Titel:
Unterlassung der Herstellung von pharmazeutischen Zusammensetzungen enthaltend ein Biosimilar
Normenketten:
PatG § 16a, § 139
EU-Arzneimittel-SchutzzertifikatVO 2009 Art. 5 Abs. 2, Abs. 4
ZPO § 935, § 937 Abs. 2, § 940
Leitsätze:
1. Es ist zwar nach dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 lit. b) der VO EG Nr. 469/2009 nicht erforderlich, dass die Nummer der Genehmigung für das Inverkehrbringen in jedem Ausfuhrdrittland bereits bei Übermittlung der Informationen vorliegen muss. Nach Sinn und Zweck der VO ist die Ausnahmeregelung des Art. 5 der VO aber einschränkend dahingehend auszulegen, dass sich der Hersteller nicht hierauf berufen kann, wenn er die Genehmigungsnummer nicht für wenigstens ein Land mitgeteilt hat und auch nicht erklärt hat, in welches Drittland eine Ausfuhr erfolgen soll. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar wird vom Wortlaut des Art. 5 der VO EG Nr. 469/2009 nicht nach Drittländern mit und ohne bestehende Schutzrechte unterschieden. Vielmehr ist nur allgemein von Drittländern die Rede. Aus den Erwägungsgründen der VO ergibt sich aber jeweils die Zielsetzung, dass eine Ausfuhr nur in Drittländer ohne entgegenstehende Schutzrechte erfolgen soll. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Schutzrechtsinhaber darf sich gegen die Verletzung von Schutzrechten innerhalb der Union grundsätzlich vor einem Gericht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union wehren. Dieser Schutz soll durch Art. 5 der VO EG Nr. 469/2009 erkennbar nicht beschränkt werden. Im Fall der Herstellung in einem Mitgliedsstaat der Union erfolgt die Verletzung auch in der Europäischen Union, so dass kein Fall des extraterritorialen Schutzes vorliegt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Hersteller kann das Privileg des Art. 5 der VO EG Nr. 469/2009 nicht in Anspruch nehmen, wenn für kein Drittland eine Genehmigungsnummer mitgeteilt wurde und nicht erklärt wurde, in welches Drittland die Ausfuhr erfolgen soll. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein dringender Fall im Sinne des § 937 Abs. 2 ZPO ist zu unterscheiden von der Dringlichkeit der Anordnung, die den Verfügungsgrund und damit die Voraussetzung einer einstweiligen Verfügung überhaupt bildet. Erforderlich für das Absehen von der mündlichen Verhandlung ist mithin ein besonders hohes Maß an Dringlichkeit, das über die Dringlichkeit zum Erlass der einstweiligen Verfügung hinausgeht. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
6. Für das erstinstanzliche besteht eine Pflicht zur Vorlage von Auslegungsfragen an den Gerichtshof der Europäischen Union nur, wenn sie eine Unionsnorm für ungültig hält und diese deshalb nicht anwenden will. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
7. Anlass zur Anordnung einer Sicherheitsleistung besteht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in der Regel nur, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht realisiert werden kann. (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf einstweilige Verfügung, Verfügungsanspruch, Verfügungsgrund, pharmazeutische Zusammensetzungen, Biosimilar, Genehmigungsnummer, Ausfuhr in Drittländer, Herstellungsprivileg, Verfügungsverbot
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Berichtigungsbeschluss vom 19.12.2023 – 21 O 12030/23
Fundstellen:
MittdtPatA 2024, 128
LSK 2023, 39994
GRUR-RS 2023, 39994
Tenor
1. Der Verfügungsbeklagten wird bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlungen insgesamt bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den Geschäftsführern zu vollstrecken ist, im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt, pharmazeutische Zusammensetzungen enthaltend ein Biosimilar für … in der Bundesrepublik Deutschland für den Zweck der Ausfuhr in Drittländer herzustellen.
2. Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 1.000.000 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Verfügungsklägerin begehrt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes von der Verfügungsbeklagten Unterlassung der Herstellung von pharmazeutischen Zusammensetzungen enthaltend ein Biosimilar für ….
2
Die Verfügungsklägerin ist Inhaberin des deutschen ergänzenden Schutzzertifikats … (nachfolgend: Verfügungszertifikat). Das Verfügungszertifikat gewährt Schutz bis einschließlich 20.07.2024. Die Verfügungsbeklagte ist eine Projektgesellschaft, deren Unternehmensgegenstand die Entwicklung eines Biosimilars für … ist.
3
In einer Mitteilung an die Verfügungsklägerin und an das Deutsche Patent- und Markenamt vom 31.05.2023, der Verfügungsklägerin zugegangen am 07.06.2023, bekundete die Verfügungsbeklagte ihre Absicht, zum Zweck der Ausfuhr in Drittländer ein Biosimilar von … in Deutschland herzustellen. Die Verfügungsbeklagte teilte hierbei weder eine Genehmigungsnummer mit, noch erklärte sie, in welche Drittländer die Ausfuhr erfolgen sollte. Eine Genehmigung der Marktzulassung in einem Drittland wurde nicht beantragt. Die Verfügungsklägerin beantragte daraufhin im Verfahren … (dessen Akte die Kammer beigezogen hat) mit Schriftsatz vom 30.06.2023 den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegnerin die Herstellung von … untersagt werden sollte. … Daraufhin übersandte die Antragsgegnerin eine weitere Mitteilung vom 27.07.2023 an das Deutsche Patent- und Markenamt und die Antragstellerin und änderte im Hinblick auf die ursprüngliche Mitteilung von 31.05.2023 den Herstellungszweck von „Ausfuhr und Lagerung“ in „Lagerung“. In der Folge erklärten die Parteien das Verfahren … übereinstimmend für erledigt.
4
In einer Mitteilung an die Verfügungsklägerin und an das Deutsche Patent- und Markenamt vom 23.08.2023 (Anlage PM1), bekundete die Verfügungsbeklagte erneut ihre Absicht, zum Zweck der Ausfuhr in Drittländer ein Biosimilar von … in Deutschland herzustellen. Die Verfügungsbeklagte teilte wiederum weder eine Genehmigungsnummer mit, noch erklärte sie, in welche Drittländer die Ausfuhr erfolgen soll. Eine Genehmigung in einem Drittland wurde weiterhin nicht beantragt.
5
Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, die Verfügungsbeklagte könne sich nicht auf die Ausnahmeregel des Art. 5 Abs. 2 lit. a) i) und ii) der VO Nr. 469/2009, geändert durch VO 2019/933, berufen, weil sie keine Genehmigungsnummer gemäß Art. 5 Abs. 5 lit. e) der VO mitgeteilt habe.
6
Die Verfügungsklägerin beantragt zuletzt.
I. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt, auf der Grundlage ihrer Mitteilung an die Antragstellerin und das Deutsche Patent- und Markenamt vom 23.08.2023 vor dem 21.07.2024 pharmazeutische Zusammensetzungen enthaltend ein Biosimilar für … in der Bundesrepublik Deutschland für den Zweck der Ausfuhr in Drittländer herzustellen.
II. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen dieses gerichtliche Verbot als Zwangsvollstreckungsmaßnahme Ordnungsgeld bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, jeweils zu vollziehen an ihren Geschäftsführern, angedroht.
7
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Hilfsweise regt sie eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO sowie eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV an. Weiter hilfsweise beantragt sie, die Vollziehung der einstweiligen Verfügung von einer vorherigen Sicherheitsleistung nicht unter 2.000.000 € abhängig zu machen.
8
Sie ist der Ansicht, dass eine Mitteilung der Genehmigungsnummer für die Inanspruchnahme der Privilegierung des Art. 5 Abs. 2 lit. a) i) der VO Nr. 469/2009, geändert durch VO 2019/933, nicht erforderlich ist. Zudem bestehe keine Erstbegehungsgefahr, da aus der Mitteilung vom 23.08.2023 nicht hervorgehe, ob die Verfügungsbeklagte Arzneimittel oder lediglich Erzeugnisse herstellen wolle.
9
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 20.10.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig (A). Er ist auch begründet, weil Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund gegeben sind (B.). Die Kammer sieht von einer Aussetzung des Verfahrens und einer Vorlage der Rechtsfrage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV ab (C.).
11
Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht München I gemäß § 143 PatG sachlich, gemäß Art. 4, 63, 35 EuGVVO international und gemäß §§ 937, 12, 17 ZPO örtlich zuständig. Die Beklagte hat ihren Sitz im Gerichtsbezirk des Landgerichts München I.
12
Der Antrag ist begründet. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund bestehen.
13
I. Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus §§ 139, 16a PatG i.V. mit Art. 4, 5 Abs. 1 VO Nr. 469/2009, geändert durch VO 2019/933.
14
1. Die Verfügungsklägerin ist Inhaberin des deutschen ergänzenden Schutzzertifikats …. Unstreitig würde der Gegenstand des Zertifikats durch die Verfügungsbeklagte im Falle der angekündigten Herstellung ihres Biosimilars zu … genutzt.
15
2. Die Verfügungsbeklagte kann das Herstellungsprivileg des Art. 5 Abs. 2 lit. a) i) und ii) Verordnung (EG) Nr. 469/2009 über ergänzende Schutzzertifikate für Arzneimittel (i.d.F. der Verordnung (EU) 2019/933 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 469/2009) nicht wirksam in Anspruch nehmen, weil sie weder eine Genehmigungsnummer mitgeteilt noch erklärt hat, in welches Drittland die Ausfuhr erfolgen soll.
16
a) Art. 5 Abs. 2 lit. a) i) und ii) der VO enthalten eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass während der Laufzeit des ergänzenden Schutzzertifikats dessen Gegenstand nicht benutzt werden darf. Die Vorschrift erlaubt hierbei ausdrücklich die Herstellung eines Erzeugnisses oder eines dieses Erzeugnis enthaltenden Arzneimittels für den Zweck der Ausfuhr in Drittländer.
17
Voraussetzung ist gemäß Art. 5 Abs. 5 lit. e) der VO, dass der Hersteller die Nummer der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder etwas dieser Genehmigung Gleichwertiges in jedem Ausfuhrdrittland mitteilt, sobald diese öffentlich verfügbar ist. Zwar ist damit nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht erforderlich, dass die Nummer der Genehmigung bereits bei Übermittlung der Informationen gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. b) der VO vorliegen muss. Nach Sinn und Zweck der VO ist die Ausnahmeregelung des Art. 5 der VO aber einschränkend dahingehend auszulegen, dass sich der Hersteller nicht hierauf berufen kann, wenn er die Genehmigungsnummer nicht für wenigstens ein Land mitgeteilt hat und auch nicht erklärt hat, in welches Drittland eine Ausfuhr erfolgen soll.
18
aa) Die Verordnung (EG) Nr. 469/2009 über ergänzende Schutzzertifikate für Arzneimittel bezweckt, durch die Gewährung eines zusätzlichen Schutzzeitraums die erforderliche Forschung und Innovation bei der Entwicklung von Arzneimitteln zu fördern und eine Verlagerung der Arzneimittelforschung zu Standorten außerhalb der Union zu verhindern (ErwGr 2 der VO 2019/933).
19
Durch die Änderungsverordnung 2019/933 (im Folgenden auch nur kurz: VO) soll die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union gefördert werden, indem Herstellern von Generika und Biosimilars gestattet wird, in der Union Arzneimittel und Erzeugnisse für die Ausfuhr auf die Märkte von Drittländern, in denen kein Schutz besteht oder in denen der Schutz abgelaufen ist, herzustellen (ErwGr 8 der VO). Die VO bezweckt hierbei entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten nicht, dass Hersteller innerhalb der Union mit Herstellern in Drittländern vollständig gleichgestellt werden und dass die europäischen Hersteller jederzeit in der Lage sein sollen, weitgehend ohne Einschränkungen Biosimilars und Generika herzustellen, die ein Schutzrecht verletzen. Bei Gesamtbetrachtung der VO ist es vielmehr deren Ziel, zwischen den widerstreitenden Interessen von Schutzrechtsinhaber und Hersteller einen angemessenen Ausgleich zu bewirken und eine nur punktuelle Ausnahme für den Fall der Ausfuhr in schutzrechtsfreie Drittländer zuzulassen.
20
Die VO bezweckt dabei insbesondere nur, die Ausfuhr in Drittländer ohne Schutzrechte zu ermöglichen. Zwar wird im Wortlaut des Art. 5 der VO, wie die Verfügungsbeklagte zutreffend anmerkt (Antragserwiderung Rn. E.2.2), nicht nach Drittländern mit und ohne bestehende Schutzrechte unterschieden. Vielmehr ist nur allgemein von Drittländern die Rede. Aus den ErwGr 3, 4, 8, 29 und 30 ergibt sich aber jeweils die Zielsetzung, dass eine Ausfuhr nur in Drittländer ohne entgegenstehende Schutzrechte erfolgen soll. Auch ErwGr 18 stellt klar, dass sich der Hersteller vergewissern soll, dass in einem Ausfuhrland kein Schutz besteht. Schließlich ergibt sich aus ErwGr 4 und 5 der Änderungsverordnung, dass durch die Ausnahmeregelung des Art. 5 der VO Wettbewerbsnachteile für Hersteller in der Union gegenüber Herstellern in Drittländern, in denen kein Schutz existiert, beseitigt werden sollen. Dieser Wettbewerbsnachteil besteht aber nur im Hinblick auf Drittländer, in denen keine entgegenstehenden Schutzrechte bestehen. In Drittländern, in denen allerdings Schutzrechte entgegenstehen, dürfen Hersteller ohnehin nicht tätig werden, so dass insoweit auch keine Benachteiligung der Hersteller in der Europäischen Union droht.
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bb) Gemäß Art. 5 Abs. 4 der VO dienen die Informationen im Sinne des Abs. 2 lit. b) der VO dem Zertifikatsinhaber, um zu überprüfen, ob die Anforderungen der VO eingehalten werden.
22
Nach dem dargelegten Schutzzweck der VO soll die Dreimonatsfrist des Art. 5 Abs. 2 lit. b) der VO entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten (Antragserwiderung Rn. 10.2) dem Schutzrechtsinhaber nicht nur die Prüfung ermöglichen, ob die Anforderungen der VO eingehalten werden und ob insbesondere eine Umleitung der Erzeugnisse auf den Unionsmarkt droht Vielmehr soll nach Auffassung der Kammer die Dreimonatsfrist den Schutzrechtsinhaber ebenfalls in die Lage versetzen, prüfen zu können, ob in dem beabsichtigten Exportdrittland eine Marktzulassung erteilt worden und eine Ausfuhr in das bezeichnete Drittland zulässig ist. Andernfalls wäre es nicht nachvollziehbar, warum Art. 5 Abs. 4 lit. e) der VO überhaupt die Mitteilung der Genehmigungsnummer vorschreibt. Für dieses Verständnis spricht überdies ErwGr 15, in dem es ausdrücklich heißt.
„Diese Informationen sollten sich auf das beschranken, was erforderlich und angemessen ist, damit der Zertifikatsinhaber beurteilen kann, ob die durch das Zertifikat gewahrten Rechte eingehalten werden (…)“.
23
Das durch das Zertifikat gewährte Recht umfasst aber auch, andere von der Herstellung zum Zweck der Ausfuhr in Drittländer auszuschließen, in denen entgegenstehende Schutzrechte bestehen.
24
Anders als die Verfügungsbeklagte meint, geht es insoweit nicht um einen extraterritorialen Schutz (Antragserwiderung Rn. 10.2), insbesondere kann der Schutzrechtsinhaber nicht darauf verwiesen werden, ausschließlich in einem Drittland gerichtlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Dies verkennt den Sinn und Zweck sowie den Charakter von Art. 5 der VO als Ausnahmevorschrift (so ausdrücklich Art. 5 Abs. 3 der VO, ErwGr 4, 10, 11, sinngemäß auch ErwGr 9: „in diesen besonderen und begrenzten Fällen“; so auch Busse/Keukenschrijver/Maute, PatG, 9. Auflage 2020, Anh § 16 a Rn. 103; Benkard/Rogge/Melullis, PatG, 12. Auflage 2023, Vorb. § 16 a Rn. 37e). Der Schutzrechtsinhaber darf sich gegen die Verletzung von Schutzrechten innerhalb der Union grundsätzlich vor einem Gericht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union wehren. Dieser Schutz soll durch Art. 5 der VO erkennbar nicht beschränkt werden. Im Fall der Herstellung in einem Mitgliedsstaat der Union erfolgt die Verletzung auch in der Europäischen Union, so dass kein Fall des extraterritorialen Schutzes vorliegt.
25
Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten ergibt sich aus ErwGr 18 nicht, dass allein der Hersteller für die Einhaltung der Schutzrechte im Drittland verantwortlich ist. Es wird lediglich klargestellt, dass der Hersteller dafür verantwortlich ist, dass in dem Drittland kein entgegenstehender Schutz besteht. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Rechtsschutzmoglichkeiten des Schutzrechtinhabers eingeschränkt sind. Die Verfügungsbeklagte hat nicht dargetan und es ist auch nicht ersichtlich, warum der Schutzrechtsinhaber die grundsätzlich verbotene Herstellung des Erzeugnisses hinnehmen müsste und allein auf eine Inanspruchnahme des Rechtsschutzes in dem betroffenen Drittland verwiesen werden sollte Insbesondere hätte der Schutzrechtsinhaber wohl kaum eine Möglichkeit, durch die Inanspruchnahme der Gerichte in einem Drittland ein Verbot der Herstellung innerhalb der Europäischen Union zu erwirken. Insoweit gebietet auch das Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 47 GRCh), dass der Schutzrechtsinhaber sich innerhalb der Union gegen die mögliche Verletzung eines Schutzrechts durch die Herstellung eines Erzeugnisses grundsätzlich zur Wehr setzen können muss, auch wenn dieses zur Ausfuhr in ein Drittland bestimmt ist.
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cc) Hieraus ergibt sich, dass der Hersteller das Privileg des Art. 5 der VO nicht in Anspruch nehmen kann, wenn für kein Drittland eine Genehmigungsnummer mitgeteilt wurde und nicht erklärt wurde, in welches Drittland die Ausfuhr erfolgen soll, da der Schutzrechtsinhaber nur so prüfen kann, ob der Ausfuhr in das Drittland ein Schutzrecht entgegensteht. Ob hierbei – entsprechend der Auffassung der Verfügungsklägerin (Antragsschrift Rn. 40) – zwingend erforderlich ist, dass der Hersteller für zumindest ein Drittland eine Genehmigungsnummer mitgeteilt hat oder es ausreicht, dass mitgeteilt wird, in welches Drittland die Ausfuhr beabsichtigt ist, kann dahinstehen, weil die Verfügungsbeklagte jedenfalls keinerlei nähere Angaben zur beabsichtigten Ausfuhr gemacht hat.
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Wäre es ausreichend, dass der Hersteller, wie im vorliegenden Fall, ohne irgendwelche Angaben zu dem beabsichtigten Ausfuhrland lediglich die Absicht der Herstellung mitteilt, wäre der Zweck der Dreimonatsfrist (zu) leicht zu unterlaufen. Der Hersteller könnte nach Ablauf der drei Monate mit der Herstellung beginnen und den Antrag im Drittland stellen. Da keine ausdrückliche Verpflichtung existiert, die Antragstellung im Drittland mitzuteilen, könnte er nach Erhalt der Genehmigung die Genehmigungsnummer nachträglich übermitteln und unmittelbar in den Markt des Drittlandes eintreten. Der Schutzrechtsinhaber würde so u.U. erst bei Markteintritt hierüber informiert und hätte keine hinreichende Möglichkeit, zu prüfen, ob dem unmittelbar bevorstehenden Markteintritt im Drittland Schutzrechte entgegenstehen. Auch wäre ihm die Möglichkeit eines effektiven Rechtsschutzes genommen, weil er erst nach dem Markteintritt gegen die Herstellung und Ausfuhr sowie den Vertrieb im Drittland vorgehen könnte, wenn es kein schutzrechtsfreies Drittland wäre. Zu diesem Zeitpunkt hätte sich dann aber bereits die Gefahr, dass durch Herstellung und Vertrieb bereits vollendete Tatsachen geschaffen werden, realisiert und der (in aller Regel nur schwer wiedergutzumachende) Schaden wäre eingetreten Nach dem Verständnis der Verfügungsbeklagten wäre letztlich die bloße Ankündigung der Herstellung zum Zweck der Ausfuhr ausreichend, um das Herstellungsprivileg in Anspruch zu nehmen. Dies widerspricht jedoch Art. 5 Abs. 5 lit. e) der VO, der die Mitteilung der Genehmigungsnummer gerade als Regelfall vorsieht.
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Für die Auffassung der Kammer spricht auch der Vergleich zu Art. 5 Abs. 2 lit. a) i) der VO. Die VO unterscheidet in Art. 5 Abs. 2 lit. a) zwei Fälle, in denen ausnahmsweise trotz des bestehenden Schutzrechts eine Nutzung zulässig ist: zum einen in lit. a) i) und ii) die Herstellung zum Zwecke der Ausfuhr bzw. damit verbundene Handlungen, zum anderen in lit. a) iii) und iv) die Herstellung von Erzeugnissen, um diese nach Ablauf des Zertifikats in den Mitgliedstaaten in Verkehr zu bringen (Tag-1-Markteintritt), bzw. damit verbundene Handlungen. Eine Lagerung der Erzeugnisse ist grundsätzlich nur frühestens sechs Monate vor Ablauf des Schutzzertifikats gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. a) iii) zulässig, wenn ein Inverkehrbringen in einem Mitgliedsstaat nach Ablauf des Schutzzertifikats beabsichtigt ist Bei einer Herstellung zum Zweck der Ausfuhr ist gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. a) i) und ii) eine Lagerung hingegen nur zulässig, soweit dies für die eigentliche Ausfuhr unbedingt erforderlich ist. Auch wenn ein konkreter Zeitrahmen insoweit nicht genannt wird, so bedeutet dies – entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten (Antragserwiderung Rn. 21.3.1) – im Umkehrschluss zu lit. a) iii), dass jedenfalls eine längerfristige Lagerung nicht zulässig ist. Nicht vom Herstellungsprivileg umfasst ist damit eine Herstellung zur längerfristigen Lagerung auf Vorrat, wenn der Hersteller nur die generelle Absicht hat, die Erzeugnisse in ein Drittland zu exportieren, aber noch nicht einmal festgelegt ist, in welches konkrete Drittland die Ausfuhr erfolgen soll. Eine solche längerfristige Lagerung würde hingegen drohen, wenn der Hersteller drei Monate nach Mitteilung bereits mit der Produktion beginnen dürfte, ohne dabei zu wissen und/oder entsprechende (regulatorische) Vorkehrungen getroffen zu haben, in welches konkrete Drittland der Export erfolgen soll.
29
Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass Art. 5 Abs. 5 lit. e) der VO die Mitteilung der Genehmigungsnummer nur vorsieht, „sobald diese öffentlich verfügbar ist“. Auch wurde im Gesetzgebungsverfahren die noch im vierten überarbeiteten Vorschlag des Rates, 15777/18, vorgesehene Verpflichtung, bei Ermangelung einer Genehmigung das Ausfuhrdrittland zu benennen (vgl. Anl. rop13 im Verfahren … S. 21), nicht in den finalen Text der Änderungsverordnung übernommen Auch sieht der Wortlaut der VO im Gegensatz zum ursprünglichen Änderungsvorschlag der Kommission, COM(2018) 317 final, nicht mehr die Mitteilung einer vorläufigen Auflistung der Drittländer, in die das Erzeugnis ausgeführt werden soll, vor (vgl. Anl. rop10 im Verfahren … S. 19). Die Änderungen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens hatten nach Ansicht der Kammer jedoch das Ziel, die Mitteilungspflicht gegenüber der nationalen Patentbehörde zu vereinfachen, nicht aber, die Prüfungsrechte des Schutzrechtsinhabers zu beeinträchtigen. So ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien, dass die Identifikation des Ausfuhrlandes für die Beurteilung wesentlich ist, ob die Voraussetzungen für eine wirksame Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung erfüllt sind (so fünfter überarbeiteter Vorschlag des Rates, 5130/19, Anl. rop14 im Verfahren … S. 5). Zwar ist die Berücksichtigung von schützenswerten Geschäftsgeheimnissen des Herstellers auch eines der zu beachtenden Ziele der VO (vgl. ErwGr 15; erster überarbeiteter Vorschlag des Rates, 12514/18, Anl. rop11 im Verfahren … S. 3; vierter überarbeiteter Vorschlag des Rates, 15777/18, Anl. rop13 im Verfahren … S. 4) Es werden aber in aller Regel durch eine bloße Mitteilung des beabsichtigten Ausfuhrdrittlandes keine sensiblen Geschäftsgeheimnisse offenbart. Zudem sieht die VO gemäß Art. 5 Abs. 4 lit. e) im Regelfall gerade die Mitteilung der Genehmigungsnummer vor Dies ergibt sich auch aus Anhang I der VO, der ein Standardformular zur Mitteilung gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. b) und c) der VO enthält und unter lit. e) die Mitteilung der Genehmigungsnummer vorsieht. Die VO geht damit selbst davon aus, dass die implizite Mitteilung des Ausfuhrziellandes Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Herstellerprivilegs ist und misst insoweit den Interessen des Schutzrechtsinhabers an der Kenntnis des Ausfuhrziellandes einen höheren Stellenwert zu als dem Interesse des Herstellers an der Geheimhaltung des Ausfuhrlands.
30
b) Folge der unterbliebenen Mitteilung gemäß Art. 5 Abs. 4 lit. e) der VO ist, dass die Verfügungsbeklagte das Herstellungsprivileg nicht in Anspruch nehmen kann und der Verfügungsklägerin aus § 16 a PatG ein entsprechender Unterlassungsanspruch zusteht.
31
Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten (Antragserwiderung Rn. 19) beschränkt sich die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Mitteilungspflicht nicht auf einen bloßen Informationsanspruch Dies ergibt sich insbesondere nicht aus der von der Verfügungsbeklagten zitierten Fundstelle Benkard/Rogge/Melullis, PatG, Vorb. § 16 a Rn. 37 f. Denn dort steht richtigerweise, dass bei einem Verstoß gegen die Pflicht des Art. 5 Abs. 5 lit. e) der VO die Regelung des Art. 5 Abs. 7 spezieller ist und die fehlende Mitteilung dazu führt, dass das Herstellungsprivileg nicht in Anspruch genommen werden kann.
32
3. …. Dies hat die Verfügungsbeklagte in der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2023 klargestellt.
33
4. Die Verfügungsklägerin hat eine drohende Beeinträchtigung ihres Schutzrechts und damit jedenfalls eine Erstbegehungsgefahr im Sinne von § 139 Abs. 1 S. 2 PatG glaubhaft gemacht.
34
a) Durch die Mitteilung vom 23.08.2023 hat die Verfügungsbeklagte konkret angekündigt, dass sie nach Ablauf der dreimonatigen Frist beabsichtigt, ein schutzrechtsverletzendes Biosimilar zu Ausfuhrzwecken herzustellen und zugleich aus ihrer Sicht alles Erforderliche getan, um nach Abwarten der Frist mit der Produktion beginnen zu können.
35
b) Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten (Antragserwiderung Rn. 20) wird die Erstbegehungsgefahr auch nicht durch den Einwand ausgeschlossen, dass nicht hinreichend ersichtlich sei, dass die Verfügungsbeklagte tatsächlich Arzneimittel und nicht etwa nur Erzeugnisse im Sinne von Art. 1 lit. b) der VO erzeugen möchte, für die laut Art. 5 Abs. 5 lit. e) der VO die Mitteilung der Genehmigungsnummer nicht erforderlich ist. Denn die Verfügungsbeklagte hat deutlich gemacht, dass sie der Auffassung ist, sie dürfe ohnehin bereits aufgrund der Mitteilung vom 23.08.2023 nach Ablauf der Drei-Monats-Frist Arzneimittel herstellen, so dass eine Herstellung auch von schutzrechtsverletzenden Arzneimitteln ernsthaft zu befürchten ist.
36
c) Diese Erstbegehungsgefahr hat die Verfügungsbeklagte nicht ausgeräumt.
37
II. Auch der Verfügungsgrund i.S. von §§ 935, 940 ZPO ist gegeben.
38
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt gemäß §§ 935, 940 ZPO eine objektiv begründete Gefahr voraus, dass die Rechtsverwirklichung des Verfügungsklägers mittels eines erst im Hauptsacheprozess erlangten Urteils vereitelt oder erschwert werden könnte Dies verlangt zum einen eine für die Eilmaßnahme sprechende rein zeitliche Dringlichkeit und daneben eine Abwägung der widerstreitenden Interessen zwischen den dem Schutzrechtsinhaber ohne den Erlass der beantragten Verfügung drohenden Nachteilen, welche gegen die Interessen des als Verletzer in Anspruch genommenen Verfügungsbeklagten abgewogen werden müssen. Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ist gemäß §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO seitens des Verfügungsklägers darzulegen und glaubhaft zu machen (OLG München GRUR-RS 2021, 12272 Rn. 47 – Cinacalcet; LG München I GRUR 2022, 1808 Rn. 62 – Fingolimod; vgl. Voß in: Cepl/Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, 3. Aufl. 2022, § 940 Rn. 64 f.).
39
1. Die zeitliche Dringlichkeit liegt vor.
40
a) Die erforderliche zeitliche Dringlichkeit ist grundsätzlich zu verneinen, wenn der Antragsteller/Verfügungskläger mit der Rechtsverfolgung ohne sachlichen Grund zu lange zögert, weil er in diesen Fällen selbst zu erkennen gibt, dass er nicht derart eilig auf das begehrte Verbot angewiesen ist, dass es ihm nicht zugemutet werden könnte, sein Rechtsschutzziel in einem Hauptsacheverfahren durchzusetzen. Die dabei nach ständiger Rechtsprechung im Bezirk des Oberlandesgerichts München im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes zu wahrende einmonatige Dringlichkeitsfrist wird in Lauf gesetzt, wenn der Antragsteller/Verfügungskläger Kenntnis von der fraglichen Verletzungshandlung und dem hierfür Verantwortlichen hat und er alle Informationen und Glaubhaftmachungsmittel besitzt, um mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen zu können (vgl. OLG München GRUR 2020, 385 Rn. 60 – Elektrische Anschlussklemme; GRUR-RS 2021, 12272 Rn. 49 – Cinacalcet).
41
b) Die Monatsfrist ist eingehalten.
42
Die Verfügungsbeklagte hat mit Schreiben vom 23.08.2023 mitgeteilt, dass sie beabsichtigt, ihr angegriffenes Biosimilar in Deutschland herzustellen Die Verfügungsklägerin hat hierauf binnen eines Monats mit Schriftsatz vom 22.09.2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung gestellt. Zugleich besteht die Gefahr, dass die Verfügungsbeklagte nach Ablauf von drei Monaten ab Zugang der Mitteilung vom 23.08.2023 mit der Herstellung des Biosimilars beginnt.
43
c) Die Verfügungsklägerin hat entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten die zeitliche Dringlichkeit nicht selbst widerlegt.
44
So entfällt die Dringlichkeit hier nicht aufgrund der Tatsache, dass die Verfügungsklägerin bei ihrem Antrag vom 22.09.2023, wie schon bei dem Antrag im Verfahren … nicht den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung beantragt hat. Die Entscheidung, ob Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt wird, obliegt dem Gericht und nicht der Verfügungsklägerin.
45
Aus § 937 Abs. 2 ZPO folgt, dass im Grundsatz, insbesondere vor dem Hintergrund der Wahrung des Rechts auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, eine mündliche Verhandlung zu erfolgen hat und die Entscheidung nur in dringenden Fällen sowie bei Zurückweisung des Antrags ohne mündliche Verhandlung ergehen soll Ein dringender Fall im Sinne des § 937 Abs. 2 ZPO ist zu unterscheiden von der Dringlichkeit der Anordnung, die den Verfügungsgrund und damit die Voraussetzung einer einstweiligen Verfügung überhaupt bildet (BeckOK ZPO/Mayer, ZPO, § 937 Rn. 5). Erforderlich für das Absehen von der mündlichen Verhandlung ist mithin ein besonders hohes Maß an Dringlichkeit, das über die Dringlichkeit zum Erlass der einstweiligen Verfügung hinausgeht.
46
Vorliegend war mit einem Beginn der Herstellung erst nach Ablauf von drei Monaten ab der Mitteilung vom 23.08.2023 zu rechnen. Zwischen der Beantragung der einstweiligen Verfügung durch Schriftsatz vom 22.09.2023 und dem Ablauf der Drei-Monatsfrist bestand daher ein Zeitraum von rund 2 Monaten. Dieser Zeitraum ist ersichtlich zu kurz, um eine Entscheidung in der Hauptsache zu erlangen, so dass eine Dringlichkeit für den Erlass der einstweiligen Verfügung gegeben ist. Gleichzeitig bestand aber genug Zeit, um eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Verfügungsklägerin hat durch ihren Antrag damit lediglich gezeigt, dass sie vom Vorliegen einer Dringlichkeit zum Erlass der Verfügung, aber nicht einer besonderen Dringlichkeit im Sinne von § 937 Abs. 2 ZPO ausgeht.
47
2. Die bei der Prüfung des Verfügungsgrundes vorzunehmende umfassende Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Verfügungsklägerin aus Die erlassene einstweilige Verfügung ist „nötig“ i.S. des § 940 ZPO.
48
Abzuwägen sind hierbei die dem Schutzrechtsinhaber ohne den Erlass der beantragten Verfügung drohenden Nachteile und die Interessen des als Verletzer in Anspruch genommenen Verfügungsbeklagten.
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Da das angegriffene Biosimilar der Verfügungsbeklagten die Präparate aus dem Konzern der Verfügungsklägerin ersetzen könnte, ist zu befürchten, dass mit der beabsichtigten Herstellung in Deutschland und der Ausfuhr des Biosimilars in Drittländer vor dem Ablauf des Verfügungszertifikats ein erheblicher unmittelbarer Umsatzverlust im Konzern der Verfügungsklägerin zunächst in diesen Drittländern einhergehen würde. Zudem besteht mittelbar die Gefahr, dass das Biosimilar entgegen Art. 5 Abs. 2 lit. a) iii) der VO bereits früher als sechs Monate vor Ablauf des Zertifikats in einem Mitgliedstaat gelagert wird, um dieses unmittelbar nach Ablauf des Zertifikats auf den Markt zu bringen, bzw. dass die von der Verfügungsbeklagten im beabsichtigten Maß rechtswidrig hergestellten Gegenstände vor Ablauf des Verfügungszertifikats statt in einem Drittland auf dem deutschen oder europäischen Markt in Verkehr gebracht werden. Ein solcher vorzeitiger Markteintritt würde dann mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen der Verfügungsklägerin ebenfalls in der Bundesrepublik Deutschland sowie in der Union führen. Zudem besteht für die Verfügungsklägerin die Gefahr, dass ein einmal bewirkter Preisverfall bzw eine Marktverschiebung nicht rückgängig zu machen wäre, insbesondere, weil das Verfügungszertifikat nur noch bis zum 20.07.2024 Schutz gewährt (vgl. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 236, 240 – Flupirtin-Maleat; OLG Düsseldorf Urt. v 19.2.2016 – I-2 U 54/15, BeckRS 2016, 6344).
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Demgegenüber hätte eine unberechtigte Verfügung lediglich zur Folge, dass die Verfügungsbeklagte vorübergehend das Biosimilar nicht zur Ausfuhr in ein Drittland herstellen darf, so dass sich der Markteintritt in dem Drittland um wenige Monate verzögert. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Verfügungsbeklagte trotz des bestehenden Schutzrechts nicht von jeglicher Entwicklungstätigkeit im Hinblick auf das Biosimilar zu … ausgeschlossen ist, sondern gemäß § 11 Nr. 2 und Nr. 2b PatG Handlungen zu Versuchszwecken sowie Studien und Versuche zulässig sind, so dass sie gewisse Vorbereitungen für den Markteintritt bereits zum jetzigen Zeitpunkt treffen kann. Schließlich kann die Verfügungsbeklagte, sobald sie die Genehmigung in einem Drittland beantragt hat, dem Verfügungskläger eine entsprechende Mitteilung machen und so die Dreimonatsfrist des Art. 5 Abs. 2 lit. a) i) und ii) der VO in Gang setzen.
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3. Die Kammer hat den Wortlaut des von der Verfügungsklägerin beantragten Tenors mit Änderungen übernommen, § 938 ZPO. Eine teilweise Abweisung hat nicht zu erfolgen, weil trotz des geänderten Wortlauts dem Rechtsschutzziel der Verfügungsklägerin durch den Tenor voll entsprochen wird. Die Kammer hat die Unterlassungspflicht ausgeurteilt und lediglich auf die Tenorierung von bestimmten Einschränkungen oder Erlaubnistatbeständen, wie auch sonst üblich, verzichtet. § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO ist hiervon unberührt. In der Sache wird das Beantragte zugesprochen.
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Die Kammer sieht nach Abwägung aller konkreter Umstände des Einzelfalls davon ab, das Verfahren gemäß § 148 ZPO aussetzen und dem Unionsgerichtshof zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorzulegen.
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Die Kammer ist als erstinstanzliches Gericht nicht letzte Instanz und bereits aus diesen Gründen grundsätzlich zur Vorlage von Auslegungsfragen an den Gerichtshof der Europäischen Union berechtigt, aber nicht verpflichtet. Für die Kammer als nichtletztinstanzliches Gericht besteht eine Vorlagepflicht nur, wenn sie eine Unionsnorm für ungültig hält und diese deshalb nicht anwenden will (EuGH C-99/00, Slg. 2002, I-4839 Rn. 15 – Lyckeskog; Streinz/Ehricke, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 267). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
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Im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens sieht die Kammer von einer Vorlage nach Art. 267 AUEV ab, weil in der Sache wegen der besonderen Dringlichkeit eine erstinstanzliche Entscheidung erforderlich ist und für die Kammer keine Zweifel bei der Auslegung des Art. 5 der VO bestehen.
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I. Auf Antrag der Verfügungsklägerin sind der Verfügungsbeklagten als verurteilter Unterlassungsschuldnerin gemäß § 890 ZPO zudem die gesetzlichen Folgen einer Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung anzudrohen.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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III. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung ist nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.
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Anlass zur Anordnung einer Sicherheitsleistung besteht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes i.d.R. nur, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht realisiert werden kann (OLG München, Urt. vom 28.06.2012 – 6 U 1560/12, BeckRS 2013 – Hydrogentartrat, 14928; LG München I, Urt. vom 24.6.2016 – 21 O 5583/16, GRUR-RS 2016, 11707). Solche Anhaltspunkte sind weder vorgetragen noch für die Kammer erkennbar.
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IV. Die Bestimmung des Streitwerts ergibt sich aus den Angaben der Verfügungsklägerin, denen die Verfügungsbeklagte nicht entgegengetreten ist, § 3 ZPO i.V. mit § 51 Abs. 1 GKG.