Inhalt

LG München I, Endurteil v. 10.11.2023 – 21 O 2576/22
Titel:

Verhältnismäßigkeit eines Unterlassungsanspruchs

Normenketten:
PatG § 9 S. 2 Nr. 1, § 10 Abs. 1, § 139, § 140a Abs. 1, Abs. 3, § 140b Abs. 1, Abs. 3, § 145
EPÜ Art. 64 Abs. 1, Art. 123 Abs. 2, Art. 138 Abs. 1 lit. c
IntPatÜG Art. II § 1 Abs. 1, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 142, § 148, § 256 Abs. 1
BGB § 138, § 242, § 259
Leitsätze:
1. Gegenstände, die selbst noch nicht die Lehre eines Patentanspruchs verwirklichen, aber geeignet sind, zur unmittelbaren Benutzung der Erfindung  verwendet zu werden, sind patentverletzend. (Rn. 103 – 109) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dient ein Unterlassungsanspruch nurmehr der Sicherung des Verwertungsanspruchs, führt dies nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs, solange über die Höhe der Lizenzraten sinnvoll verhandelt werden kann.  (Rn. 129) (redaktioneller Leitsatz)
3. Lizenzbereitschaft zeigt sich regelmäßig in der an dem gemeinsamen Ziel eines erfolgreichen Abschlusses orientierten aktiven Förderung der Verhandlungen, während stetig weitere Informationswünsche die Lizenzunwilligkeit des Patentbenutzers belegen.   (Rn. 152 – 157) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bezogen auf den Vorwurf der offensichtlichen FRAND-Widrigkeit eines Angebots sowie der Diskriminierung im Vergleich zu Mitbewerbern trägt der beklagte Patentverletzer die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwandes.  (Rn. 156) (redaktioneller Leitsatz)
5. Allein die Höhe einer Forderung für eine Lizenz genügt regelmäßig nicht, um Willkür zu begründen, solange die Höhe des Angebots nicht bar jeder Vernunft erscheint.  (Rn. 172) (redaktioneller Leitsatz)
6. Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage, die keine den Patentschutz hemmende Wirkung haben (Anschluss an BGH GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug), sind, auch wegen der beschränkten Schutzdauer von Patenten, kein Grund, das Verletzungsverfahren auszusetzen, wenn die Vernichtung des Patent nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.     (Rn. 223) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuwiderhandlung, Paketstruktur, Einzelteilnehmerübertragung, Übertragungsmodusangabe, Angebotsmengen, Verbreitungsgebiet, Gestehungskosten, Gerichtsvollzieher, Verpackungs- und Transportkosten, Patentverletzung, Verfahrenssprache, Patentansprüche, Rückruf, Tatbestand, Patentinhabers, Rechtsprechung, Übereinstimmung, Ausführungsform, Priorität, Schadensersatzanspruch, Patentverletzungsverfahren, Kosten, Trägerfrequenzen, Technologie, Merkmalen, Fallunterscheidung
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 41092

Tenor

A. Die Beklagte wird verurteilt,
I. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen Geschäftsführer zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
1. Vorrichtungen, insbesondere Access Points, Abnehmern in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern welche dazu geeignet sind, ein Verfahren zum Senden einer Paketstruktur eines drahtlosen lokalen Netzwerks auszuführen, wobei das Verfahren Folgendes umfasst:
Bestimmen einer Paketstruktur, wobei die Paketstruktur ein hocheffizientes Signalfeld A, HE-SIGA, und ein hocheffizientes Signalfeld B, HE-SIGB, umfasst;
wobei das HE-SIGA ein #sym HE-SIGB Feld mit Angabeinformationen umfasst,
wobei, wenn ein aktueller Übertragungsmodus eine MU-MIMO mit voller Bandbreite oder eine Einzelteilnehmerübertragung ist, die Angabeinformationen zum Angeben einer Anzahl eingeplanter Teilnehmer verwendet werden und nicht zum Angeben einer Anzahl Symbole in dem HE- SIGB;
wenn der aktuelle Übertragungsmodus ein anderer Übertragungsmodus ist, die Angabeinformationen zum Angeben einer Anzahl Symbole in dem HE-SIGB verwendet werden; und Senden der Paketstruktur;
wobei das HE-SIGA weiterhin eine Übertragungsmodusangabe umfasst, die angibt, ob der Übertragungsmodus die MU-MIMO mit voller Bandbreite oder die Einzelteilnehmerübertragung ist;
wobei die Übertragungsmodusangabe Folgendes umfasst:
Informationen, die angeben, dass die aktuelle Übertragung ein OFDMA- Übertragungsmodus oder ein Nicht-OFDMA-Übertragungsmodus ist;
wobei ein Nicht-OFDMA-Übertragungsmodus eine MU-MIMO mit voller Bandbreite oder eine Einzelteilnehmerübertragung bedeutet;
– mittelbare Verletzung von Anspruch 1, 3 und 4 von EP 3 337 077 B1 –
2. Übertragungsvorrichtungen in einem drahtlosen lokalen Netzwerk, die auf einer Sendeseite angeordnet sind, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, die Folgendes umfassen:
ein Modul, das eingerichtet ist, um eine Paketstruktur zu bestimmen,
wobei die Paketstruktur ein hocheffizientes Signalfeld A, HE-SIGA, und ein hocheffizientes Signalfeld B, HE-SIGB, umfasst,
wobei das HE-SIGA ein ...sym HE-SIGB Feld mit Angabeinformationen umfasst,
wobei, wenn ein aktueller Übertragungsmodus eine MU-MIMO mit voller Bandbreite oder eine Einzelteilnehmerübertragung ist, die Angabeinformationen zum Angeben einer Anzahl eingeplanter Teilnehmer verwendet werden und nicht zum Angeben einer Anzahl Symbole in dem HE- SIGB;
wenn der aktuelle Übertragungsmodus ein anderer Übertragungsmodus ist, die Angabeinformationen zum Angeben einer Anzahl Symbole in dem HE-SIGB verwendet werden;
und ein Modul, das eingerichtet ist, um die Paketstruktur zu senden;
wobei HE-SIGA weiterhin eine Übertragungsmodusangabe umfasst, die angibt, ob der aktuelle Übertragungsmodus die MU-MIMO-Übertragung mit voller Bandbreite oder die Einzelteilnehmerübertragung ist;
wobei die Übertragungsmodusangabe Folgendes umfasst:
Informationen, die angeben, dass die aktuelle Übertragung ein OFDMA- Übertragungsmodus oder ein Nicht-OFDMA-Übertragungsmodus ist;
wobei ein Nicht-OFDMA-Übertragungsmodus eine MU-MIMO mit voller Bandbreite oder eine Einzelteilnehmerübertragung bedeutet;
– unmittelbare Verletzung von Anspruch 8, 10 und 11 von EP 3 337 077 B1 –
II. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu I. bezeichneten Handlungen seit dem 27.05.2020 begangen hat, und zwar unter Angabe
1.
der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;
2.
der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren;
3.
der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
wobei zum Nachweis der Angaben entsprechende Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen und,
wobei die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die vorstehend zu II.1.-3. genannten Angaben zusätzlich in elektronischer Form zu machen;
III. der Klägerin in einer geordneten Aufstellung unter Vorlage von Belegen, wie Rechnungen oder Lieferscheinen oder Quittungen darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu I. bezeichneten Handlungen seit dem 27.06.2020 begangen haben, und zwar unter Angabe:
1.
der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und - preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
2.
der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und - preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
3.
der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume,
4.
der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht- gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist und,
wobei die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die vorstehend zu III.1.-4. genannten Angaben zusätzlich in elektronischer Form zu machen.
B. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die zu A.I. bezeichneten, in der Zeit vom 27.05.2020 bis zum 26.06.2020 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen und allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu A.I. bezeichneten, seit dem 27.06.2020 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
C. Die Beklagte wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der in ihrem Eigentum befindlichen, unter A.I. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zweck der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben.
D. Die Beklagte wird verurteilt, die seit dem 27.05.2020 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts München I vom 10.11.2023) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
E. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
F. Das Urteil ist gegen Leistung von Sicherheit wie folgt:
-
Ziffer A.I., C. und D. einheitlich in Höhe ...
-
Ziffer A.II. und III. einheitlich in Höhe ...,
-
Ziffer E in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags
vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin ist Inhaberin des nationalen deutschen Teils des europäischen Patents 3 337 077 (Anlage K3, nachfolgend: Klagepatent) und nimmt die Beklagte wegen unmittelbarer Patentverletzung der Ansprüche 8, 10 und 11 und mittelbarer Patentverletzung der Ansprüche 1, 3 und 4 des Klagepatents in Anspruch.
2
Das Klagepatent wurde am 31.08.2016 angemeldet. Die Veröffentlichung und Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung erfolgten am 27.05.2020. Das Klagepatent wurde mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt.
3
Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet in der erteilten Fassung in der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache wie folgt:
1. A method for sending a wireless local area network packet structure, comprising:
determining a packet structure, wherein the packet structure comprises a high efficient signal field A , HE-SIGA, and a high efficient signal field B , HE-SIGB; wherein the HE-SIGA comprises an indication information,
wherein if a current transmission mode is a full bandwidth MU-MIMO or single-user transmission, the indication information is used for indicating a number of scheduled users;
if the current transmission mode is other transmission mode, the indication information is used for indicating a number of symbols in the HE-SIGB;
and sending the packet structure.
4
Die hierauf rückbezogenen Patentansprüche 3 und 4 lauten in der erteilten Fassung in der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache wie folgt:
3. The method according to claim 1 or 2, wherein
The HE-SIGA further comprises a transmission mode indication, indicating whether the transmission mode is the full bandwidth MU-MIMO or single-user transmission.
4. The method according to claim 3, wherein the transmission mode indication comprises:
an information that indicates that the current transmission is an OFDMA transmission mode or a non-OFDMA transmission mode; wherein non-OFDMA transmission mode means a full bandwidth MU-MIMO or single-user transmission.
5
Patentanspruch 8 lautet in der erteilten Fassung in der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache wie folgt:
8. A transmission apparatus in a wireless local area network, located on a sending side, comprising:
a module configured to determine a packet structure, wherein the packet structure comprises a high efficient signal field A, HE-SIGA, and a high efficient signal field B , HE-SIGB, the HE-SIGA comprises an indication information,
wherein if a current transmission mode is a full bandwidth MU-MIMO or single-user transmission, the indication information is used for indicating a number of scheduled users; if the current transmission mode is other transmission mode, the indication information is used for indicating a number of symbols in the HE-SIGB; and a module configured to send the packet structure.
6
Patentansprüche 10 und 11 lauten in der erteilten Fassung in der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache wie folgt:
10. The transmission apparatus according to claim 8 or 9, wherein the HE-SIGA further comprises a transmission mode indication, indicating whether the current transmission mode is the full bandwidth MU-MIMO transmission or single-user transmission.
11. The transmission apparatus according to claim 10, wherein the transmission mode indication comprises:
an information that indicates that the current transmission is an OFDMA transmission mode or a non-OFDMA transmission mode; wherein non-OFDMA transmission mode means a full bandwidth MU-MIMO or single-user transmission.
7
Wegen der weiteren Details wird auf die Patentschrift verwiesen.
8
Die Beklagte betreibt unter dem Link ... eine im Inland unter anderem auf den inländischen Markt gerichtete Webseite, auf der sie Produkte anbietet, die mit dem Wi-Fi 6- Standard kompatibel sind (Anlage K8). Die angegriffenen Ausführungsformen stellt sie her, bietet sie in der Bundesrepublik Deutschland an und vertreibt sie im Inland.
9
Die Klägerin meint, dass die angegriffenen Ausführungsformen das Klagepatent wie geltend gemacht mittelbar und unmittelbar verletzten. Der FRAND-Einwand der Beklagten habe keinen Erfolg, so dass der begehrte Unterlassungsanspruch auszusprechen sei.
10
Die Klägerin stellt zuletzt primär die Klagenanträge wie tenoriert (Terminprotokoll vom 12.07.2023, Bl. 469 d. A.), unter Klarstellung, dass die „insbesondere“ geltend gemachten weiteren Unteransprüche als Hilfsanträge zu verstehen sind.
11
Die Beklagte beantragt:
1.
Klageabweisung,
2.
hilfsweise die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über die Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent.
12
Mit Schriftsatz vom 06.06.2023 beantragt die Beklagte höchst hilfsweise weiter, für die vorläufige Vollstreckung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung eine Sicherheitsleistung ... anzuordnen, mit Schriftsatz vom 11.07.2023 höchst hilfsweise weiter, für die vorläufige Vollstreckung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung eine Sicherheitsleistung ... anzuordnen.
13
Die Klägerin wendet sich gegen eine Aussetzung des Verfahrens. Hinsichtlich der beantragten Vollstreckungssicherheit beantragt sie primär, für die vorläufige Vollstreckung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung eine Sicherheitsleistung von ... jedenfalls ... anzuordnen.
14
Die Beklagten meinen, die Klage sei wegen § 145 PatG bereits unzulässig. Die Beklagten sind des Weiteren der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagepatent nicht. Jedenfalls sei das Verfahren im Hinblick auf die Nichtigkeitsklage vom 30.08.2022 (Anlagekonvolut B4) auszusetzen. Den Beklagten stünde gegen die Klägerin der FRAND-Einwand zu.
15
Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 12.07.2023 (Bl. 468/472 d. A.) ebenso wie auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16
Die zulässige Klage ist begründet.
A.
17
Die Klage ist zulässig.
18
I. Das Landgericht München I ist zuständig (§ 143 PatG, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, § 32 ZPO i.V.m. § 38 Nr. 1 BayGZVJu).
19
II. Die Klage ist nicht wegen § 145 PatG unzulässig.
20
1. Nach § 145 PatG kann der, der eine Klage nach § 139 PatG erhoben hat, gegen den Beklagten wegen derselben oder einer gleichartigen Handlung auf Grund eines anderen Patents nur dann eine weitere Klage erheben, wenn er ohne sein Verschulden nicht in der Lage war, auch dieses Patent in dem früheren Rechtsstreit geltend zu machen.
21
a) § 145 PatG soll verhindern, dass ein Beklagter wegen derselben oder einer gleichartigen Handlung mehrfach von demselben Kläger wegen Patentverletzung in Anspruch genommen wird (BGH GRUR 2011, 411, Rn. 18 – Raffvorhang).
22
§ 145 PatG dient dem Ausgleich zwischen den Interessen des Patentinhabers, der die Rechte aus allen ihm zustehenden Patenten wahrnehmen will, und einem Beklagten, der wegen einer bestimmten Handlung bereits wegen Patentverletzung in Anspruch genommen worden ist und wegen dieser oder gleichartiger Handlungen nicht erneut in einen zeit- und kostenaufwendigen Rechtsstreit hineingezogen werden will. Eine erneute Klage ist danach unzulässig. Der Patentinhaber wird insofern daran gehindert, die Rechte aus ihm zustehenden weiteren Patenten gegenüber dem Beklagten geltend zu machen. Er wird aber an einer Wahrnehmung seiner Rechte nicht vollständig gehindert. Er ist lediglich gehalten, seine Angriffe gegen eine bestimmte Handlung in einer Klage zu bündeln, sog. Konzentrationsmaxime (BGH GRUR 2011, 411, Rn. 18, 22 – Raffvorhang).
23
b) Diese Regelung ist 1936 (als § 54 PatG) eingeführt worden und hat ihre inhaltlich unveränderte Fassung 1981 erhalten (Keukenschrijver, in: Busse/Keukenschrijver, 9. Aufl. 2020, § 145 Rn. 1). Nach der damaligen Gesetzesbegründung habe sich eine besondere Form des Missbrauchs wirtschaftlicher Übermacht darin gezeigt, dass der Inhaber mehrerer Patente verwandten Inhalts einen angeblichen Verletzer zunächst nur aufgrund eines dieser Rechte verklage, dann in weiteren Klagen gegen ihn wegen desselben oder eines gleichartigen Tatbestands vorgehe, wodurch dem Angegriffenen wegen der erhöhten Kosten die Verteidigung erschwert werde (Keukenschrijver, aaO, § 145 Rn. 1 mwN).
24
c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 145 PatG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, sofern die Vorschrift mit der gebotenen Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen des Patentinhabers ausgelegt und angewendet wird (BGH GRUR 2011, 411, Rn. 18 – Raffvorhang; krit. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 14. Aufl. 2022, E 65).
25
Daher ist zur Beantwortung der Frage, ob zwei Handlungen als gleichartig i. S. von § 145 PatG anzusehen sind, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine wertende Beurteilung erforderlich, die sich einerseits an dem vom Gesetzgeber bezweckten Schutz der Beklagten zu orientieren, andererseits aber auch die mit der Zusammenfassung mehrerer Schutzrechte in einem einzigen Verletzungsprozess verbundenen Nachteile zu berücksichtigen und rechtsstaatliche Erfordernisse zu beachten hat (BGH GRUR 2011, 411, Rn. 27 – Raffvorhang).
26
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind als gleichartig indes nur solche weiteren Handlungen zu verstehen, die im Vergleich zu der im ersten Rechtsstreit angegriffenen Handlung zusätzliche oder abgewandelte Merkmale aufweisen, bei denen es sich wegen eines engen technischen Zusammenhangs aufdrängt, sie gemeinsam in einer Klage aus mehreren Patenten anzugreifen. Für einen derartigen engen technischen Zusammenhang reicht eine Übereinstimmung im Oberbegriff der beiden Patente nicht aus. Allein maßgebend sind auch insoweit die in den beiden Prozessen konkret verfolgten Handlungen (BGH GRUR 2011, 411, Rn. 27 – Raffvorhang; GRUR 1989, 187, 189 – Kreiselegge II).
27
Eine Klage, die sich gegen Herstellung oder Vertrieb einer aus mehreren Teilen bestehenden Vorrichtung richtet, betrifft nicht schon dann „dieselbe Handlung“ i.S. von § 145 PatG, wenn Herstellung und Vertrieb dieser Vorrichtung mit einer früheren Klage angegriffen worden sind. Als Handlung ist vielmehr der mit dem Klageantrag konkret beschriebene, durch die Ausgestaltung eines bestimmten Teils der Gesamtvorrichtung charakterisierte konkrete Verletzungstatbestand anzusehen (BGH GRUR 2011, 411, Rn. 24 – Raffvorhang; GRUR 1989, 187, 189 – Kreiselegge II).
28
2. Nach diesen Maßstäben ist die Klage jedenfalls nicht unzulässig und § 145 PatG nicht anzuwenden. Denn unabhängig davon, wann die Klageschrift der Beklagten in diesem Verfahren sowie im Patentverletzungsverfahren vor der Parallelkammer (7 O 2578/22) tatsächlich zugestellt worden ist, greift nach dem Verständnis der Kammer § 145 PatG hier nicht ein, weil sich die Klägerin auf ein als standardessentiell deklariertes Patent stützt.
29
Auf Klagen, die die Herstellung oder den Vertrieb einer Ausführungsform wegen Nutzung eines Patents angreifen, das für bestimmte Bereiche standardessentiell ist oder sein soll, findet § 145 PatG bei der gebotenen wertenden Beurteilung im Regelfall keine Anwendung. Anderenfalls müsste ein Patentinhaber mit entsprechend großem Portfolio zahlreiche, gegebenenfalls tausende Patente in einem einzigen Patentverletzungsverfahren geltend machen. Das entspricht nicht Sinn und Zweck des § 145 PatG. Eine Bündelung mehrerer SEPs in einem Verfahren könnte je nach den Umständen des Einzelfalls geboten sein, wenn die einzelnen Klagepatente zur selben Familie gehören, dieselbe Priorität in Anspruch nehmen und ihr Gegenstand inhaltlich weitgehend übereinstimmt. Die Beklagte hat jedenfalls nicht, und zwar auch nicht, nachdem die Kammer ihre Auffassung in der mündlichen Verhandlung erörtert hatte, dargetan, dass das hier geltend gemachte Klagepatent und das im Parallelverfahren klageweise geltend gemachte Patent zur selben Familie gehören, so dass § 145 PatG hier überhaupt anzuwenden sein könnte.
30
III. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, § 256 Abs. 1 ZPO. Der Entschädigungs- und der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist vor Erteilung der Auskunft noch nicht bezifferbar.
B.
31
Die Patentverletzungsklage ist hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsformen begründet.
32
I. Das Klagepatent betrifft Verfahren und Vorrichtung zur Übertragung von Informationen eines drahtlosen lokalen Netzwerks.
33
1. Zum Stand der Technik erläutert das Klagepatent, dass mit der Entwicklung des mobilen Internets und der wachsenden Beliebtheit intelligenter Endgeräte der Datenverkehr rapide gewachsen sei. Lokale funkbasierte Netzwerke (WLAN) würden auf Grund ihrer Vorteile einer hohen Datenrate und der niedrigen Kosten die Haupttechnologien für einen mobilen Breitbandzugang stellen. Um die nutzbare Übertragungsrate eines WLAN-Systems deutlich zu erhöhen, nutze die nächste Generation des IEEE 802.11ax Standards [„Wi-Fi 6“] eine Orthogonal Frequency Division Multiple Access (OFDMA) Technologie auf der Basis einer bereits existierenden OFDM-Technologie. Die OFDMA-Technologie teile die Zeit-Frequenz Ressourcen eines Funkkanals in eine Vielzahl orthogonaler Zeit-Frequenz Ressourceneinheiten (Ressource Blocks, RBs) auf. Die RBs würden in Bezug auf die Zeit verteilt und seien in Bezug auf das Frequenzfeld orthogonal. In 802.11ax werde eine Übertragungsbandbreite, die Teilnehmern zugewiesen wird, als Ressourceneinheit (RU) bezeichnet, [0001].
34
Während bei OFDM sämtliche Trägerfrequenzen innerhalb eines Zeitintervalls nur einem einzigen Teilnehmer zugeordnet seien, könnten im OFDMA-Verfahren Trägerfrequenzen unter mehreren Teilnehmern aufgeteilt werden, [0019].
35
Figur 5 des Klagepatents zeigt eine mögliche Paketstruktur (eine Paktstruktur PPDU in multi-user transmission, wobei PPDU für „physical layer protocol data unit“ steht).
36
Das Klagepatent setzt die Kenntnis der bereits in Wi-Fi 5 bekannten Technologie des MU-MIMO voraus. MU-MIMO steht für „multiple-user multiple-input multiple-output”. In dieser Technologie werden mehrere parallele Datenströme ermöglicht und genutzt, die über mehrere Antennen geführt werden. Die verfügbare Bandbreite eines Access Points wird dabei für separate räumliche Streams genutzt.
37
2. Die Klagepatentschrift kritisiert am Stand der Technik implizit unter anderem Overheads, [0008], insbesondere in den Datenfeldern HE-SIGA und HE-SIGB, [0030].
38
3. Die Klagepatentschrift stellt sich daher (objektiv) die Aufgabe, die Signalisierung in einem WLAN zu verbessern.
39
4. Gelöst werden soll diese Aufgabe zum Beispiel durch den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 und des nebengeordneten Anspruchs 8.
40
Die Merkmale der Ansprüche 1, 3 und 4 (in der geltend gemachten Fassung) gliedert die Kammer (in leichter Abweichung von der Gliederung der Parteien, wobei Beschränkungen unterstrichen sind) wie folgt:

1.

A method for sending a wireless local area network packet structure, comprising

[1.1]

determining a packet structure, wherein the packet structure comprises a high efficient signal field A, HE-SIGA, and a high efficient signal field B, HE-SIGB;

[1.1.1]

wherein the HE-SIGA comprises a ...sym HE-SIGB field with an indication information,

[1.1.1.1]

wherein if a current transmission mode is a full bandwidth MU-MIMO or single-user transmission, the indication information is used for indicating a number of scheduled users, and not used for indicating a number of symbols in the HE-SIGB;

[1.1.1.2]

if the current transmission mode is other transmission mode, the indication information is used for indicating a number of symbols in the HE-SIGB; and

[1.1.2]

wherein the HE-SIGA further comprises a transmission mode indication, indicating whether the transmission mode is the full bandwidth MU-MIMO or single-user transmission,

[1.1.2.1]

wherein the transmission mode indication comprises; an information that indicates that the current transmission mode is an OFMA transmission mode or a non-OFDMA transmission mode;

wherein non-OFDMA transmission mode means a full bandwidth MU-MIMO or single-user transmission.

[1.2]

sending the packet structure.

41
Ansprüche 8, 10 und 11 (in der geltend gemachten Fassung) gliedert die Kammer wie folgt (Beschränkungen unterstrichen):
8. A transmission apparatus in a wireless local area network, located on a sending side, comprising:

[8.1]

a module configured to determine a packet structure, wherein the packet structure comprises a high efficient signal field A , HE-SIGA, and a high efficient signal field B , HE-SIGB;

[8.1.1]

wherein the HE-SIGA comprises a ...sym HE-SIGB field with an indication information,

[8.1.1.1]

wherein if a current transmission mode is a full bandwidth MU-MIMO or single-user transmission, the indication information is used for indicating a number of scheduled users, and not used for indicating a number of symbols in the HE-SIGB;

[8.1.1.2]

if the current transmission mode is other transmission mode, the indication information is used for indicating a number of symbols in the HE-SIGB; and

[8.1.2]

wherein the HE-SIGA further comprises a transmission mode indication, indicating whether the transmission mode is the full bandwidth MU-MIMO or single-user transmission,

[8.1.2.1]

wherein the transmission mode indication comprises; an information that indicates that the current transmission mode is an OFMA transmission mode or a non-OFDMA transmission mode;

wherein non-OFDMA transmission mode means a full bandwidth MU-MIMO or single-user transmission.

[8.2]

a module configured to send the packet structure.

42
5. Ansprüche 1, 3 und 4 (in der geltend gemachten Fassung) schützen ein Verfahren zum Senden von Daten in einer Paketstruktur, das die Verfahrensschritte des Bestimmens einer Paketstruktur mit den Hocheffizienzfeldern A (HE-SIGA) und B (HE-SIG B) (Merkmalsgruppe 1.1) und des Sendens (Merkmal 1.2) umfasst.
43
Das Feld HE-SIGA umfasst nach Merkmalsgruppe 1.1.1 ein #sym HE-SIGB-Feld mit einer „indication information“ (Angabeinformation) und nach Merkmalsgruppe 1.1.2 eine „transmission mode indication“ (Übertragungsmodusangabe).
44
Die Angabeinformation wird in Merkmalen 1.1.1.1 und 1.1.1.2 näher erläutert. Danach wird sie genutzt, um eine Anzahl eingeplanter Nutzer anzuzeigen, wenn die aktuelle Übertragungsart MU-MIMO mit voller Bandbreite oder Einzelteilnehmerübertragung ist, und wortlautgemäß explizit nicht genutzt, um eine Anzahl von Symbolen in dem Feld HE-SIGB anzuzeigen.
45
Die „transmission mode indication“ wird in Merkmal 1.1.2.1 konkretisiert. Sie umfasst eine Information, die anzeigt, ob die aktuelle Übertragungsart OFDMA oder Nicht-OFDMA ist, wobei Nicht-OFDMA bedeutet: MU-MIMO mit voller Bandbreite oder Einzelteilnehmerübertragung.
46
6. Der Gegenstand der Ansprüche 8, 10 und 11 (in der geltend gemachten Fassung) schützt eine Übertragungsvorrichtung in einem W-LAN, angeordnet auf der Senderseite.
47
Die Vorrichtung verfügt nach Merkmal 8.1 über ein Modul, das zur Bestimmung einer Paketstruktur eingerichtet ist, und nach Merkmal 8.2 über ein Modul, das zur Versendung einer Paketstruktur eingerichtet ist.
48
Die Paketstruktur umfasst nach Merkmal 8.1 eine hocheffizientes Signalfeld A und ein hocheffizientes Signalfeld B.
49
Die Inhalte der Merkmalsgruppen 8.1.1 und 8.1.2 sind mit den Merkmalsgruppen 1.1.1 und 1.1.2 des (Verfahrens-) Anspruchs 1 identisch. Für die Vorrichtung bedeutet dies, dass sie geeignet sein muss, das Verfahren entsprechend den Merkmalen durchzuführen.
50
7. Einige Merkmale bedürfen näherer Erläuterung.
51
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind bei der Auslegung eines Patentanspruchs dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen. Denn für das Verständnis eines einzelnen technischen Merkmals ist zumindest im Zweifel die Funktion entscheidend, die es bei der Herbeiführung des erfindungsgemäßen Erfolgs hat. Dabei sind Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen und daher nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs zu berücksichtigen sind (vgl. BGH GRUR 2012, 1124 Rn. 27 – Polymerschaum). Patentansprüche sind dahin auszulegen, dass sich aus der Gesamtheit ihrer Merkmale ein sinnvolles Ganzes ergibt (vgl. BGH GRUR 2009, 653 Rn. 16 – Straßenbaumaschine; BGH GRUR 2008, 887 Rn. 21 – Momentanpol II).
52
Ausführungsbeispiele beschränken den Anspruch grundsätzlich nicht (vgl. BGH GRUR 2004, 1023, 1024 – bodenseitige Vereinzelungsanordnung). Ein Anspruch darf nicht nach Maßgabe dessen ausgelegt werden, was sich nach Prüfung des Stands der Technik als patentfähig erweist (BGH GRUR 2012, 1124, 1126, Rn. 28 – Polymerschaum m.w.N.). An die Auslegung eines Anspruchs durch das Patentgericht (etwa in den Entscheidungsgründen eines Urteils, oder in einem qualifizierten Hinweis nach § 83 PatG) ist das Verletzungsgericht nicht gebunden. Sie kann jedoch als wertvolle Auslegungshilfe dienen (OLG Düsseldorf BeckRS 2019, 31339, Rn. 16 m.w.N. – Blasenkathether-Set).
53
b) Das anspruchsgemäße Verfahren bezieht sich nach Merkmal 1 auf das Senden einer Paketstruktur in einem W-LAN. Das „Verfahren“ blickt auf jeweils einen einzelnen konkreten Übertragungsvorgang. Nach Merkmal 1.1 wird eine konkrete Paketstruktur bestimmt, gegebenenfalls ausgewählt aus einer Vielzahl von möglichen Paketstrukturen, die nach Merkmal 1.2 gesendet wird. Merkmal 1.1 konkretisiert, dass die Paketstruktur ein hocheffizientes Signalfeld HE-SIGA und ein hocheffizientes Signalfeld HE-SIGB aufweist. Beide hocheffizienten Signalfelder werden anspruchsgemäß in allen Übertragungsmodi (MU- MIMO mit voller Bandbreite, Einzelteilnehmerübertragung und andere Übertragungsarten) genutzt.
54
Das Verfahren nach Merkmalen 1 und 1.1. verlangt lediglich, dass eine Paketstruktur bestimmt wird, gegebenenfalls aus einer Vielzahl von zur Verfügung stehenden Paketstrukturen. Der Anspruch schließt nicht aus, dass in verschiedenen Übertragungsmodi verschiedene Paketstrukturen verwendet werden, und verlangt mithin nicht, dass immer dieselbe Paketstruktur verwendet wird. Der Anspruch schließt ebenso wenig aus, dass (vor dem Schritt des Bestimmens) eine Vielzahl von Paketstrukturen zur Verfügung steht: Der Anspruch spricht einleitend in den Merkmalen 1 und 1.1. zunächst unter Nutzung des unbestimmten Artikels von einer Paketstruktur („a (…) packet structure“). Hieraus lässt sich weder eine Begrenzung auf eine bestimmte noch auf eine einzige Paketstruktur ableiten. Erst in Merkmal 1.2 wird von der Paketstruktur gesprochen, mithin der in Merkmalsgruppe 1.1 bestimmten Paketstruktur.
55
Ein anderes Verständnis gebietet nicht die Beschreibung des Klagepatents. Soweit in [0020] von der Paketstruktur in 802.11ax gesprochen wird, handelt es sich um ein den Anspruch grundsätzlich nicht beschränkendes Ausführungsbeispiel. In [0019] ist insbesondere klargestellt, dass Figur 5 eine mögliche Paketstruktur in 802.11ax aufzeigt. Die Aufgabe, den Overhead zu reduzieren, gebietet ebenso wenig ein beschränkendes Verständnis des Anspruchs auf nur eine einzige denkbare Paketstruktur. Der zitierte Stand der Technik, der nur eine PPDU nutzt, begrenzt den Anspruch schließlich auch nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Anspruch insoweit auf vorbekannte Paketstrukturen beschränken sollte (zu Klageerwiderung S. 7, 26).
56
c) Entsprechendes gilt für den Vorrichtungsanspruch nach Merkmal 8.1.
57
Die Übertragungsvorrichtung umfasst hiernach ein Modul, das eingerichtet ist zur Bestimmung einer Paketstruktur. Der Anspruch adressiert nicht, wie die Bestimmung erfolgt. Eine Auswahlmöglichkeit aus verschiedenen vorhandenen Paketstrukturen verbietet der Anspruch nicht. Auf die obigen Erläuterungen wird verwiesen.
58
d) Nach Merkmal 1.1.1/8.1.1 umfasst das Feld HE-SIGA ein #sym HE-SIGB-Feld mit einer Angabeinformation, die für unterschiedliche Zwecke genutzt wird:
59
Wenn der aktuelle Übertragungsmodus ein MU-MIMO mit voller Bandbreite oder eine Einzelteilnehmerübertragung ist, wird die Angabeinformation nach Merkmal 1.1.1.1/8.1.1.1 genutzt, um eine Anzahl eingeplanter Teilnehmer anzuzeigen, und (explizit) nicht genutzt, um eine Anzahl von Symbolen in HE-SIGB anzuzeigen. Wenn der aktuelle Übertragungsmodus ein anderer Übertragungsmodus ist, wird die Angabeinformation genutzt, um eine Anzahl von Symbolen in dem HE-SIGB anzuzeigen, Merkmal 1.1.1.2/8.1.1.2.
60
aa) Das Feld #sym HE-SIGB soll grundsätzlich für die Anzeige einer Anzahl von Symbolen in dem HE-SIGB genutzt werden, [0031]. Die Fachperson – nach der Definition des Patentsgerichts, dem sich die Kammer in Übereinstimmung mit den Parteien anschließt, ein/e Ingenieur/in der Fachrichtung Nachrichtentechnik oder Informatiker/in mit Hochschulabschluss, mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung oder Weiterbildung von drahtlosen Informationsübertragungsnetzen, insbesondere von W-LAN- Netzen – erkennt nach Lektüre der Klagepatentschrift, dass sich das Merkmal auf das in [0032] (entsprechend [0053] der Ursprungsoffenbarung, Anlage B5) erläuterte Ausführungsbeispiel stützt. Die Fachperson versteht, dass sich hiernach eine Einsparung von Overhead ergeben soll, indem das HE-SIGB-Feld, das üblicherweise für die Angabe der Anzahl der Symbole verwendet wird, in einem besonderen Fall – MU-MIMO mit voller Bandbreite oder Einzelteilnehmerübertragung – nur für die Angabe der eingeplanten Nutzer verwendet wird, und das common field des HE-SIGB in dem Fall keine Information über die eingeplante Anzahl an Nutzern enthält.
61
Das Feld ...sym HE-SIGB mag patentgemäß nicht auf die Angabeinformation beschränkt sein, was aus der weiten Formulierung „with an indication information“ folgt. Die Fachperson erkennt jedoch, dass die Merkmale 1.1.1/8.1.1 und 1.1.1.1/8.1.1.1 in der Gesamtheit des Sinngehalts des Patentanspruchs dahin zu verstehen sind, dass erfindungsgemäß ausgeschlossen sein soll, das Feld #sym HE-SIGB so zu verwenden, dass neben der merkmalsgemäßen Angabeinformation eine weitere Information über die Anzahl der Symbole in dem HE-SIGB-Feld signalisiert wird. Insoweit versteht die Fachperson nach Lektüre der Beschreibung und besonders des Ausführungsbeispiels 1, das sich das Teilmerkmal „and not used for indicating a number of symbols in the HE-SIGB” richtigerweise auf das HE-SIGB-Feld bezieht und nicht auf die „Angabeinformation“.
62
bb) Anspruch 1 sieht ein Verfahren vor, in dem die Angabeinformation je nach Fallgruppe die Anzahl der eingeplanten Nutzer oder die Anzahl der Symbole im HE-SIGB-Feld umfasst. MU-MIMO mit voller Bandbreite und Einzelteilnehmerübertragung werden durch Merkmal 1.1.1.1 gemeinsam adressiert und behandelt, andere Übertragungsarten werden als „other transmission mode“ im Sinne des Merkmals 1.1.1.2 erfasst. Der Anspruch sieht mithin eine Fallunterscheidung vor. Gleiches gilt insoweit für Anspruch 8 (dort die Merkmale 8.1.1.1 und 8.1.1.2).
63
Insoweit nehmen beide Ansprüche die Situation in den Blick, in der sowohl bei MU- MIMO mit voller Bandbreite als auch bei einer Einzelteilnehmerübertragung die Angabeinformation nach Merkmal 1.1.1.1/ 8.1.1.1 (nur) für die Angabe der Anzahl eingeplanter Nutzer verwendet wird. Eine Alternative im Sinn einer Beanspruchung zweier selbständiger, nebengeordneter Gegenstände wird wortsinngemäß nicht eröffnet. Die gemeinsame Behandlung beider Fälle beruht darauf, dass in beiden Fällen eine von dem Klagepatent verfolgte Einsparung erzielt werden kann. In der Beschreibung werden MU-MIMO mit voller Bandbreite und Einzelteilnehmerübertragung dementsprechend in Ausführungsbeispiel 1 des Klagepatents als „special case“ zusammen behandelt, [0037].
64
Unstreitig schließen sich im Rahmen einer konkreten Übertragung jedoch die Übertragungsarten MU-MIMO und Einzelteilnehmerübertragung gegenseitig aus. Im Rahmen einer konkreten Übertragung kann mithin stets nur eine der beiden Übertragungsarten zur Anwendung kommen. Die von den Parteien im Rahmen der Auslegung als Alternativität des Anspruchs diskutierte Frage betrifft daher im Kern die Frage, wann in rechtlicher Sicht eine Benutzungshandlung vorliegt. Dieser Aspekt ist an gegebener Stelle weiter unten zu adressieren.
65
Gleiches gilt für die Frage, ob das soeben erläuterte Verfahren mit Fallunterscheidung in ausnahmslos allen Fällen durchlaufen werden muss, ob „if“ in den Merkmalen 1.1.1.1/8.1.1.1 und 1.1.1.2/8.1.1.2 mithin „immer, wenn“ bedeutet. Der Anspruch sieht vor, dass der Fallunterscheidung Folge geleistet wird. Bei der um dieses Teilmerkmal geführten Diskussion geht es im Kern wiederum um die Frage, wann rechtlich gesehen eine Benutzung eines Merkmals vorliegt. Dies wird weiter unten behandelt.
66
cc) Die in Merkmal 1.1.1.1/8.1.1.1 angesprochene Einzelteilnehmerübertragung ist nicht nur eine solche mit voller Bandbreite.
67
Das lässt sich dem Wortsinn des Anspruchs nicht entnehmen. Merkmal 1.1.1.1/8.1.1.1 spricht den MU-MIMO mit voller Bandbreite an, lässt bei der Einzelteilnehmerübertragung aber offen, ob es sich um eine solche mit voller Bandbreite handelt (zu Klageerwiderung S. 22). Es mag sein, dass der technische Vorteil, den die patentgemäße Erfindung anstrebt, nur im Fall einer Einzelteilnehmerübertragung mit voller Bandbreite erzielt wird (dazu Replik S. 16). Hierauf ist der Anspruch jedoch nicht beschränkt.
68
e) Das „Angeben“ in Merkmal 1.1.1.2/8.1.1.2 schließt einen Berechnungsschritt für die Anzahl der Symbole nicht aus. Das Teilmerkmal „indicating“ ist nach Wortlaut und Wortsinn weit zu verstehen. Es ist nicht auf eine eineindeutige Angabe beschränkt.
69
f) Nach Merkmalsgruppe 1.1.2/8.1.2 (entsprechend Unteranspruch 3, 10) muss das HE- SIGA-Feld weiter eine Übertragungsmodusangabe umfassen. Sie gibt an, ob der Übertragungsmodus MU-MIMO mit voller Bandbreite oder Einzelteilnehmerübertragung ist. Die Übertragungsmodusangabe umfasst nach Merkmal 1.1.2.1/8.1.2.1 (entsprechend Unteranspruch 4, 11) des Weiteren eine Information, die angibt, dass die aktuelle Übertragung ein OFDMA-Übertragungsmodus oder ein Nicht-OFDMA-Übertragungsmodus ist. Nicht- OFDMA-Übertragung meint nach Merkmal 1.1.2.1/8.1.2.1 eine MU-MIMO-Übertragung mit voller Bandbreite oder eine Einzelteilnehmerübertragung. Der „other transmission mode“ wird dabei durch Merkmal 1.1.2.1/8.1.2.1 (Unteranspruch 4, 11) als OFDMA-Übertragungsmodus definiert.
70
Die Übertragungsmodusangabe muss jedenfalls den Zustand angeben, ob eine Übertragung mittels MU-MIMO mit voller Bandbreite oder eine Einzelteilnehmerübertragung vorliegt. MU-MIMO mit voller Bandbreite und Einzelteilnehmerübertragung können jeweils einen eigenen Zustand haben, das ist jedoch nicht zwingend (ebenso Patentgericht, Hinweis Anlage B8, S. 17).
71
„Information, die (…) angibt“ („an information that indicates“) in Merkmal 1.1.2.1/8.1.2.1 ist weit zu verstehen. Der Anspruch macht keine konkreten Vorgaben, wie die Angabe zu erfolgen hat. Die Patentschrift verhält sich hierzu ebenso nicht. Daher lässt der Anspruch zu, dass aus der Information ein Rückschluss gezogen werden muss, oder basierend auf der Information ein Rechenschritt erfolgen muss. Die Übertragungsmodusangabe muss mithin nicht vier verschiedene Anzeigemöglichkeiten bieten. Ausreichend ist, mittels einer Information (angezeigt in 1 Bit) die nach beiden Merkmalen 1.1.2/8.1.2 und 1.1.2.1/8.1.2.1 geforderten Informationen zu übermitteln. Merkmal 1.1.2.1/8.1.2.1 konkretisiert Merkmal 1.1.2/8.1.2 insoweit weiter, führt aber kein zusätzliches Lösungsmittel ein. Das bedeutet keine „Ersetzung“ der Übertragungsmodusangabe nach Merkmal 1.1.2/8.1.2 durch die Information nach Merkmal 1.1.2.1/8.1.2.1, sondern eine Gleichsetzung: Mittels eines Signals können zwei Informationen angegeben („indicate“) werden (zu Schriftsatz der Beklagten vom 06.06.2023, S. 14).
72
II. Die Beklagte verletzt das Klagepatent in der geltend gemachten Fassung von Anspruch 8 mit der angegriffenen Ausführungsform unmittelbar wortsinngemäß, § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG. Die Ausführungsform weist sämtliche Merkmale des Klagepatents auf.
73
1. Die Verwirklichung der Merkmale 8, 8.1.1, 8.1.2.1 und 8.2 ist zwischen den Parteien zu Recht nicht streitig. Die Merkmale 8.1, 8.1.1.1, 8.1.1.2 und 8.1.2.1 sind verwirklicht.
74
a) Die Ausgestaltung der angegriffenen Vorrichtungen ist zwischen den Parteien insoweit unstreitig, als sie mit dem Wi-Fi 6-Standard kompatibel sind und den Wi-Fi 6-Standard nutzen.
75
b) Eine Benutzung des Merkmals 8.1 liegt vor. Der Standard sieht ein Verfahren zum Senden einer Paketstruktur in einem W-LAN vor, wobei unter anderem eine Paketstruktur bestimmt wird, die die hocheffizienten Signalfelder A und B vorsieht. Eine standardgemäß arbeitende Vorrichtung auf Senderseite muss dementsprechend ein Modul aufweisen, das eingerichtet ist, eine Paketstruktur mit den hocheffizienten Signalfeldern HE-SIGA und HE- SIGB zu bestimmen (Merkmal 8.1).
76
aa) Eine Verwirklichung eines Merkmals liegt vor, wenn die angegriffene Ausführungsform aufgrund ihrer Beschaffenheit und Verwendungstauglichkeit objektiv in der Lage ist, die Merkmale des Patentanspruchs zu erfüllen (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 15. Auflage 2023, A.147). Eine Benutzung besteht auch, wenn nur in Ausnahmefällen eine Verwirklichung aller Merkmale gegeben ist (Haedicke/Timmann, in: Haedicke/Timmann, Handbuch des Patentrechts, 2. Auflage 2020, § 12 Rn. 13 m.w.N.; BGH GRUR 2006, 399, 401, Rn. 21 - Rangierkatze). Es wird bei der Bewertung einer Benutzung auf die Gemeinsamkeiten zwischen geltend gemachtem Anspruch und der angegriffenen Ausführungsform geachtet, nicht auf die Unterschiede (Werner, in: Busse/ Keukenschrijver, PatG, 9. Auflage 2020, § 14 Rn. 54 m.w.N.).
77
bb) Hiernach verwirklichen die angegriffenen Ausführungsformen Merkmal 8.1.
78
Prüfungsgegenstand ist nach dem oben dargestellten Maßstab nicht, ob Standard und beanspruchte Vorrichtung in allen denkbaren Fällen die gleichen Schritte durchführen. Vielmehr ist Prüfungsgegenstand, ob in konkreten Übertragungskonstellationen, die der Standard (unter anderem) vorsieht, die angegriffene Ausführungsform Anspruch 8 benutzt. Das ist der Fall:
79
Der Standard sieht die Möglichkeit vor, eine „HE MU PPDU“, d.h. eine High-Efficiency (HE) Multi-User (MU) Physical layer Protocol data unit (PPDU), durch Access Points, zu versenden, s. K9 S. 42:
80
Diese Paketstruktur verfügt über ein hocheffizientes Signalfeld A und ein hocheffizientes Signalfeld B, wie Figur 27-9 des Standards (nachfolgend mit Markierungen der Klägerin, Klage S. 37) verdeutlicht:
81
Vor der Versendung muss die Paketstruktur bestimmt werden. Eine standardgemäß arbeitende Vorrichtung muss mithin ein Modul aufweisen, um die entsprechende Bestimmung vorzunehmen. Damit ist Merkmal 8.1 verwirklicht.
82
Irrelevant ist, dass der Standard – unstreitig – insgesamt vier verschiedene Paktstrukturen kennt (HE SU PPDU, HE MU PPDU, HE ER SU PPDU und HE TB PPDU), wie Abschnitt 27.3.4 belegt:
83
Wie zuvor erläutert, verbietet der Anspruch nicht die grundsätzliche Möglichkeit, im Rahmen unterschiedlicher Übertragungsmodi unterschiedliche Paketstrukturen zu verwenden. Dass insoweit jeweils eine Paketstruktur zum Versenden bestimmt wird, bestreitet die Beklagte nicht.
84
Irrelevant ist ebenso, dass der Standard für die anderen drei Paketstrukturen (HE SU PPDU, HE ER SU PPDU und HE TB PPDU) kein HE-SIGB-Feld vorsieht. In den Fällen, in denen standardgemäß die drei vorgenannten Paketstrukturen eingesetzt werden, weisen angegriffene Ausführungsform und der Anspruch keine Gemeinsamkeit auf, so dass insoweit keine Benutzung vorliegt. Dieser Umstand führt nach oben genanntem Maßstab gleichwohl nicht aus der Verletzung für die Fälle, in denen eine anspruchsgemäße Paketstruktur bestimmt wird, mithin im Falle der Nutzung einer HE MU PPDU (zu Klageerwiderung S. 27/28, Schriftsatz der Beklagten vom 04.08.2023, S. 4/5).
85
c) Merkmal 8.1.1.1 ist bei Nutzung der HE MU PPDU im Falle einer MU-MIMO- Übertragung mit voller Bandbreite durch Access Points der Beklagten erfüllt. Im Falle einer MU-MIMO-Übertragung mit voller Bandbreite wird die Angabeinformation standardgemäß genutzt, um die Anzahl eingeplanter Nutzer anzugeben, und nicht, um die Anzahl von Symbolen im HE-SIGB-Feld anzugeben. Eine standardgemäß arbeitende Vorrichtung muss dementsprechend eingerichtet sein, die Angabeinformation wie vorgegeben zu nutzen.
86
(1) Aus den nachfolgenden Stellen des Standards (mit Markierungen der Klägerin, Klage S. 38) ergibt sich, dass in den Bits 18-21 die Anzahl der MU-MIMO-Nutzer angegeben wird, wenn das HE-SIGB-B Compression field 1 ist. Es wird auf 1 gesetzt, wenn das Common field in dem HE-SIG-B-Feld nicht präsent ist:
Im Einzelnen:
87
In den Bits B18 bis B21 wird nach Tabelle 27-20 die Anzahl der HE-SIGB-Symbole oder der MU-MIMO-Nutzer angegeben, wie sich aus der Spalte „Field“ ergibt (oben orange markiert). In der Spalte „Description“ ist erläutert, dass die Anzahl von Symbolen in dem HE- SIGB-Feld angezeigt wird, wenn das HE-SIGB Compression 0 ist. Wenn das HE-SIGB Compression 1 ist, wird die Anzahl der Nutzer angezeigt.
88
Das HE-SIGB Compression field wird auf 0 gesetzt, wenn das Common field in dem HE-SIGB-Feld präsent ist, und auf 1, wenn das Common field in dem HE-SIGB-Feld nicht präsent ist (Bit B22).
89
Dazu ist in Abschnitt 27.3.2.5 des Standards beschrieben (dazu noch sogleich unten):
90
Abschnitt 27.3.11.8.4 ist zu entnehmen, dass eine Übertragung im full bandwidth MU- MIMO stattfindet, wenn das compression field auf 1 gesetzt ist (Darstellung mit Markierungen der Klägerin, Klage S. 42):
91
Es ist unstreitig, dass es MU-MIMO-Übertragungen mit voller Bandbreite gibt, bei denen die Anzahl der geplanten Nutzer angezeigt wird. Das bewirkt eine Benutzung des Merkmals 8.1.1.1.
92
(2) Aus dem Umstand, dass der Standard eine MU-MIMO-Übertragung mit voller Bandbreite mit oder ohne Angabe der Anzahl der Nutzer zulässt, weil der Standard keine Vorgaben dazu macht, wann das Common field weggelassen werden darf, folgt keine Nichtverletzung.
93
Die Kammer kann an dieser Stelle zugunsten der Beklagten als zutreffend unterstellen, dass es Situationen gibt, in denen eine MU-MIMO-Übertragung mit voller Bandbreite erfolgt, und die Anzahl der Symbole in dem HE-SIGB angezeigt wird (was die Klägerin bestreitet, Replik S. 13). Es ist nach dem Standard jedoch unstreitig jedenfalls möglich, dass eine MU- MIMO-Übertragung mit voller Bandbreite erfolgt, und die Anzahl der Nutzer in der Angabeinformation angezeigt wird. Das genügt für eine Verletzung (zu Klageerwiderung S. 31, Duplik S. 22/24).
94
Ein anderes folgt nicht aus Abschnitt 27.3.2.5 des Standards. Selbst wenn man dem Abschnitt die Bedeutung zumisst, dass er weitere Bedingungen für das Setzen des Compression fields auf 1 angibt (was die Klägerin bestreitet, Replik S. 15), bewirkt dies nicht eine Nichtverletzung oder eine Optionalität. Vielmehr ist jedenfalls in den Fällen, in denen die weiteren Bedingungen erfüllt sind, eine Verletzung und damit eine Standardessentialität gegeben (zu Duplik S. 22/24).
95
Ebenso wenig bewirkt der Umstand, dass im Falle einer Einzelteilnehmerübertragung nur in einem Sonderfall die HE MU PPDU-Struktur genutzt wird, eine Nichtverletzung. Wenn eine Einzelteilnehmerübertragung vorliegt und eine Paktstruktur ohne HE-SIGB-Feld verwendet wird, benutzt die angegriffene Ausführungsform nicht Anspruch 8. Die (standardgemäße) Wirkungsweise der angegriffenen Ausführungsform liegt in diesem Fall außerhalb des Anspruchs. Das führt für die anderen Fälle nicht aus der Verletzung (zu Klageerwiderung S. 32/33).
96
Soweit die Beklagte weitere Beispiele aufzeigt, in denen der Anspruch nicht erfüllt ist (im Falle einer Einzelteilnehmerübertragung mittels HE MU PPDU mit nicht voller Bandbreite, einer Übertragung einer Ressource Unit voller Bandbreite an einen Single User mittels HE MU PPDU mit oder ohne Angabe der Anzahl der Nutzer, einer Ressource Unit voller Bandbreite an einen Single User mittels des Formats HE MU PPDU nur unter weiteren Bedingungen) erläutert sie Gegenbeispiele, die ebenfalls nicht aus der Verletzung in anderen Fällen führen.
97
Aus diesem Grund wirkt sich die Behauptung der Beklagten nicht entscheidungserheblich aus, die Nutzung einer HE MU PPDU für die Übertragung an einen einzelnen Nutzer sei nur ein optionales Feature des Standards und die Geräte der Beklagten sendeten im Falle einer Einzelteilnehmerübertragung keine HE MU PPDU. Denn hierauf kommt es nach dem unter (1) gesagten nicht an. Die Tests der Beklagten, deren Durchführung die Klägerin bestreitet (Replik S. 21), sind daher für diese Frage nicht relevant (zu Klageerwiderung S. 41, Duplik S. 23). Ebenso wenig kommt es auf die (klägerseits bestrittenen) Angaben der Zulieferer und die Tests der Klägerin, die die Nutzung von HE MU PPDUs mit HE-SIGB-Kompression belegen sollen (Testbericht K21) hier noch an.
98
d) Merkmal 8.1.1.2 ist ebenfalls verwirklicht.
99
Aus der oben abgebildeten Tabelle 27-20 ist ersichtlich, dass die Anzahl der Symbole in HE-SIGB angezeigt werden kann, wenn der aktuelle Übertragungsmodus ein anderer Übertragungsmodus ist. Dass dies nur geschieht, wenn die Anzahl kleiner 16 ist, anderenfalls die Anzahl der Symbole auf 15 gesetzt wird, und die Empfangsstationen die genaue Anzahl der Symbole berechnen müssen, hindert die Annahme einer Verwirklichung des Merkmals nach oben genanntem rechtlichen Maßstab nicht. Jedenfalls dann, wenn die Anzahl kleiner 16 ist, wird die Anzahl der Symbole (direkt, ohne weiteren Berechnungsschritt) angezeigt. Im Übrigen verbietet das Merkmal nicht einen Berechnungsschritt, wie oben erläutert (zu Klageerwiderung S. 41/42).
100
e) Merkmale 8.1.2 und 8.1.2.1 werden ebenfalls genutzt. Das folgt aus vorzitierter Tabelle, Standard K9, S. 550 (mit Markierungen der Klägerin):
101
Dort ist mit Bit B22 das Feld HE-SIGB Compression gezeigt. Es wird, wie oben erläutert, auf 0 gesetzt, wenn das Common field im HE-SIGB-Feld präsent ist, und auf 1, wenn das Common field im HE-SIGB-Feld nicht präsent ist. Wenn das Compression-Feld auf 0 gesetzt ist, wird die Anzahl der Symbole im HE-SIGA-Feld angegeben (entsprechend Merkmal 8.1.1.2). Wenn das Compression-Feld auf 1 gesetzt ist, wird die Anzahl der Nutzer angegeben (entsprechend Merkmal 8.1.1.1). Damit wird angegeben („indicate“), dass eine Übertragung mittels MU-MIMO mit voller Bandbreite vorliegt (Merkmal 8.1.2), und damit auch, dass eine nicht-OFDMA-Übertragung besteht (Merkmal 8.1.2.1).
102
Dass das compression bit B 22 nur zwei Zustände anzeigen kann, steht der Verwirklichung nicht entgegen. Wie oben dargetan, fordern die Merkmale nicht die Möglichkeit, vier verschiedene Stadien anzuzeigen (zu Schriftsatz der Beklagten vom 06.06.2023, S. 15).
103
III. Vom Gegenstand des Anspruchs 1 machen die angegriffenen Verletzungsformen mittelbar wortsinngemäß Gebrauch, § 10 Abs. 1 PatG.
104
1. Die Voraussetzungen der mittelbaren Patentverletzung sind gemäß § 10 Abs. 1 PatG erfüllt. Der Gefährdungstatbestand nach § 10 PatG wird objektiv und subjektiv verwirklicht.
105
a) Mittel sind die angegriffenen Verletzungsformen (Produkte der Beklagten, die den Wi-Fi 6 Standard verwirklichen), weil sie Gegenstände sind, die selbst noch nicht die Lehre des Patentanspruchs 1 (wortsinngemäß oder äquivalent) verwirklichen, aber geeignet sind, zur unmittelbaren Benutzung der Erfindung (in wortsinngemäßer oder äquivalenter Form) verwendet zu werden.
106
b) Diese Mittel beziehen sich auf ein wesentliches Element der Erfindung.
107
Die Geräte können das in Anspruch 1 beanspruchte Verfahren ausführen. Da die in Anspruch 1 enthaltenen Merkmale maßgeblich durch die angegriffenen Verletzungsformen verwirklicht werden, tragen sie damit zum erfindungsgemäßen Leistungsergebnis maßgeblich bei.
108
c) Die angegriffenen Verletzungsformen (Produkte der Beklagten, die den Wi-Fi 6 Standard verwirklichen) sind objektiv zur unmittelbaren Patentbenutzung geeignet.
109
Wenn eine angegriffene Verletzungsform bestimmungsgemäß vom Nutzer im WLAN eingesetzt wird, sind nach Anspruch 1 die Voraussetzungen zur Anwendung des Verfahrens gegeben. Die angegriffenen Mittel sind geeignet, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden. Nach der objektiven Beschaffenheit der angegriffenen Verletzungsformen und ihrer Einbindung in den Wi-Fi 6-Standard ist dies der Fall, weil eine unmittelbare wortsinngemäße Benutzung der geschützten Lehre mit allen ihren Merkmalen durch die Nutzer möglich ist. Diese Benutzung durch Nutzer ist bereits erfolgt.
110
aa) Eine Benutzung der Merkmale 1 und 1.1 liegt vor.
111
Der Standard, den die angegriffenen Ausführungsformen nutzen, sieht ein Verfahren zum Senden einer Paketstruktur in einem W-LAN vor (Merkmal 1), wobei unter anderem eine Paketstruktur bestimmt wird, die die hocheffizienten Signalfelder A und B vorsieht (Merkmal 1.1), wie oben entsprechend zu Anspruch 8 (dort Merkmal 8.1) erläutert.
112
bb) Merkmal 1.1.1.1 ist bei Nutzung der HE MU PPDU im Falle einer MU-MIMO- Übertragung mit voller Bandbreite durch Access Points der Beklagten erfüllt.
113
Im Fall einer MU-MIMO-Übertragung mit voller Bandbreite wird die Angabeinformation genutzt, um die Anzahl eingeplanter Nutzer anzugeben, und nicht, um die Anzahl von Symbolen im HE-SIGB-Feld anzugeben, wie oben für Anspruch 8 (fort Merkmal 8.1.1.1) dargetan.
114
cc) Merkmal 1.1.1.2 ist verwirklicht, wie oben zu Merkmal 8.1.1.2 erläutert.
115
dd) Merkmale 1.1.2 und 1.1.2.1 werden ebenfalls genutzt, wie zu Merkmal 8.1.2 und 8.1.2.1 dargetan.
116
2. Das Angebot oder die Lieferung im Inland zur Benutzung der Erfindung im Inland ist erfolgt.
117
3. Der subjektive Tatbestand ist gegeben.
118
Die subjektive Bestimmung des Nutzers zur unmittelbaren patentverletzenden Verwendung ist offensichtlich. Die angegriffenen Verletzungsformen sehen die patentverletzende Funktionalität (Wi-Fi 6-Kompabilität) vor. Es ist evident, aber zumindest davon auszugehen, dass sie vom Nutzer der Vorrichtungen entsprechend ausgeführt wird. Die objektive Eignung und die Verwendungsbestimmung der Abnehmer sind für die Beklagtenseite offensichtlich.
119
IV. Die Beklagten sind unstreitig passivlegitimiert.
120
V. Damit stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche wie tenoriert zu.
121
1. Der Anspruch auf Unterlassung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG. Die Wiederholungsgefahr wird durch die rechtswidrigen Benutzungshandlungen indiziert.
122
a) Ein Schlechthinverbot ist hinsichtlich Ziffer A.I.1. des Tenors bei der mittelbaren Patentverletzung geboten. Die angegriffenen Verletzungsformen werden technisch und wirtschaftlich sinnvoll in patentverletzender Weise verwendet. Das hat die Beklagtenseite nicht in Zweifel gezogen.
123
b) Der Unterlassungsanspruch ist nicht aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit ausgeschlossen, § 139 Abs. 1 S. 3 PatG. Er ist verhältnismäßig, § 139 Abs. 1 S. 3 PatG.
124
aa) Gemäß § 139 Abs. 1 S. 3 PatG ist der Unterlassungsanspruch ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde.
125
Der Unverhältnismäßigkeitseinwand des § 139 Abs. 1 S. 3 PatG ist auf besondere Ausnahmefälle begrenzt. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass der Unterlassungsanspruch die logische Folge des Ausschließlichkeitsrechts ist. Mit der Erteilung des Patents entstehen an der patentierten Erfindung absolute Rechte, die neben ihrem Zuweisungsgehalt einen Ausschlussgehalt besitzen, so dass der Inhaber des Rechts grundsätzlich jedermann von der Nutzung der patentierten Lehre ausschließen kann. So erlauben sie insbesondere – im Rahmen der übrigen gesetzlichen, insbesondere der patent- und kartellrechtlichen Vorgaben – den Ausschluss Dritter von der Nutzung der patentierten Lehre. Um sein Ausschließlichkeitsrecht durchzusetzen ist der Patentinhaber in aller Regel auf den Unterlassungsanspruch angewiesen.
126
Der Gesetzgeber hat in der Begründung des 2. PatModG klargestellt, dass eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Der Unterlassungsanspruch ist die regelmäßige Sanktion der Patentrechtsordnung bei einer Patentverletzung. Darlegungs- und beweisbelastet für eine Unverhältnismäßigkeit ist die Beklagtenseite. Eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs kommt nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht (BT-Drs. 19/25821, S. 53).
127
Wenn der Patentverletzer besondere Umstände darlegt, die im Einzelfall eine nicht gerechtfertigte Härte begründen können, kann es im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls und bei einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände unter Berücksichtigung des Gebotes von Treu und Glauben und der grundsätzlich vorrangigen Interessen des Verletzten an der Durchsetzung seines Unterlassungsanspruchs ausnahmsweise darauf ankommen, ob der Verletzte selbst Produkte oder Komponenten herstellt, die mit dem patentverletzenden Produkt in Wettbewerb stehen, oder ob primär eine Monetarisierung seiner Rechte das Ziel des Patentinhabers ist (BT-Drs. 19/25821, S. 53). Im Übrigen können wirtschaftliche Auswirkungen der Unterlassungsverfügung, die Komplexität von Produkten, subjektive Gesichtspunkte auf beiden Seiten und Drittinteressen zu berücksichtigen sein. So kann etwa zu Lasten des Verpflichteten eine fehlende Lizenzwilligkeit gesehen werden (BT-Drs. 19/25821, S. 54).
128
bb) Bei Anwendung dieser Maßstäbe greift der von der Beklagten erhobene Einwand der Unverhältnismäßigkeit nicht durch. Unter Berücksichtigung aller Umstände des zwischen den Parteien geführten Rechtsstreits und ihrer maßgeblichen Interessen hat die Beklagte eine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs nicht dargetan.
129
Soweit die Beklagte ausführt, der Unterlassungsanspruch diene in SEP-Fällen nurmehr der Sicherung des Verwertungsanspruchs, führt dies nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs solange über die Höhe der Lizenzraten zwischen den Parteien sinnvoll verhandelt werden kann. Die Beklagte verkehrt insoweit das Regel- Ausnahmeverhältnis, das § 139 Abs. 1 PatG aufstellt, in ihr Gegenteil. Aus denselben Gründen verfängt der Verweis auf andere Rechtsordnungen nicht. Insoweit ist mit der Beklagten zu berücksichtigen, dass der Nutzer eines SEPs grundsätzlich einen Anspruch auf Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen hat. Dass der Lizenzvertrag im vorliegenden Fall noch nicht abgeschlossen ist, ist – wie sogleich unter D. gezeigt wird – indes der Beklagten anzulasten. Wie oben erläutert, kann auch die Lizenzunwilligkeit bei einer Interessenabwägung zu berücksichtigen sein. Die Beklagte hatte und hat die Möglichkeit, ihr patentverletzendes Handeln zu legitimieren. Sie hat (bislang) von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch gemacht. Dass die Klägerin ihre Patentrechte gegen einen lizenzunwilligen Patentverletzer durchsetzen muss und hierzu auf ein gerichtliches Verfahren angewiesen ist, ist dann logische Folge. Dies begründet im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung keine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs.
130
Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der herrschenden Meinung in der rechtswissenschaftlichen Literatur: Kommt der Patentinhaber seinen FRAND-Verpflichtungen nach, so eröffnet § 139 Abs. 1 S. 3 PatG dem Patentverletzer bei Fehlen weiterer, die Unverhältnismäßigkeit begründender Umstände keine zusätzliche Verteidigungsmöglichkeit (vgl. Ohly, GRUR 2021, 1229, 1236).
131
2. Der Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB. Diese sind Hilfsansprüche zu den, dem Grunde nach gegebenen, Ansprüchen der Klägerin auf Entschädigung und Schadensersatz.
132
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
133
Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern.
134
Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben der Beklagten angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagten werden durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Der Wirtschaftsprüfervorbehalt ist wie beantragt zu gewähren. Wegen der Akzessorietät zum Schadensersatzanspruch, der ein Verschulden voraussetzt, ist die (beantragte) Karenzzeit von einem Monat ab Patenterteilung zu berücksichtigen.
135
In elektronischer Form ist - wie tenoriert - Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen (vgl. LG München I, Urt. v. 12.11.2021 - 21 O 10885/16, GRUR-RS 2021, 40241).
136
3. Da die Beklagten die Verletzungshandlungen zumindest fahrlässig begangen haben, sind sie dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, § 139 Abs. 2 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
137
Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte im Geschäftsbetrieb der Beklagten spätestens einen Monat nach Veröffentlichung der Erteilung des Klagepatents erkannt werden können und müssen, dass dieses durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen verletzt wird.
138
Eine für die Feststellung der Schadensersatzpflicht ausreichende gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens ist wegen des bereits eingetretenen Schadens aufgrund der geschehenen Patentbenutzungen begründet.
139
Der Anspruch auf Entschädigung folgt aus Art. II § 1 Abs. 1 IntPatÜG. Die Klägerin hat (konkludent) jedenfalls eine Benutzungshandlung vor dem Entstehen des Schadensersatzanspruchs (vgl. OLG Düsseldorf, Teilurt. v. 03.11.2022 - 2 U 58/22, GRUR- RR 2023, 101 – Elektrohydraulisches Pressgerät) behauptet, die Beklagte eine solche nicht bestritten.
140
4. Die Ansprüche gegen die Beklagten auf Vernichtung der Verletzungsformen und deren Rückruf ergeben sich im Umfang des Tenors aus § 140a Abs. 1 und 3 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
C.
141
Die Beklagte kann diesen klägerischen Ansprüchen keinen vertraglichen Anspruch auf Einräumung von „reasonable rates“ aus der FRAND-Erklärung gegenüber IEEE als Gegenrecht entgegenhalten. Selbst wenn die Kammer zugunsten der Beklagten unterstellt, dass die IEEE-Erklärung der Klägerin den Beklagten einen vertraglichen Anspruch auf Abschluss eines Lizenzvertrages zu den im Letter of Assurance angeführten Bedingungen gäbe, scheidet die Geltendmachung eines solchen Gegenrechts hier aus.
142
I. Die Rechtswidrigkeit der Handlungen der Beklagten entfällt jedenfalls durch diesen geltend gemachten vertraglichen Anspruch nicht. Allein aus dem (zugunsten der Beklagten unterstellten) vertraglichen Anspruch ergibt sich noch keine Lizenz, noch kein Nutzungsrecht und auch keine sonstige Gestattung, die die Rechtswidrigkeit des gesetzlichen Anspruchs entfallen lassen könnte.
143
II. Gleichfalls kann die Beklagte diesen (zugunsten der Beklagten unterstellten) vertraglichen Anspruch hier nicht mit Erfolg einwenden. Insbesondere greift der dolo-agit- Einwand („dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“) wegen eigener Treuwidrigkeit der Beklagten nicht, § 242 BGB.
144
Selbst wenn die Kammer annimmt, die Beklagte hätte einen vertraglichen Anspruch auf Abschluss eines Lizenzvertrags zu FRAND-Konditionen, ist angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls unklar, mit welchem Inhalt dieser Vertrag zustande kommen sollte, ... als essentalia negotii zwischen den Parteien hoch umstritten ist.
145
Eine einfache Lösung für dieses Problem besteht nicht und sieht das Regelwerk nicht vor. Nach dem Verständnis der Kammer steht keine andere erfolgversprechende Möglichkeit zur Verfügung, diesen zentralen offenen Punkt angemessen zu lösen, als dass die Parteien konstruktiv, förderlich und zügig die Bedingungen ihres beidseits angestrebten Lizenzvertrags in einer Art und Weise aus- und verhandeln, die allein dem zügigen Abschluss des gewollten Lizenzvertrags dient. Eine Aufklärung durch Sachverständigenbeweis, was aus Sicht des amerikanischen Rechts ... wären, scheidet vorliegend wegen des treuwidrigen Verhaltens der Beklagten aus. Denn sie hat ihrerseits nicht sämtliche Schritte unternommen, um den Abschluss des von ihr angeblich gewollten Lizenzvertrags zeitnah voranzubringen, so dass ihr die Geltendmachung des dolo-agit-Einwands verwehrt ist. Nach dem ersten Hinweis auf das Patentportfolio der Klägerin, also vorgerichtlich, hat sich die Beklagte nicht, jedenfalls nicht hinreichend, um den Abschluss eines Lizenzvertrages ... durch konstruktives und zügiges Verhandeln bemüht. Außerdem hat sich die Beklagte auf den vertraglichen Anspruch auf Einräumung einer Lizenz mit ... basierend auf dem LoA erst sehr spät im Gerichtsverfahren (mit der Duplik im Parallelverfahren) berufen. Unter Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf eine den Unterlassungsanspruch ausschließende Wirkung der Geltendmachung dieses Anspruchs berufen.
D.
146
Der von den Beklagten erhobene kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand (sog. FRAND- Einwand) steht der Durchsetzbarkeit der klägerischen Ansprüche auf Unterlassung, Vernichtung, Rückruf und Entfernung nicht entgegen. Er greift mangels Lizenzwilligkeit der Unternehmensgruppe der Beklagten nicht durch.
147
Es kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin eine marktbeherrschende Stellung auf dem relevanten Markt besitzt, so dass sie Normadressatin des Art. 102 AEUV ist. Den sich aus dieser besonderen Stellung ergebenden Pflichten und Obliegenheiten ist die Klägerin hinreichend nachgekommen. Die Beklagte ist insbesondere auf die Verletzung hingewiesen worden. Entgegen der Annahme der Beklagten liegt jedoch kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung vor. Denn nach den Umständen des konkreten Einzelfalls ist die Beklagte nicht (hinreichend) lizenzwillig gewesen.
148
I. Ein Patentinhaber, der sich gegenüber einer Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, Lizenzen an einem standardessenziellen Patent (SEP) zu FRAND-Bedingungen (also fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen) zu erteilen, kann seine durch das standardessenzielle Patent vermittelte marktbeherrschende Stellung durch die Erhebung einer Verletzungsklage missbrauchen, wenn und soweit diese geeignet ist zu verhindern, dass dem Standard entsprechende Produkte auf den Markt gelangen oder auf dem Markt erhältlich bleiben (vgl. EuGH GRUR 2015, 764 – Huawei Technologies/ZTE; BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 – FRAND-Einwand I). Als missbräuchlich können insoweit grundsätzlich Klageanträge in Betracht kommen, die auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung von Produkten oder auf Vernichtung gerichtet sind (vgl. BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 – FRAND-Einwand I m. w. N.).
149
Der Unionsgerichtshof hat zur FRAND-Lizenz entschieden, dass der Inhaber eines von einer Standardisierungsorganisation normierten standardessenziellen Patents, der sich gegenüber dieser Organisation unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, seine marktbeherrschende Stellung nicht dadurch missbraucht, dass er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt, wenn er zum einen den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, hingewiesen hat und dabei das betreffende Patent bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll, und zum anderen, nachdem der angebliche Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, er dem Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat und dieser Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, reagiert, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und unter anderem impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird (vgl. EuGH aaO). Weiter hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass es dem Inhaber eines standardessenziellen Patents mit FRAND-Erklärung grundsätzlich nicht verboten ist, gegen den Verletzer seines Patents eine Verletzungsklage auf Rechnungslegung bezüglich der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das Patent oder auf Schadensersatz wegen dieser Handlungen zu erheben (EuGH aaO).
150
Die klageweise Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung sowie Vernichtung durch den Patentinhaber kann sich als missbräuchlich darstellen, wenn sich der Verletzer zwar (noch) nicht rechtsverbindlich zum Abschluss eines Lizenzvertrags zu bestimmten angemessenen Bedingungen bereiterklärt hat, dem Patentinhaber aber anzulasten ist, dass er sich seinerseits nicht hinreichend bemüht hat, der mit der marktbeherrschenden Stellung verbundenen besonderen Verantwortung gerecht zu werden und einem grundsätzlich lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzvertrags zu ermöglichen (BGH aaO – FRAND-Einwand I). Der Missbrauch der Marktmacht folgt aus der Ablehnung eines nachgefragten Zugangs zu der Erfindung schlechthin oder aus unangemessenen Bedingungen für einen nachgefragten Zugang, von denen der Patentinhaber auch am Ende von Verhandlungen nicht abzurücken bereit ist, mithin der Weigerung, dem den Abschluss eines Vertrags zu FRAND-Bedingungen anstrebenden Lizenznehmer als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses diejenigen fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen anzubieten, die dieser beanspruchen kann und zu denen er seinerseits bereit ist, mit dem Patentinhaber abzuschließen (vgl. BGH GRUR 2021, 585 Rn. 59 – FRAND-Einwand II). Aus einem nicht FRAND-Bedingungen entsprechenden Angebot als solchem ergibt sich noch kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung des Patentinhabers: Ein Missbrauch liegt erst darin, dem Patentverletzer die Verhandlung und den Abschluss eines in Ansehung der im Verhandlungsprozess artikulierten Interessen interessengerechten FRAND-Lizenzvertrags zu verweigern oder unmöglich zu machen und stattdessen das Patent oder eines der zu lizenzierenden Patente klageweise durchzusetzen (BGH aaO Rn. 78 – FRAND-Einwand II).
151
Derjenige, der das Patent benutzen will oder bereits benutzt und patentgemäße Produkte auf den Markt gebracht hat, obwohl er über keine Lizenz verfügt, muss bereit sein, eine Lizenz an diesem Patent zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen zu nehmen (BGH aaO Rn. 70 – FRAND-Einwand I). Denn auch der marktmächtige Patentinhaber kann die Lizenznahme niemandem aufdrängen; zwar kann der potenzielle Lizenznehmer von ihm den Abschluss eines Lizenzvertrags verlangen, der Patentinhaber ist aber darauf angewiesen, Ansprüche wegen Patentverletzung gegen denjenigen durchzusetzen, der die patentgemäße Lehre benutzen, einen Lizenzvertrag hierüber aber nicht abschließen will (vgl. BGH aaO Rn. 82 – FRAND-Einwand I). Der Verletzer muss sich daher klar und eindeutig bereiterklären, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen abzuschließen, und muss auch in der Folge zielgerichtet an den Lizenzvertragsverhandlungen mitwirken, weil „a willing licensee must be one willing to take a FRAND licence on whatever terms are in fact FRAND“ (BGH aaO Rn. 83 – FRAND- Einwand I). Unter welchen Umständen eine fehlende Lizenzbereitschaft des Patentverletzers vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls (BGH aaO Rn. 78 – FRAND-Einwand II).
152
Eine missbräuchliche Verweigerung durch den marktbeherrschenden Patentinhaber setzt zwingend ein fortdauerndes Verlangen des Verletzers nach Abschluss eines Vertrags zu FRAND-Bedingungen und dessen Bereitschaft zur Mitwirkung am Zustandekommen eines solchen Vertrags voraus, ohne die eine „Verweigerung“ des Patentinhabers ins Leere ginge (BGH aaO Rn. 66 – FRAND-Einwand II). Die Lizenzbereitschaft ist unentbehrlich, weil sich ein die gegenläufigen beiderseitigen Interessen ausbalancierendes, angemessenes Ergebnis in der Regel erst als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses erfassen lässt, in dem diese Interessen artikuliert und diskutiert werden, um auf diese Weise zu einem beiderseits gewünschten fairen und angemessenen Interessenausgleich zu gelangen. Die Anforderungen an das Verhalten des Patentinhabers und an das Verhalten des Nutzers der Erfindung bedingen sich dabei wechselseitig. Maßstab der Prüfung ist dasjenige, was eine vernünftige Partei, die an dem erfolgreichen und dem beiderseits interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, zur Förderung dieses Ziels in einem bestimmten Verhandlungsstadium jeweils tun würde (BGH aaO Rn. 59 – FRAND-Einwand II). Eine objektive Bereitschaft zum Abschluss eines FRAND-Lizenzvertrags zeigt sich regelmäßig in der an dem gemeinsamen Ziel eines erfolgreichen Abschlusses orientierten aktiven Förderung der Verhandlungen. Dabei bauen die Verhandlungsschritte von an einem Vertragsschluss interessierten Parteien aufeinander auf. Eine Förderpflicht besteht deshalb stets, wenn und insoweit nach den geschäftlichen Gepflogenheiten und den Grundsätzen von Treu und Glauben mit dem nächsten Verhandlungsschritt zu rechnen ist (BGH aaO Rn. 68 – FRAND- Einwand II).
153
Hat es eine Seite zunächst an der gebotenen Mitwirkung am Zustandekommen eines Lizenzvertrags zu FRAND-Bedingungen fehlen lassen, geht dies grundsätzlich zu ihren Lasten. Je nach Sachlage kann sie gehalten sein, begangene Versäumnisse so weit wie möglich zu kompensieren. Dies entspricht den üblichen Gepflogenheiten von an einem Vertragsschluss interessierten Personen, welche bei einer verzögerten Reaktion auf ein entsprechendes Verhandlungsangebot normalerweise damit rechnen müssen, dass die Gegenseite kein Interesse an einem Vertragsschluss mehr hat (BGH aaO Rn. 60 – FRAND- Einwand II).
154
Der Patentverletzer darf die Verhandlungen insbesondere nicht verzögern (EuGH aaO Rn. 66, 71). Denn anders als bei Vertragsverhandlungen, die ein lizenzwilliges Unternehmen vor Benutzungsaufnahme anstrebt, kann das Interesse des Verletzers auch – allein oder jedenfalls in erster Linie – darauf gerichtet sein, den Patentinhaber möglichst bis zum Ablauf der Schutzdauer des Klagepatents hinzuhalten, weil ihm dann keine Verurteilung zur Unterlassung mehr droht (BGH aaO Rn. 82 – FRAND-Einwand I). Eine Verzögerungstaktik besteht typischerweise darin, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen nicht schlichtweg abzulehnen, sondern ihn vorgeblich anzustreben, aber die Findung einer angemessenen Lösung im Einzelnen zu hintertreiben oder zumindest so lange wie möglich hinauszuschieben (BGH aaO Rn. 67 – FRAND-Einwand II). Die auf Grundlage objektiver Gesichtspunkte vorzunehmende Beurteilung, ob eine Verzögerungstaktik verfolgt wird, soll auch das weitere Verhalten des Verletzers auf eine Verletzungsanzeige oder ein Angebot des Patentinhabers in den Blick nehmen (BGH aaO Rn. 77 – FRAND-Einwand II).
155
Fehlt es an der Lizenzwilligkeit des Patentverletzers, kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs offengelassen werden, ob das Angebot des Patentinhabers (inhaltlich) FRAND-Bedingungen entspricht (BGH aaO Rn. 82, 101). Gänzlich entbunden von Reaktionspflichten und daher ebenfalls von der Pflicht, alle Einwände zugleich zu benennen, ist der Lizenzsucher allein in dem Fall, dass ein Angebot in einem Ausmaß FRAND-widrig ist, dass es bei objektiver Wertung als schlechterdings untragbar erscheint, daher als nicht ernst gemeint zu bewerten ist und in der Sache nach dem objektiven Empfängerhorizont eine Weigerung darstellt, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen (vgl. BGH aaO Rn. 71 – FRAND-Einwand II).
156
Nach der Rechtsprechung des Landgerichts München I trägt der beklagte Patentnutzer nach den üblichen zivilprozessualen Maßstäben grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Begründetheit seines kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands. Der FRAND-Einwand ist eine Einwendung des Beklagten und er muss grundsätzlich die für ihn günstigen Umstände darlegen und ggf. beweisen. Das gilt sowohl für den Umstand, das Verhalten (Angebot) des Patentinhabers sei schlechterdings untragbar als auch für die Rüge des Patentnutzers, durch die ihm angebotenen Vertragsbedingungen werde er gegenüber anderen Lizenznehmern des Patentinhabers diskriminiert. Zur Darlegung dieser Rüge gehört zumindest, dass er hierfür plausible Anhaltspunkte vorträgt. Je nach Einzelfall kann dies dazu führen, dass dann der Lizenzgeber im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast wiederum hierzu näher vorzutragen hat (LG München I, GRUR-RS 2023, 11247 - „untergeordnete Mehrbaum- Unterteilungsinformation“). Macht ein Patentbenutzer geltend, die ihm angebotene Lizenz sei nicht FRAND, weil sie schlechter als die Vertragsbedingungen der Konkurrenz sei, muss er, um als lizenzwillig angesehen zu werden, bereit sein, jedenfalls zu diesen (angeblich vorteilhafteren) Bedingungen den Lizenzvertrag zu schließen, und diese Bereitschaft objektiv durch sein Verhalten zum Ausdruck bringen (LG München I aaO). Bei Verhandlungen über einen FRAND-Lizenzvertrag sind beide Parteien gehalten, in jeweils situationsangemessener Weise und nach den Geboten von Treu und Glauben beizutragen, einen vernünftigen, interessengerechten und angemessenen Ausgleich zu finden. Hierzu gehört insbesondere zügig, förderlich und konstruktiv zu verhandeln und hierbei seine Interessen zu artikulieren, um konkrete Fortschritte beim Verhandeln der Lizenzvertragsbedingungen zu erzielen. Zur Lizenzwilligkeit des wegen Verletzung klagenden Patentinhabers gehört in der Regel, dass er dem Patentbenutzer im Lauf der Verhandlungen und nach inhaltlicher Reaktion des Patentbenutzers einen Lizenzvertrag zu solch fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen anbietet, die der Patentnutzer beanspruchen kann. Diese Lizenzwilligkeit besteht in der Regel nicht, wenn der Patentinhaber auf diskriminierenden oder willkürlichen Bedingungen besteht und selbst am Ende der Verhandlungen nicht bereit ist, von diesen abzurücken (LG München I aaO).
157
Verhandelt der Patentbenutzer die Lizenzbedingungen lediglich zögerlich, bringt er damit in aller Regel seine Lizenzunwilligkeit zum Ausdruck (Verzögerungstaktik). Verlangt ein Patentbenutzer vom Patentinhaber stetig weitere Informationen, ohne dass die ihm hierauf erteilten Auskünfte in Fortschritten bei der Verhandlung münden, kann dieses Verhalten die Lizenzunwilligkeit des Patentbenutzers belegen.
158
II. Nach diesen Maßstäben ist die Beklagte unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Beachtung des einschlägigen Gesamtverhaltens der Parteien nicht hinreichend lizenzwillig. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten hinreichend auf die Verletzung hingewiesen (unter 1.). Entgegen der Annahme der Beklagten ist das Verhalten der Klägerin, ... nicht schlechterdings untragbar (unter 2.). Die Beklagten sind hingegen nicht hinreichend lizenzwillig (unter 3.).
159
1. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte vor Klageerhebung auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung ... hinreichend auf die Verletzung des Klagepatents hingewiesen wurde. Jedenfalls mit der Klageerhebung vom 02.03.2022 ist ein hinreichender Verletzungshinweis erfolgt.
160
a) Zweck des Verletzungshinweises ist es, den Verletzer vor Klageerhebung auf den Verletzungstatbestand und die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Lizenznahme aufmerksam zu machen. Es genügt, dass das Patent bezeichnet und angegeben wird, in welcher konkreten Handlung die Verletzung bestehen soll. Letzteres erfordert die Bezeichnung der Art der Verletzungshandlung sowie der angegriffenen Ausführungsformen. Detaillierter technischer oder rechtlicher Erläuterungen des Verletzungsvorwurfs bedarf es nicht. Der Verletzer muss nur in die Lage versetzt werden, sich - gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe oder durch Einholung von Rechtsrat - ein Bild von der Berechtigung des Patentverletzungsvorwurfs zu machen (BGH GRUR 2020, 961, Rn. 74 ff. - FRAND-Einwand).
161
Ein bestehendes Informationsgefälle soll beseitigt werden (Bukow, in: Haedicke/ Timmann, Handbuch des Patentrechts, 2. Auflage 2020, § 13 Rn. 356 m.w.N.). Ein Verletzungshinweis ist insoweit entbehrlich, wenn die Beklagte lizenzunwilig ist (Bukow, in: Haedicke/ Timmann, Handbuch des Patentrechts, 2. Auflage 2020, § 13 Rn. 358 m.w.N.), weil der Hinweis in dieser Konstellation als bloße Förmelei anzusehen wäre.
162
b) Danach wurde die Beklagte hinreichend auf die Verletzung des Klagepatents hingewiesen. Es kann dahinstehen, ob die vorprozessual von der Klägerin an die Beklagte gerichteten Schreiben als hinreichender Verletzungshinweis anzusehen sind. Jedenfalls in der hiesigen Konstellation, in der dieses Verfahren wegen der vorrangigen Betreibung des Parallelverfahrens faktisch ruhend gestellt war, ist die Klage als hinreichender Verletzungshinweis anzusehen.
163
Im Übrigen ist die Beklagte, wie unter Ziffer 3. dargestellt, nicht als lizenzwillig anzusehen. Daher wäre ein vorprozessualer Verletzungshinweis hier entbehrlich.
164
2. Das Verhalten der Klägerin ... sind nicht schlechterdings untragbar. Die Klägerin hat sich hinreichend bemüht, der mit der marktbeherrschenden Stellung verbundenen besonderen Verantwortung gerecht zu werden, um einem lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzvertrags zu ermöglichen.
165
Die Kammer bewertet ... als hinreichend ernst gemeint und auf den interessengerechten Abschluss der Verhandlungen mit der Unternehmensgruppe der Beklagten gerichtet. In der Sache bedeutet es entgegen der Annahme der Beklagten keine Weigerung, mit der Unternehmensgruppe der Beklagten einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen. Die Klägerin hat bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht auf willkürlichen (unter a) oder diskriminierenden (unter b) Bedingungen bestanden. Ebenso ist sie während der Verhandlungen bereit gewesen, auf die berechtigten Forderungen der Beklagten einzugehen und ihr Verhalten hieran anzupassen. Die Ausführungen der Kammer folgen im Wesentlichen der Argumentationslinie der Beklagten.
166
a) Die Klägerin hat nicht gegen das Willkürverbot verstoßen. Jedenfalls das ... der Klägerin ist nicht willkürlich.
167
aa) Das Verhalten der Klägerin war nicht willkürlich.
168
(1) Die ... waren nicht schlechterdings untragbar. ... waren nicht derart untragbar, dass sie ... als nicht ernst gemeint erscheinen ließen. ...
169
Die Parteien sind ... uneinig. Der Umstand, ... zeigt, dass die nunmehr ... Bedingungen insoweit nicht willkürlich sind.
170
Soweit sich die Beklagte dagegen richtet, dass ... so dass kein untragbares Verhalten vorlag. ... Mithin liegt insoweit keine ... Willkür vor.
171
bb) ... ist ebenso wenig wegen eines „ausbeuterischen“ Preises willkürlich.
172
(1) Von der Höhe der verlangten Lizenzgebühr auf deren Unangemessenheit und von ihrer Unangemessenheit auf Willkür zu schließen, ist jedenfalls in den Fällen, in denen der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand (sog. FRAND-Einwand) als Verteidigung gegen eine Patentverletzung, also im Passivprozess, erhoben wird, lediglich in (sehr gut zu begründenden) Ausnahmefällen möglich, wenn im Einzelfall so hohe Lizenzforderungen gestellt werden, dass sie bar jeder Vernunft erscheinen und damit willkürlich sind.
173
Allein eine hohe Lizenzforderung macht das .... in der Regel nicht willkürlich. Es müssen grundsätzlich weitere pönale Aspekte hinzutreten, um das Verhalten des Patentinhabers als schlechterdings untragbar zu bewerten bzw. es mit der Folge als nicht ernst gemeint einzuordnen, dass es hierauf objektiv keiner Reaktion des Patentnutzers bedarf. Abgesehen davon ist es Aufgabe der Verhandlungen zwischen den Parteien, eine Lösung für die Preisfrage zu finden und eine ggf. unangemessen hohe Preisvorstellung des Patentinhabers auf ein objektiv vernünftiges, interessengerechtes und angemessenes Maß zu nivellieren. Das heißt, dass in aller Regel eine Reaktion des lizenzsuchenden Patentnutzers auf das Angebot des Patentinhabers erforderlich ist, um im Einzelfall die Faktoren für die zutreffende Preisbestimmung durch Verhandlungen zu klären. Verhandeln die Parteien ernsthaft, zügig und konstruktiv, können sie nach der Erfahrung der Kammer in der Regel ihre unterschiedlichen Vorstellungen über den Preis einvernehmlich klären. Sollte dies den Parteien nicht gelingen, können sie sich hierbei (zum Beispiel durch Schiedsgutachten, durch Schlichtungs- oder Schiedsverfahren oder durch Mediationen) von dritter Seite unterstützen lassen. Finden die Parteien auch so keine Lösung, bleibt der Rechtsweg. Dabei kann der Patentnutzer grundsätzlich entweder aktiv die Lizenz gerichtlich vom Patentinhaber einfordern oder in einem vom Patentinhaber veranlassten Patentverletzungsverfahren den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand als Rechtsverteidigung (zum Beispiel über § 242 BGB dolo agit, vgl. BGH GRUR 2009, 694 Rn. 24 – Orange-Book-Standard) gegen die Patentverletzung erheben, so dass die Patentstreitkammer zu prüfen hat, ob (insbesondere) dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch ein kartellrechtlicher Anspruch des Patentbenutzers auf Unterlassung des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung (vor allem unter dem Gesichtspunkt der Zugangsverweigerung) entgegensteht (BGH aaO, FRAND-Einwand II, Rn. 54).
174
Hierbei kommt es in aller Regel nicht auf den tatsächlichen Zugang zur patentierten Technik an, der regelmäßig besteht. Daher geht es bei der Zugangsverweigerung um den rechtlichen, den legalen Zugang zur Nutzung gewerblicher Schutzrechte (vgl. Bechtold/Bosch, GWB, 10. Auflage 2021, § 19 Rn. 67). Dieser Zugang wird (ohne damit die Diskussion „access to all“ vs. „licence to all“ entscheiden zu wollen) in der Regel durch Abschluss eines Lizenzvertrags erreicht. Wird dem Patentnutzer der Abschluss des nachgesuchten Lizenzvertrags verweigert, verlangt der Patentinhaber für die Lizenz ein unangemessen hohes Entgelt oder stellt er sonstige unangemessene Bedingungen, kann dies eine Zugangsverweigerung bedeuten (vgl. BGH aaO Rn. 59 – FRAND-Einwand II; Bechtold/Bosch, GWB, 10. Auflage 2021, § 19 Rn. 68).
175
Kartellrechtlich können sich die Fälle der Zugangsverweigerung mit denen des Preis- oder Konditionenmissbrauchs überlappen und sind wegen des einheitlichen Maßstabs der Angemessenheit (insbesondere der Geltung des Vergleichsmarktkonzepts) grundsätzlich nicht trennscharf abgrenzbar. So kann es Preise geben, deren Forderung sowohl die Fallgruppe der Zugangsverweigerung als auch die des Preismissbrauchs betrifft.
176
In Fällen, in denen der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand gegen Ansprüche wegen Patentverletzung geltend gemacht wird, kommt es nach Überzeugung der Kammer jedoch maßgeblich auf die Abgrenzung zwischen Zugangsverweigerung und Preismissbrauch an.
177
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Preiskontrollen im Rahmen des Missbrauchstatbestands als Ausnahme zu werten sind. Zwar ist es das Ziel des Art. 102 AUEV, u.a. einen Preismissbrauch zu verhindern. Preiskontrollen sollen dafür aber in der Regel nicht das Mittel sein. Vielmehr ist (unverfälschter) Wettbewerb ein dynamischer Prozess (Fuchs, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht. 6. Auflage 2019, Rn. 168, 169 m.w.N.). Das bedeutet gleichwohl nicht, dass der Marktbeherrscher den Preis frei festlegen können soll. Die Preishöhenkontrolle kann insoweit aber – selbst im Bereich einer praktisch unangreifbaren Stellung – eher als ultima ratio angesehen werden (Fuchs, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht. 6. Auflage 2019, Rn. 172 m.w.N.).
178
Für die Beurteilung des Preismissbrauchs ist in aller Regel Kenntnis des kartellgemäßen Preises erforderlich. Diese Kenntnis haben die Parteien und das Gericht eines Patentverletzungsverfahrens in aller Regel nicht. Zumeist herrscht häufig lediglich Kenntnis, zu welchen Konditionen die Wettbewerber des Patentnutzers den Marktzutritt erlangt haben. Der Verletzungsprozess, in dem der „FRAND-Einwand“ geltend gemacht wird, ist auch nicht auf die Ermittlung des kartellrechtlich richtigen Preises gerichtet. Aufgrund der prozessualen Situation, in der beide Seiten versuchen, sich gegenseitig für das bisherige Nichtzustandekommen des Lizenzvertrags verantwortlich zu machen, werden vielmehr nicht die Vertragsbedingungen ermittelt, die FRAND entsprechen, sondern die Bedingungen, die nicht FRAND sind (zum Ganzen Meier-Beck, FS Säcker, 2021, S. 275, 289/290).
179
Die Bestimmung des kartellgemäßen Preises ist dem Gericht daher – hinreichenden Tatsachenvortrag vorausgesetzt – regelmäßig nur durch ein zeit- und kostenintensives Sachverständigengutachten möglich. Währenddessen ist der Patentinhaber (faktisch) an der Durchsetzung seines Patents gehindert, und der Verletzer kann das Patent weiterhin tatsächlich ungestört nutzen. Der Verletzer erhält hierdurch insoweit zumindest zeitweise eine faktische Freilizenz (zu dem Gedanken der Freilizenz in anderem Zusammenhang Meier- Beck, FS Säcker, 2021, S. 275, 285). Das zeigt, dass bei einer Überprüfung des Preismissbrauchs ein Ungleichgewicht zu Lasten des Patentinhabers besteht, der mit Blick auf die begrenzte Lebensdauer aktueller Spitzentechnologie und die beschränkte Laufzeit von Patenten generell dringend einer schnellen Entscheidung über die Patentverletzung bedarf. Daher kann der Aspekt des Preismissbrauchs insbesondere dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch nur entgegengehalten werden, wenn sich die Geltendmachung des Preismissbrauchs in der Konstellation des konkreten Einzelfalls nicht als rechtsmissbräuchlich darstellt.
180
Dass der Verletzer sich nicht unbeschränkt auf die ihm aus Art. 101, 102 AEUV zustehenden Rechte berufen kann, wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs und des Bundesgerichtshofs betont: Nicht nur den Patentinhaber, auch den Patentnutzer treffen Pflichten (EuGH GRUR 2015, 764, 767, Rn. 63 ff. – Huawei/ZTE; BGH aaO Rn. 56 ff. – FRAND-Einwand II). Auch er kann sich unredlich verhalten (vgl. BGH aaO Rn. 61 – FRAND-Einwand II). Ein entscheidender Aspekt ist hierbei, dass der Verletzer keine Verzögerungstaktik verfolgen darf (dazu bereits oben). Macht der Patentnutzer jedoch einen Preismissbrauch derart geltend, dass die Prüfung der Begründetheit des Preismissbrauchseinwands – nach gegebenenfalls mehrjährigen und erfolglosen Verhandlungen – zu einer (weiteren prozessualen) Verzögerung führen würde, ist ihm dieser Einwand im Verletzungsverfahren grundsätzlich zu versagen.
181
Auch eine hohe (anfängliche) Preisvorstellung des Patentinhabers führt zu einer Verhandlungspflicht. Der richtige Preis kann, wie die übrigen Vertragsbedingungen, erst durch die Verhandlungen zwischen den Parteien ermittelt werden. Das heißt: Selbst ein überhöhtes Angebot im Rahmen der Verhandlungen der Parteien ist ein solches Angebot, über das die Beklagtenseite verhandeln muss, solange dieses Angebot nicht schlechterdings untragbar ist. Nichts anderes ergibt sich insoweit aus § 19 Abs. 1 Nr. 2 GWB: Denn „Fordern“ in diesem Sinne ist nur das Beharren auf den Preis am Ende von Verhandlungen. Soweit eine lizenzwillige Partei erkennt, dass der Patentinhaber nicht gewillt ist, substanziell von einem (aus Sicht des Patentverletzers) zu hohen Preis abzurücken, wird sie sich in aller Regel nicht gesetzeswidrig und ggf. strafbar verhalten und das Patent einfach nutzen, sondern grundsätzlich aktiv gerichtlich die Festsetzung des richtigen Preises verfolgen, insbesondere schon vor der Erhebung der Verletzungsklage. Daher ist der Einwand des Preismissbrauchs im Verletzungsverfahren, wie eingangs erläutert, nur in krassen Fällen zu berücksichtigen.
182
Eine substanzielle Beschränkung der Rechte des Patentnutzers geht damit nicht einher. In vielen Fällen kennen Parteien und Verletzungsgericht die Bedingungen von Vergleichsverträgen und vergleichen die zwischen den Parteien gewechselten Angebote mit den dortigen Bedingungen. Diese Preise führen jedenfalls grundsätzlich nicht zu einer Zugangsverweigerung. Denn sind sie zum Beispiel weitgehend etabliert und vom Markt akzeptiert, erscheinen sie trotz Unkenntnis des kartellgemäßen Preises als wettbewerbskonform und nicht zugangsbeschränkend.
183
Hinzu kommt, dass der lizenzsuchende Patentnutzer, der mit dem Patentinhaber über den Preis der Lizenz keine Einigung erzielt hat, so reagieren kann, in einem ersten Schritt den Lizenzvertrag mit vergleichbaren Konditionen zu seinen Wettbewerbern abzuschließen und so den begehrten (legalen) Zugang zum Markt zu erhalten. Im Anschluss daran bleibt es ihm unbenommen, falls er den vereinbarten Preis (weiterhin) für missbräuchlich hält, ggf. (mit Unterstützung der Kartellbehörden) bei einer auf solche Streitigkeiten spezialisierten Kartellstreitkammer die Klärung des kartellrechtlich angemessenen Preises für die Lizenz herbeizuführen (vgl. Meier-Beck, aaO, S. 275, 291). Eine weitere Möglichkeit könnte grundsätzlich ebenso in einem Angebot nach § 315 BGB bestehen (vgl. OLG Karlsruhe GRUR-RS 2021, 9325; Meier-Beck, aaO, S. 275, 290/291; Osterrieth, Patentrecht, 6. Auflage 2021, Rn. 920; Bukow in: Haedicke/Timmann, Handbuch des Patentrechts, 2. Auflage 2020, § 13 Rn. 384; im Einzelfall kritisch LG Mannheim GRUR-RS 2021, 6244). Auch bei diesem könnte der Patentverletzer den von Seite des Schutzrechtsinhabers nach billigem Ermessen festzusetzenden Preis im Anschluss gerichtlich überprüfen zu lassen.
184
Auch wenn man zwischen der patentrechtlichen Position des Patentinhabers einerseits und der durch das Kartellrecht gewährten Position des Patentnutzers im Wettbewerb andererseits im Wege der „praktischen Konkordanz“ einen angemessenen Ausgleich sucht, erscheint dieser durch die vorgenannten Möglichkeiten des Patentnutzers gegeben. Durch die aufgezeigten Wege kann sich der Patentnutzer im Rahmen der Verletzungsklage angemessen verteidigen und erhält die Möglichkeit, den kartellrechtlich richtigen Preis anderweitig ermitteln zu lassen. Gleichzeitig erhält der Patentinhaber die Möglichkeit, dass das Verletzungsverfahren in einem angemessenen Zeitrahmen geführt wird.
185
(2) Nach diesem Maßstab liegt kein aufgrund von Ausbeuterei ... der Klägerin vor. Das ... ist nicht willkürlich, sondern aufgrund von Vergleichslizenzen begründbar. ...
186
(a) Die ... ist nicht willkürlich, wie ein Vergleich mit den vorgelegten Lizenzverträgen zeigt.
...
187
Soweit die Beklagte vorbringt, ... belegt dies keine Willkür. Die Klägerin unterstreicht, ...
188
Die Beklagte erläutert nicht, wie – ... aussehen würde. Des Weiteren hat die Klägerin in der Sitzung unterstrichen, ...
189
(b) ... Auch wenn die Klägerin ... , ist nicht belegt, dass sie auf die ...
190
cc) ... Der Vergleich mit Vorgängerstandards ist kein taugliches Kriterium für die Ermittlung des Werts der gegenständlichen Patente. Insbesondere ist nicht erheblich, ... Die Beklagte hat nicht dargetan, dass sich ...
191
b) Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vor.
192
aa) Eine Diskriminierung ... Im Ergebnis bewirkt dieses Instrument eine ... so dass jedenfalls das ... keine Diskriminierung umfasst.
193
(1) Eine Diskriminierung liegt vor, wenn gleiche Sachverhalte ungleich, oder ungleiche Sachverhalte gleich behandelt werden (LG München I, GRUR-RS 2023, 11247, Rn. 163 - Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
194
(2) Eine Ungleichbehandlung liegt danach nicht vor. ... Wirtschaftlich betrachtet steht diese ... gleich.
195
bb) Eine Diskriminierung ... liegt auch im Übrigen nicht vor.
196
(1) Die Preisbestimmung darf im Rahmen des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands nicht zu kleinteilig betrachtet werden. Selbst wenn sich ... ergeben können, so begründen diese aufgemachten ... keine Diskriminierung. Entscheidend ist vielmehr, ob die bislang mit Dritten vereinbarten Lizenzgebühren und die den Beklagten angebotenen Lizenzbedingungen in einem den Schutzzwecken des Kartellrechts entsprechenden wettbewerbskonformen, die Errichtung, Gewährleistung und Absicherung eines Binnenmarkts dienenden Gesamtgefüge stehen und die angebotene Pauschallizenz den beklagten Lizenzsucher beim Marktzugang nicht diskriminiert. Eine Diskriminierung könnte zum Beispiel bestehen, wenn ein der Beklagten vergleichbarer Wettbewerber der Beklagten im nicht geringfügigen Umfang günstigere Konditionen erhalten hätte. Macht ein Patentbenutzer geltend, die ihm angebotene Lizenz sei nicht FRAND, weil sie schlechter als die Vertragsbedingungen der Konkurrenz sei, muss er, um als lizenzwillig angesehen zu werden, bereit sein, jedenfalls zu diesen (angeblich vorteilhafteren) Bedingungen den Lizenzvertrag zu schließen, und diese Bereitschaft objektiv durch sein Verhalten zum Ausdruck bringen (LG München I, GRUR-RS 2023, 11247, Rn. 169 - Mehrbaum- Unterteilungsinformation).
197
Auch bei einer etwaigen Varianz in der bisherigen Preisbildung des Patentinhabers, die keine so erhebliche Ungleichbehandlung begründet, dass sie nicht im Verhandlungsweg zwischen zwei lizenzwilligen Partnern gelöst werden kann, würde eine vernünftige Partei, die an dem erfolgreichen und interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, diesen Umstand als Chance begreifen und versuchen, (trotzdem) zu einem vernünftigen, angemessenen und interessengerechten Vertragsschluss zu gelangen. Das gilt insbesondere hinsichtlich einzelner Finessen im Zahlenwerk, ...
198
(2) Hiernach liegt keine Diskriminierung vor.
199
Soweit die Beklagte vorbringt, ... belegt dies keine Diskriminierung. Die Klägerin unterstreicht, ... Des Weiteren hat die Klägerin in der Sitzung unterstrichen, ...
200
Gleiches gilt für den Kritikpunkt der Beklagten, ... Derartige Kritikpunkte sind im Wege der Verhandlungen zu klären. Die Klägerin hat ... angeregt, dass die Beklagte aufzeigen möge, dass ihr ... Die Beklagte bringt nicht vor, hierauf reagiert zu haben. Sie unterstreicht in der Duplik zu FRAND (Anlage K14, S. 38), keine .... Sie lässt indes keine Bereitschaft erkennen, ... einzulassen. So würde sich ein lizenzwilliger Patentnutzer nicht verhalten.
201
cc) Eine Diskriminierung ... liegt ebenso wenig vor.
202
Soweit die Beklagte argumentiert, ... sind auch derartige Überlegungen grundsätzlich im Verhandlungsweg auszuräumen. Auch derartige Punkte gilt es im Verhandlungswege ... auszuräumen.
203
c) Soweit die Beklagte ... als nicht-FRAND rügte, ergibt sich hieraus, wie oben erläutert, ebenso kein schlechterdings untragbares Verhalten. Die Klägerin hat sich konstruktiv auf Verhandlungen und die Kritikpunkte eingelassen. ... waren nicht derart untragbar, dass sich die Beklagte auf Vertragsverhandlungen nicht hätte einlassen müssen. Daher kommt es auf die an den ... seitens der Beklagten geäußerten Kritikpunkte nicht im Einzelnen an.
204
3. Die Beklagte ist lizenzunwillig. Die Lizenzunwilligkeit der Beklagten zeigt sich in ihrem ... Die Kammer sieht und erkannt an, dass die Parteien ... – trotz Möglichkeiten, diese zu lösen – kein konstruktives Verhalten der Beklagten vor.
205
Die Beklagte hat ... nicht zielführend geführt. Sie hat sich weder hinreichend zielstrebig noch hinreichend konstruktiv ... eingesetzt. Vielmehr zeigt das Gesamtverhalten der Beklagten ihr fehlendes Interesse, mit der Klägerin zügig zum Abschluss des Lizenzvertrags zu gelangen. Die Beklagte verfolgt zur Überzeugung der Kammer das Ziel, ... gegen die Klägerin durchsetzen zu wollen. Sie wendet hierfür auch eine an. So ist sie bereit, als Druckmittel ...
206
a) Die ... Lizenzunwilligkeit der Beklagten ergibt sich objektiv im Wesentlichen aus dem im Folgenden dargestellten ...
207
aa) Am ... übersandte die Klägerin der Beklagten ....
208
... Auf der Homepage der Beklagten findet sich der folgende Hinweis:
...
209
Am 02.03.2022 erfolgte die Klageeinreichung in diesem Verfahren und im Parallelverfahren vor der 7. Zivilkammer, Az. 7 O 2578/22.
210
.... Am 22.04.2022 erfolgte die Zustellung der Klage im hiesigem Verfahren sowie im Parallelverfahren vor der 7. Zivilkammer.
211
bb) Die Beklagte hat damit ... trotz Verletzungshinweises nicht erklärt. Sie hat vorprozessual vielmehr eine ... . Insbesondere kann ... die auf der Homepage der Beklagten zu findende Erklärung der Beklagten keine Lizenzbereitschaft begründen. Die Erklärung kann nicht als Lizenzbereitschaftserklärung bezogen auf ein konkretes Portfolio eines konkreten Inhabers angesehen werden. Des Weiteren zeigt das weitere ...
212
b) Die von der Beklagten nach Zustellung der Klage ... die im Folgenden dargestellt sind, genügen nach Überzeugung der Kammer nicht, um ihre Lizenzwilligkeit zu belegen. ... hat die Beklagte ..., obwohl es ihr möglich gewesen wäre, und hat sich gleichfalls nicht hinreichend konstruktiv, verhalten.
...
213
Am 15.12.2022 fand im Parallelverfahren vor der 7. Zivilkammer die erste Verhandlung statt.
...
214
Am 09.03.2023 fand die zweite mündliche Verhandlung vor der 7. Zivilkammer statt.
...
215
bb) Die Beklagte hat damit an den ... Sie hat sich insbesondere nicht so verhalten, dass ... hinreichend konkrete Fortschritte erzielt werden.
216
Ein Lizenzsucher, der den erfolgreichen Abschluss eines Lizenzvertrags anstrebt, hätte sich – ... durch fortdauerndes Verhandeln und förderliche sowie konstruktive Mitwirkung bemüht, dass es zum Abschluss des gewollten Lizenzvertrags kommt. ...
217
III. Aus den gleichen Gründen ist das Verhalten der Klägerin nicht geeignet, den Tatbestand des § 138 Abs. 2 BGB (Wucher) oder des § 138 Abs. 1 BGB (wucherähnliches Rechtsgeschäfts) zu erfüllen.
218
IV. Der zulässige Antrag der Beklagten auf Vorlage von Dokumenten ist zurückzuweisen. Er ist unbegründet.
219
Nachdem die Kammer die fehlende Lizenzwilligkeit der Beklagten festgestellt hat, übt sie das ihr nach § 142 ZPO eingeräumte Ermessen dahingehend aus, dass es der beantragten Dokumentenvorlage nicht bedarf. Welche Unterlagen ein potentieller Lizenzgeber im Rahmen von Vertragsverhandlungen vorzulegen hat, bestimmt sich auf Grund einer Abwägung der Interessen von vernünftigen, gewinnorientierten und am Grundsatz von Treu und Glauben orientierten Parteien. Einem lizenzunwilligen Verhandlungspartner brauchen weitere geheimhaltungsbedürftige Informationen nicht offenbart und die entsprechenden Dokumente nicht vorgelegt zu werden, wenn sie für den Prozess nicht relevant sind.
220
Das ist hier der Fall. Aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergibt sich keine Relevanz für das Verfahren. Denn die Vorlage ist nicht entscheidungserheblich. Die Beklagten sind nicht lizenzwillig. Anhaltspunkte dafür, dass sich durch die beantragte Vorlage der Dokumente hieran etwas ändern könnte und sie ... aufgeben würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
221
Hinzu kommt, dass die Klägerin vorgebracht hat, ... Da die Beklagte ... ist, sind ... für einen Vergleich mit der Situation der Beklagten nicht unmittelbar relevant. Die ... ist regelmäßig kompliziert und darüber hinaus geeignet, Geschäftsgeheimnisse von dritten Personen aufzudecken. Auch aufgrund kartellrechtlicher Erwägungen ist jedenfalls ein Eingriff in die Geschäftsgeheimnisse Dritter nicht gerechtfertigt. Eine solch umfassende Vorlagepflicht wäre in der Regel bei frei verhandelnden Parteien nicht umsetzbar.
E.
222
Eine Aussetzung nach § 148 ZPO mit Blick auf die Nichtigkeitsklage der Beklagten (Anlage B4) ist nicht geboten.
223
I. Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellen als solches keinen Grund dar, das Verfahren auszusetzen. Anderenfalls würde man dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beimessen, die ihm nach dem Gesetz gerade fremd ist (BGH GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug). Bei der gebotenen Interessenabwägung hat grundsätzlich das Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung des ihm erteilten Patents Vorrang (vgl. Cepl in: Cepl/Voß, aaO, § 148 ZPO Rn. 106 m.w.N). Denn das Patent bietet nur eine beschränkte Schutzdauer. Für die Dauer der Aussetzung ist das Schutzrecht mit Blick auf den Unterlassungsantrag, der einen wesentlichen Teil des Schutzrechts darstellt, noch zusätzlich praktisch aufgehoben. Daher kommt eine Aussetzung grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Vernichtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Cepl in: Cepl/Voß, aaO, § 148 ZPO Rn. 107 m.w.N.).
224
II. Nach diesen Maßstäben ist das Verfahren nicht auszusetzen.
225
1. Der Gegenstand der Ansprüche 1, 3 und 4 bzw. 8, 10 und 11 in der geltend gemachten beschränkten Fassung ist nicht in der D1 ursprungsoffenbart. Das Patentgericht erläutert in seinem Hinweis (Anlage B8, dort S. 27) zutreffend, dass das HE-SIGB-Feld anspruchsgemäß bedingungslos vorhanden sein muss, während der Gegenstand der D1 dies nicht vorsieht. Da es sich bei „MU-MIMO mit voller Bandbreite“ und „Einzelteilnehmerübertragung“ nicht um (selbständige) Alternativen handelt, ist es nicht ausreichend, dass die D1 in einigen Konstellationen das HE-SIGB-Feld offenbart.
226
2. Der Gegenstand der Ansprüche 1, 3 und 4 bzw. 8, 10 und 11 in der geltend gemachten beschränkten Fassung ist durch NK6 in Kombination mit D3 nicht nahegelegt.
227
Das Patentgericht führt in seinem Hinweis Anlage B8 (S. 32 ff.) aus, dass der Gegenstand der Ansprüche 1, 2, 8 und 9 durch eine Zusammenschau der Druckschriften NK6 und D3 nahegelegt sein dürfte. Auch der Gegenstand der Ansprüche 3 und 10 soll durch NK6 in Kombination mit D3 nahegelegt sein (Hinweis Anlage B8, S. 40). Die Patentfähigkeit von Unteransprüchen 4 und 11 adressiert das Patentgericht nicht. Da das Patentgericht mit einschlägig vorgebildeten Fachpersonen besetzt ist, ist davon auszugehen, dass der Gegenstand der Unteransprüche 4 und 11 entsprechend nicht nahegelegt ist.
228
Insoweit ist auch der Argumentation der Beklagten nicht zu folgen, da die vom Patentgericht für naheliegend erachtete Anzeige in der Lage sei, eine non-OFDMA- Übertragung zu indizieren, folge daraus „zwingend“, dass sie auch in der Lage sei, einen anderen Übertragungsmodus, mithin den OFDMA-Übertragungsmodus anzuzeigen, etwa dadurch, dass die Übertragungsmodusangabe MU-MIMO-Übertragung mit voller Bandbreite oder Einzelteilnehmerübertragung schlichtweg fehle (Schriftsatz vom 06.06.2023, S. 18). Im Rückblick mag etwa das Fehlen einer Übertragungsmodusangabe MU-MIMO oder Einzelteilnehmerübertragung mit der Anzeige eines OFDMA-Übertragungsmodus gleichzusetzen sein. Unmittelbar und eindeutig ist dies aber auch für die Fachperson nicht offenbart, wie der Hinweisbeschluss des Patentgerichts deutlich macht. Insbesondere hat die Beklagte auch nicht dargelegt, dass sich für die Fachperson die Möglichkeit eines Fehlens der Übertragungsmodusangabe MU-MIMO oder Einzelteilnehmerübertragung ergibt.
229
Soweit die Beklagte unterstreicht, ein Anzeiger für eine „non OFDMA-Übertragung“ sei jedenfalls indiziert, wenn unter „Einzelteilnehmerübertragung“ im Sinne des Klagepatents (nur) eine „Einzelteilnehmerübertragung mit voller Bandbreite“ zu verstehen sei (Schriftsatz vom 06.06.2023, S. 18), kommt es hierauf nicht an. Denn die Kammer versteht „Einzelteilnehmerübertragung“ nicht in diesem Sinne, wie oben erläutert.
230
Der Umstand, dass das LG Düsseldorf den Rechtsstreit in einem Parallelverfahren gegen eine andere Beklagte ausgesetzt hat (B12), ist für das Gericht nicht bindend.
231
2. Die geltend gemachten Ansprüche in der beschränkten Fassung sind nicht unzulässig erweitert. Den Bedenken des Patentgerichts an der Ursprungsoffenbarung der Ansprüche 1 und 8 in der erteilten Fassung ist die Klägerin durch die weitere Beschränkung begegnet. Sie hat die Ansprüche auf einen ursprungsoffenbarten Gegenstand eingeschränkt.
232
a) Eine nach Art. 123 Abs. 2 EPÜ unzulässige Erweiterung stellt einen Grund dar, ein europäisches Patent für nichtig zu erklären, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. mit Art. 138 Abs. 1 lit. (c) EPÜ. Patentanmeldungen dürfen nach Art. 123 Abs. 1 EPÜ geändert werden. Nach Art. 123 Abs. 2 EPÜ darf eine Änderung aber nicht dazu führen, dass der Gegenstand der Anmeldung oder eines europäischen Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
233
Verallgemeinerungen ursprünglich offenbarter Ausführungsbeispiele sind bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der ursprünglichen Unterlagen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich zulässig, etwa, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung – sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen – als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (Schacht, in: Benkard, PatG, § 38 Rn 54, unter Verweis auf BGH GRUR 2014, 542 Rn. 24 – Kommunikationskanal mit Verweis auf BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum).
234
So kann es zulässig sein, von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufzunehmen. Unzulässig ist eine Verallgemeinerung hingegen, wenn bestimmte Merkmale nach den ursprünglich eingereichten Unterlagen in untrennbarem Zusammenhang miteinander stehen, der Patentanspruch jedoch nur einzelne davon vorsieht. Das Weglassen eines bestimmten Merkmals kann unzulässig sein, wenn alle in einer Anmeldung geschilderten Ausführungsbeispiele ein bestimmtes Merkmal oder eine bestimmte Kombination von Merkmalen aufweisen und dem Inhalt der Anmeldung zu entnehmen ist, dass die im Anspruch vorgesehenen Mittel der Lösung eines Problems dienen, das das Vorhandensein des betreffenden Merkmals oder der betreffenden Merkmalskombination voraussetzt (vgl. BGH GRUR-RS 2022, 20640 Rn. 70, 71 mwN – Übertragungsparameter).
235
1. Nach diesem Maßstab liegt keine unzulässige Erweiterung vor.
236
a) Eine unzulässige Erweiterung besteht nicht insofern, als nach der Ursprungsoffenbarung das #sym HE-SIGB Feld als solches beziehungsweise als Teil der HE-SIGA Bitstromsyntax (nicht: die Angabeinformationen) nicht zur Angabe der Anzahl Symbole verwendet wird. Merkmal 1.1.1.1 in beschränkter Fassung stützt sich auf [0052], [0053] der Ursprungsoffenbarung. Dort heißt es:
237
Die Angaben in Merkmal 1.1.1.1 entsprechen in weiten Teilen den Angaben des Ausführungsbeispiels in [0052, [0053], auf das sich die Klägerin für die Beschränkung stützt. Entscheidender Unterschied der Angaben in Merkmal 1.1.1.1 und des Ausführungsbeispiels in [0053] ist, dass das Ausführungsbeispiel unmittelbar die Nutzung des Feldes HE-SIGB adressiert. Dadurch ist ausgeschlossen, dass das Feld HE-SIGB eine Angabe über die Anzahl von Symbolen enthält. Der Anspruch in der beschränkten Fassung adressiert ebenfalls das HE-SIGB-Feld mit einer Angabeinformation. Wie oben erläutert, ist Merkmal 1.1.1.1/ 8.1.1.1 richtigerweise so zu verstehen, dass sich das Teilmerkmal „and not used for indicating a number of symbols in the HE-SIGB-Feld“ auf das #sym HE-SIGB-Feld bezieht, nicht auf die Angabeinformation. Insoweit ergibt sich kein Unterschied im Sinngehalt beider Formulierungen.
238
Daher sieht der Anspruch in der beschränkten Fassung entsprechend Ausführungsbeispiel [0053] der Usprungsoffenbarung eine fallabhängige Doppelnutzung vor.
239
b) Eine unzulässige Erweiterung liegt auch nicht insoweit vor, als das #sym HE-SIGB Feld beliebige Angabeinformationen mit beliebig vielen Indikatoren enthalte oder enthalten könne (zu B13, Abschnitt IX.2., Schriftsatz der Beklagten vom 10.07.2023, S. 2).
240
Bereits aus dem vorzitierten Absatz [0053] der Ursprungsoffenbarung ergibt sich, dass das Feld HE-SIGB für die Angabe bestimmter Informationen genutzt werden soll („indicate“; „information for indicating“). Für die Fachperson liegt auf der Hand, dass ein Feld in einem Signal Informationen angeben soll. Weitere Beschränkungen für den Informationsgehalt des Feldes B enthält das Ausführungsbeispiel 1 in der Ursprungsoffenbarung insoweit nicht. Mithin liegt keine unzulässige Erweiterung der Ursprungsoffenbarung vor.
241
c) Der Umstand, dass das mit dem #sym HE-SIGB Feld nach Auffassung der Beklagten „untrennbar verknüpfte“ Merkmal der MCS („modulation and coding scheme“) nicht in die geänderten Anträge aufgenommen worden ist, das zur Berechnung der Anzahl der Symbole aus der Anzahl der Teilnehmer erforderlich ist, bedeutet keine unzulässige Erweiterung. Der Fachperson ist bewusst, dass es weiterer Angaben bedarf, um die Anzahl der Symbole zu berechnen, wenn nur die Anzahl der Teilnehmenden bekannt ist. Insoweit ist die Anzeige des MCS eine Möglichkeit, aber nicht zwingend für die offenbarte Lösung.
F.
242
I. Die Kostenfolge ergibt sich aus dem Verhältnis von Obsiegen zu Unterliegen. Die Klägerin obsiegt voll. Die Anpassung der Anträge führt nicht zu einer Teilklageabweisung und zeitigt keine Kostenfolge.
243
II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
244
1. Die Festsetzung von Teilstreitwerten entspricht gängiger Übung der Verletzungskammern am Landgericht München I. Die Kammer schätzt die entsprechenden Teilstreitwerte dem klägerischen Interesse entsprechend wie im Tenor angegeben.
245
2. Die Vollstreckungssicherheit für Unterlassung, Rückruf und Vernichtung ist auf Basis der von der Beklagten ...
246
a) Die Vollstreckungssicherheit soll einen etwaigen Schadensersatz der Beklagten aus § 717 Abs. 2 ZPO absichern (statt aller Ulrici, in: BeckOK ZPO, ZPO § 709 Rn. 3 m.w.N.).
247
b) Danach ist die Festsetzung einer Sicherheit ... hier geboten, aber auch ausreichend. Das Gericht unterstellt für die Zwecke der Berechnung der Vollstreckungssicherheit die von ... Für die Festsetzung der Sicherheit ist es indes ausreichend, einen Zeitraum ...