Titel:
Darlegungs- und Beweislast für den FRAND-Einwand
Normenkette:
AEUV Art. 102
Leitsätze:
1. Der Einwand einer Unverhältnismäßigkeit des Rückrufs nach § 140a Abs. 4 S. 1 PatG ist auf besondere Ausnahmefälle begrenzt. Wenn der Patentverletzer besondere Umstände darlegt, die im Einzelfall eine nicht gerechtfertigte Härte begründen können, kann es im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls und bei einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände unter Berücksichtigung des Gebotes von Treu und Glauben und der grundsätzlich vorrangigen Interessen des Verletzten an der Durchsetzung seiner Ansprüche ausnahmsweise darauf ankommen, ob der Verletzte selbst Produkte oder Komponenten herstellt, die mit dem patentverletzenden Produkt im Wettbewerb stehen, oder ob primär eine Monetarisierung seiner Rechte das Ziel des Patentinhabers ist. Im Übrigen können wirtschaftliche Auswirkungen des Rückrufs, die Komplexität von Produkten, subjektive Gesichtspunkte auf beiden Seiten und Drittinteressen zu berücksichtigen sein. Zu Lasten des Verpflichteten kann auch eine fehlende Lizenzwilligkeit zu berücksichtigen sein. (Rn. 148 – 149) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der beklagte Patentbenutzer trägt nach den üblichen zivilprozessualen Maßstäben grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Begründetheit seines kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands. Das gilt sowohl für den Umstand, das Verhalten (Angebot) des Patentinhabers sei schlechterdings untragbar, als auch für die Rüge des Patentbenutzers, durch die ihm angebotenen Vertragsbedingungen werde er gegenüber anderen Lizenznehmern des Patentinhabers diskriminiert. Zur Darlegung dieser Rüge gehört zumindest, dass der Patentbenutzer hierfür plausible Anhaltspunkte vorträgt. Je nach Einzelfall kann dies dazu führen, dass dann der Lizenzgeber im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast wiederum näher hierzu vorzutragen hat (Fortführung von LG München I 17.2.2023 - 21 O 4140/21, GRUR-RS 2023, 11247 Rn. 162 - Mehrbaum-Unterteilungsinformation). (Rn. 167) (redaktioneller Leitsatz)
3. Verhandelt ein Patentbenutzer die Lizenzbedingungen lediglich zögerlich, bringt er damit in aller Regel seine Lizenzunwilligkeit zum Audruck (Verzögerungstaktik). Auch wenn ein Patentbenutzer grundsätzlich so viele Informationen verlangen darf und - in den Grenzen des Prozessrechts - so viel mit Nichtwissen bestreiten darf wie er möchte, ist dieses Verhalten nach mehrjährigem Verhandeln und mehrmaligem Wiederholen aber jedenfalls nicht mehr förderlich und konstruktiv (Fortführung von LG München I 17.2.2023 - 21 O 4140/21, GRUR-RS 2023, 11247 Rn. 186 ff., 224 - Mehrbaum-Unterteilungsinformation). (Rn. 171) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Rückruf
Fundstellen:
MittdtPatA 2024, 128
LSK 2023, 39110
GRUR-RS 2023, 39110
Tenor
I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die folgenden Handlungen zwischen dem 27. September 2019 und dem 30. Mai 2023 begangen haben:
a) mobile Endgeräte umfassend eine Vorrichtung zum Durchführen eines Verschleierns einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen eines codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden, in der Bundesrepublik Deutschland angeboten, in den Verkehr gebracht und/oder gebraucht oder zu den genannten Zwecken eingeführt und/oder besessen zu haben,
wobei das mobile Endgerät umfasst: Mittel zum Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern, die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; Mittel zum Quantisieren der Verschleierungs- /Wiederherstellungs-parameter; und Mittel zum Senden der im Codierer ermittelten quantisierten Verschleierungs- /Wiederherstellungsparameter an den Decodierer; wobei: die Verschleierungs-/Wiederherstellungs-parameter zur Verbesserung eines Verschleierns einer Rahmenlöschung und Wiederherstellens des Decodierers nach einer Rahmenlöschung verwendbar sind; und das Tonsignal ein Sprachsignal ist, wobei das Mittel zum Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs- /Wiederherstellungsparametern ein Mittel zum Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Mittel zum Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 54)
b) mobile Endgeräte umfassend eine Vorrichtung zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung eines Tonsignals, das unter der Form von Signalcodierungsparametern codiert ist, von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden, in der Bundesrepublik Deutschland angeboten, in den Verkehr gebracht und/oder gebraucht oder zu den genannten Zwecken eingeführt und/oder besessen zu haben,
wobei das mobile Endgerät umfasst: Mittel zum Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern aus den Signalcodierungsparametern, wobei die Verschleierungs- / Wiederherstellungsparameter zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; im Decodierer, Mittel zum Durchführen einer Verschleierung gelöschter Rahmen und Wiederherstellung des Decodierers als Antwort auf die durch das Ermittlungsmittel ermittelten Verschleierungs- /Wiederherstellungsparameter; wobei: das Tonsignal ein Sprachsignal ist, wobei das Mittel zum Ermitteln, im Decodierer, der Verschleierungs-/ Wiederherstellungsparameter ein Mittel zum Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Mittel zum Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 75)
c) mobile Endgeräte umfassend einen Decodierer zum Decodieren eines codierten Tonsignals, in der Bundesrepublik Deutschland angeboten, in den Verkehr gebracht und/oder gebraucht oder zu den genannten Zwecken eingeführt und/oder besessen zu haben,
wobei das mobile Endgerät umfasst: ein Mittel, das auf das codierte Tonsignal anspricht, zur Wiederherstellung eines Satzes von Signalcodierungsparametern aus dem codierten Tonsignal, ein Mittel zum Synthetisieren des Tonsignals als Antwort auf den Satz von Signalcodierungsparametern und eine Vorrichtung nach vorstehend lit. b) zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen des codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 90)
d) mobile Endgeräte umfassend einen Codierer zum Codieren eines Tonsignals, in der Bundesrepublik Deutschland angeboten, in den Verkehr gebracht und/oder gebraucht oder zu den genannten Zwecken eingeführt und/oder besessen zu haben,
wobei das mobile Endgerät umfasst: ein Mittel, das auf das Tonsignal anspricht, um einen Satz von Signalcodierungsparametern zu produzieren, ein Mittel zum Senden des Satzes von Signalcodierungsparametern zu einem Decodierer, der auf die Signalcodierungsparameter anspricht, zur Wiederherstellung des Tonsignals und eine Vorrichtung nach vorstehend lit. a) zum Durchführen eines Verschleierns einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung der Signalcodierungsparameter von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 91)
e) mobile Endgeräte, die eingerichtet sind zur Durchführung eines Verfahrens zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen eines codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden, Dritten, die zur Nutzung der Lehre des EP 1 509 903 nicht berechtigt sind, in der Bundesrepublik Deutschland angeboten und/oder an solche geliefert zu haben,
wobei das Verfahren aufweist: Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern, die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; Quantisieren der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; und Senden der im Codierer ermittelten quantisierten Verschleierungs- /Wiederherstellungsparameter an den Decodierer; wobei: die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter zur Verbesserung eines Verschleierns einer Rahmenlöschung und Wiederherstellens des Decodierers nach einer Rahmenlöschung verwendbar sind; das Tonsignal ein Sprachsignal ist; wobei das Ermitteln, im Codierer, der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(mittelbare Verletzung Anspruch 1)
f) mobile Endgeräte, die eingerichtet sind zur Durchführung eines Verfahrens zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung eines Tonsignals, das unter der Form von Signalcodierungsparametern codiert ist, von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden,
wobei das Verfahren aufweist: Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern aus den Signalcodierungsparametern, wobei die Verschleierungs-/ Wiederherstellungsparameter zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; und im Decodierer, Durchführen einer Verschleierung gelöschter Rahmen und Wiederherstellung des Decodierers als Antwort auf die im Decodierer ermittelten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; wobei: das Tonsignal ein Sprachsignal ist, wobei das Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs-/ Wiederherstellungsparametern ein Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(mittelbare Verletzung Anspruch 39)
(1) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
(2) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
(3) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürf- tige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer 1 a) bis f) bezeichneten Handlungen zwischen dem 27. September 2019 und dem 30. Mai 2023 begangen haben, und zwar unter Angabe:
(1) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
(2) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zelten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
(3) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet sowie bei Internetwerbung der Internetadressen, der Schaltungszeiträume und der Zugriffszahlen,
(4) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und Anschrif- ten der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Kläge- rin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirt- schaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn er- mächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob eine bestimmte Lieferung oder ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
3. die vorstehend zu Ziffer 1. a) bis d) bezeichneten, zwischen dem 27. Septembe 2019 und dem 30. Mai 2023 in den Besitz gewerblicher Abnehmer gelangten und dort befindlichen Erzeugnisse zurückzurufen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. a) bis f) bezeich- neten, zwischen dem 27. September 2019 und dem 30. Mai 2023 begangenen Hand- lungen entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
- 150.000,00 € für Ziffer I.3.
- 50.000,00 € einheitlich für Ziffern I.1. und I.2. sowie
- 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags für Ziffer 2.
Tatbestand
1
Die Klägerin ist Inhaberin des europäischen Patents 1 509 903 (nachfolgend: Klagepatent) und nimmt die Beklagten wegen unmittelbarer und mittelbarer Patentverletzung in Anspruch.
2
Das Klagepatent wurde am 30.05.2005 angemeldet und nimmt eine Priorität vom 31.05.2002 (CA 23884/39) in Anspruch. Die Veröffentlichung und Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung erfolgten am 12.04.2017. Das Klagepatent wurde mit Wirkung für Deutschland erteilt, die Schutzdauer ist am 30.05.2023 abgelaufen.
3
Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„A method of concealing frame erasure caused by frames of an encoded sound signal erased during transmission from an encoder to a decoder, and for accelerating recovery of the decoder after non erased frames of the encoded sound signal have been received, comprising:
determining, in the encoder, concealment/recovery parameters comprising at least two parameters selected from the group consisting of a signal classification parameter, an energy information parameter, a voicing information parameter and a phase information parameter; quantizing the concealment/recovery parameters; and transmitting to the decoder the quantized concealment/recovery parameters determined in the encoder;
the concealment/recovery parameters are usable to improve frame erasure concealment and recovery of the decoder after frame erasure; the sound signal is a speech signal;
determining, in the encoder, the concealment/recovery parameters comprises classifying successive frames of the encoded sound signal as unvoiced, unvoiced transition, voiced transition, voiced, or onset; and determining the concealment/recovery parameters comprises calculating the energy information parameter in relation to a maximum of a signal energy for frames classified as voiced or onset, and calculating the energy information parameter in relation to an average energy per sample for other frames.“
4
Patentanspruch 39 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„A method for the concealment of frame erasure caused by frames erased during transmission of a sound signal encoded under the form of signal encoding parameters from an encoder to a decoder, and for accelerating recovery of the decoder after non erased frames of the encoded sound signal have been received, comprising:
determining, in the decoder, concealment/recovery parameters from the signal-encoding parameters, the concealment/recovery parameters comprising at least two parameters selected from the group consisting of a signalclassification parameter, an energy information parameter, a voicing information parameter and a phase information parameter; and in the decoder, conducting erased frame concealment and decoder recovery in response to the concealment/recovery parameters determined in the decoder;
the sound signal is a speech signal;
determining, in the decoder, the concealment/recovery parameters comprises classifying successive frames of the encoded sound signal as unvoiced, unvoiced transition, voiced transition, voiced, or onset; and determining the concealment/recovery parameters comprises calculating the energy information parameter in relation to a maximum of a signal energy for frames classified as voiced or onset, and calculating the energy information parameter in relation to an average energy per sample for other frames.“
5
Patentanspruch 54 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„A device for conducting concealment of frame erasure caused by frames of an encoded sound signal erased during transmission from an encoder to a decoder, and for accelerating recovery of the decoder after non erased frames of the encoded sound signal have been received, comprising:
means for determining, in the encoder, concealment/recovery parameters comprising at least two parameters selected from the group consisting of a signal classification parameter, an energy information parameter, a voicing information parameter and a phase information parameter;
means for quantizing the concealment/recovery parameters; and means for transmitting to the decoder the quantized concealment/recovery parameters determined in the encoder;
the concealment/recovery parameters are usable to improve frame erasure concealment and recovery of the decoder after frame erasure; and the sound signal is a speech signal;
the means for determining, in the encoder, the concealment/recovery parameters comprises means for classifying successive frames of the encoded sound signal as unvoiced, unvoiced transition, voiced transition, voiced, or onset; and the means for determining the concealment/recovery parameters comprises means for calculating the energy information parameter in relation to a maximum of a signal energy for frames classified as voiced or onset, and means for calculating the energy information parameter in relation to an average energy per sample for other frames.“
6
Patentanspruch 75 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„A device for the concealment of frame erasure caused by frames erased during transmission of a sound signal encoded under the form of signal-encoding parameters from an encoder to a decoder, and for accelerating recovery of the decoder after non erased frames of the encoded sound signal have been received, comprising:
means for determining, in the decoder, concealment/recovery parameters from the signalencoding parameters, the concealment/recovery parameters comprising at least two parameters selected from the group consisting of a signal classification parameter, an energy information parameter, a voicing information parameter and a phase information parameter;
in the decoder, means for conducting erased frame concealment and decoder recovery in response to the concealment/recovery parameters determined by the determining means; wherein:
the sound signal is a speech signal;
the means for determining, in the decoder, the concealment/recovery parameters comprises means for classifying successive frames of the encoded sound signal as unvoiced, unvoiced transition, voiced transition, voiced, or onset; and the means for determining the concealment/recovery parameters comprises means for calculating the energy information parameter in relation to a maximum of a signal energy for frames classified as voiced or onset, and means for calculating the energy information parameter in relation to an average energy per sample for other frames.“ Patentanspruch 90 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„A decoder for decoding an encoded sound signal comprising:
means responsive to the encoded sound signal for recovering from said encoded sound signal a set of signal-encoding parameters;
means for synthesizing the sound signal in response to the set of signal-encoding parameters; and a device as recited in any one of claims 75 to 89, for concealing frame erasure caused by frames of the encoded sound signal erased during transmission from an encoder to the decoder.“
7
Patentanspruch 91 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„An encoder for encoding a sound signal comprising:
means responsive to the sound signal for producing a set of signal-encoding parameters; means for transmitting the set of signal-encoding parameters to a decoder responsive to the signal-encoding parameters for recovering the sound signal; and a device as recited in any of claims 54 to 74, for conducting concealment of frame erasure caused by frames erased during transmission of the signal-encoding parameters from the encoder to the decoder.“
8
Die nachfolgend eingeblendeten Abbildungen der Klagepatentschrift (Figuren 1, 5 und 7) erläutern Ausführungsbeispiele der Erfindung:
9
Wegen der weiteren Details wird auf die Patentschrift verwiesen.
10
Die Beklagten bieten in Deutschland für private und gewerbliche Endkunden u.a. im Internet Smartphones an, die mit dem LTE (4G)-Mobilfunkstandard kompatibel sind, insbesondere Smartphones mit der Modellbezeichnung ... (nachfolgend: angegriffene Ausführungsformen), vertreiben diese und führen diese aus dem Ausland nach Deutschland ein. Die Beklagte zu 2) ist die deutsche Tochtergesellschaft der in ... ansässigen Beklagten zu 1) und unterstützt die Beklagte zu 1) bei deren Vertriebstätigkeiten in Deutschland.
11
Die Klägerin trägt vor, dass die von den Beklagten vertriebenen Smartphones, die mit dem LTE (4G)-Mobilfunkstandard kompatibel sind, insbesondere die technischen Vorgaben gemäß den ETSI-Spezifikationen ETSI TS 126.445 V14.2.0 („Universal Mobile Telecommunications System (UMTS); LTE; Codec for Enhanced Voice Services (EVS); Detailed algorithmic description (3GPP TS 26.445 version 14.2.0 Release 14)“, nachfolgend: ETSI TS 126.445) und ETSI TS 126.447 V14.1.0 („Universal Mobile Telecommunications System (UMTS); LTE; Codec for Enhanced Voice Services (EVS); Error concealment of lost packets (3GPP TS 26.447 version 14.1.0 Release 14)“, nachfolgend: ETSI TS 126.447) umsetzen, das Klagepatent hinsichtlich der oben genannten Vorrichtungsansprüche unmittelbar und hinsichtlich der oben genannten Verfahrensansprüche mittelbar wortsinngemäß verletzen. Der FRAND-Einwand der Beklagten habe keinen Erfolg.
12
Die Klägerin hat ursprünglich beantragt,
I. die Beklagten zu 1) und zu 2) zu verurteilen,
1. es bei Meldung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft am jeweiligen Geschäftsführer (Chief Executive Officer) der Beklagten zu 1) bzw. der Beklagten zu 2) zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
umfassend eine Vorrichtung zum Durchführen eines Verschleierns einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen eines codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
wobei das mobile Endgerät umfasst: Mittel zum Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern, die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; Mittel zum Quantisieren der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; und Mittel zum Senden der im Codierer ermittelten quantisierten Verschleierungs/Wiederherstellungsparameter an den Decodierer; wobei: die Verschleierungs/Wiederherstellungsparameter zur Verbesserung eines Verschleierns einer Rahmenlöschung und Wiederherstellens des Decodierers nach einer Rahmenlöschung verwendbar sind; und das Tonsignal ein Sprachsignal ist, wobei das Mittel zum Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern ein Mittel zum Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Mittel zum Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 54)
die mobilen Endgeräte ein Mittel aufweisen zum Ermitteln der Klassifizierung der aufeinanderfolgenden Rahmen des codierten Tonsignals auf der Basis zumindest eines Teils der folgenden Parameter: einem normalisierten Korrelationsparameter, einem Spektralverzerrungsparameter, einem Signal/RauschVerhältnis-Parameter, einem Tonhöhenstabilitätsparameter, einem relativen Rahmenenergieparameter und einem Nulldurchgangsparameter;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 63) und/oder
umfassend eine Vorrichtung zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung eines Tonsignals, das unter der Form von Signalcodierungsparametern codiert ist, von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
wobei das mobile Endgerät umfasst: Mittel zum Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern aus den Signalcodierungsparametern, wobei die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; im Decodierer, Mittel zum Durchführen einer Verschleierung gelöschter Rahmen und Wiederherstellung des Decodierers als Antwort auf die durch das Ermittlungsmittel ermittelten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; wobei: das Tonsignal ein Sprachsignal ist, wobei das Mittel zum Ermitteln, im Decodierer, der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Mittel zum Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Mittel zum Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 75)
insbesondere wenn das Mittel zum Durchführen des Verschleierns der Rahmenlöschung und der Wiederherstellung des Decodierers ein Mittel zum zufälligen Generieren eines nicht periodischen Innovationsteils eines LP-Filter-Anregungssignals aufweist;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 80
das Mittel zum zufälligen Generieren des nicht periodischen Innovationsteils des LP-Filter-Anregungssignals aufweist:
- falls sich ein letzter empfangener nicht gelöschter Rahmen von stimmlos unterscheidet, ein Hochpassfilter zum Filtern des Innovationsteils des LP- Filter-Anregungssignals; und
- falls der letzte nicht empfangene gelöschte Rahmen stimmlos ist, ein Mittel zum Verwenden nur des Innovationsteils des LP-Filter-Anregungssignals;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 83)
das Mittel zum Durchführen des Verschleierns der Rahmenlöschung und der Wiederherstellung des Decodierers, wenn ein Einsetzen-Rahmen verloren gegangen ist, wie durch das Vorhandensein eines stimmhaften Rahmens nach einer Rahmenlöschung und eines stimmlosen Rahmens vor einer Rahmenlöschung angezeigt, ein Mittel zum künstlichen Rekonstruieren des verlorengegangenen Einsetzens durch Konstruieren eines periodischen Teils eines Anregungssignals als eine tiefpassgefilterte periodische Impulsabfolge, getrennt durch eine Tonhöhenperiode, aufweist;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 84)
umfassend einen Decodierer zum Decodieren eines codierten Tonsignals,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
wobei das mobile Endgerät umfasst: ein Mittel, das auf das codierte Tonsignal anspricht, zur Wiederherstellung eines Satzes von Signalcodierungsparametern aus dem codierten Tonsignal, ein Mittel zum Synthetisieren des Tonsignals als Antwort auf den Satz von Signalcodierungsparametern und eine Vorrichtung nach vorstehend lit. b) zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen des codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 90)
umfassend einen Codierer zum Codieren eines Tonsignals,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
wobei das mobile Endgerät umfasst: ein Mittel, das auf das Tonsignal anspricht, um einen Satz von Signalcodierungsparametern zu produzieren, ein Mittel zum Senden des Satzes von Signalcodierungsparametern zu einem Decodierer, der auf die Signalcodierungsparameter anspricht, zur Wiederherstellung des Tonsignals und eine Vorrichtung nach vorstehend lit. a) zum Durchführen eines Verschleierns einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung der Signalcodierungsparameter von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 91) und/oder
die eingerichtet sind zur Durchführung eines Verfahrens zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen eines codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden,
Dritten, die zur Nutzung der Lehre des EP 1 509 903 nicht berechtigt sind, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,
wobei das Verfahren aufweist: Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs/Wiederherstellungsparametern, die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; Quantisieren der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; und Senden der im Codierer ermittelten quantisierten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter an den Decodierer; wobei: die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter zur Verbesserung eines Verschleierns einer Rahmenlöschung und Wiederherstellens des Decodierers nach einer Rahmenlöschung verwendbar sind; das Tonsignal ein Sprachsignal ist; wobei das Ermitteln, im Codierer, der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(mittelbare Verletzung Anspruch 1)
insbesondere wenn das Ermitteln der Klassifizierung der aufeinanderfolgenden Rahmen des codierten Tonsignals auf der Basis zumindest eines Teils der folgenden Parameter aufweist: einem normalisierten Korrelationsparameter, einem Spektralverzerrungsparameter, einem Signal/Rausch-Verhältnis-Parameter, einem Tonhöhenstabilitätsparameter, einem relativen Rahmenenergieparameter und einem Nulldurchgangsparameter;
(mittelbare Verletzung Anspruch 10)
und/oder das Verschleiern der Rahmenlöschung und die Wiederherstellung des Decodierers, wenn ein Einsetzen-Rahmen verloren gegangen ist, wie durch das Vorhandensein eines stimmhaften Rahmens nach einer Rahmenlöschung und eines stimmlosen Rahmens vor einer Rahmenlöschung angezeigt, ein künstliches Rekonstruieren des verlorengegangenen Einsetzen-Rahmens durch Konstruieren eines periodischen Teils eines Anregungs-Signals als tiefpassgefilterte periodische Impulsabfolge, getrennt durch eine Tonhöhenperiode aufweist;
(mittelbare Verletzung Anspruch 29) und/oder
die eingerichtet sind zur Durchführung eines Verfahrens zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung eines Tonsignals, das unter der Form von Signalcodierungsparametern codiert ist, von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden,
Dritten, die zur Nutzung der Lehre des EP 1 509 903 nicht berechtigt sind, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,
wobei das Verfahren aufweist: Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs/Wiederherstellungsparametern aus den Signalcodierungsparametern, wobei die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; und im Decodierer, Durchführen einer Verschleierung gelöschter Rahmen und Wiederherstellung des Decodierers als Antwort auf die im Decodierer ermittelten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; wobei: das Tonsignal ein Sprachsignal ist, wobei das Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern ein Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(mittelbare Verletzung Anspruch 39)
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 27. September 2019 begangen haben, und zwar unter Angabe a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 27. September 2019 begangen haben, und zwar unter Angabe:
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zelten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet sowie bei Internetwerbung der Internetadressen, der Schaltungszeiträume und der Zugriffszahlen,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob eine bestimmte Lieferung oder ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
4. die vorstehend zu Ziffer 1. a) bis 1 d) bezeichneten, seit dem 27. September 2019 im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse zurückzurufen;
II. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 27. September 2019 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
13
Die Klägerin hat zuletzt den Rechtsstreit im Hinblick auf den ursprünglichen Klageantrag zu Ziffer I.1. (Unterlassungsanspruch) wegen des Ablaufs des Klagepatents für erledigt erklärt. Im Übrigen stellt sie in der mündlichen Verhandlung den ursprünglichen Klageantrag mit der Maßgabe, dass die Anträge auf Auskunft, Rechnungslegung und Rückruf auf Vorgänge beschränkt werden, die bis zum 30.05.2023 stattgefunden haben (vgl. Protokoll vom 28.06.2023, Seite 2).
14
Die Beklagten stimmen der Erledigungserklärung zu und beantragen, die Klage abzuweisen.
15
Die Beklagten sind im Wesentlichen der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagepatent nicht. Jedenfalls stünde den Beklagten gegen die Klägerin der FRAND-Einwand zu.
16
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 28.06.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
17
Die Klage ist zulässig (A.) und, soweit noch über sie zu entscheiden war, weit überwiegend begründet. Die Beklagten haben den Gegenstand des Klagepatents (B.) genutzt. Der Klägerin stehen gegen die Beklagten daher die verfolgten Ansprüche zu. Der FRAND-Einwand der Beklagten hat keinen Erfolg (C.).
18
Die Klage ist zulässig.
19
I. Das Landgericht München I ist zuständig (§ 143 PatG, § 32 ZPO i.V.m. § 38 Nr. 1 BayGZVJu, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO).
20
II. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, § 256 Abs. 1 ZPO. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten ist vor Erteilung der Auskunft noch nicht bezifferbar.
21
Die Klage ist begründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagten Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf und Schadensersatzfeststellung gemäß §§ 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 3, 9 Satz 2 Nr. 1, 10 Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ zu.
22
I. Das Klagepatent betrifft Verfahren und Vorrichtungen zur wirksamen Verschleierung von Rahmenlöschungen sowie zur beschleunigten Wiederherstellung des Decodierers nach einer Rahmenlöschung, vgl. 0001..
23
1. Die Lehre des Klagepatents baut auf dem CELP (Code-Excited Linear Prediction)-Modell auf, vgl. 0004..
24
Die Beschreibung der Klagepatentschrift erläutert, dass im Stand der Technik ein Codierer ein Sprachsignal in einen digitalen Bitstrom umwandelt, der über einen Kommunikationskanal übertragen oder auf einem Speichermedium gespeichert wird. Dabei wird das Sprachsignal digitalisiert, d. h. abgetastet und mit üblicherweise 16 Bit pro Abtastung quantisiert. Der Codierer hat die Aufgabe, diese digitalen Abtastwerte mit einer geringeren Anzahl von Bits darzustellen und dabei eine gute subjektive Sprachqualität beizubehalten. Der Decodierer verarbeitet den übertragenen oder gespeicherten Bitstrom und wandelt ihn in ein synthetisiertes Sprachsignal um, vgl. 0003.. In Figur 1 ist ein Beispiel für ein entsprechendes (Sprach-)Kommunikationssystem schematisch dargestellt (s.o.) und in 0015. bis 0019. beschrieben.
25
Nach dem CELP-Modell wird das Eingangstonsignal durch Einträge (sog. Vektoren) in zwei Codebüchern repräsentiert, einem innovativen Codebuch und einem adaptiven Codebuch. Im innovativen (festen) Codebuch sind Signalausschnitte für stimmlose Signalanteile codiert und seine Einträge sind unveränderlich. Demgegenüber werden im adaptiven Codebuch (Pitch-Codebuch) stimmhafte Signalanteile codiert und sein Inhalt ändert sich fortlaufend entsprechend der neuen Sprachsignale, vgl. 0004..
26
Aufgabe des Codierers ist es, in seinen Codebüchern die Einträge zu finden, die das Eingangstonsignal am besten repräsentieren. Es werden dann nicht diese Einträge, sondern Parameter, die die Einträge definieren, an den Decodierer übermittelt. Der Decodierer, der über im Wesentlichen dieselben Codebücher verfügt, kann mittels der Codebuchparameter die richtigen Einträge identifizieren und aus diesen ein Ausgangssignal rekonstruieren, dass auf Decodiererseite, also beim Empfänger einer Funkkommunikation, ausgegeben wird.
27
Die Übermittlung der Sprachdaten erfolgt paketbasiert, d. h. die mittels des CELP-Modells ermittelten Sprachdaten werden in Paketen versendet, wobei ein Paket üblicherweise einen Rahmen enthält, der einem Sprachsegment von 20 ms Dauer entspricht, vgl. 0005..
28
2. Als nachteilig an dem aus dem Stand der Technik bekannten CELP-Modell kritisiert das Klagepatent, dass bei paketbasierter Kommunikation ein Paket verloren gehen kann, wenn die Anzahl der Pakete sehr groß ist, oder als verloren gewertet werden kann, wenn es den Empfänger erst mit erheblicher Verzögerung, nach Überschreiten eines bestimmten zeitlichen Grenzwerts erreicht, vgl. 0005.. Dadurch stehen der Dateninhalt des gelöschten Rahmens und der entsprechende Teil des zu decodierenden Sprachsignals dem Decodierer auf Empfängerseite nicht zur Verfügung. Der fehlende Rahmen muss dann im Decodierer unter Verwendung der im vorherigen Rahmen gesendeten Informationen und durch Schätzung der Signalentwicklung im fehlenden Rahmen erzeugt werden (sog. Verschleierung), vgl. 0006. und 0063..
29
Da der Inhalt des adaptiven Codebuchs, das bei der Aufrechterhaltung einer hohen Sprachqualität bei niedrigen Bitraten eine wichtige Rolle spielt, auf dem Anregungssignal vorangegangener Rahmen basiert, ist das Paar aus Codierer und Decodierer (Codec) empfindlich gegenüber einem Rahmenverlust. Bei gelöschten oder verlorenen Rahmen unterscheidet sich der Inhalt des adaptiven Codebuchs im Decodierer von dem im Codierer. Wenn auf eine Rahmenlöschung folgend wieder „gute“ Rahmen empfangen werden, unterscheidet sich das anhand des adaptiven Codebuchs im Decodierer synthetisierte Sprachsignal von dem Synthesesignal, das sich ohne Rahmenlöschung ergeben hätte, weil der Beitrag des adaptiven Codebuchs durch die Rahmenlöschung geändert worden ist. Um dies zu vermeiden, muss der Inhalt des adaptiven Codebuchs des Decodierers daher (zügig) aktualisiert und an den nunmehrigen Inhalt des Codierers angeglichen werden (sog. Wiederherstellung), vgl. 0006. und 0063..
30
Die Auswirkung eines gelöschten Rahmens hängt (auch) von der Art des Sprachsegments ab, in dem die Löschung stattgefunden hat. Wenn die Löschung in einem stationären Signalsegment auftritt, kann die Rahmenlöschung effizient verschleiert und die Auswirkung auf die darauffolgenden Rahmen minimiert werden. Wenn andererseits die Löschung bei einem Einsetzen des Sprachsignals oder einem Übergang auftritt, kann sich der Effekt der Löschung über mehrere Rahmen ausbreiten. Wenn beispielsweise der Anfang eines stimmhaften Segments verloren geht, fehlt die erste Tonhöhenperiode im adaptiven Codebuch. Dies hat eine schwerwiegende Auswirkung auf den Tonhöhenprädiktor in darauffolgenden „guten“ Rahmen, was zu einer langen Zeitdauer führt, bis das Synthesesignal am Codierer gegen das Signal konvergiert, das sich ohne Rahmenlöschung ergeben hätte, und bis der Decodierer somit wiederhergestellt ist, vgl. 0006. und 0063..
31
3. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, Verfahren und Vorrichtungen zur Verschleierung von Rahmenlöschungen und zum Beschleunigen der Wiederherstellung des Decodierers bereitzustellen, vgl. 0008. bis 0011..
32
4. Hierfür schlägt das Klagepatent Verfahren nach Maßgabe der erteilten Ansprüche 1 und 39, Vorrichtungen nach Maßgabe der erteilten Ansprüche 54 und 75, einen Decodierer nach Maßgabe des erteilten Anspruchs 90 sowie einen Codierer nach Maßgabe des erteilten Anspruchs 91 vor, die sich merkmalsmäßig wie folgt gliedern lassen:
1.1.1 zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen eines codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und
1.1.2 zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden;
1.2 das Tonsignal ist ein Sprachsignal;
1.3 Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern,
1.3.1 die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus
a) einem Signalklassifizierungsparameter,
b) einem Energieinformationsparameter,
c) einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und d) einem Phaseninformationsparameter; und
1.3.2 das Ermitteln weist ein Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen auf;
1.3.3 das Ermitteln weist auf a) ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und b) ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen;
1.4 Quantisieren der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter;
1.5 Senden der im Codierer ermittelten quantisierten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter an den Decodierer;
1.6 die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter sind zur Verbesserung eines Verschleierns einer Rahmenlöschung und Wiederherstellens des Decodierers nach einer Rahmenlöschung verwendbar.
39.1.1 zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung eines Tonsignals, das unter der Form von Signalcodierungsparametern codiert ist, von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und 39.1.2 zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden;
39.2. das Tonsignal ist ein Sprachsignal;
39.3 Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern aus den Signalcodierungsparametern,
39.3.1 die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus
a) einem Signalklassifizierungsparameter,
b) einem Energieinformationsparameter,
c) einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und d) einem Phaseninformationsparameter; und 39.3.2 das Ermitteln weist ein Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen auf; und 39.3.3 das Ermitteln weist auf a) ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und b) ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen auf;
39.4 im Decodierer, Durchführen einer Verschleierung gelöschter Rahmen und Wiederherstellung des Decodierers als Antwort auf die im Decodierer ermittelten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter.
54.1.1 zum Durchführen eines Verschleierns einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen eines codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und
54.1.2 zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden;
54.2 das Tonsignal ist ein Sprachsignal;
54.3 Mittel zum Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern,
54.3.1 die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus
a) einem Signalklassifizierungsparameter,
b) einem Energieinformationsparameter,
c) einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und d) einem Phaseninformationsparameter;
54.3.2 das Mittel zum Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern weist ein Mittel zum Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen auf;
54.3.3 das Mittel zum Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter weist ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen auf.
54.4 Mittel zum Quantisieren der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; und 54.5 Mittel zum Senden der im Codierer ermittelten quantisierten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter an den Decodierer;
54.6 die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter sind zur Verbesserung eines Verschleierns einer Rahmenlöschung und Wiederherstellens des Decodierers nach einer Rahmenlöschung verwendbar.
75.1.1 zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung eines Tonsignals, das unter der Form von Signalcodierungsparametern codiert ist, von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und 75.1.2 zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden;
75.2 das Tonsignal ist ein Sprachsignal;
75.3. Mittel zum Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern aus den Signalcodierungsparametern,
75.3.1 wobei die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus a) einem Signalklassifizierungsparameter,
b) einem Energieinformationsparameter,
c) einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und d) einem Phaseninformationsparameter;
75.3.2 das Mittel zum Ermitteln, im Decodierer, der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter weist ein Mittel zum Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen auf;
75.3.3 das Mittel zum Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter weist ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen auf.
75.4 Mittel, im Decodierer, zum Durchführen einer Verschleierung gelöschter Rahmen und Wiederherstellung des Decodierers als Antwort auf die durch das Ermittlungsmittel ermittelten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter.
90.1 Decodierer zum Decodieren eines codierten Tonsignals, aufweisend:
90.1.1. ein Mittel, das auf das codierte Tonsignal anspricht, zur Wiederherstellung eines Satzes von Signalcodierungsparametern aus dem codierten Tonsignal;
90.1.2 ein Mittel zum Synthetisieren des Tonsignals als Antwort auf den Satz von Signalcodierungsparametern; und 90.1.3 eine Vorrichtung nach einem der Ansprüche 75 bis 89 zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen des codierten Tonsignals verursacht wird,
die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden.
91.1 Codierer zum Codieren eines Tonsignals, aufweisend:
91.1.1 ein Mittel, das auf das Tonsignal anspricht, um einen Satz von Signalcodierungsparametern zu produzieren;
91.1.2 ein Mittel zum Senden des Satzes von Signalcodierungsparametern zu einem Decodierer, der auf die Signalcodierungsparameter anspricht, zur Wiederherstellung des Tonsignals; und 91.1.3 eine Vorrichtung nach einem der Ansprüche 54 bis 74 zum Durchführen eines Verschleierns einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung der Signalcodierungsparameter von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden.
33
5. Einige Merkmale bedürfen näherer Erläuterung.
34
a) Die durch das Klagepatent unter Schutz gestellte technische Lehre ist nach dem Verständnis der angesprochenen Fachperson zu ermitteln, die einen universitären Abschluss (Diplom oder Master) eines Ingenieurstudiums der Elektro- oder Nachrichtentechnik und mehrjährige Berufserfahrung sowie einschlägige Kenntnisse auf dem Gebiet der digitalen Signalverarbeitung, insbesondere der Codierung von Sprachsignalen, besitzt.
35
b) Zum Verschleiern einer Rahmenlöschung und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers (Merkmalsgruppe 1.1) sollen im Codierer Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ermittelt werden (Merkmal 1.3), die gemäß Merkmalsgruppe 1.3.1 zumindest zwei Parameter aufweisen, die aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter ausgewählt werden.
36
aa) Zwischen den Parteien ist umstritten, ob die Wortwahl „bestehend aus“ eine Beschränkung des patentierten Gegenstands dahingehend bedeutet, dass die zwei Parameter ausschließlich aus den vier genannten Parametern ausgewählt werden dürfen, oder ob es auch anspruchsgemäß ist, diese aus einer größeren Gruppe von mehr als den vier genannten Parametern auszuwählen, die aber diese vier Parameter umfasst.
37
Die Aufzählung der in Merkmalsgruppe 1.3.1 genannten Parameter ist nach dem Wortlaut und Wortsinn (lediglich) insoweit abschließend, als anspruchsgemäß aus dieser Gruppe von vier Parametern mindestens zwei Parameter ausgewählt werden müssen, d. h. nur insoweit hat die Verwendung der Formulierung „bestehend aus“ („consisting of“) abschließende Wirkung.
38
Der Anspruch trifft – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 38 ff.; Duplik (Technik), Rn. 4 ff.) – keine Aussage über die Verwendung weiterer Parameter. Der Anspruch schließt daher, soweit zumindest zwei Parameter der Gruppe verwendet werden, nicht aus, dass darüber hinaus noch weitere Parameter außerhalb dieser Gruppe der vier Parameter herangezogen werden können, die gegebenenfalls Vorgänge betreffen, die außerhalb der klagepatentgemäßen Lösung liegen. Dies geht auch aus 0065. hervor, weil dort im Rahmen eines Ausführungsbeispiels beschrieben ist, dass bei einer leichten Erhöhung der Bitrate zur besseren Kontrolle wenige zusätzliche Parameter quantisiert und übertragen werden können (vgl. BGH GRUR 2015, 972, Rn. 22 f. – Kreuzgestänge).
39
Entgegen der Auffassung der Beklagten aus der mündlichen Verhandlung ergibt sich aus einem Vergleich mit Chemiepatenten keine andere Auslegung. Selbst wenn die Kammer zugunsten der Beklagten unterstellt, dass es ein etabliertes Verständnis von „bestehend aus“ in der Chemie gäbe, dass allein die aufgeführten chemischen Stoffe enthalten sein dürfen, wirkt sich dies hier nicht aus. Denn zum einen versteht die Kammer „bestehend aus“ hier so, dass das Merkmal einen abschließenden Sinngehalt besitzt. Es gibt der angesprochenen Fachwelt nämlich vor, zwingend zwei der vier Parameter zu verwenden. Zum anderen geht es vorliegend nicht um eine chemische Erfindung, so dass dieses (womöglich) übliche Verständnis grundsätzlich nicht auf den hier betroffenen Patentgegenstand übertragen werden darf. Denn während in der Chemie das Hinzufügen eines weiteren Stoffs zu dem eigentlichen Wirkstoff erfindungsschädliche Auswirkungen haben kann (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.12.2022 – 2 U 2/17, GRUR-RS 2022, 38378 – Lichtemittierendes Bauelement), ist dies jedenfalls für die vorliegende Erfindung und insbesondere für das Verwenden weiterer als der vier im Anspruch genannten Parameter weder dargetan noch ersichtlich. Damit verbleibt es bei den üblichen Auslegungsgrundsätzen und der oben begründeten Bedeutung von „bestehend aus“.
40
bb) Merkmal 1.3.1 ist – entgegen der Auffassung der Beklagten (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 45 ff.) – ebenfalls nicht so zu verstehen, dass die Auswahl der mindestens zwei Parameter anhand der verfügbaren Bandbreite erfolgen muss.
41
Eine derartige Einschränkung ist im Anspruch nicht angelegt. Soweit die Beklagtenseite auf die 0077., 0104., 0108., 0112. und 0116. verweist, in denen der Aspekt der verfügbaren Bandbreite behandelt wird, handelt es sich um die Beschreibung von Ausführungsbeispielen, auf die der Gegenstand des Anspruchs nicht beschränkt ist.
42
cc) Diese Auslegung gilt entsprechend für Merkmalsgruppe 39.3.1 des Verfahrensanspruchs 39 für die Decodiererseite.
43
c) Unter einem Signalklassifizierungsparameter gemäß Merkmal 1.3.1.a) (sowie Merkmal 39.3.1.a)) versteht die Fachperson jede Kenngröße, anhand welcher der Decodierer feststellen kann, ob ein quasistationäres Sprachsegment oder ein Sprachsegment mit sich schnell ändernden Eigenschaften von der Rahmenlöschung betroffen ist (vgl. 0006., 0063. und 0071. zur Grundidee, dass die ideale Verschleierungsstrategie und das optimale Verfahren für die Signalwiederherstellung mit der Klassifizierung des Sprachsignals variiert). Die Fachperson subsumiert unter dem Begriff des Signalklassifizierungsparameters somit insbesondere die Rahmenklasse gemäß Merkmal 1.3.2 sowie jeden der im erteilten Unteranspruch 10 genannten Parameter (vgl. auch Tabelle 2 in 0094.).
44
aa) Zwischen Signalklassifizierung i. S. von Merkmal 1.3.1.a) (bzw. Merkmal 39.3.1.a)) und dem Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen i. S. von Merkmal 1.3.2 (bzw. Merkmal 39.3.2) besteht – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 52; Duplik (Technik), Rn. 28) – kein inhaltlicher Unterschied. Aus der Verwendung unterschiedlicher Begriffe im Anspruch folgt nicht zwingend, dass diesen Begriffen eine unterschiedliche Bedeutung zukommen muss. Stattdessen können sie im Einzelfall auch gleichbedeutend sein.
45
(1) Dies entspricht dem technischen Verständnis der Begriffe der Signalklassifizierung und der Rahmenklassifizierung. Der Fachperson ist vor dem Hintergrund der Codierung nach dem CELP-Modell bekannt, dass eine Klassifizierung des Signals auf den Rahmen Bezug nimmt. Denn Signalklassifizierung findet rahmenweise statt. Die Begriffe der Signalklassifizierung und der Rahmenklassifizierung sind – jedenfalls im vorliegend relevanten Umfang – deckungsgleich, also synonym.
46
(2) Diesem Verständnis steht auch nicht der Anspruchswortlaut entgegen.
47
Dieser gibt keine Differenzierung zwischen zwei inhaltlich zu unterscheidenden Klassifizierungsarten vor. Er spricht allein von der Ermittlung eines Signalklassifizierungsparameters und einem Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen. Der Wortlaut ermöglicht damit zwanglos das Verständnis, dass die Signalklassifizierung rahmenweise erfolgt und Merkmal 1.3.2 die Klassen definiert.
48
(3) Aus der Klagepatentbeschreibung ergibt sich ebenfalls kein Anhaltspunkt für eine unterschiedliche technische Bedeutung der Begriffe der Signalklassifizierung und der Rahmenklassifizierung. Vielmehr werden in 0066. „These parameters include (…) frame classification“) und 0069. „these parameters include signal classification“) die Begriffe Signal- und Rahmenklassifizierung synonym verwendet.
49
bb) Die Klagepatentschrift gebietet es – jedenfalls im Zusammenhang mit Merkmal 1.3.1.a) – auch nicht, zwischen Signalklassifizierung und Signalklassifizierungsparameter zu differenzieren.
50
(1) Eine derartige Unterscheidung ist technisch nicht zwingend und ergibt sich auch nicht aus der Beschreibung. Vielmehr wird in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels die Signalklassifizierung bzw. Rahmenklassifizierung explizit als ein entsprechender Parameter benannt (vgl. 0066.: „In the present illustrative embodiment of the present invention, methods for efficient frame erasure concealment, and methods for extracting and transmitting parameters that will improve the performance and convergence at the decoder in the frames following an erased frame are disclosed. These parameters include two or more of the following: frame classification (…)“; 0069.: „(…) additional parameters are computed, quantized, and transmitted with the aim to improve the FER concealment and the convergence and recovery of the decoder after erased frames. In the present illustrative embodiment, these parameters include signal classification (…)“; 0070.: „Among these parameters, signal classification will be treated in more detail.“). Auch in der u.a. in 0069. beschriebenen Figur 5 ist die Übermittlung der Rahmenklasse („class“) als Signalklassifizierungsparameter gezeigt.
51
(2) Dass in Tabelle 2 in 0094. Signalklassifizierungsparameter aufgeführt sind („Signal Classification Parameters“), die in die Gütefunktion in 0095. eingesetzt werden, deren Ergebnis wiederum gemäß Tabelle 3 in 0096. für die Signalklassifizierung maßgeblich ist, führt – entgegen dem Vorbringen der Beklagten (vgl. Duplik (Technik), Rn. 11) – zu keinem anderen Ergebnis.
52
Die genannten Beschreibungsstellen befassen sich mit einem anderen Aspekt der Erfindung, während die oben genannten Beschreibungsstellen 0066., 0069. und 0070. gerade Merkmalsgruppe 1.3.1 betreffen. Darüber hinaus schließt die vorliegende Auslegung auch nicht aus, dass die in Tabelle 2 in 0094. genannten Parameter als Signalklassifizierungsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.a) angesehen werden. Daneben ist aber – wie dargelegt – auch die Signalklasse bzw. Rahmenklasse als solche vom Begriff des Signalklassifizierungsparameters in Merkmal 1.3.1.a) erfasst (vgl. das Urteil des BPatG vom 06.12.2021, S. 14/15).
53
d) Ein Stimmhaftigkeitsinformationsparameter gemäß Merkmal 1.3.1.c) (sowie Merkmal 39.3.1.c)) ist bei Zugrundelegung eines funktionalen Verständnisses ein Parameter für Informationen über die Stimmhaftigkeit des Signals, wobei er geeignet ist, die Verschleierung einer Rahmenlöschung und die Wiederherstellung des Decodierers zu verbessern (vgl. Merkmal 1.6).
54
Dabei gehören zur Stimmhaftigkeit jedenfalls Informationen über die Periodizität der Sprache, vgl. 0116..
55
0072 erläutert, dass stimmhafte Sprache eine erhebliche Menge periodischer Komponenten im Signal aufweist („Voiced speech contains an important amount of periodic components (…).“).
56
Welche konkrete Stimmhaftigkeits- oder Periodizitätsinformation Anwendung finden und als Parameter gemäß Merkmal 1.3.1.c) übermittelt werden soll, wird von der patentgemäßen Lehre nicht vorgegeben. Der Anspruch bringt auch nicht zum Ausdruck, dass ein spezifisches Maß an Stimmhaftigkeit gemeint sei. Danach genügt grundsätzlich – je nach den Systemgegebenheiten – die Bestimmung und Berücksichtigung einer Information, die sich auf die Stimmhaftigkeit, mithin auf die periodischen Komponenten des Signals, letztlich die Grundfrequenz des Sprachsignals bezieht, soweit diese Information geeignet ist, die Rahmenlöschungs-Verarbeitung zu verbessern.
57
e) Wie bereits dargelegt (s. o.) besteht zwischen Signalklassifizierung i. S. von Merkmal 1.3.1.a) (bzw. Merkmal 39.3.1.a)) und dem Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen gemäß Merkmal 1.3.2 (bzw. Merkmal 39.3.2) kein inhaltlicher Unterschied.
58
Die Aufzählung der fünf Rahmenklassen in Merkmal 1.3.2 („stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen“, ebenso in Merkmal 39.3.2.) ist dabei – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 53, 81; Duplik (Technik) Rn. 8/11) – nicht abschließend. Der Anspruch ist offen und enthält keine Anhaltspunkte für eine abschließende Aufzählung.
59
Auch im Übrigen enthält die Patentschrift keinen Hinweis, dass sich der Anspruch auf die in Merkmal 1.3.2 genannten fünf Klassen einschränkend festlegt. Vielmehr geht das Klagepatent in 0072. („pauses“) und 0073. („silence“) ersichtlich davon aus, dass weitere Klassen vorhanden sein können, die weder stimmhaft noch stimmlos sind und außerhalb der anspruchsgemäßen Lehre liegen.
60
f) Das Ermitteln von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern (im Codierer) weist gemäß Merkmalsgruppe 1.3.3 ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen auf.
61
aa) Dabei enthält Anspruch 1 – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 54/60; Duplik (Technik), Rn.12/13) – keine Einschränkung dahingehend, dass im Codierer das Berechnen des Energieinformationsparameters anhand des Eingangssprachsignals erfolgen muss und nicht anhand eines synthetisierten Signals stattfinden kann.
62
(1) Eine derartige Einschränkung ist im Wortlaut und Wortsinn von Anspruch 1 nicht angelegt. Der Anspruch umfasst (auch) die Variante des Berechnens des Energieinformationsparameters anhand des Eingangssprachsignals, ist aber nicht hierauf beschränkt.
63
(2) Die Beklagten bringen zwar vor, das Klagepatent sehe explizit das synthetisierte Sprachsignal nur im Decodierer vor, wenn der Energieinformationsparameter nicht übertragen werde (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 59).
64
Dieses Argument greift aber nicht durch. Es trifft zu, dass in Anspruch 1 ein Verfahren im Codierer beschrieben wird und in Anspruch 39 spiegelbildlich ein Verfahren im Decodierer. Hinsichtlich der Berechnung des Energieinformationsparameters findet sich in den Ansprüchen aber keine Differenzierung zwischen Codierer und Decodierer. Vielmehr sind die beiden Ansprüche insoweit wortlautidentisch. Demgegenüber ist jeweils innerhalb der beiden Ansprüche eine Differenzierung hinsichtlich der Berechnung des Energieinformationsparameters abhängig von der Klassifizierung des Sprachrahmens vorgesehen (für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie und für andere Rahmen in Relation zu einer Durchschnittsenergie, siehe hierzu unten).
65
(3) Auch aus der Beschreibung ergeben sich keine Anhaltspunkte für die von den Beklagten behauptete Einschränkung.
66
Soweit sie darauf verweisen, dass für die Durchführung der Ermittlung im Codierer in 0110. und 0111. ausgeführt werde, dass für die Berechnung des Energieinformationsparameters das Eingangssprachsignal verwendet werde, während in 0145. vorgesehen sei, dass im Decodierer das synthetisierte Sprachsignal verwendet werde (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 58/59), handelt es sich bloß um Ausführungsbeispiele, die den Anspruch nicht beschränken.
67
bb) Das Berechnen eines Energieinformationsparameters „in Relation zu“ einem Maximum einer Signalenergie bzw. einer Durchschnittenergie setzt eine nicht näher bestimmte Berechnungsvorschrift voraus, mit welcher ein Energieinformationsparameter aus einem Maximum einer Signalenergie bzw. einer Durchschnittsenergie berechnet wird (vgl. das Urteil des Bundespatentgerichts vom 06.12.2021, S. 18).
68
g) Die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter werden gemäß Merkmal 1.4 quantisiert.
69
Die Beklagten sind der Auffassung, der Begriff des Quantisierens sei der Fachperson allgemein bekannt und entspreche auch im Klagepatent einer Abbildung eines wertkontinuierlichen (analogen) Signals auf eine endliche Menge von diskreten Werten (wertdiskretes Signal), vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 61/67. In der mündlichen Verhandlung vom 28.06.2023 hat der Beklagtenvertreter weiter ausgeführt, der Begriff des „Quantisierens“ ergebe im Klagepatent bei seinem üblichen Verständnis der Fachperson keinen Sinn. Aber anstatt, wie die Kammer gemeint habe, das „Quantisieren“ weiter zu fassen und das Codieren einzuschließen, sei die notwendige Korrektur dadurch zu erreichen, dass im kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs der Begriff „aufweisen“ in „resultieren in“ umgedeutet werde. Der Begriff des „Quantisierens“ sei im Oberbegriff enthalten und könne so in seiner üblichen Bedeutung verstanden werden. Denn auf das Quantisieren folge das Senden. Durch Umdeutung der Passage im kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs „dass das Ermitteln … aufweist“ in „dass das Ermitteln … resultiert in“ werde sinnvollerweise eine Klassifizierung der aufeinanderfolgenden Rahmen vorgeschrieben.
70
Die Kammer folgt dieser Auslegung der Beklagten nicht. Die Klagepatentschrift als ihr eigenes Lexikon versteht das Quantisieren eines Parameters – über das übliche Verständnis des Quantisierens als Abbilden eines wertekontinuierlichen Parameters auf einen diskreten Wert einer beschränkten Menge von Werten hinausgehend – so, dass auch ein mit einer bestimmten Präzision codierter Parameter als quantisierter Parameter bezeichnet wird (so auch das Urteil des BPatG vom 06.12.2021, S. 17). Demgegenüber finden sich in der Klagepatentschrift keine Anhaltspunkte dafür, dass der Wortsinn des Begriffs „aufweisen“ als „resultieren in“ zu verstehen ist. Ein solches Verständnis des Patentanspruchs ist in der Patentschrift nicht angelegt.
71
Dies ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten aus 0114., weil dort eine entsprechend codierte Position (des ersten Glottal-Impulses) als „quantisierte Position“ („quantized position“) bezeichnet wird. Darüber hinaus formuliert die Klagepatentschrift in 0116., dass ein stückweise linearer „Quantisierer“ verwendet wird, um Stimmhaftigkeitsinformationen zu „codieren“ („a piece-wise linear quantizer has been used to encode the voicing information“). Auch wenn sich 0114. mit dem Codieren beschäftigt, so wird hieraus deutlich, dass das Klagepatent den Begriff des „Quantisierens“ nicht in Abgrenzung zum Codieren versteht.
72
Dieses Verständnis entspricht ebenfalls der Funktion des Quantisierens im beanspruchten Verfahren. Das Quantisieren betrifft den Zwischenschritt nach dem Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter (Merkmalsgruppe 1.3) und vor deren Senden (Merkmal 1.5). Die Parameter müssen also für die Zwecke des Sendens und der weiteren Verarbeitung codiert werden, d.h. Codieren ist ein zwingender Bestandteil des Quantisierens. Der Umfang der Präzision des Codierens ist abhängig von der weiteren Verwendung. Irrelevante Bestandteile können dabei reduziert werden, z.B. durch Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl von Bits, wodurch auch Rundungen erfasst sind. Bei den laut Merkmal 1.4 zu quantisierenden Verschleierungs- und Wiederherstellungsparametern handelt es sich bereits um wertkontinuierliche Signale. Für den Fachmann ist damit erkennbar, dass mit dem Begriff „quantisieren“ nach dem Verständnis der Patentschrift nicht allein das Umwandeln in ein wertkontinuierliches Signal, sondern auch ein Codieren gemeint ist.
73
Dies wird auch beispielhaft verdeutlicht durch die Beschreibung eines Ausführungsbeispiels in 0077.. Hiernach wird die Rahmenklasse unter Verwendung von zwei Bits an den Decodierer übermittelt („If the available bandwidth is sufficient, the classification is done in the encoder and transmitted using 2 bits.“). Um die vorgesehenen fünf Rahmenklassen (vgl. Merkmal 1.3.2 und 0076.) auf zwei Bits abbilden zu können, werden die Klassen „stimmloser Übergang“ und „stimmhafter“ Übergang zusammen gruppiert. Dies ist möglich, weil diese Rahmenklassen im Decodierer eindeutig unterschieden werden können. Das liegt daran, dass sie jeweils nur auf bestimmte (andere) Rahmenklassen folgen können („As it can be seen from Figure 7, UNVOICED TRANSITION class and VOICED TRANSITION class can be grouped together as they can be unambiguously differentiated at the decoder (UNVOICED TRANSITION can follow only UNVOICED or UNVOICED TRANSITION frames, VOICED TRANSITION can follow only ONSET, VOICED or VOICED TRANSITION frames.“). Insoweit findet eine Irrelevanzreduktion statt.
74
Eine andere Auslegung des Begriffs ergibt sich entgegen der Annahme der Beklagten auch nicht aus 0117.. Zwar wird an dieser Stelle tatsächlich der Begriff des „Quantisierens“ in seinem herkömmlichen engen Verständnis verwendet, in dem ein wertkontinuierliches Signal in ein wertdiskretes Signal umgewandelt wird. Das Klagepatent versteht den Begriff des „Quantisierens“ jedoch weiter und umfasst damit auch das herkömmliche Verständnis.
75
Entsprechendes gilt, soweit die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 28.06.2023 eingewendet haben, aus Fig. 5 des Klagepatents ergebe sich, dass eine Quantisierung nur in den Blöcken 506 und 507 vorgesehen, aber gerade nicht bei Block 505 betreffend die Signalklassifizierung. Laut der Beschreibung in 0069. werden in Fig. 5 im Vergleich zu Fig. 4 die Blöcke 500 bis 507 hinzugefügt, die berechnet, quantisiert und übermittelt werden. Dass in diesem Zusammenhang der Begriff des „Quantisierens“ in seinem üblichen engeren Verständnis verwendet wird, schließt nicht aus, dass das Klagepatent den Begriff insgesamt weiter versteht. Im Übrigen sind in Fig. 5 lediglich Ausführungsbeispiele dargestellt, die den Patentanspruch nicht beschränken.
76
h) Das Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter (im Decodierer) in Anspruch 39 weist gemäß Merkmal 39.3.3 ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen auf.
77
aa) Wie Anspruch 1 (s. o.) enthält auch Anspruch 39 keine Einschränkung hinsichtlich des Signals, das für das Berechnen des Energieinformationsparameters gemäß Merkmal 39.3.3 verwendet wird.
78
bb) Entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 82/88) muss für das Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie (für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind) und für das Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung (für andere Rahmen) nicht das gleiche Signal verwendet werden.
79
Eine derartige Einschränkung ist im Wortlaut und Wortsinn von Anspruch 39 nicht angelegt. Vielmehr ist Anspruch 39 insoweit offen, weil jeweils (nur) von „einer“ Energie die Rede ist („a maximum of a signal energy“ und „an average energy“). Soweit die Beklagten hierzu vorbringen, das Klagepatent sehe in 0145. explizit das synthetisierte Sprachsignal im Decoder vor, wenn der Energieinformationsparamenter nicht übertragen werde („similarly with the exception that they are computed on the synthesized speech signals“), führt dies nicht dazu, dass nach dem Patentanspruch zwingend für das Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie (für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind) und für das Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung (für andere Rahmen) das gleiche Signal verwendet werden muss. 0145. bezieht sich überdies auf die Energiekontrolle gemäß Patentanspruch 34, so dass hieraus keine zwingenden Schlüsse auf das Verständnis von Anspruch 39 gezogen werden können, der das Ermitteln von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern vorsieht.
80
cc) Schließlich enthält der Anspruch – entgegen der Auffassung der Beklagten (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 88) – auch keine Einschränkung, dass die Durchführung weiterer Berechnungsschritte bei der Berechnung des Energieinformationsparameters nach Berechnung des reinen „Maximums einer Signalenergie“ und der reinen „Durchschnittsenergie pro Abtastung“ aus Anspruch 39 hinausführen. Vielmehr sind weitere Berechnungsschritte unschädlich.
81
Der Anspruch ist auch insoweit offen, weil nur vorgegeben wird, dass eine Berechnung „in Relation zu“ („in relation to“) erfolgt, so dass auch insoweit ein weites Verständnis des Anspruchs geboten ist (vgl. das Urteil des Bundespatentgerichts vom 06.12.2021 zu Merkmal 1.3.3.a), S. 18: „nicht näher bestimmte Berechnungsvorschrift (…), mit welcher ein Energieinformationsparameter aus einem Maximum einer Signalenergie berechnet wird“).
82
II. Die Beklagten verletzen das Klagepatent in den Verfahrensansprüchen 1 und 39 mittelbar gemäß § 10 Abs. 1 PatG und in den Vorrichtungsansprüchen 54, 75, 90 und 91 unmittelbar gemäß § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG, weil sie die angegriffene Ausführungsformen in der Bundesrepublik Deutschland in Form von Smartphones, die die Vorgaben des EVS-Standards 3GPP TS 26.445 version 14.2.0 Release 14 (ETSI 445) implementieren (z.B. ...), vor Ablauf des Klagepatents am 30.05.2023 angeboten und vertrieben haben. Die angegriffene Ausführungsformen machen durch die Umsetzung des LTE-Standards von den Verfahrensansprüchen 1 und 39 des Klagepatents mittelbar und von den Vorrichtungsansprüchen 54, 75, 90 und 91 des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.
83
1. Die Parteien streiten bezüglich Anspruch 1 über die Verwirklichung der Merkmale bzw. Merkmalsgruppen 1.3.1, 1.3.1.a), 1.3.1.c), 1.3.2, 1.3.3 und 1.3.4 sowie über die entsprechenden Merkmale in den Ansprüchen 39, 54, 75, 90 und 91, soweit sie wortgleich formuliert sind oder auf andere streitgegenständliche Ansprüche Bezug nehmen. Bezüglich Anspruch 39 streiten die Parteien außerdem hinsichtlich weiterer Aspekte über die Verwirklichung der Merkmale 39.3.1.a), 39.3.2 und 39.3.3. Gegen die Benutzung der übrigen Merkmale wenden sich die Beklagten nicht. Diese werden nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin von den angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht.
84
a) Durch die Umsetzung des LTE-Standards wird von Merkmal 1.3.1 Gebrauch gemacht.
85
In Abschnitt 5.5 des Standards ETSI TS 126.445 ist eine Gruppe von sechs Parametern („5.5.1 Signal classification parameter“, „5.5.2 Energy information“, „5.5.3 Phase control information“, „5.5.4 Pitch lag information“, „5.5.5 Spectral envelope diffuser“, „5.5.6 Tonality flag information“) vorgesehen, wobei die Klägerin die in den Abschnitten 5.5.1 bis 5.5.4 genannten Parameter als die in Merkmal 1.3.1.a) bis 1.3.1.d) des Anspruchs 1 offenbarten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter identifiziert (hierzu im Einzelnen sogleich, soweit deren Verwirklichung zwischen den Parteien streitig sind).
86
aa) Der Standard geht bei der Anzahl der Parameter über die vier in Merkmalsgruppe 1.3.1 genannten Parameter hinaus. Dies steht aber – entgegen der Ansicht der Beklagten – einer Verwirklichung von Merkmal 1.3.1 nicht entgegen, weil die Gruppe der Parameter in Merkmalsgruppe 1.3.1 – wie im Rahmen der Auslegung dargelegt (s. o.) – nicht dahingehend abschließend ist, dass ausgeschlossen wird, dass über diese Gruppe der vier Parameter hinaus noch weitere Parameter herangezogen werden dürfen.
87
bb) Nach dem Standard werden auch zumindest zwei Parameter aus der Gruppe der vier in Merkmalsgruppe 1.3.1 genannten Parameter ausgewählt.
88
Zwar verlangt der Standard in Abschnitt 5.5 von ETSI TS 126.445 nicht ausdrücklich, dass mindestens zwei Parameter aus dieser Gruppe tatsächlich ermittelt werden, sondern formuliert insoweit lediglich im Plural. Diese Formulierung lässt aber die Möglichkeit zu, dass zwei Parameter aus dieser Gruppe der vier ausgewählt werden. Die Klägerin hat schlüssig vorgetragen, dass standardgemäß jedenfalls auch Konstellationen gegeben sind, in denen zwei oder mehr Parameter aus dieser Gruppe der vier Parameter ausgewählt werden. Dies ist auch plausibel und für die Verwirklichung des Verfahrensanspruchs ausreichend, weil es insoweit nur auf die Gemeinsamkeiten ankommt. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, dies durch die konkrete Darlegung zu widerlegen, dass nach dem Standard stets maximal nur ein Parameter aus dieser Gruppe der vier Parameter ausgewählt werde. Dies ist nicht erfolgt.
89
cc) Die zumindest zwei Parameter werden auch aus der Gruppe der vier Parameter i. S. von Merkmal 1.3.1 ausgewählt.
90
Die Beklagten tragen vor, ein anspruchsgemäßes Auswählen sei im Standard nicht vorgesehen, weil danach die Auswahl anhand des Codiermodus erfolge, nicht anhand der verfügbaren Bandbreite (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 131 ff.). Dies steht einer Verwirklichung von Merkmal 1.3.1 aber nicht entgegen, weil Anspruch 1 – wie im Rahmen der Auslegung dargelegt (s. o.) – nicht auf eine Auswahl der mindestens zwei Parameter anhand der verfügbaren Bandbreite beschränkt ist.
91
b) Durch die Umsetzung des LTE-Standards wird auch Merkmal 1.3.1.a) verwirklicht.
92
Der Standard sieht in Abschnitt 5.5.1 von ETSI TS 126.445 vor, dass einer der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Signalklassifizierungsparameter ist.
93
Konkret verlangt der Standard, dass Sprachsignale jeweils in eine von fünf Klassen zu klassifizieren sind:
„5.5.1 Signal classification parameter
(…) The classification uses the following five classes to classify speech signals: UN- VOICED, UNVOICED TRANSITION, VOICED TRANSITION, ONSET and VOICED.“
94
Bei dieser (rahmenweise) Klassifizierung des Sprachsignals handelt es sich um einen Signalklassifizierungsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.a). Wie im Rahmen der Auslegung dargelegt (s. o.), ordnet Anspruch 1 nicht an, zwischen Signalklassifizierung i. S. von Merkmal 1.3.1.a) und dem Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen i. S. von Merkmal 1.3.2 oder zwischen Signalklassifizierung und Signalklassifizierungsparameter zu differenzieren.
95
c) Merkmal 1.3.1.c) wird ebenfalls verwirklicht.
96
Die in Abschnitt 5.5.4 von ETSI TS 126.445 beschriebene „pitch lag information“ stellt entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung (Technik), Rn. 138) einen Stimmhaftigkeitsinformationsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.c) dar.
97
aa) Die für als Einsetzen oder stimmhaft klassifizierte Rahmen nach Setzen des „activation flag“ auf 1 vom Codierer mitgeteilte Pitch-Verzögerung betrifft den zeitlichen Abstand zwischen zwei periodisch auftretenden Pulsen im Sprachsignal und ist nach dem aufgezeigten weiten Anspruchsverständnis eine Stimmhaftigkeitsinformation.
98
Eine fehlerhafte Pitch-Verzögerung würde dazu führen, dass der rekonstruierte Puls mit einem fehlerhaften Abstand zu den übermittelten Pulsen im Sprachsignal wiedergegeben würde, was die Grundfrequenz bzw. Stimmlage in einem Sprachsignal beeinflusst, so dass eine fehlerhafte Pitch-Verzögerung als zu hohe oder zu niedrige Stimmlage wahrgenommen wird. Damit bezieht sich die Information als Periodizitätsinformation spezifisch auf die Grundfrequenz des Signals und ist – wie der Standard in Abschnitt 5.5.4 von ETSI TS 126.445 selbst aussagt – zur Verbesserung der Sprachqualität bei der Rahmenlöschungs-Verarbeitung geeignet.
99
bb) Dem steht nicht entgegen, dass ein „pitch lag“ im Klagepatent beschrieben wird und keinen Eingang in den Anspruch gefunden hat (z.B. ein „open-loop pitch lag TOL“ in 0030., 0033., 0036., 0037., sowie ein „rounded closed-loop pitch lag TE“ in 0110., 0113., 0145.).
100
Die Beschreibung einer Pitch-Verzögerung in einem anderen Zusammenhang bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Information zwingend aus dem Begriff des Stimmhaftigkeitsinformationsparameters ausgeklammert werden sollte, zumal die von der Beklagtenseite zitierten Beschreibungsstellen lediglich spezifische Pitch-Verzögerungen betreffen.
101
Dass eine bestimmte Information gleichfalls in einem anderen Zusammenhang als in Bezug auf ein konkretes Merkmal des Anspruchs beschrieben wird, schließt nicht aus, dass dieses Merkmal durch die fragliche Information verwirklicht wird. Entscheidend ist vielmehr, dass die Information alle Voraussetzungen des Merkmals erfüllt. Dies trifft – wie dargelegt – wegen des aufgezeigten Anspruchsverständnisses des Stimmhaftigkeitsinformationsparameters auf die in Abschnitt 5.5.4 von ETSI TS 126.445 beschriebene „pitch lag information“ zu. cc) Auch dass die „pitch lag information“ nicht abhängig von der verfügbaren Bandbreite vom Codierer an den Decodierer übertragen wird, sondern ausschließlich für Rahmen der Klassen „onset“ und „voiced“, für diese jedoch immer, führt zu keinem anderen Ergebnis.
102
Wie bereits zu Merkmal 1.3.1 dargelegt ist (s. o.), kommt es für das Auswählen (der zumindest zwei Parameter) i. S. von Merkmalsgruppe 1.3.1 nicht an, ob die Auswahlentscheidung anhand der verfügbaren Bandbreite getroffen wird.
103
dd) Im Übrigen kann es letztlich dahinstehen, ob die in Abschnitt 5.5.4 von ETSI TS 126.445 beschriebene „pitch lag information“ einen Stimmhaftigkeitsinformationsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.c) darstellt, weil jedenfalls die Merkmale 1.3.1.a) (s.o.) sowie unstrittig die Merkmale 1.3.1.b) und 1.3.1.d) von dem Standard verwirklicht werden. Da das Klagepatent lediglich eine Auswahl von zwei der vier in 1.3.1 genannten Parameter voraussetzt, liegt eine Verwirklichung durch die angegriffene Ausführungsform unabhängig von der Einordnung der „pitch lag information“ vor.
104
Daher kann auch dahinstehen, ob Merkmal 1.3.1.c) zudem bereits durch die in Abschnitt 5.5.4 von ETSI TS 126.445 genannte „activation flag“ verwirklicht wird (so der klägerische Vortrag in der Klageschrift, Rn. 104/105).
105
d) Auch von Merkmal 1.3.2 wird durch die Umsetzung des LTE-Standards Gebrauch gemacht.
106
In Abschnitt 5.5.1 von ETSI TS 126.445 wird vorgeschrieben, dass Sprachsignale jeweils in eine von fünf Klassen zu klassifizieren sind. Hiernach sollen Sprachsignale als „stimmlos“, „stimmloser Übergang“, „stimmhafter Übergang“, „Einsetzen“ oder „stimmhaft“ klassifiziert werden:
„5.5.1 Signal classification parameter
(…) The classification uses the following five classes to classify speech signals: UNVOICED, UNVOICED TRANSITION, VOICED TRANSITION, ONSET and VOICED.“
107
Dies entspricht der in Merkmal 1.3.2 beanspruchten Klassifizierung aufeinanderfolgender Rahmen, was zusätzlich verdeutlicht wird durch Abschnitt 5.1.13.3.1 von ETSI TS 126.445. Darin wird erläutert, dass die Klassifizierung in die genannten fünf Klassen rahmenweise erfolgt. Darüber hinaus stimmt die Erläuterung der einzelnen Klassen in Abschnitt 5.1.13.3.1 von ETSI TS 126.445 inhaltlich mit der Beschreibung der einzelnen Klassen im Ausführungsbeispiel in 0076. der Klagepatentschrift überein.
108
Dass durch die im Standard vorgesehen Klassifizierung der Rahmen auch Merkmal 1.3.1.a) erfüllt wird (s. o.), steht einer Verwirklichung von Merkmal 1.3.2 nicht entgegen, weil es Anspruch 1 – wie im Rahmen der Auslegung dargelegt (s. o.) – nicht gebietet, zwischen Signalklassifizierung i. S. von Merkmal 1.3.1.a) und dem Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen i. S. von Merkmal 1.3.2 zu unterscheiden.
109
e) Merkmalsgruppe 1.3.3 wird durch die Umsetzung des LTE-Standards ebenfalls verwirklicht.
110
Nach Abschnitt 5.5.2 von ETSI TS 126.445 wird der Energieinformationsparameter für als „stimmhaft“ oder „Einsetzen“ klassifizierte Rahmen i. S. von Merkmalsgruppe 1.3.3 berechnet. So gibt der Standard vor, dass für diese beiden Rahmenklassifizierungen die Energieinformation das Maximum der Signalenergie ist und gibt mit der Gleichung (1299) eine Formel zur Berechnung dieses Maximums i. S. von Merkmalsgruppe 1.3.3 an. Ebenso wird der Energieinformationsparameter für alle anderen Rahmen i. S. von Merkmalsgruppe 1.3.3 berechnet. Der Standard sieht nach den Ausführungen zu den Rahmenklassifizierungen „stimmhaft“ und „Einsetzen“ in Abschnitt 5.5.2 vor, dass für alle übrigen Rahmen die Durchschnittsenergie pro Abtastung berechnet werden soll, und gibt mit der Gleichung (1300) eine Formel zur Berechnung dieser Durchschnittsenergie an:
111
Dass hierbei im Standard ein synthetisiertes Sprachsignal („local synthesis signal“) verwendet wird, steht – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 143) – einer Verwirklichung von Merkmalsgruppe 1.3.3 entgegen, weil – wie dargelegt (s. o.) – Anspruch 1 nicht auf ein Berechnen des Energieinformationsparameters anhand des Eingangssprachsignals beschränkt ist.
112
f) Im LTE-Standard erfolgt auch ein Quantisieren der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter i. S. von Merkmal 1.4.
113
aa) Wie im Rahmen der Auslegung dargelegt (s. o.) versteht die Klagepatentschrift den Begriff des Quantisierens eines Parameters über das übliche fachmännische Verständnis hinausgehend so, dass auch ein mit einer bestimmten Präzision codierter Parameter als quantisierter Parameter bezeichnet wird. Ein derart verstandenes Quantisieren wird im Standard hinsichtlich aller vier in der Merkmalsgruppe 1.3.1 genannten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter durchgeführt.
114
bb) Der in Abschnitt 5.5.1 von ETSI TS 126.445 erläuterte Signalklassifizierungsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.a) (s.o.) wird gemäß Abschnitt 5.5.1 mit (nur) zwei Bits codiert. Dabei führt der Standard sogar – wie 0076. der Klagepatentschrift (s. o.) – explizit aus, dass die fünf Klassen mit nur zwei Bits codiert werden können, indem die Klassen „stimmloser Übergang“ und „stimmhafter Übergang“ zusammen gruppiert werden („Though there are five signal classes, they can be encoded with only two bits as the differentiation of the both TRANSITION classes can be done unambiguously determined based on the class of the preceding frame.“).
115
cc) Der Energieinformationsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.b) wird nach Abschnitt 5.5.2 von ETSI TS 126.445 mit einem 5-Bit linearen Quantisierer quantisiert („The energy information is quantized using a 5-bit linear quantizer (…).“).
116
dd) Die Informationen zur Pitch-Verzögerung als Stimmhaftigkeitsinformationsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.c) (s. o.) werden nach Abschnitt 5.5.4 von ETSI TS 126.445 mit vier Bits codiert, also anspruchsgemäß quantisiert, sofern sie übermittelt werden („In case the activation flag equals to 1, the pitch lag is encoded with 4 bits and transmitted on top of the activation flag.“).
117
ee) Der Phaseninformationsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.d) wird nach Abschnitt 5.5.3 von ETSI TS 126.445 mit acht Bits codiert, also anspruchsgemäß quantisiert („The position of the last glottal pulse, τ, is encoded using 8 bits (…).“).
118
ff) Dass es sich bei den als anspruchsgemäßer Signalklassifizierungsparameter, Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und Phaseninformationsparameter identifizierten Größen in Abschnitt 5.5.1 von ETSI TS 126.445 um diskrete Größen, nicht um wertkontinuierliche Signale handelt, steht – entgegen der Auffassung der Beklagten (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 114/124) – einer Verwirklichung von Merkmal 1.4 nicht entgegen, weil die Klagepatentschrift insoweit über das übliche fachmännische Verständnis des Quantisierens als Abbilden eines wertekontinuierlichen Parameters auf einen diskreten Wert einer beschränkten Menge von Werten hinausgeht (s. o.).
119
g) Auch Merkmal 39.3.1 wird durch den LTE-Standard verwirklicht.
120
Die Beklagten bringen gegen die Verwirklichung von Merkmal 39.3.1 vor, dass der Decodierer nach ETSI TS 126.447 nicht nur aus den Kategorien „Signal class estimation“ (Abschnitt 5.1.2), „Energy control during recovery“ (Abschnitt 5.3.3.3), „Extrapolation of future pitch“ (Abschnitt 5.3.1.1) und „Glottal pulse resynchonization“ (Abschnitt 5.3.1.3), sondern darüber hinaus auch aus weiteren Größen Parameter für die Verschleierung von gelöschten Rahmen bzw. für die Wiederherstellung des Decodierers auswähle, insbesondere „spectral envelope diffuser“ (Abschnitt 5.3.3.2) und „tonality flag“ (Abschnitt 5.4.5.3a) (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 155/164). Wie im Rahmen der Auslegung sowie zu Merkmal 1.3.1 dargelegt (s.o.), steht dies jedoch einer Verwirklichung von Merkmal 39.3.1 nicht entgegen.
121
h) Durch die Umsetzung des LTE-Standards wird auch Merkmal 39.3.1.a) verwirklicht.
122
Der Standard sieht in Abschnitt 5.1 von ETSI TS 126.447 eine rahmenweise Signalklassifizierung vor:
123
Bei dieser (rahmenweise) Klassifizierung des Sprachsignals handelt es sich um einen Signalklassifizierungsparameter i. S. von Merkmal 39.3.1.a). Wie im Rahmen der Auslegung sowie zu Merkmal 1.3.1.a) dargelegt (s. o.), gebietet es Anspruch 39 nicht, zwischen Signalklassifizierung i. S. von Merkmal 39.3.1.a) und dem Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen i. S. von Merkmal 39.3.2 oder zwischen Signalklassifizierung und Signalklassifizierungsparameter zu differenzieren.
124
i) Auch von Merkmal 39.3.2 wird durch die Umsetzung des LTE-Standards Gebrauch gemacht.
125
Die Beklagten wenden gegen die Verwirklichung von Merkmal 39.3.2 ein, dass im Standard neben den beanspruchten fünf Klassen auch weitere Klassen vom Decodierer benutzt werden, nämlich ausweislich des Abschnitts 5.1.13.3.1 die Klassen „INACTIVE CLASS“ und „AUDIO CLASS“ (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 165/170). Ebenfalls verwendet der Decodierer nach dem Vortrag der Beklagten eine „ARTIFICIAL ONSET“. Dies steht aber – wie im Rahmen der Auslegung sowie zu Merkmal 1.3.2 dargelegt (s.o.) – einer Verwirklichung von Merkmal 39.3.2 nicht entgegen.
126
j) Merkmal 39.3.3 wird durch die Umsetzung des LTE-Standards ebenfalls verwirklicht.
127
Nach Abschnitt 5.3.3.3 von ETSI TS 126.447 wird (bei niedrigeren Bitraten) der Energieinformationsparameter Eq im Decodierer i. S. von Merkmal 39.3.3 berechnet. Hierzu wird Eq auf den Wert E1 initialisiert und E1 gemäß den Gleichungen (95) bzw. (96) in Abschnitt 5.3.3.3 berechnet, wobei für die Rahmen „stimmhaft“ und „Einsetzen“ die Energieinformation das Maximum der Signalenergie ist und für alle übrigen Rahmen die Durchschnittsenergie pro Abtastung berechnet wird:
128
Dass für die beiden Berechnungsvarianten unterschiedliche Signale verwendet werden, steht – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 171 ff.) – der Verwirklichung von Merkmal 39.3.3 – wie dargelegt (s. o.) – nicht entgegen, zumal die Beklagten nicht darlegt haben, welche Berechnungsschritte im Standard konkret vorgenommen werden.
129
Ebenfalls hindert die Durchführung weiterer Berechnungsschritte im Standard, die die Beklagten anführen (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 178, mit Verweis auf zwei Absätze in ETSI TS 126.447, S. 32), die Verwirklichung von Merkmal 39.3.3 nicht (s. o.).
130
2. Die Voraussetzungen der mittelbaren Patentverletzung bezüglich der Verfahrensansprüchen 1 und 39 sind gemäß § 10 Abs. 1 PatG erfüllt. Der Gefährdungstatbestand nach § 10 PatG wird objektiv und subjektiv verwirklicht.
131
a) Mittel sind die angegriffenen Ausführungsformen (EVSfähige Mobiltelefone, insbesondere ...), weil sie Gegenstände sind, die selbst noch nicht die Lehre der Patentansprüche 1 und 39 (wortsinngemäß oder äquivalent) verwirklichen, aber geeignet sind, zur unmittelbaren Benutzung der Erfindung (in wortsinngemäßer oder äquivalenter Form) verwendet zu werden.
132
b) Diese Mittel beziehen sich auf ein wesentliches Element der Erfindung. Die Geräte können das in den Ansprüchen 1 und 39 beanspruchte Verfahren ausführen. Da die in den Ansprüchen 1 und 39 enthaltenen Merkmale maßgeblich durch die angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht werden, tragen sie damit zum erfindungsgemäßen Leistungsergebnis maßgeblich bei.
133
c) Die angegriffenen Ausführungsformen sind objektiv zur unmittelbaren Patentbenutzung geeignet. Wenn eine angegriffene Ausführungsform bestimmungsgemäß von dritter Seite genutzt wird, sind nach den Ansprüchen 1 und 39 die Voraussetzungen zur Anwendung des Verfahrens hergestellt. Die angegriffenen Ausführungsformen sind geeignet, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden. Nach der objektiven Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsformen und ihrer Einbindung in den EVS-Standard ist dies der Fall, weil eine unmittelbare wortsinngemäße Benutzung der geschützten Lehre mit allen ihren Merkmalen durch die Nutzer möglich ist. Diese Benutzung durch Nutzer ist bereits erfolgt.
134
d) Das Angebot oder die Lieferung der angegriffenen Ausführungsformen im Inland zur Benutzung der Erfindung im Inland ist erfolgt.
135
e) Der subjektive Tatbestand ist gegeben.
136
Die subjektive Bestimmung des Nutzers zur unmittelbaren patentverletzenden Verwendung ist offensichtlich. Die angegriffenen Ausführungsformen sehen die patentverletzende Funktionalität (EVS-Kompabilität) vor. Es ist evident, aber zumindest davon auszugehen, dass sie vom Nutzer der Vorrichtungen entsprechend ausgeführt wird. Die objektive Eignung und die Verwendungsbestimmung der Abnehmer sind für die Beklagtenseite offensichtlich.
137
III. Auf die Verwirklichung der Unteransprüche 10, 29, 48, 63, 80, 83 und 84 kommt es nicht an, weil diese insoweit nur hilfsweise geltend gemacht werden, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 28.06.2023 klargestellt hat. Über diese war daher nicht zu entscheiden.
138
IV. Die Beklagten sind unstreitig passivlegitimiert.
139
V. Damit stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche im tenorierten Umfang weit überwiegend zu.
140
1. Der Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB.
141
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
142
Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern.
143
Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben der Beklagten angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagten werden durch die von ihnen verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Der Wirtschaftsprüfervorbehalt ist wie beantragt zu gewähren.
144
Soweit die Beklagte zu 2 einwendet, sie vertreibe erst seit November 2021 die Geräte der Beklagten zu 1 in Deutschland (vgl. Klageerwiderung (Technik), Rn. 11), lässt dies den Auskunftsanspruch auf für den Zeitraum vor November 2021 unberührt. Für einen Auskunftsanspruch ist es ausreichend, dass eine Verletzungshandlung vorliegt. Dies ist hier der Fall, weil die Schutzdauer erst zum 30.05.2023 abgelaufen ist.
145
2. Der Anspruch auf Rückruf folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140a Abs. 3 PatG. Der Anspruch auf Rückruf besteht auch gegen eine im Ausland ansässige Verpflichtete (BGH GRUR 2017, 785, 787, Rn. 33 – Abdichtsystem). Daher besteht der Anspruch auch hier gegen die Beklagtenseite. Der Anspruch besteht auch nach Wegfall des Patents fort, da die betreffenden Gegenstände mit dem Makel einer Patentverletzung behaftet blieben und der Rechtsschutz gegen Ende der Laufzeit eines Patents ansonsten entwertet würde (BeckOK PatR/Fricke, PatG § 140a Rn. 33).
146
Der Anspruch ist auch nicht unverhältnismäßig, § 140a Abs. 4 PatG.
147
(1) Gemäß § 140a Abs. 4 Satz 1 PatG sind Vernichtungs- bzw. Rückrufansprüche ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall ausgeschlossen ist.
148
Der Unverhältnismäßigkeitseinwand des § 140a Abs. 4 Satz 1 PatG ist auf besondere Ausnahmefälle begrenzt (zum Rückrufanspruch Rinken, in: BeckOK PatR, PatG § 140a Rn. 46). Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass der Rückruf die logische Folge des Ausschließlichkeitsrechts ist. Mit der Erteilung des Patents entstehen an der patentierten Erfindung absolute Rechte, die neben ihrem Zuweisungsgehalt einen Ausschlussgehalt besitzen, so dass der Inhaber des Rechts grundsätzlich jedermann von der Nutzung der patentierten Lehre ausschließen kann. So erlauben diese Rechte insbesondere – im Rahmen der übrigen gesetzlichen, insbesondere der patent- und kartellrechtlichen Vorgaben – den Ausschluss Dritter von der Nutzung der patentierten Lehre. Um sein Ausschließlichkeitsrecht durchzusetzen, ist der Patentinhaber in aller Regel auf die Ansprüche des § 140a PatG angewiesen.
149
Wenn der Patentverletzer besondere Umstände darlegt, die im Einzelfall eine nicht gerechtfertigte Härte begründen können, kann es im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls und bei einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände unter Berücksichtigung des Gebotes von Treu und Glauben und der grundsätzlich vorrangigen Interessen des Verletzten an der Durchsetzung seiner Ansprüche ausnahmsweise darauf ankommen, ob der Verletzte selbst Produkte oder Komponenten herstellt, die mit dem patentverletzenden Produkt in Wettbewerb stehen, oder ob primär eine Monetarisierung seiner Rechte das Ziel des Patentinhabers ist (vgl. zum Unterlassungsanspruch des § 139 PatG BT-Drs. 19/25821, S. 53). Im Übrigen können wirtschaftliche Auswirkungen des Rückrufs, die Komplexität von Produkten, subjektive Gesichtspunkte auf beiden Seiten und Drittinteressen zu berücksichtigen sein. So kann etwa zu Lasten des Verpflichteten eine fehlende Lizenzwilligkeit gesehen werden (vgl. zu § 139 PatG BT-Drs. 19/25821, S. 54).
150
(2) Bei Anwendung dieser Maßstäbe greift der von der Beklagtenseite erhobene Einwand der Unverhältnismäßigkeit nicht durch. Unter Berücksichtigung aller Umstände des zwischen den Parteien geführten Rechtsstreits und ihrer maßgeblichen Interessen hat die Beklagtenseite eine Unverhältnismäßigkeit des Rückrufanspruchs nicht dargetan.
151
(a) Der Umstand, dass die Klägerin ihr EVS-Portfolio zum Zwecke der Monetarisierung erworben hat, begründet für sich gesehen keine Unverhältnismäßigkeit. Dieser Umstand allein ist für sich gesehen nicht geeignet, diesen als unverhältnismäßig einzustufen (vgl. LG München I GRUR-RS 2022, 34498 – „keepawake-message“ zu § 139 PatG).
152
(b) Dass die dem Klagepatent zugrunde liegende technische Funktion nur einen Teilaspekt des EVS-Standards adressiert, und die angegriffenen Ausführungsformen höchst komplexe Produkte sind, begründet für sich gesehen ebenfalls keine Unverhältnismäßigkeit.
153
Jedenfalls bei der Geltendmachung von standardessenziellen Patenten kommt insoweit eine Unverhältnismäßigkeit grundsätzlich nicht in Betracht. Denn der Nutzer eines SEPs hat grundsätzlich einen Anspruch auf Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen. Dass der Lizenzvertrag noch nicht abgeschlossen ist, ist – wie sogleich unter C. gezeigt wird – den Beklagten anzulasten. Der Umstand, dass die Unternehmensgruppe der Beklagten jedenfalls ein – nicht schlechterdings untragbares, s.u. – Angebot von der Klägerin erhalten und dieses nicht angenommen hat, weil sie lizenzunwillig gewesen ist (hierzu unter C.), vermag die Rechte der Klägerin wegen der Komplexität des Verletzerprodukts nicht zu beschränken. Denn die Unternehmensgruppe der Beklagten hatte und hat die Möglichkeit, ihr patentverletzendes Handeln zu legitimieren. Sie hat (bislang) von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch gemacht. Dass die Klägerin ihre Patentrechte gegen einen lizenzunwilligen Patentverletzer durchsetzen muss und hierzu auf ein gerichtliches Verfahren angewiesen ist, ist dann logische Folge. Dies begründet im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung keine Unverhältnismäßigkeit des Rückrufanspruchs.
154
3. Da die Beklagten die Verletzungshandlungen zumindest fahrlässig begangen haben, sind sie dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG.
155
Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte im Geschäftsbetrieb der Beklagten spätestens einen Monat nach Veröffentlichung der Erteilung des Klagepatents erkannt werden können und müssen, dass dieses durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen verletzt wird. Eine für die Feststellung der Schadensersatzpflicht ausreichende gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens ist wegen des bereits eingetretenen Schadens aufgrund der geschehenen Patentbenutzungen begründet.
156
Da das Patent allerdings zum 30.05.2022 abgelaufen ist, wird Schadensersatz nur für Handlungen bis zu diesem Zeitpunkt geschuldet. Da die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihre Anträge im Hinblick auf den Schadensersatzanspruch (Ziffer II. der Klage) nicht entsprechend beschränkt hat, ist die Klage insoweit abzuweisen. Die Beklagten haften nach § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner.
157
Der von den Beklagten erhobene kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand (sog. FRANDEinwand) steht der Durchsetzbarkeit des klägerischen Anspruchs auf Rückruf nicht entgegen und hat auch nicht als Einwand gegen die Durchsetzbarkeit des mittlerweile übereinstimmend für erledigt erklärten Unterlassungsanspruchs bestanden. Dieser Einwand greift mangels Lizenzwilligkeit der Unternehmensgruppe der Beklagten nicht durch.
158
Entgegen der Annahme der Beklagten liegt kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung durch die Klägerin vor. Es kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin eine marktbeherrschende Stellung besitzt, so dass sie Normadressatin des Art. 102 AEUV ist. Ebenso kann zugunsten der Beklagten angenommen werden, dass die FRAND-Erklärung der ursprünglichen Patentinhaberin die Klägerin bindet. Den sich aus dieser Stellung ergebenden Pflichten ist die Klägerseite hinreichend nachgekommen. Sie hat die Unternehmensgruppe der Beklagten insbesondere hinreichend auf die Verletzung hingewiesen.
159
I. Ein Patentinhaber, der sich gegenüber einer Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, Lizenzen an einem standardessenziellen Patent (SEP) zu FRAND-Bedingungen (also fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen) zu erteilen, kann seine durch das standardessenzielle Patent vermittelte marktbeherrschende Stellung durch die Erhebung einer Verletzungsklage missbrauchen, wenn und soweit diese geeignet ist zu verhindern, dass dem Standard entsprechende Produkte auf den Markt gelangen oder auf dem Markt erhältlich bleiben (vgl. EuGH GRUR 2015, 764 – Huawei Technologies/ZTE; BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 – FRAND-Einwand I). Als missbräuchlich können Klageanträge in Betracht kommen, die auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung von Produkten oder auf Vernichtung gerichtet sind (vgl. BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 – FRAND-Einwand I m. w. N.).
160
Der Unionsgerichtshof hat zur FRAND-Lizenz entschieden, dass der Inhaber eines von einer Standardisierungsorganisation normierten standardessenziellen Patents, der sich gegenüber dieser Organisation unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, seine marktbeherrschende Stellung nicht dadurch missbraucht, dass er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt, wenn er zum einen den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, hingewiesen hat und dabei das betreffende Patent bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll, und zum anderen, nachdem der angebliche Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, er dem Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat und dieser Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, reagiert, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und unter anderem impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird (vgl. EuGH aaO). Weiter hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass es dem Inhaber eines standardessenziellen Patents mit FRAND-Erklärung grundsätzlich nicht verboten ist, gegen den Verletzer seines Patents eine Verletzungsklage auf Rechnungslegung bezüglich der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das Patent oder auf Schadensersatz wegen dieser Handlungen zu erheben (EuGH aaO).
161
Die klageweise Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung sowie Vernichtung durch den Patentinhaber kann sich als missbräuchlich darstellen, wenn sich der Verletzer zwar (noch) nicht rechtsverbindlich zum Abschluss eines Lizenzvertrags zu bestimmten angemessenen Bedingungen bereiterklärt hat, dem Patentinhaber aber anzulasten ist, dass er sich seinerseits nicht hinreichend bemüht hat, der mit der marktbeherrschenden Stellung verbundenen besonderen Verantwortung gerecht zu werden und einem grundsätzlich lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzvertrags zu ermöglichen (BGH aaO – FRAND-Einwand I). Der Missbrauch der Marktmacht folgt aus der Ablehnung eines nachgefragten Zugangs zu der Erfindung schlechthin oder aus unangemessenen Bedingungen für einen nachgefragten Zugang, von denen der Patentinhaber auch am Ende von Verhandlungen nicht abzurücken bereit ist, mithin der Weigerung, dem den Abschluss eines Vertrags zu FRAND-Bedingungen anstrebenden Lizenznehmer als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses diejenigen fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen anzubieten, die dieser beanspruchen kann und zu denen er seinerseits bereit ist, mit dem Patentinhaber abzuschließen (vgl. BGH GRUR 2021, 585 Rn. 59 – FRAND-Einwand II). Aus einem nicht FRAND-Bedingungen entsprechenden Angebot als solchem ergibt sich noch kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung des Patentinhabers: Ein Missbrauch liegt erst darin, dem Patentverletzer die Verhandlung und den Abschluss eines in Ansehung der im Verhandlungsprozess artikulierten Interessen interessengerechten FRAND-Lizenzvertrags zu verweigern oder unmöglich zu machen und stattdessen das Patent oder eines der zu lizenzierenden Patente klageweise durchzusetzen (BGH aaO Rn. 78 – FRAND-Einwand II).
162
Derjenige, der das Patent benutzen will oder bereits benutzt und patentgemäße Produkte auf den Markt gebracht hat, obwohl er über keine Lizenz verfügt, muss bereit sein, eine Lizenz an diesem Patent zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen zu nehmen (BGH aaO Rn. 70 – FRAND-Einwand I). Denn auch der marktmächtige Patentinhaber kann die Lizenznahme niemandem aufdrängen; zwar kann der potenzielle Lizenznehmer von ihm den Abschluss eines Lizenzvertrags verlangen, der Patentinhaber ist aber darauf angewiesen, Ansprüche wegen Patentverletzung gegen denjenigen durchzusetzen, der die patentgemäße Lehre benutzen, einen Lizenzvertrag hierüber aber nicht abschließen will (vgl. BGH aaO Rn. 82 – FRAND-Einwand I). Der Verletzer muss sich daher klar und eindeutig bereiterklären, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen abzuschließen, und muss auch in der Folge zielgerichtet an den Lizenzvertragsverhandlungen mitwirken, weil „a willing licensee must be one willing to take a FRAND licence on whatever terms are in fact FRAND“ (BGH aaO Rn. 83 – FRAND-Einwand I). Unter welchen Umständen eine fehlende Lizenzbereitschaft des Patentverletzers vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls (BGH aaO Rn. 78 – FRAND-Einwand II).
163
Eine missbräuchliche Verweigerung durch den marktbeherrschenden Patentinhaber setzt zwingend ein fortdauerndes Verlangen des Verletzers nach Abschluss eines Vertrags zu FRAND-Bedingungen und dessen Bereitschaft zur Mitwirkung am Zustandekommen eines solchen Vertrags voraus, ohne die eine „Verweigerung“ des Patentinhabers ins Leere ginge (BGH aaO Rn. 66 – FRAND-Einwand II). Die Lizenzbereitschaft ist unentbehrlich, weil sich ein die gegenläufigen beiderseitigen Interessen ausbalancierendes, angemessenes Ergebnis in der Regel erst als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses erfassen lässt, in dem diese Interessen artikuliert und diskutiert werden, um auf diese Weise zu einem beiderseits gewünschten fairen und angemessenen Interessenausgleich zu gelangen. Die Anforderungen an das Verhalten des Patentinhabers und an das Verhalten des Nutzers der Erfindung bedingen sich dabei wechselseitig. Maßstab der Prüfung ist dasjenige, was eine vernünftige Partei, die an dem erfolgreichen und dem beiderseits interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, zur Förderung dieses Ziels in einem bestimmten Verhandlungsstadium jeweils tun würde (BGH aaO Rn. 59 – FRAND-Einwand II). Eine objektive Bereitschaft zum Abschluss eines FRAND-Lizenzvertrags zeigt sich regelmäßig in der an dem gemeinsamen Ziel eines erfolgreichen Abschlusses orientierten aktiven Förderung der Verhandlungen. Dabei bauen die Verhandlungsschritte von an einem Vertragsschluss interessierten Parteien aufeinander auf. Eine Förderpflicht besteht deshalb stets, wenn und insoweit nach den geschäftlichen Gepflogenheiten und den Grundsätzen von Treu und Glauben mit dem nächsten Verhandlungsschritt zu rechnen ist (BGH aaO Rn. 68 – FRAND-Einwand II).
164
Hat es eine Seite zunächst an der gebotenen Mitwirkung am Zustandekommen eines Lizenzvertrags zu FRAND-Bedingungen fehlen lassen, geht dies grundsätzlich zu ihren Lasten. Je nach Sachlage kann sie gehalten sein, begangene Versäumnisse so weit wie möglich zu kompensieren. Dies entspricht den üblichen Gepflogenheiten von an einem Vertragsschluss interessierten Personen, welche bei einer verzögerten Reaktion auf ein entsprechendes Verhandlungsangebot normalerweise damit rechnen müssen, dass die Gegenseite kein Interesse an einem Vertragsschluss mehr hat (BGH aaO Rn. 60 – FRAND-Einwand II).
165
Der Patentverletzer darf die Verhandlungen insbesondere nicht verzögern (EuGH aaO Rn. 66, 71). Denn anders als bei Vertragsverhandlungen, die ein lizenzwilliges Unternehmen vor Benutzungsaufnahme anstrebt, kann das Interesse des Verletzers auch – allein oder jedenfalls in erster Linie – darauf gerichtet sein, den Patentinhaber möglichst bis zum Ablauf der Schutzdauer des Klagepatents hinzuhalten, weil ihm dann keine Verurteilung zur Unterlassung mehr droht (BGH aaO Rn. 82 – FRAND-Einwand I). Eine Verzögerungstaktik besteht typischerweise darin, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen nicht schlichtweg abzulehnen, sondern ihn vorgeblich anzustreben, aber die Findung einer angemessenen Lösung im Einzelnen zu hintertreiben oder zumindest so lange wie möglich hinauszuschieben (BGH aaO Rn. 67 – FRAND-Einwand II). Die auf Grundlage objektiver Gesichtspunkte vorzunehmende Beurteilung, ob eine Verzögerungstaktik verfolgt wird, soll auch das weitere Verhalten des Verletzers auf eine Verletzungsanzeige oder ein Angebot des Patentinhabers in den Blick nehmen (BGH aaO Rn. 77 – FRAND-Einwand II).
166
Fehlt es an der Lizenzwilligkeit des Patentverletzers, kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs offengelassen werden, ob das Angebot des Patentinhabers (inhaltlich) FRAND-Bedingungen entspricht (BGH aaO Rn. 82, 101). Gänzlich entbunden von Reaktionspflichten und daher ebenfalls von der Pflicht, alle Einwände zugleich zu benennen, ist der Lizenzsucher allein in dem Fall, dass ein Angebot in einem Ausmaß FRANDwidrig ist, dass es bei objektiver Wertung als schlechterdings untragbar erscheint, daher als nicht ernst gemeint zu bewerten ist und in der Sache nach dem objektiven Empfängerhorizont eine Weigerung darstellt, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen (vgl. BGH aaO Rn. 71 – FRAND-Einwand II).
167
Nach der Rechtsprechung des Landgerichts München I trägt der beklagte Patentnutzer nach den üblichen zivilprozessualen Maßstäben grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Begründetheit seines kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands. Der FRAND-Einwand ist eine Einwendung des Beklagten und er muss grundsätzlich die für ihn günstigen Umstände darlegen und ggf. beweisen. Das gilt sowohl für den Umstand, das Verhalten (Angebot) des Patentinhabers sei schlechterdings untragbar, als auch für die Rüge des Patentnutzers, durch die ihm angebotenen Vertragsbedingungen werde er gegenüber anderen Lizenznehmern des Patentinhabers diskriminiert (LG München I, Urteil vom 17.02.2023, 21 O 4140/21, GRUR-RS 2023, 11247 – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation). Zur Darlegung dieser Rüge gehört zumindest, dass der Patentnutzer hierfür plausible Anhaltspunkte vorträgt. Je nach Einzelfall kann dies dazu führen, dass dann der Lizenzgeber im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast wiederum hierzu näher vorzutragen hat (LG München I, aaO – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
168
Ein lizenzwilliger Patentnutzer muss als Lizenzsucher zwar grundsätzlich über die wesentlichen Faktoren für die Bemessung der zu zahlenden Lizenzgebühr unterrichtet sein. Hierfür muss er in der Regel die ihm angebotene Lizenzgebühr anhand der wesentlichen Faktoren für den Preis erläutert bekommen. Wird eine Pauschallizenzgebühr für Nutzungen in der Vergangenheit und in der Zukunft vereinbart, kann entsprechend dem Sinn und Zweck der Pauschalzahlung ein niedrigerer Maßstab gelten. Je mehr Lizenzverträge abgeschlossen sind, desto eher kann sich die Erläuterung der Faktoren auf eine Gegenüberstellung der konkret angebotenen Gebühr mit den vereinbarten Lizenzgebühren in bereits abgeschlossenen Lizenzverträgen beschränken. Aus offengelegten Lizenzverträgen mit Dritten samt weiteren erläuternden Informationen des Patentinhabers, die er beispielsweise in einen elektronischen Datenraum eingestellt hat, ergibt sich aber grundsätzlich für einen lizenzwilligen Patentnutzer ein hinreichender Einblick in die Lizenzierungspraxis des Patentinhabers (LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals, zur Veröffentlichung vorgesehen).
169
Macht der Lizenzsucher als Diskriminierungsvorwurf geltend, der Patentinhaber lizenziere zu unterschiedlichen Preisen, muss der Lizenzsucher in der Regel anhand von Beispielen aus der Lizenzierungspraxis des Patentinhabers konkrete Anhaltspunkte darlegen, dass er konkret gegenüber wem und inwiefern diskriminiert wird. Hierbei gilt keine kleinteilige Betrachtungsweise. Entscheidend ist vielmehr, ob die bislang mit Dritten vereinbarten Lizenzgebühren und die dem Lizenzsucher angebotenen Lizenzbedingungen in einem den Schutzzwecken des Kartellrechts entsprechenden wettbewerbskonformen, die Errichtung, Gewährleistung und Absicherung des Binnenmarkts dienenden Gesamtgefüge stehen und ob die angebotene Pauschallizenz den Lizenzsucher beim Marktzugang diskriminiert (LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals).
170
Bei Verhandlungen über einen FRAND-Lizenzvertrag sind beide Parteien gehalten, in jeweils situationsangemessener Weise und nach den Geboten von Treu und Glauben beizutragen (EuGH, aaO), einen vernünftigen, interessengerechten und angemessenen Ausgleich zu finden. Hierzu gehört insbesondere zügig, förderlich und konstruktiv zu verhandeln und hierbei seine Interessen zu artikulieren, um konkrete Fortschritte beim Verhandeln der Lizenzvertragsbedingungen zu erzielen (LG München I, aaO – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
171
Verhandelt der Patentbenutzer die Lizenzbedingungen lediglich zögerlich, bringt er damit in aller Regel seine Lizenzunwilligkeit zum Ausdruck (Verzögerungstaktik). Verlangt ein Patentbenutzer vom Patentinhaber stetig weitere Informationen, ohne dass die ihm hierauf erteilten Auskünfte in Fortschritten bei der Verhandlung münden, kann dieses Verhalten die Lizenzunwilligkeit des Patentbenutzers belegen. Zwar kann ein Patentbenutzer grundsätzlich so viele Informationen verlangen und darf – in den Grenzen des Prozessrechts – prozessual so viel mit Nichtwissen bestreiten, wie er möchte. Nach mehrjährigem Verhandeln und nach mehrmaligem Wiederholen dieses Verhaltens ist das aber jedenfalls nicht mehr förderlich und konstruktiv (LG München I, aaO – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
172
Macht ein Patentbenutzer geltend, die ihm angebotene Lizenz sei nicht FRAND, weil sie schlechter als die Vertragsbedingungen der Konkurrenz sei, muss er, um als lizenzwillig angesehen zu werden, bereit sein, jedenfalls zu diesen (angeblich vorteilhafteren) Bedingungen den Lizenzvertrag zu schließen, und diese Bereitschaft objektiv durch sein Verhalten zum Ausdruck bringen (LG München I, aaO – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
173
Auch bei einer etwaigen Varianz in der bisherigen Preisbildung des Patentinhabers, die jedoch keine so erhebliche Ungleichbehandlung begründet, dass sie nicht im Verhandlungsweg zwischen zwei lizenzwilligen Partnern gelöst werden kann, würde eine vernünftige Partei, die an dem erfolgreichen und interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, diesen Umstand als Chance begreifen und versuchen, (trotzdem) zu einem vernünftigen, angemessenen und interessengerechten Vertragsschluss zu gelangen. Das gilt insbesondere hinsichtlich einzelner Finessen im Zahlenwerk, die sich erst beim Herunterrechnen der Pauschalgebühr ergeben (LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals).
174
Eine hohe Lizenzvorstellung macht das klägerische Angebot in der Regel nicht willkürlich oder kartellrechtswidrig. Es müssen grundsätzlich weitere pönale Aspekte hinzutreten, um das Verhalten des Patentinhabers als schlechterdings untragbar zu bewerten bzw. es als mit der Folge nicht ernst gemeint einzuordnen, dass es hierauf objektiv keiner Reaktion des Patentnutzers bedarf. Abgesehen davon ist es Aufgabe der Verhandlungen zwischen den Parteien, eine Lösung für die Preisfrage zu finden und eine ggf. unangemessen hohe Preisvorstellung des Patentinhabers auf ein objektiv vernünftiges, interessengerechtes und angemessenes Maß zu nivellieren. Das heißt, dass in aller Regel eine Reaktion des lizenzsuchenden Patentnutzers auf das Angebot des Patentinhabers erforderlich ist, um im Einzelfall die Faktoren für die zutreffende Preisbestimmung durch Verhandlungen zu klären (LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals).
175
In Fällen, in denen der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand gegen Ansprüche wegen Patentverletzung geltend gemacht wird, hat die Patentstreitkammer zu prüfen, ob insbesondere dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch ein kartellrechtlicher Anspruch des Patentbenutzers auf Unterlassung des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung entgegensteht. Hierbei kommt es maßgeblich auf die Abgrenzung zwischen Zugangsverweigerung und Preismissbrauch an. Der Patentverletzungsprozess, in dem der „FRAND-Einwand“ geltend gemacht wird, ist grundsätzlich nicht auf die Ermittlung des kartellrechtlich richtigen Preises gerichtet. Wegen der Dauer der Ermittlung des kartellrechtlich richtigen Preises, während derer der Patentnutzer die Erfindung faktisch frei nutzen kann, kann der Einwand des Preismissbrauchs im Verletzungsverfahren nur in krassen Ausnahmefällen zugelassen werden. Die Rechtsposition des Patentnutzers wird dadurch nicht unzumutbar beschränkt. Er hat insbesondere grundsätzlich die Möglichkeit, den kartellrechtlich richtigen Preis in einem gesonderten kartellrechtlichen Verfahren bestimmen zu lassen oder ein Gegenangebot nach § 315 BGB zu unterbreiten (LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals).
176
II. Nach diesen Maßstäben ist entgegen der Annahme der Beklagten das Verhalten der Klägerseite nicht schlechterdings untragbar (unter 1.). Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Beachtung des einschlägigen Gesamtverhaltens der Parteien ist die Unternehmensgruppe der Beklagten hingegen nicht hinreichend lizenzwillig gewesen (unter 2.).
177
1. Das Verhalten der Klägerseite ist nicht schlechterdings untragbar.
178
Entgegen der Annahme der Beklagten hat die Klägerseite die Unternehmensgruppe der Beklagten hinreichend auf die Patentverletzung hingewiesen und diese nicht ankündigungslos mit der Verletzungsklage überfallen (unter a). Das von den Beklagten geltend gemachte untragbare Verhalten folgt ebenfalls nicht daraus, dass die Klägerin dem Antrag der Beklagten vom 08.08.2022 auf Aufhebung der Fristen und Termine im vorliegenden Verfahren und auf Festsetzung der Klageerwiderungsfrist auf den 16.07.2023 (also ein Jahr und zwei Monate nach Klageeingang) entgegengetreten ist (unter b). Außerdem ist das Verhalten der Klägerin bei den Verhandlungen weder rein willkürlich (unter c), noch ist es willkürlich und diskriminierend (unter d). Vielmehr hat sich die Klägerin hinreichend bemüht, der mit der marktbeherrschenden Stellung verbundenen besonderen Verantwortung gerecht zu werden, um einem lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzvertrags zu ermöglichen.
179
a) Besonders der zuerst im Verfahren erhobene Einwand der Beklagten (Schriftsatz vom 08.08.2022) gegen das Verhalten der Klägerin greift nicht durch. Er zielt im Wesentlichen darauf, die Klägerin habe die Unternehmensgruppe der Beklagten mit der Klage überfallen, um überraschend größtmöglichen prozessualen Druck auf die Unternehmensgruppe der Beklagten auszuüben, um sie zum Abschluss einer FRANDwidrigen Lizenz zu zwingen, und sich selbst Mitwirkungspflichten zu entziehen (Schriftsatz der Beklagten vom 08.08.2022, Rn. 1 ff.; Schriftsatz der Beklagten vom 21.06.2023, Rn. 6, 55 ff.).
180
Die Beklagten vertreten hier die Ansicht, dass ... die Klageschrift vom 16.05.2023 in diesem Verfahren der erste Verletzungshinweis der Klägerin gewesen sei.
181
Da die Muttergesellschaft der Klägerin den Beklagten jedoch ... einen hinreichenden Verletzungshinweis erteilt hat, verfängt dieser Einwand nicht und es kann offenbleiben, ob im vorliegenden Fall – wie die Klägerin meint – ein Verletzungshinweis vor Klageerhebung entbehrlich gewesen wäre. Die Klägerin macht insofern zwar geltend, dass ihre Unternehmensgruppe unter anderem aus einschlägigen Presseveröffentlichungen im Markt bekannt sei und sie ihr Patentportfolio an beinahe alle bedeutenden Wettbewerber der Unternehmensgruppe der Beklagten lizenziert habe (s.u.), weswegen es auszuschließen sei, dass die Unternehmensgruppe der Beklagten das Portfolio der Klägerin vor dem Verletzungshinweis nicht gekannt habe. Hierauf kommt es wegen des Zugangs eines Verletzungshinweises nicht entscheidungserheblich an.
182
aa) Zwischen den Parteien ist nicht umstritten, dass es mehrere erfolglose Versuche der Mutter der Klägerin gegeben hat, der Unternehmensgruppe der Beklagten einen Verletzungshinweis zu übermitteln.
183
Diese Versuche sind z. B. gescheitert, weil die Muttergesellschaft der Klägerin E-Mails statt an Adressen mit der Endung „...“ an "..." und damit an falsche Domains gesendet hat.
184
bb) Der Beklagten zu 1 ist mit Schreiben vom und damit ca. sechs Monate vor Klageerhebung ein Verletzungshinweis zugegangen.
185
(1) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass ein Mitarbeiter der Beklagten zu 1, Herr ..., das Schreiben (... der Muttergesellschaft der Klägerin an den CEO der Beklagten zu 1 vom ... am ...(Anlage WKS KAR1c) von dem mit der Übermittlung beauftragten ...-Mitarbeiter erhalten und es in Empfang genommen hat (Anlagenkonvolut WKS KAR1; Anlage BF3, Seite 3 ... ). Weiterhin ist unstreitig, dass ... diesem Mitarbeiter die Zustellung des Schreibens zuvor telefonisch angekündigt hat. Aus der von den Beklagten vorgelegten „waybill“ von ... (Anlagenkonvolut BF3) ergibt sich, dass ursprünglich nicht die Telefonnummer des Adressaten, also des CEO der Beklagten zu 1, Herrn..., eingetragen gewesen ist, sondern die Telefonnummer des Absenders, Herrn ... . ... hat vor Zustellung Herrn ... kontaktiert. Dieser hat dann die Telefonnummer vom Herrn ... mitgeteilt.
186
Außerdem steht zwischen den Parteien nicht im Streit, dass Herr ... Mitarbeiter der Beklagten zu 1 in der Abteilung „... “ ist, die ... durchführt. ... Außerdem sind die Kontaktdaten von Herrn ... an verschiedenen Stellen veröffentlicht.
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(2) Wenn die Beklagten geltend machen, bedingt durch die Tatsache, dass die Kontaktdaten Herrn ... öffentlich zugänglich sind, erhalte er eine Flut von Werbepost, die Angebote sehr diverser Art enthielten und auch häufig an den CEO der Beklagten zu 1 adressiert seien, wobei sie teilweise auch Angebote auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, wie zum Beispiel Markenanmeldungen, beträfen (Zusammenstellung von Herrn ..., Anlage BF8), ändert dies nichts daran, dass dieses Schreiben vom ... bei der Beklagten zu 1 zugegangen ist. Denn es ist in ihren Machtbereich gelangt, so dass die Beklagte zu 1 die Möglichkeit hatte, vom Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen.
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Die Kenntnisnahme durch Herrn ... hat stattgefunden. Die Verteidigung der Beklagten, Herr ... habe dieses Schreiben (was von der Klägerin bestritten wird, Replik (FRAND) Rn. 8) für Werbung gehalten und es ebenso wie tägliche Werbepost im Müll entsorgt, ändert hieran nichts. Der Kammer erscheint es zwar wenig plausibel, dass ein an den ... der Beklagten zu 1 adressiertes Schreiben, dessen Zustellung zuvor von ... telefonisch angekündigt worden ist, von dem Mitarbeiter, der es erhalten hat, nicht an den CEO bzw. dessen Vorzimmer weitergeleitet worden ist, sondern einfach in den Müll geworfen wurde. Aber selbst wenn die Kammer zugunsten der Beklagten unterstellt, dass sich dies so zugetragen hat, gilt das Schreiben vom ... der Beklagten zu 1 als zugegangen. Denn die Fehlannahmen des Mitarbeiters, Herr... , stehen dem Zugang nicht entgegen, weil die Muttergesellschaft der Klägerin alles getan hat, um dieses Schreiben in den Machtbereich der Beklagten zu 1 zu bringen und es allein das Risiko dieser ist, wenn ihre Mitarbeiter per Post übermittelte Schreiben von CEOs anderer Unternehmen an den CEO des eigenen Unternehmens, deren Übergabe zuvor telefonisch angekündigt worden ist, entsorgen und nicht ordnungsgemäß weiterleiten. Entgegen der Auffassung der Beklagten braucht ein solches Schreiben auch nicht „so dramatisch und klar formuliert“ zu sein, dass der betreffende Mitarbeiter mit höchster Wahrscheinlichkeit das Schreiben an die Rechtsabteilung zu Prüfung weiterleiten wird (zum Schriftsatz der Beklagten vom 08.08.2022, Rn. 36), sondern eine Weiterleitung entspricht erfahrungsgemäß dem üblichen Ablauf im Geschäftsverkehr.
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Dem Zugang steht nicht entgegen, dass Herr ... als Mitarbeiter der Beklagten zu 1 in einer ... Abteilung beschäftigt, mit Fragen der Sprachkodierung und des gewerblichen Rechtsschutzes nicht vertraut ist sowie dessen Aufgabe als ... darin besteht, ... (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 08.08.2022, Rn. 25 sowie Schriftsatz vom 24.04.2023, Duplik (FRAND), Rn. 9). Denn unabhängig hiervon wäre ihm eine Weiterleitung des Schreibens an die zuständige Abteilung in seinem Unternehmen nach allgemeiner Lebenserfahrung möglich gewesen. Dass es sich bei diesem Schreiben nicht um die übliche Werbung gehandelt hat, hätte dem Mitarbeiter ... bereits aufgrund der Art und Weise der Zustellung auffallen müssen. Er hätte schon deshalb den „sicheren Weg“ wählen und dieses Schreiben an die zuständige Stelle im Haus weiterleiten müssen. Unabhängig hiervon hätte die Beklagte zu 1 ihren Geschäftsbetrieb so organisieren können und müssen, dass solche Schreiben von den Personen, die sie empfangen, als hinreichend wichtig eingestuft und anstatt sie im Müll zu entsorgen, an die richtige Stelle übergeben werden. An dieser und nicht an Herrn ... wäre es dann zu prüfen, ob es sich tatsächlich um Werbung handelt oder nicht.
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Entgegen der Annahme der Beklagten hat die Klägerin das Schreiben nicht bewusst an einen willkürlich ausgewählten Mitarbeiter der Beklagten zu 1 geschickt, der über keinerlei rechtliche Vorbildung verfügt und auch ... mit Fragen der Kodierung in keiner Weise vertraut ist (geschweige denn der Geschäftsführung angehört). Dem tritt die Klägerin entgegen und macht geltend, dass ... die Beklagte zu 1 selbst auf die Angabe der Telefonnummer des Herrn ... bestanden habe, als diesem das Schreiben zugestellt werden sollte. Da dessen Telefonnummer nicht öffentlich verfügbar gewesen sei, habe Herr ... notgedrungen die einzig öffentlich auffindbare Telefonnummer, nämlich die des Herrn ... , angegeben.
191
Damit ist für die Kammer die Auswahl des Mitarbeiters, Herrn ..., zwar untypisch, aber mangels anders verfügbarer Daten nicht unberechtigt gewesen. Den Umweg bei der Zustellung des Verletzungshinweises über Herrn ... hätte die Beklagte zu 1 leicht vermeiden können, wenn sie auf ihrer Webseite einen Ansprechpartner für Lizenzangelegenheiten benannt und zugleich die Möglichkeit bereitgestellt hätte, diesen einfach telefonisch zu kontaktieren. Anders als die Beklagten meinen, ist die Stellung von Herr ... nicht mit der eines „x-beliebigen Mitarbeiters“ (vgl. Schriftsatz vom 08.08.2022, Rn. 35) oder eines „x-beliebigen Kantinenmitarbeiters bei ...“ (zur Diskussion in der mündlichen Verhandlung) zu vergleichen. Unabhängig davon, dass grundsätzlich von beiden erwartet werden kann, an den Chef des Hauses gerichtete Post intern an diesen weiterzuleiten und nicht eigenmächtig zu entsorgen, besteht für die Kammer Grund zur Annahme, dass Herr ... aufgrund seiner konkreten dienstlichen Aufgaben (s.o.) und seiner sich daraus ergebenden Tätigkeiten im ordnungsgemäßen Umgang mit Schreiben erfahrener sein dürfte als ein „x-beliebiger Kantinenmitarbeiter bei “ und daher gerade auch von ihm erwartet werden konnte, dass er das Schreiben weiterleitet.
192
Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Klägerseite später weitere Zustellversuche unternommen hat, als hierauf keine Reaktion erfolgt ist.
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(3) Der Inhalt des klägerischen Schreibens vom ... (Anlage BF6) erfüllt die an einen Verletzungshinweis zu stellenden Anforderungen.
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So wird darin die Unternehmensgruppe der Beklagten durch den Inhalt des Schreibens sowie über den Verweis auf die Homepage der Klägerseite auf die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Lizenzierung des Patentportfolios der Klägerseite aufmerksam gemacht. Zum anderen werden die Beklagten über die als verletzt angesehenen Patente informiert und darauf hingewiesen, dass eine Patentverletzung durch die Nutzung des EVS-Standards erfolgt.
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Unabhängig davon, ob aus diesem Schreiben unmittelbar und eindeutig hervorgeht, dass konkrete Produkte der Unternehmensgruppe der Beklagten den EVS-Standard implementierten und somit lizenzpflichtig seien, stellt es einen hinreichenden Verletzungshinweis dar, weil die Unternehmensgruppe der Beklagten hierdurch hinreichend über mögliche Patentverletzungen der Klägerseite durch die Implementierung des EVS-Standards unterrichtet wird. Denn in dem Schreiben ist auf den einschlägigen Standard (EVS), das EVS-Patentportfolio der Klägerseite bestehend aus 14 Patentfamilien umfassend 400 angemeldete und erteilte Patente in über 35 Ländern sowie auf für alle 14 Patentfamilien vorliegende Gutachten Dritter, nämlich des „International Patent Evaluation Consortium“ (IPEC) hingewiesen worden. Überdies ist in diesem Schreiben auf die Homepage der Klägerseite (...) Bezug genommen worden. Diese hat unstreitig enthalten:
- eine Liste mit allen Patenten/Patentnummern des Portfolios der Klägerseite,
- eine Liste, die aus jeder der 14 Patentfamilien des Portfolios die Patentnummern von 14 US- und 14 EP-Patenten (einschließlich des vorliegenden Klagepatents) nennt und die jeweilige Patentschrift verlinkt („Select Patent List“),
- eine Liste mit denjenigen Ländern, in denen Patente des Portfolios validiert sind,
- zu den 14 US- und 14 EP-Patenten der „Select Patent List“ jeweils Erklärungen des „International Patent Evaluation Consortium“, nach denen das betreffende Patent standardessenziell ist („IPEC Declarations“) – in diesen, auf der Webseite wiedergegebenen, IPEC Declarations ist zudem angegeben, welche Ansprüche für welche Standardstellen und für welche Produkte essenziell sind,
- der ausformulierte Standardlizenzvertrag (laufende Lizenzzahlung) sowie Erläuterungen, wie sich die Lizenzgebühren berechnen unter Hinweis auf Übersichten zu den Lizenzraten und den anwendbaren Volumen-Discount-Tabellen.
196
Da der Verletzungshinweis sowie der in Bezug genommene Inhalt der Homepage in Verbindung mit den IPEC-Informationen und weiteren Angaben der Klägerseite zusammen zu lesen sind, besteht entgegen der Auffassung der Beklagten kein Verstoß gegen Unionsrecht. Zwar muss grundsätzlich ein Verletzungshinweis die mögliche Verletzungshandlung deutlich machen. An der Erfüllung dieser Anforderungen bestehen nach Überzeugung der Kammer bei den insgesamt gegebenen Informationen aber keine Zweifel.
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Dass dieses Schreiben in einem höflichen und freundlichen Ton gehalten ist, ändert nichts an der Eigenschaft als Verletzungshinweis. Jedenfalls aus seinem Inhalt wird hinreichend deutlich, dass die Klägerseite der Ansicht ist, die Unternehmensgruppe der Beklagten verletze durch Implementierung des EVS-Standards und Vertrieb entsprechender Smartphones die klägerischen Patente aus dem EVS-Portfolio. Damit hat die Klägerseite auch hinreichend deutlich zu erkennen gegeben, welche konkreten Handlungen sie als patentverletzend ansieht, nämlich die sich aus der Implementierung des EVS-Standards in den Geräten der Unternehmensgruppe der Beklagten ergebenden Patentverletzungen.
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b) Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich kein schlechterdings untragbares Verhalten der Klägerin daraus, dass diese dem Antrag der Beklagten entgegengetreten ist, das Verletzungsverfahren durch Festsetzung der Klageerwiderungsfrist auf den 16.07.2023 (also ein Jahr und zwei Monate nach Klageeingang) aufzuschieben.
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aa) Die Beklagten machen insofern im Wesentlichen geltend, vor Ablauf von einem Jahr nach Zugang des Verletzungshinweises sei per se jede gerichtliche Geltendmachung eines patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs ausgeschlossen, um den Parteien jedenfalls ein Jahr für druckfreies Verhandeln der FRAND-Bedingungen zu geben. Diese Zeit sei erforderlich, um das zwischen den Parteien bestehende Informationsgefälle abzubauen und der Klägerin die Möglichkeit einzuräumen, ihren Mitwirkungspflichten nachzukommen und den Beklagten die erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen, so dass die Parteien auf Augenhöhe miteinander verhandeln könnten. Zur Begründung dieser Frist von einem Jahr nehmen die Beklagten Bezug auf eine Pressemitteilung der EU-Kommission vom 29.04.2014 betreffend den Abschluss eines Kartellverfahrens gegen Samsung (Anlage BF09), aus der sich ergäbe, dass mindestens 12 Monate über eine Lizenzierung verhandelt werden müsse, bevor weitere Maßnahmen (insbesondere eine gerichtliche Geltendmachung) eingeleitet werden dürften. Außerdem beziehen sich die Beklagten auf den Entwurf des Leitfadens für Lizenzverhandlungen bei SEPs des japanischen Patentamts vom Mai 2022 (Anlage BF10). Dieses halte – so die Beklagten – eine Verhandlungsdauer von einem Jahr für unabdingbar. Gleiches ergäbe sich aus dem Urteil des IP High Court of England and Wales vom 16.03.2023 im Verfahren InterDigital vs. Lenovo (Schriftsatz vom 24.04.2023, Duplik (FRAND), Rn. 131).
200
Dennoch gibt es nach der Rechtsprechung des Landgerichts München I keinen Grundsatz, dass vor Ablauf eines Jahres nach Erteilung des Verletzungshinweises die Geltendmachung von patentrechtlichen Unterlassungsansprüchen ausgeschlossen ist. Der von den Beklagten aufgestellte Rechtssatz steht in seiner apodiktischen Breite auch nicht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs und des Bundesgerichtshofs im Einklang. Jedenfalls ergibt sich aus dieser keine solche Jahresfrist. Unabhängig davon ist diese auch nicht begründet: Reagiert ein SEP-Verletzer auf den Verletzungshinweis nicht, muss es in aller Regel ausreichend sein, ein halbes Jahr bis zur Klageeinreichung abzuwarten. Jedenfalls kann es einem Patentinhaber in aller Regel nicht zugemutet werden, in solchen Fällen die Klageeinreichung noch länger zurückzustellen.
201
bb) Ebenfalls ist die Klägerin dem Antrag der Beklagten, die Klageerwiderungsfrist auf den 16.07.2023 festzusetzen, zu Recht entgegengetreten, weil der Verletzungshinweis der Unternehmensgruppe der Beklagten am ... zugegangen ist. Da die Beklagten hierauf nicht reagiert haben, bedarf es im konkreten Fall auch bereits keiner Frist von 1 Jahr, um vorprozessual druckfreie Verhandlungen zu ermöglichen (s.o.).
202
Unabhängig davon haben sich die Beklagten lizenzunwillig verhalten (s.u.), so dass die Kammer jedenfalls mangels anderer Anhaltspunkte im vorliegenden Fall nicht davon ausgehen kann, dass sich die Beklagten während einer „cooling-off“-Frist von 12 Monaten lizenzwillig verhalten hätten. Daher hätte zumindest im Streitfall das Abwarten des geforderten Jahres eine bloße Förmelei bedeutet und im Ergebnis allenfalls den Zeitraum verlängert, in denen die Beklagten das Klagepatent ohne Lizenz nutzen.
203
c) Entgegen dem Vorwurf der Beklagten hat die Klägerin die angebotenen Lizenzbedingungen nicht willkürlich bestimmt.
204
Die Klägerseite hat zahlreiche Lizenzverträge mit Wettbewerbern der Unternehmensgruppe der Beklagten abgeschlossen. Die vorliegenden Lizenzvorstellungen der Klägerin bewegen sich verglichen mit diesen Verträgen in einem ähnlichen Rahmen. Der Streit der Parteien dreht sich jedoch (neben der Berechnung der Lizenz) im Wesentlichen um die Bewertung der zutreffenden Höhe einer Pauschallizenz angesichts der unterschiedlichen Auffassungen der Parteien, ob die Geräte der Beklagten ... den EVS-Standard implementieren. So monieren die Beklagten, die angebotene Lizenzgebühr sei massiv überhöht und die Klägerin weigere sich, den Beklagten den Abschluss eines Lizenzvertrags zu den von ihr selbst entwickelten Grundsätzen zu ermöglichen, indem sie unter anderem die Parameter ... willkürlich ansetze (insbesondere ohne nachvollziehbare Begründung erhöhe oder senke) und willkürlich fiktive Zahlen für Gerätever- käufe vermeintlich EVS-fähiger Geräte ... heranziehe, obwohl EVS ... nicht implementiert sei.
205
Da nach den obigen Maßstäben eine hohe Lizenzvorstellung das klägerische Angebot in der Regel nicht willkürlich oder kartellrechtswidrig macht, sondern weitere pönale Aspekte hinzutreten müssen, um das Verhalten des Patentinhabers als schlechterdings untragbar zu bewerten bzw. es als mit der Folge nicht ernst gemeint einzuordnen, dass es hierauf objektiv keiner Reaktion des Patentnutzers bedarf, begründet das Vorbringen der Beklagten keine Willkür mit der Folge, dass die Beklagten auf die Angebote der Klägerin nicht zu reagieren brauchten. Abgesehen davon ist es Aufgabe der Verhandlungen zwischen den Parteien, eine Lösung für die Preisfrage zu finden und eine ggf. unangemessen hohe Preisvorstellung des Patentinhabers auf ein objektiv vernünftiges, interessengerechtes und angemessenes Maß zu nivellieren. Das heißt, dass in aller Regel eine Reaktion des lizenzsuchenden Patentnutzers auf das Angebot des Patentinhabers erforderlich ist, um im Einzelfall die Faktoren für die zutreffende Preisbestimmung durch Verhandlungen zu klären (vgl. LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals). Da die Parteien auch hier vor allem den Abschluss einer Pauschallizenz angestrebt haben, begründete auch eine Varianz in der Preisbildung des Patentinhabers kein so erhebliches Hindernis, dass nicht im Verhandlungsweg zwischen zwei lizenzwilligen Partnern beseitigt werden könnte und die Parteien trotzdem (wenn beide Seiten es wollen) zu einem vernünftigen, angemessenen und interessengerechten Vertragsschluss gelangen (vgl. LG München I, Urteil vom 19.04.2023, 21 O 1890/22 – Schätzung der Tonalität eines Schallsignals).
206
d) Ebenso wenig ergibt sich ein schlechterdings untragbares Verhalten der Klägerin daraus, dass die Beklagten vorbringen, die Klägerin diskriminiere sie deswegen, weil die Anwendung des „...“ zugunsten von ... und gegebenenfalls ... wirke, aber die (...) Unternehmensgruppe der Beklagten benachteilige.
207
Es mag zutreffen, wie es die Beklagten geltend machen, dass mit „...“ ein Parameter in den Lizenzberechnungen der Klägerin betroffen ist, der die ... die effektive Lizenzgebühr bei im Vergleich mit der Unternehmensgruppe der Beklagten deutlich reduzieren würde.
208
Entgegen der Rechtsprechung des Landgerichts München I bringen die Beklagten jedoch durch ihr Verhalten objektiv nicht zum Ausdruck, jedenfalls zu diesen angeblich vorteilhafteren Bedingungen den Lizenzvertrag schließen zu wollen, sondern ziehen den Parameter „...“ lediglich dazu heran, die effektive Lizenzgebühr herabzusetzen. Dabei lassen die Beklagten außer Betracht, dass es beim Diskriminierungseinwand auf die effektive Lizenzgebühr als Parameter jedenfalls nicht maßgeblich ankommt, wenn nicht gezeigt wird, dass dies der relevante Parameter für die Preisbestimmung ist (vgl. LG München I, Urteil vom 17.02.2023, 21 O 4140/21, GRUR-RS 2023, 11247 – untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation).
209
2. Die Lizenzunwilligkeit der Beklagten zeigt sich in ihrem nicht hinreichend konstruktiven Verhandeln der Lizenzbedingungen (unter b). Sie ergibt sich gleichfalls nicht daraus, dass die Klägerin – wie die Beklagten meinen – zögerlich verhandelt und auf ihren Positionen bestanden habe (unter c).
210
a) Die Lizenzverhandlungen der Parteien sind im Wesentlichen wie folgt abgelaufen:
211
Am 16.05.2022 ist die Klageschrift, die auf denselben Tag datiert, bei Gericht eingegangen. Am 28.06.2022 ist sie ausweislich der jeweiligen Postzustellurkunden den Beklagten zugestellt worden.
212
Mit Schriftsatz vom 08.08.2022 haben die Beklagten beantragt, alle derzeitigen Fristen und Termine im vorliegenden Verfahren aufzuheben und die Frist zur Klageerwiderung bis jedenfalls zum 16.07.2023 zu verlängern sowie hieran anschließend weitere Schriftsatzfristen, insbesondere für Replik und Duplik unter Wahrung geeigneter Abstände zu der jeweils vorgehenden Schriftsatzfrist entsprechend neu zu bestimmen. Außerdem haben die Beklagten beantragt, die mündliche Verhandlung erstmalig für Februar 2024 oder später zu terminieren. Hierfür führen sie unter anderem aus, allein die Tatsache, dass die vorliegende Klage erhoben worden ist, stelle einen Kartellverstoß dar und das hiesige Gericht dürfe sich nicht zum „Gehilfen“ dieses derzeit andauernden Kartellverstoßes machen (Schriftsatz vom 08.08.2022, Rn. 4). Als Minimum müsse ein Zeitraum von 12 Monaten für vorprozessuale FRAND-Verhandlungen zur Verfügung gestellt werden, so dass erst nach Ablauf dieses Jahres, also frühestens ab dem 17.05.2023 den Beklagten ein weiterer Lauf der Schriftsatzfristen zugemutet werden könne, was für die Kammer bedeute, die Frist zur Klageerwiderung jedenfalls nicht auf einen Zeitpunkt vor dem 17.07.2023 zu bestimmen (Schriftsatz vom 08.08.2022, Rn. 69, 70 und 71).
213
Im ... haben die Parteien ein „Non Disclosure Agreement“ (im folgenden NDA) abgeschlossen, ... . Die Beklagten haben zudem ihre Lizenzbereitschaft erklärt. ...
214
Mit Schriftsatz vom 25.08.2022 ist die Klägerin den Anträgen der Beklagten vom 08.08.2022 entgegengetreten. Die Klägerin hat ausgeführt, die Beklagten strebten eine „kalte Aussetzung“ des vorliegenden Verfahrens an, und begehrten im Ergebnis eine Vorabentscheidung der Kammer über einen Teilaspekt des von den Beklagten erhobenen FRAND-Einwands, nämlich, ob es sich bei diversen Schreiben der Klägerseite um Verletzungshinweise handele und diese den Beklagten zugegangen seien. Die Klägerin rügt im Übrigen, die Beklagten hätten nicht dargelegt, weshalb die Kammer einen Verhandlungszeitraum von mindestens einem Jahr gewähren sollte.
215
Mit Schriftsatz vom 29.08.2022 haben die Beklagten Gründe für einen Zeitraum für FRAND-Verhandlungen von 12 Monaten vor Klageerhebung dargetan.
216
Im Anschluss an das erste NDA hat die Klägerin den Abschluss eines weiteren NDA zur Offenlegung von Drittlizenzverträgen angeboten.
haben die Beklagten der Klägerin ein unterzeichnetes Exemplar übermittelt (Anlage ... 14).
217
Am ... hat die Klägerseite mitgeteilt, dass das NDA ebenfalls von ihr unterzeichnet worden sei. Nachdem die Beklagten auf Nachfrage von ... mitgeteilt hatten, welche Personen Zugang zu dem Datenraum mit den Informationen zu den Vergleichslizenzverträgen mit dritten Lizenznehmern erhalten sollten, hat die Klageseite sogleich diesen Zugang gewährt und der Unternehmensgruppe der Beklagten Informationen zu allen von der Klägerseite abgeschlossenen Lizenzverträgen nämlich mit:
zur Verfügung gestellt (Zusammenfassung und Erläuterung der in dem Datenraum offengelegten Lizenzverträge, Anlage ... KAR5 – geheimhaltungsbedürftig)v.
218
b) Die Unternehmensgruppe der Beklagten hat die Verhandlungen zum Abschluss des angeblich gewollten Lizenzvertrags nicht hinreichend zielführend geführt. Sie hat sich weder hinreichend zielstrebig noch hinreichend konstruktiv bei den Verhandlungen für den Abschluss des angeblich gewollten Lizenzvertrags eingesetzt. Vielmehr zeigt das Gesamtverhalten der Unternehmensgruppe der Beklagten ihr fehlendes Interesse, mit der Klägerin zügig zum Abschluss des Lizenzvertrags zu gelangen. Die Unternehmensgruppe der Beklagten erscheint bereit, als Druckmittel eine möglichst lange Zeit das Klagepatent unberechtigt und ohne Bezahlung zu nutzen.
219
aa) Vor Erhebung der hiesigen Klage haben zwischen den Parteien keine Verhandlungen stattgefunden. Die Unternehmensgruppe der Beklagten hat sich nicht an die Klägerseite gewandt, um von sich aus aktiv eine Lizenz anzufragen. Auf den ihr zugegangenen Verletzungshinweis (s.o.) hat sie nicht reagiert, auch wenn man den Beklagten an dieser Stelle zugutehalten und annehmen kann, dass dieser von der ... der Unternehmensgruppe der Beklagten nicht bewusst ignoriert worden ist, sondern nach ihrem Vortrag aufgrund des Verhaltens eines individuellen Mitarbeiters sowie aufgrund eines Organisationsverschuldens der Beklagten zu 1 nicht an den ... gelangt, sondern entsorgt worden ist.
220
Hierbei lässt die Kammer nicht unberücksichtigt, dass das Tun der Klägerseite bei der Zustellung eines Verletzungshinweises nicht über jeden Zweifel erhaben gewesen ist, weil z. B. die falsche E-Mail-Adresse verwendet worden ist (s.o).
221
bb) Die von den Beklagten nach Zustellung der Klage unternommenen Mitwirkungen am Verhandlungsprozess genügen nach Überzeugung der Kammer nicht, um ihre Lizenzwilligkeit zu belegen. Die Unternehmensgruppe der Beklagten hat in den Lizenzverhandlungen erst kurz vor dem Haupttermin und damit zu spät einen entscheidenden Schritt auf die Klägerin zu gemacht und insgesamt für den Abschluss eines Lizenzvertrags zu wenig förderlich mitgewirkt.
222
(1) Der Antrag der Beklagten aus dem Schriftsatz vom 08.08.2022 dokumentiert angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls bereits die fehlende Lizenzwilligkeit.
223
Wenn die Beklagten in diesem Schriftsatz unter anderem beantragen, alle derzeitigen Fristen und Termine aufzuheben und die Frist zur Klageerwiderung bis jedenfalls zum 16.07.2023 zu verlängern sowie die mündliche Verhandlung erstmalig für Februar 2024 oder später zu terminieren, um druckfreie Lizenzverhandlungen zwischen den Parteien zu ermöglichen, ist die Begründung hierfür nach Überzeugung der Kammer lediglich vorgeschoben. Den Beklagten ist es nach dem Verständnis der Kammer nicht primär darum gegangen, druckfreie Verhandlungen zu ermöglichen, sondern Zeit zu gewinnen, also insbesondere den Gerichtsprozess bis mindestens Februar 2024 zu verzögern. Denn das im Anschluss an diesen Schriftsatz gezeigte objektive Verhalten der Beklagten lässt für die Kammer nicht den Schluss zu, dass es der Unternehmensgruppe um maßgebliche Vorbedingungen der Verhandlungen mit der Klägerseite gegangen ist, wie insbesondere die geltend gemachte Informationsasymmetrie aufzulösen und eine Verhandlungsparität auf Augenhöhe herzustellen. Stattdessen ist das Verhalten der Beklagten so zu bewerten, dass es ihnen zu Beginn des Gerichtsverfahrens darum ging, die Zeit bis zu einem möglichen Unterlassungsurteil möglichst lang hinauszuzögern. Anderenfalls hätten die Beklagten (nicht aus Rechtsgründen, sondern aus faktischen Gründen) erst recht angesichts des bestehenden Drucks eines drohenden Unterlassungsurteils und nach Herstellung der erforderlichen Transparenz durch Offenlegung der Drittlizenzverträge versucht, konstruktiv und zielstrebig eine Lösung des bestehenden Streits im Verhandlungsweg mit der Klägerin zu finden.
224
(2) Die Lizenzunwilligkeit der Beklagten ergibt sich aus dem Verhandlungsgeschehen. Die Beklagten haben es an der gebotenen Mitwirkung am Zustandekommen eines Lizenzvertrags zu FRAND-Bedingungen fehlen lassen.
225
Die Klägerseite hat hierzu insbesondere entgegnet: In den Geräten der Unternehmensgruppe der Beklagten sei der EVS-Codec enthalten. Dies habe die Klägerseite überprüft.
226
III. Auch aus den übrigen Einwänden und Rügen der Beklagten ergibt sich unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls keine Begründetheit des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands.
227
Insbesondere erweist sich das Beharren der Klägerin, eine Lösung für den Verkauf von EVS-fähigen Geräten ... zu finden, sinnvoll und berechtigt.
228
I. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 i.V. mit 92 Abs. 2 Nr. 1, 100 Abs. 4 ZPO, sowie auf § 91a ZPO, soweit der Rechtsstreit für erledigt erklärt worden ist. Im Hinblick auf die teilweise Klageabweisung (siehe unter B. V. 3) unterliegt die Klägerin nur geringfügig und ohne, dass die Zuvielforderung höhere Kosten verursacht hätte, so dass die Kosten insoweit gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vollumfänglich den Beklagten aufzuerlegen waren.
229
Für den von den Parteien erledigt erklärten Unterlassungsanspruch ist gemäß § 91a ZPO über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Vorliegend ist davon auszugehen, dass die Klage auch im Hinblick auf den ursprünglich geltend gemachten Unterlassungsanspruch zulässig und begründet war, so dass auch insoweit die Kosten den Beklagten aufzuerlegen sind. Aufgrund der festgestellten Patentverletzung bestand zum Zeitpunkt der Klageerhebung der Unterlassungsanspruch gemäß § 139 Abs. 1 Satz 1 PatG. Dieser war insbesondere auch nicht unverhältnismäßig, § 139 Abs. 1 Satz 2 PatG. Eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Einen solchen konnte die Kammer im Rahmen der von § 91a ZPO gebotenen summarischen Prüfung aufgrund der Einwände der Beklagten nicht feststellen. Insbesondere hatten die Beklagten bei dem vorliegenden standardessenziellen Patent die Möglichkeit, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen. Dass dies nicht erfolgt ist, ist der Lizenzunwilligkeit der Beklagten anzulasten (s.o.).
230
II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO. Die Festsetzung von Teilstreitwerten entspricht gängiger Übung der Verletzungskammern am Landgericht München I. Die Kammer schätzt die entsprechenden Teilstreitwerte dem klägerischen Interesse entsprechend wie im Tenor angegeben.
231
§ 712 ZPO ist nicht anzuwenden, weil die Beklagtenseite einen über die üblichen Nachteile einer Vollstreckung hinausgehenden, nicht zu ersetzenden Nachteil durch die Vollstreckung nicht dargetan hat.