten Kartenausschnitte als Notfallrettungspläne nach November 2021, insbesondere am 04.01.2022, noch direkt über die Systemnavigation auf ihrer Webseite für Nutzer erreichbar gewesen seien. Vielmehr seien nach der ersten Abmahnung vom 07.05.2021 dort die beanstandeten Karten entfernt und auch jegliche Hinweise aus dem Internetauftritt der Beklagten gelöscht worden. Lediglich durch Eingabe der genauen URL oder mit einer ganz gezielten Keyword-Suche, wie sie klägerseits nach dem jeweiligen Einsatzplan betrieben worden sei, seien die Kartenausschnitte noch auffindbar gewesen.
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Sie ist der Auffassung, hierdurch sei der ohnehin schon geringe, potentielle Interessentenkreis des Angebots nochmals reduziert worden, quasi „auf Null“, auf eine allzu kleine oder gar unbedeutende Anzahl von Personen, was nicht mehr dem Teilerfordernis eines „relativ großen Empfängerkreises“ im Rahmen der Definition des EuGH und des BGH zur „öffentlichen Zugänglichmachung“ im Sinne des § 19a UrhG bzw. der zu Grunde liegenden Richtlinie entspreche.
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Auf das Sitzungsprotokoll vom 22.06.2023 (Bl. 48 – 50 d.A.) sowie im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen wird verwiesen. Der im Termin vom 22.06.2023 bis 30.09.2023 widerruflich geschlossene Vergleich wurde beklagtenseits durch Beklagtenschriftsatz vom 27.09.2023, eingegangen bei Gericht am gleichen Tag, widerrufen.
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Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das angegangene Landgericht Nürnberg-Fürth gemäß § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich sowie gemäß §§ 12, 17 ZPO i.V.m. § 45 Abs. 2 Nr. 2 BayGZVJu örtlich zuständig, da die beklagte Gemeinde im Regierungsbezirk U., mithin im Bereich des Oberlandesgerichtsbezirks Bamberg liegt.
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Die Klage ist jedoch vollständig unbegründet, da es jedenfalls an einer „erneuten“ Verletzungshandlung der „öffentlichen Zugänglichmachung (im Internet)“ durch die Beklagte nach November 2021 fehlt.
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I. Es kann insoweit im Rahmen der Prüfung des Unterlassungsanspruchs auf vertraglicher Grundlage, welchen die Klägerin vorrangig geltend macht, dahinstehen, ob ein Unterlassungsvertrag (als taugliche Grundlage eines „neuen“ vertraglichen Unterlassungsanspruchs) im November 2021 zwischen den Parteien wirksam zu Stande gekommen ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, würde sich dieser nach der aus Anlage K6 ersichtlichen Unterlassungserklärung der Beklagten vom 16.11.2021 richten, deren genauer Inhalt sodann im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB anhand des objektiven Empfängerhorizonts gewonnen werden müsste. Darin hätte sich die Beklagte (nach H. Brauch) verpflichtet, es zu unterlassen, „die nachstehenden insgesamt 17 Kartenausschnitte ohne Zustimmung des Unterlassungsgläubigers zu vervielfältigen und / oder der Öffentlichkeit im Internet zugänglich zu machen, wie unter der URL […] geschehen“.
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1. Der Unterlassungsvertrag im Wettbewerbs-, Immaterialgüter- und Persönlichkeitsschutzrecht soll typischerweise die bereits kraft Gesetzes gegebenen Pflichten so, wie sie (objektiv oder zumindest nach Auffassung der Parteien) bestehen, nachziehen und bekräftigen. Eine Erweiterung der Handlungssphäre des Gläubigers ist bei einem solchen Vertrag nicht erstrebt, sondern nur der Schutz der bestehenden Freiheiten gegen erneute Beeinträchtigungen. (vgl. Regenfus, GRUR 2022, 1489 (1492)). Vor diesem Auslegungshintergrund ist mithin kein Grund dafür ersichtlich, den Begriff der „öffentlichen Zugänglichmachung“ in der Anlage K6 (die sich inhaltlich überdies mit dem aus dem Anhang zum Abmahnungsschreiben vom 07.05.2021 (Anlage K5) ersichtlichen Vorschlag der Klägerseite zur Formulierung der Unterlassungserklärung deckt und so auch – gegebenenfalls – durch die Klägerseite durch die E-Mails vom 16. bzw. 29.11.2021 unverändert angenommen worden wäre) anders auszulegen als den gesetzlichen Begriff der öffentlichen Zugänglichmachung im Sinne des § 19a UrhG. Auch die Klägerseite hatte im Abmahnungsschreiben vom 07.05.2021 überdies angegeben, dass sich die Unterlassungsverpflichtung auf die konkrete Rechtsverletzung beschränke. Weitergehende Regelungen, etwa explizite aktive Handlungspflichten der Beklagten, wie sie ihrer Unterlassungspflicht zu entsprechen habe, wurden jedenfalls nicht ausdrücklich getroffen (vgl. zu dieser Möglichkeit Regenfus, a.a.O.).
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2. Den rechtlichen Maßstab für die Annahme der Nutzungshandlung der öffentlichen Zugänglichmachung gemäß § 15 Abs. 2 S. 1, S. 2 Nr. 2 i.V.m. § 19a UrhG hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung Lautsprecherfoto (NJW 2021, 1286, Rn. 12ff.) wie folgt zusammengefasst:
„a) Nach § 19a UrhG ist das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung das Recht, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist. Bei dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung handelt es sich um ein besonderes Recht der öffentlichen Wiedergabe (vgl. § 15 II und III UrhG). Die im Streitfall in Rede stehende öffentliche Wiedergabe in Form der öffentlichen Zugänglichmachung fällt in den Anwendungsbereich von Art. 3 I RL 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, weil bei dem Abruf einer im Internet bereitgestellten Datei die Wiedergabe in Form der Zugänglichmachung gegenüber Mitgliedern der Öffentlichkeit erfolgt, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe in Form der Zugänglichmachung ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend sind (vgl. BGH GRUR 2019, 813 Rn. 38 = WRP 2019, 1013 – Cordoba II, mwN). Da es sich bei den hier in Rede stehenden Rechten des Urhebers zur öffentlichen Wiedergabe in Form der öffentlichen Zugänglichmachung um nach Art. 3 I RL 2001/29/EG harmonisiertes Recht handelt, sind die entsprechenden Bestimmungen des deutschen Urheberrechtsgesetzes richtlinienkonform auszulegen (vgl. EuGH GRUR 2014, 360 Rn. 33- 41 = WRP 2014, 414 – Svensson ua; BGH GRUR 2019, 813 Rn. 37 – Cordoba II, mwN).
13b) Der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ iSd Art. 3 I RL 2001/29/EG hat zwei Tatbestandsmerkmale, nämlich eine Handlung der Wiedergabe und die Öffentlichkeit dieser Wiedergabe. Ferner erfordert dieser Begriff eine individuelle Beurteilung. Im Rahmen einer derartigen Beurteilung sind eine Reihe weiterer Kriterien zu berücksichtigen, die unselbstständig und miteinander verflochten sind. Da diese Kriterien im jeweiligen Einzelfall in sehr unterschiedlichem Maß vorliegen können, sind sie einzeln und in ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden (BGH GRUR 2020, 1297 Rn. 14 = WRP 2020, 1573 – Rundfunkübertragung in Ferienwohnungen, mwN).
14c) Der im Streitfall maßgebliche Begriff der Öffentlichkeit ist nur bei einer unbestimmten Zahl potenzieller Adressaten und recht vielen Personen erfüllt. Um eine „unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten“ handelt es sich, wenn die Wiedergabe für Personen allgemein erfolgt, also nicht auf besondere Personen beschränkt ist, die einer privaten Gruppe angehören (zu Art. 3 I RL 2001/29/EG vgl. EuGH GRUR 2007, 225 Rn. 37 – SGAE, mwN; zu Art. 8 II RL 92/100/EWG [jetzt RL 2006/115/EG] vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rn. 85 = WRP 2012, 689 – SCF; GRUR 2012, 597 Rn. 34 – Phonographic Performance [Ireland]; BGHZ 206, 365 = GRUR 2016, 71 Rn. 46 – Ramses; BGH GRUR 2018, 608 Rn. 34 = WRP 2018, 701 – Krankenhausradio). Mit dem Kriterium „recht viele Personen“ ist gemeint, dass der Begriff der Öffentlichkeit eine bestimmte Mindestschwelle enthält und eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen ausschließt. Zur Bestimmung dieser Zahl von Personen ist die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der Werke bei den potenziellen Adressaten ergibt. Dabei kommt es darauf an, wie viele Personen gleichzeitig und nacheinander Zugang zu demselben Werk haben (vgl. EuGH GRUR 2007, 225 Rn. 38 – SGAE; GRUR 2013, 500 Rn. 32 u. 33 – ITV Broadcasting ua; GRUR 2014, 360 Rn. 21 = WRP 2014, 414 – Svensson ua; GRUR 2014, 473 Rn. 27 u. 28 = WRP 2014, 418 – OSA; GRUR 2016, 684 Rn. 40 -44 – Reha Training; GRUR 2016, 1152 Rn. 36 = WRP 2016, 1347 – GS Media BV; BGH GRUR 2016, 278 Rn. 44 = WRP 2016, 218 – Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen; BGHZ 206, 365 = GRUR 2016, 71 Rn. 47 – Ramses; BGH GRUR 2018, 608 Rn. 34 – Krankenhausradio; GRUR 2020, 1297 Rn. 23 – Rundfunkübertragung in Ferienwohnungen).“
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3. Vor diesem rechtlichen Hintergrund, der im vorliegenden Fall teilweise fortzuentwickeln ist, hat die Klägerin keine Verletzungshandlung der Beklagten darzulegen vermocht.
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a) Der vorliegende Fall zeichnet sich dadurch aus, dass nach dem etwaigen Abschluss des Unterlassungsvertrages im November 2021 die streitgegenständlichen zwei Kartenausschnitte in Form von Notfalltreffpunkten im Gemeindegebiet der Beklagten nicht mehr über die Systemnavigation auf dem Internetauftritt der Beklagten vom Nutzer aufzufinden waren. Dies hat die Beklagte jedenfalls von sich aus so vorgetragen und die Klägerin hierauf nichts erwidert, so dass es als unstreitig zu behandeln ist.
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b) Eine etwaige öffentliche Zugänglichmachung könnte daher ausschließlich darin zu erblicken sein, dass zum einen Nutzer die genaue URL zu den beiden streitgegenständlichen Einsatzplänen/Kartenausschnitten in den Browser ihres Internetproviders eingaben und zudem nach Klägerbehauptung bei Suchen von Internetnutzern am 04.01.2022 einerseits über die M.-Suchmaschine B. unter Eingabe des Suchbegriffs „[…]“ (Anlage K10) und andererseits über die Suchmaschine von G. „[…]“ (Anlage K16) bzw. „[…]“ (Anlage K17) jeweils als oberstes Ergebnis der Link zur Webseite der Beklagten mit dem entsprechenden Kartenausschnitt angezeigt worden sei. Beides genügt nach Auffassung der Kammer den Anforderungen an das Teilelement der öffentlichen Zugänglichmachung an „recht viele Personen“ nicht.
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aa) In der genannten Entscheidung Lautsprecherfoto hat der BGH die Würdigung des Berufungsgerichts unbeanstandet gelassen, wonach nicht von einer öffentlichen Zugänglichmachung an „recht viele Personen“ auszugehen sei, wenn ein Produktfoto, das zunächst von einem Verkäufer urheberrechtsverletzend auf einer Internethandelsplattform im Rahmen seiner Verkaufsanzeige öffentlich zugänglich gemacht worden war, nach Abgabe einer Unterlassungserklärung des Verkäufers nur noch durch die Eingabe einer rund 70 Zeichen umfassenden URL-Adresse im Internet zugänglich war und nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass die URL-Adresse nur von Personen eingegeben wird, die diese Adresse zuvor – als das Foto vor Abgabe der Unterlassungserklärung noch im Rahmen der Anzeige des Verkäufers frei zugänglich gewesen war – abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert haben, oder denen die Adresse von solchen Personen mitgeteilt worden war.
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bb) Die Klägerseite ist hierzu der Auffassung, dass das Kriterium im vorliegenden Fall deshalb erfüllt sei, weil die Beklagte mindestens seit dem Jahr 2015 über die entsprechenden Notfalleinsatzpläne, inklusive der zugehörigen „kryptischen Buchstaben-/Zahlenkombination“ (für den Einsatzplan „[…]“: T-MIL 644 sowie für den Einsatzplan „[…]“: T-MIL 683) und einer eingängigen (Lage-)Beschreibung auf ihrem Internetauftritt informiert hätte. Ferner sei der Fall anders zu behandeln als der BGH-Fall Lautsprecherfoto, da es vorliegend um die Auffindbarkeit der Kartenausschnitte mittels gängiger Suchmaschinen (B., G.), mithin auf indirektem Wege, gehe. Hierzu verweist sie auf die Rechtsbeschwerdeentscheidung des BGH, GRUR 2018, 1183 – Wirbel um Bauschutt, in der der BGH den Unterlassungsschuldner im Rahmen des § 890 ZPO zur aktiven Einwirkung auf Suchmaschinenbetreiber, damit über diese die rechtsverletzenden Inhalte nicht mehr gefunden werden könnten, verpflichtet angesehen habe.
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cc) Im vorliegenden Fall genügen die Umstände nicht zur Annahme der öffentlichen Zugänglichmachung der beiden Kartenausschnitte gegenüber „recht vielen Personen“.
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(1) Hinsichtlich der Möglichkeit der direkten Eingabe der jeweiligen URL direkt zu den Einsatzplänen auf dem externen Media-Backup-Server der Beklagten liegt der Fall wertungsmäßig genauso wie derjenige des BGH Lautsprecherfoto. Schon auf Grund der eigentümlichen Buchstaben-Zahlen-Kombination, die die Beklagte zur Bezeichnung ihrer Einsatzpläne verwendet hatte und die in dieser Form für den jeweiligen Einsatzplan auch in die längere URL hätte eingegeben werden müssen, kann insoweit nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass die URL-Adresse nur von Personen eingegeben wird, die diese Adresse zuvor – als die Kartenausschnitte vor der (möglichen) Abgabe der Unterlassungserklärung im November 2021 noch im Rahmen des Internetauftritts der Beklagten über die Systemnavigation frei zugänglich gewesen war – abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert haben, oder denen die Adresse von solchen Personen mitgeteilt worden war.
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(2) Die klägerseits verwendeten Suchmaschinenbegriffe „[…]“ oder „[…]“ sind nach Auffassung der Kammer für einen gewöhnlichen Internetnutzer schon deswegen völlig ungewöhnlich, weil nicht einmal der Gemeindename der Beklagten in das Suchfeld zusätzlich eingegeben wurde. Die Möglichkeit, dass ein gewöhnlicher Internetnutzer in der Zeit von 2015 bis November 2021 sich die entsprechenden Namen der Einsatzpläne der Beklagten notiert oder abgespeichert hat und sodann bei einer Suchmaschinen-Suche nach diesem Zeitraum direkt den Namen der Pläne ohne Angabe der Gemeinde suchen würde, hält die Kammer für extrem unwahrscheinlich. Die Beklagte hatte unstreitig bereits nach Zugang der Abmahnung vom 07.05.2021, jedenfalls aber im Zeitpunkt des etwaigen Unterlassungsvertrages im November 2021 die entsprechenden Hinweise und Namen auf ihrem Internetauftritt zu den Einsatzplänen entfernt. Die entsprechenden Namen „[…]“ und „[…]“ sind überdies zur Bezeichnung von Einsatzplänen derart ungewöhnlich bzw. exklusiv auf das Gemeindegebiet der Beklagten zugeschnitten, dass jedenfalls Nutzer, die nicht schon vor dem Jahr 2021 von der Existenz entsprechender Pläne samt Namen wussten, nunmehr nach Herunternahme der Einsatzpläne vom Internetauftritt der Beklagten von sich aus nicht darauf kommen würden, dass es solche Einsatzpläne womöglich geben könnte und deshalb danach mittels Suchmaschine suchen würden. Dass die entsprechenden Kartenausschnitte Anfang 2022 überdies auch bei einer Suchmaschinensuche der entsprechenden Namen der Einsatzpläne bzw. Notfalltreffpunkte unter Hinzufügung des Gemeindenamens der Beklagten erschienen wären, hat die Klägerin gerade nicht dargelegt, obwohl sie selbst an anderer Stelle durchaus unter Eingabe des Gemeindenamens der Beklagten Suchvorgänge nach anderen Schlagworten/Keywords bei Suchmaschinen initiiert hat (vgl. etwa Seite 5 der Replik vom 29.03.2023, Bl. 30 d.A.). Dass dies ebenfalls zum Auffinden der Kartenausschnitte geführt hätte, versteht sich, angesichts der für Außenstehende nicht bzw. kaum zu durchschauenden Algorithmenlogik der G.- und B.-Suchmaschine für die Kammer nicht von selbst. Es drängt sich für die Kammer vielmehr der Eindruck auf, dass das Suchergebnis bei zusätzlicher Eingabe des Gemeindenamens der Beklagten in das Suchfeld der Suchmaschinen Anfang 2022 womöglich gerade nicht zu dem entsprechenden Suchergebnis geführt hat/hätte.
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Diese beiden Umstände zusammengenommen sind auch der relevante Unterschied zu den klägerseits vorgelegten gerichtlichen Urteilen/Einschätzungen, die sich auf die Suche von konkreten Gewerbebetrieben und deren Dienstleistungen bezogen (vgl. „[…]“ im Fall des LG Berlin, Bl. 35 d.A. sowie „[…]“, Bl. 36f. d.A.). Auf deren Existenz kann jeder Nutzer jederzeit kommen, weil er zB mit der Firma in geschäftlicher Beziehung steht oder deren Gewerberäume aus der örtlichen Nähe kennt oder diese zB im Internet ihre Geschäfte betreibt. Vorliegend geht es hingegen um den Namen von Notfallplänen, deren namentliche Existenz überhaupt nur einer ganz kleinen, speziellen Gruppe (nämlich wohl nur Feuerwehr- und Katastrophenschutzbehördenmitarbeiter in der Gemeinde bzw. dem zugehörigen Landkreis) von Berufs wegen bekannt ist. Andere Personen, insbesondere Gemeindebürger der Beklagten, würden nach entsprechenden Einsatz-/Notfalltreffpunktplänen wohl ausnahmslos nur im ganz konkreten Brand- und/oder Katastrophenfall suchen, jedoch kaum vorab sich diese insbesondere namentlich (analog oder digital) notieren. Jedenfalls nach der Löschung der Einsatzpläne und des zugehörigen Typisierungsschlüssels vom Internetauftritt der B im Jahr 2021 würde seitdem folglich praktisch niemand mehr auf den Gedanken kommen, konkret nach Einsatzplänen oder Notfalltreffpunkten „[…]“ bzw. „[…]“ zu suchen, der nicht zu dem entsprechend kleinen Kreis der „Spezialisten“ der Gemeinde- bzw. Landkreisbediensteten gehört. Genau dieser kleine Kreis an Spezialisten, gegebenenfalls allenfalls noch angereichert um vereinzelte, sicherlich bei der Größe der beklagten Gemeinde von ca. 20.000 Gemeindeangehörigen nur ganz wenige Angehörige der sogenannten „P.“-Szene, genügt aber nicht, um das Kriterium der öffentlichen Zugänglichmachung für „relativ viele Personen“ nach der Rechtsprechung des EuGH und des BGH zu erfüllen.
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(3) Auch der Verweis auf die BGH-Entscheidung Wirbel um Bauschutt (NJW 2018, 1183) vermag die Kammer vorliegend nicht zu überzeugen. Dort hatte der BGH den N. Rundfunk (NDR) als Unterlassungsschuldner für verpflichtet gehalten, durch Einwirkung auf gängige Suchmaschinen wie insbesondere G. dafür zu sorgen, dass der (presse-/persönlichkeitsrechtlich relevante Beitrag des NDR) nicht weiter über diese Suchmaschinen infolge einer Speicherung dieses Beitrags in deren Cache erreichbar wäre.
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(a) Bereits die Begründung für diese aus dem Unterlassungsgebot folgende aktive Handlungspflicht des Unterlassungsschuldners vermag für den vorliegenden Fall jedoch nicht zu greifen. Der BGH hat dort nämlich darauf abgestellt, dass die Tätigkeit der Suchmaschine im wirtschaftlichen Interesse des gewerblich tätigen Unterlassungsschuldners liege (Rn. 15). Eine solche gewerbliche Betätigung ist bei der Beklagten mit den vorliegend relevanten Kartenausschnitten als Einsatzplänen gerade nicht gegeben. Vielmehr wird die Beklagte insoweit allein im öffentlichen Interesse zur (besseren) Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit im Katastrophenfall tätig, was gerade keine wirtschaftliche Betätigung der Kommune darstellt, so dass auch die Weiterverbreitung der Kartenausschnitte über Suchmaschinen nicht dem wirtschaftlichen Interesse der Beklagten zu Gute kommen kann.
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(b) Vor allem aber muss dieses Erfordernis, im Rahmen eines Unterlassungsgebots aktiv auf Suchmaschinenbetreiber einzuwirken, vor dem Hintergrund des jeweiligen Unterlassungsgebots gesehen werden, denn es ist kein Selbstzweck. Wenn, wie vorliegend, das Unterlassungsgebot hinsichtlich der öffentlichen Zugänglichmachung im Sinne des § 19a UrhG besteht, ist die Pflicht zum aktiven Tätigwerden darauf beschränkt, zu gewährleisten, dass der rechtsverletzende Content in Form der beiden Kartenausschnitte nicht mehr von einer Gruppe abgerufen werden kann, die die Mindestschwelle der „recht vielen Personen“ im Rahmen der Definition der öffentlichen Zugänglichmachung erreicht. Dies war jedoch im vorliegenden (Spezial-)Fall ausnahmsweise auch ohne Kontaktaufnahme mit G. oder M. bereits gewährleistet, zumindest hat die Klägerin gerade nicht das Gegenteil darzulegen vermocht (s.o. unter (1)).
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4. Mangels Nutzungshandlung der öffentlichen Zugänglichmachung nach dem etwaigen Abschluss des Unterlassungsvertrags im November 2021 scheiden mithin vertragliche Unterlassungsansprüche der Klägerin aus.
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II. Auch der hilfsweise geltend gemachte Unterlassungsanspruch auf gesetzlicher Grundlage gemäß § 97 Abs. 1 UrhG besteht nicht.
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1. Hinsichtlich der (nicht gegebenen) Verletzungshandlung in Form der allein geltend gemachten öffentlichen Zugänglichmachung durch das entsprechende Auffinden bei G. und B. am 04.01.2022 gilt obiges unter Ziffer I.3. entsprechend.
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2. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass hinsichtlich der ursprünglichen Verletzungshandlungen, die zum Ausspruch der Abmahnung vom 07.05.2021 geführt haben und welche die Kammer schon nicht für unmittelbar streitgegenständlich hält, jedenfalls die Wiederholungsgefahr als Tatbestandsvoraussetzung jedenfalls durch die „nach H. Brauch“ strafbewehrte Unterlassungserklärung der Beklagten vom 13.01.2022, welche die Beklagtenvertreter unstreitig im Anhang ihres Schreibens an die Klägervertreter vom 14.01.2022 (Anlage B3) übermittelten und welche von der Klägerseite auch nicht abgelehnt wurde (insoweit gerade anders als im Fall BGH, GRUR 2023, 255 – Wegfall der Wiederholungsgefahr III), entfallen wäre.
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III. Mangels Erfüllens des Begriffs der öffentlichen Zugänglichmachung nach dem etwaigen Zustandekommen eines Unterlassungsvertrages im November 2021 (s.o.), mithin mangels Verstoßes gegen den möglichen Unterlassungsvertrag, vgl. § 339, S. 2 BGB, scheiden auch Ansprüche auf Vertragsstrafenzahlung aus.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709, S. 1 und S. 2 ZPO.