Inhalt

AG München, Beschluss v. 01.02.2023 – 171 C 11188/22
Titel:

Antragsgegner, Prozeßbevollmächtigter, Einstweilige Verfügung, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Verfahrenswert, Verfügungsgrund, Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Wert des Beschwerdegegenstandes, Anderweitige Erledigung, Rechtsmittelbelehrung, Antragstellers, Streitwert, Wiederholungsgefahr, Entscheidungsgründe, Qualifizierte elektronische Signatur, Strafbewehrte Unterlassungserklärung, Formlose Mitteilung, Aufgabe zur Post

Schlagworte:
Widerspruch, einstweilige Verfügung, Persönlichkeitsrecht, Überwachungsanlage, Verfügungsgrund, Berufung, Beschwerde
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40512

Tenor

1. Die in diesem Verfahren per Beschluss vom 12 08.2022 ergangene einstweilige Verfügung wird bestätigt,
2. Die Antragsgegnerin hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Verfahrenswert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Antragstellerin begehrt die Bestätigung der durch Beschluss vom 12.08.2022 gegen die Antragsgegnerin in diesem Verfahren ergangene einstweilige Verfügung.
2
Die Parteien waren und sind unmittelbare Nachbarn und lagen seit August 2020 im Streit miteinander.
3
Zu einem nicht konkret bekannten Zeitpunkt im April 2022 stellte die Antragsgegnerin auf ihrer Terrasse auf einem Holzbalken eine sogenannte Wildüberwachungskamera auf. Diese Kamera war von der Terrasse der Antragstellerin aus optisch wahrnehmbar. Die Positionierung der Kamera wurde von der Antragstellerin photographisch dokumentiert; sie hat insoweit fünf Lichtbilder als Anlegen ASt 1/1 mit Ast 1/5 vorgelegt. Zur Verbesserung der Transparenz verweist das Gericht auf diese Lichtbilder und macht sie zum Gegenstand der Entscheidungsgründe.
4
Die Antragstellerin wandte sich, nachdem sie die Kamera wahrgenommen hatte, an die Polizei. Zwischen der Antragstellerin und der Polizei kam es in-t Zeitraum zwischen dem 20.04.2022 und dem 03.07.2022 zu einer schriftlichen Kommunikation via E-Mail-Verkehr. Diese Kommunikation ist als Anlage ASt 4/1 mit 4/3 vorgelegt. Im Ergebnis sah die Polizei keine hinreichende Grundlage. um bezüglich der aufgestellten Kamera zu intervenieren, Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannten Anlagen verwiesen.
5
Mit anwaltlichem Schreiben ihres Prozeßbevollmächtigten vom 20.07.2022 (Anlage ASt 2/1) wandte sich die Antragstellerin an die Antragsgegnerin: Auf dem Grundstück der Antragsgegnerin sei eine Kamera angebracht; die auch die Terrasse und den Garten der Antragstellerin überwache. Dadurch werde das Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin verletzt, Die Antragsgegnerin werde daher aufgefordert, die Videoüberwachung sofort zu beenden und künftig zu unterlassen. Auskunft darüber zu erteilen, ob und in welchem Umfang Videoaufzeichnungen angefertigt worden seien und ggf, diese zu löschen, Weiterhin werde die Antragsgegnerin aufgefordert eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, Es wurde eine Frist bis zum 29.07.2022 gesetzt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannte Anlage verwiesen.
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Die Antragsgegnerin reagierte mit Ihrem Schreiben vom 25.07.2022 (Anlege ASt 3/1):
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Es handele sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern vielmehr um eine sogenannte Wild-Kamera. Es gehe ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens. Die Antragstellerin habe mit dieser Einrichtung nichts zu tun. Polizeibeamte hätten drei Monate zuvor die Kamera in Augenschein genommen und als zulässig eingestuft, Die Anschuldigungen würden daher zurückgewiesen. Wegen dar weiteren Einzelheiten wird auf die genannte Anlage verwiesen.
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Am 09.08.2022 ging Gericht die auf den 08.08.2022 datierte Antragsschrift des Prozeßbevollmächtigten der Antragstellerin ein. Am 12.08.2022 wurde die einstweilige Verfügung antragsgemäß erlassen und am 19.08.2022 dar Antragsgegnerin zugestellt.
9
Mit Schriftsatz vom 06.09.2022 teilten die Prozeßbevollmächtigten der Antragsgegnerin mit, daß die Kamera vor etwa drei Wochen entfernt worden sei. Es ist unstreitig, daß die Kamera tatsächlich entfernt worden ist, der konkrete Zeitpunkt ist dem Gericht indessen nicht bekannt.
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Die Antragstellerin beantragt die Bestätigung der einstweiligan Verfügung vom 12.08.2022.
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Die Antragsgegnerin habe selbst eingeräumt, dass es sich um eine Kamera gehandelt habe, die auf Bewegung hin auslöse und Fotos mache. Aufgrund des nachbarschaftlichen Streits sei es nicht eine bloße Vermutung der Antragstellerin, dass die Kamera nur aufgestellt worden sei, um sie zu verunsichern. Ein anderer plausibler Grund sei nicht zu erkennen, insbesondere da es sich bei Mardern um Wildtiere handele.
12
Auch der erforderliche Verfügungsgrund sei gegeben. Die Antragstellerin habe zunächst Unterstützung durch die Polizei erwartet. Nachdem sie die erwartete Hilfe nicht erhalten habe, habe sie ihren Prozeßbevollmächtigten mandatiert. Die Antragstellerin habe mitnichten die Kamera über einen längeren Zeitraum geduldet.
13
Die Antragsgegnerin beantragt die Aufhebung des Beschlusses vom 12.08.2022 sowie die Zurückweisung des Antrags auf Erlaß der einstweiligen Verfügung vom 08.08.2022
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Die Antragsgegnerseite führt aus, dass sich mit der Entfernung der Kamera auch der Verfügungsgrund erledigt haben sollte. Zudem habe es jedenfalls an der notwendigen Eilbedürftigkeit gefehlt. Die Antragstellerin habe spätestens seit dem 20.04.2022 um die Existenz der Kamera gewusst, aber erst am 08.08.2022 den entsprechenden Antrag bei Gericht gestellt. Erst am 23.06.2079 habe sie bei der Polizei nachgefasst und erst am 20.07.2022 die anwaltliche Abmahnung erstellen lassen. Der Antragstellerin sei es daher zumutbar gewesen, ihren vermeintlichen Anspruch im ordentlichen Klageweg geltend zu machen.
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Das Gericht hat eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Beide Parteien wurden angehört. Wegen des Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das entsprechende Protokoll vom 1101.2023 verwiesen.

Gründe

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Der von der Antragsgegnerin eingelegte Widerspruch erweist sich als unbegründet, die einstweilige Verfügung war daher zu bestätigen.
17
Die vormals aufgestellte Kamera hat die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Die Antragstellerseite verweist insoweit mit Erfolg auf die Entscheidung des BGH Vom 16.03.2010 (VI ZR 176/09). Das Gericht darf eine Passage aus dieser Entscheidung zitieren:
„Nach Ansicht des erkennenden Senats kommt es insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, ist dann gerechtfertigt, wenn sie auf Grund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit (vgl. OLG Köln. NJW 2009, 1827 = NZM 2009, 600) oder auf Grund objektiv Verdacht erregender Umstände. Liegen solche Umstände vor, kann das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich} Übernachten schon auf Grund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtigt hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. Deshalb ist die Installation einer Überwachungsanlage auf einem privaten Grundstück nicht rechtswidrig, wenn objektiv feststeht, dass dadurch öffentliche und fremde private Flächen nicht erfasst werden, wenn eine solche Erfassung nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage möglich ist und wenn auch sonst Rechte Dritter nicht beeinträchtigt werden. Insoweit kommt etwa die Beeinträchtigung der Rechte von Mietern in einem privaten Miethaus (vgl. dazu etwa KG  NZM 2009, 736 = WuM 2008, 663; LG Darmstadt, NZM 2000, 360; Horst, NZM 2000, 937 [9401]), von Betroffenen in einer Wohnungseigentumsanlage (vgl. KG, NJW 2002, 2798 2002, 702; OLG Karlsruhe, NJW 2002, 2799 = NZM 2002. 703; Huff NZM 2002, 89, 668f.) aber auch von Grundstücksnachbarn in Betracht"
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Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs hatte die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder ist das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.
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Weiterhin fehlte es auch nicht an einem Verfügungsgrund. Das Gericht schließt sich insoweit der überzeugenden Argumentation dar Antragstellerseite an. Die Antragstellerin hatte sich von Anfang an gegen die Kamera zur Wehr gesetzt und die Antragsgegnerin war über diesen Umstand informiert.
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Der Sachverhalt hat sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden ist. Weiterhin hat die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand alleine kann aber nicht ausreichen, die indizierte Wiederholungsgefahr aufzuheben.
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Die Kostenfolge bestimmt sich aus S. 91 Abs. 1 ZPO die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Verfahrenswert wurde gemäß § 3 ZPO bestimmt.